EINE ANLEITUNG
ZUM
GENUSS DER KUNSTWERKE ITALIENS.
(PLIN. H. N.)
SCHWEIGHAUSER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG.
1855.
[[II]][[III]]
AN FRANZ KUGLER IN BERLIN.
Die Frucht eines abermaligen längern Aufenthaltes in
Italien, welche ich Dir, liebster Freund, hier überreiche, gehört
Dein von Rechtes wegen. Ich könnte sie Dir widmen, weil ich
vier Jahre in Berlin als ein Kind deines Hauses gelebt und
grosse Arbeiten von Dir anvertraut erhalten habe, oder weil
ich überhaupt den besten Theil meiner Bildung Dir verdanke;
am liebsten aber soll diese Widmung Dich erinnern an unsere
friedlichen Spaziergänge durch den sommerlichen Flugsand wie
durch die Winternässe und den Schnee eurer Umgegend. Ich
weiss, dass mir nichts mehr die geistige Mittheilung ersetzen
wird, deren ich damals theilhaftig wurde.
Auch in diesem Buche ist das Gute, was man finden mag,
eine Frucht Deiner Anregung. Für das Übrige wünsche ich
selber verantwortlich gemacht zu werden. Du siehest, wie ich
mit unserer schon etwas bejahrten ästhetischen Sprache ge-
kämpft habe, um ihr ein eigenthümliches Leben abzugewinnen,
wie aber die Nothwendigkeit des gedrängten Aufzählens und
die Gleichartigkeit der Kunstwahrnehmungen mich zu manchen
[[IV]] leblosen Stellen und zu einigen stereotypen Ausdrücken gezwun-
gen hat. Dafür weisst auch Du allein, wo und wie oft hier
Gedanken und Betrachtungen, die mir am Herzen liegen, dem
Zweck und der Kürze des Buches zu Gefallen unterdrückt oder
nur in flüchtiger Andeutung gegeben worden sind. Ebenso er-
räthst Du hinwiederum am Besten die wirklichen Lücken, welche
in der Befangenheit meines Urtheils und in dem anfänglichen
Schwanken über den Plan des Werkes ihren Grund haben.
Jetzt, da es fertig vor mir liegt, empfinde ich deutlich, dass
ein solches Unternehmen nicht bloss einen Schreibenden, son-
dern einen theilnehmenden Reisegefährten verlangen würde, mit
welchem Thatsachen und Urtheile durchgesprochen und darauf
hin geprüft werden müssten, ob sie genau richtig und ob sie
an der betreffenden Stelle nothwendig sind. Zwar hatte ich
mannigfach das Glück, in der Unterredung mit geistvollen und
strebenden Künstlern Aufklärung und Ermunterung zu finden;
in welchen Partien ich denselben am meisten verdanke, kann
Dir am wenigsten ein Geheimniss bleiben. Aber es verging
kein Tag, da ich nicht empfunden hätte, welche ganz andere
Gestalt eine fortdauernde Berathung mit Dir dem Geschriebe-
nen geben würde.
Mögest Du, liebster Freund, wenn Dich Dein Weg noch
einmal nach Italien führt, in diesem Stationenbuch wenigstens
Deine Schule gerne wiedererkennen.
[[V]]
VORREDE.
Die Absicht des Verfassers ging dahin, eine Übersicht
der wichtigern Kunstwerke Italiens zu geben, welche dem
flüchtig Reisenden rasche und bequeme Auskunft über das
Vorhandene, dem länger Verweilenden die nothwendigen
Stylparallelen und die Grundlagen zur jedesmaligen Local-
Kunstgeschichte, dem in Italien Gewesenen aber eine an-
genehme Erinnerung gewähren sollte. Absichtlich ausge-
schlossen blieb alles bloss Archäologische. Im Einzelnen
wird man sehr verschiedene Gesichtspunkte befolgt finden;
oft durfte ich nur eine erläuternde Bemerkung, eine ge-
schichtliche Notiz, oft auch nur Inhalt und Ort angeben;
das Beschreiben war nur in so weit meine Aufgabe, als
es dazu dienen konnte, auf wesentliches Detail aufmerksam
zu machen, oder die Auffindung und Erkennung der be-
treffenden Gegenstände zu erleichtern; sonst rechnete ich
durchgängig darauf, dass der Leser das in Rede Stehende
gesehen habe oder sehen werde. In den Ortsbestimmungen
[VI] suchte ich so deutlich und vollständig zu sein als bei dem
Umfang des Werkes möglich war 1).
Nun ist es meine erste Pflicht, die wesentlichsten Lücken
des Werkes zu bezeichnen. Diejenigen Orte und Gegen-
den, welche ich entweder gar nicht, oder nur auf flüchti-
ger Durchreise, oder in unreifem Alter besucht habe, sind
folgende:
- Turin und ganz Piemont.
- Cremona, Lodi, Pavia.
- Mantua, Treviso, Udine.
- Imola, Faenza, Cesena, Rimini.
- Pesaro, Urbino, Loreto.
- Volterra, S. Gimignano, Monte oliveto, Pienza.
- Subiaco, Palestrina.
Vom Königreich Neapel alles was südlich über Pästum,
östlich über Capua und Nola hinaus liegt.
Sodann sind ganze Gattungen von Kunstgegenständen
übergangen, entweder weil das Interesse daran ein allzu
specielles ist (die etruskischen Alterthümer), oder weil nor-
dische Sammlungen für das betreffende Fach ungleich wich-
tiger erscheinen (die ägyptischen Sculpturen), oder weil
die Gegenstände sehr beweglich, oder schwer sichtbar und
[VII] nur für ein besonderes Studium ergiebig sind (Sammlungen
von Kupferstichen, Gemmen und Münzen; auch viele Pri-
vatsammlungen von Gemälden). Die Miniaturen der Hand-
schriften liess ich weg, weil deren häufige Besichtigung
ihren Untergang beschleunigt. Endlich wird es nicht be-
fremden, dass die ganze Darstellung nicht über das Ende
des vorigen Jahrhunderts herabreicht. Für die moderne
Kunst bringt fast Jedermann feste Massstäbe mit.
Die Anordnung des Buches, an welche sich der Leser
mit Hülfe des sorgfältigen Registers bald gewöhnen wird,
war die einzig mögliche, wenn der Hauptzweck, die Be-
handlung der Denkmäler nach ihrem Kunstgehalt und ihren
Bedingungen, auf so engem Raum erreicht werden sollte.
Für schnelle Orientirung sorgen die Reisehandbücher, deren
trefflichstes, von Ernst Förster, auch mir an manchen
Stellen von grossem Nutzen gewesen ist. — Das Raisonne-
ment des „Cicerone“ macht keinen Anspruch darauf, den
tiefsten Gedanken, die Idee eines Kunstwerkes zu verfol-
gen und auszusprechen. Könnte man denselben überhaupt
in Worten vollständig geben, so wäre die Kunst überflüs-
sig und das betreffende Werk hätte ungebaut, ungemeisselt,
ungemalt bleiben dürfen. Aber auch bis an die erlaubten
Grenzen bin ich nicht gegangen; schon die nothwendige
Kürze verbot diess. Das Ziel, welches mir vorschwebte,
war vielmehr: Umrisse vorzuzeichnen, welche das Gefühl
des Beschauers mit lebendiger Empfindung ausfüllen könnte.
[VIII]
Mit mancherlei Ungleichheiten der Darstellung wird
man Nachsicht üben bei einem Buche, welches zu zwei
Drittheilen während der Reise geschrieben wurde. Den
Styl gebe ich Preis. Mancher Satz wurde überfüllt, damit
der Band nicht um ein paar Bogen dicker und schwerer
gerathe als er leider schon ist. — Wenn ich etwas häufig
in der ersten Person rede, so geschieht diess fast aus-
schliesslich, um zu bekennen, dass ich dieses oder jenes
Kunstwerk nicht gesehen habe, oder um irgend eine von der
Tradition abweichende Ansicht pflichtgemäss zu vertreten.
Bei der Architektur habe ich mich nur im seltensten
Fall der Kupferwerke und Abbildungen bedient. (Z. B. bei
Anlass der Kirche von Montepulciano.) Es bleibt bedenk-
lich, auch nach den besten Abbildungen auf den Eindruck
zu schliessen, den das Nichtgesehene vermuthlich machen
müsse. Gerne hätte ich z. B. aus den Werken von Per-
cier und Fontaine eine Nachlese gehalten, namentlich für
das Capitel von den römischen Villen, wo dann jene ver-
führerische kleine Villa Sassetti jenseits Monte Mario ein-
zureihen gewesen wäre. Allein es hätte mir begegnen
können von Anlagen zu sprechen, deren eine Hälfte schon
vom Zeichner ergänzt, deren andere Hälfte aber jetzt ohne-
diess nicht mehr vorhanden ist.
Die Decoration des Renaissancestyls hat hier einen
eigenen Zwischenabschnitt erhalten, damit nicht die Dar-
stellung der sämmtlichen drei Künste beständig durch
dieses vierte Element unterbrochen würde. Wen dasselbe
[IX] nicht interessirt, der braucht nur im Register die mit D.
bezeichneten Citate zu überschlagen.
In dem Abschnitt über Sculptur sind die Antiken vor-
herrschend nach demjenigen System geordnet, welches dem
zweiten Theil von Ottfried Müllers „Archäologie“ zu Grunde
liegt. Das betreffende Stück ist hauptsächlich für die Vie-
len geschrieben, welche zwar mit genussfähigem Auge be-
gabt, allein nur auf ganze, harmonische Eindrücke vorbe-
reitet und dem Fragmentarischen und Bedingten (das hier
so sehr vorherrscht) abgeneigt sind 1). — Bei der neuern
Sculptur ist der Abschnitt über den Barockstyl (wie die
entsprechenden Abschnitte der beiden andern Künste) etwas
lang ausgefallen. Allein es erscheint mir als Thatsache,
dass eine genaue und besonnene Mitbetrachtung dieser
Epoche den Genuss der vollkommenen Werke der golde-
nen Zeit wesentlich steigern hilft. Allerdings gilt diess
nur für uns Laien, denn der Künstler soll eigentlich nur
das Beste anschauen.
Bei der Malerei konnte es am wenigsten meine Auf-
gabe sein, den geistigen Inhalt erschöpfen zu wollen, der
[X] ja quantitativ unendlich reich sein kann; ich durfte nur
der Betrachtung hie und da die Wege weisen und auf die
Voraussetzungen hindeuten, unter welchen das einzelne
Werk zu Stande kam. In den Namengebungen, deren Kri-
tik überhaupt nicht Sache dieses Buches ist, folge ich den
gewöhnlichen Annahmen, wo nicht meine besondere An-
sicht als solche gegeben wird. — Für diejenigen endlich,
welchen nur das Rarste und Unzugänglichste Freude macht,
ist hier wenig gesorgt. Solche suchen im Grunde nicht
die Kunst, sonst würde ihnen das vermeintlich Allbekannte
mehr zu denken geben.
Möge dieses kleine dicke Buch mit seinem bunten In-
halt als ein nicht unerwünschter Reisebegleiter erscheinen.
Wenn es, weit entfernt alle Wünsche zu befriedigen, wenig-
stens Vielen Etwas gewährt, so wird der Verfasser glau-
ben, nicht umsonst gearbeitet zu haben.
[[XI]]
ÜBERSICHT DES INHALTES.
- ARCHITEKTUR MIT INBEGRIFF DER DECORATION.
- Antike Architektur. Die Tempel von Pästum S. 1. — Die antiken Säulen-
ordnungen bei Griechen und Römern 7. — Die neuen Elemente der römischen
Architektur 10. — Römische Bauten dorischer 14, ionischer 16, korinthischer Ord-
nung 17. — Das Pantheon 17. — Die übrigen Tempel 20. — Tempelfragmente
27. — Grabmäler 28. — Ehrendenkmäler 31. — Obelisken 32. — Triumphbogen
32. — Thore 35. — Nutzbauten 37. — Foren 38. — Basiliken 39. — Theater,
Amphitheater und Cirken 42. — Thermen 46. — Nympheen 51. — Häuser, Villen
und Paläste 52.
Pompejanische Wanddecoration S. 58.
Marmorne Prachtgeräthe S. 66.
Eherne Geräthe S. 69. — Irdene Gefässe etc. 73. - Altchristliche Architektur. Grundzüge des Basilikenbaues S. 74. — Ba-
siliken zu Rom 81. — Zu Ravenna 85. — Im übrigen Italien 86. — Der Cen-
tralbau. Die Baptisterien 89. — Die Grabkirchen 92. — Die Kirchen von centraler
Anlage S. 93.
Decoration des altchristlichen Styles bis auf die Cosmaten S. 95. - Romanische Architektur. Bauten in Pisa S. 99. — Schiefbau und Bau-
ungleichheiten 103. — Bauten in Lucca 107. — Im übrigen Toscana 108. — In
Florenz S. 109.
Kirchen von Genua S. 112.
Bauten von Venedig S. 113.
Das übrige Oberitalien S. 118. — Mark und Umbrien 123. - Germanische Architektur. Kirchen des vorherrschend nordischen Styles
125. — Des eigentlich italienisch-germanischen Styles 130. — Umbildung des
Pfeilers 137. — Nic. Pisano 137. — Arnolfo 140. — Nachfolger 143. — Mittel-
italien 146. — Bologna 147. — Oberitalien 148.
[XII]Profanbau. Oberitalien S. 153. — Toscana 157. — Übriges Italien 161. —
Schlösser 162.
Decoration des german. Styles S. 163. - Architektur der Frührenaissance. Deren Eigenschaften S. 168. — Hülfs-
mittel zu deren Kenntniss 172. — Brunellesco 174. — Michelozzo 178. — Alberti
182. — Siena 183. — Florentiner bis auf Cronaca 185. — Pisa 190. — Umbrien
etc. 191. — Rom 192. — Neapel 195. — Genua 197. — Herzogthum Mailand,
frühe Bauten des Bramante 199. — Piacenza, Parma, Bologna, Ferrara 204. —
Venedig, die Lombardi 213. — Padua 223. — Vicenza, Verona, Brescia, Ber-
gamo 224.
Decoration der ganzen Renaissance. Übersicht S. 228. — In Stein und Me-
tallguss 232. — In Holz 257. — Prachtgegenstände; Styl des Benvenuto Cellini
272. — Majoliken S. 275. — Gemalte Decoration; Einfassungen von Fresken,
Gewölbeverzierung etc. 276. — Rafaels Loggien 283. — Andere Decorationen
desselben 285. — Seine Gehülfen und Schüler 286. — Spätere Arabesken und
Stuccaturen 290. — Fassadenmalerei 292. - Architektur der Hochrenaissance. Ihr Fortschritt S. 299. — Bramante’s
römische Zeit 303. — Rafael als Architekt 309. — Giulio Romano 310. — Peruzzi
311. — Sangallo d. j. 315. — Baccio d’Agnolo etc. 316. — Paduaner und Vero-
neser 319. — Jacopo Sansovino und Schule 324. — Michelangelo 329. — S. Peter
in Rom 334. - Architektur von 1540 bis 1580. Vignola S. 341. — Vasari 343. — Am-
manati 345. — Andere Florentiner 346. — Pellegrino und die Mailänder 347. —
Genua; Galeazzo Alessi und der genuesische Palastbau S. 348. — Palladio 355.
— Dessen Nachfolger 364. - Architektur und Decoration des Barockstyls S. 366.
- Villen und Gärten S. 399.
- SCULPTUR.
- Antike Sculptur. Herkunft, Restaurationen S. 409. — Tempelstyl 414. —
Etruskische Kunst 417.
Aufzählung nach Typen und Gegenständen. Zeus S. 418. — Serapis, Askle-
pios 420. — Poseidon u. a. Wassergötter 421. — Bärtiger Bacchus 422. — He-
rakles 423. — Dioskuren 425.
Hera S. 426. — Demeter und Isis 428.
Ares S. 429. — Hermes 430. — Athleten 433. — Krieger 435. — Jäger 437.
Pallas S. 438. — Roma etc. 440. — Amazonen 441.
Apoll S. 442. — Artemis 446.
Aphrodite S. 448. — Nymphen etc. 454. — Flora 457. — Leda 458. — Musen
458. — Weibliche Gewandstatuen 462. — Kanephoren und Karyatiden 467.
Eros S. 468. — Paris und Ganymed 469.
Dionysos S. 470. — Sein Gefolge 473. — Tritone u. a. Meergottheiten 483.
[XIII] Hermaphrodit S. 485. — Antinous 486. — Fremdgottheiten etc. 487.
Barbaren 488. — Kinderfiguren 492. — Statuetten. — Gruppen 498.
Bildnisse. Griechen 509. — Römische Imperatoren 516. — Andere Römer 522.
Masken S. 528. — Thiere 531.
Reliefs griechischen Ursprungs S. 537. — An den röm. Kaiserbauten 544.
— Sarcophage 546. — Gemmen etc. 550. - Sculptur des Mittelalters. Ihre Bedingungen S. 552. — Altchristliches
554. — Romanischer Styl 560. — Niccolò Pisano 563. — Germanischer Styl 566.
— Giov. Pisano und Schule 567. — Giotto 572. — Andrea Pisano 573. — Sie-
nesen 574. — Orcagna 575. — Venedig 577. — Genua und Neapel 583. - Sculptur des XV. Jahrhunderts. Ghiberti S. 586. — Die Robbia 589. —
Brunellesco 595. — Donatello 596. — Verocchio 602. — Andere Florentiner 603.
— Pisa 611. — Quercia und Schule S. 612. — Römische Grabmäler etc. 614. —
Genua 618. — Venedig; Bartolommeo, die Bregni, Lombardi und Leopardo 619.
— Padua 628. — Übriges Oberitalien 630. — Mazzoni 635. - Sculptur des XVI. Jahrhunderts S. 637. — Andrea Sansovino 639. —
— Rafael 641. — Tribolo 642. — Versch. Florentiner 644. — Begarelli 645. —
Alf. Lombardi etc. 649. — Jacopo Sansovino und Schule 652. — Cap. del Santo
in Padua 661. — Giov. da Nola und Schule 663. — Michelangelo 665. — Mon-
torsoli, della Porta, Clementi etc. 676. — Bandinelli 680. — Ammanati, Giov. Bo-
logna und Schule 682. — Römer 688. - Sculptur des Barockstyls S. 690.
- MALEREI.
- Altchristliche und byzantinische Malerei. Die Catacombenbilder S. 727.
— Mosaiken 728. — Die altchristlichen 731. — Die byzantinischen 734. — Tafel-
bilder, Stickereien etc. 738. - Romanische Malerei. Ihre Ursprünge S. 740. — Verhältniss zur byzan-
tinischen 742. — Siena, Pisa, Florenz bis auf Cimabue und Duccio 743. — Rom
und Neapel 747. - Germanische Malerei. Die Künstler S. 748. — Aufzählung der Denkmale
749. — Charakter der Schule Giotto’s 757. — Altarwerke 774. — Crucifixe 776.
Schule von Siena S. 777.
Die mittelbaren Giottesken. Bologna etc. S. 780. — Padua; d’Avanzo 782.
— Mark Ancona; Gentile da Fabriano 785. — Venedig; die Muranesen 786. —
Neapel 787.
Fra Giovanni da Fiesole S. 787. - Malerei des XV. Jahrhunderts. Ihre neue Richtung S. 793. — Bedeu-
tung des Fresco 796.
Florentiner. Masaccio 798. — Lippo Lippi 800. — Sandro 801. — Filippino
802. — Cosimo Rosselli etc. 803. — Uccello und Benozzo 804. — Dom. Ghirlan-
[XIV] dajo 805. — Castagno, Verocchio, Credi 807. — Signorelli 808. — Die untere
Bilderreihe der Sistina 810.
Paduanische Richtung. Squarcione und Schule S. 811. — Alte Ferraresen
812. — Mantegna 815. — Melozzo 817. — Vicentiner, Veroneser, Mailänder,
Genuesen 817. — Modena und Parma 820. — Paduanisch gebildete Venezianer 821.
Selbständige Venezianer. Schule des Giovanni Bellini S. 822. — Carpaccio,
Basaiti u. A. 828.
Sienesen und Umbrier S. 830. — Alunno 832. — Pietro Perugino 833. — In-
gegno, Pinturicchio, Spagna u. A. 836.
Mark und Bologna. Die Francia S. 840. — Die Aspertini 843.
Neapel S. 843. — Zingaro und Schule 844. - Altniederländische und altdeutsche Meister S. 845.
- Glasmalerei S. 855.
- Malerei des XVI. Jahrhunderts S. 858.
Lionardo da Vinci S. 859. — Porträtmalerei vor ihm 860. — Seine Werke 861.
— Seine Schüler. Bernardino Luini u. A. 866. — Gaudenzio Ferrari 869. —
Die Halbfigurenmaler 870.
Michelangelo S. 870. — Ausführungen seiner Schüler 878.
Fra Bartolommeo S. 880. — Schüler 883.
Andrea del Sarto S. 884. — Schüler 888. — Florentinische Zeitgenossen 889.
Rafael S. 890. — Peruginische Zeit 891. — Florentinische Zeit; Andachts-
bilder 893. — Porträts 896. — Grablegung 897. — Römische Zeit; Madonnen
u. heil. Familien 898. — Vision Ezechiels 903. — Heil. Cäcilia 904. — Trans-
figuration 905. — Porträts 907. — Unsichere Bilder 910. — Fresken der vati-
canischen Zimmer 910. — Loggien des Vaticans 925. — Tapeten 928. — Jesajas
und Sibyllen 930. — Capella Chigi 931. — Fresken der Farnesina 932.
Schüler. Giulio Romano S. 935. — Perin del Vaga 937. — Andrea da Sa-
lerno 938. — Polidoro u. s. neapol. Nachfolger 939.
Schüler Francia’s und Ferraresen unter Rafaels Einwirkung S. 939. — Ga-
rofalo 941. — Dosso Dossi 943.
Schule von Siena unter Rafaels Einwirkung S. 944. — Sodoma 945. — Pac-
chiarotto 947. — Beccafumi 948. — Peruzzi 949.
Veroneser; Caroto, Cavazzola, Giolfino S. 949.
Coreggio S. 950. — Staffeleibilder 953. — Fresken 955. — Seine Schule 958.
Venezianer S. 960. — Giorgione 961. — Seb. del Piombo 963. — Palma vec-
chio 965. — Marconi und Lotto 966. — Tizian 967. — Seine Schule; Bonifazio
976. — Brescianer; Moretto 978. — Moroni 979. — Romanino 980. — Die Por-
denone 981. — Paris Bordone 982. — Spätere Generation; Tintoretto 983. —
Paolo Veronese 986. — Jac. Bassano und seine Söhne 989. — Ausgang der
Schule 990.
Die Malereien der Staatsräume im Dogenpalast S. 990. - Manieristen S. 994. — Florentiner, Römer und Neapolitaner 996. — Die
Bessern 998. — Genua; L. Cambiaso 1000. — Mailand 1001. — Ferrara und
Bologna 1002. - Moderne Malerei S. 1003. — Übersicht nach Schulen 1005. — Die Flo-
rentiner 1006. — Die Naturalisten etc. 1009. — Die Formenbildung der einzelnen
Schulen und Meister 1011. — Das Colorit 1014. — Die Niederländer in Italien
1019. — Die Spanier 1022. — Die Auffassung; Zurücktreten des architektonischen
Elementes 1024. — Der Affect in der biblischen Geschichte 1026; — in den Le-
genden 1030; die Marterbilder 1031. — Das Ceremoniöse 1033. — Der Affect
in den Einzelfiguren 1034. — Ekstasenmalerei 1037. — Das Vorwiegen der Glo-
rien und Visionen 1039. — Die Fresken der Kuppeln und Gewölbe 1041. — Pro-
fanmalerei 1044. — Genre 1048. — Schlachten 1049. — Landschaft 1050.
ARCHITEKTUR.
Die Baukunst beginnt in Italien viel früher als bei den Tempeln
von Pästum mit welchen wir hier den Anfang machen.
Schon die Urvölker, dann das durch Einwanderung entstandene
Mischvolk der Etrusker haben Bauten hinterlassen, welche nicht bloss
durch Massenhaftigkeit, sondern auch schon durch Anfänge eines hö-
hern Formgefühles ausgezeichnet sind. Allein in ihrem jetzigen Zu-
stande gehören sie doch mehr der Archäologie an; sie liegen meist
seitab von den üblichen Strassen und sind auch dem Verfasser dieses
Buches grösstentheils unzugänglich geblieben. Ueberdiess ist zwischen
ihnen und den Bauten der vollendeten antiken Kunst eine grosse Lücke.
Der Zweck unseres Buches verlangt, dass wir sie übergehen um uns
auf solche Denkmäler zu beschränken, in welchen die höhere Kunst-
form das Wesentliche, der Hauptausdruck der monumentalen Absicht
ist. Welchem Gebäude des italischen Festlandes hier die erste Stelle
gebührt, darüber wird wohl kein Zweifel herrschen.
Von den drei erhaltenen Tempeln der alten Poseidonia sucht das
Auge sehnsüchtig den grössten, mittlern. Es ist Poseidon’s Heiligthum;a
durch die offenen Trümmerhallen schimmert von fern das blaue Meer.
Ein Unterbau von drei Stufen hebt das Haus des Gottes über die
Fläche empor. Es sind Stufen für mehr als menschliche Schritte. An
den Resten des alten dorischen Heraklestempels in Pompeji sieht man,
dass für den Gebrauch eine Treppe von gewöhnlichen Stufen vorge-
setzt wurde.
B. Cicerone. 1
[2]Architektur. Tempel von Pästum.
Den ältesten griechischen Tempeln wie z. B.: demjenigen von Ocha
auf Euböa, genügte ein Bau von vier Steinmauern. Als aber eine
griechische Kunst erwachte, schuf sie die ringsum gehende Säulenhalle
mit dem Gebälk, zuerst vielleicht von Holz, bald von Stein. Diese
Halle ist, abgesehen von ihren besondern Zwecken, nichts als ein idea-
ler, lebendig gewordener Ausdruck der Mauer selbst. In wunderbarer
Ausgleichung wirken strebende Kräfte und getragene Lasten zu einem
organischen Ganzen zusammen.
Was das Auge hier und an andern griechischen Bauten erblickt,
sind eben keine blossen Steine, sondern lebende Wesen. Wir müssen
ihrem innern Leben und ihrer Entwicklung aufmerksam nachgehen.
Die dorische Ordnung, welche wir hier in ihrer vollen alterthüm-
lichen Strenge an einem Gebäude des VI. Jahrhunderts v. Chr. vor
uns haben, lässt diese Entwicklung reiner und vollständiger erkennen
als ihre jüngere Schwester, die ionische.
Der Ausdruck der dorischen Säule musste hier, dem gewaltigen
Gebälke gemäss, derjenige der grössten Tragekraft sein. Man konnte
möglichst dicke Pfeiler oder Cylinder hinstellen, allein der Grieche
pflegte nicht durch Massen, sondern durch ideale Behandlung der For-
men zu wirken. Seine dorische Ordnung aber ist eine der höchsten
Hervorbringungen des menschlichen Formgefühls.
Das erste Mittel, welches hier in Betracht kam, war die Verjün-
gung der Säule nach oben. Sie giebt dem Auge die Sicherheit, dass
die Säule nicht umstürzen könne. Das zweite waren die Cannelirun-
gen. Sie deuten an, dass die Säule sich innerlich verdichte und ver-
härte, gleichsam ihre Kraft zusammennehme; zugleich verstärken sie
den Ausdruck des Strebens nach oben. Die Linien aber sind wie im
ganzen Bau nirgends, so auch in der Säule nicht mathematisch hart;
vielmehr giebt eine leise Anschwellung das innere schaffende Leben
derselben auf das Schönste zu erkennen.
So bewegt und beseelt nähert sich die Säule dem Gebälk. Der
mächtige Druck desselben drängt ihr oberes Ende auseinander zu einem
Wulst (Echinus), welches hier das Capitäl bildet. Sein Profil ist in
jedem dorischen Tempel der wichtigste Kraftmesser, der Grundton des
Ganzen. Nach unten zu ist er umgeben von drei Rinnen, gleich als
verschöbe sich hier eine zarte, lockere Oberhaut der Säule. Ihnen ent-
[3]Tempel von Pästum.
sprechen und antworten etwas weiter unten, an der Säule selbst, drei
Einschnitte ringsum. — Eine starke viereckige Deckplatte isolirt die
Säule vom Gebälk.
(An vielen Stellen dieses Tempels scheinen die Säulen auf vier-
eckigen Untersätzen zu stehen, allein nur weil Steine dazwischen weg-
genommen worden sind. Die dorische Säule, als erdgeborne Kraft
bedarf der Basis nicht; unmittelbar aus der obersten Tempelstufe steigt
sie empor).
Es folgt zunächst ein Band von hier sehr mächtigen Quadern, der
sog. Architrav, ganz glatt und schmucklos. Es sind die Balken, welche
über die Säulen hingehen. Was aber von Bewegung übrig ist, setzt
sich fort in dem darauf folgenden Gliede, dem Fries. Die von innen
kommenden Querbalkenenden sind in der Mitte zweimal und an bei-
den Seiten senkrecht eingekerbt zu „Triglyphen“, die Zwischenräume
(Metopen) aber ausgefüllt mit Steinplatten, die ohne Zweifel mit Ge-
mälden oder Reliefs geschmückt werden sollten. Wir wissen nämlich
nicht, ob dieser Tempel je ganz vollendet wurde. — Im Architrav ent-
spricht jeder Triglyphe ein kleines Band mit sechs daran hängenden
sog. Tropfen.
Ein hier besonders weit vorragendes Kranzgesimse deckt das Ganze.
Von unten erkennt man daran eine ideale Darstellung der schrägen
Dachsparren, deren jeder drei Reihen von je sechs Nägeln aufweist.
An den beiden Hauptseiten des Tempels ragen darüber die Giebel em-
por, die zwar jetzt (und vielleicht von jeher) leer stehen, ohne jene
Gruppen von Statuen, welche einst die attischen Tempel zierten, dabei
aber durch das schönste, gerade für diesen Bau passendste Verhältniss
der Höhe den Blick erfreuen. Der stumpfe Winkel des Giebels näm-
lich ist das Schlussergebniss jener ganzen idealen Rechnung zwischen
Kräften und Lasten; er deutet genau an, wie viel von strebender Kraft
am Ende übrig geblieben ist.
Eine ganze Anzahl feinerer Gliederungen, welche man an den
dorischen Bauten Athens vorfindet, fehlen hier entweder ursprünglich
oder durch die Verwitterung. Der Eindruck des Strengen und Mäch-
tigen wird dadurch noch gesteigert.
Vom Innern fehlt fast die ganze Mauer, welche das längliche Haus,
die Cella des Gottes ausmachte. Wahrscheinlich lockten die glatten
1*
[4]Architektur. Tempel von Pästum.
Quadern den kirchenbauenden Normannen zum Raub. Doch ist die
innere Vorhalle, zwei Säulen zwischen zwei Mauerpfeilern (Anten) er-
halten. Diese letztern sind als Theil der Mauer behandelt, also weder
cannelirt, noch verjüngt, noch geschwellt, doch deutet ein eigenes Ca-
pitäl, welches bedeutsam mit dem Echinus der Säulen contrastirt, auf
ihre Theilnahme am Tragen hin.
Von den Steinbalken und deren vertieften viereckigen Zwischen-
feldern (Cassetten), welche den Raum zwischen Säulenhalle und
Tempelmauer bedeckten, ist nichts mehr erhalten. Das Gebälk der
Säulenhalle scheidet sich, auch von innen gesehen, in Architrav und
Fries, nur dass lezterer hier glatt ist. Am Gebälk der Cella dagegen,
soviel davon vorhanden ist, hat der Fries seine Triglyphen und Me-
topen, nur niedriger als am Aussenbau.
Das Innere des Heiligthums erhielt einst sein Licht durch eine
grosse Dachöffnung, ohne welche die fensterlosen griechischen Tempel
durchaus dunkel gewesen wären. An den bedeutendern Tempeln wurde
gleichsam als Einfassung und Stütze dieses offenen Daches eine innere
Säulenordnung angebracht, und zwar eine doppelte, weil einfache do-
rische Säulen allzu gross und dick hätten gebildet werden müssen im
Verhältniss zu dem so beschränkten Raum. Die Bauten der höchsten
Blüthezeit scheinen meist eine untere dorische und eine obere ionische
Ordnung gehabt zu haben, zu deutlicher Scheidung der in einander
überleitenden Kräfte. Hier dagegen ist auch die obere Ordnung do-
risch und dabei noch von etwas ungeschickter Bildung, als wäre die
kleine obere Säule unmittelbar die durchs Zwischengesims hindurch-
gehende Fortsetzung der grössern untern; überdiess wirkt der breit aus-
einander gehende Echinus der kleinen Säule nicht gut 1).
Nur in dürftigen Andeutungen haben wir das, was die Seele die-
[5]Tempel von Pästum.
ses wunderbaren Baues ausmacht, bezeichnen können. Obwohl eines
von den besterhaltenen Denkmälern seiner Art, verlangt er doch ein
beständiges geistiges Restauriren und Nachfühlen dessen was fehlt und
dessen, was nur für die aufmerksamste Pietät noch sichtbar ist. Wie
ganz anders würde er auch zum äussern Auge sprechen, wenn er noch
mit allen Sculpturen seiner Giebel und Metopen, mit den Dachzierden
(Akroterien) von Laubwerk und Statuen, mit den Löwenköpfen des
Kranzgesimses, mit dem jetzt so fraglichen Farbenschmuck, innen aber
mit dem Bild Poseidon’s und den Weihgeschenken geretteter Seefahrer
geschmückt wäre! Unsere Vorstellung von Kunstvermögen der Grie-
chen steigert er aber schon in seinem jetzigen Zustande auf das höchste.
Vielleicht blickt ein scharfes Auge die einzelnen Seiten im Profil
entlang und findet, dass keine einzige mathematisch gerade Linie an
dem ganzen Bau ist. Man wird zunächst an ungeschickte Vermessung,
an die Wirkung der Erdbeben und Anderes der Art denken. Allein
wer z. B. sich der rechten Ecke der Vorderseite gegenüberstellt, so
dass er das obere Kranzgesimse der Langseite verkürzt sieht, wird eine
Ausbeugung desselben von mehrern Zollen entdecken, die nur mit Absicht
hervorgebracht sein kann. Und Ähnliches findet sich weiter. Es sind
Äusserungen desselben Gefühls, welches die Anschwellung der Säule
verlangte und auch in scheinbar mathematischen Formen überall einen
Pulsschlag innern Lebens zu offenbaren suchte.
Die beiden andern dorischen Tempel von Pästum sind aus einer
viel spätern, ausgearteten Epoche der dorischen Baukunst, die man
der Zeit nach vielleicht in das III. Jahrhundert v. Chr. verlegen
kann. Der Eindruck ist indess immer ein solcher, dass sie ohne die
Nachbarschaft des Poseidonstempels zu den herrlichsten Bauten des
italischen Festlandes gehören würden. Sie sind weniger gut erhalten,
besitzen aber wenigstens den ganzen äussern Säulenkranz und Archi-
trave ohne Unterbrechung.
An dem sog. Cerestempel fällt zunächst eine abweichende Bil-a
dung der Säule auf, welche wie aus weicherm, minder elastischem
Stoffe geschaffen scheint. Dies drückt sich aus in der viel stärkern
Ausbauchung des Schaftes und in der breitwulstigen Bildung des Echi-
[6]Architektur. Tempel von Pästum.
nus, welche letztere durch eine ganz eigenthümliche Zusammenziehung
(Hohlkehle) am Oberende des Schaftes zwar erklärt, aber auch durch
das Grelle des Überganges um so viel fühlbarer wird. Diese gewal-
tige Breite des Echinus zieht dann eine verhältnissmässige Vergrös-
serung der Deckplatte nach sich. (Die Intervalle der Deckplatten sind
etwa gleich der Hälfte ihres Durchmessers.) Zu der geringern innern
Kraft der Säule passt dann ganz gut der schmalere Architrav. Statt
der Triglyphen und Metopen, welche von besserm Stein eingesetzt
waren, sieht man jetzt fast bloss deren leere Lücken. An den einst
herabgestürzten und in neuerer Zeit wieder aufgesetzten Giebeln ist das
Obergesimse mit vertieften Cassetten verziert, die das Alter zum Theil
sogar durchlöchert hat. Von der Cella ist wenig mehr erhalten, als
die Grundmauern.
Noch deutlicher erscheint die Ausartung des dorischen Styles in
ader sog. Basilica. Trotz auffallender Abweichungen, wie z. B. die
ungerade Neunzahl der Säulen an den beiden Fronten, ist diess Ge-
bäude ebenfalls ein Tempel gewesen; Gestalt, Lage, Stufen, Enge des
Raumes im Innern lassen den Gedanken an eine andere Bestimmung,
wie z. B. die der Basiliken war, gar nicht aufkommen. Wiederum
sind die Säulen stark geschwellt und von dem sehr weichen und run-
den Echinus durch eine ähnliche Hohlkehle getrennt wie am Ceres-
tempel. Von dem Gebälke ist ein schmaler Architrav ganz erhalten,
theilweise auch ein stark zurücktretender Fries, an welchem ohne
Zweifel sculpirte Triglyphen und Metopen aus besserm Stein ange-
nietet waren (oder werden sollten, denn mit der Vollendung solchen
Tempelschmuckes verhielt es sich nur zu oft wie mit dem Ausbau un-
serer gothischen Kathedralen.) — Innen beginnt die Cella mit einer
Vorhalle von drei Säulen und zwei Mauerpfeilern (Anten), welche
letztere, als stärkstes Merkmal der Entartung, die Verjüngung sowohl
als die Anschwellung der Säulen mitmachen; auch ihr Capitäl — eine
Hohlkehle — ist von gefühlloser Bildung. — Im Innern steht auffal-
lender Weise eine Säulenreihe der mittlern Axe des Gebäudes ent-
lang; drei Säulen sind ganz, von zweien die Capitäle erhalten. Welchen
Zweck und welche Bedachung man sich dabei vorzustellen habe, lässt
sich um so weniger entscheiden, da dieser Innenbau vielleicht nicht
einmal der ursprüngliche ist.
[7]Ionische Ordnung.
Neben der dorischen Ordnung entwickelte sich als deren schönstes
Gegenbild die ionische; anfänglich in andern Gegenden entstanden,
auch wohl für gewisse Zwecke vorzugsweise angewandt, wurde sie
doch mit der Zeit ein völlig frei verwendbares Element der griechi-
schen Gesammtbaukunst. Leider ist in den griechischen Colonien Ita-
liens kein irgend beträchtlicher Ueberrest echter ionischer Ordnung
erhalten und die römischen Nachahmungen geben bei aller Pracht doch
nur ein dürftiges, erstarrtes Schattenbild von dem Formgefühl und dem
feinen Schwung des griechischen Vorbildes. — Die Grundlage ist im
Wesentlichen dieselbe, wie bei der dorischen Ordnung, die Durchbil-
dung aber eine verschiedene. Die ionische Säule ist ein zarteres Wesen,
weniger auf den Ausdruck angestrengten Tragens als auf ein reiches
Ausblühen angelegt. Sie beginnt mit einer Basis von zwei Doppel-
wulsten, einem weitern und einem engern, deren inneres Leben sich
durch eine schattenreiche Profilirung verräth. (An den römischen Über-
resten entweder glatt oder mit reichen, aber beziehungslosen Orna-
menten bekleidet). Ihr Schaft ist viel schlanker und weniger stark
verjüngt, als der dorische; seine Ausbauchung ein eben so feiner Kraft-
messer als bei diesem. Die Cannelirungen nehmen nicht die ganze
Oberfläche des Schaftes ein, sondern lassen schmale Stege zwischen
sich, zum Zeichen, dass sich die ionische Säule nicht so anzustrengen
habe, wie die dorische. (An den römischen Ueberresten fehlen hier
wie bei allen Ordnungen die Cannelirungen oft, ja in der Regel; mit
grossem Unrecht, indem sie kein Zierrath, sondern ein wesentlicher
Ausdruck des Strebens sind und auf die bewegte Bildung des Capi-
täls und Gesimses nothwendig vorbereiten.) Das ionische Capitäl, an
den alten athenischen Bauten von unbeschreiblicher Schönheit und Le-
bendigkeit, setzt über einem verzierten Hals mit einem Echinus an;
dann aber folgt, wie aus einer weichen, ideal-elastischen Masse gebildet,
ein oberes Glied, gleichsam eine Blüthe des Echinus selbst, die auf beiden
Seiten in reich gewellten Voluten (Schnecken) herniederquillt und sich,
von vorn gesehen, in zwei prächtigen Spiralen aufrollt. Die Deck-
platte, welche bei einer ernsten, dorischen Bildung dieses ganze reiche
Leben tödten würde, ist nur als schmales, verziertes, ausgeschwunge-
nes Zwischenglied zwischen das Capitäl und das Gebälk hineingescho-
ben. (An den römischen Überresten: Hals und Echinus schwer und
[8]Architektur. Korinthische Ordnung.
mässig verziert, die Voluten auf den Seiten mit schuppenartigem Blatt-
werk bedeckt, ihre Spiralen schwunglos und mathematisch, die Deck-
platte überreich) 1). — Das Gebälk ist leicht und der Säule gemäss
gestaltet; der Architrav in drei übereinander hervortretende Riemen
getheilt; der Fries ohne Unterbrechung durch Triglyphen zu fortlaufen-
den Reliefs eingerichtet; alle Zwischenglieder und alle Theile des Ober-
gesimses zart und reich gebildet. (An den römischen Überresten wohl
ebenso prachtvoll aber lebloser.) 2)
Endlich schuf noch die griechische Kunst das korinthische Ca-
pitäl. An den Bauten Griechenlands selbst können wir dasselbe nur
in seinen Anfängen nachweisen, Anfänge, die freilich Grösseres ver-
heissen als es später unter römischer Hand wirklich erfüllt hat. (Die
sog. Laterne des Demosthenes, richtiger: das choragische Denkmal des
Lysikrates in Athen.)
Indess haben die Römer diese Ordnung mehr geliebt und richti-
ger verstanden und behandelt als die beiden andern, ja wenn man die
Trefflichkeit der korinthischen Formen am Pantheon und am Tempel
des Mars Ultor neben der sonstigen Thätigkeit so zahlreicher griechi-
scher Künstler im damaligen Rom in Erwägung zieht, so wird auch
wohl der Gedanke erlaubt sein, dass hier noch eine ziemlich unmittel-
bare griechische Tradition, wenigstens stellenweise zu uns spricht.
Form, Verhältnisse, Dichtigkeit der Stellung hat die korinthische
Säule im Ganzen mit der ionischen gemein; Basis und Cannelirungen,
wo diese sich vorfinden, sind dieselben. Das Capitäl aber bildet einen
runden Kelch, der mit zwei Reihen von Akanthusblättern ringsum be-
kleidet ist. Aus diesen Blättern spriessen Stengel hervor, aus welchen
[9]Korinthische und Composita-Ordnung.
sich mächtig gerollte Voluten entwickeln; diese, je zwei sich anein-
ander drängend, bilden die weit vorspringenden vier Ecken des Ca-
pitäls. Ihnen folgt die ausgeschwungene Deckplatte, deren einwärts-
gehende Rundungen in der Mitte durch eine Blume unterbrochen sind.
Wer an den bessern römischen Bauten ein wohlerhaltenes Capitäl
mit der nöthigen Geduld verfolgt, wird über die Fülle idealen Lebens
erstaunen, die sich darin ausdrückt. Der Akanthus ist wohl ursprüng-
lich die bekannte Pflanze Bärenklau; man pflücke sich aber, z. B. auf
den Wiesenhöhen der Villa Pamfili, ein Blatt derselben, und überzeuge
sich bei der Vergleichung mit dem architektonischen Akanthus, welch
ein Genius dazu gehörte, um das Blatt so umzugestalten. In einem
neuen, plastischen Stoff gedacht, gewinnt es eine Spannkraft und Bieg-
samkeit, einen Reichthum der Umrisse und der Modellirung, wovon
im grünen Bärenklau nur die halbversteckten Elemente liegen. Die
Art, wie die Blätter über- und nebeneinander folgen, ist ebenfalls der
Bewunderung werth, und so auch ihre höchste und letzte Steigerung
in Gestalt der Eckvoluten; diese, als (scheinbarer) Hauptausdruck der
Kraft, sind mit Rccht freier, d. h. weniger vegetabilisch gebildet, haben
aber ein Akanthusblatt, das mit ihnen aus dem gleichen Stengel spriesst,
zur Unterlage und Erklärung mit sich. Und jeder einzelne Theil die-
ses so elastisch sprechenden Ganzen hebt sich wieder klar und deut-
lich von den übrigen ab; reiche Unterhöhlungen, durch welche der
Kelch als Kern des Capitäles sichtbar wird, geben zugleich dem Blatt-
werk jene tiefen Schatten zur Grundlage, durch welche es erst völlig
lebendig wirkt.
Eine blosse Spielart des korinthischen ist das sog. Composita-
capitäl, erweislich zuerst an dem Titusbogen angewandt. (Der Dru-
susbogen bei Porta S. Sebastiano in Rom ist wahrscheinlich falsch be-
nannt; sonst wäre er ein noch älteres Beispiel). Die Mischung aus den
zwei untern Blattreihen des korinthischen Capitäls und einem darüber-
gesetzten unecht ionischen mit vier Eckvoluten (demselben etwa, wel-
ches oben, in der Anmerkung zu Seite 8 beschrieben wurde) ist eine
unschöne, mechanische. Es liesse sich schwer begreifen, wie man ge-
rade den glänzend lebendigen obern Theil des korinthischen Capitäls
opfern mochte, wenn die Mode nicht stärker wäre als Alles.
[10]Architektur. Römische Ordnung.
Bei der nun folgenden Übersicht der römischen Bauwerke in Italien
möge man ja im Auge behalten, dass wir das rein Archäologische ab-
sichtlich beseitigen und auf eine Ergänzung desselben aus den Reise-
handbüchern und aus sonstigen Studien rechnen. Auch unsere Vor-
bemerkungen werden nicht aus Notizen bestehen, sondern einige all-
gemeine Gesichtspunkte festzustellen suchen.
Römerbauten der bessern und noch der mittlern Zeit haben ein
Königsrecht selbst neben dem Massivsten was Italien aus dem Mittel-
alter und der neuen Bauperiode besitzt. Selbst ein kleiner Rest be-
meistert in seiner Wirkung ganze Gassen, deren Häuser doppelt und
dreimal so hoch sind. Diess kommt zunächst von dem Stoffe, aus wel-
chem gebaut wurde; in der Regel ist es der beste, der zu haben war.
Sodann wurde von allem Anfang an bei öffentlichen Gebäuden nicht
gepfuscht und nicht jeder Rücksicht nachgegeben; man baute etwas
Rechtes oder gar nichts. Endlich ist die antike Architektur mit ihren
plastisch sprechenden, bedeutsam abwechselnden Einzeltheilen, Säulen,
Gebälken, Giebeln etc. im Stande, jeder andern baulichen Gliederung
die Spitze zu bieten, selbst der gothischen, so wie sie in Italien auftritt.
Nun sind einige zeitliche und technische Unterschiede zu beob-
achten. Zur Zeit der römischen Republik und auch der frühern Kaiser
wurden die öffentlichen Bauwerke aus Quadern desjenigen Steines er-
baut, welcher unter den nächst zu habenden der beste war. Für Rom
z. B. musste die Wahl auf den grüngrauen Peperin und den gelblichen
Travertin fallen. Allein schon seit Augustus gewann man den fernab
liegenden weissen Marmor so lieb, dass mit der Zeit wenigstens Säulen
und Gebälk vorzugsweise daraus gebildet wurden, während man die
Wände mit Platten dieses und anderer kostbarer Stoffe bekleidete; das
Innere der Mauern aber bestand fortan aus Ziegeln.
Marmorbauten jedoch waren das ganze Mittelalter hindurch die
beliebtesten und bequemsten Steinbrüche, wo man die schönsten Säu-
len, in der Regel aus Einem Steine, fertig vorfand um hundert Basi-
liken damit auszustatten. Von den Mauern löste man mit Leichtigkeit
die vorgesetzten Platten ab und verwandte sie auf alle Weise; Ge-
bäude, deren Mauern aus vollen durchgehenden Quadern bestanden
hätten, würde man gewiss eher respectirt und so gut es ging, zu neuen
Bestimmungen eingerichtet haben.
[11]Bogen und Gewölbe.
So kommt es nun, dass der Reisende, auf einen einigermassen
vollständigen Anblick wenigstens der Bruchstücke antiker Tempel,
Thermen und Paläste gefasst, durch scheinbar ganz formlose Ziegel-
haufen enttäuscht wird. So schön die Ziegel namentlich des ersten
Iahrhunderts gebrannt, so sorgfältig sie auf einandergeschichtet sein
mögen, so glühend ihre Farbe in der Abendsonne wirken mag, bleibt
es eben doch ein bloss zufällig zu Tage getretener innerer Kern ehe-
maliger Gebäude, den einst, als das Gebäude vollständig war, kein
Auge erblickte, weil ihn eine leuchtende Hülle und Schale umgab. Wir
werden im Folgenden sehen, auf welche Weise sich das einigermassen
forschungsfähige Auge entschädigen kann.
Bekanntlich brachten die Römer zu den entlehnten griechischen
Formen aus der etruskischen Baukunst den Bogen und das Ge-
wölbe hinzu, letzteres als Tonnengewölbe (wie ein gebogenes Blatt),
als Kreuzgewölbe (zwei sich schneidende Tonnengewölbe) und als Kup-
pel. Schwere und Druck verlangen sog. Widerlager, welche entweder
durch verhältnissmässige Dicke der Mauer oder durch Strebepfeiler
an den dem stärksten Druck ausgesetzten Stellen dargestellt werden
müssen; die Römer liessen es im Ganzen bei dicken Mauern bewen-
den (Vergl. das Pantheon). — Wie man sieht, handelte es sich um
ganz neue Aufgaben. Die griechischen Säulen, Gebälke und Giebel,
ursprünglich auf einen wesentlich andern Kernbau berechnet und nur
ihrer schönen Wirkung wegen beibehalten, mussten nun die römischen
Bauten „accompagniren“ helfen, wenn uns dies Wort erlaubt ist. Man
zog Säulenreihen vor den Mauern, Halbsäulenreihen an den Mauern —
sowohl im Innern als am Äussern — hin; man gab den Mauerpfei-
lern (Anten) und den Pilastern überhaupt dieselben Capitäle wie den
Säulen, nur zur Fläche umgebildet; man stellte Peristyle als Eingangs-
hallen bisweilen sehr unvermittelt vor ein Gebäude von beliebiger Form;
man liess das griechische Gesimse ohne Unterschied über Säulenreihen
oder Mauermassen — geradlinige oder runde — dahin laufen. Kein
Wunder, dass sein fein abgewogener constructiver Sinn, dass die Fülle
von Andeutungen auf das Ganze, dem es einst gedient, verloren gin-
gen und dass man sich mit möglichster Pracht der decorativen
Ausbildung zufrieden gab.
[12]Architektur. Römisches Detail.
Hierin aber zeigt sich die römische Kunst wahrhaft gross. Sobald
man es vergisst, wie viel missverstandene und umgedeutete griechische
Formen unter den römischen versteckt liegen, wird man die letztern um
ihrer prachtvollen, höchst energischen Wirkung willen bewundern
müssen.
Von dem korinthischen Capitäl ist schon die Rede gewesen als
von einer noch wesentlich griechischen Schöpfung. Am Gebälk findet
sich zunächst ein bereicherter Architrav, dessen drei Bänder mit Perl-
stäben u. dgl. eingefasst sind; bisweilen besteht das mittlere aus lauter
Ornamenten. (Später: oft nur zwei Bänder.) Eine zierliche, nur zu
weit vorwärts profilirte Blattreihe scheidet den Architrav vom Fries,
welcher die Inschriften und Reliefs oder Pflanzenzierrathen enthält.
(Später: der Fries in der Regel convex und auf irgend einen nicht
mehr aufweisbaren, etwa aufgemalten Schmuck berechnet).) Ueber dem
Fries eine mannigfach variirte Aufeinanderfolge vortretender, reich de-
corirter Glieder: Reihen von Akanthusblättern mit gefälligem Wellen-
profil, Eierstäbe, Zahnschnitte, und als Uebergang zu dem mit Löwen-
köpfen und Palmetten geschmückten Kranzgesimse: die Consolen.
Diese sind eine römische Umdeutung jener schrägen Dachsparren, die
wir beim grossen Tempel von Pästum erwähnten und verdienen als
Höhepunkt alles römischen Formgefühls eine besondere Aufmerksam-
keit. Unter das wellenförmig gebildete, architektonisch verzierte Spar-
renende legt sich, ebenfalls in Wellenform, ein reiches Akanthusblatt;
sodann wird der Zwischenraum zweier Consolen von einer reich ein-
gefassten Cassette eingenommen, aus deren schattiger Tiefe eine Rosette
hell herabragt. (Später: das Akanthusblatt kraftlos an die Console
angeschmiegt; die elastische Bildung beider vernachlässigt; die Cas-
setten flach, die Rose leblos gebildet.) Am Giebel ist ein Theil des
Hauptgesimses mit den Consolen wiederholt, welche hier trotz des
schrägen Ansteigens an den besten Bauten senkrecht gebildet werden.
a(Vorhalle des Pantheon). Ein vielleicht nur allzureicher Schmuck von
Statuen, Gruppen u. a. Zierrathen war auf der Höhe des Giebels und
auf den Ecken angebracht. (Ein paar gute Akroterien oder Eckzier-
bden aus römischer Zeit in der Galeria lapidaria des Vaticans.) Die
Anwendung grosser plastischer Freigruppen in den Giebeln selbst ist
auch für die Römer wahrscheinlich, doch nicht mit Beispielen zu belegen.
[13]Römisches Detail. Tempel.
Es versteht sich, dass nur eigentliche Prachtgebäude diesen Schmuck
vollständig aufwiesen und auch diese nicht durchgängig; zudem sind sie
fast ohne Ausnahme nur in geringen Fragmenten erhalten. Ausser den
noch an Ort und Stelle befindlichen Bauresten wird man desshalb zur Er-
gänzung auch die verschleppten und in die Museen geretteten Fragmente
studiren müssen, indem sich stellenweise gerade an ihnen das Schönste
und Reichste, auch wohl das Zierlichste, wenn sie von kleineren Bauten
herstammen, erhalten hat. Im Vatican enthält namentlich die schona
genannte Galeria lapidaria und auch das Museo Chiaramonti einenb
Schatz von solchen Bruchstücken; ebenso das Museum des Laterans;c
von den Privatsammlungen ist die Villa Albani besonders reich daran;d
von den christlichen Basiliken Roms bieten der ältere Theil von S. Lo-e
renzo fuori le mura und das Hauptschiff von S. Maria in Trasteveref
ganze bunte Mustersammlungen dar. Eine Sammlung von Abgüsseng
in der Académie de France. In Florenz (äussere Vorhalle der Uffizien)h
nur ein Stück von einer Thürgewandung und ein anderes von einem
Fries; aber beide von hohem Werthe.
Hier wie überall muss der Beschauer jene restaurirende Thätig-
keit in sich entwickeln, ohne welche ihm die antiken Reste wie lauter
Formlosigkeit und die Freude daran wie lauter Thorheit erscheinen.
Er muss aus dem Theil das vermuthliche Ganze ahnen und herstellen
lernen und nicht gleich einen „Eindruck“ verlangen bei Überresten,
deren Schönheit sich erst durch das Hinzugedachte ergänzen kann. Das
ganze Gebäude aus Trümmern zu errathen, wird wohl nur dem For-
scher möglich sein, allein aus ein paar Säulen mit Gebälkstücken we-
nigstens auf die Wirkung einer ganzen Colonnade zu schliessen ist
Sache jedes nicht rohen oder abgestumpften Auges.
Wir beginnen mit den Tempeln. Hier ist das Verhältniss der
Säulenhalle zur Cella fast durchgängig ein anderes als bei den Grie-
chen. Jene dient nicht mehr zum Ausdruck dieser und entspricht ihr
nicht mehr in derselben Weise. Die Halle ist jetzt ein Vorbau der
Cella und wird nur aus Prachtliebe etwa noch ringsum geführt; sonst
bequemt sich die römische Kunst sehr leicht, nur einen Anklang davon
in Gestalt von Halbsäulen ringsum anzugeben oder auch die Wand
[14]Architektur. Römisch-dorische Tempel.
ganz unverziert zu lassen. Ein weiterer Unterschied ist die jetzt üb-
liche Bedeckung des Innern mit einem cassettirten Tonnengewölbe,
während man doch aussen den griechischen Giebel, d. h. den Ausdruck
eines Balkendaches, beibehielt. Wahrscheinlich brachte man, wie einst im
Dach des griechischen Tempels, so hier im Gewölbe eine grosse Licht-
öffnung an, ohne welche die Beleuchtung ganz zweifelhaft bliebe; Sei-
tenfenster finden sich fast nirgends. Echt römisch ist endlich die Zer-
theilung der Wandflächen durch einwärtstretende Nischen und die Er-
richtung einer hintern Hauptnische für das Bild der Gottheit; dieses
ganze Nischenwerk aber muss man sich bekleidet und umgeben den-
ken von besondern Säulenstellungen mit Gebälken und Giebeln, wo-
durch die ganze Mauer ein prachtvoll abwechselndes Leben erhielt und
die griechische Ruhe total einbüsste. — Das Dach der Vorhalle be-
stand wie bei den griechischen Tempeln aus Steinbalken verschiedener
Lagen und verschiedenen Ranges, deren Zwischenräume mit Stein-
platten zugedeckt waren. Allein die Durchführung ist eine andere als
in den (sehr wenigen) erhaltenen Beispielen der griechischen Zeit; von
der Balkenlage wird nur eine Reminiscenz beibehalten und die ganze
Innensicht des Daches als erwünschter Anlass zum Aufwand von Or-
namenten benützt. Die Untenseiten der Balken bekommen Reliefarabes-
ken, ihre Zwischenräume werden zu reich profilirten Cassetten, welche
grosse, gewaltig wirksame Rosetten enthalten.
Mit der dorischen Ordnung hatten die Römer entschiedenes
Unglück. Sie wollten die ernsten Formen derselben mit den leichten
Verhältnissen der ionischen verbinden und fielen dabei nothwendig in
das Magere und Dürftige. In Rom selbst ist kein dorischer Tempel
amehr erhalten; an den zwanzig Säulen in S. Pietro in vincoli näm-
lich, welche vom Tempel des Quirinus entlehnt sein sollen, ist die ur-
sprüngliche Höhe fraglich und die Capitäle sind modern. — Das
einzige Beispiel, welches eine ungestörte Anschauung des Römisch-
bDorischen giebt, möchte wohl in der Vorhalle des Herculestempels
zu Cora (drei Stunden von Velletri) bestehen; Lage, Material und
Ernst der Formen (so übereinfach sie sein mögen) sichern diesem Ge-
bäude noch immer eine grosse Wirkung. Dasselbe wird etwa in die
[15]Die dorische Ordnung in Pompeji.
Zeit Sulla’s versetzt; eine noch ältere Anwendung des Dorischen fin-
det man an dem Sarcophag des Scipio barbatus (Vatican, Belvedere,a
Gemach des Torso). Ausserdem bietet Pompeji eine Anzahl zer-
störter dorischer Bauten, welche noch zwischen dem Griechischen und
dem Römischen die Mitte einzunehmen scheinen, meist Hallen, welche
Plätze und Höfe (z. B. den des verschwundenen, einst griechisch-do-
rischen Heraklestempels und den des Venustempels) umgeben, und
welche ihrer Detailbildung wegen am besten hier zu erwähnen sind.
Die Säulen sind für diese Ordnung sehr schlank und dünn, ihre Can-
nelirungen demnach schmal; die letztern beginnen meist erst in einer
gewissen Höhe über der Erde, weil sie sich weiter unten rasch abge-
nützt hätten. Der Echinus ist durchgängig schon ziemlich trocken und
klein, die Deckplatte dünn gebildet. Am Gebälk ist der Architrav schon
nicht mehr glatt, sondern in zwei Riemen getheilt, der Fries mit den
Triglyphen ohne den griechischen Nachdruck. Noch am meisten grie-b
chisch ist das einzige Fragment der schon erwähnten Halle um den
Hof des Heraklestempels, des sog. Foro triangolare; hier hat der Echi-
nus noch die drei Riemen, unter welchen dann die Cannelirungen mit
runden Ansätzen beginnen; anderwärts sind diese Ansätze wagrecht
und die Riemen durch irgend ein empfindungsloses Zwischenglied er-
setzt. So am sog. Soldatenquartier und an den ältern Säulen desc
grossen Forums; die jüngern haben einen ganz sinnlosen, wellenför-d
migen Echinus. Die Halle um den Hof des Venustempels war eben-e
falls von einer geringen dorischen Art wie die Stellen zeigen, wo die
spätere Ueberarbeitung mit Stucco abgefallen ist. (Wie weit das Dach
noch über sie hervorragte, zeigen die wohl vier Fuss ausserhalb an-
gebrachten Regenrinnen am Boden).
Das spätere Rom, mit seiner Neigung für prächtige Detailver-
zierung, gab die dorische Ordnung beim Tempelbau bald ganz auf und
behielt sie nur bei zur Bekleidung des Erdgeschosses an mehrstöckigen
Bauten (z. B. Theatern). Hier tritt sie wiederum viel entstellter auf,
nämlich in ihrer ganz zweideutigen Verschmelzung mit der sog. tos-
kanischen Ordnung, welche in selbständigen Exemplaren nicht mehr
nachzuweisen ist. Sie verliert ihre Cannelirungen und gewinnt unten
eine Basis und oben (kurz vor dem roh gebildeten Echinus) einen Hals,
[16]Architektur. Römisch-ionische Tempel.
über welchem sich bisweilen einige Zierrathen zeigen. Auch ihr Ge-
bälk fällt mehr oder weniger der Willkür anheim.
Von römisch-ionischer Ordnung besitzen wir noch ein gutes
und frühes, aber sehr durch Verwitterung und moderne Verkleisterung
aentstelltes Beispiel, den sog. Tempel der Fortuna virilis zu Rom.
Die Voluten, seitwärts mit Blattwerk verziert, haben allerdings schon
ziemlich todte, unelastische Spiralen; dafür zeigt der Fries noch an-
muthige Laubgewinde und das Kranzgesimse seine Löwenköpfe.
bDer kleine Sibyllentempel in Tivoli hat noch seine viersäulige
cVorhalle. — Der schon erwähnte Tempel Vespasians, am Auf-
gang zum Forum, ist bei einer höchst nachlässigen Restauration des
III. oder IV. Jahrhunderts mit jenen oben (S. 8. Anm.) geschilderten
ionischen Bastardcapitälen versehen worden. Seine Granitsäulen, schon
früher nie cannelirt, wurden in ungehöriger Aufeinanderfolge der Stücke
zusammengeflickt. Von den Bauten in Pompeji ist wenigstens die
dinnere Säulenstellung des Jupitertempels leidlich ionisch; sonst herrscht
dort die Bastardordnung fast ausschliesslich vor.
Die schönern römisch-ionischen Tempel leben fast nur noch in je-
nen Sammlungen verschleppter Fragmente fort. Man wird wohl nirgends
mehr eine solche Auswahl guter ionischer Capitäle beisammen finden,
ewie über den Säulen von S. Maria in Trastevere; einzelne haben noch
einen fast griechischen Schwung, andere sind durch reiche Zierrathen,
ja durch Figuren, welche aus den Voluten und an der Deckplatte
herausquellen, interessant. Ob die Menge verschiedener antiker Con-
solen, welche am Gebälke derselben Kirche angebracht sind, von den-
selben Gebäuden herrühren, ist begreiflicher Weise nicht zu ermitteln.
(Ein schönes römisch-ionisches Capitäl u. a. im grossen Saal des Pa-
flazzo Farnese. Zu den besten Bastardcapitälen dieser Ordnung mit
gvier Eckvoluten gehören diejenigen in S. Maria in Cosmedin, an der
Wand links.)
Weit das Vorherrschende im ganzen römischen Tempelbau, ja im
Bauwesen überhaupt, ist die korinthische Ordnung. So selten ihre
Formen in vollkommener Reinheit auftreten, so oft wird man da-
[17]Das Pantheon.
für das decorative Geschick der Römer bewundern müssen, welche ihr,
und vorzüglich ihrem Capitäl Eines um das andere aufzuladen wuss-
ten, bis es endlich doch zu viel wurde. Sie unterbrachen das Blatt-
werk des Capitäls mit Thierfiguren, Trophäen, Menschengestalten, end-
lich mit ganzen Historien, wie zur Zeit des romanischen Styles im
Mittelalter. (Ein historienreiches Capitäl der Art im Giardino della Pignaa
des Vaticans.) Sie lösten auch die letzten glatt gebliebenen Profile
des Gebälkes in Reihen von Blätterzierrathen auf. (Diocletiansthermen,b
jetzt S. Maria degli Angeli zu Rom.) Das Ende war eine definitive
Ermüdung und plötzlich hereinbrechende Roheit.
Das schönste Beispiel korinthischer Bauordnung ist anerkannter
Massen das Pantheon in Rom; ein Gebäude, welches zugleich soc
einzig in seiner Art dasteht, dass wir es hier vorweg behandeln müssen.
Ursprünglich von Agrippa als Haupthalle seiner Thermen gegründet
und erst später von ihm als Tempel ausgebaut und mit der Vorhalle
versehen, hat es nach allen Restaurationen und Beraubungen seine
ausserordentliche Wirkung im Wesentlichen gerettet, doch nicht ohne
schwere Einbusse. Wir wollen nur dasjenige anführen, was die ehe-
malige, ursprüngliche Wirkung zu veranschaulichen geeignet ist.
Zunächst denke man sich den jetzt stark ansteigenden Platz viel
tiefer und eben fortlaufend; denn fünf Stufen führten einst zur Vor-
halle hinauf. So erhält der jetzt etwas steil und hoch scheinende
Giebel erst sein wahres Verhältniss für das Auge. Man fülle ihn mit
einer Giebelgruppe oder wenigstens mit einem grossen Relief an, und
kröne ihn mit den Statuen, die einst der Athener Diogenes für diese
Stelle fertigte. (Die gewaltigen Granitsäulen sind allerdings ihres Stoffes
halber grossentheils unberührt geblieben; leider wagte sich die augu-
steische Zeit selber nicht gerne an diese Steinart und liess die Säulen
dem Stoff zu Ehren uncannelirt, während die marmornen Pilaster ihre
sieben Cannelirungen auf jeder Seite erhielten.) Ferner entschliesse
man sich, aus den durchgängig mehr oder minder entblätterten Ca-
pitälen in Gedanken ein ganzes, unverletztes zusammenzusetzen; ge-
hören sie doch in ihrer Art zum Schönsten, was die Kunst geschaffen
hat 1). (Die Schneidung des Kelchrandes mit der Deckplatte, ver-
B. Cicerone. 2
[18]Architektur. Das Pantheon.
mittelt durch die darüber emporspriessende, durch zwei kleinere Vo-
luten mit Akanthusblättern vorbereitete Blume, sowie die Bildung der
grössern Eckvoluten hat nicht mehr ihres Gleichen.) Man vervoll-
ständige die innere und äussere Wandbekleidung am hintern Theil
der Vorhalle, mit ihren anmuthigen Querbändern von Fruchtschnüren,
Candelabern u. s. w. Man denke sich die drei Schiffe der Vorhalle
mit drei parallelen, reichcassettirten Tonnengewölben bedeckt, über
welchen sich noch jener Dachstuhl von vergoldetem Erz erhob, den Ur-
ban VIII einschmelzen liess. Vor Allem vergesse man Bernini’s Glocken-
thürmchen. — Bei aller Pracht fand sich an dieser Vorhalle auch die
Einfachheit an der rechten Stelle ein. Der innere wie der äussere Ar-
chitrav hat nur die Profile, die ihm gehören; an seiner Untenseite ist
nur eine Art von Rahmen als Verzierung angebracht; das äussere
Hauptgesimse 1) besteht nur aus den unentbehrlichen Theilen. Die
Thüreinfassung, wahrscheinlich die ursprüngliche 2) ist bei einem ge-
wissen Reichthum doch einfach in ihren Profilen; die Bronzethür selbst
mag zwar noch antik, doch aus beträchtlich späterer Zeit sein.
Am Hauptgebäude scheint aussen eine ehemalige Bekleidung von
Stucco zu fehlen. Diesem Umstande verdanken wir den Anblick des
vortrefflichen Ziegelwerkes, dergleichen beim Abfallen des Putzes von
neuern Gebäuden wohl selten zum Vorschein kommen wird. Ob die
Consolen, welche die Absätze der Stockwerke bezeichnen, die ursprüng-
lichen sind, wissen wir nicht anzugeben.
Im Innern überwältigt vor Allem die Einheit und Schönheit des
Oberlichtes, welches den riesigen Rundbau mit seinen Strahlen und
Reflexen so wunderbar anfüllt. Die Gleichheit von Höhe und Durch-
1)
[19]Das Pantheon.
messer, gewiss an sich kein durchgehendes Gesetz der Kunst 1), wirkt
doch hier als geheimnissvoller Reiz mit. — Im Einzelnen aber möchte
die Gliederung der Wand durch abwechselnd halbrunde und viereckige
Nischen fast das einzige sein, was von Agrippa’s Bau noch übrig ist.
Die Säulen und Pilaster dieser Nischen tragen zwar Capitäle von grosser
Schönheit, doch nicht mehr von so vollendet reiner Bildung wie die
der Vorhalle; auch die allzureiche, neunfache Cannelirung der Pilaster
deutet wohl auf eine jener Restaurationen, deren von Domitian bis
auf Caracalla mehrere erwähnt werden. Die beiden Gesimse, das
obere und das untere, haben ihrer Einfachheit wegen noch eher An-
spruch auf die Zeit Agrippa’s, obwohl der Porphyrfries Einiges zu
denken giebt. Entschieden spät, vielleicht aus der Zeit des Septimius
Severus, sind die Säulen und Giebel der Altäre, wenn auch schon ur-
sprünglich ähnliche an ihrer Stelle standen, als entsprechender Contrast
zu den Nischen, wie es der römische Bausinn verlangte. Aus welcher
Zeit die Bekleidung der untern Wandflächen mit Streifen und Rundflä-
chen verschiedenfarbiger Steine herrühren mag, lässt sich schwer ent-
scheiden; man hat sie z. B. in der Madeleine zu Paris etwas zu ver-
trauensvoll nachgeahmt. Die jetzige Bekleidung der Wandfläche des
obern Stockes ist notorisch erst aus dem vorigen Iahrhundert; die
ältern Abbildungen zeigen dort eine Pilasterreihe, als natürliche und
wohlthuende Fortsetzung des Organismus im untern Stockwerk 2). End-
lich sind die Cassetten ihres jedenfalls prächtigen Metallschmuckes
beraubt, doch auch noch in ihrer jetzigen Leere und Farblosigkeit
von grosser Wirkung. Die Verschiebung ihrer Tiefe nach oben zu
erscheint ursprünglich. Wer füllt aber das flache Rund, welches das
Fenster umgiebt, mit den wahren alten Formen aus? Hier war für
die ernste, monumentale Decoration der Anlass zur meisterlichsten
Schöpfung gegeben. — Zum Beschluss machen wir noch auf eine Dis-
harmonie aufmerksam, welche schon dem Baumeister Agrippa’s zur
Last fällt. Die Thürnische und, ihr gegenüber, die Altarnische mit
ihren runden Wölbungen schneiden in das ganze Rund auf eine üble
2*
[20]Architektur. Tempel der Penaten, des Mars Ultor.
Weise ein; es entsteht eine doppelt bedingte Curve, die das Auge nicht
erträgt, sobald es sie bemerkt hat.
Nachbildungen des Pantheon können nicht gefehlt haben, und viel-
leicht wussten die römischen Nachahmer besser als Bianchi, der S. Fran-
cesco di Paola zu Neapel stückweise nach diesem Muster baute, auf
was es im Wesentlichen ankam, nämlich auf die Einheit des Lichtes.
aDer runde Vorbau von SS. Cosma e Damiano am Forum ist ein anti-
ker Tempel (wahrscheinlich der Penaten) mit ehemals reinem
Oberlicht, aber kaum mehr kenntlich durch hohe Auffüllung im Innern
(welche wahrscheinlich das scharfe Echo in der Mitte hervorgebracht
hat) und durch eine im Mittelalter aus antiken Fragmenten an will-
kürlicher Stelle eingesetzte Thür. Von Thermenräumen u. dgl. mit
Oberlicht wird weiter die Rede sein.
Der Ansatz der geradlinigen Vorhalle an den Rundbau ist an sich
betrachtet immer disharmonisch und das Pantheon dürfte nicht als
entschuldigendes Beispiel gelten, weil die Vorhalle erst ein späterer
Gedanke, ein Pentimento ist, weil zwischen dem Rundbau und ihr
die Bestimmung des Gebäudes verändert wurde. Wir werden sehen,
wie bei spätern Gebäuden dieser Gegensatz aufgelöst und versöhnt
wurde.
Die überwiegende Mehrzahl der römischen Tempel ist oder war,
wie bemerkt, von der länglich viereckigen Art. An den vorhandenen
Fragmenten soll hier nur das künstlerisch Bemerkenswerthe hervor-
gehoben werden.
Weit der edelste Bau dieser Art ist der Tempel des Mars Ultor,
welchen Augustus nach dem Siege über Antonius an der Rückwand
seines Forums errichtete. Seine Mauern waren nicht aus Ziegeln, son-
dern aus mächtigen Travertinblöcken construirt mit einer Marmorbe-
kleidung, von welcher noch der Sockel und einige der weitern Schichten
erhalten sind. Die drei erhaltenen Säulen bestehen glücklicher Weise
nicht aus Granit, sondern aus Marmor und sind von mustergültiger
Cannelirung, ihre Capitäle trotz aller Entblätterung noch von über-
raschender Schönheit. Vom Gebälk ist nur der Architrav erhalten,
der schönste aller römischen Bauten, an der Untenseite mit Recht un-
[21]Tempel am Forum etc.; Tempel der Marciana.
verziert. Unvergleichlich in ihrer Art ist die Innensicht der Decke des
Porticus; die Querbalken mit einfacher Mäanderverzierung, die Cas-
setten dagegen mit reichprofilirter Vertiefung, aus welcher mächtige
Rosetten niederschauen.
Es folgen die drei Säulen am Forum, früher als Tempela
des Jupiter Stator, jetzt bis auf Weiteres als Tempel der Minerva
benannt 1). Die Capitäle sind noch immer schön, doch nicht mehr von
dem Lebensgefühl durchdrungen wie die oben erwähnten; der Archi-
trav hat schon eine stark verzierte Untenseite und im mittlern seiner
drei Bänder eine Blätterreihe. Die obern Theile des Gebälkes dage-
gen verdienen ihren Ruf vollständig.
Zu rein für die Zeit des Restaurators Septimius Severus und zu
unrein für das Jahr der ursprünglichen Erbauung (12 v. Ch.) sind die
drei Säulen am Abhang des Capitols gebildet, welche dieb
Ecke des Saturnstempels ausmachten. (Früher als Jupiter tonans be-
nannt). Die Capitäle sind noch sehr schön, haben aber bereits eine
Blätterverzierung an der Deckplatte, deren Function nur ein einfaches
Profil verlangt und erträgt. An der Vorderseite ist, wie bei mehrern
Kaiserbauten, der Organismus des Gebälkes einer grossen Inschrift
aufgeopfert, mit welcher moderne Baumeister Aehnliches zu rechtfer-
tigen glaubten. — Zwischen den Säulen sind, der steilen Lage wegen,
Stufen angebracht, die den Anschein eines Piedestals hervorbringen.
Schon eine beträchtliche Stufe niedriger steht der Tempel der
Schwester Trajans, Marciana, die jetzige römische Dogana di terra 2);c
der Architrav ist bloss zweitheilig, der Fries convex, das Zwischen-
glied zwischen beiden sehr schwer, die Untenseite des Architravs mit
nichtssagenden Ornamenten bedeckt. (Das Obergesimse scheint der-
massen modern überarbeitet, dass wir kein Urtheil darüber haben. Die
Ansicht von der Seite, den eilf Säulen entlang, ist belehrend für die
[22]Architektur. Tempel der Venus und Roma.
Anschwellung und Ausbauchung römischer Ordnungen. Der Unterbau
muss sehr hoch gewesen sein, da er noch jetzt aus dem Boden ragt.)
Von dem Wunderwerk Hadrian’s, dem Tempel der Venus
und Roma, sind nur Stücke der beiden mit dem Rücken anein-
ander gelehnten Cellen erhalten, nebst einem Theil der ungeheuern
Unterbauten und Treppenrampen und einer Anzahl von Säulenfrag-
menten. Man frägt sich nur wo der Rest hingekommen? Was wurde
aus der 500 Fuss langen und 300 Fuss breiten Halle von Granitsäu-
len, welche den Tempelhof umgab? was aus den 56 cannelirten Säu-
len von griechischem Marmor (jede sechs Fuss dick), welche, zehn
vorn und zwanzig auf jeder Seite (die Ecksäulen beidemale gerechnet),
das Tempeldach trugen, wozu noch acht innerhalb der vordern und
der hintern Vorhalle kamen? wie konnte das Gebälk bis auf ein ein-
ziges, jetzt auf der Seite gegen das Colosseum eingemauertes Stück
gänzlich verschwinden? — Wenn irgendwo, so äussert sich hier die
dämonische Zerstörungskraft des mittelalterlichen Roms, von welcher
sich das jetzige Rom so wenig mehr einen Begriff machen kann, dass
es beharrlich die nordischen „Barbaren“ ob all der gräulichen Ver-
wüstungen anklagt. Wenn auch die 5½ Fuss dicke Marmormauer
(denn hier waren es keine blossen Platten), welche die Ziegelmauer
umgab, wenn die porphyrne Säulenstellung im Innern der beiden
Cellen mit sammt dem Schmuck aller Nischen und der Bodenbeklei-
dung geraubt wurde, so ist dies noch eher zu begreifen, weil es eine
leichtere Aufgabe war. — Hadrian hatte bekanntlich den Tempel sel-
ber componirt und dabei auf einen höhern Totaleffekt des so wunder-
lich in zwei Hälften getheilten Innern aus irgendwelchen Gründen
verzichtet. Wenn aber der Tempel selbst 333 Fuss lang und 160 Fuss
breit war, so blieb, bei der oben angegebenen Ausdehnung der Halle
des Tempelhofes auch für die Wirkung von aussen nur ein verhält-
nissmässig schmaler Raum übrig; der Beschauer konnte sich vorn oder
hinten kaum 80 Fuss von einer Fassade entfernen, die vielleicht dop-
pelt so hoch war (nämlich etwa so hoch als breit). Für den Anblick
aus der Ferne war diess wohl gleichgültig, indem der Tempel mit
seiner enormen Masse Alles überragte. — Welcher Ordnung seine
Capitäle gewesen, ist unbekannt; der Wahrscheinlichkeit nach wird er
hier bei den korinthischen aufgezählt. Die Halbkuppeln der beiden Ni-
[23]Tempel des Antonin, Tempel zu Assisi.
schen haben nicht mehr quadratische, sondern rautenförmige Cassetten,
welche mit denjenigen des Schiffes der Cella in offenbarer Disharmo-
nie stehen, dennoch aber fortan kunstüblich wurden.
Der Tempel des Antoninus und der Faustina, ein Baua
Marc Aurels, ist für diese Zeit ein sehr schönes Gebäude. Die Ci-
pollinsäulen sind zwar, um den prachtvollen Stoff ungestört wirken
zu lassen, uncannelirt geblieben, tragen aber Capitäle, die bei einer
fast totalen Entblätterung noch eine einst ganz edle Form ahnen lassen.
Der Architrav ist nur noch zweitheilig, an der Unterseite mässig (mit
Mäandern) verziert; der Fries, soweit er erhalten ist, enthält treff-
liche Greife, Candelaber und Arabesken; das Obergesimse, statt der
Consolen mit einer weitvorragenden Hohlrinne versehen, ist noch ein-
fach grossartig gebildet (nur an den Seiten sichtbar). Der Kernbau
bestand wie beim Tempel des rächenden Mars aus Quadern (hier von
Peperin), welche mit Marmorplatten überzogen waren.
Von den Gebäuden dieser Gattung ausserhalb Roms gehört der
schöne Minerventempel von Assisi mit seiner vollständig erhaltenenb
sechssäuligen Fronte noch in die bessere Zeit der korinthischen Bau-
ordnung; die Formen sind noch einfach und ziemlich rein, der Giebel
niedrig. Auch hier sind zwichen den Säulen Stufen angebracht, welche
den Säulen das Ansehen geben, als ständen sie auf Piedestalen. Und
in der That hat man diesen Zwischenstücken der Basis ein beson-
deres kleines Gesimse gegeben, welches besagten Anschein noch er-
höht. Allein an keinem einzigen Tempel haben die Säulen wirkliche
Piedestale; diese entstehen erst, wo weit auseinanderstehende Säulen
zur Decoration einer dazwischen liegenden Bauform, z. B. eines Bo-
gens dienen müssen und doch, um anderweitiger Gründe willen, nur
mässige Dimensionen haben dürfen, welchen man durch einen Unter-
satz nachzuhelfen genöthigt ist.
Ausser den genannten Tempeln wird man noch an vielen ältern
Kirchen Italiens einzelne Säulen und Gebälkstücke von Tempelruinen
in die jetzige Mauer aufgenommen finden, allein sehr selten an ihrer
echten alten Stelle und kaum irgendwo so, dass sich auf den ersten
Anblick der ehemalige Organismus und seine Verhältnisse errathen
[24]Architektur. Tempelfragmente. Pompeji.
aliessen. An S. Paolo in Neapel stehen von der Colonnade des Dios-
kurentempels, die noch im XVII. Jahrhundert fast vollständig zu sehen
bwar, nur noch zwei korinthische Säulen. Den Dioskurentempel
in Cora muss man aus zwei korinthischen Säulen mit einem Gebälk-
cstücke ergänzen. Der grosse Fortunentempel von Palestrina
ist mit all seinem Terrassen- und Treppenwerk von einem Theil des
jetzigen Städtchens völlig überbaut; ehemals vielleicht eine der präch-
dtigsten Anlagen der alten Welt. Der Dom von Terracina ist in
die Trümmer eines korinthischen (?) Tempels, wahrscheinlich des Ju-
piter Anxur hineingebaut, von welchem noch der Unterbau und zwei
Halbsäulen (hinten) eine bedeutende Idee geben.
Vorzüglich durch die Anlage bedeutend ist der ebenfalls korinthi-
esche Herculestempel zu Brescia; an einen Abhang gelehnt und
desshalb mehr Breitbau als Tiefbau, ragt er mit seinen drei Cellen
auf hohen Substructionen; der Porticus tritt in der Mitte um zwei
Säulen vor, und an diesen Vorbau setzt dann die breite Treppe an.
Von den Säulen und den Mauern der (jetzt innen zum Museum be-
nützten) Cellen ist so viel erhalten, dass das Auge mit dem grössten
Vergnügen sich den ehemaligen, hochmalerischen Anblick des Ganzen
vergegenwärtigen kann.
Von den Tempeln in Pompeji erhebt sich, seit dem Verschwin-
den des altdorischen Heraklestempels, keiner über ein bescheidenes
Maass; ihre Säulen, meist aus Ziegeln mit Stuccoüberzug, sind in so
beschädigtem Zustand auf unsere Zeit gekommen, dass bei mehreren
fselbst die Ordnung zweifelhaft bleibt, der sie angehörten. Der Jupiter-
tempel auf dem Forum hat noch Reste seiner korinthischen Vorhalle
(ausser der schon erwähnten ionischen Ordnung im Innern); allein das
Material gestattete nicht diejenige freie und lebendige Durchbildung,
welche das korinthische Capitäl, das Lieblingskind des weissen Mar-
mors, verlangt. Pompeji liefert hier, wie in mancher andern Bezie-
hung, wichtige Aufschlüsse darüber, wie die Alten auch mit geringen
Mitteln einen erfreulichen Anblick hervorzubringen wussten. Allerdings
muss das Auge hier (wider Erwarten) gar Vieles restauriren, indem
die vielleicht meistentheils hölzernen Gebälke verschwunden und die
[25]Tempel zu Pompeji. Rundtempel.
Säulen halb oder ganz zertrümmert sind; allein schon der Gedanke an
das ehemalige Zusammenwirken der Tempel und ihrer Höfe mit Hallen
und Wandnischen ergiebt einen grossen künstlerischen Genuss. (Tem-a
pel der Venus, des Mercur oder Romulus, der Isis.) Man kann sichb
genau überzeugen, aus welcher Entfernung der Baumeister seinen Tem-
pel betrachtet wissen wollte, und wie wenig ihm der perspectivi-
sche Reiz, der sich ja hier in so vielen Privathäusern auf einer an-
dern Stufe wiederholt, etwas Gleichgültiges war. (Von dem hübschen
Fortunentempel, welcher ohne Hof an einer Strassenecke frei heraus-c
ragt, ist leider die Vorhalle ganz verschwunden.) Allerdings zeigt sich
nur weniges von Stein und fast nichts von Marmor, aber das Ziegelwerk 1)
ist fast durchgängig trefflich und der dick darauf getragene Mörtel und
Stucco von einer Art, welche den Neid aller jetzigen Techniker erre-
gen mag. Die Formen zeigen wohl oft, wie z. B. am Isistempel, eined
barocke Ausartung, doch mehr die untergeordneten als die wesentlichen.
Was die Hallen der Tempelhöfe (und der zum Verkehr bestimmten
Räume überhaupt) betrifft, so vergesse man nicht, dass hier das Be-
dürfniss weitere Zwischenräume zwischen den Säulen verlangte als man
an der Säulenhalle des Tempels selbst gut heissen würde, und dass
hier wahrsheinlich schon die Griechen selbst mit dem vernünftigen Bei-
spiel vorangegangen waren. Sich zum Sklaven einmal geheiligter Bau-
verhältnisse zu machen, sieht ihnen am allerwenigsten ähnlich.
Von Rundtempeln mit umgebender korinthischer Säulenhalle
sind uns durch eine Gunst des Geschickes zwei verhältnissmässig gut
erhaltene übrig geblieben, in welchen diese überaus reizende Bauform
noch ihren ganzen Zauber ausspricht. Aus guter, vielleicht hadriani-
scher Zeit stammt der Vestatempel zu Tivoli, welcher nicht nure
die meisten seiner cannelirten Säulen, sondern auch die schöne Decke
des Umganges mit ihren Cassetten und das Meiste des Gebälkes sammt
[26]Architektur. Rundtempel.
adem verzierten Fries noch aufweist. Am sog. Tempel der Vesta
(nach jetziger Ansicht der Cybele) zu Rom fehlt sogar von den
schlanken, dicht gestellten zwanzig Säulen nur eine, aber dafür das
ganze Gebälk; von der vierstufigen Basis sind wenigstens noch Stücke
sichtbar. Nach den Capitälen zu urtheilen gehört das Gebäude etwa
in das III. Jahrhundert; der Kelch greift mit seinem Rande nicht mehr
über den Rand der ziemlich dick gebildeten Deckplatte und die Aus-
führung der Blätter hat schon etwas leblos Decoratives. Die Seiten-
fenster erklären sich vielleicht durch die Kleinheit beider Gebäude,
in welchen unter einer Kuppelöffnung kein Gegenstand vor dem
Wetter sicher gewesen wäre; doch bleiben sie immer auffallend.
bVon dem runden Serapistempel zu Pozzuoli mit seiner vier-
seitigen Hofhalle stehen nur noch die berüchtigten drei Säulen, über
deren von Seeschnecken ausgefressenen obern Theil sich die neapoli-
tanische Gelehrsamkeit noch immer den Kopf zerbricht. (Das See-
wasser zwischen dem Tempel und der Halle, welches den malerischen
Effekt so sehr erhöht, ist erst in neuerer Zeit eingedrungen.)
Ganz kleine Rundtempel fielen wohl eher der zierlichen ionischen
als der korinthischen Ordnung zu, deren Capitäl eine gewisse Grösse
verlangt, wenn sein inneres Gesetz sich klar aussprechen soll 1). So
cscheint das Tempelchen im Klosterhof von S. Niccolò a’ Cesarini
dzu Rom (vier Säulenstücke) und das sog. Puteal beim Herakles-
tempel zu Pompeji (acht untere Enden) ionischer Ordnung gewesen
zu sein. Moderne Nachahmungen wie die beiden Rundtempelchen ohne
eCella in der Villa Borghese geben nur einen sehr bedingten Begriff
von der Anmuth antiker Ziergebäude dieser Art, auch wenn sie (wie
die genannten) aus antiken Bruchstücken zusammengesetzt sind.
Tempel von Composita-Ordnung wüssten wir keine zu nennen,
wie denn diese Ordnung überhaupt mehr die der Triumphbogen und
[27]Schicksal der Säulen etc.
Paläste scheint gewesen zu sein. (Eine Anzahl Composita-Capitälea
in der Kirche Ara Celi zu Rom.)
Weit die grösste Anzahl erhaltener antiker Säulen, wohl in der
Regel von Tempeln, findet man in den christlichen Basiliken Italiens,
wo sie Mittelschiff und Vorhalle tragen, auch wohl auf alle Weise
eingemauert stehen. Beim Sieg des Christenthums waren gewiss die
heidnischen Tempel überall die ersten Gebäude, welche ihren Schmuck
für die Kirchen hergeben mussten. Die ältern Basiliken, aus dem ersten
christlichen Jahrtausend, da die Auswahl noch grösser war, ruhen in
der Regel auf den ehemaligen Aussensäulen von einem antiken Ge-
bäude, welche sich desshalb gleich sind und identische Capitäle haben.
(Glänzendes Beispiel: S. Sabina auf dem Aventin). Später war manb
schon genöthigt, Säulen von verschiedener Ordnung und Grösse von
verschiedenen Gebäuden zusammen zu lesen, die einen zu kürzen, die
andern durch Untersätze zu verlängern und mit barbarisch nachge-
ahmten Capitälen nachzuhelfen. — So wurden wohl die Tempel zu
Kirchen umgewandelt, aber in einem ganz andern Sinne als man sich
es wohl vorstellt. — Wir zählen diese Bauten nicht hier auf, weil ihr
wesentliches Interesse eine andere Stelle in Anspruch nimmt und weil
die Detailbildung, namentlich an den korinthischen Säulen der Ba-
siliken ausserhalb Roms, selten oder nirgends so vollkommen rein und
schön ist, dass sie schon hier als klassisch erwähnt zu werden verdiente.
So gross nun der Verbrauch von Tempelsäulen für die Kirchen
sein mochte, so weit man herkam, um in Rom Säulen zu holen 1), so
ist doch das gänzliche Verschwinden vieler Tausende derselben immer
noch eine unerklärte Thatsache. Rechne man hinzu die verlornen Ge-
bälke, deren einzelne Theile doch, vom Architrav bis zum Kranzge-
simse, also oft in einem Durchmesser bis zu sechs Fuss, aus Einem
Stück gearbeitet wurden und sich, wenn sie noch da wären, bemerk-
lich machen müssten. Neben den zwei Riesenfragmenten vom Son-
[28]Architektur. Grabmäler.
anentempel Aurelians (im Garten des Palazzo Colonna zu Rom)
frägt man sich unwillkührlich, wo der Rest hingekommen. Vieles mag
allerdings noch unter der jetzigen Bodenfläche übereinandergestürzt
liegen, sonst aber darf man etwa vermuthen, dass das mittelalterliche
Rom seine Kalköfen mit dem antiken Marmor gespeist habe.
An die Tempel schliessen sich von selbst die Grabmäler an,
welche ja in gewissem Sinne wahre Heiligthümer der Manen waren.
Wir übergehen die altitalischen mit ihrer jetzt meist sehr formlosen
Kegelgestalt 1) oder ihren Felsgrotten und Gewölben, um uns den Wer-
ken einer durchgebildeten, frei schaltenden Kunst zuzuwenden.
Diese behielt zunächst, für die Gräber der Grossen dieser Erde,
die runde Gestalt bei und gab ihr den Charakter eines mächtigen Baues
bmit griechischen Formen. So ist das Grab der Cäcilia Metella an
der Via Appia vor Rom ein derber Rundbau auf viereckigem Unter-
satz, mit dem bekannten schönen Fries von Fruchtschnüren und Stier-
schädeln, innen mit einem konischen Gewölbe. Aehnlich (?) das des Mu-
cnatius Plancus zu Gaeta. — Noch viel herrlicher aber waren die
Grabmäler ausgestattet, welche Augustus und Hadrian für sich und
ihre Familien bauten. Freilich verräth deren jetzige Gestalt — der
dsog. Correo und die Engelsburg — nicht mehr viel von der ehe-
maligen terrassenweisen Abstufung mit rund herum gehenden Säulen-
ehallen und Baumreihen bis zur Kuppel empor. (Das runde Mauso-
leum der Kaiserinn Helena, jetzt Tor Pignattara vor Porta maggiore,
lohnt in seinem jetzigen Zustande den Besuch nur noch für den Forscher.
fEin grosses rundes Denkmal nebst einem andern, thurmartigen, steht
zu Conochia, zwischen Alt-Capua und Caserta.)
Eine jetzt vereinzelt stehende Grabform (die aber früher noch in
gRom ihres Gleichen hatte) ist die Pyramide des Cajus Cestius, bei
Porta S. Paolo; die Grille eines reichen Mannes, vielleicht angeregt
durch Eindrücke des damals neu eroberten Aegyptens. Wie die co-
lossale Bildsäule des Verstorbenen und die noch jetzt in Resten vor-
[29]Grabmäler in Capellenform.
handene Säulenstellung mit der so unzugänglichen Pyramidalform iu
einige Harmonie gebracht war, lässt sich schwer errathen.
Sonst war für reichere Privatgräber die viereckige Capelle mit
einer Halle von vier Säulen, oder zwei Pfeilern und zwei Säulen, auch
bloss mit Pilastern, oft auf hohem Untersatz, der beliebteste Typus.
Das Innere bestand entweder bloss aus einer kleinen untern Grab-
kammer mit Nischen, oder auch noch aus einem obern gewölbten Raum.
Dieser Art sind sehr viele von den Gräbern an der Via Appia we-
nigstens gewesen, denn die Zerstörung hat an keinem einzigen die
Steinbekleidung verschont, so wenig als an den sog. Gräbern des As-a
canius und des Pompejus bei Albano, an dem des Cicero bei Molab
di Gaeta und an so vielen andern. Am besten ist es einzelnen
grossentheils von Backsteinen errichteten Grabmälern ergangen, wie
z. B. demjenigen beim Tavolato vor Porta S. Giovanni, und demc
fälschlich so benannten Tempel des Deus rediculus (am Weged
zur Grotte der Egeria). Hier sind nicht bloss die Mauern, sondern
auch die (allerdings unreinen) baulichen Details von einen Stoff ge-
bildet, der nicht wie die verschwundenen Marmorvorhallen die Raub-
sucht reizte und vermöge höchst sorgfältiger Bereitung den Jahrtau-
senden trotzen kann. (Bezeichnend: die möglichste Dünnheit und daher
gleichmässige Brennung des Backsteins; Zusammensetzung sogar der
Zierrathen aus mehrern Platten.) — Ganz wohl erhalten ist nur der sog.
Bacchustempel, aus später Kaiserzeit (als Kirche: S. Urbano, übere
dem Thal der Egeria), welcher noch seine vollständige Fassade mit
Säulen und Pilastern, sein Untergeschoss mit den Grabresten und sein
Obergeschoss mit cassettirtem Tonnengewölbe besitzt, zugleich aber
durch den schweren Aufsatz zwichen dem Gebälk und dem backstei-
nernen Giebel Anstoss giebt. — (Eine Spielerei wie das Grab desf
Eurysaces an der Porta Maggiore zeigt nicht weniger als die Py-
ramide des Cestius, dass der Aberwitz im Gräberbau nicht ausschliess-
lich eine Sache neuerer Jahrhunderte ist.)
Alles erwogen, möchten diese Gräber in Capellenform das Beste
gewesen sein, was sich in dieser Gattung schaffen liess. Sie sind
Collectivgräber und enthalten, nach der schönen Sitte des Alterthums,
die Nischen für die Aschenkrüge ganzer Familien, auch wohl ihrer
Freigelassenen auf einem verhältnissmässig sehr kleinen Raum bei-
[30]Architektur. Grabmäler. Columbarien. Pompeji.
asammen. Auf dem neuen Campo santo bei Neapel und anderswo
hat man dieses Motiv wieder aufgegriffen und sowohl Familiengrüfte
als auch Grabcapellen für die Mitglieder der sog. Confraternitäten in
Form von kleinen Tempeln errichtet. Trotz der meist sehr oberfläch-
lich gehandhabten antiken Nachahmung ist jenes Camposanto jetzt der
schönste Kirchhof der Welt, auch ganz abgesehen von seiner Lage.
Andere Kirchhöfe, deren Werth in den prächtigsten Separatgräbern be-
steht, werden ihn in der Wirkung nie erreichen. Und wie viel grösser
würde diese noch sein, wenn man die echten griechischen Bauformen
angewandt und nicht ein abscheulich missverstandenes Gothisch neben
die lahme Classicität hingesetzt hätte.
Ohne allen baulichen Schmuck erscheinen (wenigstens jetzt) einige
sog. Columbarien, unterirdische Kammern mit bisweilen äusserst
zahlreichen Nischen (bis auf 150) für die Aschenkrüge. So dasjenige
bfür die Dienerschaft des augusteischen Hauses an der Via Appia (inner-
chalb Porta S. Sebastiano) und dasjenige in der Villa Pamfili. Ihre innere
Verzierung besteht, z. B. beim letztern, in einem gemalten Fries, an-
derswo in Arabesken an der gewölbten Decke u. s. w.
Endlich bietet uns die Gräberstrasse Pompeji’s eine ganze
Anzahl der verschiedensten Grabformen dar, Capellen, Altäre, halb-
runde Steinsitze u. s. w. Die neuere Decoration, in ihrer Verlegen-
heit um würdige Gestaltung der letzten Ruhestätte, hat sich oft hieher
an die Heiden gewandt, um sich Rathes zu erholen, und unsere nordi-
schen Kirchhöfe sind damit nur noch bunter geworden. Die Alten werden
uns aus der Grabmäleranarchie, in die wir aus innern Gründen un-
serer Bildung verfallen sind, nie heraushelfen, so lange wir ihnen nur
den Zierrath und nicht das Wesentliche absehen, nämlich das Collec-
tivgrab. Dieses ist freilich am ehesten bei der Leichenverbrennung
mit mässigen Mitteln schön auszuführen, und unsere Sitte verlangt be-
harrlich die Beerdigung, ohne darauf zu achten, welches Schicksal später
die Gebeine zu treffen pflegt, sobald ein Kirchhof einer andern Be-
stimmung anheimfällt, und wie viel sicherer die Aschenkrüge in einem
verschlossenen kleinen Gewölbe geborgen sind. — Seit dem II. Jahr-
hunderte kamen mit der Beerdigung die Sarcophage wieder in Ge-
brauch, welche theils im Freien, theils in unterirdischen Grüften, theils
in Grabgebäuden wie die bisher üblichen gestanden haben mögen.
[31]Ehrendenkmäler.
(Der Verfasser gesteht, keinen heidnischen Sarcophag an der ursprüng-
lichen Stelle gesehen zu haben.) Römisch-christliche Mausoleen werden
an einer andern Stelle besprochen werden.
Auf die Grabdenkmäler mögen die Ehrendenkmäler am schick-
lichsten folgen. Wir sehen einstweilen ab von den Ehrenstatuen, welche
von hoher Basis herab die Plätze der Städte beherrschten (man ver-
gleiche die Basen auf dem Forum von Pompeji, etc.) und beseitigen
auch einige sehr entstellte Baulichkeiten: Das Denkmal des augu-a
steischen Krieges gegen die Alpenvölker zu Turbia bei Monaco
(jetzt bloss ein vierseitiger thurmartiger Mauerkern); die Trofei dib
Mario, d. h. die einst plastisch geschmückte dreitheilige Fronte eines
Wassercastells der Aqua Julia in Rom (unweit hinter S. Maria mag-
giore), u. dgl. m. Von den Säulen des Trajan und des Marcc
Aurel wird bei Anlass der Sculptur weiter die Rede sein; hier sind
sie zu erwähnen als sehr unglückliche Versuche, einer ungeheuern
Masse bildlicher Darstellungen einen möglichst compendiösen Träger
oder Raum zu verschaffen. Die Säule musste hiezu ihrer Bestimmung,
welche das Tragen eines Gebälkes ist, entfremdet und mit spiralför-
migen, also fast wagrechten Linien umgeben werden, die ihrem innern
Sinn geradezu widersprechen; die so angebrachten Sculpturen aber
geniesst auch das schärfste Auge nicht mehr. Doch muss man aner-
kennen, dass wenigstens das Capitäl sehr angemessen als blosser ver-
zierter Säulenabschluss, als Echinus mit Eierstab, nicht als Ueberlei-
tung der Tragekraft gebildet ist. (Die zwischen beiden Denkmälern
zeitlich in der Mitte liegende Säule des Antoninus Pius bestand aus
einem glatten Granitschaft, auf einem Marmorpiedestal mit Sculpturen,
welches letztere allein noch erhalten ist. Die Säule des Phocasd
auf dem Forum wurde von einem Gebäude des II. Jahrhunderts ge-
raubt, um im VII. Jahrhundert als Ehrendenkmal zu dienen; die Co-e
lumna rostrata des Duilius aber, in der untern Halle des Conserva-
torenpalastes auf dem Capitol, wurde im XVI. Jahrhundert der alten
Inschrift zu Liebe aus der Phantasie hinzugeschaffen.)
[32]Architektur. Obelisken. Triumphbogen.
Auch von den Obelisken muss hier die Rede sein, obschon sie
im alten Rom nicht zu abgesonderten Denkmälern dienten, wofür sie
sich auch sehr wenig eignen, sondern vielmehr zum bedeutungsvollen
Schmuck von Gebäuden. Sie hielten Wache am Eingange des Mauso-
leums des Augustus; sie standen auf der Mitte der Mauer (Spina),
welche die Cirken der Länge nach theilte; einer warf auch, gewiss
von angemessenem baulichem Schmuck umgeben, als Sonnenzeiger
seinen Schatten auf das Marsfeld. Wahrscheinlich gaben ihnen schon
die Römer senkrechte Piedestale zur Unterlage, während ihre höchste
formale Wirkung im alten Ägypten gewiss darauf beruhte, dass sie
erstens ganz aus Einem Steine bestanden und zweitens mit ihren schie-
fen Seitenflächen bis auf die Erde reichten. Das Wesentliche aber
war, in Rom wie im alten Ägypten, die Aufstellung im Zusammenhang
mit einem monumentalen Bau. Neuere wundern sich bisweilen mit
Unrecht, wenn ein aus hunderten von Steinen zusammengesetzter Obe-
lisk, einsam in die Mitte eines grossen viereckigen Platzes einer mo-
dernen [Hauptstadt] hingestellt, trotz aller Höhe und trotz allen Orna-
menten nur als reinster Ausdruck der langen Weile wirkt 1).
Weit die wichtigsten Kaiserdenkmäler, mit Ausnahme jener bei-
den Spiralsäulen, sind die Triumphbogen, eine echt italische, und
zwar etruskische Form des Prachtbaues, welche uns zugleich den Sinn
römischer Decoration deutlicher offenbart als die meisten sonstigen
Üeberreste. — Das einfache oder dreifache Thor erhielt eine Beklei-
dung architektonischer und plastischer Art, die allerdings nicht aus
[33]Triumphbogen.
dem Innern kommt, sondern wie eine glänzende Hülle herumliegt, in
dieser Gestalt aber die Kunst doch immer beherrschen wird.
Die Provinzen enthalten fast lauter einfachere Bauten dieser Art,
welche zugleich der Zeit nach zu den frühesten gehören. So die Bogen
des Augustus in Aosta, Susa, Fano und Rimini, mit zwei korin-a
thischen Säulen oder Halbsäulen und einem Gesimse nebst Giebel oder
flachem Aufsatz (Attica). Sehr edel, schlank und einfach der mar-
morne Bogen Trajans am Hafen von Ancona, einzelner (bronze-b
ner?) Zierrathen beraubt, ohne Zweifel auch der Bildwerke, mit wel-
chen man sich das Dach jedes Triumphbogens bekrönt denken muss.
In Rom beginnt die Reihe (abgesehen von dem sehr entstelltenc
und wahrscheinlich späten Drususbogen) mit dem berühmten Denk-
mal des Titus, welches unter Pius VII bescheiden und zweck-d
mässig restaurirt wurde. An dem echten mittlern Stück sind, in rich-
tiger Würdigung der Kleinheit des Ganzen, blosse Halbsäulen (von
Composita Ordnung) angebracht, welche unten keines besondern Piede-
stals, sondern nur des durchgehenden Sockels bedurften. Die Ein-
fassung des Bogens selbst, wie gewöhnlich mit der Gliederung eines
Architraves, ist hier einfach und edel, der Schlussstein als eine
prächtige Console gestaltet. Im Innern des Bogens sind die Cassetten
von der schönsten Art, ebenso aussen das Hauptgesimse mit dem figu-
renreichen Fries. (Über die Sculpturen dieses und der folgenden Mo-
numente siehe unten.) Die Flächen neben und seitwärts über dem
Bogen selbst waren nicht mit Reliefs geschmückt, wie an dem sonst
ähnlich angelegten Trajans-Bogen von Benevent, sondern glatt und mite
zwei Fensternischen versehen, wie alte Fragmente beweisen; die Mitte
der Attica nimmt die Inschrift ein, die noch jetzt an der Seite gegen das
Colosseum echt erhalten ist. (An der andern Seite war sie einst iden-
tisch wiederholt.) Zur Vollendung des Eindruckes gehört unbedingt
noch der eherne Wagen des Imperators mit der Victoria und dem
Viergespann oben auf dem Dache.
Den reichern, dreithorigen Typus vertritt zunächst der Bogen desf
Septimius Severus. Hier haben wir zwar nicht das älteste Bei-
spiel, aber zufällig den ersten Anlass zur nähern Erwähnung für eine
den Römern eigene Bauform, die vortretenden Säulen auf Piedestalen,
welchen oben ein ebenfalls vortretendes (vorgekröpftes) Gebälkstück ent-
B. Cicerone. 3
[34]Architektur. Triumphbogen.
spricht; auf diesem letztern fand sich die wirkungsreichste Stelle für
ein decoratives Standbild. Der überaus reiche und prächtige Effect
solcher Säulen, wenn man sich eine ganze Reihe derselben an einer
Mauer fortlaufend denkt, lässt es wohl vergessen, dass der Zierrath
ein rein willkürlicher ist und mit dem innern Organismus des Gebäu-
des nichts zu schaffen hat; es ist die dem Auge angenehmste Bele-
bung der Wand mit schönen, reichschattigen Einzelformen, die sich
ersinnen lässt. Sie entstand, wie oben (Seite 23) bemerkt, sobald weite
Intervalle mit Säulen decorirt werden mussten. Die vortretende Säule
selbst erhielt hinter sich, bisweilen auch zu beiden Seiten, einen oder
drei analog gebildete Pilaster zur Begleitung, welche die Wand an-
genehm unterbrechen. — Am Severusbogen sind allerdings die Details
mit ermüdendem Reichthum und schon etwas lahm gebildet; auch
stört die Inschrift, welche prahlerisch die ganze Breite der Attica
einnimmt. Ehemals mochten die Statuen gefangener Partherkönige
auf den Gesimsen der vier vortretenden Säulen die Eintönigkeit eini-
germassen aufheben.
Das Ehrenthor, welches die Goldschmiede in Rom demselben
aKaiser und seinem Hause errichteten, ist ein Beleg dafür, wie unbedenk-
lich und beliebig die Baukunst zu Anfang des III. Jahrhunderts mit
ihren Formen wenigstens im Kleinen umging, indem sie dieselben mit
Zierrathen aller Art anfüllte. Die Renaissance berief sich in der Folge
bauf dergleichen. — Der Bogen des Gallienus ist im Gegensatze
hiezu fast nüchtern einfach, kommt aber als Bau eines Privatmannes
hier kaum in Betracht.
Es folgt der Bogen Constantins d. Gr., bekanntlich plastisch
ausgestattet mit dem Raub von einem bei diesem Anlass zerstörten
Bogen Trajans, der vielleicht, doch gewiss nicht durchgängig, auch
als bauliches Vorbild diente und wohl auch manche einzelne Baustücke
hergab. Wenigstens contrastirt z. B. die Roheit des Obergesimses
der Piedestale, das derbe Sichvorschieben des Architravs u. dgl. stark
mit andern, viel bessern Details, z. B. mit den hier noch korinthischen
Capitälen. Über den vortretenden Gesimsen derselben finden sich noch
die Statuen an ihrem ursprünglichen Platze, unseres Wissens das ein-
zige erhaltene Beispiel. Es wäre interessant zu ermitteln, ob die runden
Reliefs am untergegangenen Trajansbogen dieselbe Stelle einnahmen wie
[35]Janusbogen. Thore.
hier. — Im Mittelthor an den Pfosten bemerkt man Nietlöcher für
bronzene Trophäen.
Der räthselhafte Janusbogen, als ein Obdach für die Kaufleutea
des damaligen Forum boarium betrachtet, giebt sich seiner mächtigen
Construction zufolge eher als das Erdgeschoss eines Thurmes kund,
welcher aus irgend einem wichtigen Grunde gerade hier stehen und
doch den Verkehr nicht stören sollte. Seine äussere Bekleidung mit
Reihen theils tiefer theils flacher Nischen mit halbrundem Abschluss
ist eine kindisch müssige, die Formation aller Gesimse eine ganz lahme
und leblose, für welche auch die späteste Kaiserzeit kaum schlecht
genug ist. Um die fehlende Bekleidung mit vortretenden Säulchen und
Giebelchen möchte es kaum Schade sein.
Die Thore der Römer, sämmtlich rundbogig, sind hier nur in so
weit zu erwähnen, als sich in ihnen eine entschiedene künstlerische
Absicht ausdrückt; das gewöhnliche Thor, als Glied der Stadtmauer
gehört in das Gebiet der Alterthumskunde. Doch muss schon hier be-
merkt werden, dass wo es irgend anging, ein Doppelthor, für die
Kommenden und für die Gehenden errichtet wurde.
Sehr alterthümlich, obschon erst aus der Zeit des Augustus, ist die
Decoration der Porta Augusta in Perugia, ionische Pilaster anb
der Attica und Schilde dazwischen. Die Porta Marzia, deren Bogenc
man in die Mauer des Castells derselben Stadt eingelassen sieht, könnte
trotz ihres kindlichen und desshalb für altetruskisch geltenden Aus-
sehens gar wohl ein Bau der spätesten Kaiserzeit sein.
Von den Thoren Roms haben nur sehr wenige, und diese nur
den über sie gehenden Wasserleitungen zu Liebe den Umbauten des
fünften und der folgenden Jahrhunderte entgehen können. Von höherm
monumentalem Werthe ist bloss die Porta maggiore, ein (noch jetztd
hohes) Doppelthor mit drei Fensternischen nebst Giebeln und Halbsäulen
innen und aussen 1); der Oberbau besteht aus den Wänden der Aquä-
ducte mit den Inschriften.
3*
[36]Architektur. Thore von Verona.
Die antiken Thore von Spoleto sind einfache Bogen, diejenigen
bvon Spello nicht viel mehr. Ein Doppelthor, mit einer von reichverzier-
cten Fenstern und Nischen durchbrochenen Obermauer, die Porta de’
Borsari in Verona, aus der Zeit des Gallienus, ist sowohl in der
Anlage als in der Decoration ein Hauptzeugniss für die spielende Aus-
artung, welche sich im III. Jahrhundert der Baukunst bemächtigt hatte.
dDer Arco de’ Leoni, die erhaltene Hälfte eines Doppelthores, eben-
falls aus gesunkener Zeit, ist doch nicht ganz in dem kleinlichen Geist
der Porta de’ Borsari erfunden; die obere Nische, für deren Einfassung
hier die reichste Form, die spiralförmig cannelirte Säule, aufgespart
ist, konnte mit einer plastischen Gruppe versehen eine ganz gute ab-
schliessende Wirkung machen. — Ein drittes veronesisches Denkmal,
eder Arco de’ Gavi, in der Nähe des Castel vecchio, wurde 1805
zerstört. Nachbildungen desselben erkennt man in verschiedenen Al-
tären der Renaissance-Zeit, welche dieses Gebäude sehr schätzte; dahin
fgehört z. B. der Altar der Alighieri im rechten Querschiff von S. Fermo,
von einem Abkömmling Dante’s, welcher selbst Baumeister war; und
gder vierte Altar rechts in S. Anastasia.
[37]Aquäducte.
Das Bild des römischen Thorbaues in seiner imposantesten Ge-
stalt vervollständigt sich erst aus einer sehr späten Nachahmung, etwa
des VI. Jahrhunderts, nämlich der Porta Nigra zu Trier. Nura
hier sieht man, welcher Ausbildung der Doppeldurchgang, zum breiten
Bau mit zwei durchsichtigen Obergeschossen vertieft und mit zwei
halbrunden Vorbauten nach aussen bereichert, fähig war. Auch sonst
enthält das alte Gallien stattlichere Thore als das römische Italien.
Die einfachsten Nutzbauten nehmen unter römischen Händen
wenn nicht einen künstlerischen, doch immer einen monumentalen Cha-
rakter an. Das Princip, von allem Anfang an so tüchtig und solid als
möglich zu bauen, deutet auf einen Gedanken ewiger Dauer hin, dessen
sich unsere Zeit bei ihren kolossalsten Nutzbauten nicht rühmen kann,
weil sie in der That nur „bis auf Weiteres“, mit Vorbehalt möglicher
neuer Erfindungen und der betreffenden Veränderungen baut. Ihre
Gebäude geben auch nur selten das echte Gefühl des Ueberflusses
der Mittel, schon weil sie Werke der Speculation und der Soumission
sind. Nach diesem Maasstab hört man bisweilen von Fremden in Rom
z. B. die ungeheuern Aquäducte beurtheilen, welche die Campagna
durchziehen. Wozu von vornherein so viel Wasser nach Rom? und
wenn es sein musste, warum nicht denselben Zweck mit einem Dritt-
theil dieses Aufwandes erreichen? Es wäre noch immer ein gutes
Geschäft gewesen. — Hierauf lässt sich schlechterdings nichts Anderes
erwiedern, als dass die Weltgeschichte einmal ein solches Volk hat
haben wollen, das Allem was es that, den Stempel des Ewigen auf-
zudrücken versuchte, so wie sie jetzt den Völkern wieder andere Auf-
gaben vorlegt. — Übrigens war im alten Rom mit seinen 19 Wasser-
leitungen in der That viel Wasser „verschwendet“, d. h. zur herrlichsten
Zier der ganzen Stadt in unzählige Fontainen vertheilt 1); ein anderes Rie-
senquantum speiste die Thermen — ebenfalls ein Luxus, da die modernen
Völker das Baden im Ganzen für überflüssig erklärt haben. Nur
in Betreff des Trinkwassers fängt man doch an, die Römer von Her-
zen zu beneiden. Wie soll man es nennen, wenn eine Hauptstadt von
[38]Architektur. Brücken. Portiken. Fora.
zwei Millionen Seelen wie London, die über die Schätze einer Welt
verfügt, meist aus demselben Fluss ihr Getränk beziehen muss, unter
welchem sie Strassen und Eisenbahnen hindurchzuführen die Mittel hat?
Zur römischen Zeit war jede Provinzialstadt besser daran, und noch
das jetzige Rom mit seinen bloss drei Aquäducten ist an Zierwasser
ohne Vergleich die erste Stadt der Welt und steht in Beziehung auf
das Trinkwasser wenigstens keiner andern nach.
Stadtmauern, Strassen und Brücken der Römer sind, wenn
auch schlicht in der Form, doch durch denselben Typus der Unver-
gänglichkeit ausgezeichnet. Es muss eines furchtbaren, tausendjähri-
gen Zerstörungssinnes bedurft haben, um auch diese Bauten auf die
Reste herunterzubringen, welche wir jetzt vor uns sehen. (Unter den
aBrücken am merkwürdigsten die gewaltigen Reste zu Narni; an den-
jenigen in Rom trägt auch das erhaltenene Antike eine moderne Be-
kleidung.) Von den öffentlichen Bauten der Römer überhaupt stände
gewiss noch weit das Meiste aufrecht, wenn bloss die Elemente und
nicht die Menschenhand darüber ergangen wäre. Gebäude, welche das
Glück hatten, bei Zeiten vergessen zu werden, wie z. B. manche in
Arabien und Syrien, sind desshalb ohne Vergleich besser erhalten.
Die Bauten des öffentlichen Verkehrs sind leider in Be-
treff ihrer Kunstform mehr ein Gegenstand der Alterthumsforschung als
des künstlerischen Genusses; so gering stellen sich die Reste dar, mit
welchen wir es hier ausschliesslich zu thun habe.
Im höchsten Grade ist diess zu beklagen bei dem Porticus der
Octavia, Schwester des Augustus, am Ghetto zu Rom. Hier, wenn
irgendwo, muss der bewusste Unterschied der Behandlung zwischen
Tempelhallen und Hallen für den täglichen Verkehr schön und ernst
durchgeführt gewesen sein. Beim gegenwärtigen Zustand des einzig
übrigen Bruchstückes, wo man schon durch einen antiken Umbau irre
gemacht wird, gewährt wenigstens der Contrast des Alten mit seiner
Umgebung noch einen malerischen Genuss.
Von dem Forum romanum, wie es zur Zeit der Republik war,
cals Platz mit Hallen und Buden, giebt das Forum von Pompeji
einen wenn auch entfernten Begriff. Was in Herculanum das Fo-
rum heisst, möchte doch wohl für die bedeutende Stadt als Hauptplatz
[39]Kaiser-Fora. Basilica Ulpia.
nicht genügt haben und ist wohl eher als Halle zu einem besondern
Zweck zu betrachten.
Von den Kaiser-Fora, d. h. den Gerichts- und Geschäftshallen,
welche die Kaiser in der nächsten Umgebung des Forum romanum
anlegten, ist in Resten und Nachrichten gerade so viel erhalten, dass
die Phantasie sich ein ungefähres Bild davon entwerfen kann. Es
waren grosse mit Hallen umzogene Plätze, welche Tempel, Basiliken
und wahrscheinlich auch eine Anzahl anderer Locale enthielten, nebst
einem gewiss reichen Schmuck von Statuen, Springbrunnen u. dgl.,
ohne welche keine Anlage aus dieser Zeit denkbar ist. Von freiem
Oberbau sind mit Ausnahme der riesigen Umfangsmauer am Foruma
Augusti nur die sog. Colonnacce zu erwähnen, zwei vortretendeb
Säulen nebst vortretendem Gebälk und Attica, wahrscheinlich von der
Eingangshalle des Forum Nervæ; alles von prächtig überreicher For-
mation, namentlich das untere Kranzgesimse, dessen Motiv schon un-
deutlich wirkt, wie alle vegetabilischen Zierrathen, die sich von der
einfachen Palmette und dem Akanthus zu weit entfernen. An den
vortretenden Stücken der Attica sind Nietlöcher, wahrscheinlich für
cherne Ornamente zu bemerken. Wären die untern Enden der Säulen
nicht sammt den Piedestalen in der Erde versteckt, so würde dieses
Beispiel vortretender Säulen das bedeutendste unter den in Italien vor-
handenen sein.
Von den einzelnen Gebäuden innerhalb der Fora wurde der Tempel
des rächenden Mars schon beschrieben. Von den Basiliken ist nur
eine, allerdings die wichtigste, zum Theil aufgedeckt: die Basilicac
Ulpia, welche das Hauptgebäude des einst überaus prachtvollen Fo-
rum Trajani ausmachte. Sie war ein fünfschiffiger Bau, mit unbedeck-
tem Mittelschiff; die jetzt, zum Theil auf den urprünglichen Basen,
aufgestellten Granitsäulen gehörten wahrscheinlich nur einem geringern
Gebäude dieses Forums an, während die Basilica auf kostbaren Mar-
morsäulen ruhte. Die beiden Enden des Baues, jetzt unter den Strassen
vergraben, hatten ebenfalls jedes seine Säulenreihe; am hintern Ende
folgte auf dieselbe das Tribunal, hier eine grosse, halbrunde, pracht-
voll geschmückte Nische. Die Trajanssäule, welche so wenig als die
Obelisken allein stehen sollte, war mit in diese Riesencomposition auf-
genommen und von drei Seiten, nämlich von der Nordwand der Ba-
[40]Architektur. Basilica von Pompeji.
silica und von zwei Anbauten derselben (die man für Bibliotheken
erklärt) wie in einem Hofe eingeschlossen. Ob der Bau ein Obergeschoss
hatte und welcher Art, bleibt wie so manches andere ein Problem.
Diese Basilikenform war es nun bekanntlich, welche die Christen
für ihre Gotteshäuser adoptirten, da die heidnischen Tempel mit ihrem
verhältnissmässig so kleinen Innern für die Aufnahme von ganzen Ge-
meinden nicht genügt haben würden. Das Mittelschiff, welches hier
noch den Charakter eines mit Hallen umgebenen Hofes hat, scheint
an andern Basiliken öfter bedeckt gewesen zu sein; die Christen gaben
ihm ebenfalls sein Dach und erhoben die Perspective gegen den Altar
hin zur wichtigsten Rücksicht.
Von den Basiliken der guten römischen Zeit ausserhalb der Haupt-
astadt ist die zu Herculanum nach der Ausgrabung wieder zugeschüt-
btet worden, dagegen die zu Pompeji noch so weit erhalten, dass sie
einen lebendigen künstlerischen Eindruck giebt. Sie war dreischiffig,
unten von ionischer Bastardordnung, die obere Halle korinthisch, wie
man aus den vorhandenen Fragmenten sieht. Das Mittelschiff war un-
bedeckt (die Regenrinnen am Boden sind noch sichtbar) und von der
Halle auch vorn und hinten umgeben; das Tribunal ganz hinten bil-
dete einen erhöhten Bau mit besonderer kleiner korinthischer Säulen-
halle. Die perspectivische innere Ansicht muss eigenthümlich reizend
gewesen sein. Sehr interessant ist die Zusammensetzung der untern
ionischen Säulen aus concentrischen Backsteinblättern, welche nach
aussen schon eine fertige Cannelirung darstellten, die nur noch des
Stucco-Überzuges harrte. Die Halbsäulen an der Wand und das Zu-
sammentreffen von Halbsäulen in den Ecken*1) sind gleichsam Vorah-
nungen von Motiven, welche in der christlichen Architectur auf das
Bedeutungsvollste ausgebildet werden sollten. (Das gegenüberliegende
csog. Chalcidicum und das Pantheon sind ihrer Bestimmung nach
so zweifelhaft, dass wir sie hier bloss nennen, um sie bei den öffent-
lichen Gebäuden nicht gänzlich zu übergehen; von dem Chalcidicum
stammt die prachtvolle Thüreinfassung mit dem von Thieren belebten
dRankenwerk her, welche jetzt im Museum von Neapel den Eingang
zur Halle des Jupiter bildet.)
[41]Friedenstempel.
Die Bestimmung der Basiliken, als Börse, Stelldichein und Gerichts-
halle, war jedoch durchaus nicht an diejenige Form gebunden, welche
in Rom und anderwärts die besonders übliche sein mochte. Wir er-
fahren in der That, dass auch ganz abweichende Formen versucht
wurden, je nach den Mitteln und dem Sinn des Baumeisters. Einen
solchen Versuch erkennt man in dem sog. Friedenstempel zua
Rom, welcher eine von Maxentius (306—312) errichtete Basilica ist.
Sie hat nur die dreischiffige Eintheilung und die (jetzt nicht mehr
sichtbare) hintere Nische 1) mit der sonst üblichen Anordnung gemein,
sonst aber ist es ein Gewölbebau, dessen weite Spannungen den leb-
haftesten Verkehr einer grossen Menschenmenge gestatteten, und zwar,
des gewölbten Mittelschiffes wegen, bei jeder Witterung. Das hoch-
bedeutende Wölbungssystem — drei Kreuzgewölbe der Länge nach
in der Mitte und drei niedrigere Tonnengewölbe auf jeder Seite —
war schon früher im Thermenbau ausgebildet worden; gegenwärtig fehlt,
auch an dem geretteten Theil, die Bekleidung, nämlich vortretende
korinthische Säulen an jedem Hauptpfeiler. (Die eine noch vorhan-
dene stellte Paul V. bei S. Maria maggiore auf.) Sie trugen das Ge-b
wölbe nur scheinbar, nicht wirklich, und desshalb vermisst sie auch
das Auge nicht, so wenig als die (vermuthliche) Säulenstellung längs
der untern Wände der drei Seitengewölbe, allein sie gewährten einst
im Ganzen einen gewiss prachtvollen Anblick. An und für sich war
die ehemalige Marmorbekleidung, nach den Fragmenten zu urtheilen,
allerdings von geringer und lahmer Bildung; die Decoration der Nische
mit kleinen Wandnischen, die mit Säulchen eingefasst waren, muss
etwas fast Kindisches gehabt haben. Die Consolen, welche diese Säul-
chen trugen, sind noch erhalten. — Die Cassetten der drei Seitenge-
wölbe sind achteckig mit kleinen schrägen Zwischenquadraten, die der
neuern Nische sechseckig mit kleinen Zwischenrauten, die des Haupt-
schiffes hatten, nach einem Fragment zu schliessen, verschieden ge-
formte Felder — alle aber zeigen, dass die Cassette ihre Eigenschaft,
als Abschnitt eines Deckenraumes, mit der einfachen quadratischen
[42]Architektur. Bauten für Schauspiele.
Form zugleich abgelegt hatte und nur noch als Zierrath wirken wollte.
Das Licht kam durch die Fensterreihen der Seitenschiffe, hauptsäch-
lich aber, wie in den Diocletiansthermen, durch die grossen halbrun-
den Fenster oben im Mittelschiffe. Von der Vorhalle (gegen das Co-
losseum zu) sind nur die Ziegelpfeiler erhalten.
Vielleicht gehören noch manche jetzt anders benannte Mauerreste
im alten Italien zu Basiliken. Eine leicht kenntliche Durchschnittsform
ist bei dieser Gattung von Gebäuden so wenig zu verlangen, als bei
unsern jetzigen Börsen und Gerichtslocalen.
Von den Gebäuden des öffentlichen Vergnügens müssen
zuerst die für Schauspiele bestimmten erwähnt werden, als eigen-
thümlichste Productionen des römischen Aussenbaues, welcher ja bei
den Tempeln von griechischen Mustern abhing. — Der Zweck und die
Einrichtung der Theater, Amphitheater und Cirken (sowie der gänzlich
untergegangenen Naumachien und Stadien) wird hier als bekannt oder
der Alterthumskunde angehörig übergangen; wir haben es bloss mit
der künstlerischen Form zu thun.
Diese bestand an der Aussenseite der Theater und Amphitheater,
vielleicht auch der Cirken, aus einer Bekleidung der runden oder ellip-
tischen Wandfläche zwischen den Bogen der verschiedenen Stockwerke
mit Halbsäulen und Gebälken der verschiedenen grie-
chischen Ordnungen: der dorisch-toscanischen, der ionischen und
der korinthischen, auf welche im einzelnen Fall (am Colosseum) noch
eine obere Wand ohne Maueröffnungen mit Pilastern von Composita-
Ordnung folgt. Die Griechen hatten ihre Theater in Thalenden hin-
eingelehnt oder aus dem Fels gehauen; die Römer erst bauten die
ihrigen frei vom Boden auf und mussten sie von aussen decoriren.
Das Motiv, welches sie zu Grunde legten, war ein sehr verstän-
diges. Es fiel ihnen nicht ein, einer grossen Menschenmasse zuzu-
muthen, dass sie sich durch zwei, drei Thüren mit einer Breite von
zwanzig Fuss im Ganzen geduldig entferne, wenn das Schauspiel zu
Ende war, oder dass sie gar, wenn Tumult entstand, nicht zu drängen
anfange. Sie kannten das Volk und verwandelten desshalb das ganze
Innere ihrer Schaugebäude in lauter steinerne Treppen und Gänge und
[43]Theater.
die ganze untere Mauer in lauter gewölbte Pforten. Letzteres zog
dann eine ähnliche Formation der obern Stockwerke nach sich, wo
streng genommen blosse Fensteröffnungen genügt hätten. Mit der Thür-
form aber stieg auch die Halbsäulenbekleidung nebst Gebälken und
Attiken von Stockwerk zu Stockwerk und fasste die Bogen mit ihren
hier nur einfachen, aber durch die hundertmalige Wiederholung höchst
imposanten Formen ein. — Die moderne Baukunst ist hier hauptsäch-
lich in die Schule gegangen und hat für die monumentale Bekleidung
wie für die Verhältnisse ihrer Stockwerke sich immer von Neuem an
diese Vorbilder gewandt. Der Hof des Palazzo Farnese ist fast genau
den Formen des Marcellus-Theaters nachgebildet; aus unzähligen
Kirchenfassaden und Palästen tönt ein versteckter Nachklang vom
Colosseum.
Das durchgängig stark und meist völlig zerstörte Innere lässt
u. a. hauptsächlich in Beziehung auf die Säulenhalle, welche oben
ringsherum ging, der Phantasie freien Spielraum. An den Cirken möchte
dieselbe besonders umständlich und prachtvoll gewesen sein.
Die Theater sind den griechischen im Wesentlichen nachgebil-
det, nur dass die Orchestra, d. h. der jetzt halbrunde mittlere Platz,
nicht mehr den Bewegungen des Chores diente, sondern zu einer Art
von Parterre eingerichtet wurde. In Rom ist von dem Theater desa
Pompejus nur noch die Richtung des Halbrunds in den Gassen
rechts neben S. Andrea della Valle kenntlich; dabei ersieht man aus
dem marmornen Stadtplan des III. Jahrhunderts, dessen Reste an der
Treppe des Museo capitolino eingemauert sind, dass die Scena auf
das Reichste mit Säulenstellungen geschmückt war, und aus ander-
weitigen Nachrichten, dass oben auf dem Umgang des Theaters ein
Venustempel stand. — Von dem Marcellus-Theater ist dagegenb
noch ein herrlicher Rest des Aussenbaues vorhanden, nämlich ein Theil
der dorisch-toscanischen Ordnung, welche hier in Säule und Gebälk
dem echten Dorischen noch nahe steht, und ein Theil der ionischen,
ebenfalls noch von verhältnissmässig reiner Bildung. — Im übrigen
Italien hat fast jede alte Stadt irgend einen Theaterrest aufzuweisen,
allein meist in formloser Gestalt. Das kleine artige Theater von Tus-c
culum (über Frascati) hat noch sein ziemlich wohlerhaltenes Inneres,
während in Pompeji vom Theater und von dem daneben liegendend
[44]Architektur. Amphitheater.
aOdeon (d. h. einem bedeckten Wintertheater?) fast alles Steinwerk,
sowohl die Sitzplätze als die Säulen etc. der Scena geraubt worden
bsind. Das Theater von Herculanum wird man in der Korknachbil-
dung (im Museum von Neapel) besser würdigen als an Ort und Stelle,
cwo es gar keine Uebersicht gewährt. Dasjenige von Fiesole (Fä-
sulä) ist mehr durch seine Lage als durch die (nach kurzer Aufdeckung
wieder fast gänzlich zugeschütteten) Überreste des Besuches würdig.
dBedeutende Reste in Parma, Verona etc.
Von den Amphitheatern, einer rein römischen Schöpfung, für
edie Kämpfe von Gladiatoren und Thieren, besitzt Rom in seinem Co-
losseum weit das mächtigste Beispiel. Die Reisehandbücher geben
jede wünschenswerthe Notiz, und der Eindruck der einen Aussenseite
ist, wenn man sich in die Bogen der obern Stockwerke Statuen hin-
eindenkt und zwischen den Pilastern der obersten Wand eherne Re-
liefschilde befestigt, ein so vollständiger, dass wir kurz sein können.
Die ganze Detailbildung ist, der riesenhaften Masse wegen, mit Recht
höchst einfach; die unterste Ordnung hat z. B. keine Triglyphen mehr,
die hier doch nur kleinlich wirken würden. Die Consolen der ober-
sten Wand, den Öffnungen im Kranzgesimse entsprechend, dienten
wahrscheinlich den Mastbäumen zur Stütze, an welchen das riesige
Velarium oder Schattentuch befestigt war. Die Löcher am ganzen
Aussenbau entstanden wohl, als man im Mittelalter die ehernen Klam-
mern raubte, welche die Steine verbanden. An den Bogen im Innern
der Gänge fällt oft eine ganz krumme und schiefe Linie auf; wahr-
scheinlich wurden die betreffenden Theile aus rohen Blöcken erbaut
und dann, weil sie unsichtbar bleiben sollten, nur nachlässig glatt ge-
sägt. — Von den Stufen, Mauern und fraglichen Oberhallen des Innern
ist bekanntlich nichts mehr vorhanden, und die Einrichtung der Arena
zu plötzlicher Überschwemmung, auch wohl zum plötzlichen Erschei-
nen von Thieren und Menschen nicht mehr sichtbar, da man das Aus-
gegrabene der schlechten Luft halber wieder zuschütten musste.
Von den übrigen Amphitheatern Roms ist nur noch das sog. Am-
phitheatrum castrense kenntlich, und zwar in einem Theil der un-
tern und auch der obern Ordnung, von trefflichem Ziegelbau. (Für
Architekten von bedeutendem Werth; vor Porta S. Giovanni links
hinauf, bei Santa Croce.)
[45]Amphitheater. Cirken.
Ausserhalb Roms wird dem Amphitheater von Alt-Capua wegena
eines nur kleinen, aber schönen Restes der zwei untern Ordnungen
und wegen einzelner noch besonders deutlich sichtbarer Einrichtungen
um die Arena die erste Stelle zuerkannt. Das Amphitheater vonb
Verona hat den Effekt der vollkommen erhaltenen oder hergestellten
Sitzreihen vor allen Gebäuden dieser Art voraus; allein von seiner
äussern Schale ist nur ein sehr kleiner Theil vorhanden (und vielleicht
nie mehr vorhanden gewesen) der gerade hinreicht, um die Lust nach
dem zerstörten oder nie vollendeten Ganzen zu wecken. (Vgl. S. 36
Anm.) — Das Amphitheater von Pompeji kann seiner Kleinheit undc
architektonischen Bescheidenheit wegen neben diesen ungeheuern Massen
nicht aufkommen. — In Lucca noch bedeutende Reste eines Amphi-d
theaters und eines Theaters. — In Padua bloss der Umriss einese
Amphitheaters, bei S. Maria dell’ Arena. — In Pozzuoli: sehr um-f
fangreiche, aber formlose Trümmer. — In S. Germano (unterhalb Monteg
Cassino) ein kreisrundes Amphitheater, das einzige dieser Art, indem
sonst die elliptische Form für das Aufstellen zweier Parteien in der
Arena den Vorzug haben musste. — Vereinzelte Überbleibsel finden
sich überall, wo es Römer gab.
Die Cirken endlich sind mit einziger Ausnahme desjenigen des
Caracalla (richtiger: Maxentius) von der Erde verschwunden, soh
dass man ihre Form höchstens aus dem Zug der Strassen und Gar-
tenmauern um sie herum (wie beim Circus maximus in Rom) oderi
aus der Gestalt eines Platzes, der ihrem Umfang entspricht (wie beim
Stadium Domitians, der jetzigen Piazza Navona) oder auch nurk
aus Erdwellen erkennt. Selbst an dem oben als erhalten genannten
Circus (vor Porta S. Sebastiano) ist alles bauliche Detail mit der Stein-
bekleidung des Hallenbaues ringsum und der Langmauer (spina) in
der Mitte dahin gegangen, so dass wir uns dabei nicht aufhalten dür-
fen. — Das gänzliche Verschwinden des Circus maximus gehört übri-
gens auch zu den Räthseln des römischen Mittelalters. Denn das
Gebäude fasste auf seinen Sitzreihen fast das Doppelte von der Men-
schenzahl, die man für das Colosseum berechnet, nämlich nach der
geringern Angabe 150,000 Menschen; es muss also nicht bloss die
halbe Viertelstunde Länge, von der man sich noch jetzt überzeugen
kann, sondern auch eine bedeutende Tiefe und Höhe gehabt haben,
[46]Architektur. Thermen. Pompeji.
wenn für alle Zuschauer gesorgt sein sollte. Man frägt wiederum ver-
gebens: wo gerieth diese Masse von Baumaterial hin?
Wie die Gebäude für Schauspiele den römischen Aussenbau cha-
rakterisiren, so sind die Thermen die grösste Leistung des römischen
Innenbaues.
Die öffentlichen Bäder von Pompeji, mag darin auf Stadtkosten
oder gegen Eintrittsgeld gebadet worden sein, zeugen merkwürdig für
den Luxus künstlerischer Ausstattung, welchen man selbst in der klei-
nen Provincialstadt verlangte; vielleicht sind sie überdiess weder die
einzigen noch die schönsten, und andere warten noch unter dem Schutt.
Die architektonische Behandlung ist hier, wo der Stucco so sehr das
Übergewicht über den Stein hat, nothwendig eine ziemlich freie; die
Gesimse bestehen z. B. aus Hohlkehlen mit Relieffiguren, — allein es
geht doch ein inneres Gesetz des Schönen durch. Im Tepidarium, wo
viele kleine Behälter, etwa für die Geräthschaften regelmässiger Be-
sucher, angebracht werden mussten, lieferte die Kunst jenes bewun-
dernswerthe Motiv von Nischen mit Atlanten, während wir uns im
entsprechenden Fall gewiss mit einer Reihe numerirter Kästchen, höch-
stens von Mahagony begnügen würden. Wie glücklich sind an dem
Gewölbe die drei einfachen Farben weiss, roth und blau gehandhabt!
Im Calidarium ist das Gewölbe nebst der Wand cannelirt, damit die
zu Wasser gewordenen Dämpfe nicht niedertropfen, sondern der Mauer
entlang abfliessen sollten.
Doch dieses sind nur eigentliche Bäder, bestimmt für die tägliche
Gesundheitspflege. Eine ungleich ausgedehntere Bestimmung hatten
die Kaiserthermen, welche in Rom und in wichtigen Provincial-
städten zum Vergnügen des Volkes gebaut wurden. Diese enthielten
nicht nur die kolossalsten und prachtvollsten Baderäume, sondern auch
Locale für Alles, was nur Geist und Körper vergnügen kann: Porti-
ken zum Wandeln, Hallen für Spiele und Leibesübungen, Bibliotheken,
Gemäldegalerien, Sculpturen zum Theil von höchstem Werthe, auch
wohl Wirthschaften verschiedener Art.
Von all dieser Herrlichkeit wird man jetzt, mit wenigen Ausnah-
men, nur noch die Backsteinmauern finden, welche den innern Kern
[47]Kaiserthermen.
des Baues ausmachten, diese freilich von so gigantischem Maassstab
und in solcher Ausdehnung, auch wohl in so malerisch verwilderter
Umgebung, dass in Ermanglung eines künstlerischen Eindruckes ein
phantastischer zurückbleibt, den man mit nichts vertauschen noch ver-
gleichen möchte.
Sobald das Auge mit dem römischen Bausinn einigermassen ver-
traut ist, wird es auch in dieser scheinbaren Formlosigkeit die Spu-
ren ehemaligen Lebens verfolgen können. Diese zeigen sich haupt-
sächlich in der reichen Verschiedenartigkeit der Wandflächen, also in
der Ausweitung derselben zu gewaltigen Nischen mit Halbkuppeln
(welche noch hie und da Reste ihrer Cassetten aufweisen), und in der
Anordnung grosser Kuppelräume. Diese sind hier entweder so von
dem übrigen Bau eingefasst, dass sie für das Auge nirgends mit ge-
radlinigen Massen unharmonisch zusammenstossen oder sie sind nicht
rund, sondern polygon, etwa achteckig gebildet und gewähren dann
nicht nur jeden wünschbaren Übergang zu den geradlinigen Formen,
sondern auch einen völlig harmonischen Anschluss für die Nischen im
Innern. So sind die beiden beim Pantheon hervorgehobenen Unvoll-
kommenheiten (S. 19 u. 20) beseitigt. Dass übrigens diese Abwechselung
der Wandflächen ein ganz bewusstes, emsig verfolgtes Princip war,
beweisen auch die Aussenwerke, welche den Thermenhof zu umgeben
pflegten; ihr Umfang ergiebt Halbkreise, halbe Ellipsen und auch ihre
Binnenräume sind von der verschiedensten Gestalt. — Vollkommen
ungewiss bleibt die Gestalt der Thermenfassaden; wir wissen nur so
viel, dass das architektonische Gefühl der Römer auf den Fassaden-
bau überhaupt bei weitem nicht das unverhältnissmässige Gewicht legte,
welches ihm die neuere Zeit beimisst. (Eine Ausnahme machen natür-
lich die Tempel.) An den Caracallathermen soll „eine Säulenhalle“
den Haupteingang gebildet haben, und an S. Lorenzo in Mailand stehta
noch eine solche.
Von den zahlreichen Thermenbauten Roms erwähnen wir nur die-
jenigen, deren Reste einigermassen kenntlich sind.
Die Thermen Agrippa’s, hinter dem Pantheon, gehören beib
ihrer gänzlichen Zerstückelung und Verdeckung durch die Häuser der
nächsten Gassen nicht unter diese Zahl. Von den Thermen seiner
Söhne Cajus und Lucius, der Enkel August’s durch die Julia, istc
[48]Architektur. Thermen des Titus und Caracalla.
noch das grosse zehneckige Kuppelgebäude mit dem irrigen Namen
eines „Tempels der Minerva medica“ erhalten, unweit von Porta mag-
giore. Welche Function dieser Raum in den Thermen hatte, wollen
wir nicht errathen; genug dass schon hier, so bald nach Erbauung
des Pantheons, die entscheidenden Veränderungen im Kuppelbau als
vollendete Thatsache vor uns stehen: die polygone Form zu Gunsten
des Anschlusses der untern Nischen, sodass jedoch in der Kuppel selbst
durch den Stuccoüberzug der Anschein der Halbkugelform beibehalten
wird; merkwürdig ist auch die Ersetzung des Kuppellichtes durch
Fenster über den Nischen. (Die Mitte der Kuppel, welche seit nicht
sehr langer Zeit eingestürzt ist, erscheint in allen frühern Abbildun-
gen als geschlossen.) So war schon um die Zeit von Christi Geburt
das fertige Vorbild für die spätern Kuppelkirchen gegeben. — Von der
vermuthlichen Bekleidung des Innern mit Säulen und durchgehenden
Gebälken ist nicht einmal eine Andeutung auf unsere Zeit gekommen.
Der jetzt noch hie und da erhaltene Stucco möchte kaum der ursprüng-
liche sein.
Die Thermen des Titus und des Trajan, wunderlich durch
einander gebaut, geben in ihren jetzt noch zugänglichen Theilen einen
Begriff zwar nicht mehr von der längst ausgeraubten Prachtausstattung,
wohl aber von der gewaltigen Höhe der einst wie jetzt dunkeln und
auf künstliche Beleuchtung berechneten Gemächer. Der Grundriss ist,
soweit man ihn verfolgen kann, der besondern Umstände wegen nicht
massgebend.
Architektonisch die bedeutendsten Thermen sind oder waren die-
bjenigen des Caracalla. Vier Hauptmotive waren hier, wie es scheint,
unvergleichlich grandios durchgeführt: 1) Die grossen, etwas oblongen
gewölbten Schwimmsäle, auf Pfeilern und Säulen ruhend (?) an bei-
den Enden, 2) die vordere Halle, der Breite nach von vier Säulen-
stellungen durchzogen, 3) der mittlere Langraum (Pinakothek) und
4) der hohe runde Ausbau nach hinten, von welchen nur die Ansätze
vorhanden sind; — zahlreicher Übergangsräume, Anbauten und Aussen-
werke nicht zu gedenken. Das Ganze lag so hoch, dass es noch jetzt
wie auf einer Terrasse zu stehen scheint. Wie sich das obere Stock-
werk zwischen und über den Haupträumen hinzog, ist bei seiner fast
gänzlichen Zerstörung schwer zu sagen. Um das Bild des wichtigsten
[49]Thermen Caracalla’s und Diocletians.
Raumes, der Pinakothek, einigermassen zum Leben zu erwecken,
nehme man den Friedenstempel zu Hülfe, obschon er fast 100 Jahre
neuer, demgemäss geringer und nichts weniger als identisch mit dem
fraglichen Thermensaal gebildet ist; immerhin hatte er das grosse
Mittelschiff mit Kreuzgewölben und Oberfenstern und die drei mit
Tonnengewölben sich anschliessenden Nebenräume auf jeder Seite mit
demselben gemein. Auch die Säulenbekleidung war wohl eine ähn-
liche; für die Basilica wie für den Thermensaal nimmt man an, dass
noch eine kleinere Säulenordnung mit Gebälke vor den Nebenräumen
vorbeiging und sie vom [Mittelschiff] sonderte. — Die Säulen und die
ganze kostbare Bekleidung dieser Thermen überhaupt wurden, zum
Theil erst seit dem XVI. Jahrhundert, zur Decoration unzähliger mo-
derner Gebäude verbraucht. — Räthselhaft und doch wahrscheinlich
bleibt auch hier die Dunkelheit der beiden grossen Schwimmsäle,
während die vordere Halle von vorn, die Pinakothek und ohne Zweifel
auch der runde Ausbau von oben ihr Tageslicht empfingen.
Die Thermen Diocletians auf dem Viminal waren der Massea
nach denjenigen des Caracalla überlegen, lösten aber, wie es scheint,
keines jener grossen baulichen Probleme mehr, sondern bestanden eher
aus Wiederholungen schon früher bekannter Baugedanken, welche hier
etwas müde nebeneinander auftreten. So finden sich unter den Aussen-
werken zwei Rundgebäude mit Kuppel, deren eines als Kirche S. Ber-b
nardo ziemlich wohl erhalten ist; die Nische der Thür und die des
jetzigen Chores schneiden sich wieder mit der runden Hauptform so
unangenehm als am Pantheon, mit welchem dieses Gebäude übrigens
auch das Oberlicht gemein hat. (Die Cassetten achteckig, mit schrägen
Quadraten dazwischen.)
Besonders charakteristisch für die Zeit des Verfalls ist der Kup-
pelraum hinter 1) der Pinakothek, welcher von der Höhe und Grösse
des entsprechenden Stückes im Bau Caracallas weit entfernt, ja zu
einem ganz kümmerlichen Anbau eingeschrumpft erscheint. Die Pi-
nakothek selber ist in Gestalt des noch jetzt überaus majestätischen
B. Cicerone. 4
[50]Architektur. Thermen von Bajä.
aQuerschiffes von S. Maria degli Angeli erhalten. Hier sind bekannt-
lich von den gewaltigen vortretenden Säulen noch acht ursprünglich
und aus je einem Stück Granit; von den sie begleitenden je zwei Pi-
lastern und dem Gebälk scheinen wenigstens viele Theile alt, und das
Kreuzgewölbe, eines der grössten in der Welt, ist sogar völlig er-
halten, wenn auch mit Einbusse seiner Cassetten. Auch die Ober-
fenster zeigen noch ihr echtes Halbrund, nur vergypst. Die Neben-
räume, welche dieselbe Stelle einnahmen wie diejenigen in der Pinakothek
der Caracallathermen und einst ohne Zweifel ebenfalls durch vorge-
setzte Colonnaden vom Hauptraum getrennt waren, sind durch den
Umbau Vanvitelli’s gänzlich abgeschnitten worden, nachdem noch der
Umbau Michelangelo’s sie geschont und zu Capellen bestimmt hatte.
Für die Bildung des Details ist, der allgemeinen Gypsüberarbeitung
wegen, nicht leicht einzustehen, selbst an den sieben echten marmornen
Capitälen nicht, welche theils korinthisch, theils von Composita-Ord-
nung sind. Das Bezeichnende bleibt immerhin, dass möglichst viele Glie-
der des Gebälkes und Gesimses in wuchernde Verzierung umgewan-
delt sind, und dass die Consolen und ihre Cassetten bei ihrer kleinen
und matten Bildung völlig von dem drüber vorgeschobenen Kranzge-
simse verdunkelt werden. Ob an den Flachbogen, welche die beiden
Eingänge des Schiffes bedecken, die Decoration alt ist, können wir
nicht entscheiden; in dem jetzigen Chor ist fast Alles modern. Die übrigen
Räume sind alles Steinschmuckes entblösst und meist sehr ruinirt.
(Was als „Thermen Constantins“ im Garten des Palazzo
Colonna gezeigt wird, sind Reste eines gewaltig hohen Gebäudes von
ungewisser Bestimmung. Die echten Thermen Constantins sind im
XVII. Jahrhundert beim Bau des Palazzo Rospigliosi untergegangen.)
Diesen Kaiserthermen mochten die Bäder von Bajä wenigstens
nachgebildet sein, wenn sie auch nicht von Imperatoren erbaut sein
sollten. Wir meinen jene colossalen Reste, welche man jetzt als
Tempel des Merkur, der Diana und der Venus benennt und welche
offenbar Thermenräume waren. Das gewaltige Achteck des Venus-
tempels mit den noch erhaltenen Theilen der Kuppel erinnert unmittel-
bar an die sog. Minerva Medica.
Dagegen besass Mailand, in seiner Eigenschaft als spätere Re-
sidenz, wirkliche Kaiserthermen aus der Zeit des Maximian, Mitre-
[51]S. Lorenzo in Mailand. Nympheen.
genten Diocletians. Die Vorhalle derselben erkennt man leicht in den
sechszehn korinthischen Säulen vor S. Lorenzo; allein man ahnt nichta
sogleich, dass noch der Hauptraum der Thermen selbst, umgebaut
und doch im Wesentlichen identisch mit dem Urbau, in Gestalt der
Kirche S. Lorenzo selbst vorhanden ist. Mindestens zweimal, imb
Mittelalter und wiederum gegen das Ende des XVI. Jahrhunderts, hat
man die alten Bestandtheile auseinander genommen, wieder zusammen-
gesetzt und mit neuer Kuppel versehen, und noch immer ist dieses
Innere eines der wichtigsten und schönsten Bauwerke Italiens. Vor
Allem hat die Nische hier eine ganz neue Bedeutung; sie ist nicht
mehr ein blosser isolirter Halbcylinder mit Halbkuppel, sondern ein
durchsichtiger einwärtstretender Bau von einer untern und einer obern
Säulenreihe, welche in den untern und den obern Umgang des Kup-
pelraumes führen. Wären der Nischen acht, so würde dieses reiche
Motiv kleinlich und verwirrend wirken (wie in S. Vitale zu Ravenna);
allein es sind nur vier, so dass sich der volle Rhythmus dieser Bau-
weise entwickeln kann; über ihren Kuppelsegmenten und Hauptbogen
wölbt sich dann die mittlere Kuppel. An glänzendem perspectivischem
Reichthum können sich wenige Gebäude der Welt mit diesem messen,
so unscheinbar seine Einzelformen jetzt sein mögen 1). Nach Aussen
stellte es ein ruhiges Quadrat dar, indem die vier Ecken mit thurmarti-
gen Massen ausgefüllt sind. Der Anbau rechts (jetzt Capelle S. Aqui-
lino), ein Achteck mit Nischen und Kuppel, ist ebenfalls wohl antik
und dient in seiner Einfachheit zum belehrenden Vergleich mit jener
letzten und reichsten Form des antiken Innenbaues, die wir nachweisen
können.
Zahlreiche andere Thermenreste in den übrigen Städten Italiens
bieten keine hinlänglich erhaltenen Formen mehr dar. Auch die Nym-
pheen oder Brunnengebäude mit Nischen und Grotten leben mehr in
der restaurirenden Phantasic als in kenntlichen Überbleibseln fort.
Man hält z. B. die grosse Backsteinnische im Garten von S. Crocec
in Gerusalemme zu Rom für ein solches Nympheum. Sicherer ist
4*
[52]Architektur. Häuser, Villen und Paläste.
adiess bei der Grotte der Egeria, welche weniger um ihres ge-
ringfügigen Nischenwerkes als um ihrer ganz wunderbaren vegetabili-
schen und landschaftlichen Umgebung willen den Besucher auf immer
fesselt. Und diese Grotte ist nur eine von vielen, die das liebliche
Thal zierten und nun spurlos verschwunden sind. — Ebenso ist das
bniedliche Tempelchen über der Quelledes Clitumnus (an der Strasse
zwischen Spoleto und Foligno, „alle Vene“) nur eines von den vielen,
die einst von dem schönen, bewaldeten Abhang niederschauten. Trotz
später und unreiner Formen (z. B. gewundene und geschuppte Säulen
u. dgl.) ist es doch wohl noch aus heidnischer Zeit und mit den christ-
lichen Emblemen erst in der Folge versehen worden 1). Der Archi-
tekt kann sich kaum eine lehrreichere Frage vorlegen als die: woher
dem kleinen, nichts weniger als mustergültigen Gebäude seine unver-
hältnissmässige Wirkung komme?
Die römischen Häuser, Villen und Paläste bilden schon
in ihrer Anlage einen durchgehenden Contrast gegen die modernen
Wohnbauten. Letztere, sobald sie einen monumentalen Charakter an-
nehmen, nähern sich dem Schlosse, welches im Mittelalter die Woh-
nung der höhern Stände war, und sich nur allmählig (wie z. B. Flo-
renz beweist) zum Palast im modernen Sinne, d. h. doch immer zu
einem geschmückten Hochbau von mehrern Stockwerken ausbildete;
eine Form, welche dann ohne alle Noth auch für die modernen Land-
häuser beibehalten wurde. Der Hauptausdruck des ganzen Gebäudes
ist die Fassade.
Bei den Alten war diese eine Nebensache; in Pompeji haben selbst
cGebäude wie z. B. die Casa del Fauno nach aussen nur glatte Mauern
oder auch Buden, und von den Wohnungen der Grossen in Rom selbst
darf man wenigstens vermuthen, dass der Schmuck der Vorderwand mit
dem Vestibulum nur eine ganz bescheidene Stelle einnahm neben der
Pracht des Innern. — Sodann war bei den Alten der Bau zu meh-
reren Stockwerken in der Regel nur eine Sache der Noth, die man
[53]Häuser von Pompeji.
sich in grossen Städten gefallen liess, wo irgend möglich aber vermied.
Wer Platz hatte oder gar wer auf dem Lande baute, legte die ein-
zelnen Räume zu ebener Erde rings um Höfe und Hallen herum an,
höchstens mit einem einzigen Obergeschoss, welches überdiess fast bloss
geringere Gemächer enthielt und nur einzelne Theile des Baues be-
deckte. Plinius d. J. in der Beschreibung seiner laurentinischen Villa
giebt hierüber ein vollständiges Zeugniss. Unebenes Terrain benützte
man allerdings zu mehrstöckigen Anlagen, wie die Kaiserpaläste auf
dem Palatin und die Villa des Diomedes bei Pompeji beweisen; alleina
Reiz und Schönheit solcher Bauten lagen ohne Zweifel nicht in einer
grossen Gesammtfassade, sondern in dem terrassenartigen Vortreten
der untern Stockwerke vor die obern. Luft und Sonne lagen dem
antiken Menschen mehr am Herzen als uns; er liebte weder das Trep-
pensteigen noch die Aussicht auf die Strasse, welche uns so viel zu
gelten pflegt.
Die Ermittelung der einzelnen Räume des Hauses und ihrer Be-
stimmung gehört der Archäologie an; wir haben es nur mit dem künst-
lerischen Eindruck der erhaltenen Gebäude zu thun. Die Fassade war
bei den pompejanischen Bauten, wie gesagt, den Buden auf-
geopfert. Innen aber herrscht ein Reichthum perspectivischer Durch-
blicke, welcher bei jedem Besuch der Stadt einen neuen, unerschöpf-
lichen Genuss gewährt. Allerdings sind an den beiden mit Säulen-
oder Pfeiler-Hallen umgebenen Höfen, dem Atrium und dem Peristylium,
die einst hölzernen Gebälke sämmtlich verschwunden; dafür hemmt
auch keine Zwischenthür, kein Vorhang mehr den Durchblick. Die
Farbigkeit der Stuccosäulen, weit entfernt sich bunt auszunehmen,
steht in völliger Harmonie mit der baulichen und figürlichen Bemalung
der Wände, von welcher in besondern Abschnitten (siehe Seite 58
bis 64, und: antike Malerei) die Rede sein wird. Denkt man sich
ausserdem die vielen plastischen Bildwerke, die kleinen Hauscapell-
chen, die Brunnen im Gartenhof des Peristyliums, die grünen Lauben
und die ausgespannten Schattentücher über einzelnen Räumen hinzu,
so ergiebt sich ein Ganzes, welches zwar keine nordische, aber eine
beneidenswerthe südliche Wohnlichkeit und Schönheit hat. — Sehr
fraglich bleibt immer die Beleuchtung der meisten Gemächer um die
Höfe herum, da der Oberbau fast durchgängig nicht mehr vorhanden
[54]Architektur. Häuser von Pompeji.
ist und Fenster sich fast nirgends finden. Durch die Thür nach dem
Hofe konnte nur ein sehr ungenügendes Licht hereindringen, da die
bedeckte Halle vor der Thür den besten Theil vorwegnahm. Und
doch können die zum Theil so vortrefflichen Malereien des Innern
weder bei Lampenschein ausgeführt noch dafür berechnet sein. Ein
Oberlicht, etwa als Dachöffnung mit einer kleinen Lanterna oder Loggia
bedeckt zu denken, würde wohl am ehesten die Schwierigkeit lösen.
Jedenfalls ist es bezeichnend, dass alle Nebengemächer, die einzelnen
Hausgenossen oder besondern Bestimmungen zugewiesen waren, neben
den Familienräumen: dem Tablinum und dem Triclinium zurückstehen,
und dass die Hallen der eigentliche Stolz des Hauses waren. Es wäre
unbillig, an ihren Säulen eine strenge griechische Bildung zu erwarten,
da die Örtlichkeit sowohl als die bescheidenen Umstände der Besitzer
die Anwendung des Stucco verlangten, dieser aber die Formen auf
die Länge immer demoralisirt; man darf im Gegentheil den Schön-
heitssinn bewundern, welcher noch immer mit verhältnissmässig so
grosser Strenge an dem einst für schön Erkannten festhielt. An con-
vexen Cannelirungen, an vortretenden Dreiviertelsäulen, an dem öfter
genannten ionischen Bastardcapitäl, an achteckigen Pfeilern, sowie an
vielen andern bedenklichen Formen soll zwar das Auge sich nicht bil-
den, aber auch nicht zu grossen Anstoss nehmen, sondern erwägen,
von welchem grossen, reichfarbigen Ganzen dieses einst blosse Theile
waren, und wie sich die Einzelheiten gegenseitig theils trugen theils
aufwogen. Wie sehr bereitet schon die einfache Mosaikzeichnung des
Bodens auf den architektonischen Reichthum vor.
Einen Prachtbau mit strengern Formen findet man wohl nur in
ader „Casa del Fauno“; den eigenthümlichen pompejanischen Zau-
bber aber gewähren in hohem Grade z. B. auch die „Casa del poeta
ctragico“, die schöne Gartenhalle der „Casa de’ capitelli figurati“, die
d„Casa del labirinto“ und die „Casa di Nerone“ mit ihren Triclinien
ehinten, die „Casa di Pansa“ mit ihrem prächtigen Peristilium, die
f„Casa della Ballerina“ mit dem so niedlichen hintern Raum für
Brünnchen, Statuetten und etwa eine Rebenlaube, und so viele
andere Häuser. Denn Pompeji ist aus Einem Guss und bisweilen ge-
währt auch ein geringes Haus irgend eine architektonische Wirkung,
die zufällig dem kostbarsten fehlt. — Von den Landhäusern ist die
[55]Pozzuoli, Bajä, Capri, Rom.
Villa des Diomedes reich an Räumen aller Art und Anordnung,a
unter welchen sich auch ein halbrund abgeschlossenes Triclinium mit
Fenstern findet; für den Effect des Ganzen ist das Studium der öfter
versuchten Restaurationen unentbehrlich. — In Herculanum ist we-b
nigstens eine schöne Villa vollständig aufgedeckt. — Als Ergänzung zu
diesen Bauten betrachte man die vielen kleinen Veduten in den Wand-
decorationen zu Pompeji und im Museum von Neapel; sie stellen zume
nicht geringen Theil Landhäuser und Paläste meist am Meeresstrand
dar, allerdings nicht bloss wie sie waren, sondern wie die vergrös-
sernde Phantasie sie gerne gehabt hätte; ausserdem besonders reiche
Hafenansichten.
Am Strand von Pozzuoli, Bajä und weiter hinaus liegen died
meist völlig entstellten Trümmer zahlloser Landhäuser, als deren Eigen-
thümer man einige der berühmtesten Namen des römischen Alterthums
aufzuzählen pflegt. Die merkwürdigsten sind die ins Meer hinausge-
bauten, von welchen man noch im Wasser die Fundamente und in
jenen Abbildungen wenigstens die ungefähre Gestalt sieht. Diese Bau-
weise erscheint durchaus nicht als blosser Luxus; sie schützte vor der
Fieberluft, welche schon damals jene Küste heimzusuchen pflegte.
Von den Trümmern der Bauten Tiber’s auf Capri offenbart diee
Villa Jovis durch ihre für das erste Jahrhundert ziemlich nachlässige
Construction, dass der alte Herr rasch fertig werden und bald ge-
niessen wollte.
In und um Rom1) nehmen Paläste und Villen einen grössern
Charakter an und gehen in einzelnen Prachtbestandtheilen weit über
das bloss Wohnliche hinaus. Wir können das Einzelne an den Ruinen
dieser Art in Tusculum, bei Tibur u. s. w. nicht verfolgen, da der
jetzige Trümmeranblick bei weitem mehr wegen des malerischen als
wegen des kunsthistorischen Werthes geschätzt wird. Über der Villa
des Mäcenas, wie das Wasser des Anio ihre Bogen durchströmt, ver-f
gisst man den ehemaligen Grundplan und selbst den Eigenthümer. Von
den hieher gehörenden Kaiserbauten ist der Palatin mit seinen Trüm-g
mern nur Ein grosses Räthsel. Zeitweise (z. B. in den 80ger Jahren
[56]Architektur. Paläste in Rom.
des vorigen Jahrhunderts) haben wichtige Stücke blossgelegen, die
jetzt wieder zugeschüttet und nur aus den damals gemachten Plänen
bekannt sind; eine vollständige Ausgrabung ist noch nie versucht wor-
den. Weit entfernt, einen Überblick über das Ganze geben zu können,
mache ich nur auf das noch deutlich Erhaltene aufmerksam: In den
aOrti Farnesiani: die sog. Bäder der Livia, kleine, vielleicht von
jeher unterirdische Gemächer mit Resten sehr schöner Arabesken (das
bÜbrige sehr unkenntlich); — in der Villa Spada: u. a. zwei eben-
falls von jeher unterirdische Räume, sehenswürdig nicht sowohl um
ihres architektonischen Werthes willen, als wegen ihrer prächtigen
malerischen Wirkung in den Mittagsstunden, wenn die Sonne durch
die dicht begrünten Gewölbeöffnungen herabscheint; — in den jetzt
cvorzugsweise so benannten Palazzi de’ Cesari: eine ungeheure
Masse von Ruinen, zum Theil riesiger Dimensionen, darunter eine
Nische mit Umgang, welche noch ihre Cassetten hat, Vorbauten gegen
den Circus Maximus, dessen Spiele von hier wie von Logen aus be-
schaut werden konnten (das Meiste wohl aus der Zeit Domitians); die
grosse Doppelreihe von Gewölben gegen den Cölius zu ein blosser
Unterbau, über welchem erst der Palast (vielleicht des Septimius
Severus) sich erhob. Die Wasserleitung, welche in diesem System
von Palästen die Brunnen und Bäder versah, ist noch in einigen mäch-
tigen Bogen erhalten 1).
Von dem Palast und den Gärten des Sallust (hinter Piazza
Barberina beginnend) hat sich etwa so viel gerettet, dass man mit
Hülfe der Nachrichten sich ein glänzendes Gedankenbild des Ganzen
entwerfen kann.
Von dem Palast des Scaurus auf dem cölischen Berge hat be-
kanntlich Mazois in einem angenehmen Buche (das in allen Sprachen
[57]Kaiservillen.
vorhanden ist) wirklich ein solches Gedankenbild aufgestellt; an Ort
und Stelle ist indess kein Stein davon nachzuweisen.
Die Villa Hadrians unterhalb Tivoli verlangt in ihrem jetzi-a
gen Zustande, nach dem totalen Verlust ihrer Steinbekleidung und
ihrer Säulenbauten, eine starke Phantasie, wenn man die einzelnen,
meist nicht sehr bedeutenden Räume noch für das erkennen soll, was
sie einst waren; dennoch ist der Besuch (welchen ich bisher versäumt
zu haben bedaure) sehr lohnend, sobald man sich mit dem Plan der
Villa (von Fea) versehen hat; in diesem wird nämlich die ehemalige
Bedeutung der einzelnen Bauten angegeben. Hadrian hatte hier die
berühmtesten Localitäten der alten Welt im Kleinen nachahmen lassen
und auch von den Gattungen des römischen Prachtbaues immer je
ein kleines Specimen errichtet, das Ganze in einem Umfang von mehr
als einer Stunde. Wenn andere Bauherren ähnliche Phantasien aus-
führten, so lässt sich denken, wie schwer gewisse Ruinen römischer
Villen und Paläste einleuchtend zu erklären sein müssen.
Von den zum Theil riesenhaften und äusserst ausgedehnten Vil-
lentrümmern der römischen Campagna scheint das Rundgebäude „Torb
de’ Schiavi“ der Überrest einer sehr namhaften Anlage der Gordiane
(III. Jahrhundert) zu sein. — Ungeheure Räume auf einem noch kennt-
lichen Grundplan findet man namentlich in der sog. Roma vecchia.c
— Die Villa Domitians umfasst gegenwärtig den Raum des Städt-d
chens Albano und der Landgüter an dessen Westseite, gewährt aber
nirgends mehr ein Bild des ehemaligen Bestandes, so zahlreich und
gross angelegt auch die einzelnen Trümmerstücke sind. — Wie die
Kaiserthermen mehr als blosse Thermen, so waren die Kaiservillen
auch etwas Anderes als blosse Villen, vielmehr ein Inbegriff vieler
einzelnen Prachtbauten der verschiedensten Art und Gestalt.
Das Bild der antiken Bauwerke vervollständigt sich erst, wenn
man sich einen reichen farbigen Schmuck hinzudenkt. Fürs Erste wur-
den bis in die römische Zeit einzelne Theile des Baugerüstes selbst,
also der Säulen, Gebälke, Giebel etc. mit kräftigen Farben bemalt, und
[58]Decoration. Pompejanische Scenographie.
wenn auch an den Tempelresten Roms keine Spuren von Farben mehr
gefunden werden, so sprechen doch die blauen und rothen Zierrathen
auf dem weissen Stucco der pompejanischen Säulen und Gesimse, ja
oft die totale Bemalung derselben unwiderleglich für eine durchaus
übliche Polychromie (Mehrfarbigkeit). Gewiss nahm dieselbe in der
Kaiserzeit bedeutend ab, indem ein immer wachsender, bis zur Ver-
wirrung und Verwilderung führender Reichthum gemeisselter Zier-
rathen ihre Stelle vertrat; auch die zunehmende Vorliebe für farbige
Steinarten musste ihr Concurrenz machen.
Zweitens war schon in der spätern griechischen Kunstepoche die
sog. Scenographie aufgekommen, eine Bemalung der glatten Wände,
auch wohl der Decken und Gewölbe, mit architectonischem und figür-
lichem Zierrath. Was von dieser Art in römischen Tempeln vorkam,
wollen wir nicht ergründen; erhalten sind in Rom nur wenige Frag-
mente in profanen Gebäuden, z. B. in den Titusthermen, in einigen
Grabstätten etc., und auch diess Wenige lernt man jetzt, da Luft und
Fackelrauch es entstellt, besser aus den (übrigens selten stylgetreuen)
Abbildungen kennen als aus den Originalen. Dagegen sind theils in
Pompeji an Ort und Stelle, theils im Museum von Neapel eine
grosse Anzahl von Wanddecorationen mehr oder minder vollständig
gerettet, die uns der Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 zum Geschenk
agemacht hat. (Im Museum die drei Säle unten links; manches Deco-
brative auch in den zwei Sälen unten rechts.)
Das Figürliche wird bei Anlass der Malerei besprochen werden;
hier handelt es sich zunächst um die architectonisch-decorative Bedeu-
tung dieses wunderbaren Schmuckes.
Man wird sich bei einiger Aufmerksamkeit sofort überzeugen, dass
kein einziger Zierrath sich zweimal ganz identisch wiederholt, dass
also die Schablone hier so wenig als an den griechischen Vasen
(s. unten) zur Anwendung gekommen sein kann. Ich glaube behaup-
ten zu dürfen, dass die Maler mit Ausnahme des Lineals und eines
Messzeuges kein erleichterndes Instrument brauchten, dass sie also mit
Ausnahme der geraden Striche und der wichtigern Proportionen Alles
mit freier Hand hervorbrachten. Ihre Fertigkeit in der Production
war zu gross; sie arbeiteten ohne Zweifel schneller so als mit jenen
Hülfsmitteln jetziger Decoratoren. Mit den Stuccoornamenten verhielt
[59]Pompejanische Scenographie.
es sich nicht anders; im Tepidarium der Thermen von Pompejia
verfolge man z. B. den grossen weissen Rankenfries, und man wird
die sich entsprechenden Pflanzenspiralen (je die vierte) jedesmal ab-
weichend und frei gebildet finden. (Das kleine Gesimse unten daran
scheint allerdings einen sich wiederholenden Model zu verrathen, da
hier die Anfertigung von freier Hand eine gar zu nutzlose Quälerei
gewesen wäre.) Die Künstler aber, um die es sich hier handelt,
waren blosse Handwerker einer nicht bedeutenden Provincialstadt. Sie
haben ganz gewiss diese Fülle der herrlichsten Zier-Motive so wenig
erfunden als die bessern Figuren und Bilder, die sie dazwischen ver-
theilten. Ihre Fähigkeit bestand in einem unsäglich leichten, kühnen
und schönen Recitiren des Auswendiggelernten; dieses aber war ein
Theil des allverbreiteten Grundcapitals der antiken Kunst.
Eine solche Decoration konnte allerdings nur aufkommen bei der
Bauweise ohne Fenster, die uns in Pompeji so befremdlich auffällt.
Diese Malerei verlangte die ganze Wand, um zu gedeihen. Weniges
und einfaches Hausgeräth war eine weitere Bedingung dazu. Wer im
Norden etwas Ähnliches haben will, muss schon einen Raum beson-
ders dazu einrichten und all den lieben Comfort daraus weglassen.
Der Inhalt der Zierrathen ist im Ganzen der einer idealen per-
spectivischen Erweiterung des Raumes selbst durch Architekturen,
und einer damit abwechselnden Beschränkung durch dazwischen ge-
setzte Wandflächen, die wir der Deutlichkeit halber mit unsern spani-
schen Wänden vergleichen wollen. An irgend eine scharf consequente
Durchführung der baulichen Fiction ist nicht zu denken; das Allge-
meine eines wohlgefälligen Eindruckes herrschte unbedingt vor.
Die Farben sind bekanntlich (zumal gleich nach der Auffindung)
sehr derb: das kräftigste Roth, Blau, Gelb etc.; auch ein ganz unbe-
dingtes Schwarz. Auf eine dominirende Farbe war es nicht abgesehen;
rothe, violette, grüne Flächen bedecken neben einander dieselbe Wand.
Ungleich auffallender ist, dass man durchaus nicht immer die dunk-
lern Flächen unten, die hellern oben anbrachte. Eine Reihe von Stücken
einer sehr schönen Wand (Museum dritter Saal links) beginnt untenb
mit einem gelben Sockel, fährt fort mit einer hochrothen Hauptfläche
und endigt oben mit einem schwarzen Fries; freilich findet sich an-
derwärts auch das Umgekehrte.
[60]Decoration. Pompejanische Scenographie.
Die ornamentale Durchführung und figürliche Belebung des Gan-
zen ist nun eine sehr verschiedene, je nach dem Sinn des Bestellers
und des Malers. In der Mitte jener einfarbigen Flächen war die natür-
liche Stelle für eingerahmte Gemälde sowohl 1) als für einzelne Figu-
ren und Gruppen auf dem farbigen Grunde selbst; anderwärts treten
die Figuren als Bewohner der (gemalten) Baulichkeiten zwischen Säul-
chen und Balustraden auf. Die Landschaftbilder finden sich theils
ebenfalls in der Mitte der farbigen Flächen, theils vor die Baulichkei-
ten, oft sehr wunderlich, hingespannt.
Die gemalte Architektur ist eine von den Bedingungen des Stof-
fes befreite; wir wollen nicht sagen „vergeistigte“, weil der Zweck
doch nur ein leichtes, angenehmes Spiel ist, und weil die wahren
griechischen Bauformen einen ernsten und hohen Sinn haben, von
welchem hier gleichsam nur der flüchtige Schaum abgeschöpft wird.
Immerhin aber werden wir diese Decoratoren für die Art ihren Zweck
zu erreichen schätzen und bewundern. Sie hatten ganz recht, keine
wirklichen Architekturen mit wirklicher, auf Täuschung abgesehener
Linien- und Luftperspective abzubilden. Dergleichen wirkt, wie so
viele Beispiele im heutigen Italien zeigen, neben ächten Säulen und
Gebälken doch nur kümmerlich und verliert bei der geringsten Ver-
witterung allen Werth, während die idealen Architekturen dieser alten
Pompejaner, selbst mit ihrer abgeblassten Farbe, auf alle Jahrhunderte
Auge und Sinn erfreuen werden.
Säulchen, Gebälke und Giebel nämlich sind wie aus einem idea-
len Stoffe gebildet, bei welchem Kraft und Schwere, Tragen und Ge-
tragenwerden nur noch als Reminiscenz in Betracht kömmt 2). Die
[61]Pompejanische Scenographie.
Säulchen werden theils zu schlanken goldfarbigen Stäben mit Canne-
lirungen, theils zu Schilfrohren, von deren Knoten sich jedesmal ein
Blatt ablöst, ähnlich wie an vielen Candelabern; ja bisweilen wird
eine ganze reiche Schale rings umgelegt; auch blüht wohl eine mensch-
liche Figur als Träger daraus empor. Die Gebälke, oft mit reichen
Verkröpfungen, werden ganz dünn, unten geschwungen gebildet und
meist bloss mit einer Reihe von Consolen, kaum je mit vollständigem
Architrav, Fries und Deckgesimse versehen. Dieselbe Leichtfertigkeit
spricht sich in den Giebeln aus, welche nach Belieben gebrochen, hal-
birt, geschwungen werden. Wo es sich um Untensicht und Schiefsicht,
z. B. beim Innern von Dächern etc. handelt, scheint die Perspective
oft sehr willkürlich und falsch, man wird sie aber in der Regel deco-
rativ-richtig empfunden nennen müssen.
Der besondere Schmuck dieser idealen, ins Enge und Schlanke zu-
sammengerückten Architektur sind vor Allem schöne Giebelzierrathen.
Man kann nichts Anmuthigeres sehen als die blasenden Tritone, die
Victorien, die mit dem Ruder ausgreifende Scylla, die Schwäne,
Sphinxe, Seegreife und andere Figuren, welche die zarten Gesimse
und Giebel krönen. Dann finden sich Gänge, Balustraden, auf wel-
chen Gefässe, Masken u. dgl. stehen, und ein (mit Maassen angewand-
ter) Schmuck von Bogenlauben und Guirlanden. Letztere hängen oft
von einem kleinen goldenen Schilde zu beiden Seiten herunter 1). —
Es giebt auch einzelne Beispiele einer mehr der Wirklichkeit sich
nähernden Perspective, mit Aussichten auf Tempel, Stadtmauern u. dgl.
(so im dritten Saal des Museums links, und in den hintern Räumena
der Casa del labirinto zu Pompeji); allein im Ganzen hat die obenb
dargestellte Behandlung das grosse Übergewicht. In einzelnen Bei-
spielen (Museum, erster Saal unten, rechts) ist die ganze Architekturc
und einige Theile der sonstigen Decoration von hellem Stucco erha-
ben aufgesetzt, wirkt aber so nicht gut.
[62]Decoration. Pompejanische Scenographie.
Der Hintergrund dieser phantastischen Baulichkeiten ist theils
weiss, theils himmelblau, auch wohl schwarz, und contrastirt sehr
kräftig mit den dazwischen ausgespannten farbigen Wänden. Oft sind
auf besondern schmalen Zwischenfeldern noch leichtere Arabesken,
Hermen, Candelaber, Thyrsusstäbe u. dgl. angebracht. Die Künstler
wussten sehr wohl, dass eine reiche Decoration, um nicht bunt und
schwer zu werden, in mehrere Gattungen geschieden sein muss. Der
Sockel ist meist als Fläche behandelt und enthält: entweder natür-
liche Pflanzen, wie sie an der Mauer wachsen; oder, auf besonders
eingerahmtem dunklem Grunde, Masken mit Weinlaub (auch wohl auf
Treppchen liegend mit Fruchtschnüren ringsum), fabelhafte Thiere,
einzelne Figuren, kleine Gruppen u. dgl. — Über der Hauptfläche ist
der oberste Theil der Wand meist mit geringerer Liebe (auch wohl
von geringerer Hand) verziert. Allerdings entwickelt sich bisweilen
erst hier das weiter unten begonnene Giebel- und Guirlandenwesen
auf hellem Grunde zum grössten Reichthum; oft aber nehmen kind-
liche Darstellungen von Gärten und Laubgängen oder sog. Stillleben
(todte Küchenthiere, Fische, Früchte, Geschirr, Hausrath etc.) diese
Stelle in Beschlag. (Wenn man eine Lichtöffnung in der Mitte der
Decke annimmt, so erklärt sich die geringere malerische Behandlung
dieser obern Wandtheile, welche das schlechteste Licht ge-
nossen, ganz einfach.)
Den Zusammenklang dieses köstlichen Ganzen empfindet man am
abesten im sog. Pantheon zu Pompeji, wo von zwei Wänden be-
trächtliche Stücke der Malereien ganz erhalten sind. Am Sockel: gelbe
vortretende Piedestale mit schwarzen Füllungen, zum Theil mit gelben
Karyatiden; an der Hauptfläche: ein hinten durchgehender rother
Raum mit prächtigen Architekturen und Durchblicken ins (helle) Freie,
davorgestellt grosse schwarze Wände mit Guirlanden und Mittelbil-
dern, die zu den werthvollsten gehören (Theseus und Aethra, Odysseus
und Penelope etc.); vor die Säulen sind unten, wie in der Regel,
kleine Landschaften eingesetzt; die Architekturen selbst sind mit Ge-
stalten von Dienern, Priesterinnen u. s. w. trefflich belebt; am obern
Theil der Wand: theils Durchblicke ins (blaue) Freie mit Gestalten
von Göttern, theils Stillleben auf hellem Grunde. — Raphaels Logen
[63]Pompejanische Scenographie.
daneben gehalten, kann man im Zweifel bleiben, welcher Eindruck
im Ganzen erfreulicher sei.
Von dieser Prachtarbeit führt eine grosse Stufenreihe abwärts
bis zu den einfachen Arabesken, Säulchen und Giebelchen, welche
roth oder rothgelb auf weissem Grunde die Kaufladen, Nebengemächer
und Gänge der geringern Häuser verzieren. Wir wollen nur einige
Gebäude namhaft machen, in welchen die Scenographie ihre Gesetze
besonders deutlich offenbart.
Im „Haus des tragischen Dichters“, sind mehrere Ge-a
mächer besonders schön und belehrend. Eines: Architekturen auf
weissem Grund, dazwischen rothe und gelbe Flächen mit eingerahm-
ten Bildern, drüber ein Fries mit Wettkämpfen und dann noch leich-
tere Ornamente, beides auf hellem Grund. — Anderswo: die schlanke
Architektur besonders reizend zu halbrunden Hallen geordnet. — Im
sog. Esszimmer: über schwarzem Sockel und violettbraunem Ober-
sockel gelbe Hauptflächen mit trefflichen Bildern, dazwischen Archi-
tekturen auf himmelblauem Grund, die Rohrsäulen ausgehend in Figu-
ren (als bewegte Karyatiden); oben freiere Figuren und Ornamente
auf gelbem Grund.
In der „Casa della Ballerina“ an den Wänden des Atriumsb
zierliche kleine Tempelfronten mit Durchblicken auf himmelblauem
Grund.
In der „Casa di Castore e Polluce“ mehrere Gemächerc
mit reichem Zierwerk auf lauter weissem Grund; die Figuren theils
schwebend in der Mitte der Flächen, theils als Bewohner der Archi-
tekturen angebracht. In andern Räumen zwischen braunrothen Archi-
tekturstücken blaue Zwischenflächen, mit sehr zerstörten aber ausge-
zeichneten Bildern.
In der „Casa di Meleagro“ ein Gemach mit guten Ornamen-d
ten (am Sockel Pflanzen) auf schwarzem Grund; ein anderes mit gel-
ben Architekturen auf himmelblauem Grund und rothen Zwischenflä-
chen, die gute Bilder enthalten.
In der „Casa di Nerone“ mehrere Zimmer mit einer domi-e
nirenden Farbe, was sonst wenig vorkömmt; ein gelbes, ein rothes,
ein blaues Zimmer; oben durchgängig Architekturen mit Füllfiguren
auf weissem Grund. Das Triclinium ganz gelb, die Ornamente bloss
[64]Decoration. Pompejanische Scenographie.
mit braunen Schatten und weissen Lichtern angegeben. Die Halle
um den Garten dagegen: braunrother Sockel mit natürlichen Pflanzen
u. dgl., unterbrochen von gelben vortretenden Piedestalen; darüber
reiche und treffliche Architekturen auf blauem Grund mit schwarzen
Zwischenflächen, welche gute Bilder enthalten; oben: Zierrathen und
Figuren auf weissem Grund. Im sog. Schlafzimmer die Architekturen
mit Bewohnern besonders anmuthig belebt.
In der „Casa d’Apollo“ das Tablinum vom Allerzierlichsten;
das sog. Schlafzimmer mit lauter goldgelben Architekturen auf himmel-
blauem Grund, so dass gar keine Zwischenflächen vorhanden sind; die
Figuren theils ganze, Götter darstellend, theils Halbfiguren hinter den
Balustraden; die Ausführung gut, doch geringer als im Tablinum.
In der „Casa di Salustio“ enthält die Wand des hintern Gärt-
chens eine harmlose Decoration, wie sie auch sonst noch in pompeja-
nischen Gartenräumen und bis auf den heutigen Tag vorkömmt: hohe
natürliche Pflanzen mit Vögeln und Guirlanden auf himmelblauem
Grunde. Um den kleinen Hof in der Nähe des Bildes „Diana und
Aetäon“ herum gute Verzierungen auf lauter schwarzem Grunde mit
Ausnahme des violetten Sockels. Andere Räume mit farbigen Quadern
(von Stucco) sehr unschön decorirt.
In der „Casa delle Vestali“ die Gartenhalle ganz gelb, auch
der untere Theil und die korinthischen Stuccocapitäle der Säulen. Die
Architekturen der Wand bloss mit braunen Schatten und weissen Lich-
tern angegeben; oben offene Schränke mit Küchenthieren und Guirlan-
den in Naturfarbe; der Sockel braunroth mit mythologischen Figuren.
In der „Villa di Diomede“ die Malereien theils unbedeutend,
theils weggenommen und nach Neapel geschafft. Die Gewölbe der
untern Räume sind mit Fortsetzungen der Architekturen auf hellem
Grunde verziert.
Nur ungern trennen wir bei der Besprechung dieser Schätze die
eigentliche Malerei von der Decoration, indem sich die beiden Künste
nie so eng die Hand geboten haben wie gerade hier. Wo sollen wir
z. B. die unzähligen kleinen Vignetten unterbringen, welche diese hei-
tern Räume beleben? Wer ihnen je einen Blick gegönnt hat, wird sie
[65]Pompejanische Scenographie. Mosaiken.
noch oft und mit immer neuem Genuss betrachten, diese Gruppen von
Gefässen, Vögeln, Schilden, Meerwundern, Tempelchen, Masken, Scha-
len, Fächern und Ombrellen mit Schnurwerk, Dreifüssen, Treppchen mit
Opfergeräthen, Hermen u. s. w., um zu schweigen von den zahllosen
menschlichen Figürchen.
Unläugbar ist in diesem ganzen pompejanischen Schmuckwesen
wie in der Architektur schon Vieles, was der Ausartung, dem Barocken
angehört. Nur muss man sich hüten, gleich Alles dahin zu rechnen,
was nicht dem Kanon der griechischen Säulenordnungen entspricht,
denn auch das scheinbar Willkürliche hat hier sein eigenes Gesetz,
welches man zu errathen suchen muss.
Die spätern Schicksale dieses Styles werden allerdings bald trau-
rig. Er scheint schon im II. Jahrhundert, jedenfalls im III. erstarrt
zu sein. Die Mosaiken des runden Umganges von S. Costanza beia
Rom zeigen, dass man zu Anfang des IV. Jahrhunderts gar nicht
mehr wusste, um was es sich handelte; in dem Rankenwerk herrscht
öder Wirrwarr, in den regelmässigen Feldern eine öde und steife Ein-
förmigkeit. Einige gute Ornamente retten sich wohl bis tief ins Mit-
telalter hinein und gewinnen stellenweise (s. unten) ein neues Leben;
die Hauptbedingung dieser ganzen Productionsweise aber war unwider-
bringlich dahin: nämlich die Lust des Improvisirens.
Wo diese nicht vorhanden gewesen war, da hatte auch der Pom-
pejaner einst nur Kümmerliches geleistet. Man sehe nur seine meisten
Mosaikornamente, bei deren Anfertigung natürlich diese Lust wegfiel.
(Säulen und Brunnen im Museum, erster Saal unten links; anderes inb
verschiedenen Häusern zu Pompeji selbst, u. a. in der „Casa dellac
Medusa“.) Ganz auffallend sticht die kindische Leblosigkeit dieser
Prunksachen neben den freien Arabesken der Wände ab. Auf ähn-
liche Weise hat später das Mosaik, als es vorherrschende Geltung er-
langte, das Leben der Historienmalerei getödtet. Diess hindert nicht,
dass aus früherer Zeit einzelne ganz ausgezeichnete Mosaiksachen vor-
handen sind und dass ausser einer Alexanderschlacht auch ein Fries
von Laubwerk, Draperie und Masken (in dem letztgenannten Raumed
des Museums) existirt, der zum Allertrefflichsten dieser ganzen Gat-
tung gehört.
B. Cicerone. 5
[66]Antike Decoration. Marmorne Prachtgeräthe.
Auf die Architektur und bauliche Decoration der Alten folgt
zunächst eine Classe von Denkmälern, in welchen das architekto-
nische Gefühl, seiner ernsten Aufgaben entledigt, in freiern Formen
ausblühen darf. Wir meinen die marmornen Prachtgeräthe der
Tempel und Paläste: Candelaber, Throne, Tische, Kelchvasen, Becken,
Dreifüsse und Untersätze derselben. Der Stoff und meist auch die Be-
stimmung geboten eine feierliche Würde, einen Reichthum ohne eigent-
liche Spielerei. Es sind die Zierformen der Architektur, nur so wei-
ter entwickelt, wie sie sich, abgelöst von ihren sonstigen mechanischen
Functionen, entwickeln konnten. Man sehe z. B. den prachtvollen
avaticanischen Candelaber (Galeria delle Statue, nahe bei der
Kleopatra); in solchen reichgeschwungenen Blättern muss der Akan-
thus sich auswachsen, wenn er nicht als korinthisches Capitäl ein Ge-
bälk zu tragen hat! Man vergleiche die Stützen mancher Becken und
Kandelaber mit den Tempelsäulen, und man wird dort der stark aus-
gebauchten, unten wieder eingezogenen Form und den schräg ringsum
laufenden Cannelirungen ihr Recht zugestehen müssen, indem die Stütze
der freien Zierlichkeit des Gestützten entsprechen musste.
Andere Bestandtheile dieser Werke sind natürlich rein decorati-
ver Art, doch herrscht immer ein architektonisches Grundgefühl vor
und hütet den Reichthum vor dem Schwulst und der Zerstreuung.
Schon die Reliefdarstellungen an vielen dieser Geräthe verlangten, wenn
sie wirken sollten, eine weise Beschränkung des bloss Decorativen.
Die Füsse, wo sie erhalten sind, stellen bekanntlich Löwenfüsse
vor, stark und elastisch, nicht als lahme Tatzen gebildet. An Thronen
und Tischen setzt sich der Löwenfuss als Profilverzierung in schönem
Schwung bis über das Kniegelenk fort; dort löst sich die Löwenhaut
etwa in Gestalt von Akanthusblättern ab und der Oberleib einer Sphinx
oder ein Löwenhaupt oder das eines bärtigen Greifes tritt als Stütze
oder Bekrönung darüber hervor; die Flügel an der Sphinx oder am
Löwenleib dienen dann als Verzierung der betreffenden Seitenwand.
Die horizontalen Gesimse sind durchgängig sehr zart, als blosser archi-
tektonischer Anklang gebildet; ihre Bekrönungen dagegen mit Recht
reicher, etwa als Palmettenkranz. Eine gottesdienstliche Beziehung,
direct auf Opfer gehend, liegt in den oft sehr schön stylisirten Wid-
derköpfen auf den Ecken. — In den Formen der Vasen herrschen unten
[67]Marmorne Prachtgeräthe.
an der Schale meist die concentrischen Streifen der Muschel, doch
auch wohl reiches Blattwerk; der obere Theil, welcher die eigentliche
Urne ausmacht, bleibt frei für die Reliefs; der Rand aber zeigt einen
schönen Umschlag in der Form des sogenannten Eierstabes. Die Hen-
kel sind bisweilen nach oben mehrfach in elastischen Spiralen gerin-
gelt (so an der sonst einfachen Colossalvase des Vorhofes von S. Ce-a
cilia in Rom und an der kleinern an der Treppe des Palazzob
Mattei); ihre untern Ansätze erscheinen mit Masken und andern
Köpfen verziert. Bisweilen sind lebende Wesen als Träger der Ge-
fässe, Tische u. s. w. rund gearbeitet; so ruht ein vaticanisches Ge-
fäss (Belvedere, Raum zunächst dem Meleager) auf den verschlunge-c
nen Schweifen von drei Seepferden, ein Becken ebendort (oberer Gang)d
auf den Schultern dreier Satyrn mit Schläuchen u. s. w. — Die Drei-
seitigkeit der meisten Untersätze hatte wohl ihren Ursprung in der
Form der Dreifüsse, für welche dergleichen Prachtpiedestale früher
hauptsächlich gearbeitet wurden; allein die Kunst behielt sie später
gerne auch für Candelaber, Vasen u. dgl. bei, des leichten und an-
muthigen Aussehens wegen und zum Unterschiede von der Architektur.
Diese Arbeiten sind oft sehr stark nach verhältnissmässig gerin-
gen Bruchstücken und nach Analogien ergänzt. Wo zwei identische
Candelaber stehen, wird der eine in der Regel die Copie, ja der blosse
Abguss des andern und nur der Symmetrie halber mit aufgestellt sein.
Wir zählen in Kürze eine Auswahl des Besten auf.
Im Vatican, mit Ausnahme des schon Genannten: im Braccioe
nuovo: die schwarze Vase mit Masken; — in den verschiedenen Räumen
des Belvedere und in der Sala degli Animali: Tischstützen (Trapezo-f
phoren) mit Thieren und Thierköpfen jeder Art und Güte; — im obern
Gang: zwei kleinere und vier grössere Candelaber, letztere besondersg
schön mit Genien, die in Arabesken auslaufen (ein ganz ähnlicher im
Chor von S. Agnese vor Porta Pia); ein grosses Candelaberfragmenth
mit flachem Akanthus; grosser, stark zusammengesetzter Candelaber
mit dem Dreifussraub an der Basis; mehrere schöne Vasen, Brunnen
u. s. w.; zwei vierseitige schmale Altäre, nach Art der marmornen
Dreifüsse sehr reich behandelt. — Im Museo capitolino: oberei
Galerie: sehr ausgezeichnete grosse Vase, deren Pflanzenverzierung in
fünfblättrigen Schoten ausgeht; — Zimmer der Vase: nächst dem einfachk
5*
[68]Antike Decoration. Marmorne Prachtgeräthe.
schönen bronzenen Mischkrug des Mithridat (leider mit barock-moder-
nen Henkeln) die dreiseitige Marmorbasis unter dem Opferknaben. —
aIn der Villa Albani, Mehreres in der Nebengalerielinks; — im sog.
bKaffehaus: ein guter, aber später Candelaber; von den bei Anlass der
Reliefs genannten Vasen sind mehrere auch als Vasen ausgezeichnet.
cIn der Villa Borghese: Mehreres, besonders in der Vorhalle. —
dIm Museum von Neapel, erster Gang: zwei runde Becken mit
ins Viereck gezogenem Rande, auf gewundenen Säulen ruhend; ein
schönes Brunnenbecken auf drei Löwenfüssen mit Sphinxoberleibern. —
eIm dritten Gang: aufrecht sitzende Sphinx als Trägerin einer Stütze
fmit Palmettenhals; Anbau dieses Ganges: mehrere Thron- und Tisch-
stützen; ein herrliches Marmorbecken, welches die Gesetze dieser Or-
namentik vielleicht so klar wie wenige andere Überreste offenbart;
endlich die kolossale Porphyrschale, grossentheils ergänzt und mit
gÖlfarbe bestrichen. — In der Halle der Musen: die Vase von Gaeta, das
hDecorative sehr zerstört. — In der Halle der farbigen Marmore: eine
Sirene von rothem Marmor, die mit ihrem Schweif die Tragsäule eines
iBrunnenbeckens umschlingt. — In der Halle des Tiberius: ausser einer
Amphore und einer Urne die beiden bekannten Candelaber mit den
Fischreigern oder wie man die je drei Vögel nennen will.
In Pompeji enthält gegenwärtig der Hof des Mercurstempels
eine Sammlung von steinernen Tischstützen u. dgl., welche den Zier-
rath wieder auf seine einfachste Form: die senkrecht cannelirte Säule
zurückführen. Aehnlich die meisten Zugbrunnen (Pozzi) in den Häu-
lsern. Ein Marmortisch auf Greifen ruhend in der Casa di Nerone.
In den Uffizien zu Florenz: innere Vorhalle: Zwei schlanke
Pfeiler, zu Trägern von Büsten oder Statuen bestimmt, auf allen vier
Seiten überfüllt mit kleinlichen Trophäen in Relief; eine späte und in
ihrer Art lehrreiche Verirrung; gleichsam ein ins Enge gezogener Aus-
druck dessen, was die Spiralsäulen im Grossen gaben. — Verbindungs-
ngang: dreiseitige Candelaberbasis mit Amorinen, welche die Waffen
odes Mars tragen. — Zweiter Gang und Halle der Inschriften: mehrere
Altäre und altarförmige Grabmäler, dergleichen Rom in viel grösserer
pAuswahl bietet. — Erster Saal der Malerbildnisse: die mediceische
Vase mit Iphigeniens Opfer, klassisch auch in ihren Ornamenten: der
[69]Inschriften. Eherne Geräthe.
Fuss meist echt und alt, von den Henkeln und vom obern Rand wenig-
stens so viel als für die Restauration nöthig war.
Im Dogenpalast zu Venedig (Museo d’Archeologia, Corri-a
dojo) ein schöner grosser Candelaber, sehr restaurirt, doch der Haupt-
sache nach alt, ausgenommen die obere Schale; oben drei Satyrs-
köpfe und Laubwerk mit Vögeln.
Hier noch eine Bemerkung, die wir nirgends anders unterbringen
können. In das Gebiet der Ornamentik fallen auch die Buchstaben
der Inschriften. Die Griechen haben darin immer nur das Nöthige ge-
geben und irgend ein architektonisches Glied zum Träger dessen ge-
macht, was sie in verhältnissmässig kleinen Charakteren nur eben
leserlich angeben wollten. Bei den Römern will die Inschrift schon
in die Ferne wirken und erhält bisweilen, nicht bloss an Triumphbo-
gen, wo sie in ihrem Rechte ist, sondern auch an Tempelfronten eine
eigene grosse Fläche auf Kosten der Architrav- und Friesglieder.
Allein wenigstens die Buchstaben sind noch bis in die späteste Zeit
verhältnissmässig schön gebildet und passen zum Übrigen. Der Bau-
meister verliess sich nicht auf den Steinmetzen und Bronzisten, son-
dern behandelte, was so wesentlich zur Wirkung gehörte, als etwas
Wesentliches.
Von jenen grossen, monumental behandelten Prachtstücken gehen
wir über zu den beweglichen Geräthen des wirklichen Gebrau-
ches, welchen ihr Stoff — das Erz1) — einen besondern Styl und
eine bessere Erhaltung gesichert hat. Vor allen Sammlungen bahen
hier die sechs Zimmer der „kleinen Bronzen“ im Museum vonb
Neapel den Vorzug, weil in ihnen die Schätze aus den verschütteten
Städten am Vesuv und die Ausgrabungen von Unteritalien zusammen-
münden. (Einiges recht Schöne auch in den Uffizien zu Florenz,c
II. Zimmer der Bronzen, 8.—14. Schrank.)
[70]Antike Decoration. Eherne Geräthe.
Auf den ersten Blick haben diese Überreste gar nichts Bestechen-
des oder Überraschendes. Ersteres nicht, weil der Grünspan sie un-
scheinbar macht; letzteres nicht, weil unsere jetzige Decoration sie seit
achtzig Jahren nachbildet, so dass bald kein Tischservice, keine Salon-
lampe völlig unabhängig ist von diesen Vorbildern. Wer nun aber
nicht schon aus historischem Interesse dieser Quelle der neuern Deco-
ration nachgehen will, der mag es doch um des innern Werthes wil-
len getrost thun. Er wird dann vielleicht inne werden, dass wir un-
vollkommen und mit barbarischer Styl-Mischung nachahmen, dass wir
dabei bald zu architektonisch trocken, bald zu sinnlos spielend ver-
fahren, und dass uns nicht die Überzeugung, sondern die Willkür lei-
tet, sonst würde unsere Mode nicht im Chinesischen, in der Renaissance,
im Rococo u. s. w. zugleich herumfahren, ohne doch Eines recht zu
ergründen. Die Alten stehen hier unsern barocken Niedlichkeiten und
Nippsachen recht grandios gegenüber mit ihrem Schönheitssinn und
ihrem Menschenverstande.
Vase, Leuchter, Eimer, Wage, Kästchen, und was all die Alter-
thümer noch für Namen und Bestimmungen haben mochten, — Alles
besitzt hier sein inneres organisches Leben, seine Entwicklung vom
Gebundenen ins Freie, seine Spannung und Ausladung; die Zierrathen
sind kein äusserliches Spiel, sondern ein wahrer Ausdruck des Lebens.
Schon die gemeinen Küchen- und Tischgefässe haben eine gute,
schwungvolle Bildung des Profils, des Halses, namentlich der Hand-
haben und Henkel. Eine Sammlung von abgetrennten Henkeln, in
aeinem Schrank des fünften Zimmers (Einiges auch in den Uffizien,
b12. Schrank des genannten Raumes) zeigt auf das Schönste, wie die
Bildner jedesmal mit neuer Lust die einfache Aufgabe lösten, in die-
sem Theil des Gefässes eine erhöhte Kraft und Dehnbarkeit auszu-
sprechen, und wie der Auslauf des Henkels in eine Maske oder Pal-
mette gleichsam ein letzter, glänzender Ausdruck dieser besondern Be-
lebung sein sollte. (Eine sehr edel stylisirte Handhabe mit Blattwerk
cim genannten Raum der Uffizien, 13. Schrank.) An Urnen, Opfer-
schalen und andern festlichen Geräthen ist natürlich auf dergleichen
noch eine besondere Sorgfalt verwendet. Wo von der Aussenseite des
Gefässes ein grösserer Theil verziert ist, findet man in der Regel, dass
Form und Profil des Zierrathes der Bewegung des Gefässes, seinem
[71]Lampen und Candelaber.
Anschwellen und Abnehmen folgt und sie verdeutlichen hilft 1). Nament-
lich beachte man den umgeschlagenen Rand mit der einfach schönen
Reihe von Perlen oder kleinen Blättern; er ist gleichsam eine letzte
Blüthe des Ganzen.
Sehr zahlreich sind, zumal im zweiten und sechsten Zimmer, diea
Lampen, welche sowohl in der Hand getragen als auf besondere Stän-
der gestellt oder an Kettchen aufgehängt werden konnten. Schon die
ganz einfachen unverzierten haben die denkbar schönste Form für
ihren Zweck: einen Behälter für das Oel und eine Öffnung für den
Docht nebst einer Handhabe darzubieten. (Wer sich hievon überzeu-
gen will, mache einmal selbst den Versuch, ein Geräth, welches diese
drei Dinge vereinigt, aus eigener Erfindung zu componiren.) Am häu-
figsten wurde wenigstens der Griff verziert, als Schlange, Thierkopf,
geflügelte Palmette u. s. w. Dann folgten Zierrathen, Reliefs und
ganze freistehende Figürchen auf dem Deckel des Oelbehälters. Bis-
weilen sind mehrere Lampen an den Zweigen einer Pflanze, eines
Baumes, auch wohl an reichen, von einem kleinen Pfeiler ausgehen-
den Zierrathen aufgehängt, wozu eine schön architektonisch gebildete
Basis gehört. (Eine grosse bronzene Lampe christlicher, doch nochb
römischer Zeit in den Uffizien, 14. Schrank, zeigt die spätere Erstar-
rung dieser Form; sie ist als Schiff gestaltet.)
Von den Lampenständern wird man die kleinern als artige kleine
Dreifüsse, als Bäumchen, als elastische Doppelkelche (aufwärts und
abwärts schauend) gebildet finden. Der höhere Lampenträger dagegen
ist der bronzene Candelaber, der hier in einer grossen Menge von
Exemplaren, vom Einfachsten bis zum Reichsten, repräsentirt ist. Der
Stab desselben, fast immer auf drei Thierfüssen mit Pflanzenzierrathen
stehend, ist bald mehr architektonisch als schlanke cannelirte Säule,
bald mehr vegetabilisch als Schilfrohr gebildet. Oben geht er entwe-
der in drei Zweige oder in einen mehr oder weniger reichen Kelch
über, dessen breite obere Platte die Lampe trug. Im Ganzen wird
man kaum ein einfach anmuthigeres Hausgeräth erdenken können.
Auch Figuren als Lampenträger fehlen nicht, z. B. ein Harpocrates,
der in der Rechten einen Lotos mit der Lampe hielt; ein köstlicher
[72]Antike Decoration. Eherne Geräthe.
Silen mit dem Schlauch, hinter welchem ein Bäumchen zwei Lampen
trug; ein Amor auf einem Delphin, über dessen Schweif die Lampe
aschwebte, u. s. w. (Ein Candelaberfuss in den Uffizien, 10. Schrank,
besteht aus drei zusammenspringenden Luchsen mit Masken dazwischen.)
Die Füsse der Geräthe sind ideale und dabei höchst kräftige, doch —
dem Stoffe gemäss — leichte Thierfüsse, welche die Zehen des Löwen
mit dem schlanken Fussbau des Rehes vereinigen. Wie frei die Alten
mit solchen Bildungen umgingen, zeigt der herrliche Altar des dritten
Zimmers, dessen drei Thierfüsse über einem Absatz ebensoviele Sphinxe
und hinter diesen Blumenstengel tragen, auf welchen dann die runde
Platte mit ihrem Fries von Stierköpfen und Guirlanden ruht; unter
sich sind die Füsse durch schöne, schwungreiche Pflanzenbildungen
verbunden.
An den meist aus Pompeji stammenden Helmen und Harnischen
b(viertes Zimmer) findet sich theilweise ein reicher, prachtvoller Relief-
schmuck. Die ganzen Figuren und Geschichten, z. B. verschiedene
Scenen der Einnahme von Ilion, sind mit Recht dem Helm vorbehal-
ten, während Arm- und Beinschienen mit Ausnahme einer vorn ange-
brachten ganzen Götterfigur nur Masken, Adler, Arabesken, Füllhör-
ner etc. darbieten. Andere Helme, von roherer römischer Ausführung,
enthalten bloss Trophäen, Köpfe von Göttern u. dgl. An einem schön
griechischen Brustharnisch (aus Pästum?) wird man das Haupt der
Pallas Athene finden. — Die archäologische Bedeutung dieser beträcht-
lichen Sammlung von Waffen, Pferdezeug u. dgl. darf hier nicht weiter
erörtert werden; genug, dass auch in diesen Werkzeugen des Krieges
cdie schöne antike Formenbildung sich nicht vorläugnet. (Im Museo
patrio zu Brescia der figurirte Brustschild eines Pferdes.)
Im Ganzen darf man immer von Neuem sich wundern, dass ein
Volk, welches seine Zierformen so leicht und meisterhaft bildete, doch
fast durchgängig Maass hielt und des Guten nicht zu viel that. Es
genügt ein vergleichender Blick auf die Renaissance, die sich dessen
nicht rühmen kann, die ihre tragenden Theile im Styl der Flächen
verzierte und an ihren Gefässen vollends nur eine angenehme Pracht
erstrebte, ohne auf eine lebendige Entwicklung bedacht zu sein. Wie
gerne verzeiht man daneben den Pompejanern, wenn sie das Gewicht
an ihrer (römischen) Wage als Satyrskopf, als Haupt des Handels-
[73]Gläserne und irdene Gefässe.
gottes Hermes bildeten. Es kommen noch andere einzelne Spielereien
vor, aber sie machen keinen weitern Anspruch und verdunkeln nicht
das Wesentliche.
Einen interessanten Contrast mit den ehernen Gefässen bieten die
gläsernen dar, deren im dritten Zimmer der „Abtheilung der Ter-a
racotten“ desselben Museums von Neapel eine grosse Sammlung vor-
handen ist. (Meist aus Pompeji.) Diese Gläser sind nicht besser ge-
formt als unsere gemeinen Glaswaaren, weil sie geblasen wurden,
wobei in der Regel nur unbedeutende und leblose Profile zum Vor-
schein kommen können. Das Auge mag sich indess schadlos halten
an einigen Schälchen u. s. w. von schöner lasurblauer Farbe und an
einigen Überresten bunter Millefiori, wenn auch letztere nicht mit den
jetzigen venezianischen Prachtarbeiten wetteifern dürfen.
Von den pompejanischen Gefässen aus gebrannter Erde (im
vierten und fünften Zimmer derselben Sammlung) weisen dagegenb
schon die allergemeinsten eine bessere und edlere Form auf; nur darf
man sie nicht mit den griechischen Vasen vergleichen, von welchen
bei Anlass der Malerei die Rede sein wird. Die vielen Hunderte von
gewöhnlichen Thonlampen haben in ihrem befangenen Stoff noch im-
mer jene schöne Grundform mit den ehernen gemein. Einzelne Stirn-
ziegel in Palmettenform zeigen, wie zierlich selbst an geringen Ge-
bäuden das untere Ende jeder Ziegelreihe des Daches auslief. (Auch
ein Giessmodel für dergleichen ist hier aufgestellt.) — Von thönernen
figurirten Friesstücken findet sich wenigstens eine kleine Auswahl 1).
Einen eigenen klassischen Werth hat sodann die florentinische
Sammlung schwarzer figurenloser Thongefässe (bei den gemal-c
ten Vasen in dem verschlossnen Gang, der von den Uffizien nach Ponte
vecchio führt). Neben mehr willkürlichen etruskischen Formen finden
sich hier die schönsten griechischen Profilirungen, den edelsten Vasen
von Bronze und Marmor im Kleinen und in einem andern Stoffe nach-
geahmt. (Besonders eine Urna unvergleichlich). Sie dienten nicht zum
täglichen Gebrauch, sondern standen wohl in Tempeln und Gräbern.
[74]Christliche Architektur. Basiliken.
Es wurde bereits erwähnt, dass die christliche Kirchenbaukunst
mehr oder weniger sich dem Vorbild der heidnischen Basiliken an-
schloss und die von den Tempeln genommenen Säulen zum Bau ihres
Innern benützte. Die grossen Modificationen, welche den eigenthüm-
lichen Werth der christlichen Basilica ausmachen, sind kurz folgende.
1) Das Innere der heidnischen Basilica war ein zwar länglicher,
aber auf allen vier Seiten von der Säulenhalle umgebener Raum oder
(unbedeckt gedacht) Hof; in der christlichen Kirche wird derselbe zu
einem bedeckten Mittelschiff, und die Halle zu zwei oder vier Seiten-
schiffen, während die Fortsetzung der Halle auf den Schmalseiten (vorn
und hinten) wegfällt oder nur vorn und dann in veränderter Bedeu-
tung, als innere Vorhalle, sich behauptet.
2) Die grosse hintere Nische (Apsis, Tribuna), einst durch die da-
vor hinlaufende Halle theilweise dem Auge entzogen, wird jetzt ge-
radezu das Ziel aller Augen, indem sich darin oder zunächst davor
der Altar erhebt. Die Längenperspective wird damit das Lebensprin-
cip der ganzen Basilica und damit der meisten abendländischen Kirchen
überhaupt.
3) In den wichtigern Basiliken entsteht vor der Nische ein Quer-
schiff von gleicher oder fast gleicher Höhe mit dem Hauptschiff, zur
Aufnahme bestimmter Classen von Anwesenden (Geistliche, Beamte,
Matronen etc.). Ein besonderer grosser Bogen (der Triumphbogen)
auf Säulen bildet den Übergang aus dem Hauptschiff ins Querschiff.
4) Die Errichtung eines obern Stockwerkes, in den heidnischen
Basiliken beinahe Regel, wird hier zur Ausnahme (S. Agnese, S. Lo-
renzo fuori le mura, SS. Quattro Coronati in Rom). Die Obermauer
[75]Grundzüge des Basilikenbaues.
des Mittelschiffes wird theils mit Malereien bedeckt, theils mit grossen
(jetzt meist vermauerten oder umgestalteten) Fenstern durchbrochen.
Die ursprünglichen reichgeschmückten Flachdecken sind sämmtlich
untergegangen; an einigen Kirchen ist noch das mittelalterliche Sparren-
werk des Daches erhalten; die meisten tragen moderne Decken oder
Scheingewölbe.
5) An den Basiliken von Ravenna kömmt zuerst regelmässig die
Anordnung von zwei Nebennischen rechts und links von der Haupt-
nische vor.
6) Die Aussenwände blieben meist schlicht und glatt (in Ravenna
schüchterne Anfänge einer Eintheilung, durch vortretende Wandstrei-
fen mit Rundbogen, auch frühe schon eigentliche Bogenfriese). Was
etwa, z. B. von Consolen am Obergesimse vorkömmt, ist von antiken
Gebäuden entlehnt. (Apsis von S. Cecilia in Rom.) Die Fassade er-a
hielt eine Vorhalle, wovon unten die Rede sein wird; die Thüren hatten
wohl in der Regel antike Pfosten; die Obermauer wahrscheinlich eine
Decoration von kostbaren Marmorplatten, auch wohl schon frühe von
Mosaik.
7) Im Innern ist die Säulenstellung je älter desto dichter und desto
gleichmässiger (letzteres aus dem Seite 27, b, angegebenen Grunde). Die
alte Peterskirche hatte über den Säulen ein gerades Gebälk, der alte
Lateran und die alte Paulskirche Bogen; S. Maria Maggiore hat noch
ihr gerades Gebälk — sämmtlich Bauten des IV. und V. Jahrhunderts.
Von da an überwiegen die Bogen (Ausnahme: das Untergeschoss derb
alten Kirche von S. Lorenzo fuori) und bilden in Ravenna die aus-
schliessliche Form; erst im XI. bis XIII. Jahrhundert kommt wieder
in einzelnen römischen Beispielen (S. Maria in Trastevere, S. Criso-
gono, die neuere Kirche von S. Lorenzo fuori) das gerade Gebälk und
anderwärts sogar der Flachbogen vor (Dom von Narni und Vorhalle
der Pensola ebenda).
8) In Rom setzen in der Regel die Bogen unmittelbar über dem
Säulencapitäl an; in Ravenna schiebt sich ein trapezförmiges Zwischen-
stück ein, welches durch seine barbarische Bildung das richtige Grund-
gefühl wieder verdunkelt, welches hier ein Zwischenglied verlangte.
Die Alten hatten wenigstens bei ihren vortretenden Säulen auch das
betreffende Gebälkstück vortreten lassen, und als Brunellesco die alte
[76]Christliche Architektur. Basiliken.
Baukunst wieder zu erwecken suchte, war die Herstellung desselben
sein Erstes.
Die meisten Basiliken haben so starke Veränderungen erlitten,
dass man nur mit Mühe sich den ursprünglichen Eindruck vergegen-
wärtigen kann. Da diese ganze Bauweise, mit der hohen Obermauer
über den Säulen, einem starken Erdbeben nicht leicht widerstand, durch
ihr hölzernes Dachwerk den Feuersbrünsten unterworfen war und auch
ohne dieses durch ihre eigene Leichtigkeit zum Umbau einlud, so sind
gewiss eine Menge Basiliken im Lauf der Zeit eingestürzt oder aus-
einandergenommen und grossentheils mit Benützung der alten Bau-
stücke wieder zusammengesetzt worden. Ausserdem ergaben sich Zu-
und Anbauten aller Art, Capellen, welchen zu Liebe alle Wände
durchbrochen wurden, neue Apsiden (zum Theil weil man Fenster
brauchte), neue Fassaden je nach dem Styl des Jahrhunderts u. dgl.
Zuletzt nahm sich nur zu oft der Barockstyl dieser baufälligen Kir-
chen an, schloss ihre Säulen halb oder ganz in seine Pfeiler ein und
überzog, was noch vom alten Bau übrig war, „harmonisch“ mit seinen
Stuccaturen; namentlich waren ihm die alten Decken und gar das
sichtbare Sparrenwerk zuwider; im glücklichsten Fall nahmen über-
reich vergoldete Flachdecken, nur zu oft aber verschalte Gewölbe mit
modernen Ornamenten deren Stelle ein. Das Vermauern der Fenster
oben im Mittelschiff wurde so zur Regel, dass keine Basilica mehr
ihr volles altes Oberlicht geniesst. Höchstens den Mosaikboden aus-
genommen, wollte kein altchristliches oder mittelalterliches Detail mehr
zu dem modernen System der Altäre, der Chorstühle, der Wandma-
lereien passen; das Alte musste weichen. So giebt es nun durch
ganz Italien eine Menge Kirchen aus dem ersten Jahrtausend und den
beiden nächsten Jahrhunderten, welche noch ihre antiken Säulen mehr
oder weniger kenntlich aufweisen und auf den sonst als Ehrentitel
gebrauchten Namen Basilica der Kunstform halber Anspruch machen,
dabei aber einen überwiegend modernen Eindruck hervorbringen.
Wir wollen nur kurz andeuten, wie man die ursprüngliche Ge-
stalt der reichern Basiliken in Gedanken zu restauriren hat.
Vor Allem gehört dazu ein viereckiger Vorhof mit Hallen ringsum,
[77]Vorhallen. Fassaden. Mosaiken.
dessen vorderer Eingang nach aussen noch eine besondere kleine ge-
wölbte Halle mit zwei vortretenden Säulen hatte. (Diese kleine Halle
erhalten an S. Cosimato in Trastevere — IX Jahrhundert? — und ana
S. Clemente, sowie an S. Prassede in Rom — XII. Jahrhundert.) Vonb
den vier Seiten des Porticus bildete die eine den Vorraum der Kirche
selbst; in der Mitte des Hofes stand der Weihebrunnen. Erhaltene
vierseitige Portiken an den Domen von Capua und Salerno, an leztermc
aus dem XI. Jahrhundert, auf schönen und gleichförmigen Säulen vond
Pästum; in Rom hat nur das späte S. Clemente — XII. Jahrhundert —e
noch den unversehrten Porticus, theils auf Säulen theils auf Pfeilern;
in Mailand stammt die Vorhalle von S. Ambrogio, gewölbt auf Pfeilernf
mit Halbsäulen, wahrscheinlich aus der Zeit Ludwigs des Frommen.
Spätere Klostervorhallen geben eine ziemlich genaue Anschauung von
dieser Bauweise. Sehr viele Basiliken hatten indess nur eine Vor-
halle längs der Fassade und diese hat sich in manchen Beispielen
sammt ihrem meist geraden, nicht selten mosaicirten Gebälk erhalten;
so z. B. in Rom an S. Cecilia, S. Crisogono, S. Giorgio in Velabro,g
S. Giovanni e Paolo, S. Gregorio, S. Lorenzo fuori, S. Lorenzo inh
Lucina, an SS. Quattro Coronati in einem Umbau des XII. Jahrhun-i
derts und an S. Saba mit einem obern Stockwerk; ausserhalb Romsk
z. B. am Dom von Terracina, am Dom von Amalfi (Doppelreihe vonl
Säulen mit normannisch-saracenischen Spitzbogen und Gewölben); in
Ravenna nimmt ein geschlossener und gewölbter Vorbau die Stelle der
Vorhalle ein, z. B. am S. Apollinare in Classe.m
Von den Fassaden ist vielleicht keine einzige mit ihrem ursprüng-
lichen oder ursprünglich beabsichtigten Schmuck erhalten; denn die
Mosaiken, die man an der Fronte von S. Maria Maggiore noch siehtn
und an derjenigen von S. Paul sah, sind und waren Werke der Zeit
um 1300. Wir bleiben auf die oben angegebenen Vermuthungen be-
schränkt.
Im Innern, dessen Austattung unverhältnissmässig überwog, wurde
vor Allem der reichste farbige Schmuck erstrebt, womöglich durch
Mosaikbilder, welche die Oberwände des Mittelschiffes, die Wand des
Triumphbogens (bisweilen schiffwärts und nischenwärts) und die Apsis
sammt ihrer Umgebung überzogen. Auch der Boden erhielt Mosaik-
ornamente (die freilich in ihrer jetzigen Gestalt meist erst aus dem XI.
[78]Christliche Architektur. Basiliken.
und den folgenden Jahrhunderten stammen, wovon unten), und die Wände
der Seitenschiffe wenigstens unten einen Überzug mit kostbaren Stein-
arten aus den Ruinen des alten Roms. Die baulichen Details mussten
neben der starken Farbenwirkung dieses Schmuckes, namentlich auch
des Goldgrundes, Wirkung und Werth verlieren und sich bald auf
das Allernöthigste beschränken. Die Capitäle wurden, wo man keine
antiken vorräthig hatte, bisweilen aus orientalischen Bauhütten bezo-
gen; namentlich in Ravenna wird man oft einem sonderbar umgestal-
teten korinthischen Capitäl mit kraftlosem aber zierlich geripptem und
ausgezacktem Blattwerk begegnen, dessen Stoff — proconnesischer
Marmor von der Propontis — seine Herkunft verräth. (V. und VI.
Jahrhundert.) Hart daneben tritt aber auch ein schon ganz lebloses,
muldenförmiges Capitäl auf, in welches kalligraphische Zierrathen bloss
flach eingemeisselt sind, und welches sich unter dem oben bezeich-
neten trapezförmigen Aufsatz besonders roh ausnimmt. (Jetzt in man-
chen Basiliken neue Capitäle und Gesimse von Stucco über den alten.)
Die grosse perspectivische Wirkung des Ganzen war nicht zu
jeder Zeit, sondern nur in besonders feierlichen Augenblicken zu ge-
niessen, indem eine unglaubliche Masse von Vorhängen die einzelnen
Räume von einander abschloss. Dieselben begannen schon mit der
akleinen äussern Vorhalle (an derjenigen von S. Clemente und anderswo
sind noch einige Ringe an der eisernen Stange sichtbar), umzogen dann
den ganzen vierseitigen Porticus, theilten das Hauptschiff zwei bis drei-
mal in die Quere, gingen an den Colonnaden von Säule zu Säule und
machten vollends den Altarraum zu einem unsichtbaren Allerheiligsten.
Am Tabernakel mancher Altäre sind überdies noch besondere Stangen
und Ringe von den ehemaligen Vorhängen zu bemerken, welche alle
vier Seiten des Altares zu verhüllen bestimmt waren. Die Querbal-
ken und Stangen, welche dieses oft kostbar gestickte Tuchwerk trugen,
scheinen laut den Nachrichten mit Heiligenbildern geschmückt gewesen
zu sein; ausserdem dienten sie wohl auch dem Bau selber als Veran-
kerungen oder Schlaudern.
Von den einzelnen Ziergegenständen, den Thronen, Lesepulten,
Predigtkanzeln, Osterkerzensäulen u. s. w. ist das Meiste erst seit dem
XI. Jahrhundert gearbeitet (siehe unten). Wir müssen hier nur zwei
Dinge erwähnen, welche ihre bleibende Gestalt schon in altchristlicher
[79]Altäre. Chorus.
Zeit erhalten haben mögen. Zunächst die Altäre, deren bis ins IX.
Jahrhundert jede Kirche nur einen hatte. Sie sind sämmtlich so ein-
gerichtet, dass der Priester dahinter steht und sich mit dem Angesicht
gegen die Gemeinde wendet. Über ihnen erhebt sich mit vier Säulen
(wozu man immer die kostbarsten Steine nahm, die zu haben waren)
der Tabernakel, dessen oberer Theil oder Baldachin einen besondern
kleinen Zierbau bildet (obere Säulchenstellung, kleine Kuppeln u. dgl.
auch wohl einfache Giebel). Alte Beispiele sind in S. Lorenzo fuori 1),a
und in S. Giorgio in Velabro zu Rom erhalten; ein späteres in S. Cle-b
mente; eines aus dem IX. Jahrhundert in S. Apollinare in Classec
bei Ravenna (im linken Seitenschiff), und eines aus dem XII. Jahr-
hundert (wenn nicht älter) in S. Anastasia zu Rom; auch die zweid
Seitenaltäre des Domes von Terracina haben noch ihre ursprünglichee
Form (XII. Jahrhundert?). An sehr vielen Altären aber sind nur noch
die vier Säulen alt.
Sodann war die Einrichtung des sog. Chorus, welche nur noch
in S. Clemente zu Rom deutlich erhalten ist, eine Eigenthümlichkeitf
der alten kirchlichen Anordnung, wenn auch nicht der urchristlichen.
Ein viereckiger Raum gegen Ende des Mittelschiffes, um eine oder
wenige Stufen erhöht und mit marmornen Schranken umschlossen,
diente zur Aufstellung der psallirenden Priesterschaft 2); an seinen bei-
den Seiten waren die Lesepulte (Analogia) angebracht, links (vom
Altar aus gerechnet) dasjenige für die Epistel, rechts dasjenige für
das Evangelium.
Überblickt man das Ganze dieser neuen Kunstschöpfung, so fehlt
ihr wesentlich das organische Leben, welches die Glieder eines Baues
in einen harmonischen Zusammenhang bringen soll. Die Benutzung
antiker Baureste, an die man sich einmal gewöhnt hatte, ersparte zu-
dem den folgenden Baumeistern die eigenen Gedanken, und so bleibt
ihre Kirchenform bis ins XIII. Jahrhundert stationär, während in Ober-
italien und im Norden schon längst entscheidende neue Bauprincipien
[80]Christliche Architektur. Basiliken.
in Übung sind und während die verfügbaren antiken Säulen u. s. w.
bereits auf das Empfindlichste abnehmen. Die einzige wesentliche Ver-
änderung in dieser langen Zeit besteht in einem stärkern Verhältniss
der Höhe zur Breite in den römischen Basiliken des zweiten Jahrtau-
sends. Rom überliess es dem Ausland, aus dem grossen urchristli-
chen Gedanken des perspectivischen Langbaues die weitern Conse-
quenzen zu ziehen. Nach einer Reihe von Umbildungen, die in der
Kunstgeschichte zuerst nach Jahrhunderten, später nach Jahrzehnden
nachzuweisen sind, ging aus der Basilica ein Kölner Dom hervor.
Wenn nun aber auch dieser Bauform jede eigentliche Entwick-
lung fehlt, wenn sie die antiken Überbleibsel in einem ganz andern
Sinne aufbraucht als für den sie geschaffen sind, so giebt sie doch
grosse, einfache Motive und Contraste. Die colossale halbrunde Nische
als Abschluss des quadratischen Ganzen und des langen geraden Haupt-
schiffes hatte vielleicht in keinem antiken Gebäude so hochbedeutend
wirken dürfen. Überdiess lernt man den Werth grosser antiker Colon-
naden, welche ja fast sämmtlich diesen und ähnlichen Zwecken auf-
geopfert wurden, geradezu nur aus den christlichen Basiliken kennen.
Wer Sanct Paul vor dem Brande mit seinen vier Reihen von je zwan-
zig Säulen phrygischen und numidischen Marmors gesehen hat, ver-
sichert, dass ein architektonischer Anblick gleich diesem auf der Welt
nicht mehr vorhanden sei.
Nicht unwesentlich für die Grössenwirkung erscheint es auch, dass
alle Zierbauten im Innern, der Altar sammt Tabernakel, die Kanzeln,
Pulte u. s. w. ziemlich klein gebildet wurden, d. h. nicht grösser als
der Gebrauch es verlangte. Die Decoration der Barockzeit glaubte
diese Stücke in einem vermeintlichen „Verhältniss“ zu der Grösse des
Baues bilden zu müssen, während sie doch nur zu der Grösse des
Menschen, der sie bedienen, besteigen etc. soll, in einem natürlichen
Verhältniss stehen. Bernini’s Riesentabernakel in S. Peter, die Riesen-
kanzeln im Dom von Mailand und andere Verirrungen dieser Art wer-
den dem Reisenden nur zu nachdrücklich in die Augen fallen.
Von den Basiliken Roms zählen wir hier nur diejenigen auf, in
welchen das Ursprüngliche noch kenntlich vorherrscht.
[81]Römische Basiliken des IV. bis VII. Jahrhunderts.
S. Paul (IV. Jahrhundert) wird mit seinen jetzigen Säulen von Sim-a
plongranit und mit seinen höchst colossalen Verhältnissen das Wesent-
liche des Eindruckes einer Basilica ersten Ranges immer am getreu-
sten wiedergeben, leider getrübt durch die höchst willkürliche moderne
Decoration des Querschiffes (und, wir fürchten, auch des Langbaues,
wenn derselbe vollendet sein wird). Man halte sich an die Räumlich-
keit und die Hauptformen.
S. Maria maggiore (V. Jahrhundert) mit wahrscheinlichb
eigens gearbeiteten, nicht entlehnten ionischen Säulen und geradem
Gebälk. Die Pilaster der Oberwand sind in ihrer jetzigen Gestalt und
vielleicht überhaupt modern, die Apsis im XIII. Jahrhundert umge-
baut. Die schöne, feierliche Wirkung beruht wesentlich auf dem aus-
schliesslichen Oberlicht. Die (beste vorhandene) Renaissancedecke vom
Ende des XV. Jahrhunderts.
S. Sabina (V. Jahrhundert) ebenfalls von schönem, ursprüngli-c
chem Eindruck, der nur wenig gestört wird. Die Vorhalle gegen das
Kloster hin im XII. Jahrhundert so gestaltet, wie sie jetzt ist.
S. Pietro in vincoli (V. Jahrhundert) hat durch den Umbaud
der Obermauer des Mittelschiffes seine alte Herrlichkeit eingebüsst,
von der noch die mächtige Apsis und die Anordnung des Querschiffes
Zeugniss geben. — S. Prisca (V. Jahrhundert?) zeigt wenigstens noche
die alte Disposition.
San Lorenzo fuori le mura gewährt in seinem ältern Theilf
(VI. Jahrhundert) zunächst eine reiche Sammlung antiker Baufragmente,
selbst aus der besten Zeit. Diese ältere Kirche, zweistöckig, unten mit ge-
radem Gebälk, oben mit Bogen, hatte ihre Nische da, wo im XIII. Jahr-
hundert die neuere Kirche, welcher sie jetzt als Chor dient, angebaut
wurde. Bei diesem Anlass wurde ihr ursprünglicher Boden, der sonst
tiefer als die neue Kirche gelegen hätte, beträchtlich erhöht und mit
Balustraden im sog. Cosmatenstyl (s. unten) versehen. Der Werth ist
wesentlich ein malerisch-phantastischer.
S. Agnese, eine Miglie vor Porta Pia (VII. Jahrhundert) giebtg
den Eindruck einer Basilica mit Obergeschoss am schönsten und rein-
sten; die Halle ist hier wie in S. Lorenzo als nothwendiger Verbin-
dungsgang für das obere Stockwerk auch vorn herumgeführt. Unter
den antiken Säulen sind zwei mit vielfach profilirter Cannelirung auf-
B. Cicerone. 6
[82]Christl. Architektur. Röm. Basiliken. VII. bis IX. Jahrh.
fallend. — Als Ganzes eines der besten Gebäude des frühern Mittel-
alters, so dass die Abwesenheit alles organischen Lebens in Gesimsen
u. dgl. gerade hier am deutlichsten fühlbar wird.
S. Giorgio in Velabro (VII. Jahrhundert), auf 16 Säulen;
die Vorhalle angeblich IX., eher XII. Jahrhundert.
SS. Quattro Coronati; von dem Bau des VII. Jahrhunderts
ist noch die gewaltige Nische ein Zeugniss; nach einer Zerstörung im
Jahre 1085 rückte man im XII. Jahrhundert die Säulen der einst ziem-
lich grossen Kirche enger und kürzer zusammen und errichtete ein
oberes Stockwerk, das sich in Logen gegen das jetzige Hauptschiff
öffnet. Reste der alten Colonnade kamen so in den Vorhof zu stehen.
c— S. Giovanni a Porta Latina (VIII. Jahrhundert) unbedeutend.
d— S. Maria in Cosmedin (VIII. Jahrhundert) weniger durch die
schon kümmerlichen Verhältnisse als durch die in Hauptmauern und
Vorhalle verbauten Tempelreste merkwürdig, sowie durch eine Crypta,
welche eine ältere Kirche zu sein scheint.
Die grosse Kirche Araceli auf dem Capitol, aus unbekannter
Zeit, doch der ziemlich gleichmässigen Säulen wegen wohl noch aus
dem ersten Jahrtausend. Mit den Zuthaten aus allen spätern Zeiten
zwar von bunter, aber noch immer imposanter Wirkung.
S. Lorenzo in Borgo veechio hat nur noch die antike Säu-
lenstellung.
SS. Nereo ed Achilleo (um 800), mit achteckigen Pfeilern,
die indess vielleicht erst im XVI. Jahrhundert die Stelle der alten
Säulen einnahmen; um der Zuthaten willen (alte Altäre, Schranken,
Nischensitz, Candelaber, Mosaik) immer sehenswerth.
S. Marco (IX. Jahrhundert) sehr modernisirt; die Vorhalle von
Giul. da Majano; die Decke ebenfalls einfach schöne Renaissance. —
iS. Maria della Navicella (IX. Jahrhundert); für diese Zeit von
guten Verhältnissen; die Vorhalle von Rafael; der grau in grau ge-
malte Fries im Innern von Giulio Romano und Perin del Vaga.
S. Martino ai Monti (IX. Jahrhundert), eine der prächtigsten
Basiliken Roms, mit geradem Gebälk, aber in ihrer jetzigen Gestalt
wesentlich ein Werk des XVII. Jahrhunderts; namentlich ist das Ge-
bälk über den Säulen stark überarbeitet. — Die links vom Chor ge-
[83]Römische Basiliken des IX. bis XIII. Jahrhunderts.
legene, jetzt fast unterirdische Pfeilerhalle soll vom heil. Sylvester zur
Zeit Constantins als Kirche erbaut sein, woran zu zweifeln ist.
S. Saba (wahrscheinlich IX. Jahrhundert) mit räthselhaften An-a
bauten und doppelter Vorhalle.
S. Prassede (IX. Jahrhundert), ein merkwürdiger Versuch, inb
das Organische einzulenken; grosse Backsteinbögen überspannen das
Mittelschiff; dazwischen je drei Intervalle und zwei Säulen mit gera-
dem Gebälk. Der Vorbau, sehr entstellt, hat doch noch seinen klei-
nen Aussenporticus.
S. Niccolò in Carcere, aus unbekannter Zeit; merkwürdig durchc
die hineinverbauten Reste dreier Tempel. (Neuerlich fast von Grund
aus restaurirt.) — S. Bartolommeo auf der Tiberinsel (um 1000)d
hat fast nichts Ursprüngliches mehr als die Säulen.
S. Clemente, in seiner jetzigen Gestalt aus dem XII. Jahrhun-e
dert, ist als Basilica unbedeutend, aber durch die vollständige Erhal-
tung der Vorhalle und der Anordnung des Innern (Chorus, Lesepulte,
Altar und Schmuck der Nische) von classischem Werthe. Das Ran-
kenwerk der Apsis, hier auf Goldgrund, ist indess nur ein Nachklang
des unten zu erwähnenden, in der Vorhalle des lateranischen Bapti-
steriums.
S. Maria in Trastevere (XII. Jahrhundert) mit geradem Ge-f
bälk auf ungleichen Säulen (vgl. S. 27) und mit erhöhtem Querschiff;
mit historisches Architekturbild von grosser Wirkung, zumal im Nach-
als tagslicht.
S. Crisogono (XII. Jahrhundert), dessgleichen mit geradem Ge-g
bälk; trotz starker Erneuerungen ein edler Raum, der den Basiliken-
bau von der guten Seite zeigt.
Der Neubau von S. Lorenzo fuori le mura (Anfang desh
XIII. Jahrhunderts), welchem der alte Bau als Chor dient; — eben-
falls gerades Gebälk; bedeutende Dimensionen; ohne Zweifel ein Werk
der äussersten Anstrengung, weil es sich um eine der Patriarchalkir-
chen handelte, und somit maassgebend für die römische Kunst unmit-
telbar nach Innocenz III. — Die Vorhalle sehr geräumig und für star-
ken Besuch berechnet.
Wie wenig man sich aber zu helfen wusste, wenn keine Säulen
mehr vorräthig waren, zeigt die gleichzeitige Kirche SS. Vincenzoi
6*
[84]Christliche Architektur. Basiliken. Campanili.
ed Anastasio alle tre fontane, eine halbe Stunde ausserhalb
S. Paul. Es giebt aus jener Zeit, welche in Toscana ein Baptisterium
von Florenz, ein S. Miniato schuf, vielleicht gar kein missgeschaffne-
res Gebäude als diese Pfeilerkirche. (Die Fenster sind mit Marmor-
platten verschlossen, welche Reihen kleiner runder Öffnungen enthalten.)
Wo der gänzliche Mangel an antiken Säulen die Baumeister schon
frühe genöthigt hatte, mit eigenen Mitteln das Mögliche zu leisten, da
erscheinen sie viel selbständiger. Und zwar bis an die Thore von
aRom. Die Cathedrale von Viterbo (XII. Jahrhundert?) mit eigens
gefertigten, gleichmässigen und stattlichen Säulen, bringt auch wieder
einen eigenthümlichen Eindruck hervor; vollends steht die schöne
bS. Maria in Toscanella (1206) an Schwung der Formen den edlern
ctoscanischen Bauten parallel. (Andere Basiliken freilich, in Viterbo
selbst, in Montefiascone, Orvieto, Foligno u. s. w. sind sehr
dformlos und roh 1); der Dom von Narni und die Vorhalle der dortigen
Kirche Pensola haben die schon erwähnten wunderlichen Flachbogen.)
Die Campanili (Glockenthürme) mehrerer Basiliken und auch
späterer Kirchen Roms gewinnen durch ihre schöne landschaftliche
Wirkung einen höhern Werth als durch ihre Kunstform. Auch sie
sind oft aus antiken Trümmern errichtet; manche Simse, welche die
einzelnen Stockwerke scheiden, die Säulchen, welche die meist drei-
bogigen Fenster stützen, auch die Platten von Porphyr, Verde antico
u. dgl., welche als harmlose Verzierung in die Wände eingelassen sind
und von dem sonstigen Ziegelwerk wunderlich abstechen, sind aus
den Ruinen des alten Roms entlehnt. Hie und da entwickelt sich aus
dem Backsteinbau selbst durch Verschränkung und Schrägstellung der
Ziegel ein neues primitives Gesimse. Von irgend einer Verjüngung
oder organischen Entwicklung ist keine Rede, kaum hie oder da von
einem Vortreten der Ecken. Der Effect hängt wesentlich von der
[85]Basiliken von Ravenna.
Umgebung ab, und es ist kritisch, das Motiv ohne Weiteres auf an-
dern Boden zu verpflanzen. (Die interessantesten: an S. Maria ina
Cosmedin, S. Giovanni e Paolo etc. Das Motiv im Geist der Renais-b
sance umgedeutet: an S. Spirito.)
Unter den Basiliken Ravenna’s ist seit dem Umbau des Domes
nur eine von erstem Rang übrig:
S. Apollinare in Classe, eine starke Miglie vor der Stadt,c
begonnen nach 534, geweiht 549, also aus der Zeit des Unterganges
der Ostgothenherrschaft. Sie vereinigt alle bezeichnenden Eigenschaf-
ten der ravennatischen Basiliken: den geschlossenen Vorbau statt der
Vorhalle, die äussere Eintheilung der Wände mit Bogen und Mauer-
streifen, die für Ort und Stelle gearbeiteten, nicht entlehnten Säulen,
die Abwesenheit des Querschiffes, den runden isolirten Thurm. Vor
Allem aber ist es ein herrlicher, weiträumiger Bau, die Säulen von
grauem, weissgeadertem Marmor mit einer eigenthümlichen Art von
Compositacapitälen, die sonst an den wenigen erhaltenen Säulen der
Herculesbasilica (auf dem grossen Platz in Ravenna) vorkommen; died
Piedestale mit einer rautenförmigen Verzierung. In der Tribuna ist
noch ringsum das Gesimse mit Blätterfries erhalten, das keine grössere
römische Kirche mehr in echter Gestalt aufweist. (Die zwei Seiten-
tribunen scheinen neuer.) Die Details im Schiffe beträchtlich moder-
nisirt; der sichtbare Dachstuhl noch aus dem frühern Mittelalter.
Von den übrigen Basiliken sind mehr oder weniger erhalten:
S. Agata (417), mit Einer Tribuna, schon sehr byzantinischene
Capitälen, einer durch einen Bogen vom Schiff getrennten innern Vor-
halle, äusserm Vorbau und rundem Thurm.
S. Giovanni Evangelista (425), bedeutend erneuert, zumalf
der Hinterbau; die Capitäle hier vielleicht von einem ältern Gebäude,
gut korinthisch; eine Crypta (ursprünglich?).
S. Francesco (um 450), mit drei Tribunen, die Capitäle modern.g
Am Dom hat der Umbau des vorigen Jahrhunderts (in tüchtigemh
Barockstyl) die ehemalige fünfschiffige Basilica gänzlich zerstört, den
alten isolirten Rundthurm aber verschont.
S. Maria maggiore, sehr verbaut, mit rundem isolirtem Thurm.i
[86]Christl. Architektur. Basiliken v. Ravenna u. Lucca.
S. Teodoro (oder S. Spirito), aus der Zeit Theodorichs des
Grossen, beim Baptisterium der Arianer (s. unten). — Die schon er-
wähnte Herculesbasilica war, nach den Überresten zu urtheilen, wohl
kein kirchliches Gebäude.
S. Apollinare nuovo, die bedeutendste Basilica in der Stadt,
mit rundem Thurm; die Nebentribunen verbaut; die 24 Säulen aus
Constantinopel mit besonders bezeichnenden, fast ganz gleichen Capi-
tälen; das Gesimse über den Bogen alt. Grossartiges, trefflich erhal-
tenes Mosaikensystem an den Obermauern des Mittelschiffes.
Später und schon mehr mittelalterlich als diese ravennatischen
cKirchen: der Innenbau von San Frediano in Lucca (VII. Jahrhun-
dert?), ursprünglich fünfschiffig, jetzt durch Capellen verengt. Die
Capitäle theils aus römischer Zeit, theils den römischen ohne Verwil-
derung nachgebildet, mit dünner Platte; die Bogen noch ohne Über-
höhung. Der auffallend hohe Oberbau, die Fassade und die jetzige
Tribuna werden einem Umbau des XII. Jahrhunderts wohl mit Recht
zugeschrieben, allein die beiden letztern mit ihren geraden Gebälken
über den Wandsäulchen, und die Aussenseiten der Nebenschiffe mit
ihren Consolen und Wandstreifen (statt Bogenfriesen und Pilastern)
weichen so weit von dem pisanisch-lucchesischen System des XII. Jahr-
hunderts ab, dass man annehmen dürfte, der Umbau habe etwa die
Formen der alten Kirche reproducirt. Gerade diese abweichenden
Elemente sind aber das Wohlgefälligste am ganzen Gebäude und ein
vielleicht fruchtbringendes Motiv für unsere Baukunst. Schon Brunel-
lesco hat die genannte Eintheilung der Seitenwände an der Kirche der
Badia bei Fiesole unverholen nachgeahmt.
Der Innenbau von S. Micchele in Lucca gilt ebenfalls für sehr
alt (VIII. Jahrhundert), wenigstens sind die Säulen und Capitäle noch
denen von S. Frediano ähnlich behandelt.
Der Dom von Triest, eine ausgedehnte, ziemlich unscheinbare
Basilica (VI. Jahrhundert?) lohnt doch die Mühe des Besteigens wegen
der eigenthümlichen Verbindung der Kirche mit dem Baptisterium und
[87]Basiliken im übrigen Italien.
einem andern alten Anbau und wegen der Mosaiken. Sodann schlum-
mert hier, hoch über dem adriatischen Meer, zwischen den Akazien-
büschen die Asche desjenigen Mannes, welchem die Kunstgeschichte
vor allen Andern den Schlüssel zur vergleichenden Betrachtung, ja
ihr Dasein zu verdanken hat.
Wir schliessen noch eine Anzahl von Basiliken hier an, welche
mit Ausnahme ihrer antiken Säulen nicht mehr viel kenntliches Alter-
thum aufweisen; vielleicht ist selbst die jetzige Aufstellung der Säulen
nicht mehr durchgängig die der ursprünglichen Kirchen.
S. Alessandro in Fiesole, hat nur noch seine ionischen Säulen;a
angeblich VI. Jahrhundert.
S. Pietro de’ Cassinensi in Perugia, ebenfalls ionisch und starkb
verändert.
Der Dom von Terracina, mit modernisirten Capitälen; Vorhallec
mit ionischen, durch Pfeiler verstärkten, auf Doppelthieren ruhenden
Säulen, über welchen ein Mosaikfries und über diesem offene Spitz-
bogen (XII. Jahrhundert?). Der Glockenthurm mit Säulchenstellungen
bekleidet, welche kleine Spitzbogen tragen; ähnlich ein Thurm in
Velletri.
Der Dom von Sessa (bei S. Agata), mit korinthischen Säulen undd
einer gewölbten Vorhalle auf Pfeilern. Am mittlern der drei Bogen
sind in der Hohlkehle biblische Geschichten eingemeisselt; ein schwa-
cher Nachklang nordischer Portalbauten.
Der Dom von Capua, mit dem schon erwähnten stattlichen Vor-e
hof, dessen Bogen auf antiken korinthischen Säulen ruhen. Im Innern
Basilica mit geradem Gebälk; corinthische Capitäle aus christlicher
Zeit, an die ravennatischen erinnernd. Unter dem Chor eine merk-
würdige Crypta mit einem Grab Christi, offenbar erst aus der Zeit der
Normannen und der Kreuzzüge.
Sodann die erweislich erst normannischen Basiliken:
Der Dom von Amalfi, als malerischer Gegenstand bedeutenderf
denn als Kunstwerk; die Säulen des Innern zu Pfeilern modernisirt,
Die phantastische Vorhalle (überhöhte Spitzbogen mit Gewölben auf an-
tiken Säulen), der Thurm und der Kreuzgang sind kleine Specimina
[88]Christliche Architektur. Normannische Basiliken.
jenes normannisch-saracenischen Styles, von welchem der Dom von
Monreale in Sicilien das Prachtbeispiel ist. Der Spitzbogen ist hier
als rein decoratives Element von den Saracenen entlehnt, noch nicht
wie später im Norden aus constructiver Nothwendigkeit erwachsen.
Die Crypta reich modernisirt.
Der Anbau links am Dom von Neapel, die alte Kirche S. Re-
stituta, eine Basilica mit Spitzbogen; vielleicht ist die Tribuna und
jedenfalls ein Gewölbe daneben rechts (das alte Baptisterium) aus viel
früherer Zeit; das letztere noch mit Mosaikresten etwa des VII. Jahr-
hunderts.
Als Robert Guiscard den Dom von Salerno baute (um 1070),
fanden sich wahrscheinlich keine Säulen vor, welche der beabsichtig-
ten Grösse und Pracht genügt hätten; die Kirche wurde auf Pfeilern
mit Ecksäulen errichtet. (Bis ins Unkenntliche modernisirt, auch die
grosse Crypta; von den drei Tribunen nur eine besser erhalten.) Der
Vorhof mit überhöhten Bogen auf den schönen Säulen von Pästum;
der Thurm daneben mit Ecksäulen wie derjenige zu Amalfi.
Unsere Aufzählung (die nur die wichtigern Kirchen umfasst) muss
da innehalten, wo die Benützung der antiken Säulen aufhört. Sobald
man die Säulen besonders arbeiten und zusammensetzen muss, beginnt
von selbst ein anderer Styl, dessen Anfänge roh aussehen, gleich-
wohl aber eine Befreiung vom schwersten stofflichen Zwang mit sich
führen.
Neben der Basilikenform, deren Lebensprincip die Längenper-
spective ist, behauptet auch der Centralbau eine wichtige Stelle.
Italien bietet eine Anzahl verschiedenartiger Versuche dieser Gattung
aus den frühern christlichen Jahrhunderten. Für Baptisterien (Tauf-
kirchen, welche von jeder bischöflichen Kirche unzertrennlich waren)
mochte diese Form wohl die passendste sein; für eigentliche Kir-
chen aber, d. h. für den Altardienst nur dann, wenn man den Altar
wirklich in den mittlern Hauptraum als in die feierlichste Stätte des
ganzen Gebäudes verlegte. Dies konnte man aber nirgends über sich
gewinnen; in Gebäuden, welche eigentlich kein Ende, sondern nur
einen Mittelpunkt und eine Peripherie haben, wurde ein besonderes
[89]Centralbau. Baptisterien.
Ende in Gestalt einer Nische u. dgl. für den Altar eingerichtet und
so für die Gemeinde die von andern Kirchen her gewohnte Längen-
perspective hergestellt. Dieser Widerspruch benimmt den betreffenden
Kirchen gewissermassen die höhere Weihe; das schöne Gebäude und
dann der Altarraum sind zwei verschiedene Dinge.
Abgesehen hievon ist aber der Centralbau eines so vollkommenen
Abschlusses in sich, einer so grossen monumentalen Ausbildung fähig,
dass selbst die weniger geschickten Lösungen dieser Aufgabe immer
ein hohes Interesse erregen.
Für die Baptisterien, welche hier vorweg zu behandeln sind,
behauptete sich von frühe an die Form des einfachen oder des mit
einem Umgang versehenen, oben zugedeckten oder zugewölbten Acht-
ecks, in dessen Mitte der Taufbrunnen stand. Seltener kommt eine an-
dere polygone oder die runde Form vor. An keinem des ersten Jahr-
tausends zeigt die Aussenseite (jetzt) mehr als glatte Wände; die ganze,
oft grosse, Pracht war dem Innern aufbehalten. Auf künstliche Be-
leuchtung geflissentlich berechnet, sind die Räume meist ziemlich dunkel,
nur durch eine Lanterna und durch die offene Thür erhellt.
Das Baptisterium beim Lateran in Rom (432—440) hat nichtsa
Ursprüngliches mehr als seine Doppelstellung von Säulen mit geraden
Gebälken und die Mauern, nebst der von zwei grossen Porphyrsäulen
gestüzten, in zwei halbrunde Nischen auslaufenden Vorhalle (gegen den
Hof). Mit dem echten, ernsten Schmuck versehen, würde es einen
ganz andern Eindruck gewähren als mit den Malereien des Sacchi und
Maratti; ein kleiner mosaicirter Nebenraum und das prächtige Orna-
ment grüngoldener Weinranken auf blauem Grunde in der linken Ni-
schenkuppel der Vorhalle deuten noch an, in welchen Farben und
Ornamenten das ganze Gebäude prangen mochte.
Die Kirche S. Maria maggiore, einige Minuten ausserhalb No-b
cera unweit seitab von der Landstrasse nach Pompeji, ist ein Bap-
tisterium des IV. Jahrhunderts, aus antiken Baustücken ohne beson-
dere Sorgfalt zusammengebaut. Ein Kreis von je zu zweien zusam-
mengestellten Säulen trägt sofort (ohne Cylinder) die mittlere Kup-
pel; der Umgang ist rings angewölbt; eine kleine Tribuna schliesst
sich daran. Von Aussen ganz formlos, giebt dieses Gebäude in be-
sonderm Grade denjenigen Eindruck des Geheimnissvollen, durch wel-
[90]Christliche Architektur. Baptisterien.
chen die damalige Kirche mit dem erlöschenden Glanz heidnischer
Tempel und Weihehäuser wetteifern musste.
Das Baptisterium der Orthodoxen beim Dom zu Ravenna
(begonnen vor 396) im Vollbesitz seiner Wandbekleidung und Mosai-
ken (diese vor 430), welche für das Ornament des V. Jahrhunderts
das wichtigste Denkmal sind; das letzte kenntliche Echo der pompe-
janischen Decoration; die Flächen mit erhabenen Stuccogegenständen
abwechselnd; das Gefühl vom Zusammenklang der Farben scheint das
der schönen und freien Bildung und Eintheilung der Zierformen zu
überleben. Zur Einfassung dient eine untere und eine obere Reihe
von acht Wandbögen mit Ecksäulen (Composita und ionisch); oben
geht das Gebäude zu einer runden und ziemlich flachen Kuppel zu-
zusammen.
Das Baptisterium der Arianer in Ravenna (jetzt S. Maria in
Cosmedin) VI. Jahrhundert; Achteck mit (später?) angebautem Schiff,
baulich unbedeutend.
Beim sog. „alten Dom“ zu Brescia kann man in Zweifel bleiben,
ob das ziemlich grosse Gebäude als blosses Baptisterium oder als Ca-
thedrale erbaut worden; im erstern Fall wäre es die grösste Taufkirche.
Kuppelraum auf acht (modernisirten) Pfeilern mit rundem Umgang;
letzterer bedeckt mit acht Kreuzgewölben; zwischen je zweien dersel-
ben das Segment eines Tonnengewölbes, gegen die Kuppel hin anstei-
gend und daher eine dunkle Ecke bildend. Ein Nothbehelf, der (wie
Aehnliches im Dom von Aachen) die Anlage jedenfalls dem frühen
Mittelalter zuweist. Cylinder und Kuppel aus dem XII. Jahrhundert,
wenigstens was die jetzige Gestalt des Äussern betrifft. Der sehr son-
derbare hintere Anbau, welcher als Chor mit Nebencapellen dient,
könnte wiederum ganz alt sein.
(Üeber Neapel und Triest s. oben.)
Fast bei jeder bischöflichen Kirche und an mancher grossen Pfarre
in kleinern Städten wird irgend ein Bau dieser Art unter veränderter
Gestalt und Bestimmung, oder in Trümmern, oder doch in Nachrichten
nachzuweisen sein; mehrmals auch noch wohl erhalten und im Ge-
brauch. Noch im XI. und XII. Jahrhundert wurden Baptisterien neu
gebaut, später dagegen die Taufen in die Kirchen selbst verlegt. Bei
grossen Umbauten der Kirchen ging das Baptisterium, wenn es zu
[91]Spätere Baptisterien.
nahe dabei stand, gewöhnlich zu Grunde. Es mögen hier noch einige
der spätern und spätesten genannt werden:
Dasjenige am Dom von Torcello (1008), einfaches Octogon.a
(Der Dom selbst eine schlichte Basilica.)
Vor dem Dom von Novara ein Baptisterium, das wie so mancheb
Bauten dieser Gegend wohl mit Unrecht in die alte Langobardenzeit
versetzt wird; unten, wenn ich mich recht entsinne, Nischen ringsum.
Eines beim Dom von Asti, mit engem Mittelbau und breitemc
Umgang. (XI. Jahrhundert.)
Neben der Hauptkirche von Chiavenna ein für uralt geltendes,d
überweisstes Achteck.
Ein Baptisterium war auch die Rundkirche mit Umgang, welchee
jetzt zu S. Stefano in Bologna gehört. Der Complex von sieben
Kirchen, welche hier in verschiedenen Zeiten zusammen gebaut wor-
den sind, bietet dem Alterthumsforscher ein so angenehmes Problem,
dass wir demselben die Freude der eigenen Entdeckung in Betreff der
Baufolge nicht stören wollen. Irgend einen besondern architektonischen
oder auch malerischen Werth haben diese geringfügigen Gebäude nicht.
Dem ersten Jahrtausend gehört nur das besagte Baptisterium an; das-
selbe erhielt aber im XII. Jahrhundert durch ein eingebautes heiliges
Grab eine neue Bestimmung, musste im Verlauf der Zeit durch Back-
steinsäulen (die man neben die alten Marmorsäulen stellte) gestützt
werden, und verlor vor etwa 50 Jahren die lezten Reste seiner alten
innern Kuppelbemalung. Ein oberer Umgang ist längst vermauert und
unsichthar. — Ein kleiner anstossender Klosterhof ist nur durch die
Formwidrigkeit seiner untern Stützen interessant.
Das Baptisterium von Padua, runder Oberbau auf viereckigemf
Untersatz; XII. Jahrhundert, von hübscher Wirkung.
Das Baptisterium von Cremona (1167).g
Während bei den bisher genannten die äussere Decoration höch-
stens aus den einfachen Wandstreifen und Bogenfriesen des romani-
schen Styles besteht, so macht das achteckige Baptisterium von Parmah
(XII. und XIII. Jahrhundert) einen Übergang in die plastische De-
taillirungsweise toscanischer Wandflächen. Nur ist der Versuch —
mit Wandbogen am untern Stockwerk und fünf Reihen Wandsäulchen
darüber — nüchtern und spielend zugleich ausgefallen. Das Innere
[92]Christliche Architektur. Grabkirchen.
sechszehnseitig, unten Nischen, dann zwei Galerien mit geradem Ge-
bälk, spitzbogige Lunetten und der Anschluss der Kuppelgurten. —
Von den Baptisterien von Pisa und Florenz, in welchen sich jener
toscanische Styl glanzvoll ausspricht, wird unten die Rede sein. —
aDas letzte Baptisterium, welches gebaut (oder doch nur so spät um-
gebaut) wurde, ist meines Wissens das Achteck von Pistoja, 1337.
Eine zweite Gattung von kleinern Gebäuden, welche als Central-
bauten gestaltet wurden, kommt wenigstens in zwei Beispielen vor:
Die Grabkirchen hoher Personen.
S. Costanza bei Rom, wahrscheinlich als Grabmal zweier
Töchter Constantins d. Gr. erbaut; der innere Cylinder mit der Kuppel
auf zwölf Doppelstellungen von Säulen mit besondern Gebälkstücken
(roh, ausgebauchte Friese) ruhend; der Umgang ebenfalls rund mit mo-
saicirtem Tonnengewölbe. Merkwürdiges Gegenbild zu den ganz als
Aussenbau gedachten heidnischen Kaisergräbern. (In Constantinopel
scheint die Apostelkirche zur Kaisergruft absichtlich gebaut gewesen
zu sein.)
Das Grabmal Theodorichs d. Gr. († 526), jetzt insgemein la ro-
tonda genannt, vor dem Thor von Ravenna; aussen polygon und
ehemals mit einer Säulenhalle versehen, innen rund; Erdgeschoss und
Hauptgeschoss; die flache Kuppel bekanntlich aus Einem von Dalma-
tien hergebrachten Stein, 34 Fuss im Durchmesser. Namentlich am
Hauptgesimse selbständige und ausdrucksvolle Detailbildung. Der Por-
phyrsarg, beim Sturz der Ostgothen der Gebeine beraubt, ist jetzt in
dder Stadt an dem sog. Palazzo del Re Teodorico eingemauert
einem echten Rest des alten Königspalastes, von dessen ehemaliger
Fassade ein Mosaik in S. Apollinare nuovo (rechts vom Eingang) ein
phantastisches Bild giebt.
Diesen Denkmälern schliessen wir noch das der Galla Placidia
in Ravenna an, jetzt SS. Nazario e Celso genannt (um 440); zwar
ein lateinisches Kreuz, aber durch die Erhöhung und Überkuppelung
der Mitte (mit einem sog. böhmischen Gewölbe) den Centralbauten ge-
nähert. Die Mosaikornamente zumal am Tonnengewölbe des vordern
Kreuzarms an Werth und Alter denen des orthodoxen Baptisteriums
[93]Kirchen von Centralanlage.
nahe kommend. Das Äussere ein roher Ziegelbau, klein und un-
scheinbar.
Der eigentlichen Kirchen sind unter den Centralbauten allerdings
nur wenige bedeutende, wenn S. Lorenzo in Mailand (Seite 51) als
antiker Thermenbau ausgeschieden werden muss.
Das einfachste Motiv zeigt der räthselhafte, im V. Jahrhundert
höchst wahrscheinlich als Kirche errichtete Bau S. Stefano rotondoa
auf dem Coelius zu Rom. Ein innerer Säulenkreis mit Bogen trägt
den cylindrischen Oberbau, wozu er im Verlauf der Zeit einer hal-
birenden Zwischenmauer auf zwei Säulen und drei Bogen als Unter-
stützung bedurfte. Ein äusserer Säulenkreis ist seit dem XV. Jahr-
hundert durch dazwischengezogene Mauern zur Grenze der Kirche
geworden; der äusserste Mauerumfang wurde aufgegeben und ist nur
noch in Trümmern vorhanden. Es sind lauter weite Räume, nicht auf
Wölbung, sondern auf flaches Eindecken berechnet. Der Altar unter
dem hohen Mittelraum ist modern; an einem erhaltenen Stück des
äussersten Umganges ist für den ursprünglichen Altar eine eigene Tri-
buna eingerichtet. Die höchst rohen ionischen Capitäle passen kaum
zu der beglaubigten Einweihungszeit (468—483), wenn man erwägt,
dass diejenigen von S. Maria maggiore kaum 30 Jahre älter sind, allein
der Zustand Roms in dieser Zeit würde am Ende jede Missform er-
klären.
Weit das wichtigste Gebäude dieser Gattung ist jenes berühmte
Achteck San Vitale zu Ravenna, in der letzten Ostgothenzeit er-b
baut, zu Anfang der byzantinischen Herrschaft ausgeschmückt (Mitte
des VI. Jahrhunderts). Nachahmung centraler Kirchen des Orients,
mit oberm und unterm Umgang, dessen acht einzelne Seiten mit Stel-
lungen von je zwei Säulen im Halbrund einwärts treten; die Kuppel
der Leichtigkeit wegen aus thönernen Hohlkörpern (Amphoren) con-
struirt, leider durch Stuccozierrathen entstellt; die Tribuna als beson-
derer Ausbau durch den Umgang hindurchgelegt; die jetzige Vorhalle
nicht die urprüngliche; die Aussenmauern schlicht. Der Eindruck reich,
aber unruhig; das Einwärtstreten der Säulenstellungen aus einem Zweck
perspectivischer Scheinerweiterung, welche erst wieder im Barock-
[94]Christliche Architektur. Centralbauten.
styl des XVII. Jahrhunderts ihres Gleichen findet. (Vgl. S. 51, S. Lo-
renzo). Der untere Theil der Wände und der Fussboden sind oder
waren auf das Kostbarste incrustirt.
Einen andern Nachklang byzantinischen Centralbaues gewährt die
aKirche S. Fosca auf Torcello bei Venedig, welche dem Verfasser
nur aus Abbildungen bekannt ist. Als lebensfähiges Motiv für grosse
Binnenräume verdient sie die Beachtung der Architekten. — In den
ältern kleinen Kirchen Venedigs selbst zeigt sich ein merkwürdiges
Schwanken zwischen den beiden Systemen; es sind kurze Basiliken
bmit einer Kuppel über der Kreuzung; S. Giacometto di Rialto,
angeblich schon aus dem V. Jahrhundert, ist jedenfalls das älteste dieser
Kirchlein, die Bauform als solche reicht aber bis ins XV. Jahrhundert hin-
unter. (Z. B.: S. Giovanni Crisostomo, 1483 von Tullio Lombardo erbaut.)
S. Tommaso in Limine, dritthalb Stunden von Bergamo
(IX. Jahrhundert) ist wieder ein einfacher Rundbau; Cylinder mit Kup-
pel auf Säulen; runder Umgang mit hinausgebauter Tribuna.
Endlich S. Angelo zu Perugia, wahrscheinlich noch aus dem
ersten Jahrtausend; ein Sechszehneck. Über 16 (spätkorinthischen)
Säulen erhebt sich der Cylinder; aus acht Ecken springen Bogen her-
vor gegen die Mitte und tragen das Dach; ebenso tragen sechszehn
von Wandpilastern aus gegen den Cylinder hinansteigende Bogen das
Dach des Umganges. Ohne die modernen Zuthaten würde dieses sehr
glücklich gedachte Gebäude mit seinem ausschliesslichen Oberlicht
(durch die Fenster des Cylinders) eine bedeutende Wirkung machen.
Bei all diesen Gebäuden des ersten Jahrtausends, mit ihren Säu-
len und andern Fragmenten aus dem Alterthum trägt eine historische
Ideenverbindung, selbst in unbewusster Weise sehr viel zur Werth-
schätzung bei. Es ist ein Weltalter, das die Erzeugnisse eines an-
dern zu seinen neuen Zwecken aufbraucht; eine Kirche, der unsere
Phantasie einen geheimnissvollen Nimbus giebt und deren Andenken
mit der ganzen europäischen Geschichte unlösbar durcheinander ge-
flochten ist. Diesen mitwirkenden Eindruck elegischer Art möge man
von dem künstlerischen getrennt halten. Es handelt sich eben doch
um lauter zusammengesetzten Nothbehelf, dessen Ganzes nie einen
[95]Ornamente.
wahrhaft harmonischen Eindruck machen kann. Wohin musste es
schon im VI. Jahrhundert in Italien gekommen sein, wenn man für
die ravennatischen Kirchen, in Ermanglung antiker Bruchstücke, die
Säulen und Capitäle aus der Gegend von Constantinopel fertig holen
liess? Selbst die baulichen Combinationen und Ideen kamen, wie er-
wähnt, theilweise von Osten her.
Und doch keimt neben der Barbarisirung der grössern Bauformen
ein Rest schöner Einzelbildung weiter in Gestalt des Ornamentes
zu gewissen Zwecken.
Der Schutt Roms war damals unermesslich reich an kleinern Bau-
stücken aller Art, die Jedem zu Gebote standen. Aus steinernen und
thönernen Consolen, Simsfragmenten, Cassetten u. s. w. entstand im
X. Jahrhundert die sog. Casa di Pilato (richtiger Haus des Cres-a
centius). Ausserdem aber gab es und giebt es stellenweise noch Plat-
ten von kostbaren Steinen, mit welchen einst die Wände der Paläste
belegt gewesen waren; es gab Porphyrsäulen und Fragmente solcher,
auch vielen grünen numidischen Marmor und Giallo antico. Diese
Reste zerschnitt man und setzte daraus neue Zeichnungen zusammen;
die zu Scheiben gesägten Porphyrsäulen pflegten dann die Mitte der
zu verzierenden Fläche einzunehmen; das Übrige wurde mit gelbem,
grünem und weissem Marmor ausgelegt. Das inzwischen sehr empor-
gekommene Mosaik half mit seinen Glaspasten und zumal mit Gold
nach; doch blieb der Stein in Rom immer das Vorherrschende, und
diese Decoration ist daher schon von Anfang an etwas Anderes als
die saracenische oder moreske, welche wesentlich auf Glaspasten be-
schränkt blieb. Letzteres gilt, wie wir sehen werden, auch von der
unteritalischen.
Die Gegenstände, um welche es sich handelt, sind Fussböden,
Thürpfosten, bischöfliche Throne, Lesepulte (Ambonen, Analogien),
Schranken und Einfassungen von Sitzen, Altäre und Säulen für
die Osterkerze. Die der Sculptur und der plastischen Ornamentik 1)
[96]Decoration. Die Cosmaten. Bodenmosaiken.
unfähig gewordene Kunst ergeht sich in einem angenehmen mathema-
tischen Linienspiel, im Wechsel bunter Flächen. — Manche der be-
treffenden Überreste sind früh mittelalterlich, allein wir sind nicht im
Stande sie auszuscheiden von denjenigen des XII. und XIII. Jahrhun-
derts, unter welchen sich die wichtigsten mit befinden. Damals that
sich nämlich in Rom die Familie der Cosmaten (Laurentius, Jaco-
bus, Johannes etc.) mit solchen Arbeiten hervor; für diese kleinern,
decorativen Aufgaben studirten sie zum erstenmal wieder einigermassen
die Bauwerke des Alterthums und sahen denselben wenigstens das
Nothwendigste für die Profile der Einfassungen, Ränder, Gesimse
u. s. w. ab. Dieser kleine Anfang von Renaissance macht einen erfreu-
lichen Eindruck, obschon er die Baukunst im Grossen nicht berührte.
Von den unzerstörbaren Fussböden aus jenen harten Steingat-
tungen enthält jede ältere und auch manche sonst modernisirte Kirche
ein Stück, wenigstens im Chor. (S. Cecilia, S. Alessio, S. Crisogono,
SS. Giovanni e Paolo, S. Gregorio, S. Prassede und viele Andere.)
Die reichsten sind mehr oder weniger sicher und zwar spät datirt:
ader in S. Maria in Cosmedin (um 1120), der prachtvolle von S. Maria
bmaggiore (um 1150), der von S. Maria in Trastevere (etwas früher),
cder sehr reiche in der Vorderkirche von S. Lorenzo fuori le mura
(XII. Jahrhundert, vielleicht erst um 1220). Im Detail Teppichmustern
ähnlich, doch als Ganzes anders componirt, geben sie deutliches Zeug-
niss davon, welchen Werth die Kirche von jeher auf schöne Fussbö-
den gelegt hat. Zu einer Zeit, da die Kunst sich noch an das Mate-
rial halten, durch Goldgeräth, Prachtgewebe und Mosaiken den Ein-
druck des Heiligen und Ausserweltlichen hervorbringen muss, weil sie
die ewige Form nicht mehr oder noch nicht schaffen kann, — zu einer
solchen Zeit gebührte auch dem Fussboden, der ja ein geweihtes Asyl
bezeichnete und den Schauplatz für die heiligsten Begehungen aus-
machte, eine Ausstattung, die ihn von dem profanen Draussen auf
das stärkste unterschied.
Ausserhalb Roms hat auch S. Vitale in Ravenna einen prächtigen
eBoden von Steinmosaik, ebenso S. Marco in Venedig. Doch herrschen
andere Dessins und Steinarten vor.
Die übrigen steinernen Schmucksachen sind hauptsächlich
in folgenden Kirchen von Rom zerstreut:
[97]Die Cosmaten. Steinerne Prachtarbeiten.
S. Agnese fuori le mura: Wandbekleidung und Sitz im Chora
(VII. Jahrhundert); Altar einer Nebenkapelle.
S. Cecilia: der Altartisch; sein Tabernakel erst vom Ende desb
XIII. Jahrhunderts.
S. Cesareo: mehrere Altäre, ein reicher Bischofsstuhl mit gewun-c
denen mosaicirten Säulen, ein Pult, reiche Chorschranken, — eine der
bedeutendsten Kirchen hiefür.
S. Clemente: der Altartabernakel und die vollständige Einrich-d
tung des Chorus, s. oben S. 79 u. 83.
S. Giorgio in Velabro: zierlicher Altartabernakel.e
S. Lorenzo fuori le mura: Das Pult (Ambo) rechts das herr-f
lichste unter den vorhandenen; die Brustwehren und der Bischofstuhl
in der hintern Kirche ebenfalls vom zierlichsten Cosmatenstyl; der
Altar vom Jahr 1148.
S. Maria Araceli: Willkürlich getrennte und neu zusammenge-g
setzte Pulte, von den Cosmaten Laurentius und Jacobus; im linken
Querschiff die Ara.
S. Maria in Cosmedin: Boden, Bischofsthron und Pult um 1120 imh
Auftrag des Cardinals Alphanus gefertigt, dessen Grab in der Vorhalle.
SS. Nereo ed Achilleo: Pult, Schranken, Candelaber, Bischofs-i
stuhl und Fussboden.
Geringere Reste in S. Balbina, S. Pancrazio, S. Saba (datirtek
Thüreinfassung des Cosmaten Jacobus) u. s. w. 1)
Die einzige wahrhaft architektonische Blüthe, welche diese Deco-
ratorenschule hervorbrachte, sind ein paar Klosterhöfe mit kleinen
B Cicerone. 7
[98]Decoration. Klosterhöfe. Unteritalien.
Bögen auf Säulchen, innen flachgedeckt oder gewölbt. Die einfachern
aderselben (bei S. Lorenzo fuori, S. Vincenzo alle tre fontane, S. Sa-
bina) haben nichts als den Marmor vor irgend einem frühen romani-
bschen Kreuzgang in Deutschland voraus. An dem Hof von Subiaco
dagegen bemerkt man schon einen Versuch, durch ernste Annäherung
an die antiken Bauformen Seele und Sinn in die Halle zu bringen,
cund in den rosenduftenden Klosterhöfen des Laterans und der Abtei
dS. Paul sind diese antiken Formen sowohl durch Anwendung des
prachtvollsten Mosaikschmuckes als durch gemeisselte Marmorzierra-
then zu einer neuen und ganz eigenthümlichen Belebung gediehen.
(Erste Jahrzehnde des XIII. Jahrhunderts.) Unmittelbarer als in den
ganzen Basiliken dieser Zeit, welche ältern Vorbildern nachfolgen,
spricht sich hier der Formengeist der Epoche Innocenz III. aus. —
eDie Vorhalle des Domes von Cività Castellana zeigt ein ähnliches
Zurückgehen auf classische Vorbilder, verbunden mit zierlicher Mosai-
cirung. — Die letzten Cosmaten arbeiteten im gothischen Styl, wovon
bei Gelegenheit.
Die unteritalischen, ganz auf der Glaspaste beruhenden Zierarbei-
ten des XI. und XII. Jahrhunderts (denn was Älteres darunter sein
mag, lässt sich schwer ausscheiden) haben, wie gesagt, einige Motive
mit den saracenischen gemein, möglicher Weise sogar die Urheber.
Weit das Umständlichste und Prachtvollste in dieser Art auf dem
fitalienischen Festlande: die Ambonen, die Sängertribune, die Osterker-
zensäule, der Rest der Chorschranken u. A. m. im Dom von Salerno.
Auch der Fussboden, von harten Steinen, ist wenigstens im Chor
erhalten.
[99]Architektur. Romanischer Styl. Toscana.
Einfachere Reste im Dom von Amalfi. (Das nahe Ravello hata
der Verfasser nicht besucht.)
Im Dom von Capua sind am Grab Christi in der Crypta grosseb
Mosaikplatten von der ehemaligen Kanzel eingelassen, mit moresken
Dessins, doch auch Mäander.
Im Dom von Sessa dient die sehr reiche Kanzel, deren Säulenc
auf Thieren ruhen, jetzt als Orgellettner; prachtvolle Mosaikplatten
als Einfassungswände des jetzigen Chores; die Osterkerzensäule mit
sculpirten Bändern unterbrochen.
In der Cathedrale zu Fondi: Mosaikkanzel auf Säulen mit Thieren.d
Im Dom von Terracina: eine ähnliche; die Osterkerzensäule, ge-e
wunden und gestreift, eine der prächtigsten.
Es lässt sich nicht läugnen, dass die italische Kunstübung sich
mit diesem anmuthigen Spiel von Material und Farben begnügt, gleich-
zeitig mit den grössten Fortschritten der nordischen Architektur. Diese,
von Vernützung antiker Baustücke fast seit Anfang an abgeschnitten
und, was mehr heissen will, von einem andern Geiste getragen, hatte
inzwischen die erlöschenden Erinnerungen des römischen Styles zu
einem eigenthümlichen romanischen Styl ausgebildet, der um 1200
schon im Begriff war sich zum germanischen zu entwickeln. Die-
sem romanischen Styl stellt sich nun in Mittel- und Oberitalien ein
nicht unwürdiges Seitenbild gegenüber.
Das grosse Verdienst, dem Basilikenbau zuerst wieder ein neues
Leben eingehaucht zu haben, gebührt, was Italien betrifft, unstreitig
den Toscanern. Der hohe Sinn, der dieses Volk im Mittelalter
auszeichnet, und dem man auch ein stellenweises Umschlagen in die
Sinnesart der Erbauer des Thurmes von Babel verzeihen mag, begnügte
sich schon frühe nicht mehr mit engen, von aussen unscheinbaren und
innen kostbar verzierten Kirchen; er nahm eine Richtung auf das Wür-
dige und Monumentale. Dieselbe offenbarte sich zunächst, seit dem
XI. Jahrhundert, in der Wahl des Baustoffes. Der Sandstein und
Kalkstein, welchen man in der Nähe hatte, schien zu sehr der Ver-
7*
[100]Romanische Architektur. Toscana.
witterung ausgesetzt; man holte in Carrara den weissen, anderswo
schwarzen und rothen Marmor und incrustirte damit wenigstens den
Kernbau, wenn man ihn auch nicht daraus errichtete. Zum ersten-
mal wieder erhielten die Aussenwände der Kirchen eine organisch ge-
meinte, wenn auch zum Theil nur decorativ spielende Bekleidung:
Pilaster oder Halbsäulen mit Bögen, Gesimse, Streifen und Einrah-
mungen von abwechselnd weissem und schwarzem Marmor, nebst an-
derm mosaikartigem Zierrath. An den grössern Fassaden behauptete
sich seit dem Dom von Pisa ein System von mehrern Säulchenstel-
lungen über einander; die obern schmaler und dem obern Theil des
Mittelschiffes (wenigstens scheinbar) entsprechend; unten grössere Halb-
säulen mit Bogen, auch wohl eine Vorhalle (Dome von Lucca und
Pistoja). Im Innern rücken die Säulen auseinander; ihre Intervalle
sind bisweilen beinahe der Breite des Mittelschiffes gleich, welches
allerdings sich sehr in das Schmale und Hohe zieht; in den echt er-
haltenen Beispielen hat es flache Bedeckung, während die Nebenschiffe
agewölbt werden (S. Andrea in Pistoja). An den Säulen ist häufig
der Schaft, ausserhalb Pisa aber selten das Capitäl antik, obwohl die
oft auffallende Disharmonie zwischen beiden (indem das Capitäl einen
schmalern untern Durchmesser hat als der Schaft) auf die Annahme
benützter antiker Fragmente führen könnte; ein Räthsel, welches sich
nur durch die Voraussetzung einigermassen löst, dass die Capitäle
etwa aus wenigen Steinmetzwerkstätten für das ganze Land bestellt
oder fertig gekauft wurden. Ihre Arbeit ist sehr ungleich, von der
rohsten Andeutung bis in die feinste Durchführung des Korinthischen,
auch der Composita. An den bedeutendern Kirchen versuchte man
schon frühe, der Kreuzung des Hauptschiffes und des Querschiffes
durch eine Kuppel die möglichste Bedeutung zu geben.
Die einfachsten Elemente dieses ganzen Typus enthält wohl der
bDom von Fiesole (1028); das Äussere dürftig, doch schon von
Quadern; innen ungleiche Bogen über den Säulen; der Kreuzraum
kuppelartig zugewölbt; die Nebenräume (oder Arme des Querschiffes)
mit halben Tonnengewölben bedeckt, die sich sehr ungeschickt an die
Bogen des Kreuzraums anlehnen. Alle Details einfach bis zur Roheit;
[101]Dom von Pisa.
die Crypta (mit ionischen Säulchen) ein späterer Einbau 1). Merkwür-
diger Weise entspricht schon hier die ganz schmucklose Fassade der
Kirche nicht, sondern ragt bereits als vorgesetzte Decoration über
dieselbe hinaus.
Zur vollen Ausbildung des Typus reichte aber ein blosser Bischofs-
sitz nicht aus; es bedurfte dazu des ganzen municipalen Stolzes einer rei-
chen im Centrum des damaligen Weltverkehrs gelegenen Handelsre-
publik. Wie nördlich vom Apennin Venedig, so vertrat südlich Pisa
diese Stelle. Im Hochgefühl eines Sieges über die Sicilianer gründe-
ten die von Pisa 1063 ihren Dom; als Baumeister nennt sich Rai-a
naldus.
Die schöne isolirte Lage, der edle weisse Marmor mit schwarzen
und farbigen Incrustationen, die klare Absicht, ein vollendetes Juwel
hinzustellen, die gleichmässige Vollendung des Baues und der benach-
barten Prachtgebäude — diess Alles bringt schon an sich einen gros-
sen Eindruck hervor; es giebt nicht eben viele Kirchen, welche diese
Vorbedingungen erfüllen. Ausserdem aber thut die Kunst hier einen
ihrer ganz grossen Schritte. Zum erstenmal wieder seit der römischen
Zeit sucht sie den Aussenbau lebendig und zugleich mit dem Innern
harmonisch zu gliedern; sie stuft die Fassade schön und sorglich ab
und giebt dem Erdgeschoss Wandsäulen und Wandbogen, den obern
Theilen durchsichtige Galerien, zunächst längere, dann dem Mittelschiff
und dem Giebel entsprechend kürzere. Sie weiss auch, dass ihre
Wandsäulen jetzt einem neuen Organismus angehören und verjüngt
dieselben fast gar nicht mehr (womit es der Baumeister von S. Mic-
chele in Lucca versah). An den Seiten wird ebenfalls die einfachere
Form, hier Wandpilaster mit Bogen und eine kleinere Reihe drüber mit
gradem Gebälk, den untern Schiffen zugewiesen, die leichtere und
reichere, nämlich Wandsäulen mit Bogen, dem Oberschiff. Es ist denk-
bar, dass orientalische Kirchen einzelne dieser Elemente darboten, aber
ihre Vereinigung in Einem Guss ist pisanisch. Von der Wiese hin-
ter dem Chor aus offenbart sich dann eine andere grosse Neuerung:
[102]Romanische Architektur. Dom von Pisa.
nach vielhundertjährigem Herumirren in den Wirkungen des Details
hat die Baukunst wieder ein wahres Compositionsgefühl im Grossen
errungen; sie weiss wieder bei grossen dominirenden Hauptlinien in der
Einfachheit reich zu sein. Von den niedrigen Nischen der etwas höhern
Querarme aus leitet sie den Blick empor zum First des Hauptschiffes
und zur Kuppel, und giebt als mittlere reiche Schlussform die präch-
tige Chornische mit ihren Galerien.
Im Innern ist der Dom eine fünfschiffige Basilica und ruht auf
lauter antiken Säulen (deren Capitäle seit ihrer Überarbeitung mit
Gyps für die Untersuchung meist verloren sind), theilt sonach die hem-
menden Bedingungen der römischen Basiliken. Aber ein neuer Geist
hat sich das gegebene Material dienstbar gemacht, um daraus vor
Allem einen schlanken Hochbau zu schaffen. Nach römischer Art hätten
bei dieser Breite drei Schiffe genügt; hier sind es fünf, von enger
Stellung, die vier äussern gewölbt; der zweiten niedrigern Säulenreihe
ist durch Überhöhung der Bogen nachgeholfen. Statt der hohen Ober-
wände und ihres Mosaikschmuckes sieht man dann die herrliche luf-
tige Galerie von Pfeilern (gleichsam Repräsentanten der Mauer) und
Bogen, in der Mitte von Säulen gestützt. Schon einzelne römische
Basiliken haben Obergeschosse; auch die Oströmer liebten solche obere
Galerien, allein sie versäumten, ihnen durch diese leichtere Behandlung
den lokalen Charakter zu geben. Das Querschiff endlich wurde hier
— zum erstenmal an einer Basilica — dreischiffig gestaltet, um dem
Eindruck des Hohen und Schlanken treu zu bleiben; es bildet mit sei-
nen Schluss-Nischen gleichsam zwei anstossende Basiliken. Vielleicht
mehr aus praktischen als ästhetischen Gründen führte der Baumeister
die durchsichtige Galerie auf beiden Seiten quer hindurch nach dem
Chor zu, und schuf damit jenen geheimnissvoll prächtigen Durchblick
in die Querarme. — Welches Quadrat aber sollte nun als Basis der
Kuppel angenommen werden, die man hier zum erstenmal mit dem
Basilikenbau zu combiniren wagte? Langhaus und Querbau schneiden
sich in ungleicher Breite, man nahm die ganze Breite des letztern und
die des Hauptschiffes des erstern und so ergab sich die merkwürdige
ovale Kuppel, die später noch eine gothische Aussengalerie erhielt.
Während des Baues reinigte sich der Styl. Wir dürfen z. B.
annehmen, dass die schon sehr gut gegliederte Galerie im Innern zu
[103]Baptisterium und Campanile von Pisa.
den spätern Baugedanken gehört, ebenso ihre Aussenwand, welche
eine obere Pilasterordnung über den Wandbogen bildet.
Vollständiger spricht sich dann dieser gereinigte Styl im Bapti-a
sterium aus, welches 1153 von Diotisalvi gegründet wurde. (Die
gothischen Zuthaten, Baldachine, Giebel, Spitzthürmchen sind erst im
XIV. Jahrhundert hinzugekommen.) Man wird hier durchgängig die
Formenbildung des Domes veredelt und vereinfacht wieder finden, die
Bogenprofile, die Mosaicirung der Füllungen u. s. w. Auch meldet
sich an der äussern Galerie wie im Innern, wenn nicht durchgängig,
so doch vorherrschend das eigenthümlich romanische Capitäl. Ganz
besonders wichtig ist aber die Unterbrechung nach jeder dritten Säule
im Innern durch einen Pfeiler, und zwar im obern sowohl als im un-
tern Stockwerk; worin sich deutlich das Verlangen nach einem höhern
baulichen Organismus ausdrückt. Ebenso ist die hohe konische Innen-
kuppel nur eine ungeschickte Form für das Bedürfniss nach einem
leichten, strebenden Hochbau. — Die Schranken um den Mittelraum
und die Einfassung des Taufbeckens zeigen, welch ein neues Leben
auch innerhalb der Decoration erwacht war, wie man auch hier sich
von dem blossen Mosaik mit Prachtsteinen losmachte zu Gunsten einer
reinen und bedeutenden plastischen Verzierung.
Seit 1174 bauten Wilhelm von Innsbruck und Bonannusb
das Campanile, den berühmten schiefen Thurm 1). Hier ist die
[104]Romanische Architektur. Thurm von Pisa.
Gliederung des Details wieder um einen Grad einfacher und das roma-
nische Capitäl mit seiner derben Blätterbildung hat entschieden das
Übergewicht vor dem römischen. Der Composition nach ist dieses
einzige Gebäude eines der schönsten des Mittelalters. Das Princip
1)
[105]Schiefbau und Bauungleichheiten.
der Griechen, die Säulenhalle als belebten Ausdruck der Wand ringsum
zu führen, ist hier mit der grössten Kühnheit auf ein mehrstöckiges
Gebäude übertragen; es sind viel mehr als blosse Galerien, es ist eine
ideale Hülle, die den Thurm umschwebt und die in ihrer Art densel-
1)
[106]Romanische Architektur. Kirchen von Pisa.
ben Sieg über die Schwere des Stoffes ausspricht, wie die deutsch-
gothischen Thürme in der ihrigen.
Das reiche System dieser drei Bauten ist natürlich an den übri-
gen Kirchen nur stellenweise durchgeführt, oder auch nur in Andeu-
tungen, gleichsam im Auszug gegeben. Immer aber wirkt diese erste
consequente Erneuerung eines plastisch bedeutenden Architekturstyls
mit grossem Nachdruck und auch die kleinste dieser Kirchen zeigt
deutlich, dass man diesen bezweckte. Bei den kleinern beschränkt
sich der Marmor auf die Fassaden; statt der Galerien kommen blosse
Wandbogen vor, aber auch da ist mit geringen Mitteln, z. B. mit dem
Charakterunterschied von Wandpilastern und Wandsäulen das Wesent-
liche entschieden ausgesprochen. Im Innern sind oder waren es lau-
ter Säulenbasiliken; das Oberschiff meist verändert.
Aus dem XII. Jahrhundert: S. Frediano; im Innern liefern
z. B. die zwei nächsten Säulen den Beweis, dass die allzukleinen Ca-
pitäle nicht immer antike sind, mit denen man sich hätte begnügen
müssen, wie man sie fand. (Vgl. S. 100.) Die Säulen dagegen schei-
nen sämmtlich antik.
S. Sisto, antike Säulen von ungleichem Stoff; auch hier gerade
die unpassendsten Capitäle modern. Das Äussere fast formlos.
S. Anna, nur ein Theil der Südseite erhalten; das Übrige ein
Umbau von 1610.
S. Andrea, aussen nur die einfache Fassade alt, sowie das back-
steinerne Campanile; innen die Überhöhung der Bogen durch ein be-
sonderes Zwischengesimse erklärt; die Capitäle meist aus dem Mittel-
alter, mit Thierköpfen etc.
S. Pierino, in seiner jetzigen Gestalt XII. Jahrh., aussen ein-
fach, innen wahrscheinlich beim damaligen Umbau (des Arno’s we-
gen?) erhöht; die Capitäle zum Theil antik; der Boden mosaicirt.
S. Paolo all’ Orto, nur der untere Theil der Fassade erhal-
ten (wonach die Kirche eine der ältesten nächst dem Dom sein möchte.)
Das Innere ganz verbaut.
S. Sepolcro, eine der im ganzen Abendland vorkommenden
polygonen Heiliggrabkirchen, XIII. Jahrhundert. Hohes Achteck mit
[107]Kirchen von Pisa und Lucca.
Pfeilern und Spitzbogen, mit achtseitigem Umgang, die Fenster noch
rundbogig. Alle Details für Pisa auffallend schlicht. (Wird gegen-
wärtig grossentheils neu gebaut.)
S. Paolo in ripa d’Arno, wohl ebenfalls erst XIII. Jahrhun-a
dert, mit der besten Fassade nach dem Dom; innen mit Querschiff
und Kuppel; durchgängig Spitzbogen; doch unter den vieren, welche
die Kuppel tragen, noch besondere Rundbogen. (In den letzten Jah-
ren grossentheils neu gebaut.)
An S. Nicola die Fassade und der schon erwähnte Thurmb
(S. 104, *) von Nic. Pisano.
S. Micchele in Borgo; das Innere, so weit es erhalten ist,c
eine ziemlich alte Basilica; von der Fassade der obere Theil mit den
schon spitzbogigen Galerien XIII. Jahrhundert, vorgeblich von Nic-
colò Pisano, eher von dessen Schüler Fra Guglielmo; in die Mitte
treffen Säulchen statt der Intervalle.
S. Caterina, XIII. Jahrhundert, die Fassade eine noble undd
prächtige Übertragung des pisanischen Typus in die gothischen For-
men. Innen einschiffige ungewölbte Klosterkirche.
(Die alte Kirche S. Piero in Grado, eine halbe Stunde see-e
wärts, mit merkwürdigen Fresken verschiedener Zeit, hat der Ver-
fasser nicht gesehen.)
Die Kirchen von Lucca sind (mit Ausnahme der oben genann-
ten ältern Reste) fast nur Nachahmungen der pisanischen, und zwar
keine ganz glücklichen. An unendlichem und fast penibelm Reich-
thum thun sie es den reichsten derselben bisweilen gleich oder zuvor
(figurirte Säulen, Mosaicirung möglichst vieler Flächen etc.), allein
das Vorbild der Antike steht um einen kenntlichen Grad ferner (man
vergleiche die Gesimsbildung), obschon auch hier nicht wenige antike
Reste mit vermauert und z. B. die meisten Säulen römisch sind. Einen
unbegreiflichen Stolz scheinen die Lucchesen darein gesetzt zu haben,
dass in den Galerien ihrer Fassaden nicht ein Intervall, sondern ein
Säulchen auf die Mitte traf. Man möchte glauben, es sei das Wahr-
zeichen ihrer Stadt gewesen. In Pisa ist diess Ausnahme. — Die
[108]Romanische Architektur. Kirchen von Lucca.
Campanili, sowohl die marmornen als die backsteinernen, ohne beson-
dere Ausbildung.
S. Giovanni, XII. Jahrhundert; die Capitäle meist aus dem
Mittelalter, doch gut den römischen nachgeahmt; an das linke Quer-
schiff lehnt sich ein uraltes, zur gothischen Zeit nur umgebautes vier-
eckiges Baptisterium. Aussen einfach, von der Fassade nur die Thür alt.
S. Maria forisportam, XII. Jahrhundert; eine der bessern,
mit Querschiff und Kuppel; die Capitäle der Säulen hier meist antik;
nach alter Weise etwa in der Mitte der Reihe ein Pfeiler statt einer
Säule.
S. Pietro Somaldi, Fassade vom Jahr 1203; backsteinernes
Campanile; das Innere modern.
Der Aussenbau von S. Micchele (Vgl. S. 86, d): die Chornische
reich und gut, die Fassade dagegen (XIII. Jahrhundert) mit absicht-
licher Übertreibung des pisanischen Princips stark über die Kirche
vorragend, spielend reich; das ganze Erdgeschoss um eines vermeint-
lich höhern Effectes willen nicht mit Wandpilastern, sondern mit vor-
gelehnten Säulen bekleidet, die sich verjüngen und damit unförmlich
hoch erscheinen.
Kleinere Kirchen, zum Theil nur mit einzelnen alten Bestandthei-
elen: S. Giusto, S. Giulia, S. Salvatore, S. Vincenzo etc. Der
fÜbergang ins Gothische: Fassade von S. Francesco.
Über S. Frediano vgl. S. 86, c. Was aus dem XII. Jahrhundert
ist, scheint Nachbildung von älterm und weicht von dem pisanisch-
lucchesischen Styl ab.
Endlich die ältern Theile des Domes: die Fassade, von Guidetto
1204, empfindungslos reich; die Galerien auf einer dreibogigen Vorhalle
ruhend, deren Inneres im Detail schon mehr gereinigt erscheint. Dann
das Äussere des Chorbaues und Querschiffs, sehr edel und gemässigt
(auch in der Incrustation); durch die Höhe des Querschiffes ein impo-
santer Anblick. Der Glockenthurm mit regelmässig zunehmender Fen-
sterzahl, wie der von Siena.
In andern Städten Toscana’s:
Der Dom von Prato, angefangen im XII. Jahrhundert, hat aus
[109]Kirchen in Pistoja etc.
dieser Zeit noch das schmale Mittelschiff mit den weiten Bogen über
schweren Säulen mit rohen Capitälen. Anmuthig ausgebaut im XIV. Jahr-
hundert trägt die Kirche im Ganzen das Gepräge dieser Zeit.
In Pistoja ist S. Giovanni fuoricivitas ein einfaches läng-a
liches Viereck, dessen eine Langseite aber die Zierlust jener Zeit
(XII. Jahrhundert) in fast kindlicher Weise an den Tag legt; unten
Pilaster mit Wandbögen, drüber zwei Reihen von kleinern Wandsäu-
len mit Bogen; keines der drei Stockwerke entspricht den andern;
die Wand gestreift und mosaicirt.
S. Andrea, Basilica des XII. Jahrhunderts, mit schmalem Mittel-b
schiff, dessen hohe Obermauern schmale Fenster enthalten; die Fassade
mit Wandbögen, schattbrettartiger Fläche und (als Gesims) grossem
Eierstab. (Der obere Theil neuer.) — Der innern Anlage und derc
Zeit nach verwandt: S. Bartolommeo.
Der Dom, mit der schon erwähnten Vorhalle und drei Säulchen-d
stellungen drüber, im Innern eine sehr verbaute Basilica, mit unglei-
chen doch wohl nicht antiken Capitälen, ist wohl ebenfalls aus dem
XII. Jahrhundert, nicht von Niccolò Pisano. Die Seitenfassade, jetzt
bloss Wandpfeiler mit Bogen, trug vielleicht einst eine obere Galerie.
Der Thurm wiederholt in seinen drei obersten Stockwerken das Motiv
des pisanischen: freistehende Säulchen um einen Mauerkern herum,
nur viereckig statt rund. Der Chorbau modern. Das erhöhte Ton-
nengewölbe, welches die Vorhalle in der Mitte unterbricht, mit schö-
nen gebrannten Cassetten des Luca della Robbia.
Der Dom von Volterra gehört ebenfalls in diese Reihe unde
wird ebenfalls dem Niccolò Pisano zugeschrieben (was sich nach An-
dern nur auf die von 1254 datirte Fassade beziehen soll).
Wiederum einen höhern Aufschwung nahm die neue Bauweise
unter den Händen der Florentiner. Sie legten zunächst in die
bisher spielende Incrustation mit dem Marmor verschiedener Farben
einen neuen Sinn, bildeten aber vorzüglich das plastische Detail der
Architektur edler und consequenter aus, nicht ohne ein ziemlich ein-
gehendes Studium antiker Überreste, sodass auch hier wieder ein frü-
her Anfang von Renaissance unverkennbar ist. Endlich fasst die Kirche
[110]Romanische Architektur. Florenz.
S. Miniato das vorgothische Kunstvermögen Italiens auf eine so glän-
zende Weise zusammen, dass man die bald darauf folgende Einführung
des gothischen Styles aus dem Norden beinahe zu bedauern ver-
sucht ist.
Die betreffenden Gebäude haben wohl sämmtlich kurz vor oder
um das Jahr 1200 ihre jetzige Gestalt erhalten, eine Annahme, für
die wir hier die Beweise schuldig bleiben müssen und die mit sonst
geltenden Zeitangaben im Widerspruch steht.
Das erste derselben ist die kleine Basilica SS. Apostoli in Flo-
renz; die Nebenschiffe gewölbt; gleichmässige Compositasäulen tragen
Bogen mit feiner antiker Einfassung; ihnen entsprechen Wandpilaster
(mit vielleicht neuern Capitälen); die Cappellenreihen gelten als ur-
sprünglich; ihre Hinterwände laufen schräg, wohl aus Rücksicht auf
irgend eine Bedingung des engen Platzes.
An S. Jacopo in dem gleichnamigen Borgo ist nur eine drei-
cbogige Vorhalle mit Aufsatz, an der Badia bei Fiesole nur ein in-
crustirtes Stück der Fassade aus dieser (letzteres vielleicht aus einer
etwas frühern) Zeit vorhanden; merkwürdig ist hier das besondere
Gebälkstück (Architrav, Fries und Sims) über den Wandsäulen, ne-
ben einer sonst noch ziemlich spielenden Incrustation.
Das Baptisterium S. Giovanni bezeichnet einen Höhepunkt
aller decorativen Architektur überhaupt. Schon die Vertheilung des
Marmors nach Farben im Einklang mit der baulichen Bestimmung der
betreffenden Stellen (Simse, Flächen etc.) ist hier selbst edler und be-
sonnener als z. B. am Dom 1). Vorzüglich schön sind dann in ihrer
Mässigung die plastischen Details, die Kranzgesimse der drei Stock-
werke, die Wandpfeiler, welche im halben Viereck beginnen, im hal-
ben Achteck fortfahren und als cannelirte Wandpilaster die Bewegung
in der Attica fortsetzen. Im Innern stehen vor den acht Nischen des
Erdgeschosses je zwei Säulen, müssig, wenn man will, aber hier als
bedeutendes Zeugniss eines Verlangens nach mon umentaler Gliederung.
[111]Baptisterium. San Miniato.
Sie sind von orientalischem Granit, ihre vergoldeten korinthischen Ca-
pitäle aber ohne Zweifel für diese Stelle gearbeitet, mit genauem An-
schluss an römische Vorbilder. Die Galerie des obern Stockwerkes
schliesst sich streng harmonisch an das untere an, mit korinthi-
schen Pilastern und ionischen Säulchen. Die bauliche Wirkung wird
beeinträchtigt durch die Mosaikfiguren auf blendendem Goldgrund,
welche Friese, Brustwehr und zum Theil auch das Innere der Galerie
in Anspruch nehmen, und vorzüglich durch die drückenden Mosaiken
der Kuppel. Der Chorbau steht ausser Harmonie mit dem Übrigen,
und sein Triumphbogen möchte wohl der Theil eines ältern Ganzen
sein. — Die Bodenplatten zum Theil als Niellen mit Ornamenten, ein
Ersatz für Mosaiken, wozu die harten Steine fehlen mochten.
San Miniato al Monte, vor dem gleichnamigen Thor, beschliessta
diese Reihe auf das ruhmvollste. Zwar hat die graziöse Fassade mehr
Willkürliches, zumal im Farbenwechsel der Incrustation, als das Bap-
tisterium, allein daneben finden sich die zartesten antiken Details
(z. B. am Dachgesimse Consolen); das Verhältniss des obern Stock-
werkes zum untern ist vielleicht hier zum erstenmal nach einem rein
ästhetischen Gefühl bestimmt, weil keine antiken Säulen das Maass
vorschrieben. Im Innern findet man jene Unterbrechung des Basiliken-
baues durch Pfeiler und Bogen, welche in S. Prassede zu Rom noch
roh auftritt, in höchst veredelter Gestalt wieder; auf jede zweite Säule
folgt ein Pfeiler von vier Halbsäulen mit überleitenden Bogen. Der
Dachstuhl, durchaus sichtbar, ist einer der sehr wenigen, welche noch
ihre einfache ursprüngliche Verzierung behalten haben 1). Die Capitäle
sind theils für das Gebäude gemacht und dann einfach, theils reich
antik. Auch die Vorderwand der ziemlich hohen und bedeutenden
Crypta und das Halbrund der Tribuna sind incrustirt; an letzterem
erscheinen die Säulen aus Einem Stein und antik, während die grossen
Säulen der Kirche aus lauter Stücken zusammengesetzt sind. Die fünf
Fenster der Tribuna sind mit grossen durchscheinenden Marmorplatten
geschlossen. Die Steinschranken und das Pult des Chores gehören
zu den prächtigen Decorationsstücken derselben Art wie die Sachen
im Baptisterium zu Pisa; die Bodenplatten im Hauptschiffe vorn, mit
[112]Romanische Architektur. Arezzo. Genua.
Niellen ähnlich denen des florentinischen Baptisteriums 1), tragen das
Datum 1207, welches wohl das des Ausbaues der ganzen Kirche sein
möchte. (Ob sie von S. Zeno in Verona, s. unten, bedingt ist?)
Man sollte kaum glauben, dass auf ein System von Kirchenfas-
saden wie die genannten noch eine Missbildung habe folgen können
awie die Vorderseite der sog. Pieve vecchia zu Arezzo, vom Anfang
des XIII. Jahrhunderts 2). Mit einer solchen Anstrengung ist kaum
irgendwo jeder Anklang an Harmonie, an vernünftige Entwicklung
durchgehender Motive vermieden worden wie hier. Das Innere ist bei
Weitem besser und durch die fast antiken korinthischen Capitäle in-
teressant; das Äussere der Chornische dagegen wieder der Fassade
würdig.
In Genua vermischt sich der romanische Styl Frankreichs mit
der von Pisa ausgehenden Einwirkung. Die betreffenden Kirchen sind
meist Basiliken mit einer Art von Querschiff, auch wohl mit einer
(unbedeutenden und meist veränderten) Kuppel; die Säulen theils
antik, theils in Schichten von schwarz und weiss abwechselnd; die
Capitäle theils antik, theils antikisirend. An den Fassaden ist nirgends
das reichere toscanische System von Galerien, sondern nur das ein-
fachere von Wandpfeilern, mit Abwechslung der Farbenschichten, zu
bemerken. (Die auch oft nur aus moderner Romantik aufgemalt sind.)
Zur gothischen Zeit behielt man diese ganze, für die reiche Stadt etwas
dürftige Bauweise bei und ersetzte nur einen Theil der Rundbogen
durch Spitzbogen.
Durch plastischen Reichthum sind nur die beiden Portale der
bSeitenschiffe des Domes (XII. Jahrhundert?) einigermassen ausge-
zeichnet. (Das Innere des Domes ein Umbau vom Jahr 1308, mit
cBenützung der ältern Säulen.) S. Maria di Castello ist nach den
[113]Basiliken etc. von Genua.
fast durchaus antiken Säulen und Capitälen zu schliessen die älteste
dieser Kirchen (XI. Jahrhundert?). Die Kreuzgewölbe sämmtlicher
Schiffe wohl neuer. — S. Cosmo (XII. Jahrhundert?), die Säulena
schichtenweise von schwarzem und weissem Marmor, die Capitäle roh
antikisirend. — S. Donato, XII. Jahrhundert (die Fassade etwasb
später), die hintern Säulen sammt Capitälen antik; die vordern von
abwechselnd schwarzen und weissen Marmorschichten mit roh antiki-
sirenden Capitälen; auf dem Chorquadrat ein achteckiger Thurm.
(Moderne Bemalung des Innern mit gothischen Zierrathen ohne Sinn).
Unbedeutend und nur mangelhaft erhalten: S. Stefano, S. Tom-c
maso etc.
Aus gothischer Zeit und zwar noch aus dem Anfang des XIII.
Jahrhunderts: S. Giovanni di Prè, Pfeilerkirche, zweistöckig mitd
Benützung eines Abhanges; in neuerer Zeit umgekehrt orientirt, so
dass das Querschiff und der ehemalige Chor jetzt der Hauptthür nahe
sind. — Etwas später: S. Matteo, innen mehr durch die geschmack-e
volle Umbildung Montorsoli’s als durch die alte Anlage merkwürdig.
S. Agostino und S. Maria in via lata, beide innen verändert,f
ruinirt und aufgegeben.
Die Thürme sind meist von dem einfachsten romanischen Typus,
der im ganzen Abendlande galt. Die neuern zeichnen sich ausser der
Mittelpyramide noch durch vier Eckpyramiden nach französischer
Art aus.
Von Klosterhöfen, welche im Ganzen nicht die starke Seite
des enggebauten Genua sind, findet man einen rohen und sehr alten
(XI. Jahrhundert?) links neben S. Maria delle Vigne, mit Würfelca-g
pitälen auf stämmigen Säulen und mit weitern Bogen; sodann einen
wenig neuern mit kleinen Rundbogen auf je zwei Säulchen, Erdge-h
schoss und Obergeschoss, neben dem Dom links. — Schon weit aus
der gothischen Zeit (1308) und doch kaum erst spitzbogig: der nied-i
liche, ebenfalls doppelsäulige Kreuzgang von S. Matteo (links).
Eine ganz andere, weit von allem bisherigen abweichende Gruppe
von Gebäuden bietet Venedig dar. Der eigenthümliche Genius der
handelsreichen Lagunenstadt spricht sich darin von allem Anfang an
B. Cicerone. 8
[114]San Marco in Venedig.
ganz deutlich aus; die tiefsten nationalen Züge liegen klar zu Tage.
Mit schwerer Einschränkung, durch Pfahlbau im Wasser, erkauft der
Venezianer den Hort, wo seine Schätze unangreifbar liegen können;
je enger desto prächtiger baut er. Sein Geschmack ist weniger ein
adlicher als ein kaufmännischer; das kostbarste Material holt er aus
dem ganzen verwahrlosten Orient zusammen und thürmt sich daraus
seine Kirchenhallen und Paläste. Das Vorbild Constantinopels und
der eigene patriotische Ehrgeiz drängen allerdings auf das Bedeutende
und Grosse hin, allein vorwiegend bleibt das Streben, möglichsten
Reichthum an den Tag zu legen.
Die Marcuskirche, begonnen 976, ausgebaut während des XI. und
XII. Jahrhunderts, dem Schmuck nach fortwährend vervollständigt
bis ins XVII. Jahrhundert, ist nicht als Cathedrale von Venedig
(S. Pietro hatte diesen Rang) sondern als Prachtgehäuse für die Ge-
beine des Schutzheiligen, das Palladium des Inselstaates, errichtet.
Auch für die Bauform möchte diess nicht unwesentlich sein.
Die monumentale Absicht war hier nicht minder gross als bei den
Erbauern des Domes von Pisa, die Mittel wohl ohne Zweifel grösser,
zumal in Betreff der Stoffe, welche seit den römischen Zeiten im gan-
zen Abendland kaum wieder so massenhaft kostbar aufgewandt wor-
den sind wie an S. Marco.
Im Orient, wo man die prächtigen Steinarten zusammensuchte,
standen auch diejenigen Kirchen, welche auf die damaligen Venezianer
den grössten Eindruck machten: die Kuppelbauten des byzantinischen
Styles; diesen wünschte man etwas Ähnliches an die Seite zu stellen.
Nicht zunächst von der Sophienkirche, welche nur eine Hauptkuppel
mit zwei grossen angelehnten Halbkuppeln hat, sondern von den in
allen Formen vorkommenden mehrkuppeligen Kirchen der Griechen
entnahm man die Anordnung der fünf einzelnen Kuppeln über den
Kreuzarmen und der Mitte; byzantinisch sind auch die grossen Seiten-
bogen, welche, durch Säulenreihen abgetrennt, die Nebenschiffe sämmt-
licher Haupträume bilden; ebenso die um den ganzen vordern Kreuz-
arm herumgeführte Aussenhalle; endlich die zahlreich angewandten
Nischen, in welche zumal an den hintern Theilen und an der Aussen-
halle die Wandfläche aufgeht, eines derjenigen Elemente des altrömi-
schen (und jedes grossen) Gewölbebaues, an welchem die Orientalen
[115]San Marco in Venedig.
von jeher mit Vorliebe festgehalten hatten. Die halbrunden Abschlüsse
der Hauptmauern, welche uns so befremdlich vorkommen, sind ur-
sprünglich nichts als die äussere nach orientalischer Art dachlose Ge-
stalt der Seitenbogen, auf welchen die Kuppeln ruhen; in decora-
tivem Sinn wurden sie dann auch an den untergeordneten Räumen
reihenweise wiederholt. (Die jetzige Verzierung derjenigen an S. Marco
mit Blattwerk, Giebeln und Zwischenthürmchen stammt erst aus dem
XIV. Jahrhundert.)
Die Höhe der Kuppeln ist, wie man leicht bemerkt, eine falsche,
d. h. der innern Schale nicht entprechende. Nach der Mosaikabbil-
dung (am äussersten Frontportal links) zu urtheilen, war sie es von
jeher.
Vom Detail ist die Bekleidung sämmtlicher untern Wandflächen
mit kostbaren Steinarten und die der obern mit Mosaik noch ganz im
Sinne des ersten Jahrtausends, das sich immer auf den Stoff verliess,
wenn es einen höhern Eindruck hervorbringen wollte. Alles dasjenige
Detail dagegen, welches das Leben und die Entwicklung der Bau-
masse plastisch darzustellen hat, ist überaus ärmlich; die Gesimse
jedes Ranges sind kaum zu bemerken; die Bogen, Kuppelränder u. s. w.
im Innern haben nicht einmal ausgesprochene Profile, sondern nur
einen unbestimmten Mosaikrand; am Aeussern bestehen die Profile
theils in blosser Verzierung, theils in ausdrucklosem und willkürlichem
Bandwerk. Dies Alles sind echt byzantinische, oströmische Eigenthüm-
lichkeiten; ebenso auch die Bekleidung der äussern Wandflächen mit
zerstreuten Reliefs und Mosaikzierrathen, die namentlich in den obern
Halbrundwänden der Palastseite den Charakter einer vor Alter kindisch
gewordenen Kunst zeigen. — Wie dieselbe in Betreff des Details bei-
nahe nur das Längstvorhandene aufbraucht, ist namentlich in Einer
Beziehung interessant zu verfolgen.
Die Leidenschaft, möglichst viele Säulen an und in dem Gebäude
aufzustellen, verlangte auch eine reiche Auswahl von Capitälen. Und
so ist an S. Marco angebracht, was die sieben letzten Jahrhunderte
an Capitälformen producirt hatten, eine wahre baugeschichtliche Re-
petition. Von antiken habe ich kein einziges entdecken können, wäh-
rend von den Säulen wahrscheinlich sehr viele antik sind; dafür ist
jeder Grad von frühmittelalterlicher Nachahmung und Umbildung der
8*
[116]San Marco in Venedig.
antiken Capitäle irgendwie repräsentirt. Die grossen Capitäle über
den Hauptsäulen im Innern sind von der in Ravenna üblichen Art der
korinthischen, zum Theil auch der Composita-Ordnung; der Akanthus
ist zwar zu sehr ermattet, um noch jenen schönen elastischen Um-
schlag der römischen Zeit hervorbringen zu können, allein seine Blätter
sind doch eigenthümlich lebendig gezackt; an einigen statt der Voluten
Widderköpfe. — Sonst findet man ausser dieser gewöhnlichsten
ravennatischen Form auch die mit einzeln aufgeklebt scheinenden Blät-
tern, die zu Ravenna an S. Apollinare in Classe und an der Hercu-
lesbasilica vorkommt, sogar mit seitwärts gewehten Blättern. Korin-
thisirende mit bloss einer Blattreihe kommen besonders an den kleinern
Säulen der Fassade vor; darunter auch solche mit Stieren, Adlern etc.
an den Ecken.
Im Gegensatz zu diesen vom Alterthum abgeleiteten Bildungen
macht sich dann das ganz leblose, nur durch ausgesparte vegetabilische
und kalligraphische, z. B. gitterartige Verzierungen äusserlich berei-
cherte Muldencapitäl geltend, das in Ravenna schon seit dem VI. Jahr-
hundert auftaucht. Von den vielen Variationen, in welchen es hier
vorkömmt, ist die rohste die an mehreren Wandsäulen des Innern, die
interessanteste, die an den bogentragenden Wandsäulen in der Vor-
halle; da letztere ein zaghaftes Nachbild ionischer Voluten unter sich
haben, so scheinen sie eher für eine Art von vermittelnden Consolen
als für eigentliche Capitäle gelten zu sollen. Neben dieser Form
kommt auch das echte abendländische Würfelcapitäl, doch nur ver-
einzelt vor. — Endlich offenbaren die Capitäle der acht freistehenden
Säulen in der Vorhalle den Charakter absonderlicher Prachtarbeiten
irgend einer Bauhütte von Constantinopel; es sind diejenigen mit den
noch antik schönen Löwenköpfen und Pfauen. — Die beiden vierecki-
gen Pfeiler aussen an der Südseite, welche aus einer Kirche in Pto-
lemais stammen, sind eine Trophäe aus der Zeit der Kreuzzüge. —
Einzelne Renaissancecapitäle kamen bei Ausbesserungen hinzu.
Der Eindruck des Gebäudes ist von der historisch-phantastischen
Seite ungemein bedeutend. Der Inselstaat, ein Unicum in der Welt-
geschichte, hat hier geoffenbart, was er in den ersten Zeiten seiner
höhern Blüthe für schön, erhaben und heilig hielt. Er hat das Ge-
bäude auch später immer respectirt und sich selbst auf dem Gipfel
[117]San Marco in Venedig.
seiner Macht (um 1500) wohl gehütet, es etwa durch eine Renaissance-
kirche zu ersetzen. Sanct Marcus war Herr und Mittelpunkt der Stadt, des
Staates, der Flotten, die auf allen Meeren fuhren, der fernsten Colonien
und Factoreien; geheimnissvolle Bande walteten zwischen dem ganzen
venetianischen Dasein und diesem Bau. In den fünf letzten Jahrhun-
derten ist Niemand mehr darin begraben worden; es hätte geschienen,
als dränge sich ein Einzelner in dem Raume vor, der allen gehörte.
Die einzige Ausnahme, zu Gunsten des Cardinals Giov. Batt. Zeno,
wurde gemacht als die Kunstbegeisterung einen Augenblick stärker
war als jede andere Rücksicht (1505—1515).
Rein als Bauwerk betrachtet, ist S. Marco von Aussen ziemlich
nichtig und ungeschickt. Die Kuppeln heben sich in der Wirkung ge-
genseitig auf; die Fassade ist die unruhigste und zerstreuteste die es
giebt, ohne wahrhaft herrschende Linien und ausgesprochene Kräfte.
Anders verhält es sich mit dem Innern. Man wird dasselbe vor allem
grösser finden, als der Eindruck des Äussern erwarten liess, trotz der
Bekleidung mit Mosaiken auf Goldgrund, die sonst ein Gebäude eher
verkleinert und trotz der Aussenhalle, welche für den Effect des In-
nern natürlich in Abrechnung kömmt. Diese scheinbare Grösse be-
ruht auf den einfachen, gar nicht (wie am Äussern) in kleine Motive
zersplitterten Hauptformen; die Mittelräume sind wirklich gross und
gleichsam aus Einem Stück, die Nebenschiffe versprechen eine bedeu-
tendere Ausdehnung, als sie in der That besitzen. Auch die Kuppeln
gewähren hier eine Bereicherung der Perspective und eine scheinbare
Erweiterung des Raumes. Sodann macht die ernste, gediegene Pracht
sämmtlicher Baustoffe, hier im Dienste grösserer Einfachheit, immer
eine grosse Wirkung. Ihr jetziges Hauptlicht hat die Kirche erst im
XIV. Jahrhundert, durch das grosse Rundfenster des südlichen Quer-
schiffes erhalten; vorher war sie nach byzantinischer Art ziemlich dun-
kel; die wichtigsten Gottesdienste gingen wohl bei starker Lampenbe-
leuchtung vor sich. — Noch grösser als die bauliche Wirkung ist aber
die malerische im engern Sinn, welche S. Marco zum Lieblingsbau der
Architekturmaler gemacht hat. Sie beruht auf den geheimnissvollen
Durchblicken mit scharfabwechselnder Beleuchtung 1), auf der gedämpf-
[118]Romanische Architektur. Alte venez. Bauten.
ten Goldfarbe der sphärischen und cylindrischen Flächen, und auf der
ernsten Farbigkeit aller plastischen Gegenstände; abgesehen von dem
hier sehr stark mitwirkenden historisch-phantastischen Eindruck.
Diesem Gebäude kann schon desshalb in und um Venedig nichts
mehr gleichkommen, weil nur Ein politisch-religiöses Palladium, nur
Ein Leichnam des Evangelisten vorhanden war.
Von den Kirchen der umliegenden Inseln wurden diejenigen auf
aTorcello schon bei einem frühern Anlass (S. 91, a; 94 a) erwähnt.
bDer Dom (S. Donato) in Murano aus dem XII. Jahrhundert, eine ge-
wölbte Säulenkirche mit Querschiff auf Pfeilern, ist in der innern De-
coration mit aller Anstrengung der Pracht von S. Marco genähert;
Säulen von griechischem Marmor, ein ähnliches Bodenmosaik u. s. w.
Aussen dagegen zeigt die Chorseite, auf welche Art sich dieser Styl
ohne Marmorbekleidung in Backstein zu helfen suchte.
Von weltlichen Gebäuden dieses Styles ist der sog. Fondaco
de’ Turchi, ein alter Privatpalast, das bedeutendste; eine lange Log-
gia mit überhöhten Rundbogen über einer starken Säulenhalle im untern
Stockwerk giebt ihm ein bedeutendes Ansehen. (Mit den Türken hat
das Gebäude erst seit 1621 zu schaffen.)
Ausserdem: Palast Farsetti, jetziges Municipio (nahe bei der
Post) mit einer durchgehenden Stellung von Doppelsäulchen im ersten
Stock und einer viersäuligen Halle im Erdgeschoss, deren Basen um-
gekehrte Capitäle sind. (Innen ein schönes Treppenhaus des Barock-
estyls.) — Noch bedeutender der anstossende Palast Loredan, mit
bunten Incrustationen. (Soll in einen Gasthof verwandelt werden).
f— Ein kleiner Palast zwischen Palast Micheli und Palast Civran hat
sogar von jenen kleinen Zierfensterchen, wie sie an S. Marco vor-
kommen.
Diese sämmtlichen Gebäude mögen uns etwa das Venedig des vier-
ten Kreuzzuges (1202) vergegenwärtigen helfen.
Zwischen Venedig und Toscana, in der Lombardie und stellen-
weise die ganze Via Aemilia abwärts bis ans adriatische Meer
[119]Lombardischer Kirchenbau.
entwickelt sich, nicht ohne nordische Einwirkung, derjenige Styl des
Kirchenbaues, welcher von Manchen als der lombardische schlechtweg
bezeichnet wird. Mit grossem Unrecht würde man aber diese Benen-
nung (wie schon geschehen) auf den romanischen Styl überhaupt aus-
dehnen; der Norden hat hier gewiss eher gegeben als empfangen, und
seine Bauten sind viel strenger in einem bestimmten Sinne durchge-
führt als die lombardischen; sie geben gerade das Wesentliche: den
Gewölbebau mit gegliederten Pfeilern, ungleich consequen-
ter und edler. — In Einer Beziehung aber bleiben die italienischen
originell: im Fassadenbau. Die romanische Architektur des Nor-
dens hatte von frühe an die Thürme, zu zweien, zu vieren, als
wesentliche Bauglieder an den Ecken der Kirche angebracht; seit dem
Vorgang normannischer Baumeister nach der Mitte des XI. Jahrhun-
derts wurden die Thürme sogar zum Hauptmotiv aller bedeutendern
Kirchenfassaden. In Italien dagegen blieb der Thurm als Nebensache
auf der Seite stehen, und die Fassade war auf irgend eine andere
Weise zu decoriren. Wir sahen, wie die Toscaner durch Anwendung
des Marmors, durch mehrere Stockwerke von Säulenstellungen zu wir-
ken wussten; ihre Fassade ist immer der wenigstens annähernde Aus-
druck der Kirche, d. h. eines hohen Mittelschiffes und niedrigerer Neben-
schiffe. In Oberitalien dagegen wird die Frontwand nur allzu oft als
ein Gegenstand beliebiger Bildung und Decoration vor die Kirche hin-
gestellt; ohne Absatz steigt sie empor, als wären alle drei Schiffe
gleich hoch; Galerien laufen querüber und am Dachrand auf und nie-
der; als Strebepfeiler dienen vorgesetzte Säulen, deren Capitäle in der
Regel nichts tragen; Bogenwerk, Wandsäulchen, Sculpturen oft ohne
allen Sinn füllen den Raum wohl oder übel aus. (Der Portalbau ist
oft von grosser Pracht, seine Gliederung theils nordisch mit schräg
einwärts tretenden Säulenreihen, theils südlich mit vorgesetzter Halle
von zwei Säulen, in der Regel auf Löwen, theils aus beiden Motiven
zusammengesetzt.) Auch an den übrigen Aussenseiten macht sich
eine willkürlichere Verzierung geltend als an den bessern Kirchen des
Nordens. — Über der Kreuzung der beiden Arme wird wo möglich
eine achteckige Kuppel angebracht, mit Galerien ringsum, flach gedeckt.
Mehr als im Norden und in Toscana ist hier eine unbarmherzige
Modernisirung über das Innere der Kirchen ergangen. Während die
[120]Romanische Architektur. Oberitalien.
Fassade das reinste Mittelalter verspricht, wird man beim Eintritt in
die Kirche beinahe regelmässig durch einen Umbau im Barockstyl
enttäuscht. Die historische Pietät, welche seit dem XVI. Jahrhundert
manche toscanische Kirche als Werk einheimischer Künstler rettete,
fiel weg bei Gebäuden, die man als Werke eines aufgedrungenen bar-
barischen Styles betrachtete 1).
Die allzu berühmte Kirche S. Michele in Pavia muss zuerst
genannt werden, weil ihr vermeintliches Alter — man verlegte sie in
die Zeit des langobardischen Königreiches — zu dem irrigen Zuge-
ständniss einer Priorität Oberitaliens in dem betreffenden Styl Anlass
gab. Der ganze jetzige Bau, auch innen leidlich erhalten, stammt aus
der letzten Zeit des XI. Jahrhunderts. Die Fassade ist ganz beson-
bders gedankenlos. — Später und etwas belebter: die der Augusti-
nerkirche.
S. Ambrogio in Mailand, vom gewölbten Vorhof aus (S. 77, f.)
ein bedeutender Anblick, mit einer untern und obern Vorhalle, ent-
spricht im Innern durch keine Art von Schönheit dem classischen ge-
schichtlichen Ruhm. Ungeschickte und frühe Umbauten (die jetzige
Gestalt aus dem XII. Jahrhundert); geringes Licht; Anzahl wichtiger
Alterthümer.
S. Fedele in Como, beträchtlich verbaut, aber wegen der ab-
gerundeten Kreuzarme mit Bogenstellungen als mittelalterliche Nach-
bildung von S. Lorenzo in Mailand merkwürdig.
Der Dom von Modena in seiner jetzigen Gestalt begonnen 1099;
aussen mit einer ringsum laufenden Galerie, von welcher je drei Bo-
gen durch einen grössern Bogen auf Wandsäulen eingefasst werden;
im Innern abwechselnd Säulen mit antikisirenden Capitälen, und starke
Pfeiler mit Halbsäulen; die obere Galerie (von jeher) bloss scheinbar,
[121]Oberitalische Kirchen.
indem ihr Raum noch zu den Seitenschiffen gehört; hohe Crypta auf
Säulen mit romanischen Capitälen; ihr Eingang ein Lettner von ge-
raden Steinplatten auf Säulchen, deren vordere Reihe auf Stützfiguren
(Zwerge auf Löwen) ruht. Hinten drei Tribunen. Der Oberbau neuer.
Das Detail durchgängig befangen, doch nicht roh.
Der Dom von Cremona, XII. Jahrhundert.a
Der Dom von Piacenza, begonnen 1122, erhielt im XIII. Jahr-b
hundert eine Erhöhung, welche sich schon von aussen durch den Back-
stein im Gegensatz zum Marmor des Unterbaues kundgiebt. Innen
macht jetzt das Hauptschiff den Eindruck einer französischen Kirche
des Übergangsstyles; man hatte für nöthig gefunden, die alten (Säulen
oder) Pfeiler zu schweren Rundsäulen zu verstärken; je zweien ihrer
Intervalle entspricht nun eine Abtheilung des hohen Kreuzgewölbes.
Die Lösung der Kuppelfrage ist hier viel weniger gelungen als in Pisa;
die Kuppel entspricht — sehr unharmonisch — zweien Schiffen des
dreischiffigen Querbaues, welcher übrigens mit dem pisanischen die
halbrunden Abschlüsse gemein hat. Unter dem Chor eine weitläufige
fünfschiffige Crypta mit dreischiffigem Querbau; die Kreuzung ist durch
eine Lücke markirt, die vier Säulen entsprechen würde.
Der Dom von Parma, ein Bau des XII. Jahrhunderts, mit ge-c
gliederten Pfeilern, einschiffigem Querbau (der in Nischen schliesst),
und hoher weiter Crypta, erhielt, wie es scheint, im XIII. Jahrhun-
dert einen höhern Oberbau wie der Dom von Piacenza, doch ohne
dabei seine innere Galerie einzubüssen wie dieser. Das Detail der
alten Bestandtheile erscheint durchgängig, zumal in der Crypta, noch
sehr unentwickelt. Der Anblick von der hintern Seite vorzüglich be-
deutend.
Am Dom von Ferrara gehören dem Urbau von 1135 nur nochd
der untere Theil der Fassade und die beiden Seitenfassaden an. Die
letztern sind vorherrschend (die nördliche fast ganz) von Backstein;
eine obere Galerie, mit birnförmigen Giebelchen über den je vier und
vier zusammengehörenden Bogen entspricht zwar nicht der weiter un-
ten angebrachten, wo je drei Bogen von einem grössern Bogen einge-
fasst sind, ist aber doch wohl ebenfalls aus dem XII. Jahrhundert. —
Chor und Thurm Renaissance; das Innere vollständig (und zwar nicht
schlecht) modernisirt. Der Oberbau der Hauptfassade ist eine wun-
[122]Romanische Architektur. Kirchen von Verona.
derliche Decoration, noch romanisch gedacht, aber in bereits gothischen
Formen, aus dem XIII. Jahrhundert.
Vielleicht der edelste romanische Bau Oberitaliens ist die schöne
aKirche S. Zeno in Verona, die in ihrer jetzigen Gestalt 1139 be-
gonnen wurde. In der Fassade spricht sich früher als sonst irgendwo
die Neigung zum Schlanken und Strebenden aus, nicht bloss durch
die verticalen Wandstreifen, sondern noch deutlicher durch die Unter-
ordnung der horizontalen Galerie, welche von jenen durchschnitten
wird statt sie zu durchschneiden. — Das Innere ist eine unverkenn-
bare Vorstufe desjenigen von S. Miniato; eine Basilica abwechselnd
auf Säulen und Pfeilern; über letztern sollten sich oben grosse Bogen
als Mitträger eines Sparrendaches wölben; allein sie wurden nur über
zwei Pfeilern ausgeführt, indem beim weitern Verlauf des Baues eine
Erhöhung der Obermauer und ein Holzgewölbe sie unnütz machten.
Die Crypta ist hoch und ausgedehnt, wie in den meisten oberitalischen
Hauptkirchen dieser Zeit. Die Capitäle der Säulen scheinen fast alle
im Mittelalter nach antiken Vorbildern gemeisselt, die hintersten moder-
nisirt. (Antik: vielleicht das vorletzte rechts.) Die Bildung des De-
tails ist durchweg ziemlich streng und gut. — (Das Innere von S. Mi-
niato ist unläugbar schöner: je zwei Säulen zwischen den Pfeilern,
statt bloss einer oder zweien, so dass die Pfeiler mit ihren Bogen
grosse Quadrate abschliessen; eine geringere Länge und eine nicht bloss
relativ, sondern auch (wenn wir nicht irren) absolut grössere Breite
des Mittelschiffes; endlich eine vollständige Durchführung derjenigen
Bedachung, welche in S. Zeno beabsichtigt und wieder aufgegeben
wurde.) — Der anstossende Klosterhof mit einem eigenthümlichen Aus-
bau ist gleichzeitig mit der Kirche.
Die übrigen alten Basiliken Verona’s, welche wir bei diesem
Anlass nachholen, zeigen einige interessante Eigenthümlichkeiten. So
bhat S. Lorenzo ein oberes Stockwerk von Galerien und aussen an
der Fassade zwei antik scheinende Rundthürme. Das Innere, abwech-
selnd Pfeiler und Säulen, letztere zum Theil mit antiken Capitälen,
gehört doch wohl erst unserm Jahrtausend an; das Tonnengewölbe
cvielleicht ursprünglich. — S. Zeno in Oratorio, zwar klein und
gedrückt, doch nicht sehr alt, mit einem Kuppelchen vor der Tribuna.
d— In S. Maria antica haben nur noch die Säulen ihre ursprüng-
[123]Verona. Mittelitalien.
liche Gestalt. — S. Giovanni in Fonte, das Baptisterium, ist einea
einfache Basilica, etwa XII. Jahrhundert. — S. Stefano, Pfeiler-b
basilica von schwer zu ermittelndem Alter, mit Polygonkuppel aus
romanischer Zeit; der auf hoher Crypta stehende Chor mit einem wun-
derlichen Umgang. (Das Grab der jüngern Placidia ist der Altar un-
mittelbar rechts vom Hochaltar.)
Am Dom ist die Fassade (XII. Jahrhundert) zwar besser undc
sinnvoller als die der Cathedralen von Piacenza bis Modena, doch der-
jenigen von S. Zeno noch nicht zu vergleichen. Sehr interessant ist
die gleichzeitige Aussenverzierung der Tribuna; engstehende Wand-
streifen mit einem geraden Gesimse, welches mit zierlicher Schüch-
ternheit die Antike nachahmt. (Die Ausbauten an den Seitenschiffen
ähnlich, aber erst aus dem XV. Jahrhundert.)
Im Süden ist der Dom S. Ciriaco zu Ancona1) (XII. undd
XIII. Jahrhundert) ein eigenthümliches Gemisch lombardischer und
orientalischer Bauweise: ein griechisches Kreuz, nach jeder Richtung
dreischiffig; die Mittelschiffe und ihre Fronten erhöht; gewölbter Säu-
lenbau; in der Mitte eine Kuppel; an der Fronte gegen die Stadt ein
reiches Portal. — Die Kirche S. Maria della Piazza ebenda zeigte
in ihrer einzig erhaltenen Fassade (XII. Jahrhundert) die Bogenstel-
lungen, die an den lombardischen Kirchen noch immer einen Anschein
von Sinn haben, zur bunten Spielerei entwürdigt. — Ähnlich, jen-
seits vom Apennin, die Fassade des Domes von Assisi (XII. Jahr-f
hundert, mit einer viel ältern Crypta); am Portal das Decorative auf-
fallend gut gearbeitet. — In S. Flaviano vor Montefiascone istg
der romanische Styl überhaupt nur noch wie von Hörensagen gehand-
habt. (Als Doppelkirche sehenswerth.) — Die Seitenfassade des Domesh
von Foligno und die Hauptfassade des Domes von Spoleto habeni
schon eher etwas einfach Imposantes. — Aber auch einzelne ziemlich
streng romanische Bauten kommen noch weit abwärts, bis nach Apu-
lien vor; freilich ist nichts von dem Belang irgend einer rheinischen
Cathedrale darunter.
[124]Gothische Architektur.
Da der Maasstab, nach welchem wir verfahren, nicht der der
historischen Merkwürdigkeit, sondern der des bestimmten Stylbildes
ist, so müssen hier eine Menge Gebäude [un]entschiedener, disharmoni-
scher Bildung ungenannt bleiben. Italien ist ganz besonders reich an
wunderlich zusammengeflickten, theilweise aus alten Resten, theilweise
aus Zubauten aller Jahrhunderte bestehenden Kirchen; die Unterschei-
dung dieser verschiedenen Bestandtheile könnte ganze Abhandlungen
erfordern, ohne dass das künstlerische Verlangen dabei die geringste
Nahrung fände. Wir beschränken uns auf eine allgemeine Bemer-
kung, welche bei der Altersbestimmung vieler Gebäude zum Leitfaden
dienen kann: noch während der ganzen Herrschaft des germanischen
oder gothischen Baustyls in Italien (XIII. und XIV. Jahrhundert) wurde
unaufhörlich, zumal bei kleinern und entlegenern Bauten, an dem Rund-
bogenstyl aus Gewohnheit festgehalten. Da man ferner selbst an Haupt-
bauten dem gothischen Styl sein echtes Detail nur mit Widerstreben
und Missverstand abnahm, so bildete sich überhaupt keine so kennt-
liche, bis in das geringste Gesims, Blatt oder Thürmchen charakteri-
stische Formation aus, wie in der nordischen Gothik. Rechnet man
hinzu, dass die Italiener, selbst wo sie das Meiste beibehielten, doch
den Spitzbogen bald wieder aufgaben, so wird es nicht mehr befrem-
den, wenn ihre Kirchen des XIV. Jahrhunderts bisweilen von viel
frühern nur unwesentlich oder fast gar nicht abweichen.
Das Eindringen der germanischen oder gothischen Baufor-
men aus dem Norden war für die italienische Kunst ein Schicksal,
ein Unglück, wenn man will, doch letzteres nur für die Ungeschickten,
die sich auch sonst nicht würden zu helfen gewusst haben. Wenn
man z. B. am Baptisterium von Florenz das XIII. Jahrhundert auf dem
besten Wege zu einer harmonischen Schönheit in antikisirenden For-
men findet, so wird man sich auch bald überzeugen, dass unter der
kurz darauf eingedrungenen gothischen Zierform das Grundgefühl un-
verletzt blieb und sich gerade unter dieser Hülle auf das Herrlichste
ausbildete.
[125]Kirchen von Neapel.
Die ersten gothischen Baumeister in Italien waren Deutsche. Es
ist auffallend und beinahe unerklärlich, dass sie das aus dem Norden
Mitgebrachte so rasch und völlig nach den südlichen Grundsätzen um-
bilden konnten. Sie gaben gerade das Wesentliche, das Lebensprineip
der nordischen Gothik Preis, nämlich die Ausbildung der Kirche zu
einem Gerüst von lauter aufwärtsstrebenden, nach Entwicklung und
Auflösung drängenden Kräften; dafür tauschten sie das Gefühl des
Südens für Räume und Massen ein, welches die von ihnen gebildeten
Italiener allerdings noch in weiterm Sinn an den Tag legten.
Ein einziges Gebäude macht, so viel mir bekannt ist, eine unbe-
dingte Ausnahme: der Chorumgang von San Lorenzo in Neapel,a
unter Carl von Anjou ohne Zweifel unter dem Einfluss eines mitge-
brachten französischen Baumeisters 1) errichtet. Wer sich für einen
Augenblick in den Norden versetzen will, wird in dieser hohen, schlan-
ken Halle mit ihrem Capellenkranz sein Genüge finden; die Formen
sind allerdings nicht von deutschgothischer Reinheit und der Chor
selbst modernisirt. (Leider ebenso der hübsche Capitelsaal.) S. Do-b
menico maggiore hat vom nordischen Styl wenigstens die enge
Pfeilerstellung und die steilen Spitzbogen; S. Pietro a Majellac
ebenso, doch für Italien minder auffallend; am Oberbau des Domesd
(aussen am Querschiff etc.) macht sich das Festungsartige der fran-
zösich-englischen Cathedralen geltend. An S. Giovanni maggioree
ein stattliches Portal von noch beinahe französisch-gothischer Bildung.
(An S. Chiara das Gothische theils nie ganz ausgebaut, theils bis ins
Unkenntliche entstellt.)
Diesen vereinzelten französischen Einfluss abgerechnet hat überall das
südliche Grundgefühl den Sieg behalten. Die gothischen Formen, losge-
trennt von ihrer Wurzel, werden nur als ein decoratives Gewand über-
geworfen; Spitzthürmchen, Giebel, Fensterstabwerk u. dgl. sind und
bleiben in Italien nie etwas Anderes als Zierrath und Redensart, da
ihnen die Basis fehlt, deren Resultat und Ausdruck sie sind, nämlich
das nordische Verhältniss des Raumes zur Höhe und die strenge Ent-
wicklung der Form nach oben. Der nothwendige Ausdruck des Weit-
[126]Gothische Architektur.
räumigen dagegen, welches die Italiener bezweckten, ist die Horizon-
tale; während sie im Norden nur als überwunden angedeutet wird,
tritt sie hier als herrschend auf. Natürlich ergeben sich hiebei oft
schreiende Widersprüche mit dem auf das Steile und Hohe berechne-
ten Detail, und diejenige Kirche, die von dem letztern am wenigsten
an sich hat, wird auch am wenigsten Störendes haben. — Genau be-
sehen möchte die grosse Neuerung, die aus dem Norden kam, wesent-
lich ganz anderswo liegen als in der Behandlung der Formen. Nach-
dem schon lange in der Lombardie der gegliederte Pfeilerbau in der
Art der romanischen Baukunst des Nordens ausgeübt worden war,
drang er jetzt (XIII. Jahrhundert) erst recht über den Apennin. Die
Säulenbasilica wich endlich auch in Mittelitalien, nicht vor dem ästhe-
tischen, sondern vor dem mechanisch-constructiven Ruhm der nordi-
schen, jezt ins Gothische oder Germanische umgebildeten Bauweise.
Die Wölbung im Grossen, bisher den Kuppeln und Nischen vorbe-
halten, dehnt sich jetzt erst über das ganze Gebäude aus und zwar
sogleich in einem andern Sinn als im Norden, zu Gunsten der Weit-
räumigkeit, die dann bald zur Schönräumigkeit wird.
Ist es ohne Lästerung erlaubt, etwas zu Ungunsten des herrlichen
germanischen Styles zu sagen und den Italienern in irgend einem Punkte
dieser Frage ein grösseres Recht zuzugestehen? — so möchte ich zu
bedenken geben, ob an den nordischen Bauten nicht des organischen
Gerüstwesens zu viel sei, und ob nicht wegen der ungeheuern Kosten,
die dasselbe nach sich zieht, manche Cathedrale unvollendet geblieben.
Man wird z. B. an vielen italienischen Bauten dieses Styles vielleicht
mit Befremden die Strebepfeiler, die im Norden so weit vortreten,
kaum als Wandbänder angedeutet finden, die denn natürlich keines
Abschlusses durch Spitzthürmchen bedürfen; der Grund ist einleuch-
tend: ihre nordische Ausbildung hatte das constructive Bedürfniss eines
Widerlagers für die Gewölbe unendlich überschritten und wurde daher
im Süden als Luxus beseitigt. Die nordische Gothik hatte ferner den
Thurm zum Führer, zum Hauptausdruck des Baues gemacht und die
ganze Kirche mehr oder weniger nach seinem Vorbilde stylisirt; —
die Italiener fanden dieses Verhältniss weder nothwendig noch natürlich
und stellten ihre Thürme fortwährend getrennt oder in anspruchloser
Verbindung mit der Kirche auf; den ursprünglichen Zweck der Thürme,
[127]Allgemeine Züge.
als Glockenbehälter (Campanili) liessen sie weder der Sache noch dem
Wort nach in Vergessenheit kommen. Nun stand ihnen für die Fas-
sade jede Form frei; die Folge war eine bereicherte Umbildung der
Fassaden ihrer romanischen Kirchen, meist als isolirtes Prachtstück
behandelt, das mit dem übrigen Bau nur äusserlich zusammenhängt
und ihn schon an Grösse zu überragen pflegt.
Wenn man von der Pracht des Materials, der Marmorsculpturen
und Mosaiken an den wenigen wirklich ausgeführten Fassaden dieser
Art (Siena, Orvieto) nicht mehr geblendet ist, so wird man
gerne zugestehen, dass in ihnen nicht das grösste Verdienst des Baues
liegt, gerade weil sie am meisten mit gothischen Elementen, die hier
decorativ gemissbraucht werden, erfüllt sind. Am ganzen übrigen Bau
aber wird man das Gothische selbst als Zierform nur wenig ange-
wandt, ja vielleicht auf Fenster und Thüren beschränkt finden; selbst
die Hauptbogen, welche das Oberschiff tragen, sind seit dem XIV.
Jahrhundert und bisweilen schon früher wieder rund. — Und das
Oberschiff selbst, wozu die in Deutschland gebräuchliche Höhe, die
das Doppelte der Seitenschiffe beträgt? Zu den engen Pfeilerstellun-
gen des Nordens gehörte sie als nothwendige Ergänzung; über den
weitgespannten Intervallen der italienischen Kirchen wäre sie schon
mechanisch bedenklich und für das Gefühl überflüssig gewesen, und so
erhielt das Mittelschiff nur diejenige Überhöhung, welche der Kirche
ein mässiges Oberlicht sicherte. (Am Dom von Perugia sogar die
drei Schiffe gleich hoch, wie an der Elisabethkirche zu Marburg,
S. Stephan in Mainz etc.) Die Fenster, welche in den Cathedralen
des Nordens die ganze verfügbare Wandfläche in Anspruch nehmen
und recht eigentlich als Negation derselben geschaffen sind, durften
in Italien wieder auf eine mässige Grösse herabgesetzt werden, da
man hier gar nicht den Anspruch machte, alles Steinwerk nur so weit
zu dulden, als es sich in strebende Kräfte auflösen liess; die Wand-
fläche behielt ihr Recht wie der Raum überhaupt. — Endlich zeigt
die Pfeilerbildung, dass wenigstens die mittelitalienischen Baumeister
im Stande waren, das Detail nach dem Ganzen ihres Baues nicht
bloss zu modificiren, sondern neu zu schaffen. Die herübergekomme-
nen Deutschen, wie der Meister Jakob, welcher S. Francesco zu Assisi
und den Dom von Arezzo schuf, halten noch einigermassen an dem
[128]Gothische Architektur. Dom von Mailand.
Säulenbündel der nordischen Gothik fest; die gebornen Italiener aber
organisiren ihre Stützen bald für jeden besondern Fall eigenthümlich.
Unglücklicher Weise macht gerade das berühmteste, grösste und
akostbarste gothische Gebäude Italiens, der Dom von Mailand, in
den meisten der genannten Beziehungen eine Ausnahme zum Schlech-
tern. Entworfen und begonnen in spätgothischer Zeit (1386) durch
Heinrich Arler von Gmünd, aus einer Künstlerfamilie, welche da-
mals einen europäischen Ruf genoss, beruht diese Kirche von allem
Anfang an auf dem verhängnissvollsten Compromiss zwischen der ita-
lienischen Compositionsweise und einem spät aufflammenden Eifer 1)
für die Prachtwirkung des nordischen Details. (Wozu noch kömmt,
dass die leblose Ausführung des Gothischen zum Theil erst den letzten
Jahrhunderten, ja dem unsrigen angehört, nachdem eine Zeit lang im
Styl der spätern Renaissance an dem Gebäude war fortgebaut worden.)
Italienisch und zwar speciell lombardisch ist die Fassade gedacht, und
alle Spitzthürmchen können ihr den schweren und breiten Charakter
nicht nehmen; italienisch ist auch die geringe Überhöhung der mitt-
lern Schiffe über die äussern. Im Übrigen herrscht das unglücklichste
Zuviel und Zuwenig der nordischen Zuthaten; der Grundplan mit
der verhältnissmässig engen Pfeilerstellung ist wesentlich nordisch;
aussen weit vortretende Strebepfeiler, mit hässlichem Reichthum or-
ganisirt; die giebellosen Fenster nordisch gross, so dass das Oberlicht
aus den kleinen Fenstern der mittlern Schiffe nicht dagegen aufkom-
men kann und das Gebäude damit den Charakter einer Kirche gegen
den einer Halle vertauscht; die Pfeilerbildung im Innern eine Remi-
niscenz nordischer Säulenbündel, aber von sinnloser Hässlichkeit; ihre
Basen wahrhaft barbarisch; statt der Capitäle ganze Gruppen von Sta-
tuen unter Baldachinen, dergleichen eher überall als dort hingehört.
Am ganzen Bau ist dann das nordische Detail, auf dessen decorative
Wirkung es abgesehen war, dergestalt mit vollen Händen vertheilt,
dass man z. B. über die leere Gedankenlosigkeit des Chorabschlusses,
über die willkürliche Bildung der (geringen) Kuppel und der Quer-
[129]Dome von Mailand und Genua.
fronten mit angenehmer Täuschung hinweggeführt wird. Man denke
sich aber diesen Reichthum der Bekleidung hinweg und sehe zu was
übrig bleibt.
Der Dom von Mailand ist eine lehrreiche Probe, wenn man einen
künstlerischen und einen phantastischen Eindruck will von einander
scheiden lernen. Der letztere, welchen man sich ungeschmälert er-
halten möge, ist hier ungeheuer; ein durchsichtiges Marmorgebirge,
hergeführt aus den Steinbrüchen von Ornavasco, prachtvoll bei Tag
und fabelhaft bei Mondschein; aussen und innen voller Sculpturen und
Glasgemälde und verknüpft mit geschichtlichen Erinnerungen aller Art —
ein Ganzes, dergleichen die Welt kein Zweites aufweist. Wer aber
in den Formen einen ewigen Gehalt sucht und weiss, welche Ent-
würfe unvollendet blieben, während der Dom von Mailand mit riesi-
gen Mitteln vollendet wurde, der wird dieses Gebäude ohne Schmerz
nicht ansehen können.
Bei diesem Anlass muss auch noch der Fassade des Domes vona
Genua gedacht werden. Sie ist ein fast ganz getreues Nachbild älterer
französischer Cathedralfronten des XIII. Jahrhunderts, nur mit denjeni-
gen Modificationen, welche der Stoff — schichtenweis wechselnder
weisser und schwarzer Marmor — nothwendig machte. In den obern
Theilen, zumal dem einen ausgeführten Thurm, wird das französische
Muster wieder vernachlässigt. Innen folgt auf den gewaltigen Unter-
bau der Thürme mit sonderbarem Contrast eine schlanke spitzbogige
Basilica, sogar mit doppelter Säulenstellung, (jetzt) mit Tonnengewöl-
ben bedeckt. (Anfang des XIV. Jahrhunderts.)
Nach Beseitigung der bisher genannten, unter Ausnahmsbedin-
gungen entstandenen Kirchen gehen wir zu den wahrhaft italienisch-
gothischen über, in welchen der nordische Styl weder unmittelbar,
noch in erzwungenem Mischgrad zur Geltung kömmt. Vielmehr durch-
dringen sich hier Nordisches und Südliches auf vielartige, immer auf
geistreiche Weise.
Als es noch kaum in Deutschland selber gothische Kirchen gab,
B. Cicerone. 9
[130]Gothische Architektur. Kirchen von Assisi.
erbaute Meister Jacob der Deutsche (1218—1230?) die Doppelkirche
aS. Francesco zu Assisi. Sie ist eine der wenigen Kirchen Ita-
liens, welche das System der nordischen Bildung des Pfeilers (als
Säulenbündel) in einiger Reinheit aufweisen. Allein schon die Ge-
wölberippen sind ohne die nordische Schärfe, vielmehr als breit profi-
lirte Träger gemalter Ornamente gestaltet, und in der Gesammtdispo-
sition hat das italienische Raumgefühl mit seinen möglichst grossen
Quadraten das Feld behalten. (Die genannten Ornamente der Gewöl-
bebänder und Rippen sind, beiläufig gesagt, das bestimmende Vorbild
für die ganze Gewölbedecoration der mittelitalischen Gothik 1) gewor-
den, wie sie es mit ihrer lebensvollen Eleganz verdienten; im dritten
Gewölbe der Oberkirche, vom Portal aus gezählt, ist sogar noch die
ganze dazu gehörende Deckenmalerei von Cimabue erhalten.) Die
Mauern der Oberkirche sowohl als der Unterkirche sind mit ihren
nur mässigen Fenstern hauptsächlich den Fresken gewidmet. Die Stre-
bepfeiler aussen an der Mauer nicht eckig, sondern halbrund, Wen-
deltreppen enthaltend. An der schönen Hauptpforte (unten links) ein
merkwürdiges Schwanken zwischen antiker und gothischer Einzelbil-
dung. Das Innere der Oberkirche als Ganzes höchst würdig und im-
posant. (Die Crypta unter der Unterkirche durchaus modern.) —
bS. Chiara in Assisi giebt ähnliche Motive einfacher wieder; die
grossen Strebebogen nur des Abhanges wegen errichtet.
Diese Gebäude warfen ein weites Licht über die Gegend und tru-
gen zum Sieg des gothischen Styles in Mittelitalien nicht wenig bei.
Mit S. Francesco nahm der ganze grosse Orden, der von dem dort
begrabenen Heiligen den Namen führt, Partei für die Neuerung, und
daneben durfte auch der Dominicanerorden nicht zurückbleiben. Die
wichtigsten Kirchen der beiden mächtigen Genossenschaften werden
noch besonders zu nennen sein; hier ist nur auf den allgemeinen Ty-
pus aufmerksam zu machen, der sich für ihre Gotteshäuser feststellte.
Die nordischen Bettelordenskirchen des XIII. und XIV. Jahrhunderts
sind bekanntlich dreischiffige flachgedeckte Säulenkirchen mit möglichst
[131]Bettelordenskirchen. Dom von Arezzo.
schlankem, gewölbtem, hochfenstrigem, polygon abschliessendem Chor,
dessen Dach ein dünnes Spitzthürmchen trägt. Die umbrischen und
toscanischen dagegen 1) haben in der Regel nur ein breites, bisweilen
ganz ungeheures Schiff mit sichtbarem Dachstuhl (S. Francesco unda
S. Domenico in Siena, S. Francesco in Pisa etc. 2) und einen Querbau,b
an welchen sich hinten fünf, sieben, ja bis eilf quadratische Capellen
anschliessen, deren mittelste, etwas grössere, den Chor ausmacht. Bei
geringern Kirchen fehlt der Querbau und es schliessen sich bloss drei
Räume, ein grösserer und zwei kleinere, an das Schiff an; bei ganz
grossen dagegen hat der Querbau Capellen an beiden Seiten und wohl
auch noch an beiden Fronten. Von aussen sind diese Gebäude ganz
schlicht, meist Ziegelbau mit Wandstreifen und Bogenfries; ihre Fassa-
den harren fast ohne Ausnahme noch der Incrustation; höchstens ein
Portal mit gemalter Lunette ist fertig, und noch dazu aus späterer
Zeit. Von den backsteinernen Glockenthürmen ist der von S. Fran-c
cesco zu Pisa einer der besten. — Übrigens war diese Kirchenform
nur Gewohnheit, nicht Gesetz, und gerade einige der berühmtesten
Ordenskirchen richten sich danach nicht.
Wir nennen zunächst diejenigen Gebäude, in welchen noch von
der nordischen Tradition her der Pfeiler mit Halbsäulen gegliedert
auftritt.
Von demselben Jacob dem Deutschen, welcher S. Francesco baute,
wurde in demselben Jahre 1218 auch der Dom von Arezzo be-d
gonnen, welchen dann nach Unterbrechungen der einheimische Künst-
ler Margheritone 1275—1289 vollendete. Dieses schöne Gebäude wäre,
wenn obige Annahmen zuverlässig sind 3), das frühste unter denjeni-
gen, welche die italienische Raumbehandlung in gothischen Formen
ausdrücken; das Mittelschiff, nicht bedeutend über die Seitenschiffe
emporragend, trägt an seinen Obermauern Rundfenster; die weitge-
stellten schlanken Pfeiler sind schon gemischt aus vier halbachtecki-
gen Hauptträgern und vier dazwischen gesetzten Halbsäulen.
9*
[132]Gothische Architektur. S. Maria novella.
Die nächste Verwandtschaft mit dieser Cathedrale offenbart die
aberühmte Dominicanerkirche S. Maria novella in Florenz, in ihrer
jetzigen Gestalt begonnen 1278 unter Leitung der Mönche Fra Sisto
und Fra Ristoro. Hier finden wir einen etwas anders gegliederten
Pfeiler, bestehend aus vier Halbsäulen und vier Eckgliedern dazwi-
schen, welche als Theile achtkantiger Pfeiler gedacht sind. Wiederum
aber ist die durchsichtige, schlanke Weiträumigkeit offenbar das Haupt-
ziel gewesen, das denn auch hier ohne alle Schlaudern und Veranke-
rungen in hohem Grade erreicht worden ist. (Auch aussen treten die
Strebepfeiler nur sehr wenig vor.) Hier zum erstenmal ist die mög-
lichste Grösse der einzelnen Theile als leitendes Princip festgehalten;
ein Gewölbe-Quadrat des Hauptschiffes entspricht nicht zweien des
Nebenschiffes, wie im Norden, sondern einem Oblongum, und diese
Anordnung bleibt bei allen italienischen Gewölbekirchen dieses Styles
eine stehende. Über so wenigen so weit auseinanderstehenden Pfei-
lern bedurfte und vertrug die Obermauer des Mittelschiffes, wie be-
merkt, nur noch eine geringe Höhe. (Zu den Räthseln gehört hier die
ungleiche Entfernung der Pfeiler von einander; die zwei hintersten,
gegen das Querschiff hin, stehen am engsten, 35 Fuss im Lichten, die
vordern Intervalle schwanken zwischen 44 und 46 Fuss. Eine Schein-
verlängerung der Perspective war kaum der Zweck; die hintersten
sind die ältesten.) Der links hinten stehende Thurm unterscheidet sich
kaum von romanischen Thürmen; Eckstreifen, Bogenfriese und Bogen-
fenster auf Säulchen 1). — Die sog. Avelli an der Mauer neben der
(spätern) Fassade sind als Collectivgrab des florentinischen Adels schön
und einfach gedacht. — Die Kreuzgänge und innern Räume des Klo-
sters sind, gegen frühere italienische Klosterhöfe gehalten, ebenfalls
weitbogig und weiträumig, und als malerischer Anblick von grossem
Reiz. (Durchgängig, auch in den innern Räumen achteckige Säulen,
theils schlanker, theils schwerer; die Bogen nähern sich meist dem
sogenannten Stichbogen.)
Der Dom von Siena, unstreitig eines der schönsten gothischen
[133]Dom von Siena.
Gebäude Italiens, empfängt den Beschauer gleich mit einer Reihe von
Räthselfragen, welche der Verfasser so wenig als die meisten Andern
zu lösen im Stande ist. Wurde die sechseckige Kuppel, welche oben
zu einem total unregelmässigen, schief gezogenen Zwölfeck wird und
ohnehin den Bau auf jede Weise unterbricht, zuerst (XII. Jahrhun-
dert) gebaut? Wesshalb die schiefen und krummen Linien im Haupt-
schiff und vollends die schiefe Richtung und die unregelmässigen Pfei-
lerintervalle im ganzen Chor? hat man vielleicht auf vereinzelte Stücke
Felsgrund mehr als billige Rücksicht genommen? Was war von der Un-
terkirche San Giovanni vorhanden, als man den obern Chor begann? (Vgl.
S. 103 ff.) — Wie dem auch sei, es spricht sich in dem ganzen Gebäude
der italienische Bausinn schön und gefällig aus. So besonders an
den Aussenwänden der Seitenschiffe; das Massenverhältniss der Fen-
ster zu den Mauern (ein Begriff, welchen die consequente nordische
Gothik gar nicht anerkennt) ist hier ein sehr wohlthuendes; die Strebe-
pfeiler, nur mässig vortretend, laufen oben nicht im Thürmchen, son-
dern in Statuen aus; der schwarze Marmor, nur in seltenen Schichten
den weissen unterbrechend, übertönt nicht die zarten Gliederungen,
und das Kranzgesimse kann energisch wirken (XIV. Jahrhundert).
Die Fassade (1284) 1), mit ihrem majestätischen Reichthum, hat ganz
die überströmende Energie des Giovanni Pisano (der wenigstens das
Modell schuf) und konnte desshalb (einige Jahre später) von dem
Baumeister des Domes von Orvieto an ruhiger Eleganz der Linien
überboten werden. Die gothischen Einzelformen sind übrigens in ver-
hältnissmässig reiner Tradition gehandhabt.
Im Innern hebt allerdings die Abwechselung des weissen und des
[134]Gothische Architektur. Dom von Siena.
schwarzen Marmors (die in dem später erbauten Chor weislich ein-
geschränkt ist) die architektonische Wirkung theilweise auf; die An-
wendung der Papstköpfe als eine Art von Consolen unter dem Ge-
simse war vielleicht eine — allerdings übel getroffene — Aushülfe, als
man sah, dass neben dem durchgehenden Schwarz und Weiss nur
das allerderbste Gesimse ins Auge fallen würde. An sich betrachtet
sind aber die Pfeiler mit ihren Halbsäulen (XIII. Jahrhundert?) gut
gegliedert und leicht, und der Raum schön eingetheilt, mit Ausnahme
der unerklärlichen Kuppel.
Aber an diesem Bau machte Siena nur sein Lehrstück. Ganz an-
ders gedachte man die gewonnenen Erfahrungen zu benützen, als im
Jahr 1321 der neue Anbau begonnen wurde, ein colossaler dreischiffi-
ger Langbau, dem das Bisherige nur als Querschiff dienen sollte. Die-
ser neue Dom 1), angefangen vom Maestro Lando, wäre bei weitem
[135]Dom von Siena. S. Giovanni.
das schönste gothische Gebäude Italiens und ein Wunder der Welt
geworden. Nirgends ist die Raumschönheit vollkommener als in den
wenigen vollendeten Hallen dieser Ruine; die Schlankheit der Pfeiler,
die weite und leichte Spannung ihrer Rundbögen (freilich um den Preis
eiserner Verbindungsstangen erkauft) und der Adel der Decoration
stellen den alten Dom beinahe in den Schatten. In Folge des schwar-
zen Todes (1348) blieb das Unternehmen liegen, doch muss man aus
den Ornamenten des vordern Rundfensters schliessen, dass noch im
XV. Jahrhundert wieder einmal an einer Fortsetzung gearbeitet wurde.
Meister, wie Cecco di Giorgio und Bernardo Rosellino, haben offenbar
diesem Werke viel zu danken.
Gleichzeitig mit diesem Bau entstand auch die Fronte der Unter-
kirche San Giovanni. Diese ist, namentlich was die Gliederung dera
Streben betrifft, das am meisten nordisch-gothische Stück des ganzen
Domes; leider unvollendet. Die ganze Fassade lehnt stark um einen
Fuss rückwärts und die Streben verringern sich (abgesehen von ihren
geringen Absätzen) desshalb unmerklich nach oben zu. Von grosser
1)
[136]Gothische Architektur. Dome von Orvieto und Neapel.
Schönheit sind die Portale, ruhiger durchgeführt als die der grossen
Fassade. Freilich übertrifft das einzige Seiten-Portal des Neubaues
sie alle mit einander.
Der Thurm, offenbar einer der ältesten Theile, macht keine künst-
lerischen Ansprüche. Die Zunahme der Fensterbögen nach Stockwer-
ken (von 1—6) ist der möglichst naive Ausdruck des allmäligen Leich-
terwerdens der Masse.
Der Dom von Orvieto, innen eine imposante Säulen-Basilica
mit sichtbarem verziertem Dachstuhl, edel gebildeten Fenstern, Quer-
schiff und geradem Chorabschluss, muss um seiner Fassade willen
hier beim Dom von Siena erwähnt werden. Als Meister wird Lorenzo
Maitani von Siena, als Gründungszeit das Jahr 1290 genannt. Die
Fassade ist im besten Sinne des Wortes eine veredelte Reproduction
derjenigen von Siena. Das plastische gothische Detail, mit welchem
es doch nie ernstlich gemeint war, wird hier möglichst beschränkt
und durch Mosaikverzierung und Reliefsculpturen ersetzt, d. h. die
Fläche behält ihr südliches Vorrecht vor dem nur angelernten Schein-
organismus. Wenige grosse ruhige Hauptformen genügen hier, um
einen unermesslichen Reichthum von Farben und Gestalten schön zu
umfassen. Auch alle rein baulichen Glieder, die Simse der drei Gie-
bel, die wenigen Spitzthürmchen etc. sind ganz mit Mosaikmustern
angefüllt, so dass diese Fassade das grösste und reichste polychroma-
tische Denkmal auf Erden ist. (Bis auf die Stufen und Prallsteine
vor der Kirche.) Bei einer so starken Absicht auf materielle Pracht
ist die Schönheit der Composition ein doppeltes Wunder. (Die Neben-
fassaden und die Säulen im Innern haben abwechselnde weisse und
dunkle Marmorschichten. Edle Bildung der Bogenprofile und des Haupt-
gesimses im Innern.)
Einen schwachen Nachklang dieser dreigiebligen Anordnung ge-
bwährte einst die Fassade des Domes von Neapel (1299), deren
Nebengiebel jetzt durch Streben mit der höhern Mauer des Mit-
telschiffes zu einer empfindlichen Unform verbunden sind. (Auch
die Giebelsculpturen zum Theil modernisirt.) Im Innern Pfeilerbau
[137]Aufhören des Säulenbündels. Niccolò Pisano.
mit eingeklebten antiken Säulen, immer zwei übereinander an der In-
nenseite des Pfeilers; flache Decke.
Einen weitern und bedeutenden Schritt thut inzwischen die tos-
canische Baukunst mit der Umbildung des Säulenbündels, den sie doch
niemals nordisch lebendig formirt hatte, zum viereckigen, achteckigen
oder runden Pfeiler. Erstere Form ist ohne Frage die schönere
und reichere, letztere aber für den vorliegenden Fall die wahrere.
Der Säulenbündel steht in engem Zusammenhang mit dem Schlanken
und Engen nordischer Gothik; er ist nicht bloss das Correspondens
von so und so viel Gewölbegurten und Rippen (die man ja zum Theil
beibehielt), sondern ein wesentlicher Ausdruck des Strebens nach oben.
Wo letzteres nicht als leitendes Princip galt, musste er dem Pfeiler
weichen; immerhin aber behielt auch dieser noch eine Andeutung des
Tragens verschiedener Lasten, in Gestalt von schmalern polygonen
Trägern in den einwärts tretenden Ecken. Statt eines eigentlichen
Capitäls werden nunmehr zwei oder drei Blattreihen ganz schlicht um
das obere Ende des Pfeilers auf allen vier oder acht Seiten (oder im
Kreis, wenn es ein Rundpfeiler ist) herumgelegt; vorzüglich aber ge-
winnt die Basis jetzt erst eine consequente Bildung.
Schon hier begegnen wir dem sonst hauptsächlich als Bildhauer
berühmten Niccolò Pisano (geboren zwischen 1205 und 1207, lebte
noch 1277), als einem Anfänger alles Grossen und Neuen. In seiner
frühern Zeit muss er noch der romanischen Bauweise zugethan gewe-
sen sein, wenn S. Nicola in Pisa von ihm ist; übrigens hätte era
schon hier das nordische Princip der Verjüngung und Umgestaltung
des Thurmes nach oben auf merkwürdige Weise geahnt und nur sehr
befangen ausgedrückt. (Rund, dann Achteck, weiter eine sechszehn-
seitige Bogengalerie um einen runden Kern, endlich ein Sechseck.)
Von seinen gothischen Bauten hat S. Trinità in Florenz schonb
viereckige Pfeiler, deren Stellung jedoch mit Rücksicht auf die Capel-
lenreihen rechts und links neben den Seitenschiffen eine enge ist, so
dass jeder Capelle ein Intervall entspricht. Sodann entwarf Niccolò
um 1250 die grosse Franciscanerkirche S. Maria de Frari in Ve-c
nedig. Das Misstrauen, welches man in seine Urheberschaft setzt,
[138]Gothische Architektur. Kirchen von Venedig.
ist kaum zu rechtfertigen, wenn auch dieselbe nicht urkundlich ge-
sichert sein sollte. So viel wird Jedermann zugeben, dass diese gran-
diose Kirche kein einheimischer venezianischer Gedanke ist, dass sie
auf das Stärkste contrastirt mit aller sonstigen venezianischen Raum-
behandlung. — Das Innere ruht auf hohen Rundpfeilern; die Anord-
nung ist hier schon ganz italienisch, so dass das Mittelschiff aus mög-
lichst grossen Quadraten besteht, die Seitenschiffe aus oblongen Ab-
theilungen. Sonderbarer Weise geschieht der Abschluss des prächti-
gen Chores mit seinen Doppelfenstern und derjenige der sechs Capel-
len an der Rückseite des Querschiffes nicht durch ein Fenster, sondern
durch einen Pfeiler 1). Am Äussern ist der Backstein noch ohne das
Raffinement der spätern Gothik behandelt; Stein ist nur an den weni-
gen Baldachinen über den Giebeln und an den (kenntlich frühgothi-
schen) Portalen gebraucht. Der Abschluss der Fassadengiebel in sonderbar
geschwungenen Mauerstücken ist eine venezianische Zuthat; die echten
alten geraden Linien Niccolò’s laufen noch wohlerhalten darunter hin.
Die Nebenseiten erinnern ganz an S. Maria novella.
Um dieselbe Zeit soll „von Dominicanern, welche Niccolò’s Schü-
aler waren“, S. Giovanni e Paolo in Venedig erbaut worden
sein. Diese Kirche ist die höhere Stufe der ebengenannten; sie ver-
meidet die Übelstände derselben. Die Verhältnisse sind beträchtlich
schlanker und schöner; die hintern Abschlüsse geschehen durch Inter-
valle (Fenster), nicht durch Pfeiler. Über der Kreuzung wurde eine
Kuppel angebracht. Nur die Fassade weicht von der edeln Einfach-
heit der Frari ab; sie sollte mit Marmor incrustirt werden und blieb
unvollendet.
Endlich soll Niccolò Pisano auch die berühmte Kirche des heil.
bAntonius in Padua (il Santo) erbaut haben, welche 1256 be-
gonnen wurde. Dass der Santo den Frari in der Anlage auf keine
Weise gleicht, wäre kein Beweis gegen Niccolò’s Urheberschaft; die
Aufgabe war hier eine andere, nämlich die, ein Gegenstück zur Mar-
cuskirche zu schaffen; eine Grabkirche zu Ehren des grossen neuen
Heiligen von Oberitalien. Griff man vielleicht in einem nur halb be-
[139]II Santo in Padua.
wussten mystischen Drang zu der uralten vielkuppeligen Anlage? Un-
terscheiden wollte man das Gebäude jedenfalls von andern Francis-
canerkirchen.
Es entstand keine glückliche Schöpfung. Die Fassade ist vielleicht
die allermatteste des ganzen gothischen Styles. Im Innern kam das
Hauptschiff auf lauter dicke viereckige Pfeiler zu stehen; nicht bloss die
Kuppelträger, sondern auch die Zwischenstützen haben diese Form. Das
Polygon des Chores zeigt wohl eine gewisse Ähnlichkeit der Verhältnisse
mit demjenigen an den Frari, aber die Einzelbildung ist aussen und
innen ungleich geringer, der Umgang und Kapellenkranz roh in Entwurf
und Ausführung. Immerhin mochte der Bau mit seinen damals niedri-
gen Kuppeln, mit seiner (beabsichtigten oder durchgeführten) voll-
ständigen Bemalung, mit einer Masse stylverwandten Schmuckes aller
Art gerade den Eindruck hervorbringen, welchen die Andacht am
Grabe des Heiligen vorzugsweise verlangte. Im XV. Jahrhundert erst
baute man die Kuppelräume, welche bisher von aussen kaum sichtbar
oder doch anspruchlos gestaltet sein mochten, zu eigentlichen Kuppeln
mit Cylindern aus. Abgesehen von der eminent hässlichen Bedachung
der mittlern Kuppel war diese ganze Neuerung überhaupt sinnlos.
Die Kuppeln stehen einander nicht nur im Wege (für das Auge), son-
dern sogar im Lichte und bilden schon von Weitem eine widerliche
Masse. Den einzigen möglichen Vortheil, den eines starken Oberlich-
tes, hat man nicht einmal benützt.
Später wurde dann das ganze Innere mit Ausnahme weniger Capel-
len überweisst und mit modernen Denkmälern angefüllt; ein Schick-
sal, vor welchem S. Marco gänzlich bewahrt geblieben ist. Der erste
Eindruck ist durchaus weihelos und zerstreuend.
Dagegen haben die vier Klosterhöfe einen imposanten Charakter
durch die Höhe und weite Spannung ihrer Bogen; sie scheinen eher
für Tempelritter als für Mendicanten gebaut.
Über S. Margherita in Cortona, welches von Niccolò unda
seinem Sohne Giovanni Pisano erbaut sein soll, vermag ich keine Aus-
kunft zu geben. S. Domenico in Arezzo ist eine ganz geringe Kirche.b
Dem Giovanni allein gehört dann, wie bemerkt, wenigstens der
Entwurf zu der prächtigen Fassade von Siena (S. 133), wonachc
er unter den Italienern der erste gewesen wäre, der sich mit der deco-
[140]Gothische Architektur. Giovanni Pisano. Arnolfo.
rativen Seite des Gothischen näher befreundete. Ausserdem war von
aihm S. Domenico in Perugia erbaut, gegenwärtig mit Ausnahme
des viereckigen Chores modernisirt. In Pisa selbst findet sich von
bGiovanni das Kirchlein S. Maria della Spina — ein Reliquienbe-
hälter im Grossen und mehr durch Stoff und Reichthum (zum Theil
in französisch-gothischer Art), als durch reine Gothik ausgezeichnet; —
cund das herrliche Campo santo (1283). Die Bauformen, so edel
und grandios z. B. das Stabwerk der hohen, rundbogig schliessenden
Fensteröffnungen 1) sein mag, werden hier immer nur als Nebensache
erscheinen neben der monumentalen Absicht, die dem damaligen Pisa
eine der höchsten Ehrenstellen in der ganzen Geschichte moderner
dCultur zuweist. — Unter den übrigen Kirchenbauten Giovanni’s ist der
Ausbau des Domes von Prato von Bedeutung.
Indess war es nicht dem Niccolò Pisano, sondern einem seiner
Schüler, dem Florentiner Arnolfo del Cambio (gewöhnlich A. di
Lapo genannt) beschieden, von jener neuen Behandlung des Pfeilers
aus dem ganzen Styl eine neue Wendung zu geben. Seine Bauten
fallen sämmtlich in die letzten Jahre des XIII. Jahrhunderts.
Das wichtigste derselben ist der Dom (seit 1296). Die Flo-
rentiner verlangten von dem Meister das Unerhörte und nie Dage-
wesene, und in gewissem Betracht hat er es geleistet. Wer mit dem
Maassstab des Kölner Domes an das Gebäude herantritt, verderbt sich
ohne Noth den Genuss. Von strenger Harmonie ist bei einem secun-
dären und gemischten Styl wie dieser italienisch-gothische, a priori
nicht die Rede, aber innerhalb der gegebenen Schranken ist hier eigen-
thümlich Grosses geleistet. — Wir beginnen mit dem Langhaus. Ar-
nolfo war zunächst kein angenehmer Decorator 2); die Incrustation der
ganzen obern und untern Mauern der Schiffe ist eine endlose Wieder-
holung einförmiger Motive; die Fenster und Thüren haben nicht bloss
etwas Strenges, sondern durch das Überwiegen der Mosaikbänder
etwas Lebloses (zumal wenn man damit die schönen spätern Thüren
[141]Dom von Florenz.
zunächst beim Querschiff vergleicht); die Gesimse sind am Tüchtig-
sten charakterisirt. Im Innern liegt das Unerhörte in der Raumein-
theilung; möglichst wenige und dünne Pfeiler mit Spitzbogen um-
fassen und überspannen hier Räume, wie sie vielleicht überhaupt noch
nie mit so wenigen Stützen überwölbt worden waren. Ob diess ein
höchstes Ziel der Kirchenbaukunst sein dürfe, ist eine andere Frage;
die Wirkung ist aber, wenn man sich allmälig mit dem Gebäude ver-
traut macht, eine grossartig ergreifende, und wäre es noch mehr, wenn
nicht eine unglückliche Galerie auf Consolen ringsum laufend die sämmt-
lichen Gewölbegurte grade bei ihrem Beginn durchschnitte und auch
die Obermauer des Mittelschiffes unschön theilte 1) Die Bildung der
Pfeiler und ihrer Capitäle ist eigenthümlich streng; nur in dieser Ge-
stalt passte sie zu den ungeheuern Spitzbogen, welche darauf ruhen;
Säulenbündel würden kleinlich disharmonisch erscheinen.
Mit dem Kuppelraum und den drei hintern Kreuzarmen verdun-
kelt sich das Bewusstsein Arnolfo’s; es ist eine missrathene Schöpfung,
wozu die Ruhmsucht der Florentiner ihn mag getrieben haben. Auf
einmal wird mit dem nordischen Verhältniss der Stockwerke ein Pact
geschlossen und dem Capellenkranz 2) um die drei Kreuzarme nur
etwa die halbe Höhe des Oberbaues gegeben, mit welchem er durch
hässliche schräg aufsteigende Streben in Verbindung gesetzt wird.
Die drei Kreuzarme und als vierter das Hauptschiff bilden im Innern
vier grosse Mündungen gegen den achteckigen Kuppelraum, dessen
vier übrige Seiten äusserst unschön durch schräge Mauermassen dar-
gestellt sind; zwei der letztern haben Durchgänge nach den Seiten-
schiffen des Langhauses, die beiden übrigen enthalten die Sacristei-
thüren und die Orgeln. Um eine riesigere Kuppel zu haben als irgend
eine andere Stadt, verzichtete man auf das System von vier Pfeilern
mit Pendentifs; um diese Kuppel möglichst gros s erscheinen zu lassen,
hatte man auch den Kreuzarmen jenen niedrigern Capellenkranz ge-
[142]Gothische Architektur. Dom von Florenz.
geben. — Und inzwischen starb der Baumeister und es vergingen über
100 Jahre, ehe man sich wirklich an die Kuppel wagte. Nach der
Abbildung einer Idealkirche zu schliessen, welche in den Fresken der
Capella degli Spagnuoli bei S. Maria novella (1322) vorkömmt, hätte
Arnolfo eine etwa halbkugelförmige Kuppel beabsichtigt, deren Ge-
simse dem Hauptgesimse des Langhauses entsprochen hätte, und die
mit den Kreuzarmen im Ganzen eine Pyramide gebildet haben würde;
vielleicht eine harmonischere Gesammtform als die jetzige, durch den
Cylinder erhöhte Kuppel Brunellesco’s mit den von ihr einigermassen
gedrückten Anbauten darbietet. — Der unangenehme Eindruck des
ganzen Kuppelraumes wird durch das wenige und zerstreute Licht,
durch die schon beim Langhaus genannte Galerie und durch die Be-
malung der Kuppel noch verstärkt; ein widriges Echo steigert ihn
ins Unleidliche. Man darf nur nicht vergessen, dass ohne dieses Lehr-
stück keine Kuppel von S. Peter vorhanden wäre.
Die Fassade wurde 1332 nach einem herrlichen Entwurfe
Giotto’s begonnen. Das wenige, was davon vollendet war und 1588
wieder weggenommen wurde, sieht man theilweise dargestellt in einem
der Frescobilder Poccetti’s im ersten Klosterhof von S. Marco. (Wand
vom Eingang rechts, sechste Lunette. Die Darstellung des Domes
in einem Frescobild desjenigen Kreuzganges, welcher sich unmittel-
bar an der Südseite von S. Croce hinzieht, ist sehr verdorben und
unbedeutend.) — Ein schweizerischer Architekt, der zu früh verstor-
bene Joh. Georg Müller von Wyl, hat nach diesen und andern Indicien
eine Fassade entworfen, wie sie für dieses Gebäude nicht vollkom-
mener gedacht werden könnte 1).
Noch eine andere Gewölbekirche auf viereckigen Pfeilern, S. Ma-
ria maggiore in Florenz, wird Arnolfo zugeschrieben. Schlank,
das Mittelschiff oben ohne Fenster; statt der Capitäle blosse Simse,
sowohl an den Pfeilern als an den darüber emporsteigenden Wand-
cpilastern. — Derselben Schule gehört S. Remigio an, mit kaum über-
höhtem Mittelschiff, auf achteckigen Pfeilern mit Blättercapitälen.
Sodann baute Arnolfo selbst (seit 1294) die gewaltigste aller
[143]Santa Croce. Giotto’s Campanile.
Bettelordenskirchen: Santa Croce. Die Aufgabe war, mit möglichsta
Wenigem, wie es sich für die Mendicanten ziemt, ein Gotteshaus für
ein ganzes Volk zu bauen, welches damals den Kanzeln und Beicht-
stühlen der Franciscaner zuströmte. Arnolfo ist hier, wie überall,
streng und kalt im Detail, allein seine Disposition ist grossartig. Bei
der ungeheuern Grösse des Gebäudes war es constructiv wünsch-
bar, wenn nicht nothwendig, die Mauern der Nebenschiffe nicht durch
blosse angestützte Balken, sondern durch gewölbte Bogen mit den
Mauern des Hauptschiffes zu verbinden, und ihnen über diesen Bogen
eigene Dächer, damit auch eine Reihe eigener Giebel zu geben. Die
Pfeiler sind achteckig. An der hintern Seite des Querschiffes ziehn
sich zehn Capellen von halber Höhe hin; in ihrer Mitte der polygone
Chor; ausserdem sind höhere Capellen an beiden Enden und an der
nähern Seite des Querschiffes angebaut. Die Ansicht von hinten (am
besten sichtbar vom Garten des Marchese Berte aus) zeigt die Mauern
des Chores und der Capellen mit steilen Giebeln gekrönt, welche in-
dess kein Dach hinter sich haben. Der Thurm ganz erneut; die Fas-
sade ohne Incrustation; der vordere Klosterhof, mit etwas abgeflach-
ten Rundbogen, achteckigen Säulen, eigenthümlichen Basen, gilt für
Arnolfo’s Werk.
Überblicken wir seine Thätigkeit, so ist das, was ihm Ruhm und
Bedeutung gab, gewiss mehr das Constructive, als das Formale
an seinen Werken. Er geht in der weiten Spannung seiner Gewölbe
und Decken, endlich in dem Entwurf seiner Kuppel über alles bisher
bekannte, namentlich aber über alle nordische Gothik (die etwas ganz
anderes wollte) hinaus.
Wo Er die Baukunst in formaler Beziehung vernachlässigt, da
trat Giotto mit seinem hohen Sinn des Masses als Vollender in die
Lücke. Ausser dem Entwurf zur Domfassade schuf er den prächti-
gen „Campanile“ (seit 1334; nach seinem Tode 1336 seinem Ent-b
wurf gemäss vollendet von Taddeo Gaddi; die Sage von einem beab-
sichtigten Spitzdach, das über dem starken Hauptgesimse keinen
rechten Sinn mehr hätte, lassen wir auf sich beruhen.) Von einer
Entwicklung aus dem Derben ins Leichte, wie sie etwa das Lebens-
princip eines Thurmes von Freiburg im Breisgau ausmacht, sind hier
nur Andeutungen vorhanden, nur so viel als streng nothwendig war;
[144]Gothische Architektur. Florenz. Orsanmicchele.
das dritte und vierte Stockwerk sind z. B. so viel als identisch; nur
das Grösserwerden der Fenster in den obern Stockwerken ist eine
nachdrückliche Erleichterung. Aber an feinern Abwechslungen der
Incrustation sowohl als der plastischen Details gewährt dieser schöne
Bau ein stets neues Studium. Die Gliederung in Farben und Formen
ist durchgängig ungleich leichter und edler als bei Arnolfo; die Fen-
ster vielleicht das schönste Detail der italienischen Gothik.
Endlich zwei Gebäude in Florenz, welche nur in bedingtem Sinne
zu den Kirchen gehören.
Das eine ist Orsanmiechele. Als städtischer Kornspeicher 1284
von Arnolfo begonnen und 1337 von Taddeo Gaddi umgestaltet
und in die Höhe gebaut, giebt das edle und stattliche Gebäude mit
seinen feinen Gesimsen und seinem Consolenkranz ein Zeugniss von
der schönen Seite desjenigen monumentalen Sinnes, welcher die dama-
ligen Florentiner beseelte. Bei Anlass des schwarzen Todes 1348
wurde einem sehr wirksamen Gnadenbild zu Ehren die bisher offene
untere Halle vermauert und zur Kirche umgeschaffen durch Andrea
Orcagna. Ihm gehört das zierliche Füllwerk der jetzigen Fenster,
bsowie der berühmte Tabernakel im Innern. Was den baulichen
und decorativen Theil betrifft, so wird man dieses Werk des höchsten
Luxus niemals neben gute deutsche Altaraufsätze, Sacramenthäuschen
u. dgl. stellen dürfen; es ist gerade die schwächste Seite, von wel-
cher sich hier die italienische Gothik producirt. Statt des Organischen,
an dessen volle Strenge bei vollem Reichthum unser nordisches Auge
gewöhnt ist, giebt es hier Flächen, mit angenehmen aber bedeutungs-
losen Spielformen, zum Theil aus buntem Glas nach Cosmatenart, aus-
gefüllt. Die Kuppel zwischen den vier Giebeln ist wie eine Krone
gestreift; das Mosaik erstreckt sich selbst auf die Stufen. (Die Ne-
cbenkirche der Certosa bei Florenz, ein griechisches Kreuz ohne
Nebenschiffe von reizender Anlage, wird nebst dem festungsartigen
Unterbau des Klosters ebenfalls Orcagna zugeschrieben.)
Sodann steht auf dem Domplatz, dem Thurm gegenüber, das zier-
dliche Bigallo. Eine jener Confraternitäten zu frommen und mild-
thätigen Zwecken schmückte nach guter italischer Sitte aus eigenen
Mitteln ihr Local auf das Beste aus, in einer Zeit, da kein heiliger
und kein öffentlicher Raum ohne Verklärung durch die Kunst denk-
[145]Confraternitäten. Dom von Lucca.
bar war. Hier entstand nun zwar keine Palastfassade wie an meh-
reren der sog. Scuole zu Venedig, welche eben solche Bruderschafts-
gebäude sind, sondern nur ein verziertes kleines Haus, dessen Reiz
ausschliesslich in der prächtigen Behandlung anspruchloser Formen
liegt. Der unbekannte Urheber möchte ein Nachfolger Orcagna’s ge-
wesen sein. Die Dachconsolen sind in ihrer Art classisch und mögen
hier statt derjenigen vieler andern Gebäude genannt werden.
Strenger und reicher ist die Fassade der Fraternita della Mi-a
sericordia zu Arezzo (hinter der Pieve vecchia) ausgebildet; ein
wahrer und in seiner Art reizender Übergangsbau, indem das obere
Stockwerk den gothisch begonnenen Gedanken in den Formen der
Renaissance vollendet.
Endlich bieten die neuern Theile des Domes von Lucca (dasb
Langhaus und das Innere des Querschiffes) ein ganz sonderbares und
in seiner Art schönes Schauspiel. Es ist die Pfeilerbildung des Domes
von Florenz, angewandt auf Verhältnisse, welche denen des Domes
von Siena ähnlich sind. Nicht ein möglichst grosses Quadrat des Haupt-
schiffes, sondern das (doch nicht ganz vollkommene) Quadrat der Ne-
benschiffe bildet wieder die Basis; doch wird die Vielheit der Pfeiler
durch ihre Schlankheit ausgeglichen; die Bogen fast alle rund; oben
Reihen grosser Fenster mit reichem Stabwerk, welche in eine dunkle
Galerie über den Nebenschiffen hineinblicken lassen; drüber kleine
Rundfenster. Die Galeriefenster gehen sogar als blosse Stütze und
Decoration quer durch das Querschiff und theilen auch seine beiden
Arme der Länge nach. (Am Gewölbe des Hauptschiffes sind die
gleichzeitig gemalten Medaillons mit Halbfiguren auf blauem Grund,
an den Gewölben der Seitenschiffe eine Renaissancebemalung erhalten.)
Aussen mischt sich wieder Siena, Florenz und das Streben nach Har-
monie mit den ältern Theilen ganz eigenthümlich zu einem schönen
Ganzen. (Alles etwa vom Ende des XIV. Jahrhunderts.)
B. Cicerone. 10
[146]Gothische Architektur. Kirchenstaat.
Südlich über Toscana hinaus begegnet man, hauptsäch-
lich in Perugia und Viterbo, einer Anzahl kleiner gothischer Kirchen,
welche selten mehr als ihre Fassade, etwa noch ihren einfachen Thurm
in alter Form aufweisen. Ihre zum Theil hochmalerische Lage, ein-
zelnes tüchtiges Detail und der Ernst des Materials machen ihren Werth
aaus. (Ein besonderes zierliches Kirchlein in Viterbo, unweit vom
Palazzo Communale.) Sonst offenbart sich an mehrern eine ganz wun-
derliche Ausartung der Incrustation, welche nicht mehr einrahmend,
auch nicht mehr schichtenweise, sondern schachbrettartig, selbst ge-
gittert zwischen rothem und weissem Marmor abwechselt. (So schon
ban S. Chiara in Assisi.) Am Dom von Perugia ist ein Anfang
gemacht, dessen Durchführung das ganze Gebäude mit einem Teppich-
muster würde überzogen haben. (Das Innere weiträumig, aber mit
schwerem Detail, die drei Schiffe von gleicher Höhe, die Pfeiler acht-
eckig.)
Das einzige gothische Gebäude Roms, S. Maria sopra Mi-
nerva, begonnen um 1370, repräsentirt einen damals längst besei-
tigten Stand der baulichen Entwicklung und bleibt hinter der fast um
100 Jahre ältern Schwesterkirche S. Maria novella zu Florenz beträcht-
lich zurück. Die jetzige Restauration mit Stuckmarmor, Gold und
Fresken wird die Kirche nur noch schwerer erscheinen lassen als
sie in der weissen Tünche war. Ausserdem hat noch das Innere der
dCapelle Sancta Sanctorum beim Lateran eine gothisirende Beklei-
dung von gewundenen Säulchen mit Spitzbogen, um 1280 vermuthlich
von dem Cosmaten Adeodatus erbaut. Sie dient alten Malereien zur
Einfassung. — Einzelne gothische Bogen und Bogenfriese kommen hin
und wieder vor. — Von Klosterhöfen dieses Styles hat Rom meines
eWissens nur die wenig bedeutenden bei Araceli. — Als Klosterbau
fim Grossen ist S. Francesco zu Assisi (XIII. und XIV. Jahrhun-
dert) unvergleichlich, weniger in Betreff der Höfe als der Aussenseite,
welche mit ihren Substructionen und Gängen wie eine Königsburg
über der Landschaft thront.
In sehr kenntlichem Wetteifer mit den Florentinern begannen die
gBolognesen 1390 die Kirche ihres Stadtheiligen S. Petronius, nach
[147]S. Petronio in Bologna.
dem Plan eines angesehenen Mitbürgers, Antonio Vincenzi. Das
Gebäude sollte ein lateinisches Kreuz von 608 Fuss Länge werden,
der in gerade Fronten ausgehende Querbau 436 Fuss lang; das Ganze
durchaus dreischiffig und ausserdem mit Capellenreihen zu beiden
Seiten; über der Kreuzung sollte eine achteckige Kuppel von 250 Fuss
Höhe entstehen, flankirt von vier Thürmen. Sonach hätte man die
Florentiner überholt in der riesenhaften vierarmigen Ausdehnung,
auch durch die Zugabe der Capellenreihen ringsum; man wäre hinter
ihrer (damals übrigens noch nicht erbauten) Kuppel zurückgeblieben,
um nicht ebenfalls die innere Perspective durch schräge Mauermassen
statt schlanker Pfeiler aufheben zu müssen; man hätte dies aber we-
nigstens nach aussen reichlich ersetzt durch den Effect der vier Thürme.
Gegenüber nordischen Cathedralen wäre man durch die sinnlose Aus-
dehnung des Querbaues im Nachtheil gewesen, auch hätte die Ver-
stärkung der Pfeiler unter der Kuppel, selbst wenn sie sich auf das
Unentbehrliche beschränkte, immer den Blick in den Chor etwas be-
einträchtigt. Der runde Chorabschluss endlich hätte schwerlich eine
erträgliche Gestalt bekommen.
Von all diesem ist nun bloss das Langhaus und ein Ansatz zum
Querschiff wirklich ausgeführt, und auch dieses nur mangelhaft, mit
bloss theilweiser Vollendung der Aussenflächen, in ungleichen und zum
Theil sehr späten Epochen (bis tief ins XVII. Jahrhundert).
So wie das Gebäude vor uns steht, ist es die Frucht eines Com-
promisses zwischen nordischer und südlicher Gothik, doch in einem
viel bessern und strengern Sinn als der Dom von Mailand.
Zur Basis des Innern nahm man die Anordnung des Langhauses
von Florenz mit möglichst grossen Pfeilerweiten und Hauptquadraten,
steigerte aber die Höhe. Den oblongen Abtheilungen der Nebenschiffe
entsprechen je zwei etwas niedrigere Capellen mit gewaltigen Fen-
stern; wenn dieselben sämmtlich mit Glasgemälden versehen waren,
so blieb den obwohl an Umfang kleinern Rundfenstern der Neben-
schiffe und des Hauptschiffes, d. h. dem Oberlicht, dennoch die Herr-
schaft. Die Pfeiler und ihre Capitäle sind viel weniger scharf und
schön gebildet als in Florenz, wirken aber durch ihre Höhe besser;
zudem sind die Bogen schlanker, die Obermauer durch keine Galerie
durchschnitten. (S. 141 u. Anm.)
10*
[148]Gothische Architektur. Oberital. Mendicantenkirchen.
Aussen ist durchgängig nur das Erdgeschoss ausgeführt; den obern
Theilen fehlt die Incrustation, welche in reicher Form, theils in Stein,
theils in Backstein beabsichtigt war. Die untern Theile der Seiten-
schiffe zeigen einfache Pfeiler und ziemlich reines Fensterstabwerk mit
Ansätzen zu Giebeln. Die Fassade (von Marmor) ist so wie sie aus-
sieht nicht gut begonnen; ihre Wandpfeiler sind schräg profilirt, die-
jenigen gegen die Ecken hin sogar rund. Man ist auch nie recht
damit zufrieden gewesen.
Ein Zimmer am Ende des linken Seitenschiffes, das auf Verlan-
gen (am besten um Mittag) geöffnet wird, enthält mehr als 30 Ent-
würfe verschiedener, zum Theil hochberühmter Architekten vom XV.
bis zum XVII. Jahrhundert für eine Fassade von S. Petronio, grossen-
theils in einem gothischen Styl, dessen Gesetze sie nicht mehr kannten.
Man kann z. B. sehen, welche Begriffe sich Giulio Romano und Bal-
dassar Peruzzi von der Gothik machten. So viel ich habe (bei schlech-
tem Licht) sehen können, sind die Entwürfe in modernem Styl, z. B.
von Alberto Alberti und Palladio, bei weitem erfreulicher. Eine ver-
kleinerte Herausgabe in Umrissen würde sich gewiss lohnen.
Die Bettelordenskirchen der Via Aemilia weichen über-
haupt sowohl von den toscanischen als von den deutschen ab. Es
sind ganze durchgeführte backsteinerne Gewölbekirchen mit Anbauten
und Querbauten aller Art, hinten mit Chorumgang und aussen abge-
rundetem Capellenkranz, dergleichen im Norden nur Hauptkirchen und
vornehmere Klosterkirchen zu haben pflegen 1). Obschon die Seiten-
schiffe nur etwa die halbe Höhe des Hauptschiffes haben, so ist doch
in der Regel eine Fassade nach lombardischer Art vorn angesetzt, deren
obere Ecken also blind sind. Die Stützen sind Rundsäulen, achteckige
Säulen, Pfeiler mit Säulen, Säulenbündel, je nach der Stärke des nor-
bdischen Einflusses. (In den Servi zu Bologna wechseln runde und
achteckige Säulen.) Der möglichst vielseitige Chorabschluss (aussen
durch ebensoviele Strebebogen repräsentirt) macht eine bedeutende
[149]Kirchen nördlich vom Po.
Wirkung. In Bologna: S. Francesco (innen neuerlich gothisch re-a
staurirt, mit einem der schönsten Backsteinthürme des gothischen Sty-
les); — S. Domenico (sehr lang, innen modernisirt); — S. Martinob
maggiore (Carmeliterkirche von 1313); — Servi (vom Jahr 1383, mitc
einem Porticus vorn und an der linken Seite, der sich durch unge-
meine Dünnheit und weite Stellung der Säulen auszeichnet; der Bau-
meister war der General des Servitenordens Fra Andrea Manfredi
von Faenza, der damals auch die Aufsicht über den Bau von S. Pe-
tronio führte); — S. Giacomo maggiore (Eremitanerkirche vom Ended
des XIII. Jahrhunderts, wovon der hintere Theil und die Fassade
noch erhalten). Beiläufig ist hier auch das Chorherrenstift S. Giovannie
in monte zu nennen, als eine der ältesten spitzbogigen Kirchen Italiens
(1221? Kuppel, Chor und Fassade neuer). — In Modena: S. Fran-f
cesco. — In Piacenza: S. Francesco (eine der mächtigsten Kircheng
dieser Classe, mit dem bedeutendsten und bestgebildeten äussern Strebe-h
werk von Backstein); — S. Antonio (mit eigenthümlicher Vorhalle,i
die eine schöne Innenthür enthält); — il Carmine etc.
Nördlich vom Po folgen eine Anzahl von Ordenskirchen und
auch einzelne Pfarrkirchen und Cathedralen eher demjenigen Typus,
welchen Niccolò Pisano in den Frari zu Venedig aufgestellt hatte:
mit weitgestellten Rundsäulen oder Pfeilern, sodass grosse mittlere
Quadrate und in den Seitenschiffen oblonge Räume entstehen; über
den grossen Bogen ein nur ganz mässiges Oberschiff; der Chor ohne
Umgang; der Querbau mit zwei bis vier Capellen an der Hinterwand.
Eigenthümlich ist: die Vermeidung der Seitenfenster.
Ein schönes und frühes Beispiel gewährt S. Lorenzo in Vi-k
cenza; auch die Fassade gut und schon desshalb beachtenswerth,
weil sie zeigt, wie man sich ungefähr diejenige von S. Giovanni e
Paolo zu Venedig nach der ursprünglichen Absicht vollendet zu den-
ken hat. (Sonderbare schiefe Wölbung der Seitenschiffe, wahrschein-
lich um die kleinen Rundfenster möglichst hoch oben anbringen zu
können, etwa mit Rücksicht auf gegenüberstehende, lichtraubende Ge-
bäude?) — S. Corona in Vicenza, von ähnlicher Anlage, nur alter-l
[150]Gothische Architektur. Verona. Venedig.
thümlicher und gedrückter; von aussen bietet der tüchtige Backstein-
bau mit Anbauten und Umgebung einen malerischen Anblick 1).
S. Anastasia in Verona (Dominicanerkirche), nach 1261 be-
gonnen, hat eine nur theilweise und spät incrustirte Fassade, ist aber
in Betreff des Innern eine der schönsten und schlanksten Kirchen die-
ser Gattung, mit reinem Oberlicht und trefflicher Vertheilung des
innern Schmuckes. Auch der äussere Anblick malerisch. (Das Kirch-
lein links vor der Fassade heisst S. Pietro martire.)
Das Innere des Domes von Verona verbindet eine ähnliche An-
lage mit gegliederten schlanken Pfeilern statt der Rundsäulen. Diese
Gliederung nähert sich schon etwas derjenigen im Dom von Mailand,
allein die Leichtigkeit der Bildung und die Wohlräumigkeit des Ganzen
lassen diess vergessen. Da die Seitenschiffe fensterlos blieben, brach
man in die (ältere) Fassade grosse gothische Fenster ein.
Die einschiffigen gothischen Kirchen Verona’s theilen mit den üb-
rigen die schöne, malerisch glückliche Behandlung des Äussern. Nichts,
was nicht auch anderswo vorkäme, aber Alles vorzüglich hübsch bei-
sammen und selbst durch Unsymmetrie reizend. Einen solchen Anblick
cgewährt besonders S. Fermo mit seiner aus Backstein und Marmor
gemischten Fassade, dem Vorbogen des Seitenportals, den Giebeln
und Spitzthürmchen des Chores und Querbaues. Im Innern das voll-
ständigste Beispiel eines grossen Holzgewölbes, aus je drei Reihen
Consolen mit zwei halben und einem mittlern ganzen Tonnengewölbe
bestehend; den constructiven Werth können nur Leute vom Fach be-
durtheilen. S. Eufemia ist von Aussen weniger bedeutend und im
Innern ganz erneuert.
Die gothischen Kirchen Venedigs sind mit Ausnahme der bei-
den genannten von keinem Belang; meist auf Säulen ruhend, deren
Capitäle insgemein von auffallend roher Bildung sind. Sie wiederholen
[151]Herzogthum Mailand.
etwa aussen im Kleinen den Chorbau von S. Giovanni e Paolo, nur
mit bloss je einer Capelle zu beiden Seiten des Chores. Die einzige
schöne Fassade findet sich an S. Maria dell’ Orto; — einfach gut in Back-a
stein: diejenige von S. Stefano. Die Liebhaberei für rundtheilige undb
wunderlich ausgeschwungene Mauerabschlüsse, welche sogar den er-
habenen einfachen Giebel der Frari nachträglich nicht verschonte, hat
an S. Apollinare, S. Giovanni in Bragora und anderwärts ihr Genügec
gefunden. — Im Carmine (1348) sind vom alten Bau nur noch die 24d
Säulen und die Chorabschlüsse kenntlich. — S. Giacomo dall’ Orio,e
wunderlich durcheinander gebaut.
Die Decken bestanden wohl ehemals durchgängig aus jenen eigen-
thümlich und nicht unschön construirten Holzgewölben, deren eines
(erneuert) noch in S. Stefano vorhanden ist. (Vorige Seite, c.)f
Die gothischen Kirchen des alten Herzogthums Mailand,
zum Theil von grossem decorativem Reichthum, stehen den toscani-
schen und manchen der ebengenannten in all dem, was die Seele der
Architektur ausmacht, beträchtlich nach. Man fühlt, dass die grossen
Fragen über Raum, Verhältnisse und Gliederung nicht hier entschie-
den werden, wo man sich noch mit der alten lombardischen Unform
der in ganzer Breite emporsteigenden Fassaden begnügt und auch im
Innern die Schiffe kaum in der Höhe unterscheidet, wo der Säulen-
bündel in gedankenloser Weise beibehalten oder mit besonders schwe-
ren Rundsäulen vertauscht wird, wo endlich das Detail schon des
wechselnden Stoffes wegen beständig im Ausdruck schwankt. Neben
dem Stein kommt nämlich in Oberitalien der Backstein, oft in sehr
reicher Form und schönen, geschickten Motiven, zur häufigen Anwen-
dung; — der Architekt wird eine Menge vortrefflicher Einzelideen darin
ausgedrückt finden, — aber der Steinbau wurde darob an seinen eige-
nen Formen irre.
Vom Dom zu Mailand, welcher theils Ergebniss, theils Vor-
bild dieser Bauentwickelung ist, war oben schon die Rede.
Der Dom von Monza, im XIV. Jahrhundert so wie er jetzt ist,g
von Marco di Campione neu erbaut, fünfschiffig, wiederholt in seiner
Marmorfassade lauter Ziermotive, welche eigentlich dem Backsteinbau
[152]Gothische Architektur. Herzogthum Mailand.
angehören. Dieselbe ist das nächste Vorbild, zugleich das Geripp der
Mailänder Fassade. Das Innere hat dicke Rundsäulen mit weitge-
aspannten Bogen, ist übrigens total verkleistert. — An S. Maria in
Strata zu Monza ist die einzig erhaltene obere Hälfte der Fassade
ein wirklicher und höchst eleganter Backsteinbau.
In Mailand geben die gothischen Theile von S. Maria delle
Grazie — Fassade und Schiff — den mittlern Durchschnitt lombar-
discher Kirchen dieses Styles. (Sonstige gothische Kirchen in Menge,
ceine der grössten S. Eustorgio, eine der edelsten S. Simpliciano.)
d— Der sehr elegante Thurm von S. Gottardo (am kaiserlichen Pa-
last), aus Stein und Backstein gemischt, giebt mit Ausnahme der Spitz-
bogenfriese kein einziges Motiv, welches nicht schon im romanischen
Styl vorkäme. Achteckig; die Ecken so leicht als das Übrige.
S. Francesco zu Pavia zeigt bei einer tollen, schachbrettarti-
gen Verzierung der Fassade doch ein gewisses Gefühl für bedeutende
Wirkung.
Der Dom von Como; die ältern Theile, von einem im Jahr 1396
begonnenen Bau, gehören zur besten lombardischen Gothik; die Pfei-
ler ungleich besser gebildet, ihre weite Stellung 1) italienischer als im
Dom zu Mailand. Die Fassade, eine der wenigen in der Mitte be-
deutend erhöhten, hat auch sonst wohlthuende Verhältnisse, aber eine
spielende Decoration. (Auflösung der Wandpfeiler in Kästchen mit
Sculpturen etc.) Querschiff und Chor 1513 von Tommaso Rodari bei-
gefügt, sind von trefflichster Renaissance. S. unten. In dieser Zeit
wurden auch die Aussenseiten und Strebepfeiler des Langhauses in-
crustirt; die Spitzthürmchen der letztern eine höchst zierliche Über-
setzung aus dem Gothischen in die Renaissance. (Ähnliches beson-
ders an französischen Kirchen dieser Zeit, S. Eustache in Paris etc.)
Die berühmte Certosa von Pavia, in demselben Jahr 1396 von
Marco di Campione begonnen, hat dieselben Vorzüge vor dem Dom
von Mailand; schlanke, edelgebildete Pfeiler von weiter Stellung. Der
Hauptnachdruck liegt indess auf der Fassade, welche die prächtigste
[153]Profanbau. Oberitalien.
des Renaissancestyls ist, wovon unten; aus dieser Zeit auch Quer-
bau und Chor.
In Betreff des gothischen Profanbaues hat wohl Oberitalien
im Ganzen das Übergewicht durch die grosse Anzahl von damals mäch-
tigen und unabhängigen Städten, welche in der Schönheit ihrer Stadt-
häuser und Privatpaläste mit einander wetteiferten. Dem Style nach
sind es sehr verschiedenartige Versuche, etwas Bedeutendes und Gross-
artiges zu schaffen; eine unbedingte Bewunderung wird man vielleicht
keinem dieser Gebäude zollen, da das gothische Detail nirgends in
reinem Verhältniss zu dem Ganzen steht. Allein als geschichtliche
Denkmale, als Maassstab dessen, was jede Stadt an Repräsentation
für sich verlangte und ihrer Würde für angemessen hielt, machen be-
sonders die öffentlichen Paläste einen oft sehr grossen Eindruck.
An den Anfang dieser Reihe gehört schon zeitlich als ganz früh
gothisches Gebäude und vielleicht auch dem Werthe und dem Ein-
druck nach der Pal. Communale zu Piacenza; unten eine offenea
Halle von Marmorpfeilern mit primitiven, aus reinen Kreissegmenten
bestehenden Spitzbogen, oben ein Backsteinbau mit gewaltigen Rund-
bogen als Einfassung der durch Säulchen gestützten Fenster; die Fül-
lung mit einem auf die einfachste Weise hervorgebrachten Teppich-
muster. (Der grosse Saal im Innern völlig entstellt.) Eines der früh-
sten Gebäude, in welchen das freistädtische Selbstgefühl sich auf ganz
grossartige monumentale Weise ausspricht.
Von den berühmten Bauten Cremona’s kann der Verfasser nichtb
aus eigener Anschauung berichten.
Mailand besitzt ein Backsteingebäude einziger Art, aus der letz-
ten gothischen Zeit, schon mit Renaissance gemischt: die alten Theile
der Fassade des grossen Hospitals, angeblich von Antonio Fila-c
rete, einem Florentiner; es sind die reichsten und elegantesten gothi-
schen Fenster, die sich in diesem Stoff bilden liessen.
Der stattliche Palazzo pubblico in Como, mit Steinschichten ver-d
schiedener Farben (beim Dom) folgt in der Anlage dem Palast von
Piacenza, nur in viel kleinerm Maassstab.
[154]Gothischer Profanbau. Oberitalien.
Ebenso derjenige in Bergamo, dessen offene untere Halle auf
Pfeilern und (innen) auf Säulen ruht.
In Parma und Modena nichts von Belang.
Dagegen besitzt Bologna eine Anzahl von Denkmälern, welche
die oberitalische und die toscanische Weise zu einem merkwürdigen
bGanzen vereinigen. — Vor Allem ist die Loggia de’ Mercanti
(oder la Mercanzia) ein sehr schönes Beispiel gothischen Backstein-
baues, angeblich vom Jahr 1294, doch wohl ein Jahrhundert neuer
und vielleicht von der Loggia de’ Lanzi in Florenz (s. unten) bedingt.
Der Sinn ist wesentlich ein anderer: es sollte die Fronte einer Art
von Börse und Handelsgerichtslokal werden. — Das Material lud dazu
ein, die Pfeiler als reiche Säulenbündel zu construiren; andererseits
hängt damit die zaghafte Bildung des Hauptgesimses zusammen. Eine
empfindliche Disharmonie liegt darin, dass (dem mittlern Baldachin
zu Liebe) die Fenster nicht auf die Mitte der beiden untern Spitzbo-
gen kommen. (Die Seitenfronten modern.)
Den Eindruck einer jener grossen Familienburgen des Mittelalters
cgiebt, ebenfalls im Backsteinbau, am ehesten der Palazzo Pepoli,
wo ausser den reichprofilirten gothischen Thorbogen noch ein gewal-
tiger Hof mit Hallen an der einen Seite und vorgewölbten Gängen an
den drei übrigen erhalten ist. Nimmt man den zierlichern Hof des
dHauses Nr. 373 hinzu, so vervollständigt sich einigermassen das Bild
des bolognesischen Privatbaues im XIV. Jahrhundert. — Das riesige
eSchloss, welches jetzt Palazzo Apostolico heisst, hat an der Vor-
derseite noch einige reiche grosse Fenster; der erste Hof ruht fast
nach altflorentinischer Weise auf achteckigen Pfeilern mit Blätter-
capitälen und nicht völlig halbrunden Bogen.
Der Palazzo della ragione zu Ferrara, vom Jahr 1326, ein
merkwürdiger gothischer Backsteinbau, hat bei der vor 20 Jahren
unternommenen Erneuerung eine fast völlig neue Oberfläche erhalten.
Der Palazzo della ragione zu Padua ist mehr wegen der unge-
heuern Grösse seines gewölbten obern Saales als aus irgend einem
andern baulichen Grunde merkwürdig. (Die jetzige Gestalt nach 1420.)
Sehr unglückliche Beleuchtung; die Vertheilung der Fresken Miretto’s
nicht architektonisch motivirt; die äussere Halle von zwei Stockwer-
ken interessant als diejenige Form, welche Palladio anderthalb Jahr-
[155]Venedig. Dogenpalast. Adelspaläste.
hunderte später an der sog. Basilica zu Vicenza neu belebt zu repro-
duciren hatte.
Venedig hat vor Allem seinen weltberühmten Dogenpalast,a
begonnen um 1350 von Filippo Calendario. Es ist schwer mit
einem Gebäude zu rechten, welchem abgesehen von Grösse und Pracht
auch noch durch historische und poetische Vorurtheile aller Art ein
so grosser Phantasie-Eindruck gesichert ist. Sonst müssten wir be-
kennen, dass die ungeheure, rautenartig incrustirte Obermauer die bei-
den Hallenstockwerke, auf welchen sie unmittelbar ruht, in den Boden
drückt. Man hat desshalb auch immer gemeint, das untere derselben
habe wirklich durch Auffüllung des Bodens etwas von seiner Höhe
eingebüsst, bis Nachgrabungen diess als irrig erwiesen. Jedenfalls ist
schon die Proportion desselben zum obern unentschieden, geschweige
denn zum Ganzen; entweder müsste es derber und niedriger, oder
höher und schlanker sein als es ist. Auch hier offenbart sich der
Mangel an demjenigen Gefühl für Verhältnisse, welches sich nur da
entwickelt, wo die Architektur festen Boden und grossen freien Raum
zur Verfügung hat. — An sich aber wirkt das obere Hallenstockwerk
ausserordentlich schön und hat als durchsichtige Galerie in der Kunst
des Mittelalters nicht mehr seines Gleichen. — Die Fenster der Ober-
mauer und die Zinnen des Kranzgesimses sind blosse Decoration, dagegen
die Porta della Carta (s. unten) ein sehr werthvoller und tüchtiger Bau
des sich schon zur Renaissance neigenden spätgothischen Styles (1439).
Dieses wunderbare Gebäude ist nun theils Nachbild, theils Vor-
bild einer bedeutenden Palastbaukunst, die im XIV. und während der
ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts in Venedig blühte. Sie unter-
scheidet sich von der sonstigen italienischen (florentinischen, sienesi-
schen) dadurch, dass sie sich nicht aus dem Bau fester Familienbur-
gen entwickelt, welche dem politischen Parteiwesen als Schauplatz
und Zuflucht zu dienen haben. Vielmehr ist es hier der ruhige Reich-
thum, der sein heiteres Antlitz am liebsten gegen den grossen Canal
wendet. Das Erdgeschoss war (wenigstens früher) den Waarenlagern
und Geschäften gewidmet; einfache Bogenthore öffnen sich für die
Landung der Barken und Gondeln; ausnahmsweise auch etwa eine
[156]Gothischer Profanbau. Paläste von Venedig.
offene Halle. In den obern Stockwerken aber, die zur Zeit des byzan-
tinischen Styles (S. 118) nur überhöhte Bogenfenster auf Säulen ge-
habt hatten, entwickelt jetzt der gothische Styl ein keckes Pracht-
motiv; über und zwischen den Spitzbogen folgen nämlich ebenfalls
durchbrochene Rosetten, die noch mit zum Fenster gehören. In der
Mitte drängen sich eine Reihe von solchen Fenstern zu einer grossen
Loggia zusammen, womit die einzelnen Fenster auf beiden Seiten vor-
trefflich contrastiren 1). Rechnet man hinzu die Bekleidung der Haus-
ecken mit gewundenen Säulen, die der Wandflächen mit bunten Stein-
arten, die der Fenster mit birnförmigen Giebeln und die des Dachran-
des mit moresken Zinnen, so ergiebt sich ein überaus fröhliches und
zierliches Ganzes. Aber zu dieser leichten und luftigen Bauweise ge-
hört auch der Wasserspiegel und das bewegte Leben der Canäle; wo
solche Paläste oder ihre Rückseiten auf blossen Plätzen (Campi) stehen,
wirken sie auffallend geringer und das Auge kann den Jubel nicht
mehr recht begreifen. Vor einer Nachahmung in den Strassen unserer
nordischen Städte wird sich jeder besonnene Architekt wohl hüten.
Das niedlichste dieser Gebäude ist die Ca Doro; sie zeigt, in
welchen Dimensionen dieser Styl am glücklichsten wirkt. Aus der
grossen Zahl der übrigen Paläste nennen wir diejenigen am Canal
grande, vom Marcusplatz beginnend: — (Rechts) das jetzige Albergo
dell’ Europa; nahe dabei ein kleines Gebäude, an welchem auch die
reichen Balcons noch wohl erhalten sind. — (Rechts) Palast Barbaro,
— und Palast Cavalli, letzterer besonders energisch in der Fenster-
bbildung. — (Links) die aneinander stossenden Paläste Giustiniani, —
cund der grosse Palast Foscari, welcher die Wendung des Canals
dbeherrscht, mit achtfenstrigen Loggien. — (Links) Palast Pisani
a S. Polo, ebenfalls einer der bedeutendsten. — (Links) Palast Ber-
nardo. — (Rechts) Palast Bembo. — Nach dem Rialto: (Rechts) Palast
Sagredo — dann die genannte Ca Doro.
In andern Gegenden der Stadt ist beinahe kein ansehnlicher Ca-
nal, kein grösseres Campo, an welchem nicht irgend ein Gebäude die-
[157]Vicenza. Verona. Genua. Florenz.
ser Art in die Augen fiele. Ich erwähne noch den Palast neben der
Aquila d’oro, die Gebäude bei S. Polo, Albergo Danieli, u. s. w. Für
Aquarellmaler: Palast Cigogna bei S. Angelo Raffaele, an sich gering.
Eine Anzahl ähnlicher Gebäude findet man auch in Padua und
in dem kleinen Vicenza, welches doch von jeher eine verhältniss-
mässig bedeutende Baugesinnung offenbart. Unter den vicentinischen
Palästen wird man z. B. zwei in der Nähe von Palast Barbarano mita
Vergnügen besuchen; sie haben ausser der Fassade auch noch ihre alten
Hofhallen, Treppen, Balustraden etc. wenigstens stückweise. Ein arti-
ges Häuschen, Nr. 1666, mit teppichartigen Arabesken bemalt. U. S. w.b
In Verona finden wir an den gothischen Palästen zwar auch
den venezianischen Typus wieder, aber in einer andern Nuance, mit
vorherrschender Berechnung auf Mauerbemalung. Auch die steinerne
Staffage im obern Theil der Fenster hat eine eigenthümliche Gestalt.
— (Der Hof des Municipio daselbst, unter dem grossen Thurm aufc
Piazza delle Erbe, theils romanisch, theils gothisch, gewährt mit seiner
hallenbedeckten Marmortreppe wenigstens einen malerischen Anblick.)
Genua besitzt von diesem Styl nichts von Bedeutung. Die Gothik
der paar Häuser auf Piazza S. Matteo beschränkt sich im Grunde auf
die Bogenfriese, ebenso an mehrern andern Gebäuden der alten Stadt-
theile. Die Höfe, auf welchen hier der Accent gelegen haben muss,
sind überall verbaut. Für Architekten wenigstens ein halberhaltenes
Specimen: in dem anonymen Strassengewirr um Madonna delle Vigne
das Haus Nr. 463; eine sculpirte Thür führt in ein Höfchen mit Spitz-d
bogenhalle und niedlicher Freitreppe, welche noch ihre gothische Ba-
lustrade hat; die Fassade abwechselnde Schichten, schwarz und weiss.
Florenz ist sehr reich an einzelnen Bestandtheilen, zumal untern
Stockwerken mittelalterlicher Familienburgen, die man nur in uneigent-
lichem Sinne als Paläste bezeichnen könnte. (Ganze Gassen entlang
z. B. um Piazza de’ Peruzzi, Borgo S. Croce etc.) Eine künstlerische
Form ist fast nirgends durchgeführt; die einfachen meist achteckigen
Pfeiler, die hin und wieder die wenigen Bogen des Hofes stützen,
[158]Gothischer Profanbau. Florenz.
haben anspruchlose Blättercapitäle. Diese Steinhäuser waren Vesten
und mussten in bürgerlichen Wirren Vieles aushalten können; gerne
behalf man sich unter dieser Bedingung so eng es anging. (Die Gänge
auf starken Consolen rings um einen kleinen Hof hervorragend, in
aeinem vollständigen Beispiel Palast Davanzanti, Via di Porta rossa
Nr. 1125.) Belehrend ist die hier klar zu Tage liegende Entstehungs-
weise der modernen Rustica (Bossagen): weit entfernt, sie als ein
Mittel der ästhetischen Wirkung zu benützen, meisselte man den Qua-
der gern glatt, wenn Zeit und Mittel es zuliessen; blieb er einstwei-
len roh, so wurden doch um der genauen Zusammenfügung willen
seine Ränder scharf und sorgfältig behauen. Eine völlige Gleichmäs-
sigkeit der Schichten oder gar der einzelnen Steine wurde selbst an
öffentlichen Gebäuden nicht erstrebt. Erst die Renaissance fand, dass
man die Rustica als künstlerisches Mittel behandeln und durch Ab-
stufung aus dem Rohern in das Feinere zu bedeutungsvollen Contra-
sten der einzelnen Stockwerke benützen könne. (Vgl. S. 36, Anm.)
Von Privatgebäuden des XIV. Jahrhunderts, in welchen die Säu-
lenhalle des Hofes schlankere Verhältnisse und einen Anfang räumli-
bcher Schönheit zeigt, nenne ich beispielshalber Palazzo Conte Capponi
c(Via de’ Bardi) und Palazzo Conte Bardi (Via del fosso 187), dessen
Hof auf zwölf sehr schlanken Säulen mit überhöhten Rundbogen ruht,
angeblich ein Gebäude des Brunellesco, und in diesem Fall ein frühes
Jugendwerk.
Von Arnolfo, dem Erbauer des Domes, rührt bekanntlich auch
dPalazzo Vecchio her (vom Jahr 1298). Grösse, Erinnerungen,
Steinfarbe und phantastischer Thurmbau geben diesem Gebäude einen
Werth, der den künstlerischen bei Weitem übertrifft. Das ganze Innere
nebst dem Hinterbau ist spätern Ursprunges. — Dem Agnolo Gaddi
egehört die jetzige Gestalt des Palazzo del Podestà (oder del
Bargello, vom Jahr 1345) zu, welcher an malerischer Wirkung zumal
des Hofraumes seines Gleichen sucht, in Beziehung auf das Detail aber
ebenfalls nicht viel mehr bietet als Zinnen, spitzbogige Fenster mit
mässigem Schmuck, sehr bescheidene Gesimse, und im Hof ein (jetzt
vermauertes) Stück Halle.
Bei weitem das schönste gothische Profangebäude der Stadt ist
fOrcagna’s Loggia de’ Lanzi (begonnen 1376). Hier begegnen
[159]Loggia de’ Lanzi. Pisa.
wir wieder demjenigen Raum- und Formgefühl, welches S. Maria
novella, S. Croce und den neuen Dom von Siena schuf. Der Ort, wo
die Obrigkeit ihre feierlichsten Functionen vollzog, wo sie vor dem
Volk auftrat und mit ihm redete, in einer Zeit, da die Florentiner
sich als das erste Volk der Welt fühlten — eine solche Räumlichkeit
durfte nicht in winzigem und niedlichem Styl angelegt werden. Mög-
lichst wenige und dabei grossartige Motive konnten allein der „Maje-
stät der Republik“ einen richtigen Ausdruck verleihen. Die einfache
Halle von drei Bogen Breite umfasst einen ungeheuern Raum, mit ge-
waltigen Spannungen, über leicht und originell gebildeten Pfeilern;
ihr Oberbau hat unabhängig von antiken Vorbildern gerade diejenige
Form getroffen, welche für Auge und Sinn die hier einzig wohlthuende
ist: über breiter Attica tüchtige Consolen und eine durchbrochene
Balustrade.
Von dem als Kornspeicher erbauten Orsanmicchele ist schon
oben (S. 144) die Rede gewesen.
Die Thore von Florenz, meist aus dem XIII. Jahrhundert, über-a
raschen durch den mächtigen Ernst der Construction, die Grösse der
Pforte und die Höhe des stadtwärts schauenden Bogens. — Nebst den
meisten andern italienischen Stadtthoren dieser Zeit entbehren sie der
überragenden Seitenthürme, welche häufig an deutschen Stadtthoren
vorkommen; in Italien z. B. am Arco dell’ Annunziata zu Lucca, anb
der interessanten Porta della Vacca in Genua, an einem andern Bin-c
nenthor daselbst, etc. Die wenigen daran angebrachten Decorationen
durchgängig solid und einfach; im Bogen gegen die Stadt Fresco-
gemälde, die Mutter Gottes und die Schutzpatrone darstellend.
In Pisa ist das Doganengebäude unweit der mittlern Brücke eind
ernsterer steinerner Zierbau, das jetzige Caffe dell’ Ussero gegenübere
am Lungarno ein leichterer backsteinerner (XIV. Jahrhundert, mit
einzelnen Veränderungen der Fenster im Renaissancestyl). Die Flä-
chen, wie sie sich durch die Einrahmung mit Pilastern, Bogen etc.
ergaben, sind ganz naiv mit gothischem Blattwerk ausgefüllt, nach
einem schon wesentlich modernen Gefühl. Einzelne Details von fein-
ster Eleganz.
[160]Gothischer Profanbau. Siena. Pistoja.
Ganz Siena ist voll von gothischen Privatgebäuden und Palästen
des XIV. Jahrhunderts; keine Stadt Italiens oder des Nordens, weder
Florenz und Venedig, noch Brügge und Nürnberg ist in dieser Be-
ziehung reicher. Man findet sie von Stein, von Backstein und gemischt,
awie z. B. der Palazzo Pubblico; sonst mögen noch Palazzo Tolo-
bmei, Palazzo Saracini und als zierlichster Backsteinbau Palazzo
cBuonsignori genannt werden. — Sie können dem jetzigen Archi-
tekten nicht viel helfen; denn wenn er auch ihre nur mässigen Pro-
file und Zierformen, wenn er selbst die beträchtliche Höhe ihrer Stock-
werke nachbilden dürfte, so würde man ihm doch nicht leicht den
Luxus des Materials gestatten, auf dessen echter, unverkürzter An-
wendung ganz wesentlich der Effect beruht. In Mörtel und (wenn es
hoch kommt) Zink nachgeahmt würden diese Formen und Massen nicht
viel bedeuten.
Die durchgehende Form der Maueröffnungen ist der Spitzbogen,
welcher in der Regel drei durch Säulchen geschiedene Fenster ent-
hält. Der Bogen selbst bleibt eine müssige Verzierung; oft darunter
noch ein sog. Stichbogen (Kreissegment).
Eine freie Nachahmung der Loggia de’ Lanzi ist die Loggia
ddegli Uffiziali am Casino de Nobili in Siena (1417). Sie hat im
Kleinen dieselbe Schönräumigkeit; die Hauptglieder der Pfeiler sind
hier Halbsäulen; das obere Stockwerk ist in seiner jetzigen Gestalt
wohl ein Jahrhundert neuer, passt aber trefflich zum untern.
Endlich sind die Brunnen, eigentlich grosse, mit massigen Spitz-
bogen überwölbte Wasserbehälter, für Siena bezeichnend. Der Kunst-
ewerth ist bei Fonte Branda (1193) wie bei Fonte nuova und den
übrigen gering, der malerische Eindruck aber durch die phantastische
Umgebung, namentlich der erstern, einer der besten dieser Art, die
man aus Italien mitnimmt.
In Pistoja sind Palazzo del Commune und Palazzo de’
gTribunali (ehemals del Podestà) aus dem XIV. Jahrhundert; beide
mit Spitzbogen über den Fenstern. Der letztgenannte Palast hat eine
stattliche untere Halle mit breiten Kreuzgewölben; vier weite Rund-
bogen schliessen den Hof ein. Dieser ganze Raum ist überdiess sehens-
werth der zahllosen gemalten Wappen wegen; man ist in den jetzigen
italienischen Wappen gewohnt, eine gänzliche heraldische Gesetzlosig-
[161]Perugia. Viterbo etc.
keit, eine beständige Verwechselung der Wappengegenstände mit Sym-
bolen und Emblemen anzutreffen, die von Hause aus etwas ganz an-
deres sind; hier dagegen sind alte Wappen sammt Helmzierden und Zu-
thaten echt heraldisch und mittelalterlich gehandhabt. Leider hat eine
neuere Restauration Einiges im Styl von Theaterdecorationen hinzugefügt.
Besonders edel und glücklich ist die Fensterbildung am Palazzoa
del Commune zu Perugia, wo je 3 oder 4 durch Säulchen ge-
trennte Fenster zusammen in ein gutprofilirtes Quadrat eingerahmt
sind. Diese Fenster sind, wie auch das prachtvolle Portal, als Ein-
zelschmuck nicht sehr regelmässig in die durchaus glatte Quaderfronte
eingesetzt und so der Anspruch auf organische, strenge Gesammt-
composition ganz geflissentlich vermieden. Zwei Consolenfriese und
oben ein Bogenfries sind die einzigen durchgehenden Glieder.
Weiter nach Süden besitzt Viterbo ein artiges gothisches Pa-b
lästchen (wenn ich nicht irre, das Vescovato) in der Nähe des Domes.
Die Brunnen, wofür diese Stadt namhaft ist (Fontana grandec
1206—1279 etc.), sind wie die meisten italienischen Brunnen des
Mittelalters, Breitbauten, während in der nordischen Gothik auch der
Brunnen ein Stück Kirchenbau, und zwar ein Abbild des Kirchthurms
darstellen muss. Der schönste italienische Brunnen dieser Zeit ist derd
dreischalige zu Perugia, den wir bei Anlass der Sculptur wieder er-
wähnen müssen. (Die Brunnen von Siena verlangten als grosse Was-
serbehälter einer Bergstadt jene besondere Form.)
Von den gothischen Profanbauten der Mark Ancona und der Ro-
magna von Bologna abwärts bedaure ich keine Rechenschaft geben
zu können. In Ancona ist, wenn ich mich recht erinnere, die Börsee
ein stattlicher Backsteinbau dieser Zeit. In Ravenna nichts von Be-
lang. Rimini soll Mehreres enthalten.
Rom besitzt mit Ausnahme der Minerva und einiger Flickbauten
an ältern Kirchen überhaupt nichts von germanischem Styl; Neapel
wenigstens keinen Profanbau von höherer künstlerischer Bedeutung.
Dergleichen Gebäude reichen in der Regel so weit damals ein freies
municipales Leben reichte.
B. Cicerone. 11
[162]Gothische Architektur. Schlösser.
An Schlössern dieser Epoche, und zwar oft ungeheuer grossen,
ist zumal in Mittel- und Unteritalien kein Mangel. Sie gehören nicht
der Kunstgeschichte an, nehmen aber in der Geschichte des Kriegs-
baues ohne Zweifel eine bedeutendere Stelle ein als unsere nordischen
Adelsschlösser. Der grosse Aufschwung kam in den italienischen Fe-
stungsbau allerdings erst während des XV. Jahrh., als Päpste, Fürsten
und Republiken sich auf alle Weise gegenseitig sicher zu stellen suchten.
Aus dieser Zeit stammt der jetzige Bestand vieler jener „rocche“, welche
die italienischen Städte, auch Thalschluchten und Flüsse beherrschen;
bedeutende Baumeister wie Bern. Rosellino und Andere waren ihr Le-
benlang vorzugsweise mit solchen Aufgaben beschäftigt und auch das
Ausland zog die italienischen Ingenieure an sich. Ausser Stande, das
Militärische an diesen Bauten zu beurtheilen, nenne ich nur um des hoch-
malerischen Anblicks willen die von Filippo Maria Visconti (um 1445)
aerrichteten Festungswerke von Bellinzona, bestehend aus drei Schlös-
sern und deren Verbindungsmauern nebst einer Mauer bis an den Ti-
cino. Von den frühern viscontinischen Bauten ist das schicksalsbe-
brühmte Castell von Pavia auch architektonisch als Palast ausgezeichnet,
cvon den spätern das Castell von Mailand, welches im XVI. Jahrhun-
dert als die vollkommenste Veste der Welt galt; von dem alten Bau
sind nur die unzerstörbaren Eckthürme und ein Theil der dazwischen
liegenden Mauern ganz kenntlich erhalten, die innern Theile meist
umgebaut. — Von den Angioinen-Schlössern im Königreich Neapel
dwird wohl das colossale Castel nuovo der Hauptstadt (unter Carl
von Anjou angeblich nach einem Plan des Giovanni Pisano begonnen)
eden unbestreitbaren Vorzug behalten. Die stattlichen Mauern und
Thürme Neapels vom Carmine bis über Porta Capuana hinauf sind
erst aus der Zeit Ferdinands I. von Aragon (1484). — Über die Thore
von Florenz s. Seite 159. — Von den Thürmen, welche das Abzeichen
städtischer Adelswohnungen waren, hat sich in Pavia (noch jetzt)
am meisten, in Florenz einer oder der andere, in Bologna die durch
fihre Schiefheit allzuberühmte Garisenda und die weniger schiefe aber
viel höhere Torre degli Asinelli erhalten. (Erstere wenigstens ab-
sichtlich so gebaut.) Ebenda noch einige andere.
Ausser aller Linie steht endlich das Castell von Ferrara, bei
weitem der bedeutendste Anblick, welchen Italien in dieser Gattung
[163]Decoration.
gewährt. Steinfarbe, Wassergräben, Vor- und Rückwärtstreten der
einzelnen Theile, treffliche Erhaltung ohne entstellende Zuthaten —
Alles trägt dazu bei, die Burg des Hauses Este zu einem malerischen
Gegenstand zu machen, wie er sonst nicht wieder vorkömmt.
Es sei noch eine Schlussbemerkung über die gothischen Profan-
gebäude überhaupt gestattet, die sich auch auf unsere nordischen be-
zieht. Nur wo sehr reichliche Mittel vorhanden waren, wird man eine
gegliederte Gesammtcomposition durchgeführt finden; sonst begnügte
sich das Mittelalter mit einzelnen reichornamentirten Theilen, die oft
ganz unsymmetrisch an dem sonst schlichten aber massiven Bau ver-
theilt sind. Und solche Gebäude machen gerade oft die allerschönste
Wirkung. Sie geben ein unmittelbares Gefühl des Überflusses, wäh-
rend sog. durchcomponirte Gebäude unserer Zeit so oft den Gedanken
rege machen, es habe am Besten gefehlt.
Kleinere, decorative Arbeiten sind in Italien, wie angedeutet,
nicht die starke Seite dieses Styles. Von einem der wichtigsten Werke,
dem Tabernakel Oreagna’s, ist schon die Rede gewesen; anderes wird
unten bei Anlass der Sculptur zu erwähnen sein. — In der Anord-
nung ist der echte Organismus des Gothischen durchgängig missver-
standen oder geflissentlich bei Seite gesetzt. Aber das von diesem
Zwang befreite Detail ergeht sich oft in einem eigenthümlichen har-
monischen Reichthum des Stoffes, der Form und der Farbe. Die Cos-
maten (Seite 96) hatten ein System von Zierformen geschaffen, wel-
chem man gerade jetzt am wenigsten entsagen wollte und das man
mit den gothischen Grundformen oft auf die ansprechendste Weise
verband. Die Fassade von Orvieto zeigt, wie weit dieses Streben bis-
weilen führte. — Von kleinern Werken sind besonders Altartaber-
nakel und Grabmäler der Beachtung werth.
Der erstern enthält Rom vier bedeutendere: in S. Paul (kurza
vor 1300, von Arnulfus, vermuthlich Arnolfo del Cambio), in S. Ceciliab
(von demselben), in S. Maria in Cosmedin (von dem Cosmaten Adeo-c
11*
[164]Gothische Decoration. Altäre. Grabmäler.
adatus, nach 1300) und im Lateran (gegen 1370) 1). Die mosaicirten
Thürmchen, die südlich flachen Giebel u. s. w. sind nichts als Bastard-
formen, aber die sichere und delicate Behandlung des Einzelnen,
das prächtige Material, der monumentale Sinn und die Liebe, womit
das Ganze vollendet ist, geben diesen Werken einen bedeutenden
Werth. — Viel lebendiger gothisch und in plastischer Beziehung rei-
cher durchgeführt (gewundene Säulen mit Blattwerk in den Rinnen etc.)
berscheint der erzbischöfliche Thron im Dom von Neapel, der vielleicht
ursprünglich auch als Altartabernakel diente.
In Oberitalien beginnt schon statt des frei und vierseitig com-
ponirten Altartabernakels hie und da der nordische Altarschrein,
d. h. eine Wand mit einfacher, doppelter oder dreifacher Nischenreihe
für (meist hölzerne) Statuetten und mit geschnitzten Pyramiden als
Abschluss; das Ganze bemalt und vergoldet. In einzelnen Fällen
kamen solche Altäre sogar fertig aus dem Norden. Natürlich hat die
spätere Zeit mit ihren vermeintlich so viel effectreichern grossen Altar-
gemälden und Marmorgruppen diese bescheidenern Arbeiten grossen-
theils von den Altären verdrängt; man muss zufrieden sein, wenn sie
cüberhaupt noch vorhanden sind. Im Dom von Piacenza ist z. B. ein
prächtiger ehemaliger Altaraufsatz über dem Hauptportal angebracht.
dEin anderer in S. Petronio zu Bologna. (4. Cap. links.)
An den berühmtern Kanzeln dieser Zeit ist das Architektoni-
sche in der Regel der Sculptur untergeordnet, ebenso an den Pracht-
gräbern von Heiligen.
Die übrigen Grabmäler, als einer der ersten Anlässe zur Ent-
wicklung einer neuen Sculptur hochbedeutend, sind in der baulichen
Anordnung höchst verschieden. Gemeinsam ist ihnen ein Hauptmotiv,
welches in neuern Grabdenkmälern meist ganz übergangen wird,
nämlich der Sarcophag. Um und an diesen setzt sich der ganze
übrige Schmuck in vielen Variationen an, während im Norden die
Grabplatte — gleichviel ob liegend oder stehend — die Grundform
bleibt, weil auch Bischöfe und Fürsten insgemein in die Erde gesenkt
wurden. Die älteste Weise, den Sarcophag monumental bedeutend
[165]Gräber von Padua.
zu machen, ist seine Aufstellung auf kurzen Säulen, wie z. B. der ver-
meintliche Sarcophag des Trojaners Antenor in Padua aufgestellt ist;a
man vergleiche auch das bescheidene Grabmal Gregors X († 1276) imb
Dom von Arezzo. — Auch, wenn ich mich recht entsinne, das Grabc
des Cardinals Anchera († 1286) in einer Nebencapelle rechts in S. Pras-
sede zu Rom. — Oder der Sarcophag wird hoch an einer Wand auf
Consolen angebracht, welche dann oft prächtig und kraftvoll gestaltet
sind; vgl. die Gräber in mehreren älteren Kirchen Venedigs, im Dom
von Florenz, im rechten Querschiff von S. Maria novella und im Kreuz-d
gang von S. Croce daselbst u. s. w.
In Padua sind die Grabmäler dieser Art eigenthümlich und nicht
unschön aus allen drei Künsten gemischt. Über dem auf Consolen
schwebenden Sarcophag, der bisweilen schöne Eckfiguren und eine
fein individuelle Portraitstatue aufweist, wölbt sich ein Spitzbogen mit
quadratischer Einfassung; auch dieser hat an den Ecken Statuetten,
in der Leibung gemalte oder Relieffiguren; die Innenfläche des Bogens
aber und seine Füllungen gehören regelmässig der Malerei an, welche
die erstere meist mit einer thronenden Maria zwischen Heiligen, oder
mit Mariä Krönung u. dgl. geschmückt hat. Ausser dem malerischen
Werthe dieser Darstellungen, in welchen sich die paduanischen Giottes-
ken mit mehr Glück und Liebe bewegen, als in den grossen Fresken-
cyclen, ist auch die Sculptur mit ihrem oft sehr kenntlichen pisanischen
Nachklang nicht zu verachten. An den beiden stattlichsten Gräbern
dieser Art, von Mitgliedern der Fürstenfamilie Carrara, in den Ere-e
mitani (rechts und links von der Thür) sind leider die Malereien ver-
loren gegangen. Wohlerhaltene findet man z. B. in andern Theilen
derselben Kirche, sodann im Santo (Durchgang rechts zum erstenf
Klosterhof), im rechten Querschiff des Domes u. a. a. O.g
Ausserhalb Padua’s kommen ähnliche, zum Theil recht schöne
Gräber vor, z. B. in S. Corona zu Vicenza (Capelle rechts vom Chor);h
sodann in Verona, nur dass hier der Oberbau insgemein wieder die
Giebelform annimmt.
Wo antike figurirte Sarcophage vorhanden sind, bedient man sich
derselben in einzelnen Fällen und verziert sie mit sonderbaren Zu-
sätzen, wie das Grabmal Savelli im Querschiff von Araceli zu Rom zeigt.i
Endlich werden grössere Architekturen bei wachsendem Gräber-
[166]Gothische Decoration. Grabmäler.
luxus zur Sitte. Blosse gothische Giebel auf gewundenen Säulchen
über dem als Sockel behandelten Sarcophag stehend kommen z. B.
ain S. Croce zu Florenz (Querschiff) vor, in Fällen wo statt einer
Hinterwand der Durchblick verlangt wurde. Sonst ist die in Mittel-
italien mehrmals und in trefflichem Styl vorkommende Gestalt die einer
vollständigen gothischen Nische mit einem Gemälde oder Mosaik; unten
steht darin der Sarcophag, mit der liegenden Statue des Verstorbenen, zu
deren Haupt und Füssen Engel schützend das Leichentuch halten. So an
bden beiden schönen cosmatischen Gräbern des Cardinal Consalvo
(† 1299) in S. Maria maggiore, rechts vom Hauptaltar, und des Bischofs
cDurandus in S. Maria sopra Minerva zu Rom 1). — An den nea-
politanischen Gräbern ist insgemein dieses Motiv mit einem der
obengenannten in eine nicht eben glückliche Verbindung gebracht; der
Sarcophag wird auf Säulen oder statt deren auf Caryatiden (allego-
rische Tugenden) gestellt, so dass die darauf liegende Statue kaum
mehr sichtbar ist; die beiden Engel aber, der geringen Höhe der Ni-
sche wegen meist nur klein, machen sich hier mit dem Wegziehen
des (steinernen) Nischenvorhanges mehr als billig zu thun. Der Giebel
über der Nische hat dann noch seine besondere Ausbildung und seine
Statuetten, ja oft noch einen besondern Baldachin, der das Ganze um-
schliesst. Ausserdem erreicht das bauliche Gehäuse namentlich an den
dAngioinengräbern in S. Chiara und S. Giovanni a Carbonara
einen ausserordentlichen doch niemals reinen und schönen Reichthum.
Diese und das zwar von Giotto aber nicht eben glücklich angeordnete
eGrabmal Tarlati im Dom von Arezzo werden bei der Sculptur wieder
zu erwähnen sein.
Rom hat seine ältern Papstgräber in Bruchstücken, wobei die
bauliche Einfassung durchweg verloren ging, in die Crypta von S. Peter,
die Sagre grotte vaticane, verwiesen. Das Grab Gregors VII im Dom
von Salerno ist modern; im Dom von Perugia ruht der grosse Inno-
cenz III mit zwei Amtsnachfolgern unterhalb einer bescheidenen In-
schrifttafel (im rechten Querschiff). Allein in S. Domenico zu Pe-
frugia (linkes Querschiff) ist wenigstens ein Papstgrab ersten Ranges
[167]Denkmäler der Scaliger.
erhalten, dasjenige Benedicts XI († 1304) von Giovanni Pisano; ein
prächtiger Innenbau unter einem Baldachin auf gewundenen und figu-
rirten Säulen, alles mit reicher und dabei gemessener Mosaicirung.
Ein ebenfalls prächtiges Papstgrab im Cosmatenstyl ist dasjenige Ha-a
drians V († 1276) in S. Francesco zu Viterbo.
Endlich beschliesst Verona den Kreis italisch-gothischer Gräber-
formen mit den berühmten Denkmälern der Scaliger, bei S. Ma-b
ria antica. Neben mehrern einfachern zeichnen sich diejenigen des
Can Grande (1329), des Mastino II (vor 1351) und des Can Signorio
(vor 1375) als Freiarchitekturen aus; das zu Grunde liegende, verschie-
denartig ausgebildete Motiv ist der erhöhte Sarcophag mit liegender
Statue unter einem Baldachin auf Säulchen, der mit einer Reitersta-
tue gekrönt ist. Culturgeschichtlich sind diese Gräber eben so merk-
würdig als in Betreff der Kunst. Ausserhalb der Kirche, in mehr
politisch-monumentaler als in religiöser Absicht von den Gewaltherr-
schern Verona’s noch bei Lebzeiten errichtet, sind sie die Vorstufe
jener ganz profanen Reiterdenkmäler, wie sie später von den Venezia-
nern als politische Belohnung für ihre Feldherrn gesetzt wurden. Hier
sind die Reiterstatuen noch klein auf dem Gipfel angebracht; das Grab
eines Generals und Verwandten der Scala, des Sarego, links im Chorc
von S. Anastasia (1432), stellt Ross und Reiter schon beträchtlich
grösser und als die Hauptsache dar (wovon unten.) — Das übrige
Figürliche an den Gräbern der Scaliger, selbst an dem prächtigen des
Can Signorio (von Bonino da Campiglione) ist ebenfalls mehr
sachlich als künstlerisch wichtig. Die sechs Helden, welche in den
Baldachinen des letztern prangen, sind noch als heilige Krieger zu ver-
stehen (die Heiligen Georg, Martin, Quirinus, Sigismund, Valentin und
Ludwig IX); wenige Jahrzehnde später wären es schon eher jene un-
bestimmten römischen Heroen, welche an den Dogengräbern der Lom-
bardi Wache zu halten pflegen.
[168]Renaissance.
Die Ursprünge der modernen Baukunst und Decoration, bei wel-
chen wir dem innern Werthe und den Architekten zu Gefallen etwas
umständlicher verweilen wollen, heissen in der jetzigen Kunstsprache
die Renaissance. Schon die betreffenden Künstler selbst glaubten
an eine mögliche Wiedergeburt der ganzen antiken Architektur und
meinten diesem Ziele wirklich sich zu nähern; in der That aber be-
kleideten sie nur die von ihnen selbst geschaffenen Compositionen mit
den antiken Detailformen. Die römischen Baureste, so grosse Begei-
sterung ihnen im XV. Jahrhundert gewidmet wurde und so viel reich-
licher als jetzt sie auch vorhanden waren, gaben doch für die Lösung
der damaligen Aufgaben zu wenige unbedingte Vorbilder. Für mehr-
stöckige Bauten z. B. war man fast einzig auf die römischen Theater
und auf das damals noch vorhandene Septizonium Severi (am Fuss
des Palatin) angewiesen, welches letztere denn allerdings einen be-
deutenden Einfluss ausübte; für Prachtbekleidung von Mauern fand
man nichts Besseres vor als die Triumphbogen. Von irgend einer
Unterscheidung der Epochen war noch nicht die Rede; man nahm das
Alterthum als Ganzes zum Muster und berief sich auf das Späteste
wie auf das Frühste.
Es wird bisweilen bedauert, dass Brunellesco und Alberti nicht
auf die griechischen Tempel statt auf die Bauten von Rom stiessen;
allein man vergisst dabei, dass sie nicht eine neue Compositionsweise
im Grossen, sondern nur eine neue Ausdrucksweise im Einzelnen von
dem Alterthum verlangten; die Hauptsache brachten sie selbst mit
und zu ihrem Zweck passten gewiss die biegsamen römischen Formen
besser.
[169]Ihre Eigenschaften und Epochen.
Die Renaissance hatte schon lange gleichsam vor der Thür ge-
wartet; in den romanischen Bauten Toscana’s aus dem XII. und XIII.
Jahrhundert zeigt sich bisweilen eine fast rein antike Detailbildung.
Dann war der aus dem Norden eingeführte gothische Styl dazwischen
gekommen, scheinbar allerdings eine Störung, aber verbunden mit dem
Pfeiler- und Gewölbebau im Grossen und daher eine unvergleichliche
Schule in mechanischer Beziehung. Während man, so zu sagen, unter
dem Vorwand des Spitzbogens die schwierigsten Probleme bewältigen
lernte, entwickelte sich, wie oben erläutert wurde (S. 125 ff.), das eigen-
thümlich italienische Gefühl für Räume, Linien und Verhältnisse, und
dieses war die Erbschaft, welche die Renaissance übernahm. Sie
wusste dieselbe gar wohl zu würdigen und Michelangelo hat nicht
vergebens S. Maria novella „seine Braut“ genannt.
Für das XV. Jahrhundert kommt noch eine besondere Richtung
des damaligen Formgeistes in Betracht. Der phantastische Zug, der
durch diese Zeit geht, drückt sich in der ganzen Kunst durch eine oft
übermässige Verzierungslust aus, welche bisweilen auch in der Ar-
chitektur die wichtigsten Rücksichten zum Schweigen bringt und
scheinbar der ganzen Epoche einen wesentlich decorativen Charakter
giebt. Allein die bessern Künstler liessen sich davon im Wesentlichen
nicht übermeistern; und dann hat auch diese Verzierungslust selber
nach Kräften eine gesetzmässige Schönheit erstrebt; sie hat fast hun-
dert Jahre gedauert ohne zu verwildern, und ihre Arbeiten erreichen
gerade um das Jahr 1500 ihre reinste Vollendung.
Wir können zwei Perioden der eigentlichen Renaissance trennen.
Die erste reicht etwa von 1420 bis 1500 und kann als die Zeit des
Suchens charakterisirt werden. Die zweite möchte das Jahr 1540
kaum erreichen; es ist die goldene Zeit der modernen Architektur,
welche in den grössten Aufgaben eine bestimmte Harmonie zwischen
den Hauptformen und der in ihre Grenzen gewiesenen Decoration er-
reicht. — Von 1540 an beginnen schon die ersten Vorzeichen des
Barockstyls, welcher sich einseitig an die Massen und Verhältnisse
hält und das Detail willkürlich als äussern Scheinorganismus behan-
delt. Auch die allerhöchste Begabung, in einem Michelangelo, Palla-
dio, Vignola, Alessi, Richini, Bernini, hat nicht hingereicht, um etwas
[170]Renaissance. Verhältniss zum Stoff.
in jeder Beziehung Mustergültiges hervorzubringen; von ihrem unver-
gänglichen relativen Werth wird weiter die Rede sein.
Es lässt sich voraussehen, dass die Renaissance noch lange in
der heutigen Architektur eine grosse Rolle spielen wird. Durch ihren
scheinbaren Mangel an Ernst empfiehlt sie sich für jede Art von
Prachtbekleidung; man glaubt mit ihr durchzukommen ohne irgend
eine Consequenz mit in den Kauf nehmen zu müssen. Ich verkenne
daneben nicht die erfolgreiche Bemühung geistvoller Architekten, die
Formen der Renaissance zu reinigen, sie namentlich mit der griechi-
schen Profilbildung in Zusammenhang zu bringen. Und wenn ein Vor-
bild für Bauten, wie sie unser Jahrhundert bedarf, rückwärts und
auswärts gesucht werden soll, so hat dieser Styl, der allein ähnliche
Aufgaben ganz schön löste, gewiss den Vorzug vor allen andern. Nur
suche man ihm zuerst seinen Ernst und dann erst seine spielende
Zierlichkeit abzugewinnen. Man ergründe vorzüglich auch sein Ver-
hältniss zum Material; der gewöhnliche Baustein spricht sich eigen-
thümlich kräftig aus; einen bestimmten Ausdruck des Reichthums
wird man dem Marmor, einen bestimmten dem Erz, einen andern dem
Holz, und wiederum einen verschiedenen dem Stucco zugemuthet fin-
den; und zwischen all diesem bleibt noch ein besonderes Gebiet für
die Malerei unverkürzt übrig. Äusserst beherzigenswerth bleibt es,
dass kein Stoff sich für etwas ausgiebt, was er nicht ist. Es giebt
z. B. keine falsche, von Mörtel nachgeahmte Rustica vor den mittlern
Jahrzehnden des XVI. Jahrhunderts; wer in den guten Zeiten der
Renaissance nur mit Mörtel zu bauen vermag, gesteht es zu und be-
gnügt sich mit der Derbheit der steinernen Fenstergewandungen und
Gesimse. Aufgemalte Rustica kommt freilich schon frühe vor, al-
lein dann in rein decorativem Sinne, nicht mit der Absicht zu täu-
aschen. (Ein sehr frühes Beispiel, vielleicht noch aus dem XIV. Jahr-
hundert, am Palast Conte Bardi in Florenz, via del fosso, N. 187).
Sie ist auch ganz anders behandelt als das, was etwa an modernen
Häusern von dieser Art (mit Schlagschatten etc.) hingemalt wird.
[171]Ihre Mängel.
Einzelne grosse Befangenheiten hängen selbst den florentinischen
Baumeistern an. Die Ecken ihrer gewölbten Räume z. B. bedurften
entweder gar keiner besondern Form oder aber eines vortretenden
Pfeilers, auf welchem dann die von beiden Seiten herkommenden Bo-
gen, die Träger des Gewölbes ruhten; wenigstens eines abschliessenden
Pilasters. Statt dessen schlug man oft einen Mittelweg ein und liess
einen ganz schmalen Pfeilerrand mit einzelnen Bestandtheilen eines
Capitäls aus der Ecke hervorgucken. Ueber die äussere Bekleidung
der Kirchen, abgesehen von der Fassade, ist man erst spät ins Klare
gekommen. Die Profilirung hat lange den Charakter der Willkür und
trifft das Wahre und Schöne mehr durch unbewussten Takt als ver-
möge eines Systems. In der Behandlung der Kranzgesimse kommen
unglaubliche Schwankungen vor. An den venezianischen Bauten geht
bisweilen durch die grösste Pracht ein auffallender Mangel an organi-
schen Gedanken hindurch. Das Gefühl für schöne Verhältnisse der
Flächen zu einander, für schöne Contraste ihrer Bekleidung (durch
Rustica, Pilaster u. s. w.) macht gar oft einer blossen eleganten Ein-
rahmung Platz, die alle vier Seiten mit demselben zierlichen Profil
umzieht und sich weiter um nichts kümmert; so z. B. an manchen
oberitalischen Bauten, u. s. w.
An allen Enden offenbart sich der Hauptmangel dieses ganzen
Styles: das Unorganische. Die Formen drücken nur oberflächlich
und oft nur zufällig die Functionen aus, welchen die betreffenden
Bautheile dienen sollen. Wer aber auf dem Gebiet der Baukunst nur
in dem streng Organischen die Schönheit anzuerkennen vermag, hat
auf dem italischen Festlande mit Ausnahme der Tempel von Pästum
überhaupt nichts zu erwarten; er wird lauter abgeleitete und schon
desshalb nur wenig organische Style vorfinden. Ich glaube indess,
dass es eine bauliche Schönheit giebt, auch ohne streng organische
Bildung der Einzelformen; nur dürfen letztere nicht widersinnig ge-
bildet sein, d. h. ihren Functionen nicht geradezu widersprechen; es
darf z. B. nicht das Schwere auf das Leichte gesetzt, nicht das con-
structiv Unmögliche durch künstliche Mechanik erzwungen werden.
Wo ein Reiz für das Auge vorliegt, da liegt auch irgend ein Element
der Schönheit; nun übt offenbar ausser den schönen, strengen Formen
auch eine gewisse Vertheilung der Grundflächen (Räume) und Wand-
[172]Renaissance. Entwürfe.
flächen einen solchen Reiz aus, selbst wenn sie nur mit leidlichen,
widerspruchslosen Einzelformen verbunden ist. Ja, es werden Auf-
gaben gelöst, Elemente der Schönheit zu Tage gefördert, welche in
den beiden einzigen streng organischen Stylen, dem griechischen und
dem nordisch-gothischen, nicht vorkommen, und sogar nicht vorkom-
men konnten. Was insbesondere die Renaissance, sowohl die frühere
als die spätere, in dieser Beziehung Grosses geschaffen hat, soll im
Folgenden kurz angedeutet werden.
Natürlich blieb auch in der Blüthezeit der Renaissance das Beste
und Grossartigste unausgeführter Entwurf. Wir erfahren durch Nach-
richten, auch wohl durch Zeichnungen welche die grösste Sehnsucht
rege machen, wie Brunellesco einen grossen Palast für die Mediceer,
Rosellino eine neue Peterskirche sammt Umgebung und Residenz, Bra-
mante einen neuen Vatican entwarf, zahlloser anderer Projekte der
grössten Meister nicht zu gedenken. Die Sammlung der Handzeich-
anungen in den Uffizien enthält von dieser Gattung wenigstens einiges
vom Wichtigsten. Für Architekten, welche mit der oft nur andeutenden
Ausdrucksweise des Zeichners, namentlich mit den perspectivischen
Halbansichten von Interieurs rasch vertraut sind, hat die Besichtigung
derselben einen grossen Werth. Eine facsimilirte Herausgabe des Besten
würde sich gewiss lohnen.
Noch eine andere Quelle kann uns das Bild dieses Styles ergänzen
helfen. So reich auch eine Anzahl besonders kleinerer Gebäude mit
dem heitersten Schmuck ausgestattet ist, deren Venedig vielleicht die
zierlichsten enthält, so konnten doch Marmor und Erz nicht alle Phan-
tasien verwirklichen, denen sich die decorative Neigung des XV. Jahr-
hunderts hingab. Wer auch diese Phantasien kennen lernen will, be-
trachte die in vielen damaligen Bildern dargestellten Baulichkeiten;
sie sind bunt, überladen, bisweilen unmöglich, und doch nicht nur oft
von grossem Reiz, sondern auch zur Kenntniss des Baugeistes jener
Zeit unentbehrlich, wobei nicht zu vergessen ist, dass viele Maler
zugleich Baumeister waren. Mantegna und seine ganze Schule ist
sehr reich an Hintergründen von Hallen mit Reliefs; von den Ferra-
resen ahmte ihn Mazzolino hierin mit Übertreibung nach; Pinturicchio
[173]Idealdarstellungen von Gebäuden.
ergiebt durchgängig Vieles, Dom. Ghirlandajo Einiges und Gutes (Chora
von S. M. novella in Florenz); selbst ein Maler dritten Ranges wie
Domenico di Bartolo verleiht seinen Werken (Fresken im Hospitalb
della Scala zu Siena) ein grosses Interesse durch solche Zuthaten.
Sandro Botticelli und Filippino Lippi waren vollends unermüdlich
darin. Vorzüglich aber offenbaren die Fresken des Benozzo Gozzoli
im Campo santo zu Pisa den Geist der Renaissancebauten in reichemc
Masse. Ausserdem möchte ich noch auf die kleinen Legendenbilder
Pisanello’s in der Sacristei von S. Francesco de’ Conventuali zu Pe-d
rugia aufmerksam machen, welche einen ganzen Cursus idealer Re-
naissance ohne Phantasterei gewähren. In Rafaels Sposalizio (Brerae
in Mailand) findet sich dann ein gesetzmässig schönes Zusammenwirken
der geschichtlichen Composition und des baulichen Hintergrundes, wel-
cher hierauf rasch seinen überreichen Schmuck verliert und in die
Dienstbarkeit des malerischen Ganzen tritt. Daneben scheidet sich
(schon mit Baldassare Peruzzi’s Malereien im ersten obern Saal derf
Farnesina in Rom) eine sog. Prospectmalerei als eigene Gattung aus.
Mehrere der grössten Historienmaler haben indess fortwährend
dem baulichen Hintergrund alle Sorgfalt zugewendet, wo der Gegen-
stand denselben irgend zuliess. So vor allem Rafael, welcher schon
wegen der Räumlichkeit der „Schule von Athen“ und des „Heliodor“g
den grössten Architekten beizuzählen sein würde. Dann zeigt sich
Andrea del Sarto in seinen Fresken (Vorhalle der Annunziata zu Flo-h
renz) als ein Meister einfach edler Baukunst. Von den spätern sind
die Venezianer in dieser Beziehung am reichsten; Paul Veronese zu-
mal, obschon alle seine Prachthallen das einzige Gebäude der Schule
von Athen nicht aufwiegen. In der Zeit der entarteten Kunst nahm
dieser Bestandtheil der Malerei schon als Hülfsmittel der Illusion einen
neuen, beträchtlichen Aufschwung und unsere bedeutendsten Historien-
maler könnten wohl einen Pater Pozzi, einen Luca Giordano und dessen
Schüler um ihre ungemeine Fertigkeit in der Linien- und Luftper-
spective architektonischer Gründe beneiden.
Sehr edel, obwohl etwas kalt, ist die Architektur in den Bildern
Nic. Poussin’s (auch wohl Claude Lorrain’s) gestaltet.
Ausser den Gemälden sind auch die Intarsien (eingelegten Holz-
arbeiten) an den Chorstühlen mancher Kirchen sehr belehrend; mit
[174]Frührenaissance. Brunellesco. Dom von Florenz.
Vorliebe wurden darin architektonische Ansichten dargestellt, oft von
areicher, phantastischer Art; die besten vielleicht in S. Giovanni zu
Parma. Auch wo die Intarsien geschichtliche Scenen enthalten, sind
die baulichen Hintergründe bisweilen wichtig; so an den Chorstühlen
bvon S. Domenico in Bologna.
Der erste, welcher nach emsigem Studium der Ruinen Roms, mit
vollem Bewusstsein dessen was er wollte, die Bauformen des Alter-
thums wieder ins Leben rief, war bekanntlich Filippo Brunellesco
cvon Florenz (1377 — 1446). Die Kuppel des Domes, als grösstes
mechanisches Meisterwerk alles bisher (1421) geleistete überbietend,
ist für die grosse Stylveränderung die sich an Brunellesco’s Namen
knüpft, wenig bezeichnend; die äussere Decoration an der einzigen
Seite des Achtecks, wo sie wirklich ausgeführt ist, rührt von Baccio
d’Agnolo her, und die Lanterna ist ebenfalls später. — Arnolfo, der
ursprüngliche Baumeister, scheint (S. 142) eine nicht sehr hohe Kuppel
beabsichtigt zu haben, welche die drei Arme des Kreuzes nur mässig
überragt hätte; erst Brunellesco erhob den Cylinder (sog. Tambour)
mit den Rundfenstern und darüber die gewaltige Spitzkuppel. In der
Wirkung steht sie tief unter der Kuppel von S. Peter; allein die
Vergleichung ist eine ungerechte. Fürs Erste würde sie ohne die
abscheulichen Malereien der Zuccheri, mit einer einfachen, dem Or-
ganismus folgenden Decoration in heller Färbung 1), einen ganz andern
Anblick von innen gewähren und nicht mehr einer flachen dunkeln
Decke gleichen; sodann ist hier zum erstenmal der Cylinder bedeu-
tend behandelt und eine Aufgabe der Construction gelöst, welche man
später sowohl mechanisch überbieten als auch in reichern und freiern
Formen ausdrücken konnte, welche aber das erste Mal am schwie-
rigsten war. Brunellesco war zudem auf alle Weise durch Arnolfo’s
Unterbau gebunden.
Während des Dombaues begann Brunellesco auch S. Lorenzo
(1425). Auf einmal wird die Form einer Basilica oder Säulenkirche
in einem neuen und edeln Geiste belebt; die Säule erhält wieder ihr
[175]S. Lorenzo. S. Spirito. Cap. de’ Pazzi.
Gebälkstück und ihre antike Bildung, die Bögen ihre verzierten Pro-
file; den gewölbten Seitenschiffen schliessen sich die Capellen als nie-
drigere Nischen reihenweise an, alles mit streng durchgeführter Be-
kleidung von Pilastern und Gesimsen, dergleichen damals wohl noch
an römischen Nischenbauten erhalten war. Die Decke des Haupt-
und Querschiffes (wohl nicht mehr die alte) ist flach; über der Kreuzung
eine einfache Kuppel ohne Cylinder, welche weislich keinen Anspruch
macht, da sie bei ihrer Kleinheit die Kirche doch nicht beherrschen
könnte. Die reichen Rundformen sparte Brunellesco für die Sacristei
auf, welche über ihrem Quadrat eine polygone niedrige Kuppel und
über dem zierlichen Ausbau für den Altar eine kleine Flachkuppel
hat. — Aussen am Oberschiff ein regelmässiges römisches Gebälk
über der sonst glatten Mauer; Brunellesco konnte sich auf die Römer
berufen, welche ebenfalls die Gebälke über blosse Mauern hingeführt
hatten (Tempel des Antonin und der Faustina). Die Fassade, für
welche nach Brunellesco auch Rafael und Michelangelo Entwürfe
machen mussten, ist vor lauter grossen Absichten ein Rohbau ge-
blieben. Auch der erste Klosterhof soll nach Brunellesco’s Entwurf
gebaut sein.
Lange nach Brunellesco’s Tode (1470) wurde eine zweite Basilica
S. Spirito, nach seinen (wie man glaubt, sehr frei benützten) Zeich-a
nungen begonnen. Hier sind die Capellennischen mit den Nebenschiffen
gleich hoch und dafür wie für alles Detail ist Brunellesco kaum ver-
antwortlich zu machen. (Die übertrieben grossen Portalakroterien;
das Zusammentreffen zweier Fenster in einer Ecke aussen!) Auch
die kleinliche Kuppel mit Cylinder über dem Kreuz (die er an S. Lo-
renzo vermied) ist vielleicht nicht sein Gedanke; wohl aber die Her-
umführung der Nebenschiffe um Querbau und Chor, trotz der oft
getadelten Zweitheiligkeit der Abschlüsse. Unser Auge ist an Schluss-
Intervalle von ungerader Zahl zu sehr gewöhnt, um dieser Freiheit
leicht gerecht zu werden; an sich ist der perspectivische Durchblick
dieser hintern Theile sehr schön.
Für die ganze Entwicklung der Renaissance von grosser Bedeu-
tung ist die Capelle des Geschlechtes Pazzi, im vordern Klosterhofb
von S. Croce in Florenz. Die polygone Flachkuppel mit Rundfenstern
über dem griechischen Kreuz ist in dieser Gestalt eine Lieblingsform
[176]Frührenaissance. Brunellesco. Hallen und Höfe.
avon Brunellesco’s Nachfolgern geworden. (Giuliano da San Gallo
ahmte sie u. a. nach in der Madonna delle Carceri zu Prato.) Höchst
anmuthig ist die Vorhalle, ein Tonnengewölbe auf Säulen, in der
Mitte durch einen Hauptbogen und eine Kuppel mit glasirten Casset-
bten unterbrochen. (Sie gab u. a. Ventura Vitoni das Motiv zur Vor-
halle der Umiltà in Pistoja.) Obwohl vernachlässigt und unvollendet
wird dieses Gebäude, abgesehen von den Reliefs des L. della Robbia,
immer als einer der reinsten Klänge aus dem XV. Jahrhundert wir-
ken. (Das Innere schwer sichtbar, da die Pazzi den einzigen Schlüssel
besitzen.)
Als städtischer Zierbau ist die Halle des Findelhauses auf
Piazza dell’ Annunziata (links, von der Kirche kommend) ein wahres
Muster anspruchloser Schönheit. Es sollte keine Wachthalle und kein
politischer Sammelort, sondern nur ein weiter, sonniger Warteraum
sein, der nun mit seiner harmlosen Decoration (den Medaillons mit
den Wickelkindern des Luca della Robbia) und seinem einfachen obern
Stockwerk die anmuthigste Wirkung macht. (Der Hof wohl nicht von
Brunellesco, aber auch nicht viel später.) — Die Halle gegenüber eine
Nachbildung von Antonio da Sangallo d. ä. — Ursprünglich von Bru-
dnellesco, aber mehrfach verändert: die Halle auf Piazza S. Maria
novella; — dieser und der vorigen wenigstens sehr ähnlich: die ver-
emanerte Halle an der Via S. Gallo, welche jetzt die Rückseite der
Dogana bildet.
Von vollständigen Klosterhöfen glaube ich, nach Fantozzi’s
fVorgang, dem Brunellesco den zweiten Kreuzgang von Santa Croce
in Florenz mit Sicherheit beilegen zu dürfen. Es ist einer der schön-
sten der Renaissance, mit vollständig durchgeführten Bogenprofilen
und Gesimsen, die Füllungen mit Medaillons; das obere Stockwerk
flach gedeckt auf Säulen mit trefflichen Consolen. — An Bauten die-
ser Art gab Brunellesco den Säulen kein Gebälkstück, weil die dünnen
und zarten Verhältnisse des Ganzen dadurch übertrieben worden wä-
ren und weil die Höhe wohl eine gegebene war.
Wie Brunellesco, allerdings mit reichlichen Mitteln von dem
grossen Cosimo ausgestattet, eine ländliche Chorherrnresidenz als
gVilla gestaltete, zeigt die sog. Badia am Fuss des Berges von Fie-
sole, eine halbe Stunde von Florenz. (Architekten, welche wenig
[177]Badia von Fiesole. Pal. Pitti.
Zeit übrig haben, dürfen eher Fiesole selbst als dieses Gebäude über-
gehen.) Es ist ein unregelmässig schönes, dem Bergabhang folgendes
Aggregat von Einzelbauten; ein reizender oblonger Hof, die untere
Halle gewölbt, die obere (unvermauert) flach gedeckt; gegen Süden
hinaus nach dem Garten eine Halle, deren oberes Stockwerk besonders
schöne Consolen über den Säulen hat; die übrigen Räume unten
sämmtlich gewölbt mit Wandcapitälen oder Consolen; — nur einfach
entwickelt und ohne die Verfeinerung der letzten Zeiten des XV. Jahr-
hunderts aber rein und schön erscheint das Decorative, wie z. B. die
Kanzel im Refectorium und der Brunnen in dessen Vorsaal; — die
Aussenmauern durchgängig glatt und nur mit den nothwendigsten
Gliederungen versehen. — Die Kirche, an deren Fassade ein Stücka
des ältern Baues im Styl von S. Miniato beibehalten ist, bildet ein
einschiffiges Kreuz mit Tonnengewölben, über der Kreuzung selbst
mit einem Kuppelsegment; Alles ist mit absichtlichster Einfachheit
behandelt; die Nebencapellen öffnen sich als besondere Räume mit
besondern Pforten gegen das Langschiff; das Äussere ist glatt mit
wenigen Wandstreifen und sparsamen Consolen; die ganze Kirche
einzig schön in ihrer Art. (Vgl. S. 86, c. 110, c.)
Endlich entwarf und begann Brunellesco den Palazzo Pittib
(fortgeführt von L. Fancelli, der Hof von Ammanato, die Vorbauten
aus neuer Zeit; das Innere durchgängig später eingetheilt als die
Fassade). Vor allen Profangebäuden der Erde, auch viel grössern,
hat dieser Palast den höchsten bis jetzt erreichten Eindruck des Er-
habenen voraus. Seine Lage auf einem ansteigenden Erdreich und
seine wirklich grossen Dimensionen begünstigen diese Wirkung, im
wesentlichen aber beruht sie auf dem Verhältniss der mit weniger
Abwechselung sich wiederholenden Formen zu diesen Dimensionen.
Man frägt sich, wer denn der weltverachtende Gewaltmensch sei, der
mit solchen Mitteln versehen, allem bloss Hübschen und Gefälligen
so aus dem Wege gehen mochte? — Die einzige grosse Abwechselung,
nämlich die Beschränkung des obersten Stockwerkes auf die Mitte,
wirkt allein schon colossal und giebt das Gefühl, als hätten beim
Vertheilen dieser Massen übermenschliche Wesen die Rechnung ge-
führt. (Man vergleiche z. B. die beträchtlich grössere Fassade desc
Palastes von Caserta zwischen Capua und Neapel, von Vanvitelli.)
B. Cicerone. 12
[178]Frührenaissance. Brunellesco. Michelozzo.
Aber Brunellesco verstand auch den reizvollsten Zierbau, wie der
aPal. Quaratesi (ehemals Pazzi, Via del Proconsole, N. 476) be-
weist. Die Fenster der Fassade und des auf Bogenhallen ruhenden
Hofes sind mit Laubwerk eingefasst, die Bogenfüllungen mit Me-
daillons verziert, welche antike Köpfe enthalten; Rustica nur am un-
tern Stockwerk, dessen Aussenseite offenbar einem ältern Bau angehört.
Die Capitäle im Hof mit Delphinen und Candelabern.
Von den antiken Capitälen hat Brunellesco mit Vorliebe die ein-
fachern Formen der korinthischen und der Composita-Ordnung nach-
geahmt, und zwar in eigenthümlicher Umgestaltung; für die obern
Stockwerke brauchte er die ionische, freilich nach sehr geringen rö-
mischen Vorbildern, worin der Missverstand überwogen haben muss.
Von dem vollständigen korinthischen Capitäl hatte er einen nur man-
gelhaften Begriff und bildete z. B. die Stengel der Mitte ebenso zu
Voluten aus wie die der Ecken. (Cap. Pazzi, Findelhaus, selbst
S. Lorenzo 1).
Was Brunellesco angefangen hatte, führte der Florentiner
Michelozzo weiter, nicht mit bahnbrechenden, genialen Neuerungen,
wohl aber mit vielem Verstand und Geschick für die Behandlung des
einzelnen Falles im Verhältniss zu den vorhandenen Mitteln. Er er-
bbaute den gewaltigen Palazzo Riccardi (damals Medici) und stufte
dabei zum erstenmal die Rustica nach Stockwerken ab, vom Rohern
zum Feinern. Wohl sehen die zierlichen Fenster der zwei obern Stock-
werke etwas gedrückt aus zwischen dem ungeheuern Quaderbau des
Erdgeschosses und dem grossen Hauptgesimse; wohl sieht man den
Baumeister bei der Behandlung des erwähnten Hauptgesimses schwan-
ken und irre gehen sowohl in den Formen als in der Dimension; allein
ohne diesen Palast hätten Bern. Rosellino und Benedetto da Majano
später die ihrigen nicht zu Stande gebracht. Der Hof mit seiner Säu-
lenhalle, den beiden Gesimsen drüber und den rundbogigen Fenstern
der obern Stockwerke ist das Vorbild für zahllose Hofbauten des XV.
Jahrhunderts geworden.
[179]Florentin. Bauten des XV. Jahrhunderts.
Michelozzo selbst bildete den vordern Hof des Palazzo vec-a
chio ähnlich, nur mit Ausnahme der stärkern untern Stützen (deren
Stuccoverzierung übrigens sammt dem ganzen Arabeskenwerk der Ge-
wölbe erst vom Jahr 1565 ist). Der Hof des Pal. Corsi (ehemalsb
Tornabuoni, unweit Pal. Strozzi) hat unten eine sehr geräumige Säu-
lenhalle (Composita) mit stark überhöhten Bogen, dann ein Gesimse
mit Medaillons und Fenster, endlich oben eine offene Halle (korin-
thisch). Die Villa Ricasoli bei Fiesole zeigt nur noch in ihrer S. Mi-c
chaelscapelle, die nahe Villa Mozzi nur noch in ihrer allgemeinen An-d
lage die Erfindung Michelozzo’s; in der letztern hat die hübsche untere
Halle eine viel spätere Bekleidung.
Die Klosterbauten Michelozzo’s sind einfach und zeichnen sich
neben denjenigen Brunellesco’s auf keine Weise aus. In S. Crocee
gehört ihm das (völlig schlichte) Noviziat, der Gang bei der Sacristei
(mit stattlichen halbgothischen Fenstern) und die an dessen Ende ge-
legene Capelle Medici. Im Dominicanerkloster S. Marco sind vonf
ihm beide Kreuzgänge und mehrere Treppen nebst der Sacristei, bei
deren Bau er sich gewiss mit sehr Wenigem behelfen musste.
Da im Ganzen die von Michelozzo ausgebildete Bauweise ihre
Herrschaft in Florenz sehr lange behauptete, so wollen wir eine An-
zahl Bauten, deren Urheber nicht genannt werden, gleich bei diesem
Anlass aufzählen. — Von Klöstern erinnert das sehr einfache Monteg
Oliveto (vom Jahr 1472, vor Porta S. Frediano) am unmittelbarsten
an des Meisters Styl; die Kirche wiederholt das Motiv seiner Sacri-
steien und Capellen in grösserm Massstabe: Kreuzgewölbe auf Wand-
consolen und ein Chorraum mit niedriger Kuppel; der ionische Kloster-
hof ist wohl etwas neuer. — Die Klosterbauten der Badia, besonders derh
vordere vermauerte Säulengang mit zwei trefflichen Capellen und ein
hinter der Sacristei gelegener reizender kleiner Hof mit gewölbter ioni-
scher Doppelhalle scheinen von zwei verschiedenen Architekten her-
zurühren. — Von mehrern Meistern, deren aber keiner genannt wird,
sind die vier Höfe der sehr sehenswerthen Certosa, eine starke halbei
Stunde vor Porta Romana; der zweite ist eine der reizendsten kleinen
Doppelhallen; der vierte oder Gartenhof liefert den merkwürdigen
12*
[180]Frührenaissance. Florenz. Kirchen und Klöster.
Beleg, wie sehr bisweilen auf Bemalung der architektonischen Glieder
mit Arabesken (hier weiss auf braun) gerechnet wurde. Die (neuere)
aHauptkirche selbst gering und ungeschickt. — Vom Anfang des XVI.
Jahrhunderts der kleine Hof des Scalzo (unweit S. Marco), phan-
tasievoll in wenigen Formen durch die blosse Stellung der Säulen. —
bEin anderer artiger kleiner Hof als Eingang der Confrat. di S. Pietro
cmartire (unweit der Annunziata, selten offen). — Ein Klosterhof bei
dS. Girolamo 1528. — Baulich nicht bedeutend die beiden Höfe von Og-
nissanti; in den vordern ragt das linke Querschiff der Kirche auf
egothischen Bogen malerisch herein. — Die drei kleinern Höfe von
S. Maria novella, aus verschiedenen Zeiten des XV. Jahrhunderts. —
fDer zweite Klosterhof al Carmine (1490), unten gewölbt, oben mit
flachem Gebälk auf Consolen, beide Stockwerke ionisch. — Aus dem
gXVI. Jahrhundert die jetzige Gensdarmerie, ehemals Kloster S. Ca-
hterina, auf Piazza S. Marco. — Die Kirche San Felice, vielleicht von
iMichelozzo selbst. — Die zierliche Sacristei von S. Felicita (1470),
kmit besonders hübschem Chörchen. — Der schöne Vorhof der Annun-
ziata, möglicher Weise von dem ältern Antonio San Gallo (s. unten),
von welchem der mittlere Bogen an deren Aussenhalle herrührt. (Der
Rest dieser Aussenhalle erst seit 1600 von Caccini.)
Von Palästen und Privatgebäuden 1) dieses Styles sind hier zu
lnennen: Pal. Giugni-Canigiani (Via de’ Bardi N. 1333) mit einem Hof
[181]Paläste.
auf ältern Pfeilern, welche zum Theil Würfelcapitäle tragen; die Treppe
mit ihrem Geländer von ionischen Säulchen gewährt einen malerischen
Anblick. (Der Ausbau gegen den Garten XVI. Jahrhundert.) — Der
einfach malerische Hof von Pal. Cerchi (borgo S. Jacopo N. 1762). —a
Derjenige von Pal. Casamurata (Via delle Pinzochere, N. 7717). —b
Aus späterer Zeit und sehr stattlich: Pal. Magnani, ehemals Ferronic
(Via de’ Serragli N. 2797). — Etwa gegen 1500: der Hof des Pal.
Cepperello (Corso, N. 814) mit weit gespannten dünnen Bogen aufd
Composita-Säulen und zartem Detail. — Ungefähr aus derselben Zeit
der Hof des Pal. Incontri (Via de Pucci N. 6118). — Ebenso Pal.e
Ginori (Via de’ Ginori N. 5145), dessen Aussenseite schon dem untenf
zu nennenden Pal. Guadagni entspricht 1).
Die im Ganzen vorherrschende Form ist: Säulenbau um den Hof
oder um einen Theil desselben; an der Wand Consolen, in deren Bil-
dung jeder Architekt neu zu sein suchte; an einer Seite des Hofes
ein vorgewölbter Gang im ersten Stock; die Gesimse, eines über den
Bogen und eines unter den Fenstern, sehr mässig; ihr Zwischenraum
oft mit Medaillons, Wappen u. dgl. verziert und ebenso auch die Bo-
genfüllungen über den Säulen; die Fenster der obern Stockwerke bis
zu Anfang des XVI. Jahrhunderts fast durchgängig halbrund; die
Treppen mit Tonnengewölben und fortlaufenden Gesimsen; alle Aus-
läufe von einzelnen Gewölbekappen durch das ganze Gebäude auf
Consolen gestützt. (Dies gilt auch von den Klosterbauten). Durchgän-
gig ist das Bedeutende mit mässigen Mitteln geleistet.
Als einzelnes kleines Prachtgebäude ist hier einzuschalten die streng-
schöne Grabcapelle des Cardinals von Portugal († 1459), von Anto-g
1)
[182]Frührenaissance. L. B. Alberti.
nio Rosellino, welcher sonst vorzüglich als Bildhauer berühmt und
von dem gleichnamigen Bernardo (s. unten) zu unterscheiden ist.
Noch ganz der frühern Renaissance gehört auch der grosse Flo-
rentiner Leon Battista Alberti an (geb. 1398). Er ist der erste
encyclopädische Theoretiker der italienischen Kunst, ausserdem aber
auch einer der ersten Architekten seiner Zeit. Sein wichtigstes Ge-
abäude, die Kirche S. Francesco in Rimini, eigentlich nur Ausbau
einer gothischen Klosterkirche, deren Bogen im Innern er bloss im
neuen Styl überkleidete, zeigt in der Fassade und in den Aussenseiten
höchst originelle und (soweit sein Bau reicht) eigenthümlich schöne
bFormen. In Mantua ist am S. Andrea noch die von ihm angege-
bene Grundform, namentlich in der edeln Vorhalle, doch nur mit grossen
cVeränderungen erhalten. In Florenz rührt der grosse runde Chor-
bau der Annunziata von ihm her (durch totale Verkleidung und
Vermalung im Barockstyl unkenntlich gemacht; doch mögen die ge-
wölbten untern Capellen sich von jeher unschön mit dem grossen
Rund geschnitten haben; die Kuppel ohne Lanterna). An der reich-
dincrustirten Fassade von S. Maria novella musste er sich einer
schon begonnenen gothischen Decoration anschliessen, deren sehr leise
Gliederung ihm jeden nachdrücklichen plastischen Schwung verbot
und ihn zum Ersatz durch Mosaicirung nöthigte; am untern Stock-
werk ist die ungemein schöne mittlere Thür mit dem cassettirten Bo-
gen von ihm; im obern Stock gab er das erste bedenkliche Beispiel
jener falschen Vermittelung mit dem untern mittelst verzierter Voluten,
wahrscheinlich weil ihm die von beiden Seiten angelehnten Halbgiebel
(die er doch in Rimini brauchte) zu der sonstigen decorativen Haltung
des Ganzen zu strenge schienen. Sein schönstes Bauwerk in Florenz,
eder Pal. Ruccellai (Via della vigna nuova), zeigt zum erstenmal die
später so beliebt gewordene Verbindung von Rustica und Wandpila-
stern in allen drei Stockwerken; auch die dreibogige Loggia gegen-
über ist von ihm. Im Auftrag derselben Familie errichtete Alberti
f1467 in der nahen Kirche S. Pancrazio (jetzt Lotteriegebäude) den
köstlichen kleinen Zierbau des „heiligen Grabes“. An Pal. Stiozzi-
[183]Siena. Cecco di Giorgio und Bern. Rosellino.
Ridolfi (Via della Scala 4317), ehemals auch der Familie Ruccellaia
gehörig, scheint von Alberti’s Bau nichts Bedeutendes mehr erhalten.
Ehe weiter von der florentinischen Architektur die Rede sein
kann, müssen wir einen Blick auf Siena werfen, dessen Bauten ge-
rade für die Zeit von 1450 an besonders bezeichnend sind. Ich schreibe
das Folgende nur für geübte Augen, denn wem nur riesenhafte Mas-
sen oder decorativer Reichthum einen Eindruck machen, für den ist
in Siena ausser dem Dom überhaupt nicht viel zu geniessen. Ganz
besonders entzieht sich die mässige Frührenaissance an kleinen Bauten
dem flüchtigen oder abgestumpften Blick.
Es sind hauptsächlich die Baumeister des Aeneas Sylvius Picco-
lomini (Pius II), welche die Heimath des Papstes und deren Umge-
bung zu verschönern unternahmen: Cecco di Giorgio1) von Siena
und Bernardo Rosellino von Florenz; der letztere hatte schon
für Nicolaus V bedeutende Aufträge ausgeführt. Beide gemeinschaft-
lich schufen das alte Corsignano (seitwärts von der Strasse von Rom
nach Siena, einige Miglien östlich von Torrenieri und S. Quirico), zu
Pienza, zur „Stadt des Pius“ um; dort sollen noch ein grössererb
[184]Frührenaissance. Siena.
Palast, eine Bischofswohnung, die Kirche und die Hallen des Platzes
eine vollständige Baugruppe edler Frührenaissance darstellen. Leider
kann der von Rom Abreisende aus bekannten Gründen nur mit un-
verhältnissmässigen Opfern seine Etappen selber bestimmen und so
wird Pienza selbst bei mehrmaligen Reisen dem Kunstfreund in der
Regel entgehen. Ähnlich verhält es sich mit Urbino, wo Cecco di
aGiorgio den berühmten Herzogspalast baute. Von Rosellino werden
eine Anzahl Bauten in der Mark Ancona nahmhaft gemacht.
In Siena ist von Rosellino der Palast Nerucci; als Cecco’s
cHauptwerke erscheinen die Paläste Piccolomini (jetzt del Governo)
dund Spannocchi (alles 1460—1472). Der gemeinsame Styl dieser
Bauten beruht noch auf dem mittelalterlichen Fassadenprincip und
die antikisirende Verzierung (Gesimse, Consolen, Eierstäbe u. s. w.)
ist nichts weniger als rein gehandhabt; allein Brunellesco hatte das
Gefühl für schöne Verhältnisse der Stockwerke geweckt und Miche-
lozzo (an seinem Pal. Riccardi in Florenz) eine gesetzmässige Abstu-
fung der Rustica, der Fenster und der Gliederungen zum erstenmal
durchgeführt und diese Fortschritte eigneten sich die Sienesen für
ihre Bauten an. Der Charakter einer ernsten Pracht wird wohl selten
in so mässigen Dimensionen so bedeutend erreicht worden sein. Nichts
Einzelnes, z. B. keine mittlere Loggia, drängt sich vor; das ganze
wirkt gleichmässig imposant; der Moment, da das Schloss zum Palaste
wird, drückt sich hier eigenthümlich schön aus. (Der ehemals reizende
Hof des Pal. del Governo ist schon lange etwas verbaut.)
Cecco wusste sich auch kleinern Aufgaben anzupassen und er-
escheint dann für die jetzige Architektur besonders lehrreich. Der Pal.
della Ciaja (jetzt Costantini, wenn ich richtig gehört habe), der nur
ein elegantes Privathaus sein sollte, ist ohne Rustica, mit einfach zier-
lichsten Gesimsen und Fensteraufsätzen und edler Pforte eines der
fliebenswürdigsten Gebäude von Siena; der Pal. Bandini-Piccolo-
mini (von Backstein mit steinernen Einfassungen) kann vollends als
kleines Renaissancehaus im vorzugsweisen Sinne gelten. — In der
gLoggia del Papa (1460) gab sich Cecco seiner Neigung für dünne,
zarte Bogen von weiter Spannung über die Gebühr hin; ebenso zei-
hgen seine beiden einfachschönen Klosterhöfe bei S. Francesco, wie
er im Gewölbebau um jeden Preis (noch mehr als Brunellesco) den
[185]Siena. Benedetto da Majano.
Eindruck des Leichten und Schwebenden hervorzubringen strebte. —
Der Palazzo del Magnifico ist der Lage wegen etwas formlos; dena
Pal. de’ Diavoli (vor Porta Camollia) kenne ich nicht. — Von denb
Kirchen soll die Osservanza (½ Stunde vor Porta Ovile) ganz vonc
Cecco erbaut sein; in der Stadt gehören ihm die köstlichen kleinen
Fassaden von S. Caterina und Madonna delle Nevi an. Died
Sacristei im Carmine kenne ich nicht.
Das Kirchlein Fontegiusta — zwölf Kreuzgewölbe von viere
Säulen und acht Wandsäulen gestützt, mit einem obern Stockwerk,
das innen nicht sichtbar ist — rührt von Franc. Fedeli aus Como
(1479) her. — In Cecco’s spätern Jahren war vielleicht der junge
Baldassare Peruzzi sein Schüler.
Von irgend einem trefflichen Meister gegen 1500 muss die De-
coration des obern Oratoriums in S. Bernardino herrühren. Pilaster,f
Friese und Flachdecke gehören zum Geschmackvollsten der Blüthe-
zeit. — Die Decoration im untern Raum von S. Caterina etwas späterg
und nicht mehr so rein.
Das Resultat zu ziehen aus der speciell toscanischen Palastbau-
kunst war indess nicht den Bauherren von Siena, sondern dem Flo-
rentiner Benedetto da Majano bestimmt. Nach seinem Entwurf
(ob noch bei seinen Lebzeiten, ist ungewiss) begann 1489 der Bau des
Palazzo Strozzi. Mit Ausnahme des ausser aller Linie stehendenh
Pal. Pitti ist dieses majestätische Gebäude die letzte und höchste
Form, welche ein Steinhaus ohne verbindende und überleitende Glie-
der durch den blossen Contrast in der Flächenbehandlung erreichen
kann. Dieser Contrast ist hier ohne Vergleich glücklicher gehand-
habt und die Fenster zu den Flächen besser vertheilt als am Pal.
Riccardi; das weltberühmte Kranzgesimse (nur an der hintern Seite
und an einem Theil der Nebenfassaden ganz ausgeführt) und der bei
aller Enge und Tiefe doch schöne Hof wurden später nach Cronaca’s
Entwurf hinzugefügt.
Es folgte das ältere Brüderpaar Giuliano und Antonio di San
Gallo, deren Ruhm durch die ausgebreitetere Thätigkeit ihres Neffen,
des jüngern Antonio, mit Unrecht etwas in den Schatten geräth. Dem
[186]Frührenaissance. Die Brüder San Gallo.
Giuliano werden wir in Rom wieder begegnen; Florenz besitzt von ihm
aden noch in seiner Vermauerung reizenden Klosterhof von S. Maria
Maddalena de’ Pazzi (wunderlich ionisch 1) mit geradem Gebälk, die
brundbogigen Haupteingänge ausgenommen) und den Pal. Gondi
(Piazza S. Firenze). Die Fassade desselben giebt das florentinische
Princip in anspruchloser Gestalt wieder; das Erdgeschoss hat starke,
das mittlere schwache, das oberste keine Rustica; die Fenster sind
einfach rundbogig und lassen bis zu den Gesimsen einen weiten und
bedeutend wirkenden Raum übrig. Der Hof mit seinem Springbrunnen
und der zierlichen Treppe ist vielleicht der eleganteste dieses Styles;
die Capitäle sind von reicher, wechselnder Bildung und die Gesimse
cfein profilirt. Ungleich einfacher und nur durch Vermuthung dem
Giuliano zugeschrieben: Pal. Antinori. — In Prato erbaute Giuliano
ddie kleine Madonna delle Carceri, welche allein schon den Aus-
flug dahin reichlich lohnen würde; ein griechisches Kreuz, aussen nur
einfach (und sehr unvollständig) mit Marmor incrustirt; in der Mitte
eine niedrige Kuppel mit zwölf Rundfenstern; die vier Arme mit
Tonnengewölben; das innen rings herumgehende Hauptgesimse hat
einen glasirten Fries, weisse Festons und Candelaber auf blauem
Grunde; die Wände mit zierlichen Eckpilastern. — (Die mediceische
eVilla Poggio a Cajano soll ebenfalls noch erhalten sein.)
In Giul. da San Gallo’s Styl scheint mir auch der Hof des Pal.
fFossi in Florenz (Via del Fosso, N. 8020) mit seinen ebenfalls ab-
wechselnden und sehr zierlichen Capitälen entworfen zu sein; doch
ist kein Grund vorhanden, denselben dem Meister selbst beizulegen.
Der ältere Antonio di San Gallo lebte weit in das XVI. Jahr-
ghundert hinein und sein einziges Hauptgebäude, die Madonna in
Monte Pulciano, gehört schon dem ganz entwickelten Styl an. Es
ist die Madonna delle carceri seines Bruders auf einer erhöhten Stufe;
mit sehr erhöhter Kuppel; in den vordern Ecken des griechischen
Kreuzes erheben sich zwei Thürme (nur der eine ganz ausgeführt),
und zwar getrennt von der Kirche; sie sollten dieselbe nicht be-
herrschen, sondern nur den Eindruck verstärken; ihre Höhe ist der-
jenigen der Kuppellaterne nicht ganz gleich; ihr Organismus besteht
[187]Die Brüder San Gallo.
aus scharf vortretenden Pilastern an den Ecken und Säulenstellungen
an den Wänden; das Äussere der Kirche selbst hat bloss Eckpilaster.
Innen: Tonnengewölbe mit Rosettenbändern, die Kuppel durch eine
sehr schlanke und enge Stellung korinthischer Säulen im Cylinder
vorbereitet. Ein halbrunder Ausbau am hintern Kreuzarm enthält die
(ovale) Sacristei. — In derselben Stadt soll auch der Palast des Car-a
dinals del Monte, in San Sovino (wo Antonio später lebte) der Palast des
Cardinals von Santa Prassede und mehr als eine Kirche von Antonio’s
Erfindung sein. In Cortona wird ihm, wenn ich nicht irre, der Dom 1),b
zugeschrieben, eine einfach edle Basilica, welche ihr Tonnengewölbe
über dem Mittelschiff wohl erst in späterer Zeit erhalten hat. — Wenn
in Arezzo die Kirche dell’ Annunziata dieselbe ist, welche bei Kunst-c
historikern Madonna delle lagrime heisst, so rührt auch diese herrliche
Kirche grossentheils von Antonio her und zwar in diesem Fall aus
seiner frühern Zeit. Das Äussere ist Rohbau geblieben; im Innern
scheidet sich ein von Säulen getragener Vorraum höchst malerisch
aus; dann folgt die dreischiffige Pfeilerkirche mit lauter Tonnen- und
Kuppelgewölben; endlich über dem Kreuz die niedrige Kuppel. Die
Capitäle an den Pfeilern sehr zierlich mit Delphinen und Masken;
alles übrige Detail einfach.
Endlich giebt als sicherer Bau Antonio’s die erhaben über demd
Abgrund thronende Veste von Cività Castellana.
Hier muss eine ganz eigenthümliche Erscheinung eingeschaltet
werden. Als sich die Renaissance von dem alten, rituellen Langbau
nicht mehr gebunden hielt und sich ihrem freien Schönheitssinn über-
liess, als man von dem Kirchenbaumeister vor Allem ein schönes und
phantasievolles Gebäude verlangte, da schuf (um 1509) ein sonst wenig
[188]Frührenaissance. Vitoni. Cronaca.
abekannter Architekt in Pistoja, Ventura Vitoni, die Kirche
Madonna dell’ Umilta. Das Achteck, welches gleichzeitig Cronaca und
Bramante nicht mehr für Baptisterien, sondern für Sacristeien an-
wandten, ist hier in bedeutender Grösse, mit einer eleganten Innen-
bekleidung korinthischer Pilaster und zierlicher Fenster, zum Haupt-
raum einer Kirche geworden, die nur leider erst in später Zeit (durch
Vasari) ihre Kuppel erhalten hat, dunkel wie die florentinische. (Vi-
toni’s Kuppel hätte vielleicht derjenigen von S. Maria delle Grazie
zu Mailand ähnlich werden sollen.) Ausserordentlich fein und edel
ist besonders die Vorhalle gedacht, zwei Tonnengewölbe und in der
Mitte eine kleine Kuppel, über einer Pilasterarchitektur, unten herum
Sockel und Sitze von Marmor. Die äussere Incrustation fehlt oder
bist ärmlich modern. — Von demselben Baumeister das einfach niedliche
Kirchlein S. Giovanni della Monache in Pistoja.
Den Beschluss der toscanischen Frührenaissance macht der schon
cöfter genannte Cronaca (1454—1509). Die Vollendung des Pal.
Strozzi durch das schöne Gesimse, dessen Formen er nach einem
in Rom gefundenen Fragment in vergrössertem Massstab bildete, war
in doppelter Beziehung ein Ereigniss: in Beziehung auf die Form, die
hier zum erstenmal das römische Vorbild mit ganzem vollem Ernst
nachahmte; sodann in Beziehung auf die Verhältnisse. Hatte man bis-
her geschwankt, ob das Kranzgesimse bloss im Verhältniss zum ober-
sten Stockwerk oder zum ganzen Gebäude zu bilden sei, hatten viele
florentinische Paläste durch das weit vorragende Dach mit seinen
consolenartig abgestuften Balken das Kranzgesimse geradezu ersetzt
oder gleichsam für unnöthig erklärt, so wurde hier ein Muster hin-
gestellt, dessen grandioser und wohlthuender Wirkung sich kein Auge
entziehen konnte. Sein Verhältniss zur Höhe und Form des Baues
ist an sich ein rein willkürliches, weil seine Bildung das Resultat
eines ganz andern Ensemble ist, nämlich irgend einer altrömischen
Säulenhalle, die zu diesem Gesimse bei weitem nicht so hoch sein
dürfte als der Palast Strozzi; gleichwohl wirkt es schön und richtig
zu dieser Art von Wandfläche.
[189]Cronaca. Andrea Sansovino.
Cronaca behandelte aber auch andere Gattungen von Gebäuden
mit feinem Sinn. So sollte Pal. Guadagni (Piazza S. Spiritoa
N. 2086) nur ein stattliches florentinisches Haus werden und erhielt
diesen Charakter rein und vollständig. Der Quaderbau beschränkt
sich auf das Erdgeschoss, die Ecken und die Fenstereinfassungen;
mit bescheidenen Mitteln ist die Abstufung der Stockwerke trefflich
durchgeführt; das oberste ist eine offene Säulenhalle, welche das weit
vorgeschrägte Dach trägt. — Der Hof trefflich in der Art des Giul.
da S. Gallo; an der Treppe schon der strengere Organismus, wie wir
ihn bei Baccio d’Agnolo werden ausgebildet finden. — Die Sacristeib
von S. Spirito ist ein höchst reizender Zierbau; achteckig, unten
mit Nischen, die Wände mit Pilastern eingefasst (doch so, dass die
Ecken selbst frei bleiben); viereckige Fenster an den Oberwänden,
runde in den Lunetten, über welchen die einzelnen Kappen der Kup-
pel beginnen. — Wiederum von einer ganz andern Seite zeigt sich
Cronaca in der Kirche San Francesco al Monte (vor Portac
S. Miniato), welche Michelangelo „das schöne Landmädchen“ zu nennen
pflegte. Es ist die einfachste Bettelordenskirche, deren Dachstuhl
selbst bis ins Chor hinein sichtbar ist; schlichte Pilaster trennen
unten die Capellen, oben die Wandflächen um die Fenster, — allein
gerade in dieser absoluten Schmucklosigkeit treten die reinen Ver-
hältnisse ernst und bedeutend hervor. — Ob zu dem Umbau des Klo-d
sters der Annunziata, welcher diesem Meister zugeschrieben wird, auch
der vordere Kreuzgang und die Sacristei gehört, weiss ich nicht an-
zugeben; beide bieten keine Formen dar, die nicht schon seit Miche-
lozzo vorkämen.
Hier müssen wir auch den grossen Bildhauer Andrea (Contucci
da Monte) Sansovino († 1529) anschliessen, wegen eines köstlichen
kleinen Baues, der dem Charakter nach eher noch dem XV. Jahr-
hundert angehört als dem XVI., in welchem er errichtet wurde. Es
ist dies der oblonge Durchgang zwischen der Kirche und der Sacri-e
stei von S. Spirito in Florenz; sechs Säulen auf jeder Seite, vor
der Wand stehend, tragen ein Tonnengewölbe; dass sie der (sehr rei-
chen) Cassettirung desselben nicht entsprechen, benimmt dem Ge-
[190]Frührenaissance. Pisa.
bäude seinen wesentlich malerischen Werth nicht. — Was in Monte
Sansovino noch von Andrea vorhanden sein mag, ist mir nicht näher
bekannt. Wir werden ihm als Decorator wieder begegnen.
In Pisa ist der Hof der Universität ein einfach schöner Klo-
sterhof der frühern Renaissance, in der Art des Brunellesco; unten Bo-
genhallen, oben Säulen mit Holzgebälk, die nur ihre ehemaligen Con-
solen nicht mehr über sich haben. Beide Ordnungen ionisch; das
mittlere Gesimse sehr zart. Dass Pisa, beiläufig gesagt, von da an
im Gefolge von Florenz mitgeht, hat seinen Grund in der politischen
Abhängigkeit seit Anfang des XV. Jahrhunderts. Die politische und
die geistige Hegemonie der Florentiner setzte sich zu gleicher Zeit
durch.
Die Trovatelli, auf dem Wege nach dem Dom; wenige, aber schöne
und originelle Fenster und eine zierliche Rundbogenthür, Mitte des
XV. Jahrhunderts.
Der Hof des erzbischöflichen Palastes, etwa vom Ende
des XV. Jahrhunderts, zeigt eine Übertragung des Klosterhofbaues
Brunellesco’s in den weissen Marmor und in grössere Verhältnisse. Die
obere Ordnung hatte indess ehemals gewiss Consolen und Gebälk von
Holz; erst später wurden die Säulen mit Marmorpfeilern eingefasst,
mit einem Marmorgebälk bedeckt und ihre Zwischenräume mit Fen-
stermauern geschlossen. (Der Aussenbau tüchtig modern.)
Die beiden Klosterhöfe von S. Francesco sind von der stattlichen
Art dieser Zeit.
Ein Privatgebäude (Casa Toscanelli) in der mit Hallen versehenen
Strasse Borgo wird wenigsten den Architekten von selbst in die Augen
fallen. Auf einer Bogenhalle von fünf Säulen ruhen zwei Stockwerke
in Backstein mit Fenstern im Halbrund. Die Gesimse, Archivolten etc.
einfach und zart; es ist nicht möglich mit Wenigerem einen so bedeu-
tenden Eindruck hervorzubringen als hier geschieht. Allerdings ist
Raum und Stoff nicht gespart.
[191]Lucca. Arezzo. Perugia. Narni.
In Lucca ist der Palazzo pretorio ein schönes derbes Ge-a
bäude — unten mit einer Säulenhalle, welche sich an den geschlos-
senen Theilen als Pilasterreihe mit Bogen fortsetzt. Wenn die obern
Fenster nicht unzweckmässig verzierte Einfassungen hätten, so wäre
man versucht, den Palast dem Cecco di Giorgio zuzuschreiben.
Noch eine kleine Nachlese auf den Strassen über Perugia und
über Siena nach Rom.
An das gothische Carmeliterkirchlein S. Maria bei Arezzo (vorb
Porta Romana eine Viertelstunde links) ist eine grosse Vorhalle im
florentinischen Styl angebaut, welche zum ganz Malerischen in dieser
Art gehört; sieben Bogen vorn, zwei auf jeder Seite und zwei rechts
und links an die Fassade anschliessend; das Kranzgesimse allerdings
etwas willkürlich gebildet mit einem vorspringenden steinernen Dach-
rand von lauter Rosetten; die Bogenfüllungen mit gemalten Verzie-
rungen ausgefüllt. (Laut Vasari von Benedetto da Majano.)
In Cortona einige sehr mässige Fassaden. Wichtiger scheint
das nahe Montepulciano durch die genannten Bauten. In Monte
Fiascone und in dem zierlichen Viterbo, sowie auch in Orvieto habe
ich bei flüchtigem Besuche keine bedeutendern Renaissancebauten be-
merkt1). Das oben genannte Pienza muss den Beschreibungen nach
all die eben genannten Städte in dieser Beziehung übertreffen.
In Perugia ist die Fassade der Confraternita von S. Bernar-c
dino (bei S. Francesco) als vorherrschend figurirtes Werk hier nur
vorläufig zu nennen. Von sehr schöner Frührenaissance (angeblich
von Agostino della Robbia und Polidoro di Stefano): Die stattliched
Porta S. Pietro. (Das Hauptgesimse fehlt.)
Am Dom von Narni, jener wunderlichen Basilica mit Flach-e
bögen, ist ein artiger Porticus vom Jahr 1497 angebracht. Viel präch-
tiger ist die Vorhalle am Dom von Spoleto: fünf Bogen auf Pfeilern,f
die mit schlanken Säulen bekleidet sind, an beiden Enden noch be-
sondere Kanzeln zum Vorzeigen von Reliquien und zur Predigt; Ge-
[192]Frührenaissance. Rom. Giul. da Majano.
bälk und Balustrade reich und zierlich; die Bogen des Gewölbes innen
auf Consolen ruhend. (Angeblich von Bramante.)
In Rom, zu der Zeit als Brunellesco die dortigen Alterthümer
zeichnete, existirte kaum ein einheimisches Kunstleben. Der päpst-
liche Stuhl, der nach langer Kirchentrennung einmal wieder seine un-
bestrittene Stelle an der Tiber einnahm, fand keine gewerbreiche und
kunstliebende Bürgerschaft, sondern ein verwildertes und verkomme-
nes Volk vor, und alle geistigen Bestrebungen, die das neubefestigte
Papstthum schützt und begünstigt, tragen einstweilen den Charakter
einer unstäten Colonie, eines beständigen Wechsels.
So ist es denn auch unläugbar, dass die neue Bauweise zuerst
durch fremde, und zwar florentinische Künstler durchgesetzt wurde.
Unter Eugen IV. erschien Antonio Filarete, der mit Donatello’s
Bruder Simon die ehernen Pforten von S. Peter goss. Dann kam
aGiuliano da Majano, der Erbauer des Palazzo di Venezia
und der Vorhalle von S. Marco. Das Äussere des Palastes, für wel-
ches dem Künstler der Quaderbau versagt gewesen sein muss, ist
nicht massgebend, obwohl die Verhältnisse der Stockwerke zu einan-
der immerhin bedeutend wirken. Allein der ausgeführte Theil der
Halle um den grössern Hof und die analog gebildete Vorhalle von
S. Marco (mit einer sehr schönen Innenthür) bezeichnen eine wichtige
Neuerung; es sind die ersten consequent durchgeführten Pfeilerhallen
mit Halbsäulen, unten dorisch-toscanisch, oben korinthisch. Ohne
Schwierigkeit wird man darin die ins Hohe und Schmale gezogenen
Formen des Colosseums wieder erkennen, von dem auch die Steine
entlehnt sein sollen; nur hat Giuliano die Attiken der verschiedenen
Stockwerke dieses Gebäudes für Basamente angesehen und desshalb
hier auch der untern Ordnung Piedestale gegeben. Ganz ausgeführt,
wäre dieser Hof eine der grössten Zierden von Rom. (Der kleinere
Hof, unten mit achteckigen, oben mit runden Säulen, in der Richtung
gegen Piazza Trajana hin, ist vielleicht eher von Baccio Pintelli.) —
Von Leon Battista Alberti’s und Bernardo Rosellino’s Thätigkeit sind
in Rom keine bleibenden Spuren mehr erhalten; es war dem Floren-
tiner Baccio Pintelli bestimmt, fast alles das zu bauen oder zu
[193]Baccio Pintelli.
entwerfen, was aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts in Rom
auf unsere Zeit kommen sollte 1).
Baccio war vielleicht ein geübter Techniker, allein keiner von den-
jenigen Künstlern, welche die neue Formenfreiheit genial und schön
zu handhaben wussten. Sein wichtigstes Werk, die Kirche S. Ago-a
stino, ist in Betreff des Innern ein ziemlich nüchterner Versuch
hohen Gewölbebaues auf Pfeilern mit kleiner Kuppel, wobei er wie
Brunellesco die untern Wände in Nischen auflöste. Mit der phanta-
sievollen Annunziata von Arezzo könnte dieses (überdiess unangenehm
beleuchtete) Gebäude keinen Vergleich aushalten. An der Fassade
macht sich jene bei Alberti zuerst bemerkte Verbindung des obern
Stockwerkes mit den hervorragenden Theilen des untern auf eine recht
üble Weise bemerklich; die beiden Voluten haben nämlich die Ge-
stalt eines colossal vergrösserten Winkelblattes des ionischen Capi-
täls. — An S. Maria del Popolo ist die Fassade oben umgebaut,b
sonst aber schlicht und gut; das Innere, hier ein Pfeilerbau mit Halb-
säulen, von jeher etwas gedrückt, hat durch moderne Verkleisterung
allen höhern baulichen Reiz verloren, und die achteckige Kuppel kann
gegen die sonstige breite Masse nicht mehr aufkommen. — Einer
kleinern Aufgabe, wie S. Pietro in Montorio, genügte Baccioc
recht wohl; dieses Kirchlein, einschiffig gewölbt, mit Querschiff, Ca-
pellen als Wandnischen und polygonem Chorabschluss, bildet ein sehr
tüchtiges Ganzes und würde mit der ursprünglichen Decoration einen
trefflichen Effect machen. — Beim Bau der sixtinischen Capelled
lag vielleicht ein bindendes Programm und die Rücksicht auf die schon
vorhandenen vaticanischen Bauten vor; sonst liesse sich schwer den-
ken, dass für die päpstliche Hauskirche eine so absolut schlichte Form
gewählt worden wäre. — Mehrere ältere Kirchen sind von Baccio
mit Fassaden versehen worden; so S. Pietro in Vincoli, SS. Apo-e
stoli. Er berief sich vielleicht auf die mittelalterliche Kirche S. Sabaf
oder auf das frische Beispiel von S. Marco und legte eine gewölbte
Doppelhalle vor die Kirche, mit weitgespannten Rundbogen, unten auf
achteckigen Pfeilern, oben auf Säulen. Diess macht zwar keinen kirch-
B. Cicerone. 13
[194]Frührenaissance. Rom. Anima.
lichen, aber immerhin einen heitern und angenehmen Eindruck. —
aSonst erbaute Baccio auch den Ponte Sisto und hatte Antheil an
bdem Hospital von S. Spirito (die Kuppel beim mittlern Eingang?
Der Glockenthurm der Kirche? welcher der erste und vielleicht der
beste des neuen Styles in Rom ist; vgl. S. 85, b.) Bloss durch Ver-
muthung wird ihm auch das kleine Schiff und der achteckige Kup-
cpelraum von S. Maria della Pace zugeschrieben, alles mit Capel-
lennischen. Pietro da Cortona hat später dem Äussern einen ganz
neuen Sinn gegeben.
Die achteckigen Pfeiler, von welchen die Rede war, sind in die-
ser Zeit das Zeugniss für das gänzliche Ausgehen der bequem und
für Jedermann zur Hand liegenden antiken Säulen; über die noch
verfügbaren begann damals schon eine höhere Aufsicht, sei es, dass
sie erhalten oder vernutzt werden sollten. Der unverjüngte achteckige
Pfeiler kann in jeder Steinhütte geliefert werden und die toscanische
Baukunst hatte ihn in der gothischen Zeit und schon früher auf alle
Weise angewandt. In Rom ist vielleicht eines der frühesten Bei-
dspiele der Hof des Governo vecchio, malerisch unregelmässig, von
mehrern Stockwerken, etwa aus der ersten Hälfte des XV. Jahrhun-
ederts. — Etwas später: der Hof von Pal. Sforza-Cesarini (unweit der
Chiesa nuova). — Wiederum später und sehr hübsch: der Hof des
fHospitals S. Giovanni de’ Genovesi (im Trastevere).
Im Jahr 1500 begann der Bau von S. Maria dell’ Anima.
Das Innere ist dergestalt durch moderne Stuccatur verändert, dass
nur die halbrunden Wandnischen sich noch deutlich als florentinisches
Eigenthum zu erkennen geben. Die Fassade wird dem einen ältern
San-Gallo, Giuliano, zugeschrieben; die Verbindung von Backstein-
flächen und drei Ordnungen korinthischer Pilaster über einander, ob-
wohl rein decorativer Natur, wirkt doch edel; bei der bescheidenen
Bildung der Pilaster und Gesimse kann die schöne Mittelthür kräftig
heraustreten. Für eine schmale Strasse und für beschränkte Mittel
ist hier das Mögliche geleistet; eine spätere Zeit hat bei ähnlichen
Aufgaben mit den dreifachen Kosten ganze Säulen nebst einer Be-
gleitung vielfach abgestufter Wandpilaster dahinter und weit vortreten-
den Gebälken darüber aufgewandt und einen Schattenwurf erreicht, der
diesem Gebäude fehlt, allein hier stehen die Ziermittel gerade im rich-
[195]Rom. Neapel.
tigen Verhältniss zu der harmlosen Composition des Ganzen. Von
Giuliano da San-Gallo ist auch der schöne, weitbogige Klosterhof ina
S. Pietro in Vincoli (der Brunnen später); als Decorator im Sinne der
edelsten Renaissance lernt man ihn kennen durch die herrliche Flach-b
decke von S. Maria maggiore, die er im Auftrag Alexanders VI.
entwarf.
Vielleicht noch aus dem XV. Jahrhundert, jedenfalls aus nicht
viel späterer Zeit stammen die alten Theile in den Höfen der Palästec
Strozzi (bei der Kirche delle Stimmate) und della Valle (von Loren-d
zetto); letzterer Hof ist noch in seiner Vernachlässigung einer der
schönern der Frührenaissance.
In den Abruzzen soll Aquila ein vorzügliches Gebäude der Re-
naissance besitzen an der Fassade von S. Bernardino, von Cola dellae
Matrice, 1525. (In der Kirche selbst, wie ich durch Mittheilung
eines Freundes vernehme, ein grosses Altarwerk von Robbia.)
In Neapel trat mit den aragonesischen Königen die Renaissance
an die Stelle der vom Haus Anjou gepflegten gothischen Bauweise.
Die Anregung kam ohne Zweifel von aussen; Alfons von Aragonien
berief den Florentiner Giuliano da Majano nach Neapel. Leider
ist der schöne luftige Sommerpalast Poggio Reale, den man u. a. aus
Serlio’s Abbildung und Plan kennt, von der Erde verschwunden; man
lernt Giuliano nur noch als grossen Decorator kennen, zunächst im
Triumphbogen des Alfons. Die Einrahmung dieses hohen weissenf
Marmorbaues zwischen zwei dunkle Thürme des Castello nuovo1)
wirkt schon an sich sehr bedeutend; die Ornamente sind prächtig und
selbst edel; die Composition aber, unorganisch und spielend, lässt
das frühe Jugendalter dieses Styles nicht verkennen. Jahrzehnde
später baute Giuliano die Porta Capuana; ein Bogen mit Säuleng
eingefasst, ebenfalls zwischen zwei Thürmen, mit hohem Fries und
Attica, vielleicht das schönste Thor der Renaissance.
13*
[196]Frührenaissance. Neapel.
Zu derselben Zeit nahm auch ein einheimischer Künstler, An-
drea Ciccione, der bisher gothisch gebaut (wie u. a. sein Grabmal
für König Ladislaus beweist) die neue Bauweise an. Von ihm ein-
afache ehemalige Klosterhöfe bei Monte Oliveto und S. Severino
b(derjenige mit den Fresken des Zingaro), auch die Kirche Monte-
coliveto selbst, unter deren Anbauten sich zwei einfach schöne Ca-
pellen (rechts und links vom Portal) 1) und eine Sacristei (links hin-
ten) von florentinischem Styl befinden. Das artige viereckige Kirchlein
ddes Pontanus, an der Strada de’ Tribunali, soll lange nach Ciccione’s
Tode, erst 1492, nach seiner Zeichnung errichtet sein; über kräftigem
Sockel Composita-Pilaster und schlichte Fenster; der Aufsatz un-
vollendet, das Innere glatt.
Zaghaft und selbst ungeschickt tritt der florentinische Palastbau
emit Rustica auf in dem von 1466 datirten Pal. Colobrano, Strada
S. Trinità. (Ehemals Pal. Diomede Carafa, jetzt Wohnung des Mi-
nisters Santangelo.) — Aber noch vor dem Ende des XV. Jahrhun-
fderts erbaute der Neapolitaner Gabriele d’Agnolo den Palast
Gravina, dessen ehemalige, durch den jetzigen Umbau in ihren
letzten Resten bedrohte Anlage von grösster Schönheit war: das Erdge-
schoss gewaltige Rustica, das obere Stockwerk glatte Wände mit korin-
thischen Pilastern; über den kräftig eingerahmten Fenstern Medaillons
mit Büsten, dann das Hauptgesimse. (Das jetzige kaum das ursprüng-
liche.) Durch die Vermehrung der Stockwerke und das Herausbrechen
neuer Fenster geht der ganze Sinn des Baues verloren. — Von Gian-
francesco Mormandi, um welchen sich Florenz und Neapel
gstreiten, ist der Pal. della Rocca, Strada S. Trinità; wenigstens
die einfachen untern Stockwerke des Hofes, Bogen auf Pfeilern, mit
der mächtigen gewölbten Einfahrt, die schon damals und seither im-
mer für das prunkliebende Neapel bezeichnend war. An der Kirche
hS. Severino ist von Mormandi’s Bau (1490) noch die einfache flo-
rentinisch schöne Aussenseite links erhalten. — Gut erhalten ist aus
iderselben Zeit der niedliche Palast Alice, Strada S. Trinità, dessen
Urheber ich nicht anzugeben weiss.
[197]Neapel. Genua.
Von den zeitlich spätern Renaissancekirchen (die doch noch dem
Styl des XV. Jahrhunderts folgen) verdient S. Caterina a For-a
mello, 1523 von Antonio Fiorentino (aus la Cava) erbaut,
auch S. Maria la nuova (gleichzeitig, obwohl das Datum der Voll-b
endung später lautet) wenigstens einen Blick. Merkwürdiger als beide
ist S. Maria delle Grazie, bei den Incurabili, erbaut 1500 (eherc
später) von Giacomo de’ Santi, welcher noch Ciccione’s Schüler
gewesen sein soll; die Capelleneingänge zu beiden Seiten des Schiffes
haben nämlich die Gestalt antiker Triumphbogen und sind fast über
und über mit reichen und schon ziemlich schwülen Zierrathen bedeckt.
Die obern Mauern u. s. w. gehören einem Umbau an.
Die wenigen Thürme dieses Styles, z. B. der von S. Lorenzo (da-d
tirt 1487) sind höchst einfach; glatte Wände, an den Ecken Pilaster,
die Entwicklung nach oben fast null. Die obern Theile des Thurmese
von S. Chiara, aus welchen die Neapolitaner ihre Priorität in der Re-
naissance beweisen wollten, sind nicht vom jüngern Masuccio — XIV.
Jahrhundert — sondern frühstens aus dem XVI. Jahrhundert.
In Genua nehmen die Bauten des XV. Jahrhunderts überhaupt
keine bedeutende Stelle ein; was man davon sieht, ist überdiess nicht
frei von lange nachwirkender Gothik, wie z. B. die Capelle Johannisf
d. T. im Dom beweist, ein Werk der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.
— Ein artiger Säulenhof der Frührenaissance in Pal. Centurioneg
(unweit links von S. Matteo, N. 138.)
Von Kirchen zeigt S. Teodoro die verkleisterten Anfänge einerh
gutgemeinten Innendecoration (links vom Eingang); S. Caterina ami
Hospital Pammatone, vom Jahr 1520, könnte sogar vor der Vergypsung
eine hübsche Kirche dieses Styles gewesen sein; das Portal mit schö-
nen Medaillonköpfen ist von einfacher lombardischer Renaissance.
Von kleinern Privathäusern ist noch eine recht ansehnliche
Zahl in den ältern Stadttheilen erhalten. Es wäre fruchtlos, in dem
Gewirr von Gässchen Strassennamen anzugeben, die kein Plan ent-
hält und die nur der Nachbar weiss; selbst die Hausnummern sind
zum Theil am Erlöschen, als gingen sie einer baldigen Erneuerung
entgegen. Ich kann dem Architekten nur rathen, die ganze Umge-
[198]Frührenaissance. Genua. Oberitalien.
abung von 1) Madonna delle Vigne, 2) S. Giorgio zu durch-
streifen; die Stunde die er darauf wendet, wird ihn nicht reuen. Man
kennt die betreffenden Häuser durchgängig an ihren oft höchst zier-
lichen Portalen im Styl der lombardischen Renaissance, welche freilich
nur zu oft das Einzige daran sind, was sich erhalten hat. Innen eine
insgemein nur kleine Vorhalle, die aber mit ihrer einfach stucchirten
Wölbung und mit der seitwärts angelegten Treppe und deren Säul-
chen einen oft ganz malerischen Raum ausmacht. (Unweit S. Giorgio,
N. 1393, auch N. 1372; unweit der Vigne, auf Piazza Cambiaso, N.
396 ein artiges Höfchen mit Treppe, vom Anfang des XVI. Jahrhun-
derts; das bedeutendste dieser Art N. 487 Strada della Posta vecchia,
kenntlich an dem Thürrelief eines Trionfo in paduanischer Manier;
der kleine Hof wenigstens theilweise erhalten, die Säulentreppe fast
ganz, mit ihren Kreuzgewölben — statt der florentinischen Tonnen-
gewölbe —, ihren kleinen Madonnennischen, und der untern Belegung
der Mauer mit buntglasirten Backsteinplatten, welche die schönsten
Teppichmuster enthalten. Diess ist eines der wenigen noch kenntlichen
moresken Elemente im genuesischen Häuserbau; vielleicht bot die
Stadt in jener Zeit noch mehr dergleichen dar, aber die alten Höfe
der bedeutendern Familienpaläste sind alle verschwunden.)
Ein etwas grösseres Gebäude dieses Styles, wie er sich in die
ersten Jahrzehnde des XVI. Jahrhunderts hinein mag gehalten haben,
bist Pal. Bruso, rechts neben S. Pancrazio N. 653.
Eine Ableitung der oberitalienischen Renaissance aus ihren
wahren Quellen ist der Verf. nicht im Stande zu geben. Allem An-
schein nach hätte die westliche Lombardie die Priorität für sich;
Lombarden, die man nach dieser ihrer Heimath benannte, brachten
den Styl bald nach 1450 halbfertig nach Venedig. Demnach ist mit
den Bauten des alten Herzogthums Mailand unbedingt der Anfang zu
machen. Wir gestehen jedoch, dass uns hier eher die Bequemlichkeit
der topographischen Aufzählung bestimmt, indem wir, wie gesagt,
eine Entwicklungsgeschichte des betreffenden Styles in diesen Gegen-
den doch nicht liefern könnten. Wir beginnen mit Mailand und der
Umgegend, verfolgen dann die Via Emilia von Piacenza bis Bologna,
[199]Mailand. Frühe Bauten Bramante’s.
wenden uns über Ferrara nach Venedig und schliessen mit den Bau-
ten der alten venezianischen Terraferma, bis Bergamo gerechnet. Un-
endlich Vieles, zum Theil von grossem Werthe, liegt abseits in
Landstädten; wir geben was wir gesehen haben.
Wie zunächst in Mailand die Renaissance begann, ist nach den
starken Umbauten der folgenden Jahrhunderte schwer zu ermitteln.
Einzelne florentinische Einflüsse sind wohl nachweisbar; so baute
z. B. Antonio Filarete das Ospedale maggiore in Mailand, allein
wie wir sahen, noch in einem vorherrschend gothischen Decorations-
styl; von Michelozzo dagegen existirt hinten an S. Eustorgio einea
Capelle eleganten florentinischen Styles in der Art Brunellesco’s; was
er an S. Pietro in Gessate beigefügt hat (Chor, Sacristei und Capitel-b
haus), hat Verfasser dieses nicht gesehen. Jedenfalls beginnt die fort-
laufende Reihe grösserer Bauten erst mit den Sforzas und das Be-
deutendste entsteht erst unter Lodovico Moro. Und zwar hält man
fast die sämmtlichen Bauten aus dem letzten Viertel des XV. Jahr-
hunderts für frühere Arbeiten des grossen Bramante von Urbino,
dessen Name in diesen Gegenden allerdings ein Gattungsbegriff zu
werden scheint. (Bramante wurde geboren in Brunellesco’s Todesjahr
1444, kam nach Mailand als Ingenieur unter Giangaleazzo Sforza 1476,
ging nach Rom vor 1500 und starb daselbst 1514; er war bekanntlich
Oheim oder Verwandter Rafaels.) Ohne entscheiden zu können, wie
Vieles ihm wirklich angehört, stellen wir die ihm zugeschriebene
Gruppe von Bauten hier zusammen; mehrere darunter offenbaren schon
die freie Grossartigkeit seiner spätern, römischen Schöpfungen; andere
sind noch befangener. Jedenfalls ist sein früherer Styl (diese Gebäude
als die seinigen angenommen) bedingt von derjenigen reichen und
üppigen Renaissance, wie sie an der Certosa von Pavia (die Fassade
1473) ihren Triumph feiert; zugleich aber muss auch der schöne und
sorgfältige Backsteinbau der Lombarden (S. 151 ff.) einen grossen Ein-
druck auf ihn gemacht haben.
Beides findet sich vereinigt in Chor, Kuppel und Querbau von
S. Maria delle Grazie zu Mailand 1). Das Innere hat eine mo-c
[200]Frührenaissance. Mailand. Bramante.
derne Mörtelbekleidung und wirkt nur noch durch das Allgemeine der
Raumschönheit; im wohlerhaltenen Äussern dagegen spricht sich der
echte Geist der Frührenaissance mit seiner ganzen anmuthigen Kühn-
heit aus. Auf engem Unterbau (so dass der südliche Querarm nicht
in die Strasse hinaustreten durfte) wollte Bramante eine bedeutende
polygone Flachkuppel mit leichter offener Galerie errichten; in schö-
ner und geistvoller Weise bereitet er das Auge darauf vor. Elegant
abgestufte Einrahmungen theilen den Unterbau — Chor und Quer-
arme mit runden Abschlüssen, hinter welchen noch gerade Obermauern
emporragen — in schlank scheinende Stockwerke; Pilaster, Wand-
candelaber, Gesimse und Medaillons grossentheils von Stein, die Fül-
lungen von Backstein. Die genannten runden Abschlüsse der Quer-
arme sind für die Lombardie eine traditionelle Form, die schon mit
alten Beispielen wie S. Lorenzo in Mailand, S. Fedele in Como etc.
zu belegen ist; der Meister, welcher sich hier vielleicht zum ersten
Mal darauf einlässt, sollte später dieselbe Anlage in viel höherem
Sinne an der Consolazione zu Todi und an S. Peter in Rom wie-
dergeben.
Ebenfalls früh ist S. Satiro in Mailand; die Kirche nicht ohne
verwirrende neuere Ausschmückung, die achteckige Sacristei da-
gegen (unten mit Nischen, oben mit einer Galerie, im mittlern Fries
Putten und Medaillons) ein köstlicher wohlerhaltener Bau, der Cro-
naca’s berühmter Sacristei (S. 189, b) zwar nicht an reiner Eleganz des
Details gleichkommt, sie aber an Strenge und Bedeutung übertrifft.
An S. Eustorgio wird die Kuppel einer Capelle (ich weiss nicht,
cwelcher) dem Bramante zugeschrieben, im grossen Hospital der Hof
drechts vom Haupthof, im Ospedale militare das alte Gebäude über-
ehaupt, im Kloster von S. Ambrogio einer der Seitenhöfe. Die be-
treffenden Gebäude sind zum Theil als Casernen schwer zugänglich;
an S. Ambrogio habe ich nur das sehr schöne Fragment einer schlan-
ken Hofhalle links neben der Kirche im Gedächtniss; den Abbildungen
zufolge müssten rechts zwei prachtvolle Renaissancehöfe vorhanden
1)
[201]Certosa von Pavia.
sein. Von den Klosterhöfen bei S. Simpliciano soll wenigstens eina
Theil Bramante’s Werk sein; das bekannte Lazareth vor Porta orien-b
tale wird ihm nur durch Vermuthung zugeschrieben; das für seinen
Zweck hübsch gedachte Capellchen in der Mitte des Hofes ist wohl
bestimmt neuer.
Den Schritt in das Einfache würde die herrliche Kirche S. Ma-c
ria presso S. Celso in Mailand bezeichnen, wenn sie dem Bra-
mante sicher beizulegen wäre. Den edeln Eindruck des Backsteinvor-
hofes mit seinen Pfeilern kann selbst die bombastische Marmorfassade
des Galeazzo Alessi nicht total stören; das Innere ist eine dreischif-
fige Pfeilerkirche mit Chorumgang und cassettirtem Tonnengewölbe;
der Charakter ist der einer einfachen Pracht.
Von einem mailändischen Schüler Bramante’s, Giov. Dolce-
buono, rührt das einfache Innere von S. Maurizio oder Monasterod
maggiore her, welches man hauptsächlich wegen der Fresken Lui-
ni’s aufsucht. — S. Nazaro hat noch seinen wunderlichen achteckigene
Vorbau vom Jahr 1518 mit den Sarcophagen der Familie Trivulzi in
den oben herumgehenden Nischen; eine Construction zu welcher of-
fenbar die Sacristei von S. Satiro Anlass gab.
Schon vor Bramante’s Ankunft in Mailand hatte Ambrogio
Borgognone die Fassade der Certosa von Pavia begonnenf
(1473). Neben derjenigen des Domes von Orvieto ist sie das erste
decorative Prachtstück Italiens und der Welt. Der bauliche Gedanke
— ein fünftheiliges Erdgeschoss und ein dreitheiliges Obergeschoss,
beide mit Galerien abgeschlossen — ist ziemlich gering, die Anordnung
des obern Mittelfensters passt nicht harmonisch zum Uebrigen; der
ohne Zweifel beabsichtigte plastische und ornamentale Schmuck über
der obersten Balustrade fehlt. Allein die unermessliche Pracht und
zum Theil auch der feine decorative Geschmack, welche das Erd-
geschoss beherrschen, haben ein in seiner Art unvergleichliches Ganzes
hervorgebracht. Schon die Basis des Sockels beginnt mit Puttenreliefs
und Kaiserköpfen; am Sockel selbst wechseln Reliefs und Statuen in
Nischen; die Pilaster sind beinahe in Nischen aufgelöst, in welchen
sich Statuen befinden; was sonst von Flächen übrig bleibt, ist mit
Figuren und Zierrathen in Relief völlig bedeckt, Alles in weissem
Marmor. Das auf Säulen vortretende Portal ist edel gedacht; vollends
[202]Frührenaissance. Lugano. Como.
aber gehören die vier grossen untern Fenster zu den grössten Trium-
phen aller Decoration; ihre Innenstützen sind reiche Candelaber, ihre
Akroterien mit betenden Engeln geschmückt.
Das Langhaus ist gothisch (S. 152.) Über Querbau und Chor
kann ich aus schon ziemlich alter Erinnerung nicht urtheilen; jeder
der drei Arme schliesst mit drei Nischen nach drei Richtungen; wenn
diese Anordnung erst der Renaissance angehört, so wäre sie für viele
der unten genannten oberitalischen Kirchen ein nahes und bedeuten-
des Vorbild gewesen. Die in vier Galerien abgestufte Kuppel ist
entschieden erst aus dieser Zeit, ihr Abschluss noch neuer.
An der Cathedrale von Lugano ist die marmorne Fassade ein
graziöses kleines Excerpt aus derjenigen der Certosa; quadratisch,
mit einem höhern Erdgeschoss und einem niedrigern Obergeschoss, in
dessen Mitte ein Rundfenster; Friese, Pilaster und theilweise auch
die Wandflächen mit Sculpturen geschmückt.
Es folgt der im Jahr 1513 von Tommaso Rodari begonnene
Ausbau des Domes von Como (vergl. S. 152): Chor, Querbau und
Aussenseiten des Langhauses, vielleicht das schönste Specimen hö-
herer Renaissancebaukunst in diesen Gegenden. Die drei Abschlüsse
im halben Zehneck; das Äussere einfach edel gegliedert; im Haupt-
fries an den Strebepfeilern Urnenträger für den Wasserablauf. (Die
achteckige Kuppel in ihrer jetzigen Gestalt von Juvara 1).) Innen ist
Chor und Querbau umzogen von einer Doppelordnung korinthischer
und Composita-Säulen, welche ein herrliches Doppelsystem von Fen-
stern einfassen; die übrig bleibenden Flächen zwar nüchtern decorirt,
aber trefflich eingetheilt; unter den untern Fenstern Nischen mit (oder
doch für) Statuen. Die Wölbungen mit prachtvollen roth-weiss-goldenen
Cassetten. Bei der durchgängigen Einfachheit, welche auf reine Total-
[203]Grundzüge des lombardischen Kirchenbaues.
wirkung ausgeht und z. B. keine Arabesken an Pilastern und Friesen
zulässt, gehört diess Gebäude wie S. Maria presso S. Celso zu Mai-
land schon eher der classischen Zeit als der Frührenaissance an.
Schon die genannten Bauten geben einige gemeinsame Züge kund,
die auch für die folgenden wesentlich sind. Die Lombardie war schon
in der vorigen Periode das Land des grossartigen und verfeinerten
Backsteinbaues gewesen und behielt jetzt dieses Material bei,
abgesehen natürlich von Gebäuden des äussersten Luxus wie z. B.
die Fassade der Certosa. Zweierlei Consequenzen hievon sind: 1) die
Vorliebe für den Pfeilerbau mit Stucchirung; dieser gestattete
kühne Gewölbe; die Säule und mit ihr die flachgedeckte Basilica kom-
men zur Renaissancezeit im Ganzen selten vor. 2) Die Vorliebe für
reiche, kecke Dispositionen, hauptsächlich runde Abschlüsse,
grosse Nischen u. s. w., die im Backstein, wo man es im Detail nicht
so genau nimmt, ungleich leichter darzustellen sind als im Stein, der
eine sehr consequente Durchführung des Details und eine hier müh-
same Messung verlangt. Diese reichen Formen sind gleichsam ein
Ersatz für den mangelnden Adel des Materials. — Weitere Folgen
sind: die stets einfache und befangene Bildung der Säule, wo
sie vorkömmt, wie z. B. an vielen (doch nicht den meisten) Kloster-
höfen; die Decoration des Innenpfeilers, den man doch ein-
mal nicht roh lassen wollte, durch gemalte oder selbst erhabene Ara-
besken; eine ähnliche Behandlung der Gesimse, der Gewölbe (Rippen
sowohl als ganze Kappen, Halbkuppeln u. s. w.). Die Kuppel
bleibt noch längere Zeit die mittelalterliche, polygone, aussen flach-
gedeckte, mit Galerien umgebene. Man sieht an der Certosa von
Pavia recht deutlich, wie sie sich steigern und verklären möchte, es
aber nicht über die Vervielfachung der Galerien hinaus bringt.
Die Dauer der Frührenaissance ist hier eine längere als in Mit-
telitalien; Bramante (oder wer es sonst war) drang mit der gross-
artigen Vereinfachung der Formen, die man z. B. an S. Maria presso
S. Celso bemerkt, zunächst nicht durch. Der Bruch erfolgt hier erst
gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts und dann ziemlich unvermittelt.
Die nächste bedeutende Gruppe von Kirchen, welche der Verfas-
[204]Frührenaissance. Piacenza. Parma.
ser aus Anschauung kennt, besteht aus S. Sisto in Piacenza,
S. Giovanni in Parma (1510) und der Steccata in Parma (1521), die
beiden letztern (und wohl gar auch die erstere) von Bernardino
aZaccagni aus Torchiara. Die älteste ist S. Sisto 1); für die moderne
Fassade entschädigen zwei gute ionische Kreuzgänge. Das Innere ist
von glänzend naivem Reichthum der Disposition und Ausführung;
eine Säulenkirche mit Tonnengewölben und zwei Querschiffen, über
deren Mitte Kuppeln; die Seitenschiffe mit lauter kleinen Kuppel-
gewölben; seitwärts davon Capellen in Nischen auslaufend, welche
indess von aussen durch eine gerade Mauer maskirt sind. Von ganz
besonders seltsamer Composition sind die beiden Schlusscapellen des
vordern Querschiffes: griechische Kreuze auf vier Säulen ruhend, mit
Kuppelchen und vier Eckräumchen, an den Enden Hauptnischen, in
den Eckräumen kleinere Wandnischen, und diess Alles so klein, dass
bman sich kaum darin drehen kann. — S. Giovanni in Parma hat
eine ähnliche Disposition, doch lauter Pfeiler (von schöner schlanker
Bildung) und nur Ein Querschiff; ausserdem (links) zwei prächtige
Klosterhöfe mit bemalten Bogenfüllungen und Friesen (die Fassade
emodern). — La Steccata endlich bildet ein einfaches griechisches
Kreuz mit runden Abschlüssen, Mittelkuppeln und vier etwas niedri-
gern Eckräumen, welche zu besondern Capellen abgeschlossen sind.
(Die Verlängerung des Chores neuer.) Es ist eine der schönsten,
wohlthuendsten Baumassen, welche die neuere Kunst geschaffen hat,
übrigens von aussen wie alle diese Kirchen möglichst einfach; die
einzige reichere Form ist die Galerie um die Kuppel.
Die gemeinsamen Eigenschaften dieser Kirchen sind nun 1) Eine
wahrhaft prächtige architektonische Bemalung aller Bauglieder des
Innern, theilweise auch der Bauflächen, wie denn in S. Sisto der
Fries über den Hauptbogen durch eine ganze hohe Attica mit lauter
allegorischen Malereien grau in grau vertreten ist. (Von dieser Be-
malung unten ein Mehreres.) 2) Eine merkwürdig schlechte Beleuch-
[205]Parma. Modena. Bologna.
tung. In S. Sisto und S. Giovanni kommt das meiste Licht durch
die Fenster der untern Capellenreihen, die zu beiden Seiten der Al-
täre in den halbrunden Nischen angebracht sind; an der Steccata hat
der Meister sogar seine Fenster ohne alle Noth so weit unten als
möglich angebracht. Von den Kuppeln hat leider gerade diejenige
von S. Giovanni, mit Coreggio’s Fresken, das kümmerlichste Licht
durch vier kleine Luken. In der Steccata geht dem Innern, das sonst
so schön gedacht ist, sein bester Reiz durch diesen Mangel ganz
verloren.
Um sich den Eindruck des Ganzen einigermassen zu vervollstän-
digen, denke man sich bei S. Sisto und S. Giovanni eine Backstein-
fassade dieses Styles hinzu, wie sie z. B. S. Pietro in Modenaa
recht schön darbietet. Wie einst die gothischen, so reproducirt in
dieser Epoche der Backstein die antiken Formen in einer oft eigen-
thümlich reizenden Weise.
In Modena ist ausser der eben erwähnten Backsteinfassade von
S. Pietro nichts von höherer Bedeutung vorhanden; der zweite Klo-b
sterhof daselbst (ionische Halle) hat ein sonderbar niedriges Ober-
geschoss. Für Architekten: Pal. Coccapane (Strada Rua del muro),c
Backsteinbau mit reichen Gesimsen aussen und im Hof, gemalten Frie-
sen und Decken in den untern Hallen. — Pal. Rangoni (jetzt Bellin-d
tani, Hauptstrasse) hat rechts noch ein sehr entstelltes Höfchen mit
oben herumgehenden offenem Pfeilergang.
Von andern Renaissancebauten der Gegend können zwei Gebäude
an der Via S. Antonio zu Piacenza und ein grosser halbzerstörter
Klosterhof links neben S. Quintino in Parma für Architekten einiges
Interesse bieten. Die Madonna della Campagna in Piacenza (an eineme
Ende der Stadt) scheint eine frühe Nachahmung der Steccata zu sein.
Das bischöfliche Seminar in Parma, beim Dom, ist eine gute, jetztf
vermauerte Doppelhalle.
Bologna besitzt aus dieser Zeit keine bedeutende Kirche, aber
einzelne sehr werthvolle Bruchstücke von solchen. Die ganze fröh-
liche Naivetät der Frührenaissance lebt z. B. in der zierlichen Back-
steinfassade der Madonna di Galliera (nahe bei S. Pietro), vomg
[206]Frührenaissance. Bologna. Kirchen.
aJahr 1470. In den allerkleinsten Dimensionen repräsentirt diesen Styl
das aufgehobene Kirchlein S. Spirito. — An der Kirche Corpus Do-
bmini (oder la Santa) ist von dem Bau des Jahres 1456 (?) ebenfalls
nur die Fassade und vollständig nur die prächtigste Backsteinthür
erhalten. Sie zeigt gerade in ihrem Reichthum den tiefen Unterschied
zwischen oberitalischer und toscanischer Decoration. — Eine vollstän-
dige, aber nur einschiffige Kirche (angeblich von 1447, doch eher erst
cnach 1500) ist S. Michele in Bosco; namentlich aussen gut und ge-
diegen; das Portal dem Peruzzi beigelegt; von den Anbauten mehrere
deinfach gut. — An S. Bartolommeo di Porta ravegnana ist auf zwei
Seiten die reiche Pfeilerhalle des Formigine erhalten, vom Jahr
1530 und doch noch Frührenaissance, wie Alles was noch auf vor-
herrschende Einzelwirkung ausgeht. (Das Innere, eine Säulenkirche
mit Tonnengewölben, vielleicht aus derselben Zeit, aber modernisirt.)
e— In S. Giacomo maggiore ist das ganze Langhaus ein sehr schö-
ner Einbau vom Jahr 1497 in die ältere Kirche; einschiffig, mit je
drei Bogencapellen zwischen den vortretenden Wandpfeilern. — An
fder anstossenden S. Cecilia gewährt die kleine Kuppel von aussen
einen zierlichen Anblick.
Wie langsam und gegenüber welchem Widerstand die Renais-
gsance in Bologna eindrang, beweist z. B.: die Annunziata (vor Porta
S. Mammolo), welche noch in den 1480er Jahren gothisch erbaut
wurde. Der Weiterbau von S. Petronio hielt hier den gothischen
Styl überhaupt lange am Leben.
Einzelne Capellen, oft sehr hübsch mit eigenen polygonen Kup-
hpeln und Eckpilastern nach florentinischer Art: In S. Martino maggiore,
idie erste links; — in der Misericordia (vor Porta Castiglione), die
letzte rechts; überhaupt ist das Innere dieser gothischen Kirche im
kJahr 1511 umgebaut; — in S. Stefano: ein hübsches Capellchen links
lneben dem sog. Atrio di Pilato; — in S. Giacomo maggiore: die Ca-
pella Bentivoglio (Chorumgang), datirt 1486, durch ihre halb-
mmoderne Bemalung entstellt; — in S. Giovanni in Monte: an jedem
Ende des Querbaues eine.
[207]Bologna. Faläste.
Für Paläste der Frührenaissance (die wir hier, wie bemerkt,
noch über die ersten Decennien des XVI. Jahrhunderts ausdehnen
müssen) ist Bologna eine der wichtigsten Städte Italiens. Allerdings
treten zwei beinahe durchgehende Beschränkungen ein, welche eine
florentinische oder venezianische Entwickelung des Palastbaues hier
unmöglich machen: der Backstein und die Verwendung des Erd-
geschosses zur Strassenhalle. Letzterer Gebrauch, an sich sehr schön
und für Sommer und Winter wohlthätig, hat eben doch das Aufkom-
men jeder streng geschlossenen Composition verhindert; es entstanden
fast lauter Horizontalbauten, bei welchen das Verhältniss der Länge
zur Höhe gar nicht beachtet, keine Mitte bezeichnet und z. B. die
Thür ganz willkürlich angebracht wird.
Innerhalb dieser Schranken aber äussert sich die Renaissance
hier äusserst liebenswürdig, ja es giebt in ganz Italien wenige Räume,
wo der Geist des XV. Jahrhunderts uns so ergreift, wie in einzelnen
Hofräumen von Bologna. Das Detail ist meist gerade so reich als der
Backstein es gestattete; allerdings liegt zwischen hier und Rom wie-
der ein Gebirge mehr, und die antiken Formen werden schon mehr
wie von Hörensagen reproducirt. — Die Backsteinsäulen des Erd-
geschosses, meist mit einer Art einblättriger korinthischer Capitäle,
tragen reichprofilirte Bogen; über einem Sims setzen dann die rund-
bogigen Fenster des Obergeschosses an, oft sehr prächtig, mit einer
Art von Akroterien seitwärts und oben; in dem (bisweilen noch be-
malten) Fries finden sich runde, auch rundschliessende, auch vier-
eckige Luken. Das Kranzgesimse mit seinen kleinen und dichtstehen-
den Consolen tritt nur mässig vor. — In den Höfen, wo sie wohl
erhalten sind, entspricht den untern Säulen oben die doppelte Zahl
von Säulchen (seltener Pilaster mit Zwischenbogen), welche eine Ga-
lerie um den grössten Theil des Hofes bilden; oder auch Fenster, die
den äussern ähnlich sind. Die Friese, Einfassungen u. dgl. meist um
einen Grad reicher als aussen.
Diese Bauweise dauerte bis gegen die Mitte des XVI. Jahrhun-
derts, und gerade aus dieser spätern Zeit giebt es Beispiele von be-
sonderer Schönheit. Der Baumeister Formigine bemühte sich da-
mals, den jetzt sandsteinernen Capitälen eine möglichst reiche und
abwechselnde, oft figurirte Bildung zu geben. In den Höfen bemerkt
[208]Frührenaissance. Bologna. Paläste.
man oben statt der Säulen hie und da kleine Pilaster mit dazwischen-
gesetzten Bogen. Aussen wird auch wohl durch viereckige Fenster
(statt halbrunder) der eindringenden Classicität ein Zugeständniss ge-
macht. — Wir zählen einige bezeichnende Beispiele aus dem XV. und
XVI. Jahrhundert auf.
Pal. Fava, N. 590, sehr schön; im Hof auch ein offener Ver-
bindungsgang auf reichen Consolen. — Ähnlich das Haus N. 1060. —
Das phantastisch schöne kleine Eckhaus N. 496 Via delle Grade. —
bDer Pal. Bevilacqua, eins der wenigen Gebäude dieser Zeit,
welche unten keine Halle, sondern eine ganze und zwar steinerne
Fassade haben, deren Quadern denn auch mit ganz besonderm Nach-
druck behandelt, nämlich jeder einzeln verziert sind; auch alle übrigen
Details sehr reich, das Gesimse eines der wirksamsten. Der Hof, mit
Ausnahme der Säulen ganz von Backstein, ist der schönste dieses
Styles. Man hat auf verschiedene Baumeister gerathen; wenn aber
cder reiche Porticus an S. Giacomo (um 1483) urkundlich von Gas-
pero Nadi erbaut ist, so wird man ihm wenigstens auch den Hof
von Pal. Bevilacqua zuschreiben dürfen, der in der Zierweise mit
djenem Porticus fast völlig übereinstimmt. — Der Pal. del Podesta
(1485, von Fioravanti) sieht dem Werk einer unreifen Begeisterung
für Pal. Bevilacqua ähnlich; das zahme obere Stockwerk passt nicht
zu den facettirten und geblümten Quadern und den derben Halbsäulen
der Pfeiler des Erdgeschosses. (Der rechts davon gelegene Portico
ede’ Banchi rührt in seiner jetzigen Gestalt erst von Vignola her,
der auf eine sehr geschickte Weise eine Menge kleiner Räume und
Fensteröffnungen einer neuen grossartigen Haupteintheilung zu sub-
ordiniren wusste.) —
Der Platz vor S. Stefano ist fast mit lauter Gebäuden dieser
Gattung umgeben; darunter N. 94, neben Pal. Isolani, noch halb-
gothisch (oben eine Art Bogenfries mit Köpfchen ausgefüllt); beson-
ders artig N. 80.
Der zierliche Palast auf dem Platz der beiden schiefen Thürme
(eigentl. Pal. dell’ arte degli Stracciaiuoli) mit dem Datum 1496, soll
von Niemand anders als von Francesco Francia entworfen sein.
Wenn man in den mehr decorativ als architektonisch gehandhabten
Formen den „Goldschmied“ wieder erkennen will, so haben wir nichts
[209]Bologna. Paläste.
dagegen einzuwenden (1620 umgebaut). — Wiederum einfach und sehra
tüchtig: Pal. Fibbia, N. 580. — Artige Höfe: N. 1063, N. 1079,
N. 2501 (letzterer mit gemaltem Puttenfries).
Ausserdem ist der grosse Porticus der Putte di Baracano unweitb
Porta S. Stefano beachtenswerth, als Fassade einer wohlthätigen An-
stalt aus den letzten Jahren des XV. Jahrhunderts.
Dem reinern Classicismus nähert sich dieser Styl z. B. in Pal.
Bolognini N. 77 unweit S. Stefano (vom Jahr 1525), mit den Pracht-c
capitälen des Formigine und den Medaillonköpfen des Alf. Lombardi.
Den bolognesischen Hofbau in classischer Umbildung zeigt sehr schön
Pal. Malvezzi-Campeggi, N. 2598, von Formigine. Für die Fas-d
saden dagegen wusste dieser Meister, als der römisch-florentinische
Einfluss nach Bologna drang, keinen rechten Rath; an dem genannten
Gebäude behielt er für Friese, Pilaster und Füllungen wenigstens eine
öde calligraphische Spielerei bei, und an Pal. Fantuzzi gab er dene
gekuppelten Halbsäulen beider Stockwerke eine ganz widersinnige Ru-
sticaoberfläche. Naiver verläuft sich die alte bolognesische Zierlust
in den Barockstyl an dem Pal. Bolognetti (jetzt Savini, N. 1310), vomf
Jahr 1551, mit einer allerliebsten untern und obern Halle und Treppe.
Das beste Gebäude dieses Übergangsstyles aber möchte wohl Pal.g
Buoncompagni sein (N. 1719, hinter dem erzbischöflichen Palast),
vom Jahre 1545; im Hof erlöschende mythologische Grisaillen des
Girol. da Treviso.
Von Klosterhöfen der Renaissance sind zu nennen: der vonh
S. Martino maggiore; derjenige der Certosa, welcher jetzt den Haupt-i
hof des Camposanto ausmacht, mit besonders reichen und schönen
Capitälen, etc. etc.
Die völlige modern-classische Umbildung tritt dann ein mit Bart.
Triachini (Pal. Malvezzi-Medici, N. 2492, eines der besten Ge-k
bäude Bologna’s), mit Francesco Terribilia (die alte Universität,l
jetzige Bibliothek, der durchaus mit Rustica bekleidete Klosterhof beim
S. Giovanni in Monte etc.); sie neigt sich dem Barockstyl entgegen
mit Pellegrino Tibaldi und seinem Sohn Domenico, von wel-
chen unten.
B. Cicerone. 14
[210]Frührenaissance. Ferrara. Kirchen.
Ferrara besitzt zunächst einen der wichtigsten Renaissance-
athürme Italiens, den Campanile des Domes. (Anfang des XVI.
Jahrhunderts.) Mit Marmor, und zwar schichtenweise roth und weiss
incrustirt, mit derb vortretenden Eckpilastern und Säulenstellungen
dazwischen wirkt dieser Bau ganz imposant, obschon man es den
Säulen ansieht, dass der Baumeister beim Backstein aufgewachsen
war. (Die Fensterbogen setzen unschön ohne Mittelplatte auf.) —
Die Tribuna der Kirche ein guter Backsteinbau, innen mit reich scul-
pirten Wandpilastern.
Südlich gegenüber die aufgehobene, sehr verbaute Kirche S. Ro-
mano, von früher und schlichter Renaissance.
S. Francesco (1494, wahrscheinlich von einem gewissen Pietro
Benvenuti) gehört noch zu der oben mit S. Sisto zu Piacenza be-
gonnenen Reihe. Aussen mager vertheilte Pilaster mit hübschen
Friesen (Putten, Medaillons haltend); innen Säulenkirche mit lauter
Kuppelgewölben und den beiden Seitenschiffen entlang mit hübsch
eingefassten Capellenreihen, durch deren Fenster wiederum das meiste
Licht kömmt. Auch die Ornamentirung in ähnlicher Weise an Frie-
sen, Bogenfüllungen etc., sowie an den Pfeilern der Kreuzung auf-
dgemalt, wie in jenen Kirchen. — Von demselben Geschlecht: S. Be-
nedetto (um 1500 von Gianbatt. und Alberto Tristani), die
Fassade mit jenen von L. B. Alberti (S. 182, d) zuerst gebrauchten, von
Pintelli (S. 193, a) nachgeahmten Seitenvoluten und mit Marmorpilastern;
alles Übrige schlichter Backstein; die Capellenreihen auch aussen rund,
ebenso die Abschlüsse des Querbaues. Innen Tonnengewölbe (in der
Mitte des Langhauses durch eine Flachkuppel unterbrochen; über der
Kreuzung die Hauptkuppel; die Nebenschiffe mit lauter kleinen Kup-
pelgewölben. Die prächtige und doch weislich gemässigte decorative
Bemalung ist an den untern Theilen überweisst oder nie vorhanden
gewesen. — Eine der besten dieser Reihe, obschon ebenfalls durch
edas vorherrschende Unterlicht beeinträchtigt: die Certosa S. Cri-
stoforo (1498 — 1553) einschiffig mit Kuppelgewölben, geradlinigen
Capellenreihen, Mittelkuppel und Querbau; die Gliederungen aussen
nobel von Backstein (mit Ausnahme der noch nicht incrustirten Fas-
sade), innen sämmtlich von Marmor; über den Capellenreihen eine
hohe Attica wie in S. Sisto zu Piacenza (hier leer). — S. Maria in
[211]Kirchen. Klosterhöfe. Paläste.
Vado (seit 1475 erbaut von Biagio Rossetti und Bartol. Tri-a
stani) ist in der Bildung des Äussern den bisher genannten analog,
innen eine Säulenkirche mit Flachdecke, ohne Capellenreihen und Un-
terlicht, desshalb von schöner Wirkung. (Die Hauptfassade erneuert,
die Querbaufronte ursprünglich und der Fassade von S. Benedetto
ähnlich. — Die Nebenschiffe haben Kreuzgewölbe.) — Endlich S. An-b
drea, mit noch gothischer Fassade von 1438; innen Pfeilerkirche
mit flacher Decke über niedriger Obermauer; die Nebenschiffe mit
Kreuzgewölben; Capellenreihen mit Seitenlicht durch je 2 Fenster;
diess Alles etwa um 1500. — Von S. Giorgio ist wenig mehr alsc
der schiefe Backsteinthurm aus dieser Zeit erhalten (1485, von Bia-
gio Rossetti).
Als griechisches, gleicharmiges Kreuz mit Eckräumen wurde S.d
Spirito 1519 gegründet; nach mancherlei Schicksalen jetzt sehr ver-
ändert. — Noch zu Ende des XVI. Jahrhunderts baute Alberto
Schiatti das einfache und sehr artige Kirchlein la Madonnina ine
dieser Form (unweit Porta romana).
Von den Kreuzgängen blieb dem Verfasser zufällig derjenigef
der Certosa (jetziges Camposanto) unzugänglich; — drei durch offene
Durchblicke zu einer sehr schönen Wirkung vereinigte finden sichg
neben S. Benedetto (davon einer auf Pfeilern, die andern auf Säulen);
— ein ähnlicher bei S. Giorgio vor Porta romana; — ein vermauerterh
bei S. Maria in Vado.i
Von Profanbauten dieses Styles ist in Ferrara nicht so viel
bedeutendes erhalten als man erwarten möchte. Die schönsten Bauten
der Herzoge vom Hause Este sind untergegangen; ihr Castell ist als
malerischer, imposanter Anblick ohne Gleichen, kann aber nicht als
Palast gelten. Von den sonstigen fürstlichen Gebäuden zeigt der
jetzige Pal. Communale allerlei interessante Reste, aber nichts zu-k
sammenhängendes mehr, mit Ausnahme des hinten angebauten herzog-
lichen Arsenals, welches aussen ein schlichter Backsteinbau mit Pi-
lastern, innen eine regelrechte Basilica (nur ohne Tribuna) ist. — Die
angefangene Halle aussen im Erdgeschoss des Palastes, gegen das
Castell hin, ist erst von Galeazzo Alessi (s. unten), der längere Zeit
in Alfonso’s II. Diensten stand. — Der Palazzo Schifa-noja, voml
Herzog Borso seit 1470 ausgebaut, ist architektonisch nicht bedeutend,
14*
[212]Frührenaissance. Ferrara. Paläste.
ausgenommen das schöne Portal mit dem Wappen darüber. — Das
aWichtigste ist immer der Pal. de’ Diamanti (jetziges Ateneo, mit
der städtischen Galerie), begonnen 1493 für Sigismondo von Este, mit
der facettirten Bekleidung, den sculpirten Pilastern und den sehr schön
gebildeten Fenstern versehen in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhun-
derts, mit dem Kranzgesimse vollendet 1567 für Cardinal Luigi d’Este.
Die schönen Verhältnisse des Ganzen leiden nur durch die Disharmonie
zwischen den zarten Pilastern und der energisch sein sollenden Qua-
derbehandlung. — Der letzte estensische Zierbau gehört schon dem
classischen Styl an und verräth die Einwirkung des Palazzo del Te
bin Mantua: nämlich la Palazzina (1559), ein ehemals köstliches
Gartenhaus, nur Erdgeschoss mit Fenstern, Portal und vier Pilastern,
hinten mit (jetzt vermauerter) Loggia und einem links anstossenden,
jetzt meist unzugänglichen „teatro“. Das Ganze im kläglichsten Verfall.
Die Privatpaläste des Adels sind hier, wie in den Städten
kleiner Fürsten überhaupt, nie so wichtig als in den ehemaligen Haupt-
städten der Republiken. Das argwöhnische Regiment, auch wohl der
finanzielle Druck des Hauses Este im XV. und XVI. Jahrhundert
liess keine grosse bauliche Machtäusserung aufkommen. Der einzige
cbedeutende Hof aus dem XV. Jahrhundert, der des Pal. Scrofa
(Corso di Porta romana) ersetzt aber zehn Paläste, obwohl er nur
zur Hälfte gebaut und in drohendem Verfall begriffen ist. Er zeigt
den bolognesischen Hofbau vortrefflich in das Schlanke und Leichte
übertragen, welches die Hallen Ferrara’s, deren Säulen durchgängig
von Marmor sind, überhaupt kennzeichnet. — Die fehlende Fassade
dmag man sich ergänzen durch die äusserst zierliche des Pal. Ro-
verella (der dafür nur einen unbedeutenden Hof hat). Über dem
heitern Eindruck dieses Gebäudes übersieht man es gerne, dass z. B.
die Arabesken des obern und des untern Frieses derber und massiger
gebildet sind als die der Pilaster, und dass die Fenster sich auf die
damit eingefassten Flächen nicht gut vertheilen. Die Pforte marmorn;
drüber ein grosser Erker, woran diess bei der Post gelegene Gebäude
eleicht kenntlich ist. — Pal. de’ Leoni, beim Pal. de’ Diamanti, hat an
seinen Eckpilastern die schönsten Arabesken Ferrara’s, ausserdem ein
stattliches Portal mit einem von Putten umgebenen Balcon; sonst sind
fFassade und Hofhalle ganz einfach. — Pal. Bevilacqua und Pal. Zatti
[213]Venedig. Mastro Bartolommeo.
auf Piazza Ariostea, beide mit vorderer Strassenhalle, der erstere mit
einem der bessern Höfe.
Weiter im XVI. und XVII. Jahrhundert begegnet man hier eini-
gen kleinern Palästen, welche durch harmlose Zierrathen in den
Wandflächen selbst (Trophäen, Büsten, Motto’s etc.) ein Echo der
frühern Zierlust offenbaren; Pal. Bentivoglio; Pal. Costabili. Das beste
Gebäude des etwas strengern Classicismus, Pal. Crispo (um diea
Mitte des XVI. Jahrhunderts von Girolamo da Carpi entworfen)
lässt es bei blossen Denksprüchen bewenden, die aber das ganze Ge-
bäude bedecken. — Das einfache Haus des Ariost, Strada Mirasole,b
N. 1208.
In Venedig drang der neue Styl im Verhältniss zu den Um-
ständen spät durch. Die paduanische Malerschule und die einheimi-
schen Sculptoren hatten schon die naturalistische Darstellungsweise
ansehnlich ausgebildet, während Baukunst und Decoration noch an den
gothischen Formen mehr oder weniger festhielten. Der Chorbau von
S. Zaccaria wurde (1457) gothisch begonnen fast zu derselben Zeit
da Mantegna schon seine heilige Euphemia malen konnte. Die Ein-
fassungen der Prachtaltäre, welche von der muranesichen Malerwerk-
statt ausgingen, sind noch bis nach 1450 gothischen Styles; Mastro
Bartolommeo meisselt Statuen im Styl des XV. Jahrhunderts für
seine noch gothischen Zierbauten. Seine Porta della Carta am Dogen-c
palast und die dazu gehörende Halle bis zur Riesentreppe hin (um
1439) zeigen diesen Styl in seinem Verscheiden und doch noch in
eigenthümlich schöner Weise hehandelt; das spätgothische, starkge-
bauschte Blattwerk bildet schon Friese, die im Geist des neuen Jahr-
hunderts gedacht sind. Sogar das Dogengrab Franc. Foscari († 1457)d
im Chor der Frari (rechts) ist noch gothisch, ein Werk der Bildhauer-
familie Bregno. An den Chorstühlen mehrerer Kirchen hält sich das
Gothische bis um 1470. (S. unten.) Auch das ganze Portal von
S. Giovanni e Paolo gehört dieser späten, vegetabilisch prächtigene
Gothik an.
Als aber die Renaissance hereinbrach, fand sie in dem reichen
Venedig eine Stätte ganz eigenthümlicher Art. Die edlern Steingat-
[214]Frührenaissance. Venedig. Die Lombardi.
tungen, deren ihre Decoration bedarf, um völlig zu gedeihen, wurden
ihr hier bereitwillig zugestanden; von Backstein und Stucco ist keine
Rede mehr, wenigstens an decorativen Theilen nicht. Der neue Styl
kam gerade in die Zeit der grössten Macht des Staates und eines
grossen Reichthumes der Vornehmen hinein. Ihm schien eine Haupt-
rolle zugedacht, wenn es sich darum handelte, der Inselstadt einen
dauernden Ausdruck festlicher Freude und Herrlichkeit zu verleihen.
Es fehlte an nichts als an Platz und — an wahrhaft grossen Bau-
meistern 1).
Auf eingerammten Pfählen wird nie von selbst eine freie und
grossartige Architektur sich entwickeln. Die einzigen bisherigen Ge-
bäude, welche grossartig gedacht heissen können, die Kirchen S. Gio-
vanni e Paolo und S. Maria de’ Frari, waren Niccolò Pisano’s Gedan-
ken; dem Dogenpalast, so gross auch sein älterer (vorderer) Theil
ist, wird man es immer ansehen, dass sein Erbauer unter den Ein-
drücken einer kleinräumigen Pracht aufgewachsen war 2). Und diese
Beschränkung ging nun auch der venezianischen Renaissance nach und
alle folgenden Baustyle, die in den Lagunen geherrscht haben, sind
mehr oder weniger derselben unterlegen. Wir werden weiter unten
finden, dass auch ein Jacopo Sansovino sich beugte. Der einzige
Andrea Palladio leistete erfolgreichen Widerstand.
Von jenen grossartigen baulichen Dispositionen, wie wir sie in
Brunellesco’s Basiliken finden, von dem mächtigen Ernst florentinischer
und sienesischer Palastfassaden, von der toscanischen und römischen
Wohlräumigkeit des Hallenbaues giebt kein Gebäude Venedigs im Styl
der Frührenaissance einen Begriff. Man war weder des Platzes genug-
sam Herr noch des festen Bodens sicher. Um so ergiebiger ist das
[215]Decorativer Charakter.
damalige Venedig an einzelnen überaus netten decorativen Effecten
zu Nutz und Frommen des jetzigen Platz sparenden Privatbaues. Die
Composition im höhern Sinn, nämlich nach Verhältnissen, ist an Kir-
chen und Palästen meist null, aber das Arrangement geschickt und die
Phantasie reich und durch kein Bedenken gehemmt. Das Äussere
wird an Kirchen und Palästen mit zwei, drei Ordnungen von Pila-
stern bekleidet, ohne dass man sich auch nur die Mühe nähme, die
obern Ordnungen durch grössere Leichtigkeit zu charakterisiren, oder
einen Gegensatz in den Flächen auszudrücken (S. Maria de’ miracoli,
Seitenfronte der Scuola di S. Marco etc.). An den Hauptfassaden sind
die Pilaster wohl mit Arabesken oder mit Nischen ausgefüllt, cannelirt,
in der Mitte durch Scheiben von rothem oder grünem Marmor unter-
brochen u. dgl.; überall sonst haben sie ihr eigenes vertieftes Rahmen-
profil, welches ihnen die Bedeutung einer Stütze, eines Repräsentan-
ten der Säule benimmt und sie selber zum blossen Rand eines Rahmens
um das betreffende Mauerfeld macht. Von einem nothwendigen Grad-
verhältniss zwischen der Pilaster- und der Friesdecoration trifft man
kaum eine Ahnung. Für den obern Abschluss der Kirchenfassaden
erlaubte man sich fortwährend die fröhliche runde Form in verschie-
denen Brechungen; seit dem Bau von S. Marco war die venezianische
Baukunst daran gewöhnt und hatte auch in der gothischen Zeit da-
mit barock genug zu schalten gewusst. — Auch an den Palastfassaden
behielt man die bisherige Anordnung (Seite 155) bei, nur im neuen
Gewande. Die schöne Wirkung der offenen Loggien in der Mitte der
Hauptstockwerke ist nicht das Verdienst des neuen Styles, sondern
das einer alten Sitte. Die zwischen den Fenstern, Thüren, Gesimsen
und Pilastern übrigbleibenden Flächen wurden mit bunten Steinschei-
ben in symmetrischer Zusammenstellung, an den Kirchen auch wohl
mit Nischen, Sculpturen u. s. w. ausgeschmückt.
Im Innern sind die Paläste grössern Theils verbaut; was von
Treppen [und] Sälen einigen Eindruck macht, ist durchgängig spätern
Ursprunges. Das Erdgeschoss ist weder entschieden als blosser Sockel-
bau, noch als mächtiges Grundstockwerk behandelt, und diese Halb-
heit raubt natürlich der untern Halle jede höhere architektonische
Bedeutung, wenn sie auch — in Verfall und Verkommenheit — oft
[216]Frührenaissance. Venedig. Kirchen.
ein ganz malerisches Interieur gewährt. Höfe sind entweder nicht vor-
handen oder ohne Belang 1).
Das Innere der Kirchen ist je nach der Aufgabe sehr verschieden.
Die älteste des betreffenden Styles ist wohl unläugbar S. Zac-
caria, begonnen 1457 (von Einigen dem Martino Lombardo zu-
geschrieben). Der Chorbau ist noch zum Theil gothisch, Umgang und
Capellenkranz von gleicher Höhe damit. Die gewölbten drei Schiffe
ruhen auf Säulen über hohen geschmückten Piedestalen, der Chor nach
Art einiger romanischen Kirchen auf Säulengruppen. Im Detail wagt
hier die Frührenaissance höchst unsichere und barocke Formen.
(Wulste der Säulen, mittlere Simse des Capellenkranzes u. s. w.)
Die Fassade ist mit Ausnahme des Erdgeschosses wohl um mehrere
Jahrzehnde neuer; in ihren vielen Stockwerken und runden Abschlüs-
sen zeigt sie zuerst jene nur in Venedig so ausgebildete 2) Schreiner-
phantasie, welche die Bauformen aus reinem Vergnügen an ihrer Wir-
kung vervielfacht, ohne sie zum Ausdruck von Verhältnissen zu be-
nützen. Diese Wirkung aber, erhöht durch das Material und ein
grosses decoratives Geschick, ist für den flüchtigen Blick eine sehr
angenehme.
Nahe mit diesem Bau verwandt, nur einfacher, ist S. Michele
(1466), welches Martino’s Sohn, Moro Lombardo, angehört. Flach-
gedeckte Säulenkirche, schon vorn durch einen fast gleichzeitigen
Lettner unterbrochen; hinten drei Tribunen ohne Umgang. An der
Fassade ist ausser den runden Abschlüssen die unbeholfene Rustica-
bekleidung bemerkenswerth, eine florentinische Anleihe.
Es folgt das kleine Juwel unter den venezianischen Kirchen:
S. Maria de’miracoli, 1480 unter Mitwirkung des Pietro Lom-
bardo erbaut. Es dauert eine Weile, bis das von einem „allerliebst“
zu nennenden Eindruck beherrschte Auge sich gesteht, dass der bau-
[217]Miracoli. Typus von S. Giov. Crisostomo.
liche Gehalt des Gebäudes fast null ist. Der grosse runde Abschluss,
mit buntem Scheibenwerk ausgefüllt, erdrückt die beiden delicaten
Pilasterordnungen; der mittlere Bogen der obern wird auf barbarische
Weise breit gezogen, um der Thür unten zu entsprechen. Auch am
Chor tragen runde Abschlüsse das Quadrat, auf welchem sich die
kleine Kuppel erhebt. Innen hat das Schiff ein Tonnengewölbe; die
bemalte Cassettirung ist sehr verschwärzt und geht ihrem Untergang
entgegen. Der Chorbau, auf zierlicher Treppe mit Balustraden bedeu-
tend erhöht (um darunter die Sacristei anzubringen), ist in Betreff
seiner innern Gestalt ein florentinischer Gedanke auf venezianischem
Boden. Die Pilasterbekleidung des Innern und Äussern ist fast ohne
alle Abstufung als blosse Decoration mitgegeben; von dem Werth ihrer
Ornamente wird unten die Rede sein.
S. Giovanni Crisostomo, 1483 von Tullio Lombardo erbaut,a
wiederholt die Anlage kleiner frühvenezianischer Kirchen (Seite 94, b)
in einem neuen und höhern Sinne; das griechische Kreuz mit seiner
Flachkuppel wird durch glückliche Abstufung in Haupträume und Eck-
räume, durch Schlankheit der Pfeiler zu einem perspectivisch reizen-
den Innenbau. Aussen zwar runde Mauerschlüsse u. a. Spielereien,
aber einfaches und gutes Detail, wie auch im Innern. — Eine in den
meisten Beziehungen entsprechende Nachbildung, S. Felice, ist etwab
50 Jahre jünger. — Auch S. Giovanni Elemosinario ist (1527, vonc
Scarpagnino) nach diesem Vorbild gebaut. — S. Maria Materd
Domini (von Sansovino vollendet) nähert sich durch Verlängerung
des vordern Kreuzarmes wieder mehr der Langkirche und hat minder
leichte Stützen. — S. Maria Formosa mit ihren tiefen, durch Zwi-e
schenfenster verbundenen Capellen, durch welche das meiste Licht
kömmt, ist ein unglückliches Gebäude. — Eine moderne Nachahmung
des Systemes von S. Giovanni Crisostomo, vom Jahr 1806, bietet
S. Maurizio. Auch die demolirte Kirche S. Geminiano (von Sansovino)f
hatte dieselbe Anlage.
Um 1500 wurde die Kirche S. Fantino begonnen; der Urheberg
ist unbekannt. Als sehr glücklich gedachter Binnenraum bildet sie
die Vorstufe zu S. Salvatore (s. d.); nur dass statt der Kuppelge-
wölbe noch Kreuzgewölbe angewandt sind. Der Chor wurde 1564
von Sansovino hinzugebaut. — Neben all diesen dem Centralbau sich
[218]Frührenaissance. Venedig. Thürme.
nähernden Anlagen entstand noch 1509 eine einfache weitbogige Ba-
asilica: S. Pietro e Paolo in Murano.
Schliesslich sind ein paar niedliche kleine Bauten des Guglielmo
bBergamasco hier mit zu erwähnen: die Capella Cornaro (rechts)
an SS. Apostoli, mit vier reichen Ecksäulen und einer Kuppel, — und
cdas sechseckige Capellchen bei S. Michele (1530), mit einfachen Eck-
säulen aussen, doppelten innen und einer Kuppel; ein geistlicher
Pavillon.
Die Kreuzgänge dieses Styles, soweit sie noch zugänglich sind,
bedeuten künstlerisch nicht viel. (Bei den Frari, S. Giovanni e Paolo,
Carmine etc. 1).
Auf dem venezianischen Thurmbau lag damals wie in allen
Zeiten die Verpflichtung einer Mauerdicke ohne Unterbrechung. Man
wusste aus Erfahrung, dass der Thurm trotz aller Fundamentirung
sich irgendwie senken würde und wagte desshalb nur ganz oben eine
freie durchsichtige Pfeilerstellung; alles Übrige wurde nur festes Mauer-
werk, mit kleinen Nothfenstern. Es ist merkwürdig, dass die Renais-
sance nicht dennoch eine äussere Decoration versucht, dass sie sich
fast durchaus mit Wandstreifen und etwa Einem Zwischengesims be-
dgnügt hat. Der einzige etwas reichere Thurm ist der isolirt stehende
ebei S. Pietro in Castello (1474). Ein anderer ganz origineller steht
bei S. Maria dell’ Orto. Später (1510) gab Bartolommeo Buono dem
fCampanile von S. Marco sein hübsches Obergeschoss sammt Spitze. —
gWenn die Torre dell’ Orologio (1496 von Pietro Lombardo) wirk-
lich erst nach mehrern Jahrzehnden ihre Seitenflügel erhalten hat, so
war sie bisdahin der einzige Thurm mit vollständiger Pilasterbeklei-
dung in mehrern Stockwerken. Von den übrigen Thürmen des XVI.
hJahrhunderts ist der bei S. Giorgio de’ Greci einer der elegantesten.
(Wohl mit der Kirche von Jac. Sansovino.)
Zwischen den Kirchen und Palästen stehen die Scuole, d. h. Bru-
derschaftshäuser, in der Mitte. In Venedig vorzüglich waren die geist-
[219]Scuola di S. Marco etc.
lichen Zünfte oder Confraternitäten durch Schenkungen und Vermächt-
nisse zu einem grossen Reichthum gelangt, welcher damals wie aller
corporative Besitz noch nicht beim ersten besten Gelüste oder Bedürf-
niss des Staates für gute Beute erklärt werden konnte; vielmehr durfte
und musste er sich am hellen Tage zeigen. Vor allem durch Schön-
heit des Locales.
Die Scuola di S. Marco, bei S. Giovanni e Paolo, erbauta
1485, hat eine der prächtigsten Fassaden des ganzen Styles. (Man
nimmt an, Martino Lombardo habe den baulichen Entwurf, Pietro
Lombardo das Decorative geliefert; die Bildwerke theils von Mastro
Bartolommeo, theils von Tullio Lombardo). Vom Innern hat nur noch
die untere Halle ihre alte Gestalt; schlanke Säulen auf hohen gut-
verzierten Piedestalen tragen eine Holzdecke; vorzüglich gebildete
hölzerne Consolen vermitteln beides. Das Gebäude ist jetzt als Ein-
gangshalle mit dem zum Spital eingerichteten Dominikanerkloster ver-
bunden. — Die Fassade ist eins der wichtigsten geschichtlichen Denk-
male des alten venezianischen Lebens, dessen ganze elegante Fröh-
lichkeit sich darin ausgesprochen hat. Wenn es sich aber um den
Kunstgehalt handelt, so rechne man etwas nach, wie z. B. Bogen
jeden Grades unter sich und mit Giebeln abwechseln, wie sinnlos die
Fenstersäulen mit handbreiten und dabei über und über verzierten
Pilastern begleitet sind, wie wenig die Stockwerke sich unterscheiden,
wie der Fries und das Ornamentband zwischen den Capitälen mit ein-
ander concurriren u. s. w. Wir sagen dies nicht, um dem Beschauer
den Genuss zu verderben, sondern um den grossen toscanischen Bau-
meistern neben den venezianischen Decoratoren ihren Vorrang nicht zu
schmälern. Die letztern haben übrigens hier in der wunderbaren Fröh-
lichkeit der obern Abschlüsse und deren durchbrochen gearbeiteten
Zierrathen etwas in seiner Art Einziges hingestellt.
Ein graziöser Rest eines Bruderschaftsgebäudes, um einige Jahre
älter (1481) und ebenfalls vom Styl der Lombardi, ist der kleine Vor-b
hof von S. Giovanni Evangelista; zwei Wände mit Pilastern;
hinten die Mauer mit der Thür nach dem innern Hof — diese ein-
fachen Elemente sind mit liebevollster Pracht behandelt. (Hinten im
Hof das schon etwas mehr dem classischen Styl genäherte Frontstück
einer Kirche, vom Jahr 1512).
[220]Frührenaissance. Venedig. Scuole etc.
Aber dies Alles wurde überboten durch die Scuola di S. Rocco,
begonnen 1517 nach einem Entwurf des Pietro Lombardo (?), aus-
geführt durch eine Reihe von Architekten bis auf Sansovino herab.
Hier handelt es sich nicht mehr allein um decorirte Pilaster; blumen-
geschmückte Säulen treten sammt ihren Gebälken in zwei Stockwerken
vor; pomphafte Fenster, ein reichfigurirter Oberfries, eine Jncrustation
mit farbigen Steinen vollenden den Eindruck mährchenhafter Pracht;
auch die übrigen Seiten des ganz frei stehenden Gebäudes sind reich
ausgestattet; im Innern ist die ganze untere Halle, das reichere Ab-
bild derjenigen in der Scuola di S. Marco, sowie die Treppe noch
baus dieser Zeit. (Die nahe Kirche S. Rocco erhielt ihre Fassade
später nach dem Vorbilde derjenigen der Scuola.) Einem Eindruck
von diesem Range gegenüber ist es vielleicht vergebliche Mühe, auf
den Mangel aller wahren Verhältnisse aufmerksam zu machen. Das
Formenspiel, mit welchem der Blick abgefertigt wird, ist ein zu an-
genehmes.
Einfacher und kleiner: die Scuola bei S. Spirito; — von Jac.
Sansovino (s. unten): Scuola di S. Giorgio de’ Schiavoni; — von dessen
Schüler Aless. Vittoria: Scuola di S. Girolamo. — Noch die späte Ba-
rockzeit sucht sich in Gebäuden dieser Art der Pracht jener erstge-
nannten auch äusserlich zu nähern: Scuola di S. Teodoro; — Scuola
del Carmine etc.
Vor den Palästen mögen einige andere Profanbauten erwähnt
werden, welche ebenfalls für die Baugesinnung des damaligen Vene-
digs bezeichnend sind.
Wie die Frührenaissance überhaupt auch in ihren Kriegsbauten
einen heitern Eindruck erstrebt, so ist diess auch hier bei der Pforte
ddes Arsenals (1460) der Fall. Merkwürdig sind an diesem Zier-
gebäude die noch fast byzantinisch gebildeten Blätter an den Capitälen.
— Gegen Ende des XV. Jahrhunderts erbaute Bartolommeo Buono
eaus Bergamo die „alten Procurazien“ am Marcusplatz als Amts-
wohnung für die Procuratoren von S. Marco und als grossen Inbe-
griff einer Menge von Bureaux. Die innere Einrichtung ist jetzt nir-
gends mehr zu erkennen, immer aber wird dieses Gebäude verglichen
mit dem Ernst der in ähnlichem Zweck etwa 80 Jahre später erbau-
[221]Öffentliche Bauten. Dogenpalast.
ten Uffizien zu Florenz den grossen Unterschied der Zeiten bezeich-
nen; ohne eigentliche Pracht, z. B. ohne plastischen Schmuck, als
blosser Horizontalbau mit Hallen verschiedenen Ranges, giebt es doch
in hohem Grade den Eindruck eines glänzenden, fröhlichen Daseins.
— Ein anderer, etwas späterer Bergamaske, Guglielmo, errichtete
für eine Corporation 1525 am Rialto den Palazzo de’ Camer-a
linghi, jetzigen Appellhof, in dem prächtigen Styl der Privatpaläste,
aber etwas gedankenlos. — Der gegenüberliegende Fondaco de’b
Tedeschi, jetzige Dogana, von Fra Giocondo da Verona 1506
erbaut, ist zwar ohne diese plastische Pracht, als einfache grosse
Waarenhalle und Factorei mit vielstöckigem Pfeilerhof erbaut, allein
Tizian und seine Schüler bemalten die sämmtlichen Aussenmauern,
sodass dieser Fondaco, wohl erhalten, eins der ersten Gebäude Ita-
liens sein würde. Leider ist dieser malerische Schmuck bis auf we-
nige Spuren (an der Canalseite) verloren. — Als städtische Bureaux
und Waarenhalle sind auch die einfachen Fabbriche Vecchiec
(ebenfalls beim Rialto) 1520 von Scarpagnino erbaut 1), welchen
in der Folge 1555 Jac. Sansovino die etwas reichern, mit Pilaster-
ordnungen bekleideten Fabbriche nuove beifügte. Auch diesed
Gebäude machen trotz der absichtlichen Schlichtheit immer einen
stattlichen, venezianischen Eindruck.
Auf ihrem Höhepunkt angelangt (seit 1500) erhielt die venezia-
nische Renaissance die Aufgabe, den grossen Hof des Dogenpa-e
lastes mit der erdenklichsten Pracht auszuschmücken; es geschah
durch Antonio Bregno und Antonio Scarpagnino. An zwei
Seiten kam nur das Erdgeschoss und das zunächst folgende Hallen-
stockwerk zu Stande; die dritte wurde nebst der entsprechenden
Rückseite gegen den Canal ganz vollendet.
Wahrscheinlich mussten eine Menge von Wünschen und Meinun-
gen berücksichtigt werden; wahrscheinlich wurde selbst der Plan
mehrmals geändert. Näher verantwortlich sind die Architekten wohl
nur für die beiden untern Geschosse — eine rundbogige Halle auf
[222]Frührenaissance. Venedig. Paläste.
Pfeilern und drüber eine spitzbogige auf Pfeilern mit vorgesetzten
Säulen — und auch hier waren sie gebunden durch die Verhältnisse,
welche Calendario dem Aussenbau gegeben hatte. Man darf nicht
mit allzufrischen Erinnerungen von einem Pal. di Venezia in Rom,
einem Pal. Riccardi in Florenz, vollends nicht von den Bauten Bra-
mante’s hereintreten. Die sämmtlichen obern Stockwerke des Hinter-
baues sind dann blosse Decoration eines unter schwankenden Ent-
schlüssen allmälig zu Stande gekommenen Innern. Die unabsichtliche
Unsymmetrie, welche auf diese Weise in die Fassade kam, ist beinahe
ein Glück zu nennen, da die Architekten wohl ohnehin für eine wahre
Composition im Grossen nicht ausgereicht hätten. Es kommt dabei
freilich zu krausen Extremen; Fenster desselben Stockwerkes von
verschiedener Höhe, doppelte Friese u. a. m., was man über dem
ungeheuern Reichthum der Decoration vergessen muss. Die Canal-
seite ist einfacher und am Sockel facettirt. — Die artige kleine Fas-
sade links von der Riesentreppe hat Guglielmo Bergamasco
1520 hineingebaut; sie möchte leicht das Beste am ganzen Hofe sein.
Von den Privatpalästen ist Pal. Vendramin-Calergi da-
tirt mit der Jahrzahl 1481 und dem Namen des Pietro Lombardo.
Die Säulenordnungen, welche vor die Fassade gesetzt sind, die grossen
halbrunden Fenster, das bedeutend vorragende Gesimse und der be-
trächtliche Massstab geben diesem Gebäude ausser der ungemeinen
Pracht auch einen gewissen Ernst, ohne dass in den Verhältnissen
irgend eine höhere Aufgabe gelöst wäre. Die Adler im obern Fries
entsprechen auf nicht eben glückliche Weise den Säulen. Die Pilaster
des Erdgeschosses, welche der cannelirten mittlern und der glatten
obern Säulenordnung entsprechen, sind für ihre Function viel zu zart
gebildet.
Alle andern Paläste dieses Styles werden als „in der Art der
Lombardi“, „aus der Zeit der Lombardi“ bezeichnet, aber ohne nähere
Beziehung. Am Canal grande, von Marcusplatz aus beginnend, ist
bdie Reihenfolge diese: (Links) der kleine Pal. Dario, fröhlich unsym-
metrisch, mit bunten Rundplatten in verschiedener Anordnung verziert.
c— (Links) Pal. Manzoni-Angarani, besonders reich und schön,
[223]Venedig. Paläste. Padua.
mit einem Guirlandenfries über dem Erdgeschoss. — (Rechts) Pal.
Contarini delle Figure, 1504, von kleinlich spielender Composition,a
mit einem unglücklichen Giebel über der mittlern Loggia; an den
Mauerflächen aufgehängte Schilde und Trophäen. — (Rechts) Pal.
Corner-Spinelli, vielleicht das einzige dieser Gebäude, welchesb
ein höher gereiftes Gefühl für Composition verräth; ein hohes Erd-
geschoss mit Rustica; darüber in zwei Stockwerken die Fenster ähn-
lich jenen an Pal. Vendramin, aber schön vertheilt. — (Links) Pal.
Grimani a S. Polo, klein, zierlich, aber wieder etwas gedankenlos.c
— Jenseits des Rialto ist nur der genannte Pal. Vendramin von Be-d
deutung.
In andern Stadttheilen finden sich noch eine Anzahl mehr oder
weniger reicher Fassaden. Eine gute an Pal. Trevisan hinter deme
Dogenpalast; — eine artig spielende an Pal. Malipiero, auf Campof
S. Maria Formosa, von Sante Lombardo zu Anfang des XVI.
Jahrhunderts erbaut.
In Padua ist gerade die frühere Renaissance baulich nicht so
vertreten, wie man es nach der weitgreifenden decorativen Wirksam-
keit der dortigen Künstler erwarten sollte. Das schönste Gebäude
dieser Gattung, die Loggia del Consiglio auf dem Signorenplatz,g
ist von dem schon oben genannten Ferraresen Biagio Rossetti er-
baut. Die freie untere Säulenhalle, wozu das obere Stockwerk mit
seinen Fenstern so glücklich eingetheilt ist, der edle Marmor, die Ge-
diegenheit der wenigen Zierrathen, die Lage über der Treppe, der
Contrast mit dem venezianischen Engbau — diess Alles giebt zusam-
men einen köstlichen Eindruck.
An den Privatgebäuden macht sich das damalige Schicksal Pa-
dua’s als venezianische Landstadt (seit 1405) empfindlich geltend.
Hundert Jahre später unterworfen, könnte es eine Physiognomie haben
wie Bologna. Statt dessen sind seine Portiken dürftig, seine Palazzi
sehr mässig. Ein heiteres kleines Gebäude ist die sog. Casa di Titoh
Livio (Pal. Cicogna), unweit vom Dom, an deren Fassade allerlei
kleine farbige Marmorplatten symmetrisch um die Fenster herum ver-
theilt sind; ein grosses sehr elegantes Mittelfenster beherrscht das
[224]Frührenaissance. Vicenza.
Ganze. (Wahrscheinlich war die Fassade einst bemalt.) — Mit Fal-
conetto tritt dann der Styl des XVI. Jahrhunderts in sein Recht.
In Vicenza übersieht man zu leicht neben den Bauten Palla-
dio’s die schönen Werke der frühern Renaissance, die doch als all-
gemeine Zeugnisse eines schon früher vorhandenen Bausinns es erst
recht erklären, wie ein solcher Meister aufkommen und eine so glän-
zende Laufbahn in der eigenen Heimath finden konnte.
Im Hof des Vescovato (beim Dom) ist eine zierliche kleine Halle
vom Jahr 1494 erhalten; unten Rundbogen, oben eine Fensterreihe
mit Pilastern und geradem Gebälk. — Unweit von der Basilica Pal-
bladio’s findet sich das steinerne Häuschen N. 1828, noch halb-
gothisch obwohl vom Jahr 1481, kenntlich an dem Motto: Il n’est
rose sans espine; eines der allerniedlichsten Gebäude dieser Art, mit
kleeblattförmig vortretenden Balcons, deren Consolen aus Laubwerk,
Greifen, Füllhörnern bestehen; die obern Fenster mit Candelabern ein-
gefasst, ihre Zwischenräume mit gemeisselten Arabesken verziert. Ein
gleichzeitiger Nebenbau von Mauerwerk war mit farbigen Arabesken
cbemalt. — Ein grösserer Palast, dessen freie untere Halle durch Auf-
höhung des Bodens halb vergraben worden ist, steht beim Ponte de’
dGiangioli. — Das Haus N. 1944, mit dem Motto: Omnia prætereunt,
redeunt, nihil interit, ist unten mit einer sonderbaren, gitterartigen
Verzierung überzogen, sonst von guten Verhältnissen. — Schon aus
eder classischen Zeit stammt dann das Häuschen N. 1276, ein ganz
merkwürdiger Versuch, selbst in den allerkleinsten Dimensionen mo-
numental bedeutend sein zu wollen. Mit der Fassade gelang es; mit
dem Höfchen doch nicht mehr.
Von da bis auf Palladio ist eine zwar nicht reichliche, aber doch
nie zu lang unterbrochene Reihe von mehr oder weniger stattlichen
Privatgebäuden vorhanden, welche die Vorstufen seiner Werke bilden.
Verona war die Vaterstadt eines der berühmtesten Architekten
der Frührenaissance, des Fra Giocondo (geb. um 1435, starb nach
1514). Seine Thätigkeit gehörte meist dem Auslande an, doch hat er
[225]Verona. Brescia.
in der Heimath wenigstens ein wichtiges Gebäude, den Palazzoa
del Consiglio (am Signorenplatz) hinterlassen. Bei grosser Eleganz
ist dasselbe doch in der Anordnung weniger gelungen als die ähn-
liche Loggia del Consiglio zu Padua; viertheilig, sodass ein Pfeiler
auf die Mitte trifft; die Flachrundgiebel der obern Fensterreihe an
das Gesimse stossend; die Sculpturnischen in der Mitte nicht gut an-
gebracht. Vorzüglich fein und gediegen ist das bauliche Detail (Ge-
simse, Archivolten etc.), weniger das bloss decorative. Die Spuren
der gemalten Arabesken an sämmtlichen Mauerflächen sind so weit
erhalten, dass man sich das Untergegangene hinzudenken kann. —
Sonst gilt z. B. noch das schöne Portal von S. Maria della Scala alsb
Werk Fra Giocondo’s; anderes ist weder bedeutend, noch sicher
von ihm.
Von den Privatpalästen der Frührenaissance ist kein einziger
baulich wichtig; der Ersatz hiefür lag in der speciell veronesischen
Sitte, die Fassaden von oben bis unten zu bemalen, wovon bei spä-
terem Anlass.
Von den Kirchen ist S. Nazario e Celso gothisch angefangenc
und gegen 1500 ausgebaut; S. Maria in Organo vom Jahr 1481 (died
Fassade 1592); erstere dreischiffig mit Pfeilern, letztere eine Säulen-
kirche mit Tonnengewölbe, einigermassen an S. Sisto in Piacenza
erinnernd, nur dass der Fries über den Bogen mit vollfarbigen Ge-
schichten bemalt ist. (Viereckige Kuppel.) Beide Kirchen sind mehr
durch ihre decorativen Zuthaten bedeutend.
Brescia besitzt vor Allem einen höchst ansehnlichen Palazzoe
communale, der 1508 von einem einheimischen Künstler, For-
mentone, erbaut oder doch begonnen wurde. Das Erdgeschoss,
nach lombardischem Brauch mehr als zur Hälfte eine offene Halle
bildend, hat innen Säulen, aussen Pfeiler mit sonderbar hineingestell-
ten Wandsäulen (an den Seitenfronten nur glatte Pilaster); in den
Bogenfüllungen tiefe Medaillons mit Büsten römischer Kaiser u. s. w.;
der Fries trägt bereits tüchtige Löwenköpfe. Das Obergeschoss tritt,
wie am Pal. del Podestà zu Bologna, beträchtlich zurück; die Ba-
lustrade, welche einigermassen vermitteln sollte, ist nur vorn aus-
B. Cicerone. 15
[226]Frührenaissance. Brescia. Bergamo.
geführt. Die Wanddecoration — dünne Pilaster mit derben Arabesken,
Schilde mit schwarzen Halbkugeln, Einrahmungen von grauem Mar-
mor — hat einen spielend decorativen Charakter. Zu diesem Ganzen
componirte später Jacopo Sansovino den reichen vegetabilischen Fries
mit Putten und das Kranzgesimse, Palladio aber die schönen Fenster,
deren Obersims mit Consolen seinen Styl leicht verräth. (Die Attica
modern, der kleine Anbau rechts wohl ebenfalls von Formentone.)
Von einfacherer, älterer Renaissance sind die links gelegenen
aPrigioni, in der Mitte durch eine hübsche Durchgangshalle unter-
brochen. — Privatpaläste sind wenige oder keine aus dieser Zeit vor-
bhanden; Pal. Longo, an sich nicht eben bedeutend, gehört schon dem
Styl des XVI. Jahrhunderts an.
Endlich eine der wunderlichsten Kirchen der Frührenaissance:
cS. Maria de’ miracoli. Die Fassade, im Styl der Lombardi, hat
ganz die engräumige venezianische Pracht, welche deren Bauten be-
zeichnet; das heiterste Detail — unterhöhlt gearbeitete Arabesken,
runde Freibogen als obere Mauerabschlüsse etc. — kann den Mangel
an Composition nicht ersetzen. Innen ein griechisches Kreuz mit vier
Eckräumen; sonderbarer Weise haben hier diese letztern und der
mittlere Kreuzraum Tonnengewölbe, während 4 Kuppeln (zwei höhere
und zwei niedrigere) auf die 4 Kreuzarme vertheilt sind; der Chor
ein hinterer Anbau mit Tonnengewölbe. Candelaberartige Säulen zwi-
schen den Hauptpfeilern isoliren die einzelnen Räume; die Durchblicke
gewähren mit dem eigenthümlichen Lichteinfall ganz angenehme Ar-
chitekturbilder, wozu der Reichthum des Einzelnen — hier eher im
Styl eines Scarpagnino — ebenfalls beiträgt. Unter den Versuchen
im Gebiet des Vielkuppelsystems ist diess Gebäude einer der ge-
wagtesten. (Die obern Theile des ganzen Innern sind durch Rococo-
stuccaturen nicht gerade entstellt, doch ihres wahren Charakters be-
draubt.) — An S. Maria delle grazie verdient der artige kleine Hof
mit dem Brünnchen wenigstens einen Blick.
In Bergamo ist die an S. Maria maggiore angebaute Capelle
Coleoni innen stark erneuert, aussen eine bunte, reiche und in ihrer
[227]Decoration der Renaissance.
Art graziöse Composition, aus schwarzem, weissem und rothem Mar-
mor, mit einer Menge von Sculpturen und den feinsten Prachtara-
besken. Der Oberbau hat etwas Spielendes.
Es mag nicht sehr methodisch scheinen, wenn wir bei einem so
vorzugsweise decorativen Baustyl die Werke der Decoration im
engern Sinne besonders aufzählen, zumal da manche derselben von
den nämlichen Künstlern herrühren, welche die Schicksale der Bau-
kunst im Grossen bestimmten. Vielleicht aber wird man uns einst-
weilen der Übersicht zu Gefallen beipflichten.
Die Anfänger der Decoration dieses Styles sind nur zum Theil
Architekten; ausser Brunellesco hat auch der Bildhauer Donatello und
wahrscheinlich auch der paduanische Maler Squarcione einen bedeu-
tenden Antheil an diesem Verdienst; der letztere war selbst in Grie-
chenland gewesen, um antike Fragmente aller Art zu erwerben. Die
Gunst, welche die neue Zierweise fand, ist um so erklärlicher, als
das Decorative gerade die schwächste und am meisten mit Willkür
behaftete Seite der bisher herrschenden italienischen Gothik gewesen
war; zudem musste die begeisterte Anerkennung, welche der gleich-
zeitig neu belebten Sculptur entgegen kam, auch derjenigen Kunst
zu Statten kommen, welche für die möglichst prächtige Einrahmung
der Sculpturen sorgte. In der technischen Behandlung der Stoffe, des
Marmors, Erzes, Holzes, waren die Fortschritte für beide Künste ge-
meinsam.
Die Gegenstände waren dieselben, wie bisher, allein die Behand-
lung und der Aufwand wurden offenbar bedeutender. Wenn man
einzelne wenige Prachtarbeiten der gothischen Zeit, wie die Gräber der
Scaliger in Verona, die Gräber der Könige Robert und Ladislas in Nea-
pel, den Altartabernakel Orcagna’s in Florenz ausnimmt, so hat schon
an äusserm Reichthum die Renaissance das Übergewicht. Man ver-
gleiche nur in Venedig die gothischen Dogengräber mit denjenigen
des XV. und des beginnenden XVI. Jahrhunderts. Die Schmuckliebe
15*
[228]Renaissance-Decoration.
ist überhaupt grösser geworden, was sich z. B. schon in der Malerei
auf das Deutlichste zeigt.
Über die wichtigern Gattungen der betreffenden Denkmäler ist
vorläufig Folgendes anzudeuten:
Die freistehenden Altäre mit Tabernakeln auf Säulen kommen
fortwährend, doch minder häufig vor.
Eine besonders grosse Ausdehnung gewinnt der sculpirte Wand-
altar; unten, an der Vorderseite des Tisches mit Reliefs, oben über
dem Tische mit Statuen oder Reliefs in reicher architektonischer Ein-
fassung versehen. Bisweilen wird die ganze betreffende Wand als grosse
Prachtnische mit Bildwerk und Ornamenten aller Art ausgebildet.
Steinerne Chorschranken, Balustraden u. dgl. erhalten oft
eine überaus prachtvolle Decoration.
Sängerpulte und Orgellettner werden ebenfalls nicht selten
mit dem grössten Luxus ausgestattet.
Die Kanzel dagegen verliert den umständlichen Säulenbau und
steht entweder auf Einer Säule oder hängt auch nur an einem Pfei-
ler des Hauptschiffes. Der reichste decorative und figürliche Schmuck
wird fortwährend daran angebracht.
Die Bodenmosaiken, wo sie noch vorkommen, wie in der
sixtinischen Capelle und in den Stanzen des Vaticans, in der Grab-
capelle des Cardinals von Portugal in S. Miniato bei Florenz, in der
Capelle des Pal. Riccardi daselbst, u. a. a. O., wiederholen die be-
kannten Ornamente der altchristlichen Zeit und des Cosmatenstyles.
(Eine besondere Gattung sind die von Marmor verschiedener Farben
aeingelegten Geschichten, welche den Boden des Domes von Siena
ausmachen, und von welchen auch im Mittelschiff des Domes von
bLucca ein Muster, das Urtheil Salomo’s, vorkömmt.) Im Ganzen
wandte man die vorhandenen Mittel nicht mehr auf einen Luxus des
Fussbodens, dessen übermässige Pracht den Blick von den Bauformen
abgezogen hätte. Die grossen Baumeister fühlten, dass eine einfache
Abwechselung von Flächen, in Marmorplatten von 2 oder 3 Farben
ausgedrückt, am ehesten in Harmonie stand mit dem Gebäude selbst 1).
[229]Renaissance-Decoration.
Ein ausserordentlicher Luxus, dessen Fülle jetzt noch in Er-
staunen setzt, wurde auf die Grabmäler verwandt. Gegen das
manierirte italienisch-gothische Grab gehalten, ist das Renaissancegrab
in jeder Beziehung im Vortheil. Der bisherige Sarcophag auf Säulen
oder Tragfiguren, mit seiner unsichtbar hoch angebrachten liegenden
Statue, der Tabernakel auf Säulen mit seinem Gemälde im tiefen
Schatten, seinen allzuhoch aufgestellten Statuetten, seinen Vorhang-
ziehenden Engeln u. s. w. — Diess Alles wurde schön und sinnvoll
in vernünftigen Verhältnissen umgestaltet. Das Ganze bildet in der
Regel eine nicht zu tiefe Nische, in welcher unten der Sarcophag
steht; auf diesem liegt entweder unmittelbar oder über einem zier-
lichen Paradebette die Statue. Im obern Halbrund findet man ins-
gemein eine Madonna mit Engeln in Hochrelief, oder auch die Ge-
stalten von Schutzheiligen. Die Pfosten der Nische, die Enden des
Sarcophages, die Ansätze und die Mitte des obern Bogens erhalten
dann noch je nach Umständen eine Anzahl von Statuetten oder Re-
lieffiguren, welche Heilige, Kinderengel (Putten), Allegorien etc. dar-
stellen. An Gräbern von Kriegern und Staatsmännern, die zumal in
Venedig und Neapel vorherrschen, macht sich eine sehr vielgestaltige
Composition, bisweilen auch schon ein Missbrauch der Allegorien
geltend.
In den Sacristeien und in der Nähe der Klosterrefectorien finden
sich oft reichverzierte Brunnen.
Das Gitterwerk einzelner Kirchenräume ist nicht selten mit
vielem decorativem Geschick behandelt.
Die wenigen ehernen Kirchenpforten, die man hauptsächlich
um ihrer Sculpturen willen betrachtet, sind durchgängig (Ghiberti’s
Thüren) in decorativem Betracht nicht minder bewundernswerth.
Die Holzdecoration (Chorstühle, Sacristeischränke etc.) wird
unten im Zusammenhang erörtert werden.
[230]Renaissance-Decoration. Die Arabeske.
In profanen Gebäuden ist aus begreiflichen Ursachen weit weniger
von dem alten Zierrath zu finden, als in Kirchen, und das Wenige
(einzelne Thüren, Kamine u. dgl.) ist nicht immer leicht sichtbar. Da
die Wände fast bis unten mit Teppichen bedeckt wurden, so con-
trastirten sie nicht wie bei ihrer jetzigen Nacktheit gegen die ge-
aschnitzte und vergoldete Decke. In einzelnen Beispielen (sixtinische
bCapelle, Sala de’ Gigli im Pal. vecchio zu Florenz) wurde auch für
den Anblick bei weggenommenen Teppichen durch bloss gemalte ge-
sorgt. — Wir rechnen übrigens im Nachstehenden nicht nur die gemal-
ten Einfassungen von Räumen, Oeffnungen und Gemälden, so weit
sie von sprechender Bedeutung sind, ebenfalls zu dieser Gattung,
sondern die Decorationsmalerei im weitern Sinne. Mit einer
Übersicht der Denkmäler der letztern wird vorliegender Abschnitt
schliessen.
Die Architektur und das Arabeskenwerk an diesen Ziergegen-
ständen ist noch bis über die Hälfte des XV. Jahrhunderts hinaus
einfach im Vergleich mit dem spätern Raffinement, ja selbst befangen
und unsicher. Vielleicht waren es weniger die grossen Baumeister,
als die Bildhauer und Maler, welche die Ausbildung dieses Kunst-
zweiges bis zur höchsten und edelsten Eleganz übernahmen. (Wobei
freilich nicht zu vergessen, wie oft die drei Künste damals in Einer
Hand beisammen waren, sodass nur der Zufall über die grössere Be-
schäftigung und Anerkennung in einer derselben entschied.)
Die Arabeske des XV. und beginnenden XVI. Jahrhunderts ist
eine fast selbständige Lebensäusserung der damaligen Kunst; von ver-
hältnissmässig gewiss sehr wenigen, bloss plastischen antiken Vor-
bildern (Thürpfosten, Friesen, Sarcophagen) ausgehend, hat sie das
Höchste erreicht aus eigenen Kräften. Ich glaube, ohne es beweisen
zu können, dass dem Desiderio da Settignano ein wesentlicher Theil
dieses Verdienstes angehört. An den ihm zugeschriebenen Werken
ist die Arabeske und das Architektonische vielleicht am Frühsten
ganz edel und reich gebildet. Von seiner Werkstatt ging dann Mino
da Fiesole aus, der ihm eine ausserordentliche Gewandtheit und De-
licatesse in der Behandlung des Marmors verdankte. Mino’s Stellung
[231]Die Ausartung.
in Rom erleichterte wahrscheinlich die rasche Verbreitung der ohnehin
leicht mittheilbaren Decorationsmotive, die man denn auch an weit
auseinander gelegenen Orten bisweilen fast identisch wieder findet.
Eine grosse Umwandlung trat, wie wir sehen werden, mit der
Entdeckung der Titusthermen ein. Das neue, aus Malerei und Plastik
wunderbar gemischte System, welches man ihnen, vielleicht auch an-
dern Resten entnahm, fand seinen reichsten und schönsten Ausdruck
in den Loggien des Vaticans.
Von dieser Leistung an geht es rasch abwärts. Sowohl die ge-
malte, als die in Marmor und Stucco gebildete Decoration wird fast
plötzlich nicht mehr mit derjenigen Liebe zum Einzelnen behandelt,
welche ihr bisher zu Statten kam; sie geräth in eine völlige Abhän-
gigkeit von den grossen baulichen Gesammteffekten, welche sich nicht
mehr durch zierliches Einzelnes wollen stören lassen; sie muss der
Architektur ihre inzwischen empfindungslos und willkürlich gewordene
Profilirung, ihre Behandlung der Flächen u. s. w. nachmachen, anstatt
durch Reichthum gegen ein einfacheres Ganzes contrastiren zu dürfen.
(Diess ersetzt sich gewissermassen durch den grössern Massstab der
plastischen Figuren, welche jetzt erst in bedeutender Menge lebens-
gross und selbst colossal verfertigt werden.) — Innerhalb der Ver-
zierungsweise selbst zeigt sich ebenfalls grosse Entartung. Das von
Rafael so genau abgewogene Verhältniss des Figürlichen zum bloss
Ornamentistischen und beider zur Einrahmung geräth ins Schwanken;
ersteres wird unrein und oft burlesk gebildet (z. B. die Masken jetzt
als Fratzen); letzteres verliert in den vegetabilischen Theilen den
schönen, idealen Pflanzencharakter, dessen Stelle jetzt eine conven-
tionelle Verschwollenheit einnimmt; ein allgemeiner Stoff, einem ela-
stischen Teige vergleichbar, wird in Gedanken willkürlich voraus-
gesetzt. (Sehr kenntlich ausgesprochen in den sog. Cartouchen, bei
welchen man sich vergebens frägt, in welchem Material sie gedacht
seien.) — Im Verlauf der Zeit wird die ganze Gattung wieder von
der Architektur und von der Sculptur absorbirt; d. h. die Gegen-
stände selbst, Altäre, Kanzeln, Grabmäler, Thürpfosten u. s. w. werden
fortdauernd in Masse gefertigt, aber sie haben keinen eigenen, abge-
schlossenen Styl mehr, sondern sind Anhängsel der beiden genannten
Künste.
[232]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
Wir greifen hier absichtlich tief in das XVI. und selbst in das
XVII. Jahrhundert hinab, um eine Menge von Einzelheiten mit einem
Mal vorzubringen, die sich bei den spätern Epochen der Baukunst
(wo sie der Zeit nach hingehören) sehr zerstreut ausnehmen würden.
Dem Styl nach ist es ohnediess meist ein Nachklang der Frührenais-
sance, für deren schönen und reichen Anblick die Decoration des
spätern Systemes keinen rechten Ersatz gewährte, und die man daher
stellenweise reproducirte.
Verschollen und verschwunden sind natürlich alle jene prächtigen
Decorationen des Augenblickes, von welchen Vasari eine so grosse
Menge mitten unter den bleibenden, monumentalen Kunstwerken auf-
zählt. Die Begeisterung, mit welchen er die Bauten und Geräthe für
Festzüge, die Triumphbogen und Theater für einmalige Feierlichkeiten
schildert, lässt uns die Fülle von Talent ahnen, dessen Entfaltung
und Andenken mit dem hinfälligen Stoff, mit Holz, Leinwand und
Stucco unwiederbringlich dahingegangen ist.
Auch die Aufzählung der decorativen Werke beginnt wie die der
Bauwerke billig mit Florenz, und zwar mit Brunellesco selbst.
Ohne völlige Sicherheit, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit kann man
aihm den Entwurf zu der Lesekanzel des Refectoriums und zu dem
bBrunnen von dessen Vorraum in der Badia bei Fiesole zuschreiben;
in der leichten, edeln, auf das Ganze gehenden Zierweise spricht sich
mehr der Architekt als der Bildhauer aus. In der Kirche sind die
cAufsätze der beiden Thüren des Querschiffes sicher von ihm; von
dem artigen Giessbecken mit zwei Putten in dem hintern Nebenraum
rechts, durch welchen man in die Kirche geführt wird, lässt sich diess
weniger behaupten. Die Leibung einer Thür im Hof mit einfach edeln
Arabesken ist wohl wieder von seiner Erfindung. — Nach diesen
dWerken zu urtheilen, kann der sehr prächtige, fein incrustirte Orgel-
lettner von S. Lorenzo mit seinen kleinlichen Motiven nicht von Bru-
enellesco entworfen sein. Aber der köstliche Brunnen in dem linken
Nebenraume der Sacristei, mit den Drachen an dem Brunnstock und
[233]Die Florentiner.
den Löwenköpfen an der untern Schale möchte vielleicht sein Bestes
in dieser ganzen Gattung und eines der trefflichsten Zierwerke der
Frührenaissance überhaupt heissen dürfen.
Ghiberti geht als Decorator in Erz sogleich weit über die
Schranken der Arabeske hinaus, am Anfang noch mit einiger Scheu,
zuletzt ohne Rückhalt. Die Pfosten seiner drei Thüren haben an dera
Innenseite nur flache Arabesken, die späteste (mit den Thürflügeln
Andrea Pisano’s) gerade die schönsten; an den Aussenseiten dagegen
stellte er Fruchtgewinde und Vögel, auch Köpfe u. a. m. in voller unter-
höhlter Arbeit dar, an der Nordthür noch mässig, an der Ostthür sehr
reich und schön, an der spätesten, südlichen schon überreich und na-
turalistisch, als wäre der Guss über den Gegenstand selbst gemacht
worden. An den Pforten der Ostthür sind die Einrahmungen zwar
zum Stoff und zur Function trefflich gedacht, in der Einzelform aber
nicht ohne einen barocken Anklang. An den beiden Reliquienkastenb
(s. unten) ist das Ornament mehr als billig untergeordnet.
Donatello ist in seinen Decorationen überaus gewagt. (Ein-
fassung seiner Annunziata in S. Croce, nach dem fünften Altar rechts,c
des wunderlichen Madonnenreliefs in der Capelle Medici ebenda, mitd
buntem Glas; reiche Nische an Orsanmichele mit der Gruppe Veroc-e
chio’s.) Es ist mehr die muthwillige Seite der Frührenaissance, welche
mit ihrem von Rom geholten Reichthum noch nicht Haus zu halten
weiss. Von seinem Bruder, dem schon genannten Simone, rührt das
prächtige eherne Gitter an der Capelle der Madonna della Cintola imf
Dom von Prato her, mit den durchsichtigen Friesen und Seitenfriesen
von Rankenwerk und Figürchen, und den Palmetten und Candelabern
als Bekrönung; ebenso die Einrahmung der Hauptpforten von S. Peterg
in Rom. — Ausserdem stammt wohl von Simone ein gewisser ein-
facherer Typus von Grabmonumenten, welcher schon seit Mitte des
XV. Jahrhunderts, vielleicht zuerst am Grabe des Gianozzo Pandol-h
fino († 1457) in der Badia und dann noch öfter recht schön vor-
kömmt. Er besteht in einer halbrunden, mit Laubwerk eingefassten
Nische, in welcher der mehr oder weniger verzierte Sarcophag auf-
gestellt ist; die Wand darunter wird durch wohl eingefasste farbige
Steinplatten als eine Art Unterbau charakterisirt. (S. Croce, Capellai
[234]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
adel sagramento; S. Annunziata, fünfte Capelle rechts; Dom von Prato,
hinterste Capelle links u. s. w.)
Ein sehr artiger Zierbau Michelozzo’s ist das Sacellum des
vordern Altars in S. Miniato mit seinem Tonnengewölbe voll glasirter
Cassetten. Viel prachtvoller, nur leider durch einen barocken Auf-
csatz des vorigen Jahrhunderts entstellt, der Tabernakel in der Annun-
ziata zu Florenz (links vom Eingang); mit farbigem Fries, Cassetten-
dwerk etc. (Womit zu vergleichen: seine unruhig reiche Decoration
in der Capelle des Pal. Riccardi.)
Von einem Schüler Donatello’s, dem oben (Seite 183) als Bau-
emeister genannten Bernardo Rosellino ist das Grabmal des Lio-
nardo Aretino im rechten Seitenschiff von S. Croce; bei aller Pracht
noch etwas befangen, sodass der noch ganz rechtwinklich gestaltete
Sarg auf schweren Stützen ruht; auch das Postament kleinlich, der
Teppich der Bahre mit Raffinement verziert.
Die Bronzedecorationen, welche von Verocchio und Ant. Pol-
lajuolo vorhanden sind, haben bei jenem etwas Schwülstiges und
fSchweres (mediceischer Sarcophag, in der Sacristei von S. Lorenzo
in Florenz), bei diesem etwas barock Spielendes (Bronzegrabmal Six-
gtus IV in der Sacramentscapelle von S. Peter in Rom). Beide aber
und Pollajuolo zumal, entwickeln einen glänzenden Reichthum an
Zierformen; der letztere hat sich nur durch das Motiv eines Parade-
bettes zu weit führen lassen, während der erstere das Motiv des
Gitters (Strickwerk) auch auf den Sarg ziemlich unglücklich anwandte.
Ein bedeutender neuer Anstoss war inzwischen in die Renaissance
gekommen durch Desiderio da Settignano. Das einzige grosse
hWerk desselben, das Grabmal des Carlo Marzuppini im linken Seiten-
schiff von S. Croce (nach 1450), wurde früher hauptsächlich wegen
der naturalistischen Wahrheit einzelner Ornamente bewundert; wir
erkennen darin den höchsten decorativen Schwung und Styl, der
durch griechische, nicht bloss römische Muster geläutert scheint. Hier
ist alle Willkür verschwunden; die glücklichste Unter- und Überord-
nung macht auch den vollsten Reichthum geniessbar. Was vielleicht
später nicht wieder in dieser Reinheit und Pracht erreicht wurde, ist vor-
züglich das Rankenwerk am Sarcophag. — Auch an dem Wandtabernakel
i der Schlusskapelle des rechten Querschiffes in S. Lorenzo ist das wenige
[235]Die Florentiner.
Ornament sehr schön. (Das Christuskind von Baccio da Montelupo.)
Wahrscheinlich eher von Desiderio als von Verocchio ist auch die
prächtige eherne Basis, welche jetzt in den Uffizien (zweites Zimmera
der Bronzen) eine antike, ebenfalls eherne Statue trägt. Sie will nicht
ein freies Ornament, sondern ein reich verziertes Postament von we-
sentlich architektonischem Charakter sein. Die Reliefs auf zwei Sei-
ten sind ebenfalls trefflich und würden dem Desiderio entsprechen.
Desiderio’s Schüler war nun der in Florenz und Rom vielbeschäf-
tigte Mino da Fiesole, durch welchen, wie es scheint, die floren-
tinische Renaissance erst recht weit in Italien herumkam. Mino hat
in einzelnen florentinischen Arbeiten seinen Lehrer nahezu erreicht;
man wird namentlich in den beiden Grabmälern der Badia (des Ber-b
nardo Giugni 1466 und des Grafen Hugo 1481, im rechten und linken
Kreuzarm der Kirche) eine Fülle des herrlichsten decorativen Lebens
in beinahe griechischen Formen, in den edelsten Profilen bemerken.
Auch der Altar in der Capelle del miracolo in S. Ambrogio ist or-c
namentistisch von ähnlichem Werthe. In der Annunziata hat die köst-d
liche Sacristeithür etwas von Mino’s Styl.
Allein die römischen Arbeiten entsprechen dieser Schönheit nicht
ganz. Bei Anlass der römischen Renaissance wird wieder davon die
Rede sein.
Von Benedetto da Majano ist die Kanzel in S. Croce, schone
in decorativer Beziehung eines der grössten Meisterwerke, leicht und
prachtvoll. Wahrscheinlich um das zarte Gebilde nicht zu stören,
versteckte der Meister die Treppe kunstreich in den Pfeiler selbst,
an dessen Rückseite das schöne Thürchen mit eingelegter Arbeit den
Eingang bildet 1). — In ihrer Art ebenfalls vom Allertrefflichsten: die
Marmorthür in der Sala de’ Gigli des Pal. vecchio, mit zart figurirtemf
Fries und Capitälen. — Von den Prachtthoren, die Benedetto’s Bru-
der Giuliano in Neapel errichtete, ist schon Seite 195 die Rede
gewesen. — Als Decoratoren in Holz werden Beide noch einmal zu
nennen sein. In der Sagr. nuova des florent. Doms, wo das Getäfel
von ihnen ist, kann der marmorne Brunnen, der so viel geringer ist als
[236]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
ihre Marmorarbeiten, kaum auf ihre Rechnung kommen. (Eher auf
adie eines gewesenen Buggiano, von welchem der Brunnen in der Sa-
grestia vecchia und der Reliefmedaillon Brunellesco’s ebenda herrührt.)
Dem Giuliano da San Gallo werden die beiden schönen Grä-
bber der Capelle Sassetti in S. Trinità zugeschrieben. Sie sind vielleicht
die schönsten des (S. 233, h) bei Anlass des Simone di Donatello erwähn-
ten Typus und überdiess durch zierliche Reliefs interessant. (Copien
nach Motiven antiker Sarcophage etc.)
Von unbekannten Meistern sind die Zierarbeiten der Certosa. Sehr
ausgezeichnet und früh, ja an diejenigen Brunellesco’s erinnernd: der
cBrunnen des dritten Hofes als Sarcophag auf verschlungenen Drachen
druhend; das Lesepult im Refectorium.
Den Auslauf der Marmordecoration in das Derbe, Schattige und
Kräftige zeigen hier die Arbeiten des Benedetto da Rovezzano:
edie zu seinen Reliefs in den Uffizien (Gang der toskanischen Sculp-
ftur) gehörenden Einfassungen, das Kenotaphium des Pietro Soderini
g(† 1522) im Chor des Carmine, das Kamin im Saal des Pal. Roselli
hdel Turco und das Grabmal des Oddo Altoviti in der nahen Kirche
SS. Apostoli (linkes Seitenschiff). Die Arabeske sucht mit der nachdrück-
licher gewordenen architektonischen Profilirung Schritt zu halten; sie
vereinfacht sich und verstärkt ihr Relief. — Von Benedetto ist auch
die Decoration der Kirchthür. — Noch eher der Frührenaissance zu-
igewandt: die ebenfalls dem Benedetto zugeschriebene Thür der Badia
(gegen den Pal. del Podestà hin).
Auch ganz späte Arbeiten sind nicht zu übersehen. So beweisen
kdie beiden marmornen Orgellettner in der Annunziata — reiche Balustra-
den mit Consolen über Triumphbogen — dass selbst die Detailformen
der Frührenaissance zu solchen Zwecken bis gegen Ende des XVI.
Jahrhunderts hie und da wiederholt wurden, als es daneben längst
ein neues (aber freudloseres) Ornament gab. — Dagegen giebt das
lPiedestal von Benv. Cellini’s Perseus an der Loggia de’ Lanzi
den beginnenden Barockstyl in seiner zierlichsten Gestalt. — Bandi-
mnelli in den decorativen Theilen seiner Basis vor S. Lorenzo ver-
fährt ungleich schöner und mässiger.
[237]Die Florentiner.
Neben all diesen Bemühungen, dem Marmor und Metall das
reichste und edelste decorative Leben mitzutheilen, gab die Schule
der Robbia das lehrreiche Beispiel weiser Beschränkung. Ihr Stoff,
der gebrannte und glasirte Thon, hätte zur Noth eine Art von Con-
currenz gestattet, allein in dieser goldenen Kunstzeit giebt sich kein
Material für das aus, was es nicht ist, sondern jedes lebt unverhohlen
seinen innern Bedingungen nach. — Die Robbia, welche lieber schön
brennen und zart und gleichmässig glasiren als grosse Platten auf einmal
fertig machen wollten, setzten ihre Arbeiten aus vielen Stücken zusammen
und verhehlten die Fugen nicht, während der Marmor in den grössten
Blöcken bearbeitet wurde. Ausserdem konnten sie mit demselben
auch in der Schärfe der Behandlung nur mühsam wetteifern. Ihre
Arabesken sind daher bescheiden. Allein sie ersetzen, was abgeht,
durch Kraft und Tiefe der Modellirung, durch reichliche Anwendung
von Fruchtkränzen, welche Strenge und Fülle in hohem Grade ver-
einigen, hauptsächlich aber durch die drei oder vier Farben (gelb,
grün, blau, violett), welche lange Zeit und absichtlich ihre ganze Pa-
lette ausmachen. Das bloss Plastische, das farbige Plastische und das
bloss Gemalte wechseln in klarster und bewusstester Abstufung. Es
genügt einstweilen, auf ein Meisterwerk wie der Sacristeibrunnen ina
S. Maria novella hinzuweisen. (Vgl. Seite 228, Anmerkung.)
Die Fahnen- und Fackelhalter an einzelnen Palästen, durchgängig
von geschmiedetem und gefeiltem Eisen, mit herabhängenden Ringen,
beweisen in ihrer einfach schönen Behandlung ebenfalls die allgemeine
Kunsthöhe, welche jedem Stück sein besonderes Recht wiederfahren
liess. Da sie zu dem Ernst der Rusticabauart passen mussten, so ist
es leicht, sie an Pracht zu überbieten, aber für ihre Function bedurf-
ten sie der derben Form. An Pal. Strozzi sind auch noch die ge-b
waltigen und dabei reichen Ecklaternen des Caparra (eig entlich Nic.
Grosso) erhalten; eine ähnliche auch an Pal. Guadagni. Es ist, alsc
ginge aus der Ecke des Gebäudes ein Strahl von Strebekraft in das
Eisenwerk hinein.
[238]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
In Pisa folgt die Renaissance hier wie im Grossen der florenti-
nischen.
Vielleicht das Schönste von Allem ist hier das Weihbecken im
rechten Seitenschiff des Domes; Italien enthält reichere, aber kaum
bein edleres. — Möglicher Weise von derselben Hand: das Lesepult,
auf einem Adler ruhend, am Chor.
Im XVI. Jahrhundert arbeitete ein gewesener Stagi (wie man
cbehauptet, unter dem Einfluss Michelangelos) das Grabmal des Ga-
maliel, Nicodemus und Abdias im rechten Seitenschiff, die Nische mit
deinem heiligen Bischof im rechten Querschiff des Domes und das
eGrabmal Dexio im Campo santo; lauter schwüles, überladenes Ara-
beskenwerk, das schon an die gleichzeitige neapolitanische Schule
(um 1530, s. unten) erinnert. Benedetto da Rovezzano mit seiner
einfachern Derbheit war auf einer richtigern Spur gewesen. Von Stagi
oder eher von einem unbekannten Meister: die beiden figurirten Ca-
fpitäle auf der Osterkerzensäule und auf der gegenüberstehenden, im
Chor des Domes.
In S. Sisto: zwei einfach schöne marmorne Weihbecken. (Bei
hdiesem Anlass sind die beiden in S. Marco zu Florenz nachzuholen).
In Lucca ist, abgesehen von wenigen ältern Sachen, wie z, B.
idas energische Portal des erzbischöflichen Palastes, der grosse Bild-
hauer Matteo Civitali auch für die Decoration der erste und der
letzte. Seine Behandlung verräth die Schule Settignano’s und die
Genossenschaft des Mino da Fiesole, aber er ist durchgängig ernster,
architektonischer, auch weniger fein und elastisch als die beiden. Im
kDom ist von ihm der Zierbau des Tempietto (1484), eine Aufgabe,
die vielleicht andere Zeitgenossen graziöser gelöst hätten, ohne doch
einen höhern Eindruck hervorzubringen. Sodann die Kanzel (1498),
die Einfassung des Grabmals des Petrus a Noceto (1472) und viel-
leicht auch die ganze untere Einfassung der Sacramentscapelle, beides
im rechten Querarm, sowie die schönen decorativen Theile seines Re-
gulus-Altares (1484), zunächst rechts vom Chor. Auch die Marmor-
pilaster in der hintersten Capelle des linken Querarmes werden ihm
izugeschrieben. — In S. Salvatore ein Marmorrahmen um ein Altar-
[239]Pisa. Lucca. Siena.
bild. — In S. Frediano der neuere Taufbrunnen (als Nische) in dera
Nähe des Alten.
Die Weihbecken der lucchesischen Kirchen meist schön.
In Siena empfängt uns die Renaissance gleich beim Eintritt in
den Dom mit den beiden marmornen Weihbecken, deren eines vonb
Jacopo della Quercia herrührt. (Einen antiken Fuss hat keines
von beiden). Es giebt einfach schönere Weihbecken des entwickeltern
Styles in andern Kirchen von Toscana, aber keine prachtvollern. Die
Aufeinanderfolge von Flachsculpturen, stützenden Statuetten, Festons,
Adlern und Wasserthieren als Trägern der Schalen etc. giebt einen
wahrhaft reichen und festlichen Eindruck. Die Fische im Innern der
Schalen wird man der übergrossen Verzierungslust zu Gute halten 1).
Als eine Familie von Decoratoren in Marmor, und zwar wohl un-
abhängig von den gleichzeitigen Architekten, lernt man zunächst die
Brüder Marzini kennen, deren Werke in die Jahre um 1500 fallen.
Noch etwas alterthümlich: die Steinbank rechts in der Loggia desc
Casino de’ Nobili, mit besonders schöner Rückseite (vorgeblich nach
dem Entwuf Peruzzi’s, der aber damals wohl noch zu jung war. Die
Bank links ist von einem ältern Meister.) Von höchster Pracht undd
Vollendung: die kleine Fronte der Libreria im Dom (mit einem Re-e
lief des Urbano von Cortona) und der unvergleichliche Hauptaltar der
Kirche Fontegiusta (1517), an welchem nicht bloss die Ornamente
der ebengenannten Arbeit vollkommen gleich am Werthe, sondern
auch die Figuren von höchster Bedeutung sind. Die Engel und Engel-
kinder, der Fries von Greifen, ganz besonders das Relief der Lu-
nette — der todte Christus mit drei Engeln — gehören zum Schön-
sten und Ausdruckvollsten, was die Sculptur der rafaelischen Epoche
geschaffen hat. An keinem der damaligen römischen Grabmäler wüsste
ich z. B. eine Lunette von diesem Werthe nachzuweisen. — (In
S. Martino soll sich ein anderer sculpirter Altar derselben Meister
befinden.
[240]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
Mehr durch seine Ornamente und Proportionen im reinsten Styl der
Blüthezeit als durch seine (zum Theil auch sehr guten und als Jugend-
aarbeiten Michelangelo’s geltenden) Figuren behauptet der grosse Altar
Piccolomini im Dom (linkes Seitenschiff, zunächst vor der Fronte der
Libreria) eine classische S telle unter den damaligen Zierbauten. Als
Meister wird ein gewesener Andrea Fusina von Mailand genannt,
der das Werk in Rom gearbeitet haben soll. Ein Triumphbogen um-
giebt die Nische, in welcher sich der zierliche Altar erhebt. (Dem-
bselben Andrea soll auch das schöne Denkmal des Erzbischofes Birago
in der Passione zu Mailand, hinten rechts, angehören.)
Sodann hat Baldassare Peruzzi in der aus Stucco bestehen-
cden Wandbekleidung der runden Capelle San Giovanni (im Dom, lin-
kes Seitenschiff) den besten Geschmack in der Verzierungsweise der
Blüthezeit bekundet. Er hatte die Sculpturen des Neroccio, die Fres-
ken Pinturicchio’s einzurahmen und zugleich den Organismus seines
Baues zu behaupten. (Die Kuppel leider später; das Portal ein pomp-
haftes und überladenes Werk, schwerlich nach Peruzzi’s Erfindung.)
Von einfachern Altareinfassungen enthält z. B. S. Domenico zwei.
In der Regel hat der Barockstyl mit seinen weit und schattig vortre-
tenden Säulen und Giebeln diese mässigen, flachen Pilasterarchitek-
turen verdrängt oder verdunkelt. — Reich, aber schon von zweideu-
dtigem Styl: die Treppe zur Kanzel im Dom.
Ausserdem ist Siena classisch für die bronzenen oder eisernen
Fahnenhalter und Fackelhalter mit Ringen, welche im XV. Jahrhun-
dert an den toscanischen Palästen angebracht wurden. Zwar über-
treffen die genannten Laternen am Palast Strozzi in Florenz an Ruhm
ealles von dieser Gattung, doch dürften diejenigen am Palazzo del
Magnifico zu Siena (1504), von Ant. Marzini, ihnen im Styl über-
legen sein, wie sie denn zu den schönsten Erzzierrathen der Renais-
fsance gehören; eherne auch an Pal. della Ciaja; an den übrigen
Palästen (auch Piccolomini) ist das Mate rial meist Eisen. — Es ist
nicht bloss die Schönheit des einzelnen Stückes, mit seinen Akanthus-
blättern und seinen energischen Profilen, was uns diese Kleinigkeiten
werth macht, sondern viel mehr der Rückschluss auf den Humor und
die echte Prachtliebe jener Zeit, die Monumentales verlangte in Fäl-
len, wo wir uns mit dem Flitter des Augenblickes zufrieden geben.
[241]Siena. Perugia.
Das hübsche kleine Weihbecken in der Sacristei des Domes zua
Siena, emaillirt und auf einen Engel gestützt, von Giov. Turini,
und das noch einfachere bronzene in der Kirche Fontegiusta (zweiteb
Säule links) von Giov. delle Bombarde (1480) haben durch den-
selben monumentalen Ernst, der auch im Kleinen sich nicht zur leeren
Niedlichkeit bequemt, eine Bedeutung die weit über den absoluten
Formgehalt hinausgeht.
Lorenzo Vecchietta, als Bildhauer nur ein manierirter fleissi-
ger Nachfolger des Quercia und Donatello, als Maler den bessern
Zeitgenossen weit nachstehend, hat als Decorator in Marmor und in
Bronze einen eigenthümlichen Werth. Das eherne Ciborium (Sacra-c
menthäuschen) auf dem Hochaltar des Domes, wovon sich in der
Academie (Grosser Saal) die Originalzeichnung befindet, hat durchd
seine originelle energische Bildung auf die ganze sienesische Zierweise
Einfluss gehabt; er selbst bildete (vorher oder später) den marmornene
Aufsatz des Taufbrunnens in San Giovanni ähnlich; ein kleineres bron-
zenes Ciborium in der Kirche Fontegiusta (2. Altar rechts), schönerf
als diese beiden Arbeiten und in seinen untern Theilen fast griechisch
lebendig, ist entweder von ihm oder von einem Schüler. Guss und
Ciselirung sind durchgängig trefflich. — Das Marmorciborium auf demg
Hochaltar von San Domenico giebt dasselbe Motiv freilich im aller-
reinsten und schönsten Styl der Blüthezeit wieder, sodass man es
den Sienesen kaum verargen kann, wenn sie darin eine Jugendarbeit
Michelangelo’s1) erkennen wollen.
Auch Jacopo della Quercia selbst muss hier noch einmal
erwähnt werden, wegen des glücklich gedachten Eisengitters an derh
Capelle des Palazzo pubblico.
Auf dem Wege von Florenz nach Rom sind ausser den genannten
und noch zu nennenden Arbeiten hier noch einige anzuführen, die ich
an keiner besondern Stelle unterzubringen weiss.
In S. Domenico zu Perugia, 4. Capelle rechts, ist die ganze Al-i
tarwand mit einer grossen Decoration von Stuccaturen und Gemälden
B. Cicerone. 16
[242]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
dieses Styles bedeckt. (Etwa um 1500.) Nur als Specimen merk-
würdig; das Gemalte, z. B. die Engel und Putten der obern Lunette
passen durch ihren grössern Massstab nicht zu den Wandstatuetten
der Madonna und der beiden anbetenden Engel.
Im Dom von Spello der Tabernakel des Hauptaltars, eine Kuppel
auf vier Säulen, in graziöser und früher Renaissance.
Im Dom von Narni, rechts, eine Altarnische sammt dem zunächst
davor stehenden Bogen, beide als Triumphbogen in Stucco behandelt;
noch XV. Jahrhundert.
In Rom beginnt, abgesehen von einigen frühern Arbeiten des
Filarete und Anderer, der reichere Luxus des Marmorornamentes mit
den 1460er Jahren und erreicht ein Jahrzehnd später eine unbe-
schreibliche Fülle und Pracht. Ich bin nicht im Stande, das Beste
und Reinste aus dem Gedächtniss näher zu bezeichnen, oder die Ent-
wicklung dieses Zweiges der Ornamentik historisch zu verfolgen,
glaube aber, dass das grösste Verdienst, wenn nicht der Erfindung,
doch der Verbreitung dieser eleganten Formen dem Mino da Fie-
sole angehört, welcher damals (s. unten) in Rom eine ganze Anzahl
von marmornen Gräbern u. a. Prachtarbeiten schuf. Man beachte,
dass von seinem Hauptwerke, dem Grabmal Pauls II., nur die figür-
lichen Theile (in der Crypta von S. Peter) gerettet, die decorativen
dagegen untergegangen sind. — Unter den Grabmälern sind diejenigen
spanischer Prälaten, welche durch Calixt III. und wohl noch durch
Alexander VI. nach Rom gezogen worden sein mögen, vorzüglich
zahlreich. — Pollajuolo’s Arbeiten wurden schon genannt.
Von Portaleinfassungen ist diejenige an S. Marco des Giu-
dliano da Majano (S. 192) selber würdig. Auch diejenige an S. Giacomo
degli Spagnuoli sehr schön.
Die Sängertribune der Capella Sistina, mit ihrer edeln, ern-
sten Pracht, ist für diese gegebene Stätte und Ausdehnung ein voll-
kommen vortreffliches Werk zu nennen. Auch die Marmorschranken,
welche den Vorraum vom Hauptraum trennen, sind vom Besten;
febenso die Balustrade der Capella Carafa in S. Maria sopra Minerva.
[243]Rom.
An den marmornen Altären überwiegt das Figürliche; doch
sind auch die triumphbogenartigen Architekturen, welche dasselbe ein-
fassen, nicht ohne Bedeutung. Der sehr grosse Hauptaltar von S. Sil-a
vestro in Capite und der Altar Innocenz VIII in der Pace (eine derb
Capellen links im Achteck) sind vergoldet und nicht von reiner Form.
Der herrliche Altar Alexanders VI in der Sacristei von S. M. delc
Popolo ist auch in decorativer Beziehung der edelste dieser Gattung.
Andere Altäre derselben Kirche, z. B. derjenige der 4. Capelle rechtsd
und derjenige im Gange vor der Sacristei bieten nur drei einfachee
Nischen mit Predella und Aufsatz.
An den Grabmälern bemerkt man wieder diejenigen Elemente,
welche die florentinischen Decoratoren geschaffen hatten, allein man-
nigfach neu combinirt. Eine bestimmte Abweichung liegt dann in der
fast durchgehenden Ausschmückung der Seitenpfosten der Nische mit
kleinen Nischen, welche allegorische Figuren enthalten. Sodann kommt
das schöne Motiv einer über dem Sarcophag stehenden Bahre mit
Teppich, welche die liegende Gestalt des Verstorbenen trägt, häufiger
vor als in Florenz.
Weit die grösste Anzahl dieser Gräber enthält (seit S. Peter
seinen derartigen Schmuck eingebüsst hat) S. Maria del popolo.f
Vor allem die beiden Prälatengräber im Chor, welche der grosse
Andrea Sansovino seit 1505 arbeitete. Sie geben gleich die höchste
und letzte Form, welche das architektonisch angelegte Wandgrab er-
reichen kann; der Triumphbogen, auch sonst für Gräber oft ange-
wandt, ist nirgends mehr mit dieser leichten Majestät behandelt; unter
den Arabesken sind die des Sockels von den allerschönsten der ganzen
Renaissance. — Die übrigen Prachtgräber, meist ebenfalls von Car-
dinälen und Bischöfen, füllen fast sämmtliche Capellen der Kirche an;
alle Arten von Anordnung und Schmuck sind hier durch irgend ein
Specimen repräsentirt. Die besten Ornamente vielleicht an dem Grab-g
mal Lonati (um 1500) im linken Querschiff, und an dem Grabmalh
Rocca (starb 1482) in der Sacristei. — In der Vorhalle von S. Gre-i
gorio ist das einfache Grabmal Bonsi (rechts) eines der schönst-
geordneten; die beiden Brüder, welchen es gesetzt ist, sind durch
zwei Reliefbüsten an der Basis des Sarcophages verherrlicht. Gegen-
über das Grabmal Guidiccioni, erst vom Jahr 1643, aber mit Benützung
16*
[244]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
der allerschönsten Arabesken, Capitäle etc. von einem Monument der
aBlüthezeit. — In der Kirche Araceli ist das Grabmal Gio. Batt.
Savelli (1498, im Chor, links) sowohl plastisch als decorativ aus-
gezeichnet; am Sarcophag Genien mit Fruchtschnüren, unten Sphinxe.
b— In S. Maria sopra Minerva (Capella Carafa) zeigt sich der späte
Pirro Ligorio als tüchtigen Decorator an dem Grabe Pauls IV,
während in zahlreichen Grabmälern des XV. Jahrhunderts die da-
malige Zierweise verewigt ist; in dieser Beziehung eins der besten
cdas des Petrus Ferrix (starb 1478) im ersten Klosterhof. — In SS.
dApostoli enthält der Chor das prächtige Grab des Nepoten Pietro
Riario (starb 1474), decorativ dem Grab Savelli ähnlich. — Eine An-
ezahl Grabmäler in dem bedeckten Hof hinter S. Maria di Monserrato.
f— In S. Pietro in Montorio contrastirt das schöne Grabmal links von
der Thür (1510, von Dosio) mit den bloss plastischen Denkmälern
Ammanati’s, welche den Querbau einnehmen; — ebenso in S. Maria
gdella Pace das Ornament der beiden links stehenden Grabmäler
Ponzetti (1505 und 1509), beinahe von sansovinischer Schönheit, mit
hden späten überladenen Arabesken, womit Simone Mosca um 1550
die Fronte der 2. Capelle rechts überzog. Im Kreuzgang bei der
iPace das decorativ vortreffliche Grab des Bischofs Bocciaccio (starb
1497). — Unter den Gräbern in S. Clemente hat das einfache des
kBrusato (rechtes Seitenschiff) die schönsten Arabesken. — Andere
Grabmäler in vielen ältern Kirchen zerstreut.
Schon lange vor der Mitte des XVI. Jahrhunderts hört diese
reiche Marmorornamentik an den römischen Gräbern fast völlig auf
und macht einer Verbindung von blosser Architektur und Sculptur
Platz. Bei Anlass der letztern werden wir darauf zurückkommen.
So weniges Neapel an vollständigen Bauten der Blüthezeit m o-
derner Baukunst aufzuweisen hat, so reich ist es dagegen an de co-
rativen Einzelheiten, zum Theil der besten Renaissance, vom Triump h-
bogen des Alfons an.
Eine ganze Schule dieses Styles gewährt die Crypta des
Domes (1492), eine kleine unterirdische Basilica von drei gleich
hohen flachgedeckten Schiffen, über und über mit Ornamenten be-
[245]Rom. Neapel.
deckt. (Oft gezeichnet, abgegossen und nachgeahmt.) Hier verräth
sich nun die Renaissance nach ihren tiefsten Eigenschaften; sie ge-
nügt völlig, wo sie spielen darf; — alle Pilaster und die blossen
Gewandungen, sowohl die horizontalen als die verticalen, mit ihren
Arabesken, Blumen, Schilden, Guirlanden u. s. w. sind von der schön-
sten, leichtesten Wirkung; dagegen ist das Bauliche nur wenig orga-
nisch, die Profile zu dünn, das Tragende zu decorativ. Die mensch-
lichen Figuren, die ohnediess auf keine Weise den Ornamenten
ebenbürtig sind, auch lastend an der Decke anzubringen, war ein
ganz speciell neapolitanischer Gedanke.
Das Übrige sind Nischen, Altäre und Grabmäler, in unüberseh-
licher Menge; an diesen Aufgaben bildete sich eine ganze grosse
Decoratorenschule, welche jedoch erst im XVI. Jahrhundert und durch-
schnittlich erst in den nicht mehr reinen Werken durch bestimmte
Künstlernamen repräsentirt ist: Giovanni (Merliano) da Nola,
Girolamo Santacroce, Domenico di Auria, und eine Reihe
Geringerer bis auf Cosimo Fansaga hinab, der noch in bernini-
scher Zeit die Art der ältern Schule nicht ganz verläugnete. — Als
Bildhauer ist selbst Giov. da Nola nur untergeordneten Ranges; das
Wenige plastisch Ausgezeichnete wird bei Anlass der Sculptur er-
wähnt werden. Als Decoratoren, ob von aussen abhängig oder nicht,
wird man diese Künstler immer achten müssen, weil die Verbindung
des Baulichen und des Figürlichen in ihren Werken im Ganzen eine
sichere und glückliche ist, selbst wo die Figuren gering sind und nur
gleichsam in den Kauf gegeben werden.
Was die Altäre betrifft, so dauern fürs Erste aus dem Mittel-
alter noch die den Altartisch bedachenden Tabernakel fort: reiche
Bogen und Giebel auf 4 oder nur 2 Säulen und dann hinten an-
gelehnt. In S. Chiara, zu beiden Seiten des Portals, ein gothischera
und einer der Frührenaissance. — Sodann bildet sich gerade in Neapel
der sculpirte Altar, mit Statuen und Reliefs in einer Wandarchitektur,
oft Alles innerhalb einer grossen Nische, mit dem vollsten Luxus aus.
Zum Zierlichsten gehören die Altäre zu beiden Seiten der Thür vonb
Monte Oliveto (von Nola und Santa Croce); — prachtvoll und um-
ständlich eine grosse Nische mit Altar in S. Giovanni a Carbonarac
(die Figuren zusammengesucht); ebenda noch Mehreres von ähnlicher
[246]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
aArt; — in S. Lorenzo, 4. Capelle rechts, der Altar Rocchi, ausge-
zeichnet durch höchst delicate und schwungvolle Ornamente; — An-
bderes in S. Domenico maggiore, 7. Capelle links (Altar von Nola)
u. a. a. O. —
In den neapolitanischen Grabmälern verewigt sich eine krie-
gerische Aristocratie, wie in den römischen vorzugsweise eine hohe
Priesterschaft; der Bildhauer durfte eher von dem altüblichen Motiv
eines mit gefalteten Händen auf dem Sarcophag liegenden Todten ab-
gehen und den Verstorbenen in der Haltung des Lebens darstellen,
wobei auch die decorative Anordnung des Ganzen eine sehr ver-
schiedenartige wurde.
Den florentinischen Typus trägt sehr deutlich das dem Antonio
cRosellino zugeschriebene Grabmal der Maria d’Aragona (1470) in
der Kirche Monte Oliveto (Capelle Piccolomini, links vom Eingang).
dSelbst von Donatello will Neapel ein Grabmal besitzen, dasjenige des
Bischofs Rinaldo Brancacci († 1427) in S. Angelo a Nilo; vielleicht
dürfte sich die Theilnahme des berühmten Florentiners an diesem
Werke doch nur auf Einzelnes, etwa auf die beiden obern Engelkinder
beschränken; die Anordnung des Ganzen ist eher neapolitanisch und
bildet den Übergang von den Masuccio’s zur neuern Art. — Als rit-
eterliches Grab bezeichnet denselben Übergang dasjenige des Sergianni
Caracciolo in der Chorcapelle von S. Giovanni a Carbonara.
Ornamentistisch besonders werthvoll: im rechten Querschiff von
S. Maria la nuova, das Grab des Galeazzo Sanseverino († 1477); —
gin S. Domenico magg. u. A. die Gräber in der Capelle del Crocefisso,
hnamentlich die zweite Gruftcapelle links; im rechten Querschiff der-
selben Kirche das Grab des Pandono († 1514); — im Kreuzgang von
iS. Lorenzo der Sarcophag des Pudericus u. A. m.; — im Chor von
kMonteoliveto besonders das Grab des Bischofs Vaxallus von Aversa,
etc. — Man begegnet durchschnittlich denselben theils hoch, theils
flachgearbeiteten Arabesken, welche damals in ganz Italien herrschend
waren, wie denn die ganze neapolitanische Renaissance wenig ganz
eigenthümliches hat. Ich hätte darüber kurz sein dürfen, wenn diese
Fragmente aus der Morgenfrühe der modernen Baukunst nicht gerade
hier einen besondern Werth hätten. Das von massenhaften Barock-
bauten ermüdete Auge sucht sie mit einer wahren Begier auf.
[247]Neapel. Genua.
Giovanni da Nola (s. d. Sculptur) ist vielleicht im Detail nirgends
mehr ganz rein, bei seinen Schülern tritt vollends jener Schwulst ein,
der das Architektonische wie das Vegetabilische des wahren Cha-
rakters beraubt. Als Ganzes wirken ihre Arbeiten immer; selbst den
(früher sehr überschätzten) Brunnen des Domenico di Auria beia
S. Lucia wird man glücklich gedacht finden.
Einzelne gute Portale des XV. Jahrhundert findet man am Gesùb
nuovo, an dem Bau neben der Annunziata, einfachere an S. Angeloc
a Nilo, an S. Arpino, u. a. a. O.
In Genua setzte sich die Zierweise der Renaissance wie der
betreffende Styl der Architektur und selbst der Sculptur nur langsam
durch. Er drang weniger von Toscana als von Oberitalien her ein.
Das frühste, noch halbgothische Denkmal, die Fronte der Johan-d
nescapelle im Dom, ist erst 1451 begonnen und das Ganze, ab-
gerechnet die neuern Veränderungen, 1496 vollendet. Dieses einst
gewiss vorzüglich interessante Ziergebäude hat durch barocke Zu-
thaten im Innern seinen besten Reiz verloren; in der leichten und
schönen Anlage tönt er noch nach.
Sodann ist Genua vorzüglich reich an marmornen Thürein-
fassungen, welche mit Arabesken oft reichen lombardischen Styles,
wenigstens mit Medaillonköpfen und prächtigem Obersims verziert sind.
Es war eine der wenigen möglichen Arten, dem kajütenhaften Woh-
nen in engen Strassen einen bessern Ausdruck zu verleihen. Die
besten, die mir zufällig vorgekommen sind, finden sich an einem Hausee
auf Piazza S. Matteo, an einem andern auf einem Plätzchen hinter
S. Giorgio, N. 1200, und im Hausflur eines grossen Gebäudes auf
Piazza Fossatello (von einer Kirche entlehnt?). Vgl. oben S. 198.
Der marmorne Orgellettner in S. Stefano ist eine leidliche, wahr-f
scheinlich florentinische Arbeit, vom Jahr 1499.
In S. Maria di Castello bildet die Nische des 3. Altars rechts,g
mit dem schönen Bilde des Sacchi (1524), der Innenbekleidung von
glasirten Platten, und der äussern Einfassung ein sehr artiges Ganzes.
Schon mehr antikisirend, in zum Theil sehr schöner Ausbildung,
die Decorationen des Montorsoli in S. Matteo, hauptsächlich dieh
[248]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
beiden einfachen Heiligensarcophage an den Wänden des Chores,
auch die Altäre an beiden Enden des Querschiffes. — Ob die beiden
aungeheuern Prachtkamine in den grössern Sälen des Pal. Doria auch
von ihm sind, ist mir nicht bekannt.
Endlich siegt das Bemühen des reinen Classicismus auch hier
bfür einen kurzen Augenblick. Der Tabernakel der Johannescapelle
im Dom, von Giacomo della Porta (1532) ist eines der schönsten
Decorationsstücke dieser Art, zumal was die Untensicht der Bedeckung
betrifft. (Die Sculpturen an den Säulenbasen sind von Giacomo’s Bru-
der Guglielmo.)
Mit der Decoration der oberitalischen Denkmäler (Venedig
ausgenommen) können wir uns kürzer fassen. Die Seltenheit des
Marmors nöthigte zur Arbeit in Sandstein, Kalkstein, Stucco, Terra-
cotta. Zwar könnte ein fester künstlerischer Wille auch in diesen
unedlern Stoffen ein Höchstes erreichen, allein die Durchschnittsbildung
wird doch immer unter solchen Umständen eine geringere bleiben.
Der weisse Marmor allein fordert den Künstler unablässig zum Fort-
schritt, zur Verfeinerung auf.
Den Übergang von der florentinischen Weise zur oberitalischen,
hauptsächlich paduanischen, macht Bologna. Den vom Norden Kom-
menden mag die heitere Pracht, zumal der Backsteinzierrathen, wohl
zunächst blenden, allein das praktische Studium wird doch erst bei
den Marmorsachen von Florenz und Rom seine Rechnung finden.
Nicht nur sind die bolognesischen Arbeiten oft bunt und überladen
(man analysire nur einen Pilaster mit Putten, Delphinen, Candelaber,
Schalen, Bändern, Fruchtgehängen etc.), sondern auch im Ausdruck
des Einzelnen unfein, nicht empfunden, zumal die Sandsteinzierrathen 1).
Im XVI. Jahrhundert suchte der Baumeister Formigine sich etwas
mehr der reinern antiken Form zu nähern und manche der von ih m
angegebenen Capitäle sind sehr schön (S. 207), allein in den Ara-
besken war er kaum wahrhaft lebendiger als die frühern. — Wir
[249]Bologna.
zählen nur Einiges von dem auf, was noch nicht bei Anlass der Ar-
chitektur genannt wurde.
Zunächst eine Anzahl Marmorschranken, theils mit Gittern,
theils mit enggestellten Säulchen oben, welche zum Verschluss der
Capellen in S. Petronio dienen. Das älteste, noch gothische Beispiel,a
4. Capelle links; — reiche und frühe Renaissance, 7. Capelle links;
— später und eleganter, 10. Capelle rechts; — das schönste 4. Ca-
pelle rechts, vom Jahr 1483; — einfach 6. Capelle rechts; — das
späteste, von Formigine, 8. Capelle rechts. — In S. Michele in bosco:b
die Mauern zu beiden Seiten des Chorgitters, die Pilaster und Thüren
des Chores, vom Bessern des oberitalischen Styles.
Einzelne Altarnischen mit und ohne Schranken: in S. Martinoc
maggiore die erste rechts (1529); in Madonna di Baracano die Ein-d
fassung der Hauptaltarnische, von der Bildhauerin Properzia de’ Rossi,
die hier dem Formigine nachfolgt: — in SS. Vitale ed Agricola diee
Stuccoeinfassungen um die Fresken der grossen Capelle links, mit
guten, bloss vegetabilischen Arabesken.
Die Grabmäler sind sammt und sonders im Styl der Arabesken
weit geringer als die bessern florentinischen und römischen. Die an
den Backstein und Sandstein gewöhnte Decoration konnte sich in die
Vortheile des Marmors, wo sie an diesen kam, nicht hineinfinden.
Eine ganze Anzahl aus verschiedenen Kirchen stehen jetzt im Campo-f
santo bei der Certosa; andere noch in den Kirchen selbst. Ausnahms-
weise arbeitet wohl ein Florentiner irgend ein Prachtstück in seiner
heimischen Art, wie z. B. Francesco di Simone das Grabmalg
Tartagni (1477) in S. Domenico (Durchgang zur linken Seitenthür);
allein dieses ist doch nur eine plastisch und decorativ befangene Nach-
ahmung des Grabmals Marzuppini (S. 234, h) und das Meiste, was sonst
vorkömmt, ist noch viel geringer.
Als prächtige decorative Erscheinung ist das Stuccograbmal des
Lodov. Gozzadini im linken Seitenschiff der Servi (statt des 3. Altars)h
trotz seines Schwulstes diesen Marmorsachen vorzuziehen; von einem
unbedeutenden Bildhauer jener Zeit, Giov. Zacchio. Auch das
einfachere Grabmal des Giac. Birro im Klosterhof von S. Domenicoi
ist eines von den glücklich angeordneten des beginnenden Barockstyls.
[250]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
Ein Gegenstück zu den metallenen Fackelhaltern der toscanischen
Paläste (welche hier durch diejenigen am Pal. del Podestà nur mit-
telmässig repräsentirt sind) bilden die sehr stattlichen ehernen Thür-
hämmer, als springende Thiere u. dgl. in reicher Einfassung gebildet.
An den zahlreichen Palastpforten, wo sie vorkommen, reichen sie
allerdings nicht über das XVI. Jahrhundert und kaum in dasselbe
hinauf.
In Parma haben die zierlichen Pilaster an der Fassade von S.
bSepolcro das Datum 1505. — Im Dom: die Marmorschranken der
4. Capelle rechts; dann unterhalb der Treppe gegen die südliche und
die nördliche Seitenthür hin zwei Grabmäler, das eine (der Familie
Carissimo) mit dem Namen des Sculptors Gio. Franc. da Grado be-
zeichnet, beide von den schönern Arbeiten der reifern oberitalischen
Renaissance, ohne Figürliches. Im rechten Querschiff das rothmar-
morne Denkmal des Barthol. Montinus 1507.
Im Dom von Reggio nennt sich gleichzeitig (1508) der Gold-
schmied Barthol. Spanus als Verfertiger eines einfachen bischöflichen
Nischengrabes mit der guten Statue des (schlafend dargestellten) Ver-
storbenen; Capelle links vom Chor. Anderes der Art dritte Ca-
pelle rechts.
In Ferrara, wo man von jeher dem Marmor weniger entfrem-
det war, steht die Bildung der Arabeske durchschnittlich etwas höher
als in Bologna. Man lernt sie z. B. auf eine sonderbare Weise ken-
nen an den Eckbekleidungen mehrerer sonst ganz schlichten Paläste,
einer Art Programme einer künftigen durchgängigen Marmorbeklei-
ddung, zu welcher dann Zeit und Mittel fehlten. Die schönsten an Pal.
de’ Leoni, der auch eine vorzügliche Thür aufweist (S. 212, e). — Die
ePfeilerbasen in der Carthause S. Cristoforo haben ebenfalls sehr schöne
Arabesken, wobei man sogar den Namen Sansovino’s zu nennen wagt.
In Modena ergiebt der Dom ausser einem guten Nischengrab
(Molza, Capelle links vom Chor) ein paar merkwürdige grosse Altar-
nischen in beiden Seitenschiffen. Die schönste die des ersten Altares
rechts, deren Füllungen von Dosso Dossi ausgemalt sein sollen.
[251]Parma. Ferrara. Venedig.
Venedig besitzt einen ungemeinen, aber einseitigen Reichthum
an Ornamenten dieses Styles. Zwar liess es der gediegene Pracht-
sinn an weissem und farbigem Marmor, an Stoffaufwand aller Art
nicht fehlen, sodass die äussere Aufforderung, schön zu bilden, so
stark war als in Florenz und Rom. Allein sei es die grössere Ent-
fernung von den römischen Alterthümern, sei es das Bewusstsein,
dass der Besteller doch nur Pracht und Glanz zu würdigen verstehe
— das Ornament kömmt nur in einzelnen Richtungen zu wahrhaft
hoher Blüthe. Ihm fehlte auch die rechte Pflegemutter: die strengere
Architektur, welche den Sinn für Verhältnisse im Grossen wie
im Kleinen wach gehalten hätte.
Man muss hier das Ornament weniger an einzelnen Prachtarbei-
ten, an Gräbern und Altären aufsuchen; die vornehmern Gräber gehen
nämlich schon frühe über die blosse Nischenform hinaus und werden
grosse, ausgedehnte, selbst triumphbogenartige Wandarchitekturen mit
Säulenstellungen und Statuen, neben welchen die Arabeske nur gleich-
sam in den Kauf gegeben wird; auch die Altäre nehmen eine mehr
umständliche architektonische Bildung an. Während aber so die Zier-
denkmäler zu Bauten werden, bleibt gerade die eigentliche Architektur,
wie wir sahen, in ihrem Wesen decorativ, und so findet sich das Wich-
tigste von Arabesken hauptsächlich an der Aussenseite der Gebäude.
Der aufmerksame Beobachter wird bald bemerken, dass die bloss
vegetabilischen, hauptsächlich für Friese passenden Arabesken im
Schwung der Zeichnung und in der zugleich zarten und kühnen Re-
liefbehandlung den grossen Vorzug haben vor den mehr figürlichen,
einen aufwärts strebenden Stamm umspielenden, welche anderweitig
die Hauptverzierung der Pilaster sind. Es scheint, als hätte die
Schule der Lombardi diess gefühlt; sie gab wenigstens auch den
Pilastern sehr oft blosses Rankenwerk, ohne jene Schilde, Vasen,
Greifen, Harpyjen, Täfelchen, Putten u. s. w. Später, zu Anfang des
XVI. Jahrhunderts, folgen dann auch treffliche Pilasterbekleidungen
der letztern Art, allein nur um bald einer öden Manier Platz zu
machen. Im Ganzen ist man sich nur wenig klar darüber, dass tra-
gende Glieder anders decorirt werden müssten als getragene. Unter
den bessern, an Gebäuden vorkommenden Arabesken sind etwa
beispielshalber folgende zu bezeichnen.
[252]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
Die Portalpilaster an S. Zaccaria. — In S. Maria de’ miracoli
bhauptsächlich die Arabesken an der Balustrade über den Chorstufen,
an den Basen der Chorpilaster (mit Sirenen und Putten hübsch figu-
rirt) und am Gesanglettner; die Friese der Chorschranken; die Pilaster
der Thüren; das Übrige hat an sich nur mittlern Werth, hilft aber
mit zum Eindruck eines in seiner Art einzigen Reichthums. — An der
cScuola di S. Marco alle horizontalen und bogenförmigen Bauglieder
mit dem schönsten Rankenwerk, auch die (zum Theil restaurirten)
durchbrochenen Zierrathen und die Akroterien vorzüglich; die meisten
dPilaster kaum mittelmässig. — Am Vorhof von S. Giovanni Ev. das
eWenige sehr schön. — Am Hinterbau des Dogenpalastes (von Bregno
und Scarpagnino) das Beste wohl die Arabeskenflächen im zweit-
obersten Stockwerk, die Pfeiler über der Riesentreppe und wahr-
scheinlich auch viele Fensterpilaster; wenigstens sind diejenigen an
der Canalseite, welche man in der Sala dello Scudo und in der Sala de’
Rilievi genau betrachten kann, die bestornamentirten in Venedig, von
einem fast reinen Gleichgewicht des Ornamentalen und Figürlichen.
f— An der Scuola di S. Rocco ist das reiche Ornament durchgängig
gunrein, zumal an der Treppe. — Eine schöne Thür ist aussen am
hGebäude der Academie (Westseite) eingemauert. — An S. Michele:
die Pilaster der Pforte, die Basen der Chorpilaster, u. A. m.
Als nicht sehr frühe und doch noch ganz primitive Renaissance
iist die marmorne Choreinfassung in den Frari (1475) geschichtlich
bemerkenswerth.
In der Decoration und im Entwurf einzelner Denkmäler ist
offenbar Alessandro Leopardo der erste und der allein mit den
kFlorentinern vergleichbare. Seine Basis der Reiterstatue des Feld-
herrn Coleoni bei S. Giovanni e Paolo, datirt 1495, ist mit bewun-
dernswerthem Takt componirt; leicht und schlank, mit sechs vorge-
lehnten Säulen, mit schönfigurirtem Fries und Sockel, hebt sie das
ihr anvertraute, nichts weniger als colossale Bildwerk ausserordent-
lich, ohne doch durch allzugrosse eigene Ansprüche den Blick zu zer-
lstreuen. Weltberühmt sind dann Leopardo’s drei eherne candelaber-
artige Fussgestelle für die Flaggenmaste auf dem Marcusplatz, ebenfalls
von glücklicher Composition und vortrefflichem Styl des Einzelnen.
m(Bei den Ornamenten der Capella Zeno in S. Marco möchten andere
[253]Venedig.
Hände gewaltet haben, ausgenommen etwa an der Basis der Madonna,
welche Leopardo’s nicht unwürdig wäre.)
Für alles Übrige werden bestimmte Namen überhaupt nicht oder
doch ohne genügende Sicherheit genannt, bis mit Guglielmo Ber-
gamasco und J. Sansovino eine näher documentirte Reihe —
freilich von geringerm ornamentalem Interesse — beginnt.
Im Dogenpalast enthalten die Sala de’ Busti und die Camera aa
letto noch prächtige Marmorkamine aus der Schule der Lombardi;
über gewundenen Säulchen und herrlichen Consolen etwas zu schwere
Friese (sogar ein doppelter) und neuere Aufsätze.
Die Brunnen gaben in Venedig als blosse Cisternenmündungen
kein geeignetes Motiv zu besonderm Schmucke her; doch musste den
beiden im Hof des Marcuspalastes eine Gestalt verliehen werden, dieb
mit der Umgebung in Harmonie stand, was allerdings erst zur Zeit
der beginnenden Barockformen (1556 und 1559, durch Conti und
Alberghetti) geschah. Der eine ist ein vorzügliches Denkmal
phantastisch reicher Decoration in der Art des Benvenuto Cellini, mit
glücklicher Mischung des Zierrathes und des Figürlichen. — Von Sa-
cristeibrunnen hat derjenige bei den Frari einen guten Marmorfries.c
— Ein ganz einfacher und sehr guter ist in der Hofhalle der Academie
eingemauert.
Von Altären sind die beiden des Pietro Lombardo im Quer-d
schiff von S. Marco decorativ wohl die zierlichsten.
An Grabmälern hat wohl etwa der Sarcophag eine gute
Rankenverzierung (Grab Soriano in S. Stefano, links vom Portal,e
u. a. m.), dagegen sind die Arabesken der baulichen Einfassung, wie
bemerkt, selten mehr als mittelmässig. Die Einfassung selbst ist als
grosses Gerüst in der Frührenaissance meist sehr gut gedacht; ja
man könnte Denkmäler wie die Dogengräber im Chor von S. Gio-f
vanni e Paolo (Vendramin 1478, von Aless. Leopardo) und von
S. Maria de’ Frari (Denkmal Tron 1472, von den Bregni) harmo-g
nischer finden als die Kirchenfassaden desselben Styles, zu welchen
die organisirende Kraft nicht ausreichte; die genannten Gräber sind
überdiess auch im Ornament gut. — Aber mit dem XVI. Jahrhundert
wird dieses Gerüst auffallend einfacher, grösser und derber, mit vor-
tretenden Säulen, Simsen und Giebeln; die Einzeldecoration muss
[254]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
weichen, um den Statuen das fast alleinige Vorrecht zu lassen. Ebenso
ergeht es den Altären, Emporen u. s. w. Guglielmo Bergamasco hat
az. B. in S. Salvatore den Hochaltar und den zweiten Altar links, Jac.
Sansovino ebenda das Dogengrab Venier und den Orgellettner in die-
ser Weise gestaltet; viel einfacher und ärmer im Detail als seine
Biblioteca ist. — Ein schönes Grabmal, bloss Sarcophag mit Büste
bund Untersatz, in S. Stefano (Capelle links vom Chor), dem Sanmicheli
zugeschrieben, sucht Reichthum und strengern Classicismus zu vereini-
gen. Man mag es vergleichen mit seinen veronesischen Monumenten,
cz. B. dem an der Aussenmauer von S. Eufemia. — Von verzierten
dGrabplatten eine Anzahl z. B. im Chorumgang von S. Zaccaria.
Für die bronzenen Leuchter gab der berühmte des Andrea
Riccio im Chor des Santo zu Padua das verlockende Beispiel eines
endlos reichen Schmuckes. Die beste spätere Arbeit ist der Leuchter
eneben dem Hochaltar der Salute, von Andrea d’Alessandro Bresciano,
mit nicht weniger als sechs Ordnungen von allerdings hübschen Fi-
gürchen, von den Sphinxen der Basis an gezählt. — Ein Werk der-
selben Hand sind wahrscheinlich auch die sechs Leuchter auf dem
Altar.
Von geringerm Werth und schon vorherrschend barock: die Leuch-
ter in S. Stefano (Capelle rechts vom Chor, aus den Jahren 1577 und
g1617); diejenigen in S. Giovanni e Paolo (Capelle del Rosario), wel-
hchen auch die silbernen Leuchter in der Capelle des heil. Antonius
im Santo zu Padua nur zu ähnlich sind u. s. w.
In Padua enthält die Kirche il Santo billig das Prächtigste.
iGleich beim Eintritt bemerkt man zwei schöne Weihbecken, das eine
mit einer guten gleichzeitigen Statuette des Täufers, das andere mit
derjenigen Christi, welche später von Tiziano Aspetti gearbeitet ist.
Dann folgt im linken Seitenschiff das pomphafte Grabmal des Antonius
kde Roycellis († 1466), von florentinischer Ordnung. Der ganze Chor
ist mit reichen Marmorwänden umgeben, deren Ornament freilich nicht
zum besten gehört; er enthält dann, links neben dem Altar, eines der
berühmtesten Decorationsstücke der ganzen Renaissance: den grossen
lehernen Candelaber des Andrea Riccio (1507).
[255]Padua.
Dieses Werk resumirt das ganze ornamentale Wissen und Können
der damaligen Paduaner; an Fleiss, Gediegenheit, Detailgeschmack
hat es kaum seines Gleichen. Allein es ist des Guten zu viel; die
Gliederung hat wohl doppelt so viele Absätze oder Stockwerke als
ein antiker Leuchter bei gleicher Grösse haben würde, und diese ein-
zelnen Abtheilungen sind untereinander zu gleichartig im Massstab.
Verbunden mit der dunkeln Farbe wird dies doppelt fühlbar. Man
sehe den Candelaber aus einer Entfernung von zehn Schritten an und
denke sich z. B. den gleich grossen vaticanischen daneben, beide als
Silhouetten wirkend 1).
Ausserdem ist die Capella del Santo nichts als Ein Prachtstücka
von Renaissance. Ich sehe nicht ein, warum man dieses Werk dem
J. Sansovino zuschreibt, während sich Matteo und Tommaso
Garvi an dem Eckpilaster rechts ausdrücklich nennen 2). Ausser der
Architektur und der glänzenden, aber nicht ganz reinen Decoration
fast sämmtlicher Bauglieder gehört ihnen wahrscheinlich auch ein
grosser Theil des plastischen Einzelschmuckes an; so die (allzu) reiche
Figurirung der äussern Eckpilaster, deren Styl kenntlich die Schule
des Leopardo verräth; die Propheten in den Bogenfüllungen nach
innen und nach aussen; die Putten an den innern und äussern Frie-
sen; vielleicht sogar die fünf Heiligenstatuen auf der obern Brüstung.
Wenn aber etwas Decoratives dem Jac. Sansovino bleiben soll, so sind
es am ehesten die herrlichen von Tiziano Minio [aus]geführten Ara-
besken der gewölbten Decke. Wem die Reliefhalbfiguren der Apo-
stel in den Lunetten derselben zugeschrieben werden müssen, mag
dahin gestellt bleiben.
[256]Renaissance-Decoration. Stein und Metall.
Vicenza ist besonders reich an grossen und prächtigen Ein-
rahmungen der Altarbilder durch Architekturen in Marmor
oder Terracotta. Da man hier und in Verona zur gothischen Zeit
und auch noch später den Seitenschiffen der Kirchen keine Fenster
oder nur ganz geringe runde Luken gab, so war ein genügender
aRaum für solche Decorationen vorhanden. Zunächst enthält S. Lo-
brenzo deren mehrere von Werthe; hauptsächlich aber S. Corona. Hier
ist der fünfte Altar links eines der prachtvollsten Phantasiewerke,
welche in dieser Gattung überhaupt vorhanden sind, und wenn nicht
die Überfülle den lombardischen, die bunten Marmorscheiben der Pi-
laster den venezianischen Charakter verriethen, so wäre er auch eines
der schönsten.
In Verona enthält S. Fermo mehrere gute, darunter eine Nach-
dahmung des Arco de’ Gavi (Seite 36). — Im Dom sind diese Taber-
nakel merkwürdiger Weise oben spitzbogig geschlossen, wahrschein-
lich um mit dem Bau in einiger Harmonie zu bleiben; übrigens meist
gering, mit Ausnahme desjenigen über dem Grab der heil. Agatha
(Schluss des rechten Seitenschiffes) vom Jahr 1508, welcher in den Ara-
besken seiner äussern Pilaster das Höchste an Delicatesse, Schwung
und Reichthum erreicht, aber in Verbindung mit derselben Überfülle,
welche so manche lombardische Decoration verderbt. (Das Figürliche
eüberdiess nicht vom Besten.) — In S. Anastasia eine Reihe der reich-
sten und grössten; die innere Pilasterordnung durchgängig mit stren-
gern Arabesken in dunkelm Stein, die grössere äussere Ordnung mit
dem reichsten Rankenwerk in hellerm Marmor; einer der Besten der
dritte rechts; in anderer Weise architektonisch bedeutend derjenige
des rechten Querschiffes; zweie links (der erste und vierte) werden
bei Anlass der Sculptur vorkommen.
In Bergamo kann die Fassade der Capelle Coleoni an S. Ma-
ria maggiore (Seite 226, e) beinahe eher für ein grosses Decorations-
stück als für ein Bauwerk gelten. Es giebt reicher verzierte Fassa-
den, wie z. B. diejenige der Certosa von Pavia, bei welchen gleichwohl
[257]Herzogthum Mailand.
die Architektur viel mehr ihr Recht behauptet, als an diesem bunten,
graziösen und kindlich spielenden Zierbau.
Am Dom von Como sind die Tabernakel der Denkmäler dera
beiden Plinius (das eine datirt 1498) decorativ merkwürdig, weniger
wegen der barock-reichen Candelabersäulen, als wegen der Consolen
mit den magern nackten Tragfiguren, welche offenbar den Schlussstei-
nen römischer Triumphbogen nachgebildet sind. Die Thür des nörd-
lichen Seitenschiffes, zum Theil von dem Architekten Tommaso Rodari,
aber aus dessen früherer Zeit, ist auf das Reichste überladen in der
lombardischen Art jener Epoche. Vielleicht von derselben Hand wie
die Pliniusdenkmäler ist dann der überaus prächtige Schnitzaltar (der
zweite rechts) im Innern, von welchem ein Mehreres bei Anlass der
Sculptur; das Decorative ist als Ganzes nicht gut und im Detail nir-
gends rein, obwohl nicht geistlos; die Candelabersäulchen zu zart für
die vortretenden Gesimse.
An der Cathedrale von Lugano sind die Arabeskenpfosten derb
drei Hauptpforten zwar, zumal im Verhältniss zu ihrer baulichen Func-
tion betrachtet, sehr überfüllt, auch zum Theil nicht mehr rein in der
Composition, aber von der elegantesten vegetabilischen Arbeit, schwung-
voll und stark unterhöhlt.
Von der Certosa von Pavia wurde das Wenige, was wir nach
alternden Erinnerungen und nach Abbildungen vorbringen durften, bei
Anlass der Architektur (Seite 201, b) gesagt. Das im Querbau befind-
liche, sehr prächtige Grabmal des Giangaleazzo Visconti wurde 1490c
von einem gewissen Galeazzo Pellegrini entworfen, der sonach der
Urheber des Decorativen sein möchte; an den plastischen Theilen
wurde bis 1562 von sehr verschiedenen Händen gearbeitet.
Von Marmor und Erz wenden wir uns zu der Decoration in
Holz, welche in der Renaissance eine so bedeutende Stelle einnimmt.
Die mittelalterliche Kirchendecoration hatte ein Princip, welchem
sie aus allen Kräften nachlebte: die Zubauten, wodurch sie die Har-
B. Cicerone. 17
[258]Renaissance-Decoration in Holz.
monie des gothischen Gesammtbaues stören musste, so reich und pracht-
voll als möglich zu gestalten; gleichsam zur Entschuldigung und zum
Ersatz für den unterbrochenen Rhythmus des Ganzen. Daher wirken
noch so manche Wendeltreppen, Lettner, Balustraden etc. im Innern
der Kirchen als Prachtstücke ersten Ranges; namentlich aber wurde
das Stuhlwerk im Innern des Chores mit stets neuem Raffinement
in den reichsten gothischen Zierformen und mit einem oft werthvollen
figürlichen Schmuck ausgearbeitet. Italien besitzt nun zwar aus seiner
gothischen Kunstperiode keine Chorstühle wie die des Ulmer Mün-
asters; diejenigen der Oberkirche von S. Francesco zu Assisi würden
z. B. in Deutschland geringe Figur machen; ebenso die ältern Theile
derjenigen im Dom von Siena, das Stuhlwerk in S. Agostino zu Lucca,
in S. Domenico zu Ferrara (1384), in den Servi zu Bologna (1390),
bin S. Zeno zu Verona, selbst dasjenige im Dom von Reggio. (Am
cehesten behaupten noch die Chorstühle im Dom von Orvieto einen
unabhängigen Werth, weniger wegen des Architektonischen, als wegen
der eingelegten Ornamente und Halbfiguren des Pietro di Minella aus
Siena um 1400). — Allein zur Zeit der Renaissance warf sich die
Decoration mit einem Eifer gerade auf diese Gattung, welcher das
Versäumte gewissermassen nachholte. Das Stuhlwerk und die Lese-
pulte in einzelnen Kirchen und Capellen, auch wohl in weltlichen Ge-
bäuden, sowie die Orgellettner und die Wandschränke in den Sacri-
steien aus dieser Zeit, erreichen das Mögliche innerhalb der Grenzen
dieser Gattung und einzelne davon werden auf immer als classische
Muster dienen. Alle Luxusschreinerei unserer Tage pflegt dieselben —
zugestandener Massen oder nicht — wenigstens theilweise nachzuah-
men, wie der Blick auf die beliebtesten Prachtmöbel der Ausstellung
von London beweist. Nur findet sie nicht immer nöthig, diesen Vor-
bildern ausser dem Detail auch das Princip abzusehen, welches mit
so grosser Sicherheit das Architektonische und das Decorative zu schei-
den und zu verbinden wusste.
Als Nebengattung der Architektur richtet sich diese Holzschnitzerei
natürlich nach den persönlichen und Schuleinflüssen derselben: den-
noch stellen wir hier der Übersicht zu Liebe die wichtigern Werke
der ganzen Gattung nach den wenigen Städten zusammen, welche der
Verfasser daraufhin hat durchforschen können. — Sie besteht, wenn
[259]Die Urheber.
man das rein Architektonische, die Stützen, Gesimse u. s. w. abrech-
net, aus zwei Darstellungsweisen: dem ausgeschnitzten Relief (vom
flachen bis zum stark vortretenden und unterhöhlten) und der glatten
eingelegten Arbeit (Intarsia, Marketterie), welche sowohl jede aus-
schliesslich, als auch beide gemischt angewandt wurden. Zu figür-
licher Darstellung wurde mit Vorliebe (doch nicht allein) die Intarsia
gebraucht. Stellenweise Vergoldungen kommen je später, desto häu-
figer vor.
Den meist lombardischen Klosterbrüdern und Handwerkern, welche
als Urheber dieser zum Theil so wunderschönen Arbeiten genannt
werden, will man bisweilen deren Erfindung nicht recht zutrauen;
Manche glauben dem Werk eine Ehre anzuthun durch die Annahme,
dasselbe sei „nach der Zeichnung Rafaels etc.“ ausgeführt. Dies ist
derselbe Irrthum, der bei der Beurtheilung der griechischen Vasen,
der pompejanischen Malereien und bei so vielen andern Punkten der
vergangenen Kunst sich geltend macht; man unterschätzt das Kunst-
vermögen, welches in gesundern Zeiten über das ganze Volk verbreitet
war. In einzelnen Fällen soll jedoch die Mitwirkung bedeutender
Künstler nicht in Abrede gestellt werden.
Die Holzschnitzerei hielt sich bis gegen die Mitte des XVI. Jahr-
hunderts in ziemlich reinen Formen, empfand aber doch auf die Länge
eine unvermeidliche Mitleidenschaft unter den grossen seitherigen Schick-
salen der Architektur. Als diese offenkundig das Detail zu misshan-
deln und den äusserlichen Effect zum höchsten Ziel zu machen anfing,
da verfiel auch die Nebengattung ins Barocke und später, der Har-
monie mit den Baulinien zu Gefallen, in das Glatte und Ärmliche. Doch
giebt es noch aus dem XVII. Jahrhundert treffliche Arbeiten dieser
Art und im XVIII. Jahrhundert flösste der Rococo dem Stuhl- und
Schrankwerk bisweilen sein eigenthümliches neues Leben ein.
In Florenz finden sich von dieser Gattung keineswegs die präch-
tigsten Beispiele, aber dafür eine Reihe, welche die Stylübergänge
klar macht und der Entwicklung der Architektur wahrnehmbar folgt.
Laut Vasari hätte Brunellesco auch hier einen bestimmenden Ein-
fluss ausgeübt.
17*
[260]Renaissance-Decoration in Holz.
Zum Alterthümlichsten innerhalb der Renaissance, mit einzelnen
noch gothischen Details gehört das schöne Stuhlwerk in der Capelle
ades Pal. Riccardi und dasjenige im Chor von S. Miniato. — Auch die
beinfache, mit einem englischen Gruss figurirte Intarsia-Thür der Sa-
cristei in der Badia von Fiesole ist wohl noch aus der ersten Hälfte
des XV. Jahrhunderts. Unter dem Einfluss Brunellesco’s und Dona-
ctello’s entstand ohne Zweifel das Täfelwerk in der Sacristei von S. Lo-
renzo; mit vortrefflicher einfacher Intarsia.
Darauf folgte wohl zunächst die bedeutende und als Ganzes clas-
sisch zu nennende Leistung der grossen Decoratoren Giuliano und
dBenedetto da Majano: das Getäfel der Sagrestia nuova im Dom,
mit Donatello’s Fries von festontragenden Putten (gegenwärtig grau
bemalt). Einfache, das Innere der Wandschränke oder blosse Orna-
mente darstellende Intarsia, von schlanken Pilastern unterbrochen, mit
emässigen Gesimsen. — Dem Benedetto allein wird die prächtige In-
tarsia-Thür in der Sala de’ Gigli des Pal. Vecchio zugeschrieben,
deren Marmoreinfassung von ihm ist. (Sie stellt u. a. die Gestalten
Dante’s und Petrarca’s dar.) — Vom Ende des XV. Jahrhunderts
fist dann das herrliche Getäfel in der Sacristei von S. Croce, wel-
ches als Einfassung für Giotto’s Bildercyclus vom Leben Christi und
des heil. Franciscus gearbeitet wurde, der jetzt theils in der Acade-
mie aufgestellt, theils im Auslande zerstreut ist. Nirgends mehr ist
wohl die Intarsia mit so feinem Bewusstsein abgestuft, vom fast bloss
kalligraphischen Band bis zum reichbewegten Hauptfries; das Relief
beschränkt sich auf die Pilaster und die Hauptglieder des Gesimses.
(Ebenda auch älteres und befangeneres Getäfel.) — Die Thür zur Sa-
cristei und die zur nahen Capelle Medici — geschnitzte Rosetten mit
Intarsiarahmen eingefasst — sowie die (der freien Luft wegen) ganz
geschnitzte Thür der Capella de’ Pazzi im ersten Klosterhof könnten
wohl von demselben Meister sein. — Noch sicherer liesse sich diess
gvermuthen von dem einfach edeln Stuhlwerk im Chor der Badia, wo
auch noch das (wohl einzige) Mittelpult aus dieser Zeit erhalten ist,
sechseckig, drüber eine kurze decorirte Stütze, welche den (neuern)
hObertheil trägt. — Einfachere Thüren z. B. an S. Felice, am Pal.
Guadagni etc. (Von Giul. und Antonio da S. Gallo sind keine sichern
Schnitzarbeiten vorhanden.)
[261]Florenz.
Die Rücken der Chorstühle in S. Maria novella, eine (frühe) Ar-a
beit des Baccio d’Agnolo (s. unten) beschliessen das XV. Jahr-
hundert in dieser Gattung glanzvoll, mit einer Reihenfolge der reinsten
und vorzüglichsten Arabesken. (Auch die aufgesetzten Pilaster Intar-
sia. — Die Stühle selbst später nach einer Zeichnung des Vasari er-
neuert). — Jedenfalls erst XVI. Jahrhundert: der mit weiss und Goldb
bemalte Orgellettner in S. M. Maddalena de’ Pazzi. — Aus der Mitte
dieses Jahrhunderts stammt wohl die Thür, welche jetzt in den Uffi-c
zien (Gang der toskanischen Sculptur) angebracht ist; lauter starkes,
im neuen Sinn antikisirendes Reliefornament, aber noch von schöner
Bildung 1). — Noch das Stuhlwerk in der Hauptkirche der Certosad
und die vom Jahr 1590 datirte Thür offenbaren einen gewissen Wider-
stand gegen den andringenden Barockstyl. — Von den Arbeiten des
XVII. Jahrhunderts zeigen z. B. die Beichtstühle und Thüren in S. Mic-e
chele e Gaetano diesen Styl zwar siegreich, aber besonders tüchtig
und ernst gehandhabt.
Ferner ist Florenz der classische Ort für Bilderrahmen; hier
erfährt man am vollständigsten, wie die grossen Maler (und auch die
Bildhauer) des XV. Jahrhunderts ihre Werke eingefasst wissen wollen.
Das Kunstwerk steht in einem mehr oder weniger architektonischen
Sacellum von einer Staffel, zwei Pilastern und einem oft reich bekrön-
ten Obergesimse, die Pilaster mit Reliefarabesken insgemein Gold auf
Blau, das Gesimse mit ganz vergoldeten; bei Nischen für Sculpturen
kommt noch sonstiger baulicher Schmuck hinzu. Der grösste Schatz
dieser Art sind die Rahmen der meisten Altargemälde im Querschifff
und Hinterbau von S. Spirito; hier allein kann man inne werden,
wesshalb ein Sandro, ein Filippino in glatten oder wenig verzierten
goldenen Hohlrahmen keinen ganz vollständigen Eindruck macht, in-
dem nur diese Prachteinfassung das überreiche Leben des Bildes schön
ausklingen lässt 2). Andere vorzügliche Rahmen u. a. in S. M. Mad-
[262]Renaissance-Decoration in Holz.
adalena de’ Pazzi. — Ein einfach schöner um die Nische eines von
Lionardo del Tasso gearbeiteten S. Sebastian in S. Ambrogio (links).
— Von Caroto, einem tüchtigen Decorator des XVI. Jahrhunderts,
bdie Nische um die Madonna des Alberto di Arnoldo im Bigallo. (Ar-
chivraum.) — Wie oft und wie stark der kostbaren Holzschnitzerei
durch Stucco nachgeholfen wurde, weiss ich allerdings nicht anzugeben.
Endlich mögen hier einige geschnitzte Decken angeführt wer-
den, in deren Pracht die Renaissance bisweilen keine Schranken kannte.
Sie sind sämmtlich auf starkfarbig (mit Teppichen, Malereien etc.) de-
corirte Wände berechnet und sehen, wo diess mangelt, um so schwerer
aus, da die Vergoldung meist erblichen und das Holz stark nachge-
cbräunt ist. Die reichste, noch aus dem XV. Jahrhundert, ist die der
Sala de’ Gigli im Pal. vecchio (sechseckige Cassetten, ringsum ein
Löwenfries); die der anstossenden Sala d’Udienza, von Marco del
Tasso, scheint etwas neuer. Einfacher und leichter die Decken in
dPrivatgebäuden, z. B. im Pal. Guadagni (Vorsaal des ersten Stockes).
Andere Decken florentinischer Künstler sind bei Anlass Roms zu er-
wähnen. — Nach dem Entwurf Michelangelo’s soll dann die sehr
eschöne Decke der Bibl. Laurenziana gearbeitet sein; sie hat viel grös-
sere Eintheilungen und eine freiere vegetabilische Verzierung; unten
wiederholt der Ziegelboden dieselbe Zeichnung. (Fantozzi schreibt
auch die vergoldete Decke in der Kirche der Benedictinerinnen von
S. Apollonia, Via S. Gallo N. 5747, dem M. Angelo zu; der Verfasser
hat sie nicht gesehen.) Auf diesem Princip baute Segaloni weiter,
fder 1625 die Decke der Badia entwarf, eines der trefflichsten Werke
dieser Art, von glücklich gemischtem architektonischem und vegetabi-
lischem Reichthum, freilich ohne alle organische Verbindung mit dem
gGebäude. — Die Decke der Annunziata, von Ciro Ferri, im späten
und schon flauen Barockstyl.
[263]Pisa. Lucca. Siena.
Pisa hat einige zwar späte, aber vorzügliche Arbeiten, zumal
Intarsien aufzuweisen.
Im Dom ist zunächst der Bischofsstuhl gegenüber der Kanzel 1536a
von Giov. Batt. Cervellesi (bei Vasari: Cervelliera) gearbeitet,
ein Prachtstück der durch die Antike besonnen gewordenen Intarsia,
das gerade in dieser Art seines Gleichen sucht. — Das Stuhlwerk im
untern Theil des Chores ist etwas älter (angeblich von Giul. da Ma-
jano) ebenfalls lauter reiche Intarsia, mit Propheten, baulichen An-
sichten, Musikinstrumenten, Thieren u. s. w. Die plastisch trefflichen
geschnitzten Ausläufe lassen auf den Meister des Stuhlwerkes der
Badia in Florenz rathen. — Die beiden Throne über den Chorstufen
stattlich im beginnenden Barockstyl um die Mitte des Jahrhunderts.
Von geschnitzten Decken ist die sehr glänzende und noch streng
eingetheilte des Domes vom Ende des XVI. Jahrhunderts. Ausge-
arteter und schon mehr als ein freies Prachtstück behandelt: diejenigeb
von S. Stefano de’ Cavalieri (nach 1600).
In Lucca: der Orgellettner rechts im Dom vom Jahr 1481, derbc
geschnitzt; ausser der Holzfarbe Gold und Blau. (Allerlei neuere Zu-
thaten.)
Die drei vordern Thüren des Domes, die mittlere von grösster
Vortrefflichkeit. (In der Sacristei fünf Intarsiatafeln.)
Die Thür des erzbischöflichen Palastes, älter und einfacher. (Innend
eine treffliche Balkendecke auf geschnitzten Consolen.)
Der Orgellettner links im Dom, gute Barockarbeit, von Santee
Landucci 1615.
In Siena gehört das Stuhlwerk der obern Capelle des Palazzof
pubblico, von Domenico di Niccolò (1429), der frühsten Renais-
sance an; die Intarsia an den Wänden stellt Figuren mit den Artikeln
des christlichen Glaubens dar. (Die Orgeleinfassung später und sehr
schön.) — Aus der Blüthezeit des Styles sind die Intarsien des Frag
Giov. da Verona (1503) zu erwähnen, welche, aus einer andern
Kirche entlehnt, in die Rücklehnen der Stühle zu beiden Seiten der
Chornische des Domes eingelassen sind; sie stellen theils heilige Ge-
räthschaften und Symbole, theils Ansichten von Gebäuden und Gassen
[264]Renaissance-Decoration in Holz.
aim Sinne jener Zeit dar. — Ganz einfach und schön das Stuhlwerk
im Chor der Hospitalkirche della Scala, von Ventura di Giuliano.
Vom allerreichsten und tüchtigsten beginnenden Barockstyl das in
bdieser Art klassische Stuhlwerk in der Chornische des Domes, sammt
Pult, 1569 von Bart. Negroni, genannt Riccio.
Wenn auch Handwerker, sonst namenlos, in dieser Gattung bis-
weilen das Herrlichste leisteten, schlossen sich doch berühmte Künst-
ler nicht gegen die Übernahme von Zeichnungen ab. So hat Bal-
dassare Peruzzi, der so manche kleine Kirche mit ein paar
tausend Backsteinen zum Kunstwerk schuf, auch die Holzdecoration
cnicht verschmäht. Von ihm ist der edelprächtige Orgellettner (rechts)
in der genannten Kirche della Scala, auf den stolzen Consolen, ent-
dworfen; in seinem Geist schufen die beiden Barili (1511) denjenigen
im Dom über der Sacristeithür.
Die schönste in Siena vorhandene Holzdecoration, freilich ganz
earchitektonisch gedacht, sind wohl die acht eichenen Pilaster aus dem
Palazzo del Magnifico (um 1500), jetzt in der Academie (vierter
Raum); Werke des Antonio Barile. Wenn die Arabesken, von
Thierfüssen beginnend, ihre Gefässe, Genien, Pane, allegorische Fi-
guren, Seepferde u. s. w., zu einem solchen Ganzen bildet wie hier,
so vermisst man den weissen Marmor kaum.
In Perugia steht das Stuhlwerk und Pult des Cambio obenan;
keine Behörde der Welt sitzt so schön wie die Herren Wechselrichter
der Hauptstadt von Umbrien. Mitten im Reichthum der durchgebil-
deten Renaissance (nach 1500) wird auf das Edelste das Mass beob-
achtet und der Unterschied der profanen Bestimmung von der hei-
gligen festgehalten. — Zunächst folgt das berühmte Stuhlwerk im Chor
von S. Pietro, vollendet von Stefano da Bergamo um 1535 (mit
Ausnahme der vordern Zusätze mit dem Datum 1556 und der Chiffre
S. D. A. S.). Der untere Theil der Sitzrücken Intarsia, das Übrige
Relief, von grosser Pracht und sehr edelm Geschmack. Die Erfindung
wird ohne irgend einen bündigen Grund beharrlich Rafael zugeschrie-
ben, der doch in seiner letzten, höchstens dem Beginn dieses Werkes
entsprechenden Zeit selbst die Decoration der vaticanischen Loggien
[265]Siena. Perugia. Rom.
grossentheils seinen Schülern überlassen musste. Die einzelnen rafae-
lischen Motive, als Mittelfiguren der Wandstücke (die Caritas und
Fides aus der vaticanischen, damals noch in Perugia befindlichen
Predella, der Christus aus Perugino’s und Rafaels Auferstehung im
Vatican, selbst der Heliodor, u. A. m.) beweisen, als bunte Auswahl
von Reminiscenzen, gerade gegen Rafaels Urheberschaft. — Von einema
gleichzeitigen, sehr tüchtigen Holzschnitzer die Chorstühle von S. Do-
menico und vielleicht auch diejenigen von S. Agostino (für welcheb
man eben so willkürlich Perugino in Anspruch nimmt); an beiden
Orten die Intarsia besser als das Relief. — (Die Chorstühle des Do-c
mes glaube ich nach flüchtiger Erinnerung in dieselbe Zeit versetzen
zu können.) — Der Übergang in das Barocke macht sich kenntlich
an dem sehr zierlichen Stuhlwerk eines durch Gitter abgeschlossenen
Raumes im Dom, rechts vom grossen Portal. — In allen bedeutendern
Kirchen und Sacristeien der Stadt und Umgegend eine Menge Besseres
und Geringeres dieser Art; zusammen ein vollständiger Cursus der
Decoration in Holz.
In Rom findet sich von dieser Art nur sehr Weniges, aber Be-
deutendes aus der guten Zeit, nämlich die Thüren der Zimmer Rafaelsd
im Vatican, unter Leo X. geschnitzt von Giovanni Barile und
mit Intarsia versehen von Fra Giov. da Verona. Es lässt sich
denken, dass das Verhältniss der beiden Gattungen und die Grenze
dessen, was sie neben den Fresken zu leisten hatten, bei dieser Auf-
gabe besonders gründlich erwogen wurde. — Die Pforten in den
Loggien u. a. a. O. im Vatican stammen meist erst aus spätern Pon-
tificaten her. — Das Stuhlwerk in S. Eusebio soll eine gute Arbeite
vom Ende des XVI. Jahrhunderts sein. — Dasjenige der Capella del
Coro in S. Peter erst aus der Barockzeit.
Daneben besitzt Rom vielleicht die beiden edelsten Holzdecken
der Renaissance. Die eine (von Giuliano da Majano?) in S.f
Marco, noch früh und bescheiden aus der Zeit Pauls II.; die andere,
von Giuliano da San Gallo, in S. Maria maggiore, Stiftungg
Alexanders VI., von dem schönsten und dabei weise gemässigten
Reichthum goldener Zierrathen auf weissem Grund, den man sonst
[266]Renaissance-Decoration in Holz.
nur zu selten angewandt findet. — In allen nicht gewölbten Kirchen
wurden dann fortwährend stattliche und prächtige Decken angebracht,
allein der Barockstyl verräth sich ausser dem Detail auch in der oft
bizarren, der wirklichen (und vom Auge verlangten oder voraus-
gesetzten) Balkenlage widersprechenden Eintheilung; die bunte Be-
malung (ausser dem Gold mit Blau und Roth) vollendet den schweren
Eindruck.
Meist um das Jahr 1600: die Decken in S. Maria in Trastevere,
S. Crisogono, Araceli, Lateran, S. Cesareo, S. Martino a’ monti etc.
Weit erquicklicher erscheinen die farblosen und auf die Holzfarbe
bberechneten Decken, z. B. in S. Lorenzo fuori le mura (hinten), und
cdie sehr stattliche im grossen vordern Saal des Pal. Farnese.
Neapel ist reich an stattlichem Stuhl- und Schrankwerk etc.
aus der Barockzeit, besitzt aber doch auch Einiges aus der frühen
und schönen Renaissance, sowohl Intarsia als Schnitzarbeit. Dahin
dgehören die Chorstühle von Monte Oliveto, namentlich aber eine An-
zahl von Thürflügeln, deren Behandlung für den Architekten wenigstens
enicht ohne Interesse ist. So diejenigen von Monte Oliveto, die Thür
welche in S. Severino nach der Sacristei führt, die Thür an S. Arpino
(Strada Trinità), die einfachern Pforten mehrerer Paläste (Colobrano-
Carafa, della Pianura in einer Seitengasse rechts neben S. Paolo,
fu. a. m.). Die Pforten der Crypta im Dom sind von Erz gegossen,
wahrscheinlich nach Angabe des Architekten.
Den Übergang in das Barocke bildet auch hier Giovanni da
gNola mit den ungemein reichen Sacristeischränken der Annunziata
(um 1540). Das Schnitzwerk, welches die ganze Geschichte Christi
darstellt, ist eine mühselige und styllose Zugabe zu dem schon sehr
unreinen Ornament.
In der Provinz Salerno enthält die Carthause S. Lorenzo di Pa-
dulla ein sehr umfangreiches Chorgestühl mit lauter biblischen Ge-
schichten in Intarsia. (Mittheilung eines Freundes.)
In Genua ist das Stuhlwerk des Domchors eine sehr bedeutende
Arbeit aus dem Anfang des XVI. Jahrhunderts, von dem Bergamasken
[267]Neapel. Genua. Oberitalien.
Francesco Zabello, welchem wenigstens die ausgedehnten bibli-a
schen Geschichten in den Intarsien der Rücklehnen zugeschrieben
werden. Allein diese sind gerade der geringere Theil; eigenthümlich
und reich belebt erscheint eher das Decorative, zumal das durch-
brochene und figurirte Rankenwerk über den Lehnen, die Friese und
runden Bedachungen. — In den meisten übrigen Kirchen Neueres
und nicht von dem Belang, den man bei dem sonstigen Luxus er-
warten würde.
Bologna besitzt vor Allem die schönsten figurirten Intarsien
von ganz Italien, in dem berühmten Stuhlwerk des Chores von S.
Domenico, einer Arbeit des Dominicaners Fra Damiano da Ber-
gamo (um 1530). Das Decorative tritt hier bei aller Gediegenheit
doch weit zurück hinter dem unermesslichen Reichthum und der tüch-
tigen Ausführung des Malerischen. Schon die oben herumlaufende
Inschrift ist durchzogen und umspielt von hunderten von tanzenden
und spielenden Putten. An den Stuhlrücken sind dann die Geschichten
des alten und neuen Testamentes dargestellt, nicht Duzendarbeit, nicht
Reminiscenzen, sondern lauter originelle Compositionen voll Geist und
Leben. Die vermuthlich frühern erinnern mehr an die umbrische, die
spätern mehr an die römische Schule. Die vordere Stuhlreihe (die
im Jahr 1744 einer nothwendigen Restauration scheint unterlegen zu
sein) enthielt vermuthlich in ihren kleinern Rückenfeldern die Ge-
schichte des H. Dominicus, wenigstens sind in der Sacristei noch
einige etwa daher gerettete Felder dieses Inhaltes, nebst einigen der
grössern biblischen Reihe, in das Schrankgetäfel eingelassen. (Eben-
falls mit Fra Damiano’s Namen.)
Neben dieser unvergleichlichen Arbeit ist alles übrige Schnitz-
werk Bologna’s untergeordneter Art. Doch mag man im Palazzob
apostolico (Vorsaal des zweiten Stockwerkes) die Thür mit Relief-
ornamenten nicht übersehen, welche u. a. das stets schönheitverkün-
dende Wappen Papst Julius II. enthalten. Aus derselben Zeit möchtec
das einfach gute Stuhlwerk der Misericordia herrühren. — In S. Pe-d
tronio ist das sehr ausgedehnte des Chores von unbedeutender Bildung;
dagegen enthält die achte Capelle rechts Stücke des alten Stuhlwerkes
[268]Renaissance-Decoration in Holz.
aus S. Michele in Bosco, von dem Olivetanermönch Fra Raffaele
da Brescia, mit guten Reliefpilastern und Intarsien perspectivischen
aInhalts; in der fünften Capelle links sind die Intarsiaornamente des
Stuhlwerkes (von Giacomo de Marchis und seinen Brüdern, 1495)
bsogar von florentinisch schöner Bildung. — In S. Michele in Bosco:
die beiden Beichtstühle rechts, wohl des Fra Damiano würdig. — In
cS. giovanni in Monte erscheint das Stuhlwerk des Paolo Sacca
(1523), eine saubere und tüchtige Arbeit, technisch wie eine Vorstufe
des Letztern (die Intarsien bloss Bau- und Schrankansichten). — We-
dniger bedeutend: das Stuhlwerk der Certosa, theils vom Jahr 1539,
theils (nachgeahmt) 1611.
Die sehr zahlreichen Bilderrahmen aus der Werkstatt des
Formigine können mit dem schönen Styl der oben genannten flo-
rentinischen keinen Vergleich aushalten. Überhaupt steht in Bologna
die Reliefschnitzerei durchgängig tiefer als die eingelegte Arbeit.
In Parma hat der Dom ein noch halbgothisches Stuhlwerk vom
Jahr 1473, bezeichnet: Cristoforo Lendenari. Dieser harmlose
Meister fand einen Verehrer und Nachahmer („cultor“) in Lucchino
Bianco von Parma, welcher das Getäfel der Sacristei, wenigstens
einen Theil desselben, schnitzte. (Meist Intarsia.) — Weit das Präch-
ftigste aber sind die Chorstühle von S. Giovanni, als deren Verfertiger
Zucchi und Testa genannt werden. In der Anordnung halbrunder
Muscheln oben, in der Behandlung der Reliefarabesken, in den zu
Drachen belebten und durchbrochenen Seitenstützen haben diese vor-
züglichen Arbeiten etwas mit dem Gestühl in Genua gemein, in den
höchst saubern Intarsien der Rücklehnen, welche lauter bauliche An-
sichten von originellster Renaissance darstellen, sind sie von einzigem
Werthe. (Vgl. S. 173.)
Im Battistero: Stuhlwerk von ähnlichem Styl und wohl von den-
selben Händen wie in S. Giovanni.
Gute Rahmen dieses Styles: um das Altarbild im Battistero,
um die Bilder in der ersten und zweiten Capelle rechts in S. Gio-
vanni. Wie die Schule Corregio’s einrahmte, zeigt z. B. das erste
[269]Parma etc. Venedig.
Bild rechts in S. Sepolcro (eine heil. Familie von Girolamo Mazzola,)a
wo sich auch eine der stattlichsten Barockdecken mit herabhängendem
Zapfenwerk und gewaltigen Consolen befindet.
Von Thüren ist die mittlere des Domes vorzüglich schön, auchb
die zu beiden Seiten und die etwas strengern des Battistero (in alter
Form erneuert).
In Modena enthält der Domchor ein Stuhlwerk, welches demc
des Domes von Parma ähnlich und von demselben Lendenari 1465
gefertigt ist.
Das umfangreiche Stuhlwerk im Dom von Ferrara (1498—1525)d
ist in der Decoration flüchtig neben den bessern bolognesischen Ar-
beiten; die Intarsien überdiess sehr verdorben. — Ein ähnliches Stuhl-
werk in S. Andrea daselbst.
In dem reichen Venedig, das die Bergamasken so nahe unter
der Hand hatte, ist die in Rede stehende Gattung lange nicht so ver-
treten, wie man erwarten sollte. Die Prachtliebe selbst verhinderte
zum Theil das Aufkommen der Holzschnitzerei: statt manches Ge-
täfels findet man eine Bekleidung mit kostbaren Marmorarten. Die
Chorstühle der Kirchen aber sind grossentheils neuer.
Nicht sehr alt, aber doch noch halbgothisch sind diejenigen ine
den Frari, 1468 von Marco da Vicenza geschnitzt; mit keckem
durchbrochenem Laubwerk, hohen geschwungenen Giebeln und Spitz-
thürmchen. Die Relief-Halbfiguren der Rücklehnen sind bedeutender
als die darunter befindlichen Intarsien (bauliche Ansichten u. dgl.).
— Ganz in derselben Art, nur einfacher: das Stuhlwerk in einerf
grossen Nebencapelle rechts an S. Zaccaria; dasjenige im Chor von
S. Stefano.
Es folgt das Getäfel und Schrankwerk hinten in der Sacristei vong
S. Marco, seit 1520 verfertigt von Antonio und Paolo da Man-
tova, Vincenzo da Verona u. A., mit guten geschnitzten Ein-
fassungen und grossen Intarsien; diese stellen unten das Innere der
Schränke dar, oben Stadtansichten, die mit den Wunderthaten des S.
Marcus staffirt sind, gute Compositionen in sorgfältiger Ausführung,
doch mit Fra Damiano’s Stuhlwerk nicht zu vergleichen. — Schöne
[270]Renaissance-Decoration in Holz.
aIntarsiaarabesken der guten Zeit sieht man an dem Getäfel im Chor
der Kirche (gegen das Schiff zu).
Mit dem Beginn der Barockzeit fanden reiche, geschnitzte Histo-
rien oder Brustbilder, begleitet von buntquellendem Ornament hier
einen ausgesprochenen Vorzug. Dieser Art ist das Stuhlwerk des
bNiederländers „Alberto di Brule“ im Chor von S. Giorgio maggiore,
das noch spätere Wandgetäfel in der Cap. del rosario und im linken
Seitenschiff von S. Giovanni e Paolo, dasjenige in den obern Sälen
der Scuola di S. Rocco, im Chor des Carmine etc. Bei grossem
Luxus und einer oft raffinirten Behandlung des Figürlichen ist das
Decorative doch ohne rechte Freudigkeit, als wäre es nur eine Ne-
bensache.
Dafür sind in Venedig noch eine Anzahl geschnitzter Decken
der Frührenaissance vorhanden, dergleichen man vielleicht sonst nir-
gends beisammen findet. Da es sich nicht um heilige, sondern um
Palasträume u. dgl. handelte, so durfte auch die Decoration hier we-
niger ernst architektonisch, mehr reich und spielend verfahren. Daher
überwiegt nicht die Balkenlage und Einrahmung, sondern der Zier-
rath; nicht die Cassette, sondern die Rosette, als Schild, Blume etc.
mit der grössten Pracht — in der Regel gold auf blau — stylisirt.
cZwei dergleichen finden sich in den vom Brand des Jahres 1574 un-
berührt gebliebenen Zimmern des Dogenpalastes (Sala de’ Busti und
Camera a letto, beide zur jetzigen Antikensammlung gehörend); ein
dsehr reicher, mit figurirten Mittelfeldern, und ein ganz vergoldeter mit
Cherubim in der Academie (Räume des alten Klosters der Carità). —
eVon Kirchendecken dieses Styles ist die (beträchtlich erneuerte) in
S. Michele erhalten, mit quadratischen Cassetten. Ein schönes Stück
einer Holzwölbung in S. Giacomo dall’ Orio (rechtes Querschiff).
Von Gemälderahmen ist wohl nach den noch gothischen der
fmuranesischen Altarbilder (Academie, zweite Nebencapelle rechts an
S. Zaccaria, sowie Pinacoteca zu Bologna) als einer der schönsten der
gganzen Renaissance derjenige zu nennen, welcher das Bild Giov. Bel-
lini’s in der Sacristei der Frari umgiebt (1488); oben Sirenen und
Candelaber. Andere geringere: zweite Capelle links vom Chor, um
den Johannes Donatello’s; dritte Capelle links vom Chor, um das
Bild des Basaiti.
[271]Venedig. Padua. Verona.
Über die Marmorrahmen mancher venezianischen Altarbilder vgl.
S. 261, Anm. 2. Ihre Arabesken sind nirgends von besonderm Werth.
In Padua ist das höchst prachtvolle Stuhlwerk im Chor von S.a
Giustina, mit zahllosen Historien, erst aus der beginnenden Barock-
zeit; dasjenige in der nahen Capella S. Prosdocimo (Capitelhaus) da-
gegen von früher Renaissance mit guten Intarsien (Ansichten u. dgl.).
Der Rahmen um das Bild Rumanino’s ist dieses schönsten Gemäldes
von Padua nicht unwürdig. — Sehr grosse Intarsiatafeln mit Figurenb
findet man in der Sacristei des Santo.
Von Holzdecken hat diejenige im Obergeschoss der Scuola delc
Santo gemalte Cassettirungen der guten Zeit.
Mit Verona gelangen wir in die Gegenden, wo die grössten
Virtuosen dieser Gattung heimisch waren. Einiges sehr Bedeutende
haben sie auch an Ort und Stelle hinterlassen.
Ein bescheidenes, aber graziöses Stuhlwerk der Frührenaissance
findet sich hier im Chor von S. Anastasia, mit bloss decorativen In-d
tarsien. — Allein dasselbe verschwindet neben den Arbeiten des in
diesem Fach berühmten Fra Giovanni da Verona. In der Kirche
seines Klosters, S. Maria in organo, ist von seiner Hand 1) zunächste
der grosse hölzerne Candelaber (Capelle rechts vom Chor), von schön-
stem Detailgeschmack, doch nicht ganz glücklich componirt; der Tem-
pietto am obern Theil, mit den Statuetten auf Sphinxen und Harpyjen
giebt einen unklaren Contour. Sodann das Stuhlwerk des Chores
(1499), im Geschnitzten und Durchbrochenen wie in den Intarsien
(welche oben Stadtansichten und Schrankbilder, unten Arabesken ent-
halten) von gleichmässiger Schönheit und Gediegenheit ohne Raffine-
ment; auch der Chorpult in echter Form erhalten. Ferner das Getäfel
der linken Wand in der Sacristei, später, reicher, ja z. B. in den can-
delaberähnlichen Wandsäulchen schon ziemlich überladen. — Neben
diesen Arbeiten des Giovanni befinden sich andere Stücke, nämlich
[272]Renaissance-Decoration. Holz. Prachtgeräthe.
adie Wandsitze vor dem Hochaltar und das Getäfel der rechten Wand
in der Sacristei, welche in der Holzarbeit nur schlicht, aber durch
die aufgemalten Landschaften des Caroto und Brusasorci merk-
würdig sind.
In Brescia enthält der Chor von S. Francesco ein noch halb-
gothisches Stuhlwerk, mit kalligraphisch zierlichen Intarsien, und einen
der prachtvollsten Gemälderahmen des ganzen Styles.
In Bergamo endlich ist wenigstens ein Prachtstück und zwar
des Fra Damiano selbst, erhalten: das hintere Stuhlwerk im Chor
von S. Maria maggiore, mit den geistvollsten Intarsien, bestehend aus
Puttenfriesen verschiedener Ordnung und sehr schönen historischen
Mittelfeldern. — Das vordere Stuhlwerk desselben Chores, von den Brü-
dern Belli, ist etwas älter; der ringsum gehende Aufsatz bildet eine
leichte hölzerne Bogenhalle mit geschnitzten Akroterien (Meerwundern,
Candelabern etc.). Die Intarsien der Sitzrücken, welche kirchliche Ge-
räthe und Symbole zu Stillleben geordnet darstellen, könnten wiederum
von Fra Damiano sein.
Den Beschluss der plastischen Decoration machen die Schmuck-
sachen, Gefässe und Prachtgeräthe hauptsächlich des XVI.
Jahrhunderts, deren Styl wesentlich durch einen weltbekannten Künst-
ler, den Florentiner Benvenuto Cellini (1500—1572) sein Ge-
präge erhielt.
Der einzige Ort, wo documentirte Sachen Benvenuto’s in einiger
dAnzahl beisammen sind, der Tesoro des Pal. Pitti in Florenz, ist dem
Verfasser unzugänglich geblieben. Indess ergiebt sich ein Bild des
Styles aus den Vasen, Schalen u. a. Schmuckgegenständen, welche
e(nebst Neuerem) in den Uffizien, Abtheilung der „Gemme“ aufgestellt
fsind; Einiges findet sich auch in der Galerie des Pal. Pitti (Durch-
ggang zu den hintern Zimmern); dann im Museum von Neapel (Abthei-
lung der Terracotten, zweiter Saal), so wie zerstreut a. a. O. Manches
von diesen Prachtgegenständen ist auch älter als Benvenuto oder sonst
von seiner Art unabhängig.
[273]Styl des Benvenuto Cellini.
Das gegebene Motiv war in der Regel: irgend ein kostbares Mi-
neral, hauptsächlich Agate, Jaspen, Lapislazuli, auch wohl schöne
Glasflüsse in mehr oder weniger freier, selbst phantastischer Form
zum Gefässe zu bilden und mit Henkeln, Fuss, Rand, Deckelgriff etc.
von Gold mit Email oder Edelsteinen zu versehen; oder man fasste
eine Vase von Bergkrystall mit eingeschliffenen Ornamenten oder Ge-
schichten auf dieselbe Weise ein; Seemuscheln u. dgl. erhielten meist
einen geringern Schmuck. Ausserdem giebt es noch hie und da ganz
metallene Goldschmiedearbeit mit Email und Edelsteinen aus die-
ser Zeit.
In dem vegetabilischen Ornament, in der Bildung der Arabeske
darf man hier wohl nirgends mehr die unabhängige, elastische Schön-
heit der frühern Renaissance suchen, allein innerhalb der Grenzen der
Gattung hätte diese wohl überhaupt kaum eine Stelle gefunden. Das
Wesentliche ist der vollkommene Einklang der reichen Formen und
der Farben; der Gefässprofile und der Einfassungen und Zuthaten,
der hier erreicht ist; allerdings scheinbar nur ein conventioneller Ein-
klang, der aber gleichwohl classische Gültigkeit erlangt hat. Kostbare
Steinarten, bei deren Bildung der Künstler schon auf die Form des
eben vorhandenen Stückes Rücksicht nehmen, und die er zu irgend
einem Phantasiemotiv verarbeiten musste, gestatteten in der goldenen
Einfassung nichts streng Architektonisches, auch keinen zu grossen
plastischen Reichthum, sondern verlangten gerade die delicaten Hen-
kel, Ränder etc. von Gold und Email, welche wir hier sehen. Und
zwar wechselt insgemein flacheres Email auf Gold mit Relieforna-
menten rings um die Edelsteine. In den Farben ist mit feinstem Sinn
das Richtige getroffen: zu Lapislazuli u. dgl. eine Einfassung von
Gold und Perlen; zu rothbraunem Agat eine Einfassung von weissen
Emailzierrathen und Diamanten auf schwarzem Grunde u. s. w. Eine
Hauptconsequenz der freien Gefässform aber war die phantastische
(und doch noch nicht fratzenhafte) Ausbildung einzelner Theile der
Einfassung zu Masken, Nymphen, Drachen, Thierköpfen u. dgl., und
hier scheint Benvenuto vorzüglich in seinem Elemente gewesen zu
sein. Statt der reinen Arabeske gab er Leben und Beweglichkeit.
Von den geschliffenen Crystallsachen ist einiges bloss ornamen-
tistischer Art, wie z. B. die herrlich mit Gold und Roth emaillirte
B. Cicerone. 18
[274]Renaissance-Decoration. Styl des Benvenuto.
aDeckelschale in den Uffizien (mit den verschlungenen Buchstaben H
und D, Heinrich II. und Diane de Poitiers?), das Bedeutendste aber
figurirt; so (ebenda) eine Art von Trajanssäule mit reicher Basis,
zwei Schalen mit Nereidenzügen, eine Flasche mit Bacchanal, u. s. w.
Ausserdem befindet sich hier ein berühmtes Denkmal: das Käst-
chen Clemens VII mit den in den Crystall geschliffenen Passions-
geschichten des Valerio Vicentino. Wie die Robbia, so ist
Valerio durch seinen Stoff zu einer Einfachheit der Darstellung ge-
nöthigt worden, deren Mangel die Reliefs der grössten Meister jener
Zeit nur bedingt geniessbar macht. So glaubt man eines der reinsten
Denkmäler damaliger Sculptur vor sich zu sehen; es fragt sich aber,
ob Valerio im Marmor ebenso einfach und bedeutend geblieben wäre.
Vielleicht dem hohen Werthe dieser Compositionen zu Liebe wurde
die Einfassung des Kästchens eine nur schlicht architektonische. (Zu
bvergleichen mit den Relieftäfelchen Verschiedener im ersten Zimmer
der Bronzen, ebenda.)
Anders das farnesische Kästchen des Joannes de Bernardi im
Museum von Neapel, an welchem die reiche, bewegte Metalleinfassung
das Übergewicht hat über die Crystallschliffe (Jagden, Thaten des
Hercules etc.). Als decoratives Ganzes einzig in seiner Art, ist es
im Einzelnen bei trefflicher Arbeit doch minder erfreulich als das
ebengenannte 1).
Leider ist von den erzgegossenen Prunkgegenständen, nach wel-
chen Benvenuto’s Lebensbeschreibung die Lust rege macht, nichts
Sicheres mehr erhalten 2). — Die welche bald nach ihm kamen, erbten
das feine Gleichgewicht seiner Behandlung nicht, wurden auch wohl
[275]Kostbare Stoffe. Majoliken.
der sinnlosen spätmediceischen Liebhaberei für das Seltene und Schwie-
rige unterthan. (Apostelstatuetten von kostbaren Steinen und Exvoto-a
relief Cosimo’s II in den Uffizien.) — Von dieser Sinnesweise sonst
kunstverdienter Regenten ist dann die florentinische Mosaiktechnik in
„harten Steinen“ (pietre dure) ein unvergänglich zu nennendes Denk-
mal. Wir dürfen die unglaublich kostspieligen Arbeiten dieser Fabrik
aus dem XVII. und XVIII. Jahrhunderte übergehen, da der selbstän-
dige und eigenthümliche künstlerische Zug darin ungemein schwach
ist. Das beste sind vielleicht einzelne Tischplatten mit Ornamenten
auf schwarzem Grunde; von Arbeiten grössern Massstabes nennen
wir bei diesem Anlass die Reliefverzierungen von feinen Steinen inb
der Madonnencapelle der Annunziata, die Wappen in dem grossenc
Kuppelanbau von S. Lorenzo und das Chorgeländer im Dom von Pisa.d
Das römische Mosaik, welches nicht auf dem principiellen Luxus
harter Steine, sondern auf der mittelalterlichen Glaspaste beruhte und
eine natürliche Fortsetzung des alten, nie ganz vergessenen Kirchen-
mosaikes war, konnte denn auch bis auf unser Jahrhundert ganz
andere Dienste leisten. Zur Zeit des Maratti, unter der Leitung des
Cristofari, gab es die grössten modernen Altarbilder mit der Wirkung
des Originals wieder. (Altäre von S. Peter.)
Einen Übergang von der plastischen Decoration zur gemalten bil-
den u. a. die sog. Majoliken, überhaupt die glasirten Geschirre des
XVI. Jahrhunderts, in dessen zweiter Hälfte hauptsächlich zu Castel
Durante im Herzogthum Urbino eine ganze Schule mit diesem Kunst-
zweig beschäftigt war. — Der Verfasser kennt die wichtigste Samm-
lung, die der Apotheke der Kirche von Loretto, nicht aus Anschauung;f
eine Menge der besten Geschirre befinden sich ohnediess im Ausland
(Sammlungen in Paris, Berlin etc.); in Italien bewahrt z. B. das
Museum von Neapel (zweiter Saal der Terracotten), die Villa Albanig
bei Rom (am Billardsaal) u. a. Sammlungen noch manches Gute.h
Es sind fast die Farben der Robbia (S. 237), gelb, grün, blau,
violett, auf welche sich die Majolikenmaler beschränkten; in diese
trugen sie Geschichten und Ornamente über, erstere grossentheils nach
Compositionen der römischen Schule, auch Rafaels selbst, wesshalb
18*
[276]Renaissance-Decoration. Majoliken.
die Sage nicht ermangelt hat, sogar ihn persönlich zum Geschirrmaler
zu machen. (Einer der Urbinaten dieses Kunstzweiges hiess überdiess
Raffaele Ciarla, was Spätere unrichtig verstanden.) Auch Gio. Batt.
Franco lieferte viele Zeichnungen. Unseres Erachtens ist indess das
Ornament bei Weitem das Wichtigere, sowohl die kecke plastische
Bildung des Gefässes selbst mit Thierfüssen, Fruchtschnüren, Muschel-
profilen etc., als die aufgemalten Zierrathen. Für die letztern war die
Beschränkung in den Farben offenbar eine jener wohlthätigen Schran-
ken, welche das Entstehen eines festen und sichern Styles begünstigen.
Das schon etwas vorgerückte XVI. Jahrhundert verräth sich allerdings
in einzelnen barocken Formen, allein im Ganzen ist das Ornament
doch vom besten dieser Zeit (namentlich wo es zart und dünn auf
einem vorherrschenden weissen Grunde steht).
Was giebt diesen einfachen Geschirren einen solchen Werth?
unsere jetzige Fabrication liefert ja ihre Sachen viel sauberer und
raffinirter. — Die Majoliken sind eben keine Fabricate, sondern Hand-
arbeit, aus einer Zeit allverbreiteten Formgefühls; in jeder Scherbe
lebt ein Funke persönlicher Theilnahme und Anstrengung. Sodann
sind sie wirkliche Gefässe; das Schreibzeug (es giebt deren sehr
schöne) will keinen Altar, die Butterbüchse kein Grabdenkmal vor-
stellen.
Im Museum von Neapel (a. a. O.) ist auch noch das einfach
prächtige Service des Cardinals Alessandro Farnese (blau mit auf-
gemalten Goldornamenten) zu beachten.
Von der gemalten Decoration endlich und von ihren wich-
tigsten Leistungen muss hier in einigem Zusammenhang die Rede sein.
(Der Verfasser bedauert, diesem Capitel aus Mangel an Kenntnissen
bei weitem nicht die wünschbare Reichhaltigkeit geben zu können.)
Die Gattung als solche ruht hauptsächlich auf den Schultern eini-
ger grossen Historienmaler, deren Sache sie auch in Zukunft sein und
immer wieder werden wird. Alle blossen Decoratoren, welches auch
ihr Schick und ihre Keckheit sein möge, können sie auf die Länge
[277]Einfassungen von Fresken.
nicht fördern, ja nicht einmal auf der Höhe halten; von Zeit zu Zeit
muss der Historienmaler im Einklang mit dem Architekten die Rich-
tung im Grossen angeben. Die Gattung ist entstanden als Einfas-
sung um historische Fresken, als deren Begränzung im baulichen
Raum. Schon die Malerei des XIV. Jahrhunderts hatte gerade diese
Arabesken sehr schön in ihrer Art ausgebildet und mit Polygonen,
Medaillons u. dgl. unterbrochen, aus welchen Halbfiguren (Propheten,
Sibyllen u. dgl.) hervorschauen. Die meisten der unten zu nennenden
Fresken dieser Zeit sind so umgeben. Das XV. Jahrhundert konnte
eine solche Einfassung noch viel weniger entbehren; wie der Pracht-
rahmen für das Tafelbild, so war die Wandarabeske für das Fresco
nichts anderes als die nothwendige Form, in welcher der überreiche
Lebensinhalt des Gemäldes harmonisch auszuklingen strebte. Ausser-
dem aber wurde sie auch zur blossen Decoration von Bautheilen nicht
selten angewandt.
Sie will während des XV. Jahrh. meist noch die Architektur und
Sculptur nachahmen; daher ihre Einfarbigkeit, grau in grau, braun
in braun, u. s. w. etwa mit einzelnen aufgesetzten Goldverzierungen;
auch wiederholt sie die uns vom Marmor her bekannten Motive, nur
reicher und mit stärkerem Aufwand figürlicher Zuthaten. In letztern
scheute man sich auch an der heiligsten Stätte nicht vor der antiken
Mythologie. Wo der Raum es zuliess, wurden über Gesimsen und
Postamenten noch allegorische Figuren, Putten u. dgl. meist in der-
selben Farbe hingemalt.
An den gewölbten Decken aber, und bald auch an den Wand-
pfeilern etc. versuchte man gegen Ende des Jahrhunderts reichere Far-
ben, z. B. Gold auf Blau, und colorirte endlich die einzelnen Gegen-
stände theils nach dem Leben, theils conventionell. Einzelne Künstler
setzten auch die Zierrathen plastisch, in Stucco auf. Bisweilen wird
sogar die Wirkung der Fresken durch eine so reiche und bunte Ein-
fassung beeinträchtigt.
Abgesehen von den in den Bildern selbst und zwar sehr reich-
lich (S. 172 etc.) dargestellten Architekturen giebt die Einfassung von
Filippo Lippi’s Fresken im Dom von Prato eines der frühern Bei-a
spiele der Gattung; ebenso die Einrahmungen des Benozzo Gozzolib
im Camposanto zu Pisa. Domenico Ghirlandajo ist hierin meist sehr
[278]Renaissance. Einfassungen von Fresken.
amässig, Filippino Lippi in den Fresken der Cap. Strozzi in S. Maria
bnovella zu Florenz und der Cap. Carafa in der Minerva zu Rom da-
gegen schon viel reicher, und die peruginische Schule geht vollends
oft über das Maass hinaus. Von Pinturicchio sind fast alle (un-
ten zu nennenden) Fresken reich mit gemalten Pilastern, Gesimsen
cu. s. w. verziert; die erste, dritte und vierte Capelle rechts in S. Maria
del Popolo und die Gewölbemalereien im Chor geben eine umständ-
liche Idee von seiner Behandlungsweise; an den Gewölben eines der
dZimmer, welche er im Appartamento Borgia des Vaticans ausmalte,
sind hochaufgesetzte Stuccozierrathen, Gold auf Blau mit naturfarbi-
gen Figuren (vielleicht von Torrigiano?) angebracht, Alles in dem
nur beschränkt antikisirenden, heitern Styl des Jahrhunderts. (Später,
ein der Libreria des Domes von Siena finden wir ihn viel behutsamer.)
fEin sehr bedeutendes Denkmal dieser Art sind dann Perugino’s
Fresken im Cambio zu Perugia. Die untern Zimmer im Pal. Colonna
gzu Rom, welche nach der Beschreibung noch bezeichnender sein möch-
ten, sind dem Verfasser nicht bekannt. Von einem Zeitgenossen Pe-
hrugino’s sind die decorativen Malereien in der hintern Kirche von
S. Lorenzo fuori le mura.
Eine ganz besondere Vorliebe für diese Zierrathen verräth auch
iLuca Signorelli, der in der Madonnencapelle des Domes von
Orvieto reichlichen und originellen Gebrauch davon machte und selbst
einzelne seiner Staffeleigemälde (z. B. eine Madonna in den Uffizien)
mit einfarbigen Medaillons versah. Er hatte ein tiefes Gefühl von
dem Werthe der Gattung, und wollte in den kleinen Figuren des deco-
rativen Theiles seiner Fresken in Orvieto ein mythologisches Gegen-
bild zu seinen Weltgerichtscompositionen darstellen. Kein Maler des
spätern Italiens hat wohl die Sache so ernst genommen.
Peruginer und Sienesen haben auch die Eintheilung und Ver-
kzierung der Decken in zwei vaticanischen Zimmern zu verantworten.
In der Stanza dell’ Incendio liess Rafael die Arbeiten seines Lehrers
ganz, in der Camera della segnatura von den Malereien Soddana’s
einen Rest und vielleicht die Gesammtanordnung bestehen.
Im XVI. Jahrhundert dauert der bisherige Styl ausserhalb Roms
lnoch einige Zeit fort. So z. B. in Franciabigio’s Einfassungen um
die Malereien A. del Sarto’s im Scalzo zu Florenz. — Ridolfo Ghir-
[279]Decorirende Malerei. Mantegna.
landajo’s gemalte Ornamente in der Sala de’ Gigli und in der Cap.a
S. Bernardo des Palazzo vecchio sind in dieser Art mittelmässig, zu-
mal die letztern, wo die figurirten und die ornamentirten Felder
einander ganz gleichartig sind (Grau auf Gold). — Besonders zierlich
und mit grosser Absicht behandelt sind die Einfassungen der Freskenb
A. Aspertini’s in S. Frediano zu Lucca (links).
Es ist schwer, in dieser Gattung die Grenzen der Decoration scharf
zu bestimmen. Neben der bloss einfassenden Arabeskenmalerei tritt, wie
man sieht, hauptsächlich an den Gewölben eine decorirende Ma-
lerei auf, deren Inhalt, abgesehen von einzelnen örtlichen oder all-
gemein symbolischen Beziehungen, ein wesentlich freier ist. Der
kirchliche Bilderkreis nämlich, welche sich zur Zeit der Giottes-
ken auch über die Gewölbe erstreckt hatte, verliert seinen Allein-
werth; neutrale, bloss für das Auge angenehme Figuren und Scenen,
Reminiscenzen aus der alten Mythe und Geschichte nehmen selbst an
geweihter Stätte seine Stelle wenigstens theilsweise ein. Es ist das
Wesen der Renaissance, dem Schönen, Lebendigen und Charakter-
vollen, auch wenn es beziehunglos ist, den Vorzug zu geben.
Beträchtlich grösser als in Mittelitalien war der Aufschwung der
gemalten Decoration in Oberitalien, dessen Backsteinbau gewisser-
massen darauf als auf einen Ersatz für die mangelnden Quader an-
gewiesen war (Seite 204). Zudem hatte hier die am meisten deco-
rativ gesinnte Schule, die von Padua ihren Sitz. Erhalten ist wenigeres
als man erwarten möchte, doch wenigstens Ein wichtigstes und um-
fassendes Beispiel.
Der grosse Andrea Mantegna, als er in den Eremitani zuc
Padua eine gothische Capelle von der gewöhnlichen Form (eines Qua-
drates und eines polygonen Ausbaues) mit den Geschichten der Heili-
gen Jacobus und Christophorus auszmalen hatte, gab auch den ein-
fassenden und bloss baulichen Theilen einen Schmuck, der in der
Art dieser Zeit classisch heissen kann. Die je sechs Bilder der beiden
Seitenwände erhielten zunächst gemalte Rahmen grau in grau mit
[280]Renaissance. Decorirende Malerei. Verona.
Fruchtschnüren, Köpfen u. s. w.; über diese hängen oben prachtvolle
farbige Fruchtschnüre herunter, an welchen Putten herumklettern. Von
den dunkelblauen Gewölben heben sich die Rippen als grüne Laub-
wulste mit grauen Arabesken eingefasst ab; im Polygon schwingt sich
von Rippe zu Rippe die reichste Fruchtschnur mit weissen Bändern;
im Quadrat umgeben ähnliche Fruchtschnüre die Medaillons mit den
Evangelisten auf Goldgrund. Der übrige blaue Raum dient als Hin-
tergrund für die Gestalten des Gottvater, einiger Apostel und (im
Quadrat) rother geflügelter Putten mit Spruchbändern. (Alles so weit
erhalten, dass man sich den Eindruck des Ganzen herstellen kann.)
Ungleich tiefer steht bei aller Pracht und Zierlichkeit die Deco-
aration der Capella S. Biagio (links) an S. Nazario e Celso zu Verona,
ein frühes Werk des in der Folge als Architekt berühmten Giov.
Maria Falconetto. (Auch das Figürliche zum Theil von ihm, zum
Theil von Franc. Morone.) Weder in dem viereckigen Unterbau und
dem polygonen Ausbau noch in der Kuppel folgt Einfarbiges, Mehr-
farbiges, Goldfarbiges mit der rechten Consequenz aufeinander; aber
die Detailwirkung ist noch in dem kläglichen Zustande des Ganzen
eine sehr angenehme. In der Kuppel zwei Kreise Cassetten für Engel-
gestalten; der Cylinder mit steinfarbener Pilasterstellung für Heilige;
der Fries darunter ein Nereidenzug auf farbigem Grunde; an den
Zwickeln die farbigen Evangelisten zwischen steinfarbenen scheinbaren
Reliefs etc.
Den Ausgang der paduanischen Weise in die der classischen Zeit
bezeichnet dann recht schön und würdig die Gewölbeverzierung in
bder Sacristei von S. Maria in organo zu Verona, von Franc. Mo-
rone, welcher wenigstens die eigentlichen Malereien geschaffen hat.
Eine Auswahl von guten gemalten Arabesken für schmale Wand-
cstreifen bietet S. Nazario e Celso in Verona (Füllungen an den Pfei-
lern zwischen den Seitenaltären); Fruchtschnüre mit und ohne Putten,
goldene Candelaber, Ziergeräthe aller Art etc. auf dunklem Grunde.
(Um 1530?)
Für Parma scheint ein im historischen Fach unbedeutender Ma-
ler, Alessandro Araldi († 1528), der Hauptrepräsentant der von
[281]Parma. Ferrara.
Padua ausgegangenen Zierweise gewesen zu sein. Von ihm ist ina
dem Kloster S. Paolo zu Parma, hinter dem Gemach mit den Fresken
Coreggio’s, das Gewölbe einer Kammer mit Arabesken, Panen, Meer-
wundern, kleinen Zwischenbildern etc. auf blauem Grunde ausgemalt;
in den Lunetten ringsherum heil. Geschichten. Diesen oder einen ähn-
lichen Styl zeigen nun auch die ältern Verzierungen der Pilaster undb
Gewölberippen in S. Giovanni, auch die schöne mosaicirte Nische desc
rechten Querschiffes im Dom (mit Goldgrund). Auch in S. Sisto zud
Piacenza gehört Manches an den betreffenden Bautheilen derselben
Art an. — Mit der grossen Umwälzung aber, welche Coreggio in die
Malerei jener Gegend brachte, drang auch in diese Gattung ein an-
derer Styl ein; die Putten (Kinderengel) verdrängen das Vegetabili-
sche mehr und mehr und füllen endlich die Pilaster, Friese etc. fast
ganz an. Von den Schülern Coreggio’s hat sich Girolamo Mazzola
durch die Bemalung des Gewölbes im Hauptschiff des Domes viel-e
leicht einen grössern Namen verdient, als durch seine Altarbilder,
und wenn man darüber streiten kann, ob die Kappen eines mittelal-
terlichen Gewölbes überhaupt bemalt werden sollen, so wird man doch
zugeben, dass die Aufgabe wohl selten schöner gelöst worden ist.
(Farbige Medaillons mit Brustbildern, Putten, Fruchtkränze, zweifarbige
Einrahmungen der Gewölberippen u. s. w.) Die neuern Malereien in
S. Giovanni, hauptsächlich der Fries, sind weniger glücklich, indemf
hier Vollfarbiges (Sibyllen, Putten u. s. w.) und Einfarbiges (heilige
Geschichten), noch dazu von verschiedenem Massstab, auf Einer Fläche
vereinigt sind. Die Pilasterverzierungen etc. in der Steccata scheineng
von geringern Händen zu sein, ebenso die neuern Bestandtheile inh
S. Sisto zu Piacenza.
Ferrara hat in dieser Beziehung Einiges nicht bloss aus der
guten Zeit, sondern auch von einem grossen Künstler aufzuweisen.
Im Erdgeschoss des erzbischöflichen Seminars sind noch die grau ini
grau gemalten Decken zweier Gemächer von Garofalo (bez. 1519)
erhalten, welche einen frisch von Rom gebrachten Schwung verrathen,
noch nicht in der Art der Loggien, sondern der Stanzen. Der Styl
der Ornamente ist der Zweifarbigkeit vortrefflich und ohne Schwere
[282]Renaissance. Decorirende Malerei.
aangepasst. — Darauf folgt, ebenfalls noch vom Besten, die Bemalung
von S. Benedetto; ausser einem durchgehenden Fries mit Genien
sind vorzüglich die Tonnengewölbe mit ihren von reichen Bändern
eingefassten Cassetten beachtenswerth; dies Alles ist nur grau in grau
mit wenigem Goldbraun; die Farbigkeit wurde aufgespart für die
Flachkuppel, und die figürliche Composition in vollen Farben für die
Hauptkuppel und die drei Halbkuppeln der Abschlüsse. (Diese von
Vincenzo Veronesi ausgemalt.) Die untern Theile sind weiss geblieben,
oder überweisst.
Den Ausgang der Gattung in sinnlosem Schwulst zeigen hier die
bvon Girolamo da Carpi in S. Francesco gemalten Zierrathen (um 1550,
cSeite 210) und vollends diejenigen in S. Paolo (1575).
Von den Arabesken profaner Gebäude sind diejenigen, welche
die zahlreichen Malereien Dosso Dossi’s und seiner Schule im Castell
umgeben, nicht von höherer Bedeutung. Freier und angenehmer er-
dgeht sich dieselbe Schule in den Deckenmalereien der sämmtlichen eini-
germassen erhaltenen Räume der Palazzina (Seite 212, b); der allerdings
erst von den Loggien abgeleitete Styl offenbart hier durch den Rauch
der Schmiedewerkstatt hindurch, als welche das Gebäude jetzt dient,
seinen unzerstörbaren Reiz.
Von venezianischen Arbeiten gehört die Mosaicirung des Sacri-
steigewölbes in S. Marco hieher, von welcher unten.
Die grosse Veränderung, welche zunächst in Rom mit diesem De-
corationstyl eintritt, datirt wohl hauptsächlich von der Entdeckung der
Thermen des Titus, welche man nicht nach den erhaltenen Resten
in den jetzt zugänglichen Theilen, sondern nach ihrem damaligen Be-
stande würdigen muss. Die rafaelische Kunstgeneration lernte hier
in den ersten Jahren des XVI. Jahrhunderts eine Menge neuen my-
thologischen und allegorischen Stoffes, einen neuen antiken Styl, eine
neue Eintheilung der baulichen Flächen und Glieder, neue Farben-
werthe, eine neue Abwechslung von Stuccorelief und Zeichnung in
bestimmtem Verhältniss zu den Farben, endlich den überaus dauer-
[283]Loggien des Vaticans.
haften antiken Stucco selber kennen. Sie verarbeitete diese Elemente
auf glänzend geniale Weise, so dass ihre Werke neben den antiken
eine ganz selbständige Gültigkeit behalten.
Die Verzierung der Loggien im zweiten Stockwerk des Cortilea
di San Damaso im Vatican geschah im Auftrag des vor Allem pracht-
liebenden Leo X. — Rafael’s Verdienst bleibt es, dass die Loggien
die schönste und nicht etwa bloss die prachtvollste Halle der Welt
wurden. — Hier ist es der Mühe werth, dass sich das Auge nach
Kräften anstrenge, um sich Alles, was noch irgend kenntlich ist, an-
zueignen. Nicht die Unbill der Witterung, sondern der elendeste Muth-
wille hat hier den grössten Schaden angerichtet; es hat eiserner Werk-
zeuge bedurft, um den Stucco des Giovanni da Udine von Wänden
und Pfeilern abzulösen. — Die grossen Kupferstiche, welche noch
colorirt bisweilen im Handel vorkommen, gewähren zwar eine sehr
schätzbare Aushülfe, allein sie geben die Detailzeichnung und die
Wirkung des Ganzen doch nur ungenügend wieder.
Von den Gemälden wird unten die Rede sein. Für die Ausfüh-
rung des Decorativen bediente sich Rafael hauptsächlich des genannten
Giovanni da Udine, eines Malers der venezianischen Schule. Wie
viel demselben vorgezeichnet, wie viel seinem eigenen Ermessen über-
lassen wurde, ist gänzlich unbekannt; Rafael war damals mit Auf-
trägen überladen, und gleichwohl muss nicht bloss die Anordnung des
Ganzen, sondern auch die Zeichnung sehr vieler Einzelheiten von ihm
herrühren. Eine genaue Rechenschaft über seinen Antheil wird aller-
dings nie zu geben sein 1). Man sieht die Tausende einzelner Figuren-
motive durch, die alle von Einem Geiste durchdrungen und im rechten
Stoff an der rechten Stelle angebracht sind, und fragt sich immer von
Neuem, welcher Art die geistige Verbindung zwischen Rafael und
seinen Ausarbeitern gewesen sein möchte. Vergebens wird man sich
in andern Kunstschulen nach etwas Ähnlichem umsehen. Damit konnte
es nicht gethan sein, dass der Meister seine Leute auf die antiken
Reste ähnlicher Art, zumal auf die Titusthermen verwies, denn so
viele einzelne Figuren und Gruppen, so viel decoratives Detail von
[284]Renaissance. Decorirende Malerei. Loggien.
dorther entlehnt sein mag, so ist eben die Composition im Ganzen
eine völlig neue und originelle. Gerade das Wesentliche, die aufstei-
gende Pilasterverzierung, gewährten die antiken Vorbilder nicht, oder
ganz anders.
Das grosse Geheimniss, wie das Unendlich-Viele zu einem har-
monischen Eindruck zu gestalten sei, ist hier vermöge der Gliederung
und Abstufung gelöst. Die Hauptpilaster, die Nebenpilaster, die
Bögen, die Bänder und Gesimse verschiedenen Ranges erhalten jede
Gattung ihr besonderes System von Verzierung; die Architektur bleibt
noch immer die Herrin des Ganzen. Was die Fenster der Mauerseite
von Wandfläche übrig liessen, wurde durchsichtig gedacht und erhielt
auf himmelblauem Grunde jene unübertrefflich schönen Fruchtschnüre,
in welchen der höchste decorative Styl sich mit der schönsten Natur-
wahrheit verbindet, ohne dass nach einer optischen Illusion gestrebt
worden wäre, die das Auge hier gar nicht begehrt. Innerhalb der
viereckigen Kuppelräume ist die Umgebung der je vier Gemälde sehr
frei und verschiedenartig verziert, wie dies bei einer Reihenfolge iso-
lirter Räume angemessen war.
Eine Analyse dieses Ganzen würde ein umfangreiches Buch wer-
den. Wie hier Stuccatur und Malerei, Figur und Ornament, die Far-
ben der Gegenstände und ihrer Gründe sich zu einander verhalten
(oder verhielten), davon muss das Auge sich im Detail überzeugen 1).
Wer sich die Aufgabe setzt, bei jedem Besuch des Vaticans etwa
eine Abtheilung des Ganges genau durchzusehen, der wird einen
bleibenden Eindruck davon tragen und vielleicht in einer Anzahl von
Figuren und Gruppen die unmittelbare rafaelische Zeichnung erken-
anen. (Die Gewölbemalereien in dem Gang zunächst unter diesen Log-
gien sind ganz von Giov. da Udine; sie stellen Rebenlauben dar,
mit andern Pflanzen schön durchflochten und mit Thieren belebt.)
Ein ähnliches decoratives Gefühl, nur in einem andern Stoff anders
ausgesprochen, offenbart sich in den wenigen erhaltenen Randarabesken
[285]Tapeten. Appartamento Borgia, etc. Villa Madama.
der rafaelischen Tapeten (erste Reihe). Auch hier nimmt man einea
bedeutende Mitwirkung des Giov. da Udine an. Ganz kleine, isolirte
Figuren und Ornamente wären hier nicht schön und deutlich genug
darzustellen gewesen; daher grössere Figuren; auch bildet jedes Rand-
bild ein Ganzes, sowohl in decorativer Beziehung, als vermöge des
durchgehenden allegorisch-mythologischen Inhaltes. Das Vorzüglich-
ste: die Parzen.
Eine wesentlich andere Aufgabe gewährte die grosse gewölbteb
Decke des vordern Saales im Appartamento Borgia. In den daran
stossenden Zimmern hatte Pinturicchio, wie gesagt, die Gewölbe im
Styl der frühern Renaissance verziert; seine Arbeit erscheint erstaun-
lich unfrei, wenn man in den vordern Saal tritt, den Giov. da Udine
und Perin del Vaga unter Rafaels Beihülfe verzierten. Die Verthei-
lung der Farbenflächen, die edle Mässigung der Ornamente, welche an
einer Decke so wesentlich ist, die vortreffliche Bildung des Details
geben diesem Saal einen hohen Werth, auch wenn man nicht wüsste,
dass die Figuren der Planetengottheiten von des Meisters eigener Er-
findung sind. Die vier Victorien um das päpstliche Wappen sind
einer der höchsten Triumphe figürlicher Decoration.
In den Stanzen hatte Rafael, wie gesagt, frühere Deckenverzie-c
rungen angetroffen und ganz (Stanza dell’ incendio) oder theilweise
(camera della segnatura) geschont. Was er mit der Decke der Sala
di Costantino vorhatte, ist unbekannt. In der Stanza d’Eliodoro sucht
er durch den ziemlich einfachen blauen Teppichgrund der vier Decken-
bilder den Eindruck des Leichten hervorzubringen. Auch dürfen hier
die bloss architektonischen Einfassungen der Kuppelbilder in der Ca-d
pella Chigi (S. Maria del popolo zu Rom) nicht übergangen wer-
den. Sie sind in ihrer Einfachheit vom edelsten Decorationsstyl gerade
dieser Gattung; durchweg vergoldet; zu den Mosaiken vortrefflich
stimmend. — Höchst meisterhaft hat Giovanni da Udine in der Far-e
nesina die Festons gemalt, welche die Geschichten der Psyche einfassen.
Endlich die untere offene Vorhalle der Villa Madama bei Rom.f
Die Ausführung des Gebäudes gehört notorisch dem Giulio Romano,
welchem man die trefflichen Friesmalereien der untern Zimmer, auch
den schönen Fries mit Festons, Candelabern und Amoren, schwerlich
streitig machen wird. Aber in der Vorhalle, welche von Giovanni
[286]Renaissance. Decorirende Malerei. Genua.
da Udine decorirt ist, weht der Geist der Loggien noch so rein, dass
Rafael, der den Bau schwerlich erlebte, doch als der moralische Ur-
heber erscheint. In einzelnen der eingesetzten Historien glaubt man
auch Motive seiner Erfindung zu erkennen. Vielleicht wurde die
Decoration nie ganz vollendet; im vorigen Jahrhundert wurden die
herabgefallenen Theile durch Rococozierrathen ersetzt, und gegenwär-
tig lässt der Besitzer Alles zur Ruine werden.
Die Stuccaturen in den untern Hallen des schönen Pal. Massimi,
wahrscheinlich von Giovanni da Udine, gehören ebenfalls noch zum
Besten dieser Zeit. Ohne Zweifel arbeitete Giovanni unter dem Ein-
fluss des Baumeisters Peruzzi.
Was wir nun noch beizufügen haben, ist neben diesen Leistungen
nur von bedingtem, immer aber noch von beträchtlichem Werthe. Es
sind meistens gewölbte Decken, denn die Pilaster überliess man fortan
fast durchgängig der Architektur; ausserdem ist bei diesem Anlass
eine besondere Gattung von Mauerdecoration im Grossen zu erörtern.
Von Rafaels Schülern malte Perindel Vaga1) den Pal. Doria
in Genua aus. Das Decorative ist noch sehr schön, aber zum Theil
überzierlich und bei Weitem nicht mehr in dem grossen und freien
Geist der Loggien und des Ap. Borgia gedacht. In der untern Halle
die Flachdecke mit schweren, wirklichen römischen Geschichten be-
deckt, statt des luftigen Olymps der Farnesina; in der Galeria die
Gewölbeverzierungen im Einzelnen überaus elegant und vom feinsten
Farbensinn beseelt (gemalte Mittelbilder; die Eckfelder Reliefdeco-
ration grau auf blau, grau auf Gold u. s. w.; prächtige Motive in den
Bändern) aber nicht mehr sicher der Architektur subordinirt; im Saal
der Giganten eine höchst reiche und glücklich originelle Einrahmung;
in den (einzig noch sichtbaren) neun Zimmern der Stadtseite theils
ähnliches, nur einfacheres Arabeskenwerk als Einfassung mythologi-
scher und allegorischer Gegenstände an Zwickeln und Kappen der
[287]Perin del Vaga und Schule. Giulio Romano.
Gewölbe, theils farblose Stuccaturen 1). Die Wände, mit Ausnahme der
Galeria, waren sämmtlich auf Behängung mit Teppichen berechnet.
Perino fand in Genua selbst eine nicht unbeträchtliche Nachfolge,
die ihn aber doch nirgends erreichte und ihm nur die Effecte absah.
Das Umständlichste in dieser Art ist die innere Decoration des Pal.a
Spinola (Strada S. Caterina); auch das Erdgeschoss von Pal. Palla-
vicini (Piazza Fontane amorose). Sonst wiederholt sich in den un-b
tern Hallen und an den Treppen der ältern Paläste ein System etwas
magerer Arabesken und sparsamer Phantasiefiguren auf weissem Grunde,
wie diese meist etwas dunkeln Räume es verlangten; oft dienen die
Decorationen als Einfassungen um mythologische und historische Mittel-
bilder; andere Male herrscht sogar das Gemälde mehr als für diese
Räume billig vor und namentlich mehr in historisch wirklicher Raum-
behandlung, als die Deckenmalerei leicht verträgt.
Von den ältern und bessern Arabesken geben folgende Gebäude
an den untern Hallen, Treppen und obern Vorsälen einen Begriff:
Pal. Imperiali (Piazza Campetto); — Pal. Spinola (Str. S. Caterinac
N. 13); — Pal. Lercari (jetziges Casino, Str. nuova); — Pal. Caregad
(jetzt Cataldi, gegenüber).
In der aus Stuccaturen und Malereien gemischten Gewölbever-
zierung der Kirchen geht Montorsoli mit der Decoration von S.e
Matteo voran; auch hier war Perin del Vaga, speciell die Galeria des
Pal. Doria, Anhalt und Vorbild. Die schwebenden Putten womit Luca
Cambiaso die Felder der Nebenschiffgewölbe bemalte, sind an sich
zum Theil trefflich, aber viel zu gross für die kleinen Räume, an
deren Rändern sie sich bei jeder Bewegung stossen müssten. — Eine
ganz endlose Pracht von Gewölbeverzierungen und grossen histori-
schen, daher schwer lastenden und ohnediess nur improvisirten Ge-
wölbfresken verdankt dann Genua der Künstlerfamilie der Carloni
und ihren Nachtretern. Das Ornamentale ist und bleibt durchgängig
um einen Grad besser als in Neapel.
Parallel mit der Thätigkeit Perino’s geht die des Giulio Ro-
mano, der in seinem berühmten Hauptbau, dem Palazzo del Te inf
Mantua, ein nicht minder glänzendes System von Decorationen aller
[288]Renaissance. Decorirende Malerei. Venedig.
Art aufstellte. Durch ein Missgeschick an dem Wiederbesuch Man-
tua’s verhindert, darf ich über dieses sehr einflussreiche Werk nichts
Näheres angeben.
Auch Jacopo Sansovino hat in dieser Gattung wenigstens
aEine wichtigere Arbeit angegeben und geleitet: die Scala d’oro im
Dogenpalast zu Venedig (1538). Als Ganzes steht diese Leistung aber
wiederum eine beträchtliche Stufe tiefer als die Arbeiten des Perin
del Vaga. Schon die gemeisselten Arabesken der Pilaster sind schwül-
stig und unrein; ebenso an den Tonnengewölben die Stuccoeinfassungen
des Aless. Vittoria, der sonst in den kleinen Relieffeldern manches
Hübsche anbrachte, ebenso wie Battista Franco in den gemalten Fel-
dern allegorischen und mythologischen Inhaltes. (Franco besass gerade
für solche einzelne Figuren und kleine Compositionen von idealem
Styl eine entschiedene Begabung, wie auch seine Gewölbemalereien
bin S. Francesco della Vigna, erste Capelle links, darthun. Vgl. S. 276.)
Das Ganze ist bei blendender Pracht schon im Princip nicht glücklich,
indem die gemalten Arabeskenfelder im Loggienstyl von den neben-
hergehenden Stuccaturen erdrückt werden.
Wenige Jahre vorher (1530) hatte noch die Frührenaissance mit
schönen Mosaikzierrathen auf Goldgrund das Gewölbe der Sacristei
von S. Marco geschmückt. Einem Teppichmuster ähnlich, schlingt
sich reiches weisses Ornament um Medaillons mit Heiligenfiguren;
derber farbig sind die Ränder der Gewölbekappen verziert; in der
Mitte concentrirt sich der Schmuck zur Form eines Kreuzes.
Es giebt ausserdem eine von Sansovino oder von Falconetto ent-
worfene, von Tiziano Minio ausgeführte ganz harmonische und vor-
dzüglich schöne Decoration: nämlich die weisse, wenig vergoldete Stuc-
catur am Gewölbe der Capelle des H. Antonius im Santo zu Padua
(S. 255). Leicht und doch ernst, trefflich eingetheilt; leises und doch
vollkommen wirksames Relief der Zierrathen und des Figürlichen.
Ganz in der Nähe steht Pal. Giustiniani (N. 3950), dessen etwa
gleichzeitige beide Gartenhäuser, von Falconetto erbaut, eine theils
stucchirte, theils gemalte Decoration — Ornamente und Figuren —
enthalten, welche man ihrer Schönheit wegen von Rafael erfunden
glaubt. Es ist wenigstens anzunehmen, dass der ausführende Künstler
[289]Spätere Arabeskenmaler und Stuccatoren.
(Campagnola) ohne Kenntniss der Loggien dieser Schöpfung nicht
fähig gewesen wäre.
Giovanni da Udine selber soll in seinen alten Tagen als
Glasmaler die Fenster der Bibl. Laurenziana in Florenz und die desa
geschlossenen Ganges im dritten Hof der Certosa mit jenen Arabeskenb
ausgefüllt haben, welche zwar sehr hübsch und für das Tageslicht
vortheilhaft, aber doch ein so matter Nachhall der Loggien sind, dass
man sie lieber einem Andern zutrauen möchte. — Es sind von den
letzten Glasgemälden (bis 1568 1) der italienischen Kunst, Reparaturen
und moderne Arbeiten ausgenommen; auch wollen sie bloss zarte
Zierrathen rings um ein kleines einfarbiges Mittelbild oder Wappen
vorstellen.
Kehren wir zur gemalten Mauerdecoration der Interieurs zurück.
Sie hatte inzwischen das Schicksal der Geschichtsmalerei getheilt und
sich zum schnellen und massenhaften Produciren entschlossen. Ihr
höchstes Princip wird die Gefälligkeit, das angenehm gaukelnde Spiel
vegetabilischer, animalischer und menschlicher Formen nebst Schilden,
Gefässen, Masken, Cartouchen, Täfelchen, auch ganzen eingerahmten
Bildern, auf meist hellem Grunde. Nicht die Phantasie ist es, die da
fehlt; eine grosse Fülle von Concetti aller Art strömt den Decoratoren
zu; Laune und selbst Witz stehen ihnen reichlich zu Gebote; als
Maler gehören sie noch immer dem furchtlosen XVI. und XVII. Jahr-
hundert an; aber das Gleichgewicht ist verloren, die schöne Verthei-
lung des Vorrathes nach Gattungen und Functionen im architektonisch
gegliederten Raume. Sie glaubten der Werth der Loggien beruhe auf
dem Reichthum, während doch die Gesetzlichkeit dieses Reichthums
das Wesentliche ist.
B. Cicerone. 19
[290]Renaissance-Decoration. Malerei und Stucco.
Hieher gehören u. a. die im Jahr 1565 ausgeführten Arabesken
im vordern Hof des Pal. vecchio in Florenz, hauptsächlich von
Marco da Faenza. — Einen viel grössern Aufwand von Geist ver-
brathen die Deckenarabesken im ersten Gang der Uffizien von Poccetti,
welcher auch die Perlmutter-Incrustation der Tribuna angab. (Um
1581.) Sie sind vielleicht die wichtigste von diesen spätern Leistungen,
überreich an trefflichen Einzelmotiven, die in unsern Zeiten sich erst
recht würden ausbeuten lassen, aber als Compositionen im (allerdings
wenig günstigen) Raum sehr unrein. (Die Fortsetzung im entschiede-
nen Barockstyl bis in den Rococo hat wieder ihren besondern Werth.)
Und doch ist Poccetti an anderer Stelle auch in der Anordnung noch
ceiner der Besten, wie das mittlere Gewölbebild in der Vorhalle der
dInnocenti, die Deckenfresken in der Sacramentscapelle und St. Anto-
eninscapelle zu S. Marco, die Halle des Seitenhofes links in Pal. Pitti
u. a. zum Theil mit Stuccatur gemischte Malereien beweisen.
In Rom concurrirte mit den Arabesken eine andere Gattung:
die theils reine, theils zur Einfassung von eigentlichen Gemälden die-
nende, vorherrschend architektonische Stuccatur. Überaus prächtig
und monumental wirkt vor Allem die mit wappenhaltenden Genien
fund reichstem Cassettenwerk stucchirte Sala regia im Vatican, von
Perin del Vaga und Daniel da Volterra; ein kleines Specimen
gderselben Art bietet die hinterste Capelle des linken Querschiffes in
S. Maria del Popolo. Auch der figurirte und ornamentale äussere
hSchmuck des Palazzo Spada zu Rom, von dem Lombarden Giulio
Mazzoni (gegen 1550) gehört hieher. Wie schon Giulio Romano seine
grossen mythologischen Bilder gerne in Stuccosculpturen einrahmte,
izeigt der grosse Saal desselben Pal. Spada; eine unrichtige Übertra-
gung in einen kleinen Massstab ist die sog. Galeriola daselbst. Von
sonstigen tüchtigen römischen Stuccaturen des sinkenden XVI. Jahr-
khunderts nennen wir beispielshalber: das Gewölbe von S. Maria a’
monti; — den hintern Raum rechts an S. Bernardo; — in S. Pudenziana:
die Prachtcapelle links, von Franc. da Volterra, mit Mosaiken nach
lFed. Zucchero; — in S. Peter: das nur zweifarbig stucchirte Gewölbe
der Vorhalle, von Maderna, welchem eine besondere Vorliebe für diese
Gattung vorgeworfen wird. Bald herrscht mehr der Stucco, bald mehr
das Fresco vor. Letzteres ist nur zu oft mit schweren historischen
[291]Rom. Venezianische Decken.
Gegenständen in naturalistischem Styl überladen, die am wenigstena
an ein Gewölbe gehören. Eine Menge einzelner Prachtcapellen an Kir-
chen geben den Beleg hiezu. — Blosser Stucco, und noch sehr schön,
an den Treppengewölben im Palast der Conservatoren auf dem Capitol.
Wenn hier der allgemeine Verfall der Gattung sich in den nach-
rafaelischen Gängen der Loggien von Pontificat zu Pontificat urkundlich
verfolgen lässt, so hat die bloss gemalte Arabeske in Rom vielleicht
nicht einmal diejenige Nachblüthe aufzuweisen, die Poccetti für Flo-
renz repräsentirt. Die Malereien in der Sala ducale des Vaticans, inb
der vaticanischen Bibliothek, in der Galeria geografica ebendaselbstc
sind den florentinischen kaum gleichzustellen und interessiren mehr
durch die Ansichten römischer Gebäude und die Landschaften des
Matthäus und Paul Bril, welche wenigstens in der Geschichte der
Landschaft eine bestimmte Stelle einnehmen. — Von Cherubino Alberti
und seinem Bruder Durante ist zu wenig vorhanden; die Decke der
Cap. Aldobrandini in der Minerva verräth einen sehr tüchtigen De-d
corator; ebenso die der Sagrestia de’ Canonici im Lateran.
Im Ganzen aber unterliegt die römische Arabeske zu sehr dem
Sachlichen, den geschichtlichen und symbolischen Zuthaten, und ver-
liert darob ihre Heiterkeit. Wie sollte sie z. B. in der Gal. geograficae
zwischen der ganzen Kirchengeschichte (in den Bildern des Tempesta)
mit ihrem echten Spiel aufkommen können? Rafael hatte in den Log-
gien so weislich das Heilige von der Arabeske getrennt gehalten.
Auch in Venedig war bald von der Decoration, wie sie noch in
der Scala d’oro und in den oben (S. 288, d und e) genannten paduani-
schen Werken lebt, grundsätzlich keine Rede mehr. Man gewöhnte sich
daran, die Gewölbe weiss zu lassen (Kirchen Palladio’s) die flachen
Decken aber mit grossen Oelgemälden zu überkleiden. (Räume des Do-
genpalastes seit den Bränden von 1574 und 1577, Scuola di S. Rocco, vielef
Sacristeien, kleinere Kirchen etc.) Die Zweckmässigkeit von Decken-
gemälden überhaupt und den hohen Werth mancher der betreffenden
insbesondere zugegeben, bedurfte es doch eines idealen Styls, um selbst
die idealen allegorischen Scenen erträglich zu machen, geschweige
denn die schwer auf dem Auge lastenden historischen. Statt dessen
19*
[292]Renaissance-Decoration. Fassadenmalerei.
wird eine naturalistische Illusion erstrebt; die einzelnen Geschichten
machen den Anspruch, durch Goldrahmen hindurch als wirkliche Vor-
gänge gesehen zu werden, wovon bei Anlass der Malerei das Nähere.
Die Rahmen selber bilden eine bisweilen grossartige Configuration,
allein ihre Profilirung ist schon höchst barock und (zu Vermeidung
des Schattens) meist flach. Nebenfelder werden wohl mit einfarbigen
Darstellungen (bronzefarben, blaugrau, braun) einfacherer Art aus-
gefüllt, allein die starke goldene Einrahmung macht jeden zartern
decorativen Contrast zu den farbigen Hauptbildern unmöglich. — Im-
merhin sind wenigstens die Räume im Dogenpalast von den präch-
tigsten dieser Zeit; das stattliche untere Wandgetäfel, die Thüren mit
ihren Giebelstatuen, die pomphaften Kamine mit allegorischen Figuren
oben und Marmoratlanten unten vollenden den Eindruck von Macht-
fülle, der in diesen Sälen waltet. Wenn es sich aber um wohlthuende,
reine Stimmung handelt, so wird diese in den Räumen der rafaelischen
Zeit sich eher finden lassen.
Ausser diesen Wand- und Deckenverzierungen gab es schon seit
Anfang der Renaissance eine Verzierung der Fassaden, wie sie
dem schmucklustigen Jahrhundert zusagte 1).
Die Mörtelflächen zwischen den Fenstern, auch Bogenfüllungen,
Friese etc. wurden, wo man es vermochte oder liebte, mit Ornamenten
oder mit Geschichten bedeckt. Diess geschah theils al Fresco, theils
allo Sgraffito (d. h. die Wand wurde schwarz bemalt, ein weisser
Überzug darauf gelegt und dann durch theilweises Wegschaben des
[293]Rom. Genua.
letztern die Zeichnung hervorgebracht). Natürlich haben alle diese
Arbeiten mehr oder weniger gelitten, auch wohl totale Erneuerungen
erduldet. Es ist eine [schwierige] Frage, wie weit die architektonische
Composition auf diesen Schmuck rechnete; an der Farnesina zu Roma
z. B., für welche bestimmte Aussagen existiren, vermisst doch das
Auge denselben nicht, obschon er verschwunden ist (mit Ausnahme
der Bogenfüllungen auf der Tiberseite im Garten, welche noch Victo-
rien, Abundantien etc. von rafaelischer Erfindung enthalten). In Rom
war das Sgraffito und das einfarbige Fresco damals sehr beliebt;
doch hat sich von Polidoro da Caravaggio und seinem Gehülfen Ma-
turino nicht viel mehr erhalten, als der Fries mit der Geschichte derb
Niobe (an dem Hause Via della maschera d’oro, N. 7), welcher als
grosse mythologische Composition eines der besten Werke der rafae-
lischen Schule ist; ausserdem Einiges an Pal. Ricci (Via Giulia).c
Ein Hauptsitz der Gattung aber wurde, wiederum wohl durch
Perin del Vaga, Genua, wo noch an der Gartenseite des Pal. Doriad
Aussenmalereien von der Hand Jenes erhalten sind 1). Die genuesischen
Paläste, welchen bei dem vorherrschenden Engbau die kräftigere archi-
tektonische Ausladung versagt war, bedurften am ehesten eines Er-
satzes durch Malereien. Das Ornament nimmt hier nur eine unter-
geordnete Stelle ein; es sind vorherrschend ganze grosse heroische
und allegorische Figuren, selbst Geschichten, in mässiger architekto-
nischer (d. h. bloss gemalter) Einrahmung. Das Vollständigste und
Beste was mir aus der Zeit Perins selber in dieser Art vorgekommen
ist, sind die Malereien am jetzigen päpstlichen Consulat (Piazza dell’e
Agnello, N. 643); zwischen Friesen von Trophäen und andern von
Putten sieht man Heldenfiguren, Schlachten, Gefangene, mythologische
Siege etc. noch recht gut dargestellt. Auch die grau in grau gemalten
Siege des Hercules, an der Rückseite des Pal. Odero (jetzt Mari,f
von Salita del Castelletto aus sichtbar) sind von ähnlichem Werthe.
Dann folgt Pal. Imperiali (Piazza Campetto), vom Jahr 1560, mitg
seinen theils bronze- theils naturfarbenen Aussenmalereien; — Pal.h
Spinola (Str. S. Caterina, N. 13); — die Stadtseite des Gasthofes Croce
[294]Renaissance-Decoration Fassadenmalerei.
adi Malta; — Pal. Spinola (Str. nuova), sehr vollständig durchgeführt,
auch im Hofe. — Der Inhalt ist bisweilen speciell genuesisch; be-
rühmte Männer und Thaten der Republik. Oft aber auch sehr all-
gemein, sodass man in Ermanglung anderer Gedanken z. B. mit den
zwölf ersten römischen Kaisern vorlieb nahm, die in der Profankunst
dieser Zeit ja ein förmliches Gegenstück zu den zwölf Aposteln bilden
— der architektonisch sehr bequemen Zahl zu Liebe, in der uns nun
einmal ihre Biographien bei Sueton überliefert sind. (Man hat sie im
XVI. und XVII. Jahrhundert auch unzählige Male neu in Marmor
dargestellt.)
Eine andere, eigenthümliche Ausbildung dieses Zweiges zeigt
Florenz, wo wiederum der schon genannte Poccetti darin das
Beste scheint geleistet zu haben. Schon die Frührenaissance hat hier
in bloss ornamentalen Sgraffiti einiges Treffliche aufzuweisen, wie
bz. B. die Fassaden Borgo S. Croce N. 7894 und Via de’ Guicciardini
N. 1696 beweisen, beide wohl noch aus dem XV. Jahrhundert. In
der Folge wurden phantastische Figuren, Pane, Nymphen, Medaillons
in dem noch schönen beginnenden Barockstyl, auch ganze grosse hi-
storische Compositionen einfarbig an den Fassaden angebracht, wo
sie zu den derben Fenstereinfassungen, Nischen mit Büsten, Wappen
cu. dgl. recht glücklich wirken. Haus via della Scala N. 4372; meh-
rere Paläste Ammanati’s, wie Pal. Ramirez, Borgo degli Albizzi N.
440 u. s. w. (Wozu noch der grosse Palast auf Piazza S. Stefano
in Pisa zu rechnen.) — Aber auch die Bemalung in Farben wurde
nicht selten versucht, und hat sich verhältnissmässig besser gehalten
als man denken sollte. Wir nennen nur die Fresken (nach Salviati)
dan Pal. Coppi, Via de’ Benci N. 7912 und den sehr auffallenden Pal.
edel Borgo auf dem Platz vor S. Croce, dessen Malereien unter Lei-
tung und Theilnahme des in seiner Art grossen Giov. da San Gio-
vanni zu Stande kamen. Ihr Zweck war gleichsam, die mangelnde
Raumschönheit der nordisch fensterreichen Fassade zu ersetzen. (Die
fzwei kleinern, farbig bemalten Paläste in Pisa auf dem genannten
Platz sind sehr verwittert.)
[295]Florenz. Venedig. Verona.
Das Anmuthigste dieser Richtung ist vielleicht der Fries mit Ge-
nien in dem hübschen kleinen Hof der Camaldulenser (Via degli Alfani)a
links von der Kirche, nach 1621. In der zweifarbigen Malerei tönt
hier ein Echo der Robbia nach, obwohl die Formen der Putten schon
manirirt sind.
Mit der völligen Ausbildung des Barockstyles (seit etwa 1630)
nahm diese Art von Decoration auch in Florenz ein Ende; man
scheint sie als etwas Kleinliches oder Kindisches verachtet zu haben;
mit ihr zehrt die Architektur das letzte freie Zierelement auf. An
ihre Stelle tritt, wo man der Decoration bedurfte, die Perspectiven-
malerei, in welcher sich einst schon Baldassare Peruzzi auf seine
Weise versucht hatte. Wir werden bei Anlass der spätern Epochen
darauf zurückkommen.
Venedig besitzt in dieser Gattung nur noch Weniges und im
Zustande fast totaler Zerstörung durch die Feuchtigkeit, aber von so
grossen Meistern, dass man gerne auch die Trümmer aufsucht. So
war der Fondaco de’ Tedeschi am Rialto (jetzige Dogana), ein grossesb
einfaches Gebäude des Fra Giocondo vom Jahr 1506, vollständig be-
malt von Tizian und seinen Schülern; hie und da ist noch ein
schwacher Schimmer zu erblicken. Etwas besser erhalten sind die
Malereien an der Oberwand des Klosterhofes von S. Stefano, vonc
Giov. Ant. Pordenone, theils alttestamentliche Geschichten, theils
vorzüglich schön belebte nackte Figuren (meist Kinder) und Tugenden.
Dieser Rest ist vielleicht die bedeutendste Aussenmalerei der goldenen
Zeit, welche überhaupt erhalten ist und wiegt alles Gleichartige in
Genua weit auf.
Endlich muss Verona vor allen Städten Italiens durch Menge
und Werth bemalter Fassaden ausgezeichnet gewesen sein. Eine be-
sondere climatische Ursache oder irgend ein innerer Fehler des Mör-
tels hat leider bei weitem das Meiste davon zerstört und auch das
Erhaltene ist nur dürftig erhalten, ungleich weniger als z. B. ähnliche
Malereien in Florenz. An vielen Häusern ist nur etwa das Haupt-
[296]Renaissance-Decoration. Fassadenmalerei.
bild seines religiösen Inhaltes wegen geschont und (freilich auch durch
Übermalung) gerettet worden, während man die unscheinbar gewor-
denen Malereien der ganzen übrigen Fassade der Übertünchung Preis
gab. Und doch wäre gerade das Ganze dieser Decoration unentbehr-
lich; mehr als irgendwo in Italien ist das Architektonische darauf
berechnet, ja der Renaissancebau tritt aus keinem andern Grunde in
Verona so mässig und einfach auf, als weil ihm die Malerei zur we-
sentlichen Ergänzung diente.
Schon zur Zeit des gothischen Styles war es in diesen Gegenden
zur Gewohnheit geworden, die Wandflächen mit regelmässig, teppich-
artig wiederholten buntfarbigen Ornamenten zu bedecken und diese
mit reichern, bewegtern Friesen und Bändern zu umziehen; das Mit-
telalter konnte des Bunten viel vertragen, zumal da letzteres unter der
Herrschaft eines gesetzmässigen Farbensinnes stand. Zur Zeit der Renais-
sance dauerte ein ähnlicher Schmuck fort: nur tritt jetzt das Figürliche
erst in sein volles Recht. Man begnügt sich nicht mehr mit dem ein-
zelnen Bilde einer Madonna zwischen zwei Heiligen, sondern die ganze
Fassade wird zum Gerüst für ruhige und bewegte, heilige und pro-
fane, einfarbige und vielfarbige Darstellungen.
Und zwar sind es grossentheils Arbeiten von sehr tüchtigen,
selbst hie und da von grossen Künstlern. Schon im XIV. Jahrhun-
dert schuf z. B. ein Stefano da Zevio die Fresken einer thronenden
aMadonna zwischen Heiligen und einer Geburt Christi an dem Hause
N. 5303 1); noch ist genug davon erhalten, um die süsse Schönheit
der Jungfrau, den Jubel der blumenbringenden Engel zu erkennen.
Im folgenden Jahrhundert hat Andrea Mantegna selber diese Fassa-
denmalerei nicht verschmäht und seine besten veronesischen Nachfolger
fanden daran eine ganz wesentliche Beschäftigung; bis gegen Ende
des XVI. Jahrhunderts folgen dann die veronesischen Schüler der
Venezianer. Es erhellt hieraus schon, welchen Werth diese bemalten
Fassaden auch in technischem Betracht haben müssen; mehrere der-
selben enthalten von den bestcolorirten Fresken der damaligen Zeit.
[297]Verona.
Von Mantegna selbst soll Casa Borella, N. 1310, bemalta
sein; die grössern Wandflächen, durch goldfarbige Pilaster mit Ara-
besken abgetheilt, enthalten geschichtliche Scenen, auf baulichem
Hintergrunde mit blauem Himmel; ein Fries ist mit Fruchtschnüren
und Putten belebt, die Räume über den Fenstern mit Medaillons,
welche Halbfiguren enthalten und von Putten auf dunklem Grunde
begleitet sind. — Wie hier durchgängige Farbigkeit, so herrscht da-
gegen an Pal. Tedeschi, N. 962 (bei S. Maria della Scala) das Be-b
streben, die Wirkung dem Relief zu nähern durch einfarbige Dar-
stellung und zwar in gelb. Der Inhalt ist, wie es diese Schule ganz
besonders liebte, classisch-historischer Art: die Allocution eines Kai-
sers. Nur die Arabesken über den Fenstern sind gelb auf blau. —
(N. 835, wieder mit Malereien Mantegna’s selbst, hat Verfasser diesesc
nicht finden können.) — Noch aus dem XV. Jahrhundert stammt auch
die Bemalung des Häuschens N. 4800 mit farbigen Novellenscenen,
eingefasst von farbigen Pilastern und grauen Friesen; — ebenso der
Fries von N. 73 (bei Ponte della Pietra): auf violettem Grund stein-
farbige Putten in allen möglichen Verrichtungen des Pizzicarol-
Gewerbes darstellend. — Aus der besten Zeit, etwa bald nach 1500,
sind die Malereien zweier kleinen Häuser auf Piazza delle Erbe;d
eines mit Mariä Krönung, zwischen festonhaltenden Putten etc.; —
und ein anderes, wo das obere Bild eine biblische Scene, das untere
eine Madonna zwischen Aposteln, der Zwischenfries einen von Putten
begleiteten Medaillon enthält, wahrscheinlich eine der schönsten Arbei-
ten des Caroto. — Wie sonderbar aber bisweilen in dieser goldenen
Zeit Heiliges und Profanes gemischt wurden, zeigen die Malereien
eines Hauses zwischen diesem Platz und der Aquila nera, von Ali-
prandi und Andern: man sieht den Sündenfall nach Rafaels Bild in
den Loggien, eine Madonna mit S. Antonius von Padua, weiter oben
aber tanzende Bucklige, eine Bauernhochzeit und eine Wasserfahrt. —
Ganz farbig, wie an den drei letztgenannten Häusern, sind auch die
colossalen mythologischen Malereien des Cavalli an einem Eckhaus
der Piazza delle Erbe (Casa Mazzanti), worunter sich auch eine Dar-
stellung des Laocoon befindet. — Es ist zu bemerken, dass an all
diesen Fassaden kein Versuch vorkömmt, eine perspectivisch gemalte
Architektur mit scheinbar an Balustraden und Fenstern sich bewegen-
[298]Renaissance-Decoration. Fassadenmalerei.
den Figuren illusionsmässig zu beleben. Hans Holbein, der dieses
Ziel mehr als einmal verfolgte, muss die Anregung dazu anderswoher
empfangen haben.
Der Palazzo del consiglio, erbaut von Fra Giocondo da Verona,
hat an den freien Mauerflächen nur gemalte Ornamente, diese aber
durchgängig 1).
Gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts hin gewinnt die Gattung
eine neue Ausdehnung und einen fast ausschliesslich mythologischen
Inhalt; die einfarbige Darstellung, und zwar nach Stockwerken und
Abtheilungen in den Tönen wechselnd (grün, roth, grau, violett, gold-
braun etc.), beginnt entschieden vorzuherrschen. Allerdings büssten
die venezianisch geschulten Maler hiebei einen ihrer besten Vortheile
ein, ohne dass ein Ersatz eingetreten wäre durch jene höhere classi-
sche Auffassung, wie sie etwa in Polidoro’s Niobidenfries lebt. Allein
je nach der Begabung des Einzelnen kam es doch zu sehr bemerkens-
werthen Schöpfungen.
Unter diesen ist vorzüglich die Bemalung zu nennen, womit Do-
bmenico Brusasorci den Pal. Murari della Corte völlig be-
deckte. (N. 4684, jenseits Ponte nuovo.) Die Strassenseite enthält
in farbigen, die Fluss- und Rückseite in einfarbigen Bildern und
Friesen eine ganze Mythologie, die Geschichten der Psyche, die
Centauren- und Lapithenkämpfe, die Hochzeit des Seegottes Benacus
(Lago di Garda) mit einer Nymphe, Tritonenzüge etc.; von Histori-
schem den Triumph des Paulus Aemilius und die Gestalten berühmter
Veroneser. — Ausserdem gehört zum Bessern: die Bemalung von N.
1878, Opfer und Waffenweihe, von Torbido: — N. 5502, Allegorisches
und eine Scene aus Dante, von Farinati; — N. 5030, Casa Murari
bei SS. Nazario e Celso, mit umständlichen mythologischen Malereien
und farbigen Friesfiguren, von Canerio und Farinati; — N. 1579 grosse
[299]Verona. Brescia. — Die Hochrenaissance.
Fassade mit lauter Einfarbigem in der Art von Palazzo Murari; —
N. 4195, Casa Sacchetti mit einfarbigem Fries von Battista dal Moro.a
U. A. m.
Mit dem Ende des XVI. Jahrhunderts stirbt die Gattung aus.
Sie theilt das auffallende Schicksal der ganzen Kunst des veneziani-
schen Gebietes, welche es nach 1600 in keiner Weise mehr zu einer
Nachblüthe brachte, wie wir sie in Bologna, Florenz, Rom und Nea-
pel anerkennen müssen.
In Brescia war diese Fassadenmalerei einst ebenfalls sehr im
Schwunge; ein bedeutender Localmaler, Lattanzio Gambara, hat
sogar die beiden Häuserreihen einer Strasse (eines Theiles des jetzigenb
Corso del teatro) mit fortlaufenden farbigen Darstellungen mytholo-
gischen Inhaltes versehen. (Manches von ihm ausserdem in Thorhal-
len, Höfen etc., z. B. N. 318.) Neuerer Umbau hat das Meiste zerstört.
Ungefähr mit dem XVI. Jahrhundert nimmt die moderne Bau-
kunst einen neuen und höchsten Aufschwung. Die schwierigsten con-
structiven Probleme hatte sie bereits bewältigen gelernt; das Handwerk
war im höchsten Grade ausgebildet, alle Hülfskünste zur vielfältigsten
Mitwirkung erzogen, der monumentale Sinn in Bauherrn und Bau-
meistern vollkommen entwickelt, und zwar gleichmässig für das Pro-
fane wie für das Kirchliche.
Die Richtung, welche die Kunst nun einschlug und bis gegen die
Mitte des Jahrhunderts mehr oder weniger festhielt, ging durchaus
auf das Einfachgrosse. Abgethan ist die spielende Zierlust des bunten
XV. Jahrhunderts, die so viel Detail geschaffen hatte, das zum Eindruck
des Ganzen in gar keiner Beziehung stand, sondern nur eine locale Schön-
heit besass; man entdeckte, dass dessen Wegbleiben den Eindruck der
Macht erhöhe. (Was schon Brunellesco, San Gallo, Cronaca gewusst
und sich stellenweise zu Nutze gemacht hatten.) Alle Gliederungen
des Äussern, Pilaster, Simse, Fenster, Giebel werden auf einen keines-
[300]Hochrenaissance.
weges trockenen und dürftigen, wohl aber einfachen Ausdruck zurück-
geführt und die decorative Pracht dem Innern vorbehalten; auch hier
waltet sie nicht immer und wir werden gerade einige der ausgezeich-
netsten Innenbauten so einfach finden als die Aussenseiten.
Sodann lässt sich ein gewisser Fortschritt in das Organische nicht
verkennen. Die Gliederungen (Pilaster, Simse u. dgl.) hatten bisher
wesentlich die Function des Einrahmens versehen; ja die Frührenais-
sance hatte ganze Flächen und Bautheile mit vierseitigen Rahmen-
profilen umzogen (Dom von Como etc.), in der Absicht, den Raum
zu beleben. Jetzt erhalten jene Glieder von Neuem ihren eigentlichen,
wenn auch ebenfalls nur conventionellen Werth; man sucht sie deut-
licher als Stütze etc. zu charakterisiren und holt von Neuem Belehrung
bei den Trümmern des Alterthums. Brunellesco hatte deren Formen
nachgezeichnet, jetzt erst mass man genau ihre Verhältnisse und lernte
sie als Ganzes kennen. Sie als Ganzes zu reproduciren, lag nicht im
Geist und nicht in den Aufgaben der Zeit, man baute keine römischen
Tempel und Thermen, — aber dazu fühlte man sich mächtig genug,
mit Hülfe der Alten einen eben so imposanten Eindruck hervorzu-
bringen wie sie. Die Muster waren dieselben, die schon das XV.
Jahrhundert beschäftigt hatten: für freie Säulenhallen die Tempel Roms,
für Wand- und Pfeilerbekleidungen die Halbsäulensysteme der Thea-
ter, die Triumphbogen, die Pilaster des Pantheons, die Wölbungen
der Thermen u. s. w., wobei im Einklang mit der beginnenden Kunst-
archäologie die Epochen der Blüthe und des Verfalls schon beträcht-
lich mehr unterschieden wurden als früher. Man latinisirte noch ein-
mal die Bauformen, wie damals viele Literatoren es mit der Sprache
versuchten, um in dem antiken Gewande die Gedanken des Jahrhun-
derts auszusprechen.
Der bedeutendste dieser Gedanken war hier im Grunde die neue
Vertheilung der baulichen Massen; jetzt erst entwickelt sich die (schon
bei Brunellesco verfrüht ausgebildete) Kunst der Verhältnisse im
Grossen. Jener neuerwachte Sinn für die organische Bedeutung
der echten antiken Formen muss sich diesem Hauptgedanken ganz
dienstbar unterordnen 1).
[301]Die Verhältnisse.
Was sind nun diese Verhältnisse? Sie sollen und können ur-
sprünglich nur der Ausdruck für die Functionen und Bestimmungen
des Gebäudes sein. Allein das erste Erwachen des höhern monumen-
talen Baues giebt ihnen eine weitere Bedeutung und verlangt von
ihnen nicht bloss das Vernünftige, sondern das Schöne und Wohl-
thuende. In Zeiten eines organischen Styles, wie der griechische und
der nordisch-gothische waren, erledigt sich nun die Sache von selbst;
eine und dieselbe Triebkraft bringt Formen und Proportionen untrenn-
bar vereinigt hervor. Hier dagegen handelt es sich um einen secun-
dären Styl, der seine Gedanken freiwillig in fremder Sprache aus-
drückt. Wie nun die Formen frei gewählt sind, so sind es auch die
Verhältnisse; es genügt, wenn beide der Bestimmung des Baues eini-
germassen (und sei es auch nur flüchtig) entsprechen. Dieses grosse
Mass von Freiheit konnte ganz besonders gefährlich wirken in einer
Zeit, die mit der grössten Begier das Ausserordentliche, Ungemeine
von den Architekten verlangte.
Es gereicht den Bessern unter ihnen zum ewigen Ruhm, dass sie
diese Stellung nicht missbrauchten, vielmehr in ihrer Kunst die höch-
sten Gesetze zu Tage zu fördern suchten. Dadurch, dass sie es ernst
nahmen, erreichte denn auch ihre Composition nach Massen eine dauernde,
classische Bedeutung, die gerade bei der grossen Freiheit doppelt
schwer zu erreichen war. Etwas an sich nur Conventionelles drückt
hier einen Rhythmus, einen unläugbaren künstlerischen Gehalt aus.
Die Theorie, welche Stockwerke und Ordnungen messend und beur-
theilend den Gebäuden nachging, umfasste gerade dieses freie Ele-
ment aus guten Gründen nicht; man wird bei Serlio, Vignola und
Palladio keinen Aufschluss in zusammenhängenden Worten, nur bei-
läufige Andeutungen finden; dagegen eine Menge Recepte für Einzel-
verhältnisse, zumal der Säulen.
Die constructive Ehrlichkeit und Gründlichkeit, welche noch keinen
pikanten Widerspruch zwischen den Formen und den baulichen Func-
tionen erstrebte, war ebenfalls der Reinheit und Grösse des Eindruckes
1)
[302]Hochrenaissance. Grossräumigkeit.
förderlich. Bei diesem Anlass muss zugestanden werden, dass manche
Bauherren an Material und Baufestigkeit zu ersparen suchten, was
sie an Raumgrösse aufwandten. Vielleicht haben die beiden folgen-
den Jahrhunderte im Ganzen solider gebaut als das XVI., das ihnen
an künstlerischem Gehalt so weit überlegen bleibt.
Erst mit dem XVI. Jahrhundert wird der Aufwand an Raum und
Baumaterial ein ganz allgemeiner; es beginnt jene allgemeine Gross-
räumigkeit, auch der bürgerlichen Wohnungen, jener weite Hochbau
der Hallen und Kirchen, welcher schon aus technischen Gründen den
Wölbungen und Kuppeln den definitiven Sieg über die Säulenkirche
verschafft und auch an profanen Gebäuden die Pfeilerhalle in der
Regel an die Stelle der Säulenhalle setzt. (Das XVII. Jahrhundert
verfolgt diese Neuerung noch weiter, bis in die Übertreibung). — Diess
hindert nicht, dass auch in kleinen Dimensionen, bei beschränktem
Stoff und äusserst bescheidener Verzierung bisweilen Unvergängliches
geleistet wurde. Ein mitwirkender, doch nicht bestimmender Umstand
zu Gunsten des Pfeilerbaues war das Seltenwerden disponibler anti-
ker Säulen, welches z. B. schon früher in Rom den Pintelli (Seite 194)
zur Anwendung des achteckigen Pfeilers veranlasst zu haben scheint.
Vollends so grosse antike Säulen, wie sie zu dem jetzigen Baumass-
stab gepasst haben würden, gab man nicht mehr her oder hob sie
für einzelne Prachteffecte im Innern auf, für Verzierung von Pforten,
Tabernakeln u. s. w. — Ausserhalb Roms blieb namentlich in Florenz
der Säulenbau weit mehr in Ehren; wir werden sehen aus welchen
Gründen.
Die Wahl der Formen im Grossen war jetzt noch freier als im
XV. Jahrhundert. Wenn nur etwas Schönes und Bedeutendes zu
Stande kam, das der Bestimmung im Ganzen entsprach, so fragte der
Bauherr nach keiner Tradition; es war in dieser Beziehung ganz
gleich, ob eine Kirche als Basilica, als gewölbte Ellipse, als Achteck
gestaltet wurde, ob ein Palast schlossartig oder als leichter durch-
sichtiger Hallenbau zu Stande kam. Der moderne Geist, der damals
nach jeder Richtung hin neue Welten entdeckte, fühlt sich zwar nicht
im Gegensatz gegen die Vergangenheit, aber doch wesentlich frei
von ihr.
[303]Bramante’s spätere Werke.
Die erste Stelle wird hier wohl dem grossen Bramante von
Urbino nicht streitig gemacht werden können (geb. 1444, welches
das Todesjahr Brunellesco’s ist; † 1514; bekanntlich Oheim oder Ver-
wandter Rafaels). Er hat noch den ganzen Styl des XV. Jahrhun-
derts in schönster Weise mit durchgemacht und in den letzten Jahr-
zehnden seines Lebens den Styl der neuen Zeit wesentlich geschaffen.
An Höhe der Begabung und an weitgreifendem Einfluss ist ihm bis
auf Michelangelo keiner zu vergleichen.
Seine frühere Thätigkeit gehört der Lombardie an (Seite 199).
Es ist mir nicht möglich zu entscheiden, wie vieles von den ihm dort
zugeschriebenen Bauten ihm wirklich gehört; in der Umgegend von
Mailand wird sein Name, wie gesagt, ein Gattungsbegriff. — Fra-
gen wir, was er aus dieser oberitalischen Tradition mitbrachte, so
ist es (im Gegensatz die Florentiner) die Vorliebe gegen den ge-
gliederten Pfeiler, für kühnwirkende halbrunde Abschlüsse und hohe
Kuppeln, Elemente, welche die lombardische Frührenaissance aus ihrem
Backsteinbau (S. 151, 203) entwickelt hatte. Seine Grösse liegt nun
darin, dass er in der spätern Zeit seines Lebens diess Alles seinem
hohen Gefühl für Verhältnisse dienstbar machte.
Von den Gebäuden, welche Bramante kurz vor und unter Julius II,
überhaupt in seiner spätern Lebenszeit ausführte, sind die ausserhalb
Roms gelegenen dem Verfasser nicht oder nur aus Abbildungen be-
kannt: die Kirche von Loretto mit Ausnahme der Kuppel; die Santaa
casa in dieser Kirche; der bischöfliche Palast daselbst; S. Maria delb
Monte in Cesena; endlich S. Maria della Consolazione in Todi. Diec
letztere muss, nach den Stichen zu urtheilen, eines der in sich voll-
kommensten Gebäude Italiens sein; über vier (von innen und aussen
mit zwei Pilasterstellungen bekleideten) Halbrotunden, welche die Arme
eines griechischen Kreuzes bilden, erhebt sich eine hohe Kuppel (deren
Cylinder ebenfalls von innen und aussen mit Pilastern versehen ist).
Das Ganze durchaus ein Hochbau, beträchtlich schmaler als hoch,
selbst die Lanterna ungerechnet.
Unter den römischen Bauten gilt als die frühste, vom Jahr 1504,
der Klosterhof bei S. M. della Pace (links von der Vorderseited
der Kirche, durch eine Strasse davon getrennt) 1). Dieser kleine ver-
[304]Hochrenaissance. Rom. Bramante.
nachlässigte Hof ist an und für sich schon eine Revolution des ganzen
bisherigen Hallenbaues. Unten Pfeiler mit Pilastern und Bogen; oben
Pilasterpfeiler mit geradem Gebälk, das in der Mitte jedes Intervalls
durch eine Säule unterstützt wird; — in dieser Form motivirte Bra-
mante die Nothwendigkeit, das obere Stockwerk von seinem bisherigen
Holzgesimse mit Consolen (S. 177, oben) zu befreien und ihm eine mo-
numentale Bildung zu geben, die mit dem Erdgeschoss in reinster Har-
monie steht. (Baupedanten tadeln jede Säule über der Mitte eines
Bogens, allein hier ist durch das bedeutende Zwischengesimse mit At-
tica und durch die Schmächtigkeit der Säule jedes Bedenken gehoben.)
Es folgt Bramante’s einzig ganz ausgeführtes und erhaltenes Mei-
asterwerk: die schon früher begonnene aber erst später vollendete
Cancelleria mit Einschluss der Kirche S. Lorenzo in Damaso. Die
gewaltige Fassade, welche beide Gebäude mit einander umfasst, zeigt
eine ähnliche Verbindung von Rustica und Wandpilastern wie Alber-
ti’s Pal. Ruccellai in Florenz, aber ungleich grandioser und weniger
spielend. Das Erdgeschoss, hoch und bedeutend, bleibt ohne Pilaster;
sie beleben erst, je zwei zwischen den Fenstern, die beiden obern
Stockwerke. Das stufenweise Leichterwerden ist sowohl in der Gra-
dation der Rustica und in der Form der Fenster als auch in jener
obern Reihe kleiner Fenster des obersten Stockwerkes ausgedrückt;
letztern zu Gefallen hätten die Baumeister der höchsten Blüthezeit
noch kein besonderes Stockwerk creirt, wie Spätere thaten. Gestalt
und Profilirung der Fenster, der Gesimse 1), sowie alles Einzelnen
sind an sich schön und in reinster Harmonie mit dem Ganzen gebildet.
Allerdings gowöhnt sich das Auge in Rom leicht an den starken und
wirksamen Schattenschlag der Barockbauten und vermisst diesen an
Bramante’s mässigen Profilen; allein mit welcher Aufopferung aller
Hauptlinien pflegt er erkauft und verbunden zu sein. — An den Sei-
tenfassaden Backsteinbau statt der Rustica.
Der Hof der Cancelleria ist der letzte grossartige Säulenhof Roms.
Bramante benützte dazu wahrscheinlich die Säulen der alten (fünf-
schiffigen oder zweistöckigen) Basilica S. Lorenzo in Damaso, die er
[305]Bramante. Cancelleria. Pal. Giraud.
abbrach. Das Mittelalter hatte sie auch nur von irgend einem antiken
Gebäude genommen, und wir dürfen vermuthen, dass sie ihre jetzige,
dritte Bestimmung harmonischer erfüllen als die zweite. Es sind 26
im Erdgeschoss, 26 im mittlern Stockwerk, mit leichten, weiten Bogen;
das Obergeschoss wiederholt das Motiv desjenigen der Fassade, nur
mit je einem Pilaster zwischen den Fenstern, statt zweier. Der wun-
derbare Eindruck des Hofes macht jedes weitere Wort überflüssig.
Die Kirche S. Lorenzo endlich, wie sie Bramante neu baute,a
ist trotz moderner Vermörtelung noch eines der schönsten und eigen-
thümlichsten Interieurs; ein grosses gewölbtes Viereck, mit Hallen
trefflich detaillirter Pfeiler auf drei Seiten; hinten die Tribuna; mit
fast ausschliesslichem Oberlicht durch das mächtige Halbrundfenster
links; reich an malerisch beleuchteten Durchblicken verschiedener Art.
Wir wissen nicht war es Bramante’s eigne Überzeugung von der
abgeschlossenen Vollkommenheit seiner Fassade, oder das Verlangen
des Bauherrn, was ihn bewog, das Wesentliche derselben an dem
schönen Palast auf Piazza Scossacavalli zu wiederholen. (Später Pal.b
Giraud, jetzt Torlonia benannt). Das Wichtigste aber sind die Unter-
schiede zwischen beiden; es wird nicht bloss ein Stück aus dem lan-
gen Horizontalbau der Cancelleria wiederholt, sondern die geringere
Ausdehnung zu einer ganz neuen Wirkung benützt; das Erdgeschoss
höher und strenger, die obern Geschosse niedriger, die Fenster des
mittlern grösser gebildet. Das Portal auch hier neuer und schlecht 1);
der Hof ein überaus einfacher Pfeilerbau mit Bogen und Pilastern.
Auf die einfachsten Elemente reducirt findet man Bramante’s Pa-
lastbauart in dem zierlichen kleinen Hause eines päpstlichen Schrei-c
bers Turinus gegenüber dem Governo vecchio. Wenn wir hier auf
Bramante wenigstens rathen dürfen, so ist dagegen der ihm wirklich
zugeschriebene Pal. Sora (jetzt Caserne, unweit Chiesa nuova) dasd
Werk eines Stümpers jener Zeit.
Endlich war Bramante der glückliche Meister, welcher dem vati-e
canischen Palast seine Gestalt geben sollte. Seit Nicolaus V
hatten die grössten Architekten (S. 172) Pläne gemacht; durch Un-
B. Cicerone. 20
[306]Hochrenaissance. Bramante. Vatican.
beständigkeit, anderweitige Beschäftigung und baldigen Tod der Päpste
hatte es jedoch bei einzelnen Stückbauten sein Bewenden gehabt, haupt-
sächlich in der Nähe von S. Peter (Appartamento Borgia, Cap. Si-
stina, Cap. Nicolaus V etc.); Innocenz VIII legte in beträchtlicher
aEntfernung davon das Lusthaus Belvedere an (nach der Zeichnung
des Antonio Pollajuolo). Die Verbindung des letztern mit den übrigen
Theilen und eine gänzliche Umbauung der letztern mit neuen Gebäu-
den war nun Bramante’s Aufgabe. Allein nur in dem vordern dreiseiti-
bgen Hallenhof, dem Cortile di San Damaso, ist seine Anlage einiger-
massen vollständig ausgeführt (zum Theil durch Rafael, zum Theil
lange nach seinem Tode) und erhalten. Die Aufeinanderfolge der
Motive von den starken untern Pfeilern, zu den leichtern der bei-
den mittlern Stockwerke und zu den Säulen des obersten ist sehr
schön behandelt, überdiess finden sich hier Rafaels Loggien und eine
Aussicht über Rom, die nicht zu den vollständigen aber zu den schön-
sten gehört. Doch dieser Hof sollte bei Weitem nicht das Haupt-
motiv des Gesammtbaues bilden.
Dieses war vielmehr denjenigen Bauten vorbehalten, welche den
cgrossen hintern Hof und den Giardino della Pigna umgeben. Man
denke sich die Querbauten der vaticanischen Bibliothek und des Brac-
cio nuovo hinweg und an deren Stelle ungeheure doppelte Rampen-
treppen die aus dem tiefer gelegenen untern Hof in den genannten
Giardino hinaufführen; man setze an die Stelle der Seitengalerien,
welche nur in bastardmässiger Umgestaltung und Vermauerung vor-
handen sind, diejenige grandiose Form ununterbrochener Bogenhallen
und Mauerflächen, welche Bramante ihnen zudachte, so entsteht ein
Ganzes, das seines Gleichen auf Erden nicht hat. Man kann den
Backsteinbau mit mässigem Sims- und Pilasterwerk, den Bramante
theils anwandte theils anwenden wollte, leicht an Pracht und Einzel-
wirkung überbieten; für das grosse Ganze war er fast vollendet schön
gedacht. Er ist ferner abgeschlossen durch eine Hauptform, vor deren
imposanter Gegenwart jeder Mittelbau neuerer Paläste gering und un-
frei erscheinen würde, so gross und reich er auch wäre 1). Wir mei-
[307]Vatican. S. Pietro in Montorio.
nen jene colossale Nische mit Halbkuppel, über welcher sich ein halb-
runder Säulengang mit tempelartigen Schlussfronten hinzieht. Sie ist
wohl factisch nur eine Schlussdecoration, allein sie könnte der feier-
lichste Eingang zu einem neuen Bau sein. (Die Aussennischen des
alten Roms, S. 56 Anm.) Am untern Ende des Hofes entspricht ihr ge-
wissermassen eine nur unvollständig ausgeführte Exedra.
Endlich ist die schöne flache Wendeltreppe am Belvedere 1) nacha
Bramante’s Plan ausgeführt; in der Mitte auf einem Kreise von immer
acht Säulen ruhend, die von den schwerern zu den leichtern Ordnun-
gen übergehen.
Von dem grossen Tribunal- und Verwaltungsgebäude, welchesb
Julius II durch Bramante wollte ausführen lassen, sind noch Anfänge
von Mauern des Erdgeschosses an mehrern Häusern der Via Giulia
sichtbar. Nach der sehr derben Rustica der gewaltigen Steinblöcke zu
urtheilen, hätte der Palast einen wesentlich andern Charakter als alle
bisher genannten erhalten.
Was Bramante für einen Antheil an dem jetzigen Bau von S. Peter
hatte, wird bei Anlass Michelangelo’s zu erörtern sein. — Nur ein
Kuppelbau ist in Rom nach seinem Plan ausgeführt: das runde Tem-c
pelchen, welches im Klosterhof von S. Pietro in Montorio die
Stelle der Kreuzigung Petri bezeichnet; ein schlanker Rundbau, unten
mit dorischem Umgang und zwölf kleinern Nischen, innen mit vier
grössern und mit dorischen Pilastern; das Obergeschoss innen und
aussen einfach, die Kuppel als Halbkugel; zu unterst eine Crypta.
Allein die Absicht Bramante’s wird erst vollständig klar, wenn man
weiss, dass rings um dieses schöne Gebäude nur ein schmaler freier
Raum und dann ein runder Porticus von viel grössern Säulen beab-
sichtigt war; die vier abgeschnittenen Ecken hätten dann vier Capel-
len gebildet. Der Meister wollte also sein Tempietto aus einer be-
stimmten Nähe, in einer bestimmten Verschiebung, eingefasst (für das
Auge) durch Säulen und Gebälk seines Porticus betrachtet wissen.
Es wäre somit das erste Denkmal eines ganz durchgeführten per-
spectivischen Raffinements. — Auch das Nischenwerk ist hier von
20*
[308]Hochrenaissance. Bramante’s Nachfolger.
ganz besonderer Bedeutung. Die runde Form (vgl. S. 303) sollte sich
an diesem so kleinen Bau in den verschiedensten Graden und Ab-
sichten wiederholen und spiegeln, als Hauptrunde des Kernbaues, des
Umganges, des grössern Porticus, als Kuppel, dann als Nische des
Innern, des Äussern, der Porticuswand und selbst der Porticuscapellen
— Alles streng zu einem Ganzen geschlossen. Das Nischenwerk der
bisherigen Renaissance erscheint gegen diese systematische Aufnahme
und Erweiterung altrömischen Thermen- und Palastbaues gehalten
wie ein blosser befangener Versuch.
Ohne dass sich eine eigentliche Schule an Bramante angeschlos-
sen hätte (womit es sich in der Baukunst überhaupt anders verhält
als in Sculptur und Malerei), lernten doch die Meister des XVI. Jahr-
hunderts alle von ihm. Ganz besonders hatte er in dem Grundriss
von S. Peter, den man (was Kuppelraum und Kreuzarme betrifft) viel-
fach änderte aber nie völlig umstiess, ein Programm grandiosen Pfei-
lerbaues mit Nischen aufgestellt, wonach alle Künftigen sich zu achten
hatten. Die toscanische Schule, mit all ihren bisherigen Kuppeln und
Gewölbekirchen, war hier durch ein neues System der Massenbelebung,
ein neues Verhältniss von Nischen und Eckpilastern überflügelt; sie
hatte sich noch immer stellenweise auf den Säulenbau verlassen; Bra-
mante gab ihn im Wesentlichen auf.
Seine Pfeiler mit Pilastern, wenigstens an Aussenbauten, sind viel-
leicht die einfachsten, welche die Renaissance gebildet, ohne Canne-
lüren, mit nur sehr gedämpftem Blattwerk etc. der Capitäle; und
wenn die Schönheit in der vollkommenen Harmonie des Einzelnen
zum Ganzen besteht, so sind sie auch die schönsten.
Allein schon die nächsten Nachfolger begnügten sich damit nicht
gerne. Sie behielten aus der frühern Renaissance die Wandsäulen,
wenigstens zur Fensterbekleidung bei, auch wohl zur Wandbekleidung.
Demgemäss traten dann auch die betreffenden Gesimse weit und stark-
schattig hervor. Man vergass zu leicht das, wovon der grosse Meister
allein ein völlig klares Bewusstsein scheint gehabt zu haben: dass näm-
lich einem abgeleiteten, mittelbaren Styl wie dieser, sobald die Zeit
der naiven Decoration vorüber ist, nur die gemessenste Strenge und
[309]Rafael.
Öconomie auf die Dauer zu helfen im Stande ist, dass er dadurch
allein den mangelnden Organismus würdig ersetzen kann.
Gleich derjenige, welcher Bramante am nächsten stand, Rafael,
ging in seinen Palästen über dieses Mass hinaus. Sein Schönheitssinn
sicherte ihn allerdings vor Klippen und Untiefen.
Von den wenigen nach seinem Entwurf ausgeführten und wirk-
lich noch vorhandenen Gebäuden ist Pal. Vidoni in Rom (aucha
Stoppani und Caffarelli genannt, bei S. Andrea della Valle) arg ver-
baut, sodass das Rustica-Erdgeschoss, auf dessen starken Contrast
mit den gekuppelten Säulen des obern Stockwerkes Alles ankam, fast
nirgends mehr die ursprünglichen Öffnungen zeigt; auch die obern
Theile sind modernisirt. — Besser erhalten, aber zweifelhaft ist Pal.b
Uguccioni (jetzt Fenzi) auf Piazza del Granduca in Florenz. Auch
hier unten derbste Rustica und dann ein ionisches und ein korinthi-
sches Obergeschoss mit gekuppelten Wandsäulen. (Von Andern dem
Palladio zugeschrieben; die Ausführung wahrscheinlich erst lange nach
Rafaels Tode). — Ganz sicher ist der herrliche Pal. Pandolfini, jetztc
Nencini, ebenda (Via S. Gallo), von Rafael entworfen, aber erst etwa
ein Jahrzehnd nach seinem Tode ausgeführt und wohl nicht ohne
Veränderungen, etwa an der Gartenseite. Es sind die Formen eines
nur bescheidenen Gebäudes in grossen Dimensionen und mächtigem
Detail ausgedrückt; Rustica-Ecken; die Fenster oben mit Säulen,
unten mit Pilastern eingefasst und mit Giebeln bedeckt; über einem
Fries mit grosser Inschrift ein prächtiges Hauptgesimse; nach einem
bedeutenden Rusticaportal neben dem Gebäude wiederholt sich das
untere Stockwerk als Altan, eines der reizendsten Beispiele aufge-
hobener Symmetrie. — Von Anbauten an römischen Kirchen ist die
ganz einfache Vorhalle der Navicella und die köstliche Capella Chigid
in S. Maria del Popolo von Rafael angegeben.e
Diese ausgeführten Bauten werden von den früher (S. 173) ge-
nannten Architekturen in seinen Gemälden natürlich weit übertroffen.
Von den Werken eines andern Urbinaten, der vermuthlich zu
Bramante in einiger Beziehung stand, Girolamo Genga (1476—1551)
können wir nur die Namen (nach Milizia) angeben, für Die, welche
[310]Hochrenaissance. Giulio Romano.
adie Romagna besuchen: ein Palast auf Monte dell’ Imperiale bei Pe-
saro, die Kirche S. Giovanni Battista in dieser Stadt, das Zoccolanten-
kloster in Monte Barroccio, der bischöfliche Palast in Sinigaglia. (Die
Fassade des Domes von Mantua wird eher von Giulio Romano sein.)
bVon Girolamo’s Sohn Bartolommeo war einst ein Palast des Her-
zogs von Urbino zu Pesaro, die Kirche S. Pietro zu Mondavio vor-
handen, auch eine Anzahl Gebäude auf Malta. Was von all diesen
Bauten noch existirt, können wir nicht angeben.
In der zweiten Generation ist Bramante’s Vaterschaft noch sehr
kenntlich bei dem berühmten Giulio Romano (1492—1546), der
als Baumeister eher an jenen als an Rafael anknüpft. (Wobei zu be-
denken bleibt, dass wir Rafael von dieser Seite nur wenig kennen.)
Giulio’s frühere Bauthätigkeit gehört Rom, die spätere Mantua
can. Das wichtigste und älteste Werk der römischen Periode ist die
Villa Madama1) am Abhang des Monte Mario (für Clemens VII, da-
mals noch Cardinal Giulio de’ Medici erbaut, aber nie vollendet und jetzt
allmälig zur Ruine verfallend, nachdem schon längst der Garten auf-
gegeben worden). Das gerade Gegentheil von dem was der Durch-
schnittsgeschmack unserer Zeit ein freundliches Landhaus zu nennen
pflegt. Kaum je zum Wohnen, eher nur zum Absteigequartier be-
stimmt; möglichst Weniges in möglichst grossen Formen, von einer
einfachen Majestät, wie sie dem vornehmsten der Cardinäle und schon
halb designirten Nachfolger auf dem päpstlichen Stuhl gemäss zu sein
schien. Nur Eine Ordnung von Pilastern; ja in der Mitte, wo die
dreibogige Halle mit den oben (S. 285, f) erwähnten Arabesken sich
öffnet, nur Ein Stockwerk, über hoher, malerisch ungleich vortreten-
der Terrasse; das Wasserbecken unten dran ehemals durch Ströme
aus den Nischen belebt. Auf der Rückseite eine unvollendete Exedra
mit Wandsäulen und Fenstern, ein Kreissegment bildend, wahrschein-
lich bestimmt einen Altan zu tragen 2).
Das kleinere Casino der Villa Lante auf dem Janiculus ist gegen-
wärtig unzugänglich und auch durch Abbildungen nicht bekannt. —
[311]Rom und Mantua. Peruzzi.
Der Pal. Cicciaporci an der Via de’ Banchi, nur halbvollendet unda
vernachlässigt, ist ein schöner und eigenthümlicher Versuch Giulio’s,
ohne Wandsäulen und stark vortretende Glieder, mit bescheidenem
Baumaterial einen neuen und bedeutenden Eindruck hervorzubringen.
— Die Reste des Pal. Maccarani auf Piazza S. Eustachio geben inb
ihrem jetzigen Zustand nur den dürftigsten Begriff von der Absicht
des Künstlers. — Welchen Antheil er an der Kirche Madonna dell’c
Orto im Trastevere gehabt haben mag, ist aus der heutigen Gestalt
derselben schwer zu entnehmen.
Die spätere Lebenszeit Giulio’s verstrich bekanntlich in Mantua.
Es ist dem Verfasser nicht vergönnt gewesen, die schönen, aber ziem-
lich frühen Jugendeindrücke, die ihm diese Stadt hinterlassen, zu er-
neuern; er muss sich damit begnügen, Giulio’s Hauptwerke zu nennen.
Der Palazzo del Te (abgekürzt aus Tajetto), ein grosses fürstlichesd
Lusthaus, ist die bedeutendste unter den erhaltenen Anlagen dieser
Art aus der goldenen Zeit, aussen fast zu ernst mit Einer dorischen
Ordnung, innen mit Hof, Garten und Zubauten das vollständigste Bei-
spiel grossartiger Profandecoration. (Vgl. S. 212, b.) Am alten Pa-e
lazzo ducale ist ein Theil von Giulio; unter seinen übrigen Palästen
wird besonders sein eigenes stattliches Haus gerühmt. Von den man-f
tuanischen Kirchen gehört ihm das jetzige Innere des Domes und dieg
(in der Nähe der Stadt gelegene?) Kirche S. Benedetto, eine hoch-h
bedeutende Anlage, wenn sie noch erhalten ist. (Von einem Nach-
folger, Giambattista Bertano, ist 1565 die Kirche S. Barbara erbaut,i
mit einem schönen Thurm von vier Ordnungen.)
Auch der grosse Baldassare Peruzzi (1481 — 1536) gehört
zu denjenigen, auf welche Bramante einen starken Eindruck gemacht
hatte. Seine Thätigkeit theilt sich hauptsächlich zwischen Siena und
Rom, und zwar mit mehrmals wechselndem Aufenthalt. In Siena wer-
den ihm eine ganze Anzahl meist kleiner Gebäude, auch einzelne Theile
solcher zugeschrieben; bedrängt und sehr bescheiden wie er war, ent-
zog er sich auch untergeordneten Aufträgen nicht. (Seine decorativen
Arbeiten S. 240, 264.) Laut Romagnoli wären von ihm die Paläste Pollinik
und Mocenni nebst dem Innern von Villa Saracini; der Arco alle duel
[312]Hochrenaissance. Peruzzi. Farnesina.
aporte; das Kloster der Osservanza ausserhalb der Stadt; die Kirchen
S. Sebastiano und del Carmine, die Fassade von S. Marta, das Meiste
an S. Giuseppe, der jetzige Innenbau der Servi (oder Concezione)
und der kleine Hof hinten über S. Caterina. So vieles mir von diesen
Bauten bekannt ist, sind es lauter Aufgaben, bei welchen mit sehr
sparsamen Mitteln, hauptsächlich durch mässiges Vortreten backstei-
nerner Pfeiler und Gesimse in schönen Verhältnissen, das Mögliche
geleistet ist, mehrmals mit genialer Benützung des steil abfallenden
Erdreichs. Für das flüchtige Auge ist hier kein auffallender Reiz ge-
boten; man muss die äusserste Beschränkung des Aufwandes mit
erwägen, um das Verdienst des Baumeisters zu würdigen. Vielleicht
bwird das in seiner Armuth so reizend schöne Höfchen bei S. Caterina,
in welchem der Geist Bramante’s lebt, am ehesten den Beschauer für
cdiese unscheinbaren Denkmäler gewinnen 1). (In der Concezione dürfen
die spitzbogigen Gewölbe der Seitenschiffe der Basilica nicht befrem-
den; Peruzzi hatte das Gothische studirt und sogar für S. Petronio
in Bologna eine Fassade dieses Styles entworfen. S. 148, a.)
In Rom hatte er bedeutenden Antheil am Bau von S. Peter (s.
dunten bei Michelangelo). Sodann gehört ihm die berühmte Farnesina,
die er im Auftrag des sienesischen Bankiers Agostino Chigi erbaute.
Es ist unmöglich, eine gegebene Zahl von Sälen, Hallen und Ge-
mächern anmuthiger in zwei Stockwerken zu disponiren als hier ge-
schehen ist. Neben der vornehm grandiosen Villa Madama erscheint
diese Farnesina als das harmlos schönste Sommerhaus eines reichen
Kunstfreundes. Durch die besonnenste Mässigung der architektonischen
Formen behält der mittlere Hallenbau mit den vortretenden Seiten-
flügeln eine Harmonie, die ihm eine Zuthat von äussern Portiken mit
Giebeln u. dgl. nur rauben könnte. Die einfachsten Pilaster fassen
das obere und das untere Stockwerk gleichsam nur erklärend ein;
das einzige plastische Schmuckstück, das denn auch wirkt wie es
soll, ist der obere Fries. (Über die Bemalung s. S. 293, a.) Die klei-
nen Mittelstockwerke (Mezzaninen) sind (wie in der guten Zeit über-
haupt, zumal an einem kleinen Gebäude) verhehlt; die Fenster des
[313]Palazzo Massimi etc.
untern sind ganz ungescheut zwischen den Pilastercapitälen, die des obern
im Fries angebracht. Die malerische Ausstattung, deren Ruhm das Bau-
werk als solches in den Schatten stellt, wird unten zur Sprache kommen.
Der Raum war hier frei, Licht und Zugang von allen Seiten ge-
geben. Aber Peruzzi wusste, ohne Zweifel von seinen sienesischen
Erfahrungen her, auch im Engen und Beschränkten gross und be-
deutend zu wirken; Bedingungen solcher Art steigerten seine Kräfte,
ähnlich wie ungünstige Wandflächen für Fresken diejenigen Rafaels.
Eines der ersten Denkmäler Italiens bleibt in dieser Hinsicht der Pal.a
Massimi zu Rom; an einer engen, krummen Strasse, die denn aller-
dings die strengern Fassadenverhältnisse unanwendbar machte. Peruzzi
concentrirte gleichsam die Krümmung, machte sie zum charakteristi-
schen Motiv in Gestalt einer schönen und originellen kleinen Vorhalle,
die schon in den wachsenden und abnehmenden Intervallen ihrer
Säulen und in ihrem Abschluss durch zwei Nischen diese ihre ausser-
gewöhnliche Bestimmung ausspricht. Von ihr aus führt ein Corridor
in den Hof mit Säulen und geraden Gebälken, der mit seinem kleinen
Brunnen und dem Blick auf die Treppe ein wiederum einzig schönes
und malerisches Ganzes ausmacht. Die Decoration, durchgängig stren-
ger classicistisch als die oben angeführten Sachen in Siena, verräth
die späteste Lebenszeit des Meisters. (Ausgeführt von Udine.)
Ebenso der kleine Palast an der Strasse, welche von Pal. Mas-
simi gegen Pal. Farnese führt; nach den Lilien zu urtheilen, möchteb
er ebenfalls für die Farnesen gebaut sein. Die Urheberschaft Peruzzi’s
wird bezweifelt; jedenfalls würde ihm dieses trotz Vermauerung der
Loggien und Verunzierung aller Art noch immer schöne Gebäude
keine Unehre machen. Als enger Hochbau mit vielen Fenstern nähert
es sich etwas den genuesischen Palästen.
Der Hof von Pal. Altemps, vorn und hinten mit reichstucchirtenc
Pfeilerhallen, auf der Seite mit Pilastern, wird ebenfalls dem Peruzzi
zugeschrieben. — Bei diesem Anlass ist am besten aufmerksam zu
machen auf einen schönen Palast, dessen Namen und Erbauer ichd
nicht habe erfragen können, Via delle coppelle N. 35 1). Der beschei-
[314]Hochrenaissance. Peruzzi.
dene und elegante Pilasterhof steht etwa zwischen Giulio Romano und
Peruzzi in der Mitte.
Wenn in Bologna die grossartige Fassade des Palazzo Albergati
von Peruzzi ist, so muss ihm irgend einer der bolognesischen Deco-
ratoren das Erdgeschoss verdorben haben. Die Fenster, auf einfach
derbe viereckige Einfassung berechnet, bilden mit ihrem jetzigen nied-
lichen Rahmen von Cannelüren, Consolen u. s. w. keinen echten Ge-
gensatz mehr zu den gewaltigen Fenstern des Obergeschosses. Auch
die Thüren und der Sims über dem Sockel sind Peruzzi’s unwürdig.
b— Die Fassade des Pal. Fioresi, mit ihren dünnen Säulchen unten
vor den Pfeilern, oben vor der Wand, ist bestimmt nicht von ihm
entworfen, sondern eine rechte Frührenaissanceform. (Das Innere viel
später, übrigens gut disponirt, besonders die Treppe.)
Hieher ist auch am ehesten Pal. Spada einzureihen, dessen Ur-
heber (um 1540) nicht genannt wird. Dieses eigenthümliche Gebäude
muss uns ein verlorenes ähnlicher Art ersetzen, nämlich das Haus,
welches Rafael nach seinem oder Bramante’s Entwurf für sich selbst
im Borgo unweit S. Peter erbaute. Pal. Spada erscheint nach Allem
zu urtheilen, wie eine Copie davon. Es ist ein geistvoller Versuch,
ein architektonisches Gefühl durch die Sculptur, durch Statuen in
Nischen, und freibewegten vegetabilischen Schmuck, nämlich Frucht-
schnüre von Genien getragen etc. auszudrücken. (Wenn ich nicht
irre, so kam die Idee von ähnlich bemalten Fassaden, S. 293, her
und ist als Übertragung dieser zu betrachten.) Am Pal. Spada ist
das Erdgeschoss als ruhige Basis behandelt, aussen Rustica, innen
eine schöne dorische Pfeilerhalle; erst die obern Stockwerke entwickeln
aussen und innen jene plastische Pracht. Der Executant war, wie ge-
sagt, ein Lombarde, Giulio Mazzoni 1).
(In der Nähe, gegen Ponte Sisto zu, zwei gute einfache Renais-
sancehäuser.)
[315]Der jüngere San Gallo.
Neben Bramante, Giulio und Peruzzi erscheint der jüngere
Antonio da San Gallo († 1546) als ein sehr ungleiches und viel-
leicht innerlich nie ganz selbständiges Talent. Dagegen wurde ihm
Gunst und hohe Stellung in reichem Masse zu Theil. Seine Arbeiten
zeugen immer von der goldenen Zeit, weil sie wenig Falsches und
Überladenes haben; allein sie sind meist etwas nüchtern. — Die acht-
eckige Kirche S. Maria di Loreto (auf Piazza Trajana) ist innena
durch neuere Stucchirung, aussen durch die abgeschmackte Lanterna
des Giovanni del Duca entstellt, war aber von jeher keine der edlern
Renaissancekirchen. — Das Innere von S. Spirito einfach und tüchtig;b
die nahe gelegene Porta schon sehr empfindungslos. — Das Innere vonc
S. Maria di Monserrato ist nach allen (auch ganz neuerlichen) Re-d
staurationen kaum mehr sein Eigenthum; der ehemals schöne kleine
Hof dahinter (den der Verfasser zum letztenmal in vollem Umbau be-
griffen sah) war es vielleicht nie. — Dagegen ist Pal. Sacchetti (Viae
Giulia) unstreitig von ihm und sogar zu seiner eigenen Wohnung er-
baut, überdiess wohl erhalten; von allen Gebäuden jener Zeit vielleicht
dasjenige, das bei grossen Dimensionen und einem gewissen Luxus am
wenigsten Eigenthümliches hat. — Was wäre vollends aus Pal. Far-f
nese geworden, wenn nicht Michelangelo später den Bau auf seine
Schultern genommen hätte? Der colossale Massstab allein hätte das
Gebäude nicht gerettet. Die kleinen, eng an einander gerückten Fen-
ster stehen zu den enormen Mauermassen im allerschlechtesten Ver-
hältniss, und ihre prätentiöse Bekleidung mit Säulen lässt diess nur
noch empfindlicher bemerken. Alle Hallen und Treppen des Innern
haben etwas Schweres und Gedrücktes, und eine abscheuliche Ge-
simsbildung. Nur die schöne dreischiffige Eingangshalle mit dem herr-
lich cassettirten Tonnengewölbe in der Mitte macht eine auffallende
Ausnahme; der Hof aber ist von Michelangelo (auch das untere Stock-
werk, so viel davon nicht einwärts schaut), der bekanntlich auch das
grosse Kranzgesimse des Palastes angab. — An der Sala regia desg
Vaticans ist bloss die allgemeine Anordnung von San Gallo; die bedeu-
tende Wirkung beruht aber wesentlich auf den Stuccaturen (S. 290 f)
und auf den Wandgemälden (als Ganzes, denn im Einzelnen sind sie
nicht zu rühmen). Mit der anstossenden Capella Paolina verhält es
[316]Hochrenaissance. San Gallo.
asich ähnlich. — Die beiden kleinen Kirchlein auf den Inseln des Bol-
sener Sees kenne ich nicht aus der Nähe.
Endlich werden diesem Meister eine Anzahl von Schloss- und
bFestungsbauten zugeschrieben. Wenn das majestätische Hafen-
castell von Civita vecchia wirklich von ihm ist (man traut es ge-
wöhnlich dem Michelangelo zu), so würde er in der Kunst, mit we-
nigen Formen gross zu wirken, einer der ersten gewesen sein. Er
übertraf hier noch die seinem Oheim, dem ältern Antonio zugeschriebene
cVeste von Cività castellana. Das Castell von Perugia kam vor seiner
theilweisen Zerstörung (1849) diesen beiden im Styl nicht gleich. Die
dFestungsmauern von Nepi sind wenigstens in ihrem seculären Verfall
höchst malerisch; die Bauten in Castro kenne ich nicht. (Das Castell
von Palo auf der Strasse nach Cività vecchia soll von Bramante sein.)
Von dem als Archäolog in zweideutigem Ruf stehenden Pirro
eLigorio (starb 1580) ist die um 1560 erbaute Villa Pia im grossen
vaticanischen Garten. Mit der passenden vegetabilischen Umgebung
wäre sie der schönste Nachmittagsaufenthalt den die neuere Baukunst
geschaffen hat; kein Sommerhaus wie die Farnesina und Villa Ma-
dama, sondern nur ein päpstliches Gartenhaus nebst Vorpavillon, zwei
kleinen getrennten Eingangshallen, kühlenden Brunnen und einem köst-
lich unsymmetrisch angebauten Thurm mit Loggia, Alles terrassen-
förmig abgestuft. Hier tritt denn auch die reiche plastische Fassaden-
verzierung, als scheinbarer Ausdruck ländlicher Zwanglosigkeit in ihr
bestes Recht.
In Florenz hat gerade der kurze Moment der höchsten Blüthe
keine Denkmäler ersten Ranges zurückgelassen. Doch ist derselbe
(abgesehen von den beiden rafaelischen Palästen) durch einen höchst
ansprechenden Künstler in kleinern Bauten vertreten, durch Baccio
d’Agnolo (1460—1543). Er übernahm die Palastarchitektur ungefähr
da, wo sie Cronaca gelassen; das Äussere überschreitet fast nie die
Formen, welche dieser am Pal. Guadagni entwickelt hatte und ist
meist weniger bedeutend. In den Höfen ist das bisherige florentini-
sche Princip mit der einfachsten Eleganz durchgeführt; selbst die
reichern Säulenordnungen scheinen Baccio zu bunt und er beschränkt
[317]Florenz. Baccio d’Agnolo.
sich meist auf die sog. toscanische, welcher er aber bisweilen durch
eine feine Blattlage um den Echinus eine leise Zierlichkeit zu geben
sucht.
Eine Ausnahme bildet zunächst die mehr plastisch durchgeführtea
Fassade von Pal. Bartolini (jetzt Hôtel du Nord, bei S. Trinità). Die
Ecken bedeutend als Pilaster mit Rustica behandelt, zwischen den
Fenstern Nischen; über den Fenstern (als frühstes und desshalb viel-
verspottetes, bald mit Übertreibung nachgeahmtes Beispiel) Giebel,
abwechselnd rund und gradlinig, etwa von den Altären des Pantheons
entlehnt; bisher nur an Kirchen gebräuchlich; die Fenster noch mit
besonders derb gegebenen Steinkreuzen; das schwere und rohe Ge-
simse angeblich auch von Baccio. — Ein anderes höchst originelles
Gebäude ist der kleine Pal. Serristori auf dem Platz S. Croce; Bacciob
musste hier das Recht des Überragens der obern Stockwerke, zwar
nicht vorn aber auf beiden Seiten nach den Nebengassen, benützen
und mit seinem classischen Detail in Einklang bringen; es ist lehr-
reich zu sehen, wie ihm diess gelang.
Andere Paläste sind aussen schlicht, zeigen aber den Organismus
des Hofes vorzüglich fein und angenehm durchgeführt. So vor Allem
Pal. Levi (Via de’ Ginori N. 5146), wo die Schlusssteine der Bögenc
noch Acanthusconsolen bilden. — Pal. Roselli del Turco, bei SS. Apo-
stoli, ist für Architekten sehenswerth wegen der schönen und nach-
drücklichen Gliederung der innern Räume, besonders der Treppe
(Consolen, Gesimse, Steinbalken, Lunetten). Von Einzelheiten sind
der stattliche eiserne Ring an der Ecke und das figurirte Kamin im
vordern Saal nicht zu übersehen.
Nur unscheinbar in seinem jetzigen Zustande, aber für Architekten
wichtig ist endlich ein Lusthaus, welches von Baccio für die Familied
Strozzi-Ridolfi erbaut und 1638 von Silvani vergrössert wurde. Ab-
sichtslos unregelmässig, mit Säulenhof, Nebenhof, Gartenhalle und
Thurm bildet es eine für ergänzungsfähige Augen sehr reizende halb-
ländliche Anlage. (Via Gualfonda oder Chiappina, N. 4432.)
Von Kirchen Baccio’s ist mir nur das Innere von S. Giuseppef
(1519) bekannt; eine schlichte korinthische Pilasterordnung mit Ge-
simse umzieht die Bogeneingänge der ebenfalls ganz einfachen Ca-
pellen; am Oberbau scheint Manches verändert. — Die von Baccio
[318]Hochrenaissance. Florentiner.
entworfene (und auf der einen Seite schon ausgeführte) Umkleidung
ader Domkuppel mit Galerie und Gesimse, die recht gut für diese
Stelle gedacht war, blieb unvollendet, weil Michelangelo sagte, es sei ein
Heuschreckenkäfig, dergleichen die Kinder in Italien aus Binsen flechten.
— Die Zeichnung zum Fussboden des Domes wird u. a. Künstlern
auch dem Baccio zugeschrieben; es ist das bedeutendste Werk dieser
Art, welches aus der Blüthezeit vorhanden ist. — Der Thurm von
bS. Spirito wird nur in Florenz bewundert; derjenige von S. Miniato
ist nur unvollkommen erhalten. — In S. Maria novella steckt der, wie
cman sagt schöne, Orgellettner Baccio’s in dem jetzigen hölzernen
verborgen.
Mehrere Gebäude, deren Urheber nicht genannt wird, zeigen eine
dgrosse Ähnlichkeit mit seinem Styl. So u. a. der kleine mittlere Hof
des (sonst neuern) Pal. Bacciochi (Via de’ Pucci N. 6117).
Von Baccio’s Sohn Domenico rührt der stattliche Pal. Buturlin
(einst Niccolini, Via de’ Servi N. 6256) her; die Fassade wiederholt
noch den Typus des Pal. Guadagni; innen ein schöner zwölfsäuliger
Hof und darüber der Oberbau; die Formen um einen Grad kälter als
in den Bauten des Vaters.
Ein Nachahmer Baccio’s, dessen Thätigkeit bis gegen Ende des
XVI. Jahrhunderts reicht, Giov. Ant. Dosio (geb. 1533), muss we-
gen eines vorzüglichen Gebäudes schon in dieser Reihe genannt werden:
fwegen des Pal. Larderel (Via de’ Tornabuoni N. 4191), welchen man
wohl nicht den schönsten Palast, allein das edelste Haus der floren-
tinischen Architektur heissen könnte. Es ist die Vereinfachung des
Pal. Bartolini, streng der Horizontale unterworfen, mit dreimaliger
toscanischer Ordnung an den Fenstersäulen. — Dosio’s übrige Bauten
gfolgen dem Styl der Zeit, so die Capelle Gaddi in S. Maria novella
(zweite d. l. Querschiffes) der Säuleneinschachtelung des Michelangelo
(die tüchtigen Stuccaturen der Decke von Dosio’s eigener Hand);
auch die Capelle Niccolini in S. Croce hat nichts eigenthümliches;
hwohl aber der in seiner Einfachheit merkwürdig malerische Hof des
Arcivescovato, welcher mit äusserst Wenigem einen bedeutenden Ein-
druck hervorbringt.
Sonst trägt in Florenz noch den kenntlichen Stempel der goldenen
iZeit der Mercato nuovo des Bernardo Tasso 1547 (nicht von
[319]Paduaner.
Buontalenti). Edler, grossartiger und einfacher liess sich die Aufgabe
für dieses Klima nicht wohl lösen, als durch diese Halle gesche-
hen ist.
Dem Bildhauer Baccio da Montelupo wird die Kirche S. Pao-a
lino in Lucca zugeschrieben, die dem Styl nach um 1530 fällt. Innen
und aussen der einfachste, sogar trockene Pilasterbau; nur die Front-
wände innen mit vorgekröpften Säulen verziert. Es ist Brunellesco’s
Badia von Fiesole ins XVI. Jahrhundert übertragen, selbst in Betreff
der Anordnung der Seitenschiffe.
In Padua wurde während der ersten Jahrzehnde des XVI. Jahr-
hunderts die Kirche S. Giustina erbaut von Andrea Riccio, eigent-b
lich Briosco, den wir schon als Decorator und Erzgiesser genannt
haben. Nach seinem berühmten Candelaber im Santo zu urtheilen
(Seite 254), würde man einen schmuckliebenden, im Detail wirkenden
Baumeister der Frührenaissance in ihm erwarten, allein die Justinen-
kirche giebt nicht als grossartige Disposition in ungeheurem Massstab.
Die Grundlage ist eine ähnliche wie in den oben (Seite 203 ff.) erwähnten
Kirchen südlich vom Po, verbunden mit dem in der Nähe Venedigs
unerlässlichen Vielkuppelsystem, allein die Durchführung geschieht
mit lauter Mitteln, die auf das Ganze berechnet, also über die Früh-
renaissance hinaus sind.
Die Nebenschiffe wurden mit ungeheuern Tonnengewölben be-
deckt, welche unmittelbar die jedesmalige Hochkuppel oder Flach-
kuppel tragen; hohe Durchgänge durchbrechen unten die Stützwände;
Reihen von tiefen Capellen schliessen sich auf beiden Seiten an. Die
Querarme sind rund abgeschlossen, ebenso ihre Seitenräume und die
des beträchtlich verlängerten Chores, sodass das Auge überall auf
Nischen trifft.
Von den Kuppeln würde die mittlere mit ihren vier kleinen Eck-
kuppeln genügen und wahrscheinlich auch dem Künstler genügt haben.
[320]Hochrenaissance. Padua.
Die paduanische Sitte zwang ihn, noch drei andere Kuppeln rechts,
links und hinten beizufügen, die er zwar etwas kleiner und weniger
schlank als die mittlere bildete; gleichwohl sind sie derselben im
Wege, decken sich, schneiden sich unschön und tragen zur Wirkung
des Innern sehr wenig bei. Immerhin sind die Thorheiten der Bau-
meister des Santo nach Kräften vermieden. Eine auffallend geringe,
rohe Bildung und dunkle Färbung der Pilastercapitäle, auch der Ge-
simse macht es nöthig, das Auge etwas an dieses Innere zu gewöhnen
welches nicht nur an Grösse, sondern auch an Wohlräumigkeit eines
der ersten der goldenen Zeit ist.
Aussen ist die Fassade noch nicht incrustirt. Die Seitenschiffe
haben lauter einzelne Flachgiebel, den grossen Tonnengewölben des
Innern entsprechend.
Seit der Mitte des Jahrhunderts wurde dann von Andrea della
aValle und Agostino Righetto der jetzige Dom zu Padua erbaut.
Dass ein Entwarf von Michelangelo zu Grunde liege, ist kaum glaub-
lich, da die Verwandtschaft mit den nahen oberitalischen Bauten viel
grösser ist, als diejenige mit den seinigen; wohl aber mag man bei
der Behandlung der kuppeltragenden Tonnengewölbe und ihrer Eck-
räume auf sein Modell von S. Peter hingeblickt haben, welches damals
einen noch ganz frischen Ruhm genoss. Das Langhaus wird zuerst
durch ein kürzeres Querschiff mit kleinerer Kuppel unterbrochen, dann
durch ein grösseres mit einer (modernen) höhern Kuppel und runden
Abschlüssen. Die Seitenschiffe sind lauter kleine Kuppelräume mit
anstossenden Capellen. Die Bildung der Pilastercapitäle und Gesimse
zeigen die Übelstände derjenigen von S. Giustina in noch höherm Grade.
Die Wirkung dieses Innern hängt, wie bei so vielen Kirchen, vom
Schliessen und Öffnen der Vorhänge ab. Hat man die Kirche bei ge-
schlossenen Vorhängen der Kuppelfenster und offenen der (weitherab-
reichenden) Chorfenster gesehen, so glaubt man in ein ganz anderes
Gebäude zu treten, wenn das Verhältniss ein entgegengesetztes ist.
Die Bequemlichkeit der Sacristane, welche sich mit den Vorhängen
in der Kuppel nicht gerne abgeben, raubt bisweilen einem Gebäude
jahrelang seine beste Bedeutung. — Die Fassade ebenfalls nackt.
[321]Falconetto.
Wie aus Trotz gegen den venezianischen Engbau sind diese Kir-
chen in colossalem Massstab angelegt. Mässiger verfuhr in dem zur
Provincialstadt gewordenen Padua der Profanbau, welcher sich hier
in den ersten Jahrzehnden des XVI. Jahrhunderts hauptsächlich an den
Namen des Veronesers Giov. Maria Falconetto (1458 — 1534)
knüpft. Was er am Pal. del Capitaniato gebaut hat, möchte sicha
etwa in Betreff der Fassade gegen den Signorenplatz auf die mittlere
Pforte mit dem Uhrthurm, in Betreff derjenigen gegen den Domplatz
(jetziges Leihhaus) auf das obere Stockwerk über der (mittelalterlichen)
Bogenhalle beschränken; beides keine Bauten von höherm Belang. So-
dann gehören ihm mehrere Stadtthore: P. S. Giovanni, P. Savona-b
rola etc. Das erstgenannte (1528) ahmt, aussen mit Halbsäulen, innen
mit rohgelassenen Pilastern, die Form eines einfachen antiken Triumph-
bogens nach, selbst in der Anordnung der Fenster 1). Die Kirche dellec
Grazie, welche ihm zugeschrieben wird (unmöglich mit Recht) ist ein
geringer Barockbau; die kleine Musikhalle, die er gebaut haben soll,
la Rotonda genannt, habe ich nicht erfragen können 2).
Weit das Schönste, was Falconetto hinterlassen hat, findet sich
am Palast Giustiniani, ehemals Cornaro, beim Santo, N. 3950.
Der Hof dieses von Aussen unscheinbaren Gebäudes wird von zwei
im rechten Winkel stehenden Gartenhäusern begränzt (datirt 1523),d
die noch im äussersten Verfall jenen unzerstörbaren Charakter der
Lustgebäude des goldenen Zeitalters an sich tragen. Das eine mit
Wandsäulen, das andere mit Pilastern in zwei Stockwerken; jenes
einen obern und einen untern Saal, dieses ein köstliches achteckiges
Gemach mit Nischen, ein paar Nebenräume, und oben eine offene Log-
gia enthaltend; die Räume grossentheils voll der herrlichsten Malereien
und Arabesken (S. 288, e). Der Geist des wahren Otium cum dignitate,
der in diesen Räumen lebt, wird freilich heutzutage so selten, dass
ein volles Verständniss des Gebäudes eine gewisse Anstrengung er-
B. Cicerone. 21
[322]Hochrenaissance. Verona. Sanmicheli.
fordert. Unser Geschlecht sucht in seinen derartigen Zierbauten nicht
den Genuss, sondern die Abspannung oder die Zerstreuung, daher ist
ihm entweder das Formloseste oder auch das Bunteste willkommen.
Das Vorbild Falconetto’s hielt in Padua noch einige Zeit die
abessere Architektur aufrecht. Der obere Hof im Pal. del Podesta und
mehrere einfache Privatpaläste geben hievon Zeugniss. Auch der
bvierte Klosterhof bei S. Giustina, dessen Bogenpfeiler unten mit ioni-
schen, oben mit korinthischen Halbsäulen bekleidet sind, ist ein gutes
Gebäude. (Es soll sich unter den Höfen dieses Klosters einer von
Pietro Lombardo befinden, was kaum auf einen von den fünfen passen
kann, welche ich gesehen habe, ausgenommen etwa auf den zweiten,
cnoch halb mittelalterlichen. Sonst sind mir nur die einfachen Renais-
sancehöfe beim Seminar bekannt.)
In Verona ist die Blüthezeit der Baukunst repräsentirt durch
Michele Sanmicheli (1484—1559), welcher seine wesentlichen
Anregungen schon frühe in Rom fand und auch seine ersten Gebäude
dim Kirchenstaat ausführte. (Dom von Montefiascone; S. Domenico (?)
in Orvieto; auch Privatgebäude an beiden Orten.) Später wurde ihm
hauptsächlich als Festungsbaumeister Ruhm und reichliche Beschäf-
tigung zu Theil, doch blieb ihm nicht nur Zeit und Anlass für Pracht-
bauten übrig, sondern er durfte auch den Festungsbau selbst mit einer
Majestät der Ausführung behandeln, welche nur selten wieder so ge-
stattet und noch seltener wieder erreicht worden ist.
Im Dienst seines Souverains, der Republik Venedig, vergrösserte
und verbesserte er fast alle Befestigungen, welche dieselbe nah und
efern (bis Cypern) besass. Bei Venedig selbst gehört ihm die Forti-
fication des Lido; in Verona die wichtigsten Basteien und Thore.
Der militärische Werth seiner Neuerungen wird sehr hoch angeschla-
gen; wir haben es nur mit dem Styl seiner Thore zu thun. — Von
unfertigen Römerbauten, wie zum Beispiel das Amphitheater von Ve-
rona, abstrahirte er (vielleicht von allen Architekten zuerst?) die Be-
fugniss, nicht bloss Flächen, sondern auch Gliederungen (Säulen, Wand-
säulen, Pilaster etc.) mit Rustica zu bekleiden; sein Zweck war, den
ernsten, trotzigen Charakter des Festungsbaues mit der Schönheit des
[323]Thore und Paläste.
dorischen Säulensystems und seiner Verhältnisse zu verbinden. Aller-
dings entstanden Zwitterformen, indem die regelrecht gebildeten Ge-
bälke und Capitäle zu dem roh gelassenen Übrigen nie passen können,
allein Sanmicheli war der Künstler dazu, dieses vergessen zu machen.
Porta nuova zeigt sowohl an den beiden Fronten als (und hauptsäch-a
lich) in der Durchfahrt mit deren Seitenhallen eine imposante Anwen-
dung seines Princips ohne alles Schwere und Plumpe, in vortrefflichen
Verhältnissen. Porta Stuppa (oder Palio), schon lange zugemauert,b
eine quer über den Weg gestellte Halle von fünf Bogen mit (nicht
ganz richtig erneuerter) Attica, wirkt durch Einheit des Motives in
diesen gewaltigen Dimensionen noch grossartiger. (Man bemerkt, wie
Sanmicheli durch sehr schlanke Bildung seiner dorischen Halbsäulen
die rohe Bossirung derselben wieder aufzuwägen suchte.) Portac
S. Zeno, anspruchsloser, ist ebenfalls von ihm; Porta S. Giorgio da-d
gegen (1525) der unbedeutende Bau eines weniger Entschlossenen.
Von dieser einseitigen Beschäftigung her behielt Sanmicheli (und nach
ihm fast die ganze spätere veronesiche Architektur) eine Vorliebe für
das Derbe auch an den Erdgeschossen der Paläste. Er behandelte sie
mit lauter Rustica, ohne sich doch entschliessen zu können, ihnen in
diesem Fall den entschiedenen Charakter eines blossen Sockelgeschosses
zu geben, wie Palladio nachmals und wie z. B. Rafael und Giulio
Romano schon um dieselbe Zeit thaten. Gleichwohl wirken diese
Gebäude immer sehr bedeutend durch die mächtige Behandlung des
Obergeschosses mit seinen wenigen und grossen Theilen und der ern-
sten Pracht seiner Ausführung.
Das frühste dieser Gebäude in Verona möchte Pal. Bevilacquae
sein; oben mit spiralförmig cannelirten Säulen, zwischen welchen ab-
wechselnd grosse triumphbogenartige und kleinere Fenster mit Ober-
luken sich öffnen. — Pal. Canossa; aussen einfacher; das ganze Erd-f
geschoss eine offene Halle, durch welche man in einen Pilasterhof nach
Art der römischen Schule hinausblickt, dessen Hintergrund die herr-
liche Landschaft jenseits der Etsch bildet. (Das kleine Mittelstock-
werk oder Mezzanin gehört aussen noch zum untern Rusticageschoss;
im Hof bildet es schon ein nicht glückliches besonderes Glied.) — Es
folgt der einfach herrliche Pal. Pompei; hier gab Sanmicheli die untereg
Ordnung auf und verlieh dem Erdgeschoss schon mehr den Charakter
21*
[324]Hochrenaissance. Verona. Sanmicheli.
eines blossen Unterbaues; die obere dorische Ordnung fasst fünf grosse
Fensterbogen (über welchen Masken) ein; der Hof ist nicht bedeutend.
aPal. Verzi, auf Piazza Brà N. 2989, der einfachste. — Die alte Gran-
bGuardia auf demselben Platz ist nicht von Sanmicheli, sondern von
seinem Verwandten Domenico Cortoni; die beiden Stockwerke stehen
in keinem guten Verhältniss zu einander.
In Venedig ist von Sanmicheli der Pal. Grimani (jetzige Post),
welcher in der grossartigen Eintheilung der Fassade über alles Mass
venezianischer (auch Sansovinischer) Raumbehandlung hinausgeht, da-
bei gleichwohl auch den Eindruck des Phantastisch-Festlichen erreicht,
welchen die Baukunst am Canal grande verlangt. Im Erdgeschoss
emancipirt sich der Meister von seiner continentalen Derbheit, und
vollends die untere Halle ist wohl die einzige wahrhaft würdige in
dganz Venedig. — Auch Pal. Corner-Mocenigo, auf Campo S. Polo ist
sein Werk. Ebenso Pal. Soranzo in Castelfranco (zwischen Padua und
Treviso), wenn er noch vorhanden ist.
Von einzelnen Portalen in Verona werden die beiden auf dem Sig-
enorenplatz, an der Polizei und am Tribunalgebäude, ihm beigelegt.
Von seinen Kirchenbauten ist dem Verfasser die berühmte Ma-
gdonna di Campagna wegen ihrer Entfernung, die Rundcapelle bei
S. Bernardino wegen Verwendung der Kirche zum Kriegsmagazin un-
hzugänglich geblieben. — An S. Giorgio in Braida soll nach Einigen
bloss der Thurm, nach Andern der Kuppelraum oder gar das Ganze
von Sanmicheli sein; einschiffig und ohne Querbau, gleichwohl aber
von reicher und bedeutender Gliederung des Innern. (Vortretende
Pfeiler mit Halbsäulen; im Cylinder der Kuppel ein Kreis von 20
iPilastern; der Chor etwas enger, mit rundem Abschluss.) An S. Maria
in Organo (Seite 225, d) ist die unvollendete Fassade nach seinem
Entwurf gebaut (1592).
Nur mit einigem Widerstreben reihe ich hier den grossen Baumei-
stern der Blüthezeit auch den Florentiner Jacopo Sansovino an. (Geb.
1479, † 1570; er hiess Tatti, erhielt aber jenen Beinamen von dem gros-
sen Andrea Contucci-Sansovino, dessen vertrauter Schüler in der Sculp-
tur er war.) Alle Andern in dieser Reihe haben ihre Bauwerke frei und
[325]Venedig. Jacopo Sansovino.
grossartig nach einer innern Nothwendigkeit zu gestalten gewusst;
Jacopo dagegen, der mitten unter den erhabensten Bauten von Rom
und Florenz die erste Hälfte seines Lebens zugebracht hatte, bequemt
sich in der Folge als bauliches Factotum von Venedig zu allen Spie-
lereien und Liebhabereien der dortigen Frührenaissance und hilft diesel-
ben verewigen. Es muss ihm bei grossen Gaben des Geistes und Her-
zens doch am wahren Stolz gefehlt haben, der lieber eine glänzende
Bestellung ausschlägt, als sie gegen besseres Wissen durchführt.
In Rom ist von ihm das Innere von S. Marcello am Corso unda
der Pal. Niccolini an der Via de’ Banchi angegeben; ersteres immerb
eines der bessern unter den kleinern Interieurs dieses Styles. — In
Venedig bekam er eine Menge von Aufträgen und genoss bis an
seinen Tod eine künstlerische Stellung parallel mit seinem Altersge-
nossen Tizian. — Unter seinen Kirchen ist wohl die beste S. Giorgioc
de’ Greci (1550); einschiffig mit Tonnengewölbe (das in der Mitte von
einer Kuppel unterbrochen wird), aussen ein schlanker Hochbau von
zwei Ordnungen, zu welchen vorn noch eine Art von Oberbau als
dritte kommt. In der Behandlung des Ganzen erkennt man leicht die
Überlegenheit des an die Rechnung im Grossen gewöhnten Florenti-
ners; allein derselbe lässt sich doch herbei zu der venezianischen Be-
handlung des Pilasters (mit Rahmenprofil) und zu einer überaus klein-
lichen Verzierung jener obersten Ordnung der Fassade, dergleichen
ihm in Rom nicht durchgegangen wäre. — Gleichzeitig baute er (1551)
die Fassade der nahen Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni, in dem-d
selben schreinerhaften Geist, wie die meisten Scuole von Venedig.
Das Innere von S. Francesco della Vigna (1534) ist ein wahrere
Rückschritt ins Oberitalienische, wenn man S. Marcello in Rom (1519)
damit vergleicht. Nüchterne Pilaster; tiefe Seitencapellen, aus welchen
das meiste Licht kömmt. — An S. Martino (1540) sieht man, dassf
Sansovino bei geringern Mitteln seine Tüchtigkeit wieder fand; er
hat einem quadratischen flachgedeckten Raum durch glückliche Ein-
theilung der Wände in niedrigere und höhere Capellen Bedeutung zu
geben gewusst. (Aussen fehlt die Incrustation). — Wiederum von ge-
ringerer Anlage: S. Giuliano (1555.) — Die Fassade von S. Sebastianog
ist aber doch hoffentlich nicht von ihm; so tief kann er nicht gefallenh
[326]Hochrenaissance. Venedig. Jac. Sansovino.
asein. In Padua kann S. Francesco von ihm nur umgebaut, nicht er-
baut sein.
Die Loggia unten am Marcusthurm (1540), ehemals der Warte-
raum für die Procuratoren, welche während der Sitzungen des grossen
Rathes die Wache zu befehligen hatten, ist im Grunde mehr eine
plastische Decoration als ein Gebäude. Dass die Attica viel zu hoch
ist, würde man weniger empfinden, wenn die vorgekröpften Gebälke
die beabsichtigten Statuen erhalten hätten.
Von Sansovins Palästen ist offenbar der frühste Pal. Corner della
Ca grande (am Canal gr. rechts); man könnte sagen, es sei sein letz-
tes Gebäude von römisch-modernem Gefühl der Verhältnisse; unten
Rustica, die beiden obern Stockwerke mit Bogen zwischen Doppel-
dsäulen (1532). — Wenige Jahre später (1536) begann er die Biblio-
teca an der Piazzetta 1), welche man wohl als das prächtigste pro-
fane Gebäude Italiens bezeichnen darf. Hier zuerst erfuhren die
Venezianer, welche Fortschritte das übrige Italien seit den letzten
Jahrzehnden in der Ergründung und Neuanwendung der echten römi-
schen Säulenordnungen gemacht hatte; alle bisherige venezianische
Renaissance war eine Nachfolge des Alterthums auf blosses Hören-
sagen hin neben diesem einzigen Werke. Von dem römischen Pila-
sterbau mit Halbsäulen, wie man ihn von den Theatern und Amphi-
theatern her kannte, war hier nicht bloss das Allgemeine abstrahirt,
sondern die sicherste Künstlerhand hatte diese Formen mit der ge-
diegensten plastischen Pracht durch und durch belebt. Wir dürfen
glauben, dass Venedig sich an der grandios energischen Behandlung
der Halbsäulen und Gesimse, an dem derben Schattenschlag der Glie-
derungen, vorzüglich aber an dem ungeheuern Reichthum des Figür-
lichen kaum satt sehen konnte. Allein das Gebäude ist seinem inner-
sten Wesen nach eben nicht mehr als eine prächtige Decoration, wie
die Venezianer sie gerade haben wollten. Mit dem Programm, eine
Bibliothek auf diesen Raum zu bauen, hätte sich etwas Bedeutenderes,
durch Verhältnisse und Eintheilung Sprechendes componiren lassen.
Man braucht nicht einmal an Bramante, nur z. B. an Peruzzi zu den-
[327]Die Biblioteca und ihre Nachahmungen.
ken, ja nur an Palladio’s Basilica zu Vicenza. Immerhin ist es eine
der glänzendsten Doppelhallen auf Erden, wenn nicht die glänzendste.
Die Bewunderung war denn auch so gross, dass später (1584)
Scamozzi zum Bau seiner „neuen Procurazien“, welche von dera
Biblioteca aus den Marcusplatz entlang gehen, geradezu das Motiv
dieser letztern wiederholte. Zum Unglück aber bedurfte sein Bau
eines dritten Stockwerkes, welches er aus eigener Macht hinzu com-
ponirte. Kein Zeitgenosse hätte etwas viel Besseres hingesetzt; aber
man durfte auf Sansovins Halle überhaupt nichts setzen, da ihr de-
corativer Sinn mit den beiden Stockwerken vollkommen abgeschlossen
ist. — Die zweite Fortsetzung, auf der Seite gegenüber S. Marco,
(zum Theil an der Stelle der demolirten Kirche S. Geminiano) ist in
ihrer jetzigen Gestalt aus der Zeit Napoleons. (Von Soli, der indess
nicht ganz dafür verantwortlich ist.) — Als das anerkannte Prachtstück
von Venedig übte der Bau Sansovins eine dauernde Herrschaft über die
Phantasie der Spätern aus. Es ist nicht schwer, denselben, mit einem
Erdgeschoss von facettirter Rustica vermehrt, wieder zu erkennen, z. B. in
der reichen und mächtigen Fassade von Pal. Pesaro am Canal grandeb
(schief gegenüber von Ca Doro), erbaut von Longhena (um 1650);
ebenso in dem Pal. Rezzonico desselben Architekten, mit einem Erd-c
geschoss von Rustica mit Säulen. Schon Scamozzi hatte in den etwas
öden Formen seines Pal. Contarini dagli Scrigni eine Art von Repro-d
duction versucht. (Beide letztgenannten Paläste am Canal grande links
nicht weit von Pal. Foscari.)
Selbst an Kirchen kehrt jene für unübertrefflich gehaltene Anord-
nung von Wandsäulen und Fenstersäulen in zwei Stockwerken noch
ganz spät wieder. So an S. Maria Zobenigo, 1680 von Sardi er-e
baut, der sein Vorbild an erstickendem Reichthum zu übertreffen
wusste. (Die Wandsäulen verdoppelt; die Piedestale oben mit See-
schlachten, unten mit Festungsplänen in Relief bedeckt.)
Die übrigen Paläste Sansovin’s sind wenig mehr als Umkleidungen
der venezianischen Renaissance mit seinen strengern Formen. So Pal.f
Manin, unweit vom Rialto, u. a. m.
[328]Hochrenaissance. Venedig. Spavento.
Die Fabbriche nuove wurden schon erwähnt (S. 221, c). An der
Zecca, einem seiner spätern Gebäude, hat Sansovino durch Rustica-
halbsäulen an allen Fenstern seiner zwei obern Stockwerke einen Ein-
druck des Ernstes hervorgebracht, der mit der Biblioteca zu contra-
stiren bestimmt ist. Der Hof ist vielleicht bedeutender als die Fassade;
bwie der schöne Hof der Universität zu Padua (1552, eine doppelte
Halle mit geraden Gebälken) verräth er noch die frühern, festländi-
schen Inspirationen des Meisters.
Von seinen unmittelbaren Schülern hat Alessandro Vittoria
can dem einfachen Pal. Balbi (Canal grande, links, bei Pal. Foscari)
am meisten Takt und Geschmack bewiesen. — Als Gegenstück zu
der Zecca, d. h. als ernstere Coulisse zum Dogenpalast, wie es die
Zecca für die Biblioteca ist, erbaute später Giovanni da Ponte
d(1512—1597) die Carceri. Ob die berühmte Seufzerbrücke, ebenfalls
von ihm ist, weiss ich nicht anzugeben; einstweilen pflegt man ihm,
evielleicht nur seinem Namen zu Ehren, die berühmte Brücke Rialto
zuzuschreiben. (Abgesehen von dem mechanischen Verdienst, das wir
nicht beurtheilen können, ist es ein hässlicher und phantasieloser Bau.
Ein neuerer Sammler scheint den wahren Autor, einen gewissen An-
drea Boldù, ausgemittelt zu haben.)
An der schönsten modernen Kirche Venedigs, S. Salvatore, hat
Sansovino nur die Ausführung leiten helfen; entworfen ist sie von
Giorgio Spavento unter Theilnahme des Tullio Lombardo, vollen-
det schon 1534, mit Ausnahme der beträchtlich spätern Fassade. Hier
trägt das in S. Marco halbunbewusst, an S. Fantino bewusster aus-
gesprochene Princip seine reifste Frucht; drei flache Kuppeln hinter-
einander ruhen auf Tonnengewölben, deren Eckräume, von schlanken
Pfeilern gebildet, ebenfalls mit kleinen Kuppelgewölben bedeckt sind.
So entsteht eine schöne, einfach reiche Perspective, die das Gebäude
grösser scheinen lässt, als es ist. Allerdings trägt hiezu auch die
Farblosigkeit und das einfache Detail, sowie die glückliche Verthei-
lung des Lichtes bei. (Welche letztere man doch erst einer spätern
Durchbrechung der anfangs dunkeln Kuppeln verdanken soll.)
[329]Michelangelo. Florenz. S. Lorenzo.
An das Ende dieser Reihe gehört der grosse Michelangelo
Buonarroti (1474—1563); seine bauliche Wirksamkeit begann erst
verhältnissmässig spät, als seine bedeutendern Zeitgenossen schon ihre
Systeme ausgebildet hatten, und sie bezieht sich als Vorbild mehr
auf das jüngere Geschlecht, welches dann über ihm selbst die Alten
vergass.
Michelangelo hat sich nicht zur Architektur gedrängt. Seine dä-
monisch gewaltige Formenbehandlung in der Sculptur und Malerei
brachte die Bauherren darauf, von ihm auch Rath, Entwurf und Lei-
tung für die Gebäude zu verlangen. Der erste Auftrag (1514 durch
Leo X) war eine Fassade für S. Lorenzo in Florenz: sein Plana
wurde allen andern, auch demjenigen Rafaels, vorgezogen. Man be-
wahrt eine Skizze desselben noch im Palazzo Buonarroti, den er selbst
viele Jahre bewohnte und den sein Neffe, der als Dichter bekannte
Michelangelo Buonarroti der jüngere zu einem Museum für das An-
denken des Oheims eingerichtet hat. (Via Ghibellina N. 7588, sichtbar
Donnerstags.) Der untere Theil der Fassade wäre mit grandios zwi-
schen Säulenstellungen angeordneten Reliefs bedeckt worden; in Be-
treff des obern, dem Mittelschiff entsprechenden, lässt die Zeichnung
Zweifel zu; die Vermittlung zwischen beiden, die von andern Bau-
meistern in grossen Voluten gesucht wurde, sollte hier bloss durch
colossale Statuen geschehen. — Beträchtlich später, jedenfalls erst
unter Clemens VII, kam wenigstens die Bekleidung der Innenseite derb
Fassade zu Stande, wobei der Gang zu Vorzeigung von Reliquien das
Hauptmotiv lieferte; Michelangelo hatte die Einsicht, der Gliederung
der Kirche Brunellesco’s sich anzuschliessen, sodass er nicht für die
(übrigens glücklichen) Verhältnisse dieses Säulen- und Pilasterbaues
verantwortlich ist.
Ganz frei gestaltend treffen wir ihn erst in der berühmten Grab-c
capelle der Mediceer (sog. Sagrestia nuova) am rechten Quer-
schiff derselben Kirche. Keinem Künstler ist je freiere Hand gelassen
worden; man kann kaum entscheiden, ob er die Capelle für seine
Denkmäler baute oder die Denkmäler für die Capelle meisselte (um
1529). Als Ganzes ist sie ein leichtes, herrliches Gebäude, welches
das Princip brunelleschischer Sacristeien auf das Geistvollste erweitert
und erhöht darstellt. Es ist nicht bloss die reinere und vollständigere
[330]Hochrenaissance. Michelangelo.
Handhabung einer untern und einer obern Pilasterordnung, was hier
den ganzen Fortschritt des XVI. Jahrhunderts im Verhältniss zum XV.
klar macht, sondern vor Allem ein höheres Gefühl der Verhältnisse.
Man übersieht daneben einzelne schon überaus bedenkliche Füllfor-
men, z. B. die Nischen über den Thüren u. dgl.; man rechtfertigt die
Schrägpfosten der obern Fenster vielleicht sogar durch altetruskische
Vorbilder und die Ausfüllung der beiden Grabnischen mit einer spie-
lenden Architektur durch den Vortheil, dass die Figuren um so viel
grösser scheinen. Der Contrast des dunkeln Steinwerkes mit dem
geweissten Mauerwerk kommt wohl überhaupt nicht auf Michelange-
lo’s Rechnung 1).
Seine wahre Grösse liegt hier wie überall in den Verhältnissen,
die er nirgends, auch nicht von den antiken Bauten copirt, sondern
aus eigener Machtfülle erschafft, wie sie der Gegenstand gestattet.
Sein erster Gedanke ist nie die Einzelbildung, auch nicht der con-
structive Organismus, sondern das grosse Gegeneinanderwirken von
Licht- und Schattenmassen, von einwärts- und auswärtstretenden
Partien, von obern und untern, mittlern und flankirenden Flächen.
Er ist vorzugsweise der im Grossen rechnende Componist. Vom De-
tail verlangt er nichts als eine scharfe, wirksame Bildung. Die Folge
war, dass dasselbe unter seinen Händen ganz furchtbar verwilderte
und später allen Bravour-Architekten für die gröbsten Missformen
zur Entschuldigung dienen konnte.
Noch im Auftrag Clemens VII begann Michelangelo im anstossen-
aden Kloster die Biblioteca laurenziana. Die Vorhalle mit der
Treppe ist jenes ewig lehrreiche Bauwerk, in welchem zuerst dem
Sinn aller Einzelformen absichtlich Hohn gesprochen wurde. Zwischen
einwärts vortretenden Mauermassen mit barocken (blinden) Fenstern
stehen je zwei Säulen dicht an einander wie in engen Wandschrän-
ken; darunter gewaltige Consolen; das obere Stockwerk ist unvollendet.
Die berühmte Treppe, von Vasari nach einer Zeichnung Michelangelo’s
hineingebaut, sollte monumental aussehen und doch jenen Wandorga-
nismus nicht stören, daher ihre Isolirung; dem unbeschadet dürfte sie
[331]S. Lorenzo. Römische Bauten.
etwas weniger halsbrechend gefährlich sein. — Das Ganze hat wohl
einen bestimmten Sinn, der sich deutlicher aussprechen würde bei
vollendetem Oberbau. Der Künstler hat mit allen, auch den ver-
werflichsten Mitteln das Gefühl des Strebenden hervorzubringen ge-
sucht; wir wissen aber nicht mehr, was er damit wollte. Eine baldige
Nachahmung blieb nicht aus; Ammanati stellte Säulen in enge Wand-a
nischen an der Fassade der Jesuitenkirche S. Giovannino; Giov. da
Bologna an den Wänden seiner eigenen Gruftcapelle hinten in derb
Annunziata u. s. w.
Das Gebäude der Laurenziana selbst ist wieder baulich einfachc
und würdig, und wenn hier das Detail der Verzierung wirklich, wie
man annimmt, von Michelangelo angegeben ist, so besass er im
Kleinen den feinsten Schönheitssinn, den er im Grossen der Bizarrerie
aufopferte. Die holzgeschnitzte Decke, deren edles und reiches Ver-
zierungsmotiv sich in der Zeichnung des Backsteinbodens wiederholt,
soll „nach seiner Idee“ von Tasso und Caroto, das einfach classische
Stuhlwerk von Ciapino und del Cinque, die bloss zweifarbigen lichten
Arabesken der Fenster, wie oben bemerkt, von Giov. da Udine aus-
geführt sein. Die Thür, eines der ersten Beispiele perspectivischen
Scheinreichthums durch Verdoppelung der Glieder, ist erweislich von
Michelangelo.
Seine römische Thätigkeit ging zum Theil mit Plänen verloren,
die nicht ausgeführt wurden. (Entwurf zu einem Palast für Julius III
an der Ripetta, fünf Pläne für S. Giovanni de’ Fiorentini, welche
sämmtlich nicht mehr vorgefunden wurden, als im vorigen Jahrhun-
dert die jetzige Fassade, von Galilei, zur Ausführung kam. U. a. m.)
Doch sind ausser dem Bau von S. Peter, den er erst nach 1546 über-
nahm, einige Bauten von ihm ausgeführt vorhanden, welche die Grösse
und Richtung seines Geistes gerade an sehr verschiedenen Aufgaben
darthun.
Von ihm ist zunächst am Pal. Farnese das bewundernswürdiged
grosse Hauptgesimse (dessen Wirkung er vorher durch hölzerne Mo-
delle erprobte) und die beiden untern Stockwerke des Hofes. Diese
imposantesten Palasthallen Rom’s sind, wie ohne Mühe zu erkennen
ist, den beiden untern Ordnungen des Marcellustheaters fast genau
nachgebildet, nur dass die Metopen mit Waffen und der ionische Fries
[332]Hochrenaissance. Michelangelo. Rom.
mit Fruchtschnüren und Masken ausgefüllt wurden. Nirgends mehr hat
sich Michelangelo so völlig dem Alterthum angeschlossen; hier lag die
Genialität darin, sich unterzuordnen. (Die hässlichen Doppelgesimse
in den Hallen kommen wohl noch auf Sangallo’s Rechnung S. 315, f.)
Das oberste Stockwerk des Hofes scheint von Giacomo della Porta
hinzugefügt. Als dieser die Loggia an der Hinterseite des Palastes
zu bauen hatte, wusste er keinen andern Rath, als das grandiose
Motiv von Michelangelo’s Hofe nach aussen zu wiederholen, und er
that wohl daran, nur hätte er das Gesimse mit den anstossenden
Stücken des grossen Gesimses nicht so vermitteln dürfen. — Die
grandiose Absicht, den Blick aus dem Hofe zu einem architektoni-
schen Durchblick bis an die Longara zu erweitern, blieb ohne Folge.
Aus den letzten Lebensjahren Michelangelo’s rührt sodann Porta
Pia her. (Der Oberbau erst neuerlich und wohl nicht genau nach
seiner Absicht vollendet.) Ein verrufenes Gebäude, scheinbar reine
Caprice; aber ein inneres Gesetz, das der Meister sich selber schafft,
lebt in den Verhältnissen und in der örtlichen Wirkung der an sich
ganz willkürlichen Einzelformen. Diese Fenster, dieser starkschattige
Thorgiebel u. s. w. geben mit den Hauptlinien zusammen ein Ganzes,
das man auf den ersten Blick nur einem grossen, wenn auch verirrten
Künstler zutrauen wird. Innerhalb der Willkür herrscht eine Ent-
schiedenheit, welche fast Nothwendigkeit scheint.
Der Umbau der Diocletiansthermen zur Kirche S. Maria degli
Angeli ist durch einen neuen Umbau des vorigen Jahrhunderts un-
kenntlich geworden. Erhalten blieb jedoch in dem dazu gehörenden
Carthäuserkloster der einfache hundertsäulige Gartenhof, dessen mitt-
lere Cypressen sogar von Michelangelo gepflanzt sein sollen. Die für
den Orden traditionelle Anlage findet sich, wenn auch nicht in der-
selben Ausdehnung, mehrfach wieder, aber dann mit reichem Detail,
das zu der Gesammtwirkung gar keine Beziehung hat. (Aufgemalte
cOrnamente am Gartenhof der Certosa bei Florenz, plastische an dem
dvon S. Martino in Neapel.) Hier ist nur gegeben, was zum Ganzen
beiträgt.
Auch die jetzige Anordnung und zum Theil auch die Gestalt der
capitolinischen Bauten rührt von Michelangelo her. So wie sie
sind, entsprechen sie gewiss nicht seinem ursprünglichen Gedanken,
[333]Capitolinische und andere Bauten.
sondern sind in Ermanglung eines Bessern allmälig unter schwanken-
der Benützung seiner Entwürfe zu Stande gekommen. Er selbst legt
schon 1536 die beiden Flachtreppen an, deren vordere mit den Ba-a
lustraden zu beiden Seiten und oben an der Terrasse so wesentlich
für die Wirkung des Ganzen ist. Im Jahr 1538 erhielt unter seiner
Leitung die Reiterstatue Marc Aurels ihren jetzigen Platz in der
Mitte der ganzen Anlage. Wahrscheinlich gehört ihm auch der Ent-
wurf zum jetzigen Senatorenpalast, und gewiss dessen herrlich an-b
gelegte Doppeltreppe, welche mit dem Brunnen und den beiden
Flussgöttern ein wahrhaft einziges plastisch-architektonisches Ganzes
bildet und für die Treppe der Laurenziana reichlich entschädigt. Zu
den beiden Seitenpalästen, die erst ein Jahrhundert später (derjenigec
des Museums zuletzt) im Detail nach dem Geschmack dieser Zeit aus-
geführt wurden, lag ein Plan von ihm vor; sie sind zu originell ge-
dacht, zu richtig im Verhältniss zum Senatorenpalast, als dass man
die Idee einem Andern beimessen möchte. Für alles Einzelne aber,
namentlich für das hässliche Mittelfenster des einen, ist derselbe Gio-
vanni del Duca verantwortlich, welcher auf Sangallo’s Kirche an
Piazza Trajana die barocke Laterne setzte. Auch die schräge Richtung
auf den Senatorenpalast zu, wurde am ehesten wohl von Michelangelo
angegeben. Die beiden hintern Hallen über den Treppen nach Aracelid
und dem tarpeischen Berge hin sind von Vignola entworfen.
Eine theilweise Benützung von Michelangelo’s Ideen trat bei
vielen Gebäuden ein; manches wird auch nur sagenhaft mit seinem
grossen Namen in Verbindung gebracht. So soll z. B. die Sapienzae
in Rom, welche theils von Giac. della Porta, theils erst gegen 1650
erbaut wurde, auf einem Entwurf Michelangelo’s beruhen und wenn
man die grandiose Wirkung des Pfeilerhofes (ohne den Oberbau) und
der hintern Fronte in Betracht zieht, so gewinnt die Behauptung
Glauben. — Porta del popolo ist viel zu zahm für Michelangelo, zu-f
mal an der Aussenseite. — In S. Maria maggiore ist der zweite Anbau
von der Hauptfronte kommend links (Cap. Sforza) von Giac. dellag
Porta oder Tiberio Calcagni nach einem willkürlich veränderten Plan
Michelangelo’s ausgeführt.
Ausserhalb Rom’s wird bei Anlass der Madonna di Carignano in
Genua, einem notorischen Bau des Alessi, nur eine Nachahmung des
[334]Hochrenaissance. Bau von S. Peter.
ursprünglichen Plans von S. Peter, und zwar eine trefflich modificirte,
zuzugeben sein. — Wie weit beim Dom von Padua Michelangelo’s
Angaben befolgt wurden, vgl. S. 320, a. — Die ihm zugeschriebene
aDecke des Laterans steht so weit unter derjenigen der Laurenziana,
dass eine andere Angabe, wonach sie von Giac. della Porta entworfen
ist, ungleich mehr Glauben verdient.
Erst als Greis erhielt Michelangelo durch Paul III den Auftrag
bzur Vollendung der S. Peterskirche, von welcher hier im Zu-
sammenhang die Rede sein muss. Ohne auf die Geschichte des Baues
im Einzelnen, auf den Wechsel der Entwürfe näher einzugehen, be-
schränken wir uns auf dasjenige, was wirklich ausgeführt und noch
vorhanden ist.
Bramante hatte das Gebäude 1506 angefangen, mit der Absicht
ein griechisches, gleicharmiges Kreuz mit grosser mittlerer Kuppel zu
errichten. Ihm gehört die Abrundung der Kreuzarme zu Tribunen, die
er (S. 303) in der Lombardie gelernt und später auch an der Madonna
della Consolazione zu Todi in Anwendung gebracht hatte. Schon in ver-
schiedenen Gestalten ist uns diess griechische Kreuz mit abgerundeten
Armen begegnet, z. B. (S. 204, c) an der Steccata in Parma (1521); es
galt seit Bramante ohne Frage als die vollkommenste Kirchenform,
sodass z. B. Leo X unter den Plänen für S. Giovanni de’ Fiorentini
demjenigen des Jacopo Sansovino (s. dessen Leben bei Vasari) den
Vorzug gab, weil er diese Gestalt hatte. — Die Theorie wird über
diese Grundform sich immer in verschiedene Ansichten spalten; sicher
aber würde dieselbe, nach Bramante’s Plan ausgeführt — vier Halb-
runde mit quadratisch vortretenden Ecken — an sich eine grosse
Wirkung machen, zumal wenn man den Bau in des grossen Meisters
Weise organisirt denkt. (Dazu zwei Seitenthürme und eine sechs-
säulige Vorhalle.)
Von Rafaels neuem Entwurf ist nichts Ausgeführtes vorhanden.
— Von Baldassare Peruzzi stammt die Flankirung der Kuppel
mit vier kleinen Kuppeln (wovon später nur die beiden vordern aus-
geführt wurden). Die Combination mehrerer Kuppeln ist eine vene-
zianische, aus dem Orient übernommene Idee; die Renaissance fühlte
[335]Michelangelo.
indess, dass die Kuppeln einander nicht gleich oder ähnlich (wie an
S. Marco in Venedig und am Santo in Padua) sondern einander sub-
ordinirt sein müssten (wie diess Andrea Riccio 1521 an der prächtigen
Justinenkirche zu Padua zuerst und zaghaft durchführte). Aber auch
so modificirt ist der Gedanke wohl kein glücklicher; die grosse Form
einer Hauptkuppel müsste möglichst einfach und deutlich mit ihrem
quadratischen Unterbau contrastiren; will man die vier Ecken des
letztern noch besonders hervorheben, so sind vier Thürme, wie sie
Galeazzo Alessi an der Kirche Carignano zu Genua auf den vier
Eckräumen (einstweilen auf zweien) anbrachte, das Richtigere und
weniger störende. Allerdings gewinnt die scheinbare Grösse der
Hauptkuppel durch Zuthat kleinerer Trabanten von einer analogen und
dabei reichen Form, allein diess sind keine architektonischen Prin-
cipien.
Nach der Zwischenherrschaft des jüngern San Gallo trat
Michelangelo ein. Es bedurfte seines ganzen schon gewonnenen
Ruhmes und seiner Verzichtung auf jeden Lohn, um seinem Entwurf
den Sieg zu sichern. Eine der Frescoansichten des damaligen Roms
in der vaticanischen Bibliothek stellt den Bau ungefähr so dar, wie
Er ihn haben wollte: ein gleicharmiges Kreuz, dessen vorderer Arm
in der Mitte der Fassade eine nur viersäulige, aber in riesigem Mass-
stab gedachte Vorhalle aufweist. Die Kuppel hätte diesen vordern
Arm des Kreuzes ebenso völlig beherrscht, als die gleich langen drei
übrigen Arme. — Von dem jetzt vorhandenen Gebäude hat Michel-
angelo zunächst die Aussenseiten der hintern Theile des Unterbaues
mit Pilastern und Attica zu verantworten. Sie sind eine bizarre,
willkürliche Hülle, die Bramante’s Entwurf schmerzlich bedauern lässt;
die vier Ecken zwischen den halbrund heraustretenden Tribunen sind
durch schräge Wände abgestumpft; die Fenster zeigen eine Bildung,
die an Caprice mit der Porta Pia wetteifert 1). Viel gemässigter ver-
fuhr Michelangelo im Innern, dessen Organismus (Pilaster, Nischen,
Gesimse, auch wohl die Angabe des Gewölbes) wenigstens soweit ihm
angehört, als nicht späterer, zumal farbiger Schmuck einen neuen
[336]Hochrenaissance. Bau von S. Peter.
Sinn hineingebracht hat. (Wem das sehr bizarre Nischenwerk in
den drei Tribunen zur Last fällt, weiss ich nicht anzugeben; die
Stuccaturen ihrer Halbkuppeln sind erst aus dem vorigen Jahrhun-
dert.) Das hier ausgesprochene System ist es, welches einen so un-
geheuern Einfluss auf den Innenbau der ganzen katholischen Welt
ausgeübt hat und als Kanon in tausend Variationen nachgeahmt wurde.
Als einfaches Gerüst ist diese Bekleidung grossartig gedacht; das
Vor- und Zurücktreten des Gesimses ist verhältnissmässig sparsam
gehandhabt, sodass dem letztern seine herrschende Wirkung bleibt;
die Pilaster sind ebenfalls noch einfach; erst die Nachahmer wollten
durch Vervielfältigung der Glieder die Wirkung überbieten. Die Cas-
settirung der grossen Tonnengewölbe, zwar erst beträchtlich später,
aber doch wohl nach der Absicht des grossen Meisters ausgeführt, ist
in ihrer Art classisch zu nennen und unbedenklich als das beste De-
tail der ganzen Kirche zu betrachten, während die Einzelbildung der
Pilaster und Gesimse doch nur von mittlerm Werthe ist.
Die Kuppel Michelangelo’s, an Form und Höhe derjenigen der
frühern Baupläne gewaltig überlegen, bietet vielleicht von aussen die
schönste und erhabenste Umrisslinie dar, welche die Baukunst auf
Erden erreicht hat. Hier zuerst ist der Cylinder in colossaler Grösse
zum Ausdruck tragender Kräfte (in Gestalt der gekuppelten Säulen
mit vorgekröpftem Gebälk) erhoben: über das Wie? wird man wohl
streiten, aber schwerlich innerhalb dieses Styles eine andere Lösung
angeben können. (Was an Ste. Geneviève in Paris möglich war, der
offene Säulengang ringsum, war bei den viel grössern Verhältnissen
von S. Peter unmöglich und wäre constructiv jedenfalls werthlos.)
Endlich ist die überhöhte Schale mit der Lanterna im Gedanken wohl
abhängig vom Florentiner Dom, aber in der Ausführung und in den
Verhältnissen unvergleichlich viel schöner, erstere schon durch die
Rundung.
Ins Innere fallen durch die grossen Fenster des Cylinders jene
Ströme von Oberlicht, welche die Kirche wesentlich beherrschen. Die
Wände des Cylinders und der Schale sind auf das Glücklichste or-
ganisirt durch Pilaster, Attica und Gurte, welchen sich die Mosaiken
sehr zweckmässig unterordnen. Wenn man sich das schlechte spätere
Nischenwerk der vier Hauptpfeiler sammt ihren Statuen hinwegdenkt
[337]Michelangelo und Maderna.
und das Ganze überhaupt auf seine wesentlichen Formen reducirt, so
übt es einen architektonischen Zauber, der sich bei jedem Besuch
erhöht, nachdem der historische Phantasieeindruck längst seine auf-
regende Kraft verloren hat. Hauptsächlich das harmonische Zusam-
menwirken der zum Theil so ungeheuern Curven verschiedenen Ranges,
welche diese Räume um- und überspannen, bringt (wie ich glaube)
jenes angenehm traumartige Gefühl hervor, welches man sonst in
keinem Gebäude der Welt empfindet, und das sich mit einem ruhigen
Schweben vergleichen liesse. (Das Innere grosser gothischer Kathe-
dralen giebt den entgegengesetzten Eindruck eines unaufhaltsam raschen
„Aufwärts!“ — der ebenfalls unvergleichlich ist in seiner Art.)
Die nächsten Seitenräume und Eckcapellen sind wohl in der An-
lage nach Michelangelo’s Entwurf gebaut, aber ihr ganzer Schmuck,
sowohl die Marmorbekleidung der Pfeiler und Wände als die Mo-
saiken und Statuen sind spätern Ursprunges und die Farbenwirkung
ist gewiss eine ganz andere als die, welche er beabsichtigte.
Doch im Grossen wich erst Carlo Maderna, auf Geheiss
Pauls V (seit 1605), von dem Plane Michelangelo’s ab; durch den
Weiterbau des vordern Armes wurde das Kreuz wieder ein lateinisches
und die Kirche auch nach der Längendimension die grösste der Welt.
Unter dem Einfluss der damaligen Bauprincipien wurde das Mittel-
schiff möglichst weit und gross bei einer doch im Verhältniss nur
mässigen Länge; Maderna’s Pfeiler stehen beträchtlich weiter aus-
einander als die der hintern, ältern Theile. Dafür wurden die Neben-
schiffe nur klein, und zwar in ovale Kuppelräume getheilt, an welche
sich Capellen, d. h. ziemlich flache Nischen anschliessen. Im dritten
Buche des Serlio sieht man, welche ganz andere Bedeutung Rafael
in seinem Plan eines lateinischen Kreuzes diesen Partien im Verhält-
niss zu dem ungleich schmälern Mittelschiff zugedacht hatte. In Ma-
derna’s Bau verhindert überdiess die beträchtliche Breite der Pfeiler
den reichern Einblick in die Nebenschiffe, sodass diese für die Wirkung
im Grossen kaum in Betracht kommen. — Aussen ging der vordere
Anblick der Kuppel für jeden nahen Gesichtspunkt verloren, und es
musste eine neue Fassade componirt werden, diessmal als breite
Fronte, indem die Rücksicht auf die drei übrigen abgerundeten Arme
des Kreuzes wegfiel. Von aller Beziehung zur Kuppel und zum Rest
B. Cicerone. 22
[338]Hochrenaissance. Michelangelo.
des Baues überhaupt abgelöst, fiel sie aus wie sie zu Anfang des
XVII. Jahrhunderts ausfallen musste, als ungeheure Decoration, deren
Theile auf alle Weise vor- und rückwärts, aus- und einwärts treten
ohne Grund und Ursache. Selbst mit Anschluss an dasjenige Motiv,
welches Michelangelo an den übrigen Aussenseiten der Kirche durch-
geführt, hätte sich etwas viel Grossartigeres machen lassen. Aber
derselbe Maderna schuf auch das Innere der Vorhalle, welches eine
der schönsten modernen Bauten in ganz Rom ist. Die vorgeschriebene
Einfachheit in Gliederung und Farbe lässt die Wirkung der Verhält-
nisse ungestört.
Nach Maderna’s Tode kam der noch junge Bernini über das
Gebäude (1629). Von den Glockenthürmen, welche an beiden Enden
der Fassade (wo das Auge sie nicht verlangt) prangen sollten, baute
er einen und musste ihn wieder abtragen. Beträchtlich später, schon
als Greis (1667) legte er die berühmten Colonnaden an, bei Weitem
das Beste was er überhaupt gebaut hat. Die Bildung des dorischen
Details ist nicht nur einfach, was sie bei der hundertmaligen Wieder-
holung der Formen durchaus sein musste, sondern kalt; allein fast
gar nicht barock. (Die Säulen der äussern Curven sind dicker als
die der innern.) Was die Gesammtanlage betrifft, so ist vor allem
Maderna seinem Nachfolger den grössten Dank schuldig; Bernini hat
das Mögliche gethan, um die Fassade zu heben und gross scheinen
zu lassen. Diess geschah namentlich durch die Annäherung der beiden
nächsten Hallenenden, über welche sie so weit emporragt, während
zugleich das Auge über das (in der That ziemlich starke) Ansteigen des
Platzes getäuscht und damit in der Meinung erhalten wird, sie stehe
beinahe auf demselben Plan mit den Colonnaden. Träten die Hallen-
enden weiter auseinander als die Fassade breit ist, so würde jene
Vergleichung wegfallen. In dem elliptischen Grundplan der Colonna-
den selbst liegt wiederum eine Scheinvergrösserung, indem das Auge
ihn eher für rund hält, ihm also eine Tiefe zutraut, die er nicht hat.
— Die Stelle ist richtig gewählt; wenn S. Peter ein Atrium haben
sollte, von welchem aus die Kuppel sichtbar war, so musste dasselbe
in einige Entfernung zu liegen kommen, selbst ohne die mitbestim-
mende Rücksicht auf den schon vorhandenen Vorbau des vaticanischen
Palastes. —
[339]S. Peter in Rom.
Ausserdem drückte Bernini auch dem Innern durch die von ihm
hineingesetzten plastischen Werke (und mittelbar durch die Nach-
ahmungen seiner Schüler und Nachfolger) ganz entschieden seinen
Stempel auf. Leider blieb es dabei nicht; er bekleidete die Pfeiler
der Seitenschiffe mit jenen Engeln, welche Papstbüsten, Tiaren etc.
tragen, mit jenen pamfilischen Tauben u. s. w. auf buntem Marmor-
grund; er war es auch, welcher die vier Kuppelpfeiler mit jenen
kläglichen Nischen und Loggien versah, welche diesen wichtigsten
Theilen des Gebäudes Einfachheit und Nachdruck rauben. Die vier
Statuen mussten entweder wegbleiben oder gigantisch gross (und dann in
anderm Styl!) gebildet werden; gegenwärtig sind sie viel kleiner als die
drüber an den Zwickeln der Kuppel angebrachten Evangelisten in Mosaik.
Es ist eine alte Klage, dass S. Peter innen kleiner aussehe, als
es wirklich ist. Ich weiss nicht, ob Jemand, der ohne diess Vor-
urtheil zum erstenmal hineintritt, die Kirche nicht doch ungeheuer
gross finden würde; jedenfalls hängt viel von der Beleuchtung und
von der Menschenzahl ab. Am Ostermorgen weiss Jeder, dass er sich
im grössten Binnenraum der Welt befindet. Auch in der Abenddäm-
merung wachsen die Dimensionen, nicht nur weil (wie überall) das
Einzelne verschwindet, sondern weil Farben und Vergoldung erblei-
chen, welche bei Tage die betreffenden Flächen dem Auge nähern
und damit kleiner scheinen machen. Was davon noch unter dem Ein-
fluss Michelangelo’s zu Stande kam (wenn auch erst lange nach seinem
Tode), nämlich die Mosaicirung der Kuppel und die Cassettirung der
Tonnengewölbe, lässt sich architektonisch wohl völlig rechtfertigen;
grell wirkt erst Bernini’s Incrustation und naturalistisch die Kuppel-
mosaiken der Nebenräume, welche indess für die Wirkung des Ganzen
nicht in Betracht kommen. Entschieden verkleinernd für das ganze
Gebäude erscheint dann der Effekt des entsetzlichen Tabernakels und
der Cathedra Petri, beides Arbeiten des Bernini. Hier allein wird das
Auge zu einer falschen Rechnung beinahe genöthigt (S. 80). Die Weih-
beckenengel, von welchen man gewöhnlich spricht, täuschen nicht lange
und nicht stark genug, um den Eindruck des Ganzen mit zu bestimmen.
22*
[340]Architektur von 1540 bis 1580.
Keine kunstgeschichtliche Eintheilung hält nach Jahr und Datum
vollkommen Stich und bei den langelebenden Architekten des XVI.
Jahrhunderts ist eine schärfere Stylabgrenzung nach Epochen vollends
misslich. Doch wird man in denjenigen Bauten, welche etwa zwischen
1540 und 1580 fallen, einen vom Frühern abweichenden Charakter
nicht verkennen. Es ist die Zeit der grossen Theoretiker, eines Vignola,
Serlio, Palladio, Scamozzi; ihre Absicht ist wohl ganz die ihrer Vor-
gänger: das Alterthum zu reproduciren, allein ihre Mittel sind andere.
Die Ausdrucksweise erscheint einerseits schärfer: vortretende Halb-
säulen- und Säulensysteme statt der früher herrschenden Pilaster und
Wandbänder; demgemäss eine derbe Bildung der Fenster und Portale;
auch im Innern namentlich der Kirchen eine stärkere Bekleidung mit
den classischen Einzelformen, während früher das Gerüst des Baues
wie es war eher nur auf irgend eine harmonische Weise decorirt
wurde. Von einer andern Seite ist diese selbe Ausdrucksweise um
einen beträchtlichen Grad kälter; statt des reichen Details der
Frührenaissance, statt des einfach harmonischen Details der Blüthe-
zeit finden wir hier ein zwar noch verhältnissmässig reines, aber
schon kaltes und gleichgültiges Detail. Vom Ende des XVI. Jahr-
hunderts an beginnt dann der Barockstyl, welcher das Detail miss-
handelt, weglässt oder vervielfacht, je nachdem es zu willkürlichen
Effekten verwerthet wird.
Die Zeit von 1540—1580 ist im Vergleich mit der frühern mehr
die des rechnenden, combinirenden Verstandes, gleichwohl aber voll
Geist und Originalität. Sie rechnet sehr im Grossen, und wer etwas
in ihren Werken finden will, muss ihren Gesammtcompositionen und
Dispositionen nachgehen und die Säulenordnungen für das nehmen,
was sie hier sind: für eine conventionelle Bekleidungsweise. Auch
ohne sie können die Umrisse und Verhältnisse des Ganzen Seele und
Bedeutung haben. — Die Gesinnung der Bauherren, welche jetzt mehr
als je zuvor auf das Grossräumige ging und dieser Rücksicht jede
andere nachsetzte, stand in völligem Einklang mit der Richtung der
Architekten.
[341]Vignola.
Die Bauten Michelangelo’s, der mit der goldenen Zeit begann und
durch seine spätere Willkür schon den ganzen Barockstyl einleitete
und zu rechtfertigen schien, wurden bereits aufgezählt. Von den zu-
nächst zu nennenden Baumeistern waren mehrere seine unmittelbaren
Schüler und Executanten, andere seine Anhänger, alle mehr oder we-
niger von ihm berührt. Man darf sie darob bewundern, dass sie
seine Extravaganzen noch nicht mehr im Sinne eigener Willkür aus-
beuteten.
An ihrer Spitze steht Giacomo Barozzi von Vignola (1507—1573),
dessen Handbuch der Säulenordnungen (Trattato degli ordini) die Ar-
chitektur der letzten zwei Jahrhunderte völlig beherrscht hat und noch
jetzt stellenweise einen grossen Einfluss ausübt, nachdem seit hundert
Jahren die echten griechischen Ordnungen bekannt und abgebildet
sind. Als ausübender Künstler begann er mit einigen Bauten in Bo-
logna; ausser den oben (S. 208, e) genannten Banchi wird eine Casaa
Bocchi und in dem nahen Minerbio ein Palazzo Isolani genannt, über
dessen Vorhandensein ich keine Kunde habe. — Sein frühster Colossal-
bau, der Pal. Farnese in Piacenza, ist interessant als eines der erstenb
Gebäude, in welchen durchaus kein herrschendes Einzelmotiv vor-
kömmt, sondern nur die Verhältnisse sprechen, und zwar beim ein-
fachsten Detail, das überdiess nur stellenweise wirklich ausgeführt
ist. Die Abstufung der Stockwerke ist der (allerdings nicht genügende)
Gehalt des ungeheuern Gebäudes, welches übrigens nicht zur Hälfte
vollendet und jetzt eine Caserne ist.
In Rom hatte er grossen Antheil an der prächtigen Villa, welchec
Papst Julius III (1550—1555) an der Via Flaminia baute und die
noch jetzt als Vigna di Papa Giulio benannt wird. Wer die
Urheber und Erfinder der einzelnen Motive dieses ehemals grossen
Ganzen sind, lässt sich nicht mehr ausmitteln; Vasari, der an mehrern
Stellen (in den Biographien des Taddeo Zucchero zweimal und in der
Übersicht seiner eigenen Werke) davon spricht, schreibt die Haupt-
ideen dem baulustigen Papste zu, sich selber aber die Redaction der-
selben; diese habe Michelangelo durchgesehen und verbessert, Vignola
aber bloss ausgeführt; ausschliesslich von ihm (Vasari) sei der Ent-
wurf zu dem Brunnen unten (d. h. im hintern Hof), welchen dann
Vignola und Ammanati ausführten. Abgesehen von seinen Urhebern
[342]Architektur von 1540 bis 1580.
interessirt uns das Gebäude in ähnlichem Sinne wie Ligorio’s Villa
Pia (S. 316, e), als letzte Villa der Renaissance. An Reiz und Anmuth
kommt es der Farnesina, an Würde der Villa Madama, an Vollstän-
digkeit der Ausführung 1) und Erhaltung dem Palazzo del Te aller-
dings bei Weitem nicht gleich; man glaubt die schwankenden und
zum Theil kleinlichen Einfälle des Bauherrn noch jetzt zu erkennen,
doch bleibt das Ganze sehr sehenswerth. An der Strasse selbst
(10 Minuten vor Porta del Popolo) beginnt die Anlage mit einem
nicht grossen aber grossartig gedachten, übrigens unvollendeten Pa-
last, in dessen Fenstereintheilung und Säulenloggia sich am ehesten
Vignola’s Erfindung verräth. Von hier führt ein Seitenweg rechts
zwischen den Gartenmauern zur eigentlichen Villa hinan, deren Fas-
sade ein schlechtes Gemisch abwechselnder Bauentschlüsse ist; auch
die Gemächer im Innern verdienen höchstens wegen der Fresken der
Zuccheri einen Blick. Gegen den Hof bildet das Gebäude eine halb-
runde Säulenhalle; dann folgen rechts und links stuccoverzierte Hof-
wände und hinten eine offene (jetzt mit Glasthüren verschlossene)
Säulenhalle, durch welche man in den hintern Brunnenhof sah 2).
Dieser enthält in zwei Stockwerken Nischen und Grotten und in sei-
ner Mitte eine halbrunde Vertiefung mit Brunnenwerken, zu welcher
Treppen hinabführen. Zur Ergänzung des Eindruckes gehört der
Schatten aussenstehender Bäume (und die Bekanntschaft mit dem Cha-
rakter Julius III wie ihn Ranke schildert).
Von Vignola allein ist (oder war!) alles Architektonische an den
aOrti Farnesiani auf dem Palatin: Portal, Grotten, Rampentreppen,
Brunnen und oberer Doppelpavillon in glücklich gedachter perspecti-
vischer Folge. Blieben die Trümmer ihrem natürlichen Verfall über-
lassen, so hätten sie ihre bestimmte Ruinenschönheit; leider kommt
moderne absichtliche Zerstörung hinzu. Die wenige noch erhaltene
Decoration zeigt, dass die Renaissance vorüber ist, dass der mehr auf
Gesammteffekte ausgehende Styl die Oberhand erhalten hat. (Die
[343]Vignola und Vasari.
Rustica soll hier das Ländliche ausdrücken.) — Ob Porta del Popolo,a
wenigstens die Aussenseite, dem Vignola mit grösserm Recht als dem
Michelangelo zugeschrieben wird, bleibe dahingestellt. — Bei Weitem
das Wichtigste, was von Vignola vorhanden, ist das grosse ebenfalls
farnesische Schloss Caprarola, dreissig Miglien von Rom, aussenb
fünfeckig, innen mit rundem Hof, alle Gemächer mit historischen
Fresken ausgemalt von den Zuccheri. Ehemals ein Wallfahrtsort für
alle Künstler und Kunstfreunde, jetzt kaum je von Solchen besucht,
die ihr Leben in Rom zubringen. Auch der Verfasser hat das Ge-
bäude auf der Strasse von Rom nach Viterbo aus weiter Ferne an-
sehen müssen.
Von Vignola’s Kirchenbauten ist das kleine Oratorium S. Andreac
an der Strasse nach Pontemolle die bekannteste; quadratischer Unter-
bau mit Pilastern, runder Oberbau mit niedriger Kuppel. Als land-
schaftlicher Gegenstand seit der Geburtstunde der modernen Land-
schaft überaus beliebt, hätte das kleine Gebäude selbst die Kritik
eines Milizia entwaffnen dürfen. — Die Kirche Madonna degli Angelid
in der Ebene unterhalb Assisi zeigt noch den grossartigen Grundriss
Vignola’s, Gewölbe und Kuppel aber sind neuer. — Endlich ist der
Gesù in Rom (1568) ein höchst einflussreiches Gebäude geworden;e
hier zuerst war möglichste Höhe und Weite eines gewölbten Haupt-
schiffes und Beschränkung der Nebenschiffe auf abgeschlossene Capellen
in derjenigen Art und Weise durchgeführt, welche nachher der ganze
Barockstyl adoptirte. Frühere einschiffige Kirchen mit Capellenreihen,
deren wir eine Menge angeführt haben, gewähren im Verhältniss den
Capellen eine viel grössere Tiefe und dafür dem Hauptschiff eine ge-
ringere Breite. Die nächste bedeutende Wirkung äusserte der Gesù auf
Maderna’s schon erwähnten Ausbau von S. Peter (Seite 337).
Giorgio Vasari (1572—1574), unschätzbar als Kunstschrift-
steller, vielseitig und gewandt wie irgend ein Künstler seiner Zeit,
scheint sich am Meisten in der Malerei zugetraut zu haben. Unser
Urtheil und unser Gefühl sind aber seinen Gemälden fast durchgängig
abhold, während von seinen Gebäuden wenigstens zweie zu den besten
seiner Zeit gehören.
[344]Architektur von 1540 bis 1580.
Von der Vigna di Papa Giulio war eben die Rede. Wir über-
gehen auch die Gebäude am Platz der Stephansritter in Pisa: den
unbedeutenden Palast und die in auffallend unangenehmen Verhält-
nissen erbaute Kirche, sowie den von Vasari grossentheils erneuten
bInnenbau des Pal. vecchio in Florenz; er selber spricht mehr als ge-
nug von den Treppen und besonders von dem grossen Saal, dessen
beide Schmalseiten allerdings perspectivisch treffliche Abschlüsse sind.
cDie ganze Tüchtigkeit des Meisters zeigt erst das Gebäude der Uffi-
zien, nach seinem Entwurf 1560 von ihm selbst begonnen, von Pa-
rigi, Buontalenti u. A. vollendet. Zur richtigen Beurtheilung ist es
wesentlich zu wissen, dass schon vorhandene Mauern benützt werden
mussten, dass der Verkehr zwischen Piazza del Granduca und dem
Arno nicht gehemmt werden durfte und dass die „Uffizj“, d. h. Bu-
reaux, die verschiedensten Bestimmungen hatten (Verwaltung, Kassen,
Tribunale, Archive), also kein Motiv zu einer mehr geschlossenen,
centralen Composition gegeben war. Das Erdgeschoss bildet eine der
schönsten Hallen von Italien; in Harmonie mit allen übrigen Formen
des Baues gab ihr Vasari ein gerades Gebälk und sparte die Bogen
für die hintere Verbindungshalle, wo sie denn auch ihre imposante
Wirkung thun. Beim Organismus der obern Stockwerke ist zu er-
wägen, dass es sich nicht um einen fürstlichen Palast, sondern um
einen engen, hohen Nutzbau mit sehr bestimmten Zwecken handelte.
Auch bei der Anlage der Treppen, welche noch ziemlich steil sind,
war Vasari nicht frei; doch that er das Mögliche, um auch hier und
in den Vestibulen schöne Räume zu schaffen. Einzelne Barockformen
an Thürgiebeln etc. fallen vielleicht nicht ihm zur Last.
Endlich ein origineller, höchstens an Venezianisches (Seite 328, f)
derinnernder Kirchenbau Vasari’s: Die Abbadia de’ Cassinensi zu
Arezzo, aussen roh gelassen, wie leider so viele zumal toscanische
Kirchen; innen ein Tonnengewölbe der Länge nach, durchkreuzt von
zwei Querschiffen ebenfalls mit Tonnengewölben; über den Kreuzun-
gen niedrige Kuppeln (deren eine in der Folge von dem bekannten
Meister der Perspective, dem Jesuiten Pozzo, mit der täuschenden
Innensicht einer Hochkuppel ausgemalt worden ist); die vier niedri-
gern Nebenräume, welche so entstehen, sind durch Säulenstellungen
gegen das Hauptschiff geöffnet, die in der Mitte einen Bogen tragen;
[345]Vasari. Ammanati.
ihre Wölbung bildet jedesmal eine kleine Flachkuppel. Die Abwesen-
heit jeglicher Decoration lässt diesem graziösen Bau seine volle, un-
gestörte Wirkung.
Die Vorliebe für den Säulenbau, welche sich in diesen Werken
gegenüber dem römischen Pfeilerbau behauptet, ist auch später in
Florenz heimisch geblieben. Die nächsten Gründe sind: das grosse
und stets verehrte Beispiel Brunellesco’s, der Besitz einer geeigneten
Steinart (Pietra serena), besonders aber die Bescheidenheit in dem
florentinischen Palastbau zur Zeit der mediceischen Grossherzoge. Auch
die reichsten Geschlechter in Florenz dürfen nicht auftreten, wie z. B.
päpstliche Nepotenfamilien in Rom.
Den florentinischen Privatpalästen giebt in dieser Zeit Barto-
lommeo Ammanati (1511—1586) einen neuen und mehr hausartigen
Charakter; im Innern bleibt der Säulenhof der Frührenaissance, nur
mit freudloserem Detail; die Fassaden, mit energisch barocken Fen-
ster- und Thüreinfassungen und Rustica-Ecken, sind zum Theil auf
Bemalung mit Arabesken und Historien (vgl. Seite 294) berechnet.
Beispiele: Pal. Ramirez und Pal. Vitali, beide in Borgo degli Albizzia
zu Florenz u. s. w. Ammanati ist allerdings berühmter durch einen
der grössten Pfeilerhöfe, denjenigen des Pal. Pitti, dessen drei Reihenb
von Bogen auf Pfeilern mit Rusticahalbsäulen der drei Ordnungen
bekleidet sind, ein in Formen und Verhältnissen hässliches Gebäude;
— sein Pfeilerhof mit einfachen Pilastern im Collegio romano zu Romc
zeigt, dass er sich in ähnlichen Aufgaben ein anderes Mal glücklicher
zu bewegen wusste. — Rom besitzt auch Ammanati’s beste Fassade,d
die des Pal. Ruspoli (Caffe nuovo), an welcher nur die Höhe des
Erdgeschosses (sammt Kellergeschoss) getadelt wird. (Die einst be-
rühmte Treppe von parischem Marmor, hinten rechts, ist viel später,
vom jüngern Martino Lunghi erbaut.) — Von Ammanati’s Klosterhöfen
in Florenz hat der zweite bei S. Spirito, auf Säulen mit originellere
Abwechslung von Bogen und geraden Gebälken, den Vorzug vor dem
öden hintern Pfeilerhof bei den Camaldulensern (agli Angeli) etc.f
Allein dieses und die nüchterne Jesuitenkirche S. Giovannino und sog
vieles Andere darf man vergessen über Ammanati’s reinstem Meister-
[346]Architektur von 1540 bis 1580.
awerk: der Dreieinigkeitsbrücke. Die edle, für das Auge über-
aus wohlthuende Spannung der drei Bogen, welche mit dem denkbar
angemessensten Detail bekleidet sind, soll nach Ansicht derer, welche
den Arno kennen, zugleich die technisch zweckmässigste sein.
Eine ganze tüchtige Generation von Architekten schloss sich an
die beiden genannten an und hielt die schlimmern Excesse des Ba-
rockstyls längere Zeit von Florenz ferne. Giov. Antonio Dosio
(geb. 1533) wurde bereits erwähnt (Seite 318). — Von dem Bildhauer
bGiov. da Bologna (1524—1608) ist die S. Antoninscapelle in S. Marco
(links), eingeleitet durch zwei einfache Bogen auf Säulenstellungen,
eine der besten Bauten dieser Art (vgl. S. 290, d). — Bern. Buonta-
clenti (1536—1608), bisweilen überaus nüchtern, wie z. B. am gross-
herzoglichen Palast in Siena, erhebt sich doch z. B. in der Fassaden-
dhalle des Spitals S. Maria la nuova in Florenz zum Grossartig-Leichten;
das Obergeschoss, dessen Fenster zu nahe an das Gesimse stossen,
eist später so verändert worden. Am Unterbau des Palazzo non finito
(1592) führt er den beginnenden Barockstyl mit einem eigenen pla-
fstischen Ernst ein, während sein Pal. Ricardi (Via de’ Servi N. 6280),
gvom Jahre 1565, noch der Spätrenaissance angehört. — Matteo Ni-
hgetti, († 1649) hat zwar die sehr barocke Fassade von Ognissantt,
aber auch den niedlichen Säulenhof vorn links bei den Camaldulensern
igeschaffen; was an SS. Michele e Gaetano (1604—48) Gutes ist, ge-
hört gewiss eher ihm als seinem Mitarbeiter Don Giovanni Medici; an
kder Capella Medicea bei S. Lorenzo (wovon unten) ist freilich gar
nichts Gutes; und hier wird der Prinz wohl das Übergewicht gehabt
haben. — Der Maler Luigi Cigoli (1559—1613) begann in Vasari’s
lGeist den perspectivisch trefflich beabsichtigten Säulenhof des Pal. non
finito, und noch ganz spät hat Gherardo Silvani (1579—1675) in
mseinem Seminar bei S. Frediano den alten Styl der Klosterhöfe getreulich
nnachgeahmt. Von ihm ist auch der stattliche Säulenhof bei den Camal-
dulensern vorn rechts; wie er im Fassadenbau den Ammanati repro-
oducirt, zeigen Pal. Fenzi (Via S. Gallo N. 5966) und der einst durch
pseine (jetzt veräusserte) Galerie berühmte Pal. Rinuccini.
Allerdings war gleichzeitig mit den Bemühungen der Genannten
[347]Spätere Florentiner und Mailänder.
der Barockstyl schon stellenweise in seiner vollen Thätigkeit. In der
abgelegenen Via del Mandorlo bemerkt man ein hohes, schmales, ver-a
rücktes Gebäude: unten statt der Rusticabekleidung gemeisselte Fels-
flächen und Relieftrophäen, eingefasst von regelrechten glatten Glie-
derungen, oben Backstein und Pietra serena in wüster Zusammen-
stellung. Es ist das Atelier, welches sich schon 1579 der damals
weltberühmte Maler Federigo Zucchero zu bauen wagte. An-
deres der Art bei Anlass des Barockstyls. — Wie lange aber auch
im einzelnen Fall das Gute und Tüchtige nachwirkt, zeigt z. B. das
Innere von S. Felicita in tröstlicher Weise, ein Nachklang der bessernb
Zeit des XVI. Jahrhunderts und zwar vom Jahr 1736, das Werk des
Architekten Ruggieri.
Ausserhalb Florenz ist mir zufällig Pal. Coltroni zu Lucca in diec
Augen gefallen, mit einem einfachen aber malerischen Treppenhof, der
dem toscanischen Säulenbau um 1600 alle Ehre macht.
Zu Bologna sind aus dieser Zeit die etwas nüchternen aber gut
disponirten Bauten des Pellegrino Tibaldi (1522—1592) und seines
Sohnes Domenico zu bemerken: der Chor von S. Pietro, die jetziged
Universität, der Hof des erzbischöflichen Palastes; vorzüglich und ime
Verhältniss zu dem kleinen Raum grossartig: Pal. Magnani. — Dieserf
Pellegrino Tibaldi ist identisch mit dem Architekten Pellegrini,
welcher in Mailand zur Zeit des Carlo Borromeo viel beschäftigt
wurde. Als Baumeister des Domes schuf er die moderne Fassade,g
wovon später nur die Thüren und die nächsten Fenster beibehalten
worden sind, prächtige und für den Styl dieser Zeit bezeichnende De-
corationsstücke, die ich, offen gestanden, der Gothik dieses Gebäudes
vorziehe. — Die Kirche S. Fedele, ebenfalls von ihm, mit Doppelordnungh
am ganzen Äussern und einfacher vortretender Ordnung im Innern,
hat lange als classisches Muster gegolten und grossen Einfluss ausge-
übt. — Die sehr barocke Rundkirche S. Sebastiano erbaute er in Folgei
eines städtischen Gelübdes an den Pestheiligen vom Jahr 1576. — Im
erzbischöflichen Palast ist der vordere Hof mit seiner hohen Doppel-k
halle von Rustica ein weit besseres Gebäude als Ammanati’s drei-
stöckiger Hof im Pal. Pitti (Seite 345, b); hier wird endlich mit der
[348]Architektur von 1540 bis 1580.
mürrischen Rustica Ernst gemacht, sei es dass der Baumeister oder
dass San Carlo selber für diesen Hof den Charakter einer düstern
Majestät verlangte; nur ein unteres und ein oberes Stockwerk, aber
von enormer Höhe; die Bauglieder (Schlussteine, Consolen, Gebälk-
theile etc.) nicht classisch, sondern in angemessener barocker Umbil-
dung gegeben. Der hintere Hof und die Fassade gegen Piazza Fontana
später, ebenfalls tüchtig.
Aus derselben Zeit ist der Hof des erzbischöflichen Seminars,
von Giuseppe Meda, eine schöne, unten dorische, oben ionische
Doppelhalle, mit geradem Gebälk, deren Säulen abwechselnd enge und
bweite Intervalle haben. — Vincenzo Seregno’s Collegio de’ nobili
(auf Piazza de’ mercanti), vom Jahr 1564, erinnert in der Behandlung
der untern Stützen schon sehr an Galeazzo Alessi, dessen mai-
ländische Bauten nun im Zusammenhang mit den genuesischen zu
besprechen sein werden.
In dieser Zeit (1540—1600) setzte sich nämlich auch der Typus
der genuesischen Paläste, hauptsächlich durch oberitalienische Bau-
meister fest, welchem dann Alessi seine volle Ausbildung gab.
Noch ausserhalb der Linie steht gewissermassen der grosse Pa-
last, den Gio. Angelo Montorsoli (seit 1529?) für den berühmten
Andrea Doria baute. Von Architektonischem ist hier nur das Noth-
wendige gegeben, indem die Hauptwirkung der (jetzt aussen fast
durchgängig verlorenen und durch gelben Anstrich ersetzten) Bema-
lung mit Figuren und Historien vorbehalten war. Die dünnen Fen-
stereinfassungen, der Mangel an Pilasterwerk und die mässige Profi-
lirung überhaupt geben jetzt dem Gebäude einen Anschein von Früh-
renaissance. Als freier Phantasiebau ohne strenge Composition wird
es mit seinen luftigen Hallen an beiden Enden und mit den in den
Garten vortretenden Altanen auf Portiken immer einen so bezaubern-
den südlichen Eindruck machen, wie kaum ein anderer grosser Palast
Italiens. Die mit Hallen bedeckten Treppen am Ende des Gartens
und die Brunnen mit Ausnahme eines sind aus derselben Zeit 1).
[349]Genua. Montorsoli. Castello.
Auf Montorsoli folgte der Bergamaske Gio. Batt. Castello.
Sein Pal. Imperiali (Piazza Campetto), erbaut 1560, giebt einen voll-a
ständigen Begriff von der gemischten Compositionsweise der auf Hoch-
bau in engen Strassen berechneten genuesischen Paläste; Reichthum
der Ausstattung muss hier die strengern Verhältnisse ersetzen, die man
von unten doch nicht gewahr würde. (Bemalung mit bronzefarbenen
und colorirten Figuren, Putten und Laubwerk in Relief etc.) Die
untere Halle, der Hof und die malerisch seitwärts angelegte Treppe
offenbaren zuerst ohne Rückhalt die Herzlosigkeit der genuesischen
Säulenbildung und Profilirung, die nach Florenz und Rom das Auge
empfindlich berührt. — An Pal. Carega (jetzt Cataldi, Str. nuova)b
versuchte Castello noch einmal eine durchgängige Pilasterbekleidung
und bei den nicht allzuschmalen Fensterintervallen ging es damit noch
ziemlich glücklich; Spätere wagten bei den lichtbedürftigen, hochfenstri-
gen Fassaden dasselbe nicht ungestraft; ihre Pilaster wurden eine
magere Decoration, die überdiess sinnlos ist, weil der enge Mauer-
pfeiler schon an sich wie ein Pilaster wirkt. Das Vestibul, von sehr
schöner Anordnung, ist eines der frühesten von denjenigen, welche
die beiden Anfänge der Doppeltreppe zum Hauptmotiv haben. An
vielen andern Palästen dauert indess die einfache, seitwärts, etwa
neben oder hinter dem Hof angebrachte Treppe fort. — Als glückli-
chen Decorator (in Verbindung mit Montorsoli) erwies sich Castello
bei der zierlichen innern Ausschmückung von S. Matteo; eine der we-c
nigen mittelalterlichen Kirchen, welche bei solchen Anlässen gewonnen
haben.
Von Rocco Pennone, ebenfalls einem Lombarden, sind die
ältern Theile des Pal. Ducale, hauptsächlich die (ehemals stattlichen)d
Doppelhallen der Seitenhöfe, die hintere Fronte und, wie man annimmt,
auch die berühmte Treppe. Darf man sie in der That in die Zeit
bald nach 1550 setzen, so ist sie die erste von den ganz sanft ge-
neigten, ungeheuer breiten; sie hätte dann auch vorzugsweise die Be-
geisterung der Genuesen (und des Auslandes) für diesen Theil des
Palastbaues geweckt.
[350]Architektur von 1540 bis 1580.
Alle Treppen Bramante’s und der Florentiner sind daneben steil
und schmal. Genua suchte fortan wie schon früher in den Vestibulen
und Treppen den Ersatz für die Kleinheit der Höfe; man unterbrach
willig jede vordere Verbindung der untern Stockwerke, um dieser
Partie auf jede Weise Nachdruck und Majestät zu geben; der per-
spectivische Durchblick zwischen den Säulen der Treppenhalle oder
des Hofes wurde selbst bei den engsten Dimensionen eine Hauptsache;
wo möglich kam hinten als Schlusspunkt eine Brunnennische zu stehen.
An der Strada nuova thaten einander die Besitzer den Gefallen, ge-
meinschaftliche Hauptaxen mit den je gegenüberliegenden Gebäuden
anzunehmen, sodass die Durchblicke durch die Portale sich verdoppeln.
Gleichzeitig etwa mit Castello war in Genua der Peruginer Ga-
leazzo Alessi (1500—1572) aufgetreten, der in Rom mit Michel-
angelo in Verkehr gestanden hatte, seinem Wesen nach aber mit dem
nur wenig jüngern Vignola parallel erscheint. Sein Verdienst ist
demjenigen der meisten grossen Baumeister dieser Zeit analog: wenig
bekümmert um den organischen Specialwerth des Details, jeder Auf-
gabe durch Anordnung und Verhältnisse eine grosse Physiognomie
abgewonnen zu haben. Wo es darauf ankam, wo Raum und Mittel
(und guter Wille des Bauherrn) vorhanden waren, konnte er auch
im Detail reich und elegant sein, wie kein anderer Baumeister des
abeginnenden Barockstyls; der schöne Pal. Marini in Mailand, sowohl
Fassade als Hof, übt in den ausartenden Einzelformen noch den Zauber
der Frührenaissance1). Von seinen genuesischen Bauten im Ganzen
gilt diess weniger; er fügte sich in die wirklich vorhandenen und in
die bloss angenommenen Verhältnisse; auch sein Säulenbau ist kaum
edler als der der Andern. Allein er behandelte was er gab, gross-
artig und besonnen, und wo man ihm Licht und Raum gönnte, schuf
er Werke die in dieser Art kaum mehr ihres Gleichen haben.
Am Dom gehört ihm nur die einfache achteckige Kuppel und die
Pilasterstellung darunter (1567); die Chorverkleidung soll ihm der
[351]Genua. Galeazzo Alezzi.
genannte Pennone verdorben haben. Dagegen ist die berühmte Kirchea
S. Maria di Carignano wesentlich sein Werk.
Sie muss uns jetzt hauptsächlich die Bauzeit vergegenwärtigen,
da an S. Peter nach Michelangelo’s Plan gearbeitet wurde, da die
Kuppel über dem griechischen, d. h. gleicharmigen Kreuz als die für
den Kirchenbau erhabenste Form galt. Die Lage auf steilem Vor-
gebirg über der Stadt erhöht den Werth des Gebäudes ungemein, und
seine Umrisse wirken schon von Weitem sehr bedeutend. Bei den
so ungleich kleinern Dimensionen gab Alessi seiner Kuppel mit Recht
nicht vier Arme, sondern ein grosses Quadrat zur Unterlage, und
flankirte sie nicht mit vier Nebenkuppeln, welche hier ganz klein aus-
gefallen wären, sondern mit vier (in der That zwei) Eckthürmen.
(Die vier Kuppeln sind wohl im Innern vorhanden, aussen jedoch nur
durch Lanterninen angedeutet.) — Aber das Einzelne des Aeussern
durchgängig dem Alessi selber zuzutrauen, erscheint fast unbillig.
Auch wenn die hässlich hohen Giebel in der Mitte der Fronten un-
entbehrlich wären wegen des Lunettenfensters, das sie enthalten, so
könnte doch der Meister nicht diese Thürme mit ihren glatten Pi-
lastern über das so viel zartere und reichere Erdgeschoss gesetzt
haben. Auch die Kuppel zeigt sehr willkürliche, barocke Formen.
(Das Hauptportal neuer.) Das Innere dagegen, glücklicher Weise und
hoffentlich absichtlich farblos, ist ein wunderbar harmonischer Bau,
der den Sinn mit dem reinsten Wohlgefallen erfüllt. Vier Tonnen-
gewölbe, eine Mittelkuppel, vier Eckkuppeln und eine Tribuna, alles
auf Pfeilern mit einer Ordnung von (leider zu schwer gebildeten) ko-
rinthischen Pilastern ruhend; die höchste Verbindung von Reichthum
und Einfachheit; der Raum scheinbar grösser als er wirklich ist. —
Das Ganze im Grunde ein Bau der rein ästhetischen Begeisterung für
die Bauformen als solche, und für jede andere ideale Bestimmung
eben so geeignet als für den Gottesdienst.
Das Thor, welches zum Molo vecchio führt, charakterisirt rechtb
die Mitte des Jahrhunderts; auf der Stadtseite fast bramantisch ein-
fach, auf der Seite des Molo consequent und absichtlich barock. (Ru-
sticasäulen etc.) — Die stattliche Loggia de’ Banchi ist erst viel späterc
nach einem Entwuf Alessi’s, ausgeführt.
[352]Architektur von 1540 bis 1580.
Galeazzo’s Paläste sind zum Theil Engbauten, an welchen nur
adurch energisches Detail zu wirken war; so Pal. Centurione an Piazza
Fossatello etc. — An der Strada nuova, die mit ihren 20—24′ Breite
betwas mehr Spielraum gewährte, giebt Pal. Cambiaso den Durchschnitt
dessen, was er unter solchen Umständen für thunlich hielt; ohne Pi-
lasterbekleidung, dafür durchgängige Rustica, mit strengem Mäander-
sims über dem Erdgeschoss; die Höhenabwechselung der Stockwerke
cvortrefflich wirksam. — Pal. Lercari (jetziges Casino), vor dem
dSäulenhof ein (ehemals) luftiger Loggienbau. — Den Pal. Spinola,
welcher zunächst folgt, überliess er, was das Äussere betrifft, der
Bemalung; innen ist Vestibul, Treppe, Oberhallen, Hof und Garten
von imposanter Gesammtdisposition. — Auf der andern Seite ist Pal.
eAdorno der geringste Bau Alessi’s; — viel besser Pal. Serra, an welchem
er, mit Ausnahme des Kellergeschosses in Rustica, nur eine glatte
Mauer, an dieser aber Thür, Fenster, Balcon und Gesimse von Mar-
mor in den wohlthuendsten Verhältnissen anbrachte; das Vestibul jetzt
farblos, aber ebenfalls schön gedacht. — Andere Paläste hat der Ver-
fasser nicht Zeit gehabt auszumitteln; Manches, das die Baugeschichte
dem Alessi zuschreibt, ist wohl durch Umbau zu Grunde gegangen
oder entstellt.
Auf Piazza delle Vigne wäre der ehemalige Palast de Amicis
N. 422 Alessi’s nicht unwürdig.
Von seinen Sommerpalästen und Villen war Pal. Sauli
(Borgo S. Vincenzo) unvergleichbar schön. Der Verfasser sah bei
frühern Reisen diess Gebäude in seiner tiefsten Entwürdigung, doch
noch im Wesentlichen erhalten. Im März 1853 fand er es im Beginn
des Abbruches und weidete seine Blicke zum letztenmal an dem wun-
derbaren Hallenhof, in welchem mit ganz einfachen Mitteln auf be-
schränktem Raum durch die blosse Disposition der höchste Phantasie-
eindruck hervorgebracht war. Zu Anfang des folgenden Jahres hatten
die neuen Besitzer den Palast bereits zu einem Scheusal umgestaltet.
Die sardinische Regierung ist ausser Schuld; die Stadtbehörde des
sich allgemach americanisirenden Genua hätte das Unglück verhin-
dern müssen.
Es bleibt noch ein Sommerpalast übrig: Villa Pallavicini, zwi-
schen Acquasola und dem sog. Zerbino, an der Salita a San Barto-
[353]Genua. Alessi; Lurago; Bianco.
lommeo. (Jetzt an der Inschrift: Collegio italiano kenntlich und als
Dameninstitut im Innern unzugänglich.) Isolirt auf hohen Garten-
terrassen, mit einwärts tretenden Bogenhallen in der Mitte, und
prachtvoller durchbrochener Balustrade oben, macht das Gebäude die
glänzendste Wirkung, von der man nicht sogleich inne wird, dass sie
auf der weisesten Oeconomie der Mittel beruht, auf der schönen und
schlichten Flächeneintheilung, auf der sorglichen Handhabung der Pi-
laster beider Ordnungen (ionisch und korinthisch), welche nur an den
Hauptfronten cannelirt und nur an den Haupttheilen derselben reich-
lich angebracht sind. (Die dorische Ordnung für eine Grotte an der
Hauptterrasse verspart.)
Was von den Villen der Umgebung erhalten ist, vermag der
Verfasser nicht anzugeben. (In S. Pier d’Arena: Villen Spinola, Ler-a
cari, Doria, Grimaldi, Imperiali.) In S. Martin d’Albaro hat er Villab
Giustiniani vergebens zu erfragen gesucht. Das sog. Paradiso, über
der Strasse dahin, soll ebenfalls von Alessi sein. — Am See von Pe-
rugia ist das Schloss von Castiglione ein, wie es heisst, ausgezeich-c
neter Bau von ihm.
Wiederum von einem Lombarden des XVI. Jahrhunderts, Rocco
Lurago, ist der berümte Pal. Doria-Tursi (jetziges Municipio,d
Str. nuova). Hier zum erstenmal tritt jene gänzliche Verwilderung
des decorativ misshandelten Details ein, in der Absicht auf Effect im
Grossen. (Hässliche und rohe Pfeiler und Gesimse, colossale Fratzen
als Masken über den Fenstern etc.) Allein die Composition ist vor-
züglich wirksam; die Fassade setzt sich rechts und links in durch-
sichtigen Altanhallen fort; innen ist die Unebenheit des Bodens zu
einer prächtigen Treppenwirkung mit Ausblick in den Hallenhof hin-
auf benützt, an dessen Ende dann die Haupttreppe, vom ersten Ab-
satz an in zwei Armen, emporsteigt.
Doch die höhere, veredelte Stufe desselben Hofbaues gewährt erst
der Palast der Universität (Str. Balbi), von dem Lombarden Bar-e
tolommeo Bianco (als Jesuitencollegium begonnen 1623). Auf die
sehr ausgeartete Fassade folgt hier unerwartet ein Hofraum, den die
Phantasie kaum reicher und schöner denken kann; durch Verdoppelung
B. Cicerone. 23
[354]Architektur von 1540 bis 1580.
der Säulen bekommen die Intervalle durchgängig ein leichteres, das
Ganze ein reicheres Ansehen; die untere Vorhalle ist mit Seitenhallen
versehen und nicht so lang wie dort, der Aufblick in den Hof freier;
die Doppeltreppe hinter dem Hof scheint sich in luftige Höhen zu
verlieren. Mit besonnerer Benützung der Mauer hinter dem obern
Garten liesse sich die Wirkung noch steigern.
Andere Paläste aus verschiedenen Zeiten, an welchen wenigstens
die Disposition der untern Theile den Architekten interessiren wird:
An Strada S. Caterina (von der Piazza delle Fontane amorose
nach der Acquasola) Pal. Fransoni N. 22; — Pal. Pessagno N. 306,
einer von den ältern, mit Aussendecoration von Andrea Semini; —
Pal. Spinola N. 13, einer der wichtigsten von den ältern, der Hof mit
schöner Doppelhalle, die Treppe noch seitwärts. (S. 287, 293, h.)
Auf Piazza dell’ Annunziata: Pal. Negrotto, die Halle eine Nach-
ahmung derjenigen von Pal. Carega, das Äussere mit unglücklicher
neuerer Pilasterverzierung.
An Strada nuova: Pal. Raggio, mit ovalem Vestibul und einem
sehr glücklich im Barockstyl gedachten Brunnen im Hofe, wo Licht
und Wasser gemeinschaftlich von oben einfallen (sollten), während
vorn eine schattenwerfende Balustrade herumgeht. Die Stuccobild-
werke sind allerdings in solchem Zustande, dass man darin schwer
Phaetons Fall erkennen wird. — Die beiden Pal. Brignole baulich nur
durch Grösse ausgezeichnet.
An Strada Balbi hauptsächlich Bauten der spätern Zeit, mit einem
Platzaufwand, den man einem Galeazzo noch nicht gegönnt hatte:
Pal. Balbi (der zweite links, von unten kommend), mit Durchblick
durch Säulenhallen in den Orangengarten; — Pal. Durazzo (der dritte)
emit einfachem Säulenhof; — Pal. Reale (ehemals Marcello Durazzo,
der vierte) mit reicher, aber in den Verhältnissen ganz schlechter
Fassade, mit Rusticapilastern zwischen eng gedrängten Fenstern und
einem zu den letztern doppelt unpassenden Riesenthor; auf der See-
seite mit prächtigen Altanbauten, deren mittlere Verbindung als Bogen
fmit einer Fontaine drüber den Hauptprospect bildet. — Pal. Filippo
Durazzo (der erste rechts), von Bartol. Bianco, mit gewaltigem Thor,
Balcon und Altanhallen; die schöne Treppe (hinten, links) von Taglia-
fico zu Ende des vorigen Jahrhunderts erbaut.
[355]Paläste von Genua. Palladio.
Strada de’ Giustiniani: Pal. Negrotto (jetzt Consulat von Buenos-a
Ayres), mit einer trotz aller Vermauerung noch interessanten Disposi-
tion. — Erst aus dem vorigen Jahrhundert: Pal. Balbi (Str. nuovissimab
N. 16) von Gregorio Petondi, merkwürdig durch den auf unregel-
mässigem und sehr unebenem Terrain um jeden Preis erstrebten per-
spectivischen Effekt der Halle und Treppe, welche als Brücke quer
über den Hof geht; — Pal. Penco, nahe hinter S. Pietro in Banchi,
mit trefflich perspectivisch gedachtem Vestibul und einer stattlichen
Treppe, welche nahezu den Hof ausfüllt; — Pal. Salvagi (jetzt Pi-
nelli) bei Croce di Malta; — Pal. Defornari (Piazza S. Domenico);
— Pal. Casanova (Via Luccoli) mit malerisch wirkendem Hofe; u. s. w.
Den Beschluss dieser Reihe bildet der grosse Andrea Palladio
von Vicenza (1518—1580). Kein Architekt des XVI. Jahrhunderts
hat dem Alterthum eine so feurige Hingebung bewiesen wie er, keiner
auch die antiken Denkmäler so ihrem tiefsten Wesen nach ergründet
und dabei doch so frei producirt. Er beinahe allein hat sich nie an
einen decorativen Einzeleffekt gehalten, sondern ausschliesslich von der
Disposition und von dem Gefühl der Verhältnisse aus seine Bauten
organisirt. Michelangelo, von welchem dasselbe in gleichem Umfange
gilt, steht bei vielleicht höherer Anlage und bei grossartigern Auf-
gaben, wie z. B. die St. Peterskirche, doch unter der Botmässigkeit
seiner eigenen Grillen; Palladio ist durch und durch gesetzlich. Er
wollte in vollstem Ernst die antike Baukunst wieder in’s Leben rufen,
während Michelangelo nichts weniger im Auge hatte, als eben diess.
Die antiken Reste gaben freilich keine Gesammtvorbilder gerade
für das, was die Zeitgenossen von Palladio verlangten: für Kirchen
und Paläste; letztere zumal mussten einen von allem römischen Pri-
vatbau weit abweichenden Charakter tragen: den des Schlosses, der
adlichen Residenz. Was Palladio bei seinem wiederholten Aufenthalt
in Rom sich fruchtbringendes aneignen konnte, bestand daher weniger
in dem Frontenbau, als in den innern Dispositionen und in der Glie-
derung der Wände, hauptsächlich der innern. Er widmete vor Allem
den damals noch wohl erhaltenen Thermen das emsigste Studium;
keiner seiner Vorgänger hat die Grundrisse der antiken Trümmer so
23*
[356]Architektur von 1540 bis 1580.
gekannt wie er. Die Frucht hievon war, dass er das Ganze und die
wirksame Aufeinanderfolge der einzelnen Glieder des antiken Binnen-
raumes (Säulenstellungen, Pilaster, Nischen u. s. w.) mit einer Sicher-
heit und Originalität für jeden einzelnen Fall neu und anders repro-
duciren konnte wie kein Zeitgenosse. — Im Detail hielt er sich fern
von der ornamentalen Pracht der Kaiserbauten; sei es, dass er eine
Verdunkelung des Hauptgedankens durch dieselbe fürchtete, oder dass er
die vorhandenen Mittel lieber auf die Grossartigkeit der Anlage wandte,
oder dass er dem frühern Alterthum auf diese Weise näher zu kommen
hoffte. Seine Capitäle, Gesimse u. s. w. sind meist einfach, das Vegetabi-
lische möglichst beschränkt, die Consolen ohne Unterblätter u. s. w. Oft
entsteht dadurch ein Eindruck des Nüchternen und Kalten, wie er
gerade auch den frühern Römerbauten mag eigen gewesen sein; allein
das Detail wird wenigstens nie verachtet und barock gemisshandelt,
wie bei den Spätern; ein hoher Respect vor dem Überlieferten schützte
den Meister vor den Abwegen.
Er ist der letzte und vielleicht höchste unter denjenigen Archi-
tekten des XVI. Jahrhunderts, welche in der Kunst der Proportionen
und Dispositionen gross und eigenthümlich gewesen sind. Was bei
der Einleitung zu dieser Periode gesagt wurde, kann hier mit ganz
besonderer Beziehung auf ihn zum Schlusse wiederholt werden: die
Verhältnisse sind hier nicht streng organischen, nicht constructiven
Ursprunges und können es bei einem abgeleiteten Styl nicht sein;
gleichwohl bilden sie ein echtes künstlerisches Element, das seine
sehr bestimmte Wirkung auf den Beschauer äussert und das aus-
gebildetste Gefühl im Künstler selbst voraussetzt. Wir dürfen bei
unserer jetzigen Kenntniss der echten griechischen Bauordnungen die
copirten römischen Einzelformen Palladio’s völlig verschmähen, aber
derjenige Baumeister muss noch geboren werden, welcher ihm in der
Raumbehandlung — sowohl der Grundfläche als des Aufrisses —
irgendwie gewachsen wäre. Allerdings liess ihm bei den Palästen
der vicentinische Adel eine Freiheit, wie sie jetzt Keinem mehr ge-
gönnt wird; die Bequemlichkeit wurde der Schönheit des Grundrisses,
der Fassade und des Hofes mannigfach aufgeopfert. Um diesen Preis
erhielt Vicenza und die Umgegend eine Anzahl von Gebäuden, welche
[357]Palladio. Basilica. Privatpaläste.
in bescheidenen Dimensionen grossartig gedacht, mit vollkommener
Consequenz durchgeführt und alle von einander unabhängig sind.
Palladio’s erstes grosses Gebäude war die sog. Basilica ina
Vicenza, d. h. die Umbauung des mittelalterlichen Palazzo della ra-
gione mit zwei ringsumgehenden Stockwerken von offenen Bogenhallen,
wobei er auf die Wandeintheilung (Fenster u. dgl.) des alten Baues
eine lästige Rücksicht zu nehmen hatte. Gleichwohl — und trotz
einzelnen empfindlichen Ungeschicklichkeiten seines eigenen Details
— kam eines der grossartigsten Werke des XVI. Jahrhunderts zu
Stande, das z. B. in Venedig Sansovins Biblioteca vollkommen in den
Schatten stellen würde. Ernst und in hohem Grade monumental, wie
es sich für ein öffentliches Gebäude ziemt, hat diese Aussenhalle doch
das reichste Grundmotiv, welches in seiner durchgehenden Wieder-
holung (oben wie unten) ganz mächtig wirkt: die Räume zwischen
den mit vortretenden Säulen bekleideten Pfeilern enthalten nämlich
innere Bogen, welche zu beiden Seiten auf je zwei Säulen einer klei-
nern Ordnung ruhen. — Im Bau seit 1549.
(Das Motiv dieser Halle fand eine allgemeine Bewunderung und
wurde auf verschiedene Weise neu verwerthet. In dem Teatro Far-b
nese zu Parma brauchte es der Baumeister, Giambatt. Aleotti,
1618, für zwei obere Reihen von Logen. Der Hof des Palazzo Du-c
cale zu Modena erhielt durch Anwendung desselben den Charakter
eines der schönsten Höfe von Italien, während an der Fassade der
nämliche Baumeister, Bartol. Avanzini, 1634, seine eigene kläg-
liche Originalität offenbarte.)
Welche Vorgänger Palladio in der Anlage von Privatpalästen
vorfand, wurde oben (S. 224) erörtert. Das Vorbild Giulio Romano’s
und seiner mantuanischen Paläste mag für diese Gegenden besonders
wichtig gewesen sein; man erkennt z. B. Giulio’s Vorliebe für bloss
Eine Ordnung von Halbsäulen oder Pilastern (über einem Rustica-
Erdgeschoss) in dem Pal. Trissino dal vello d’oro (am Thor gegend
Monte Berico hin), einem in dieser Art recht schönen vorpalladiani-
schen Gebäude vom Jahr 1540, auch in der Fassade des bischöflichene
Palastes (1543? welches wenigstens das Datum des Hofes ist); und
wenn Pal. Annibale Tiene (jetzt Bonini, am Anfang des Corso) einef
reiche vollständige Doppelordnung hat, so ist vielleicht nicht ausser
[358]Architektur von 1540 bis 1580.
Acht zu lassen, dass er das Werk eines Dilettanten aus Palladio’s
Zeit ist (des Marcantonio Tiene) und sich in der Hofhalle deutlich
als solches verräth. Palladio selbst hat an Palästen sowohl als, wie
wir sehen werden, an Kirchen fast immer nur Eine Ordnung ange-
wandt, mochten es Pilaster, Halbsäulen oder freistehende Säulen sein,
mochten sie einer oder zweien Fensterreihen zur Einfassung dienen;
das Erdgeschoss behandelte er nur als Basis, mit derber Rustica. Die
wenigern Formen konnten um so grösser und grossartiger gebildet
werden.
Mit zwei Ordnungen versah er in Vicenza nur den Pal. Barba-
rano und den Pal. Chieregati. Ersterer, vom Jahr 1570, ist sein reichst-
verziertes Gebäude, nicht ohne Rücksicht auf die etwas enge Gasse
so entworfen. (Von dem Obergeschoss entlehnte Scamozzi sein Motiv
für dasjenige der Procurazien in Venedig, S. 327, a). Eine gewölbte
Säulenhalle führt in den Hof, dessen einer ausgeführter Flügel das
Lieblingsmotiv Palladio’s aufweisst: eine obere und untere Halle mit
enger Säulenstellung und geraden Gebälken, Alles nur Backstein und
bMörtel. — Zu Pal. Chieregati (vor 1566, einem seiner schönsten Ge-
danken, könnte er durch das Septizonium Severi angeregt worden sein;
die Fassade besteht mit Ausnahme des mittlern Theiles des Oberge-
schosses aus lichten Säulenhallen, einer dorischen und einer ionischen,
erstere mit steinernen, letztere mit hölzernen Gebälken; nach dem
(unvollendeten) Hofbau hin eine grossartige Loggia; das Bewohnbare
verhältnissmässig sehr gering. (Jetzt Eigenthum der Stadt.)
Unter den Palästen mit Einer Ordnung ist wohl der schönste Pal.
cMarcantonio Tiene 1556, jetzige Dogana, ausgezeichnet durch die nur
unvollständig ausgeführte Säulenhalle des Hofes, welche sich über
einer Rusticahalle erhebt. (Der Hinterbau, gegen Pal. Barbarano, von
dhübscher Frührenaissance.) — Pal. Porto (1552), ion. Ordnung, mit einer
Attica, welche die Fenster eines obern Stockwerkes enthält. — Pal. Val-
emarana, zwischen den Composita-Pilastern (1566) je ein oberes und ein
unteres Fenster, über letzterm ein Relief; eine dritte Fensterreihe in
der Attica; kein glückliches Ganzes. Vom Hinterbau nur eine untere
ionische Halle ausgeführt. (Ein zweiter Pal. Valmarana, unweit Pal.
Chieregati, ist ganz unbedeutend.) — Pal. Schio, die Loggia in einem
Garten Valmarana und andere Gebäude hat Verfasser dieses nicht ge-
[359]Palladio. Paläste etc. Teatro.
sehen und weiss nicht, ob sie noch vorhanden sind. — Bei Pal. Cal-a
dogni, vom Jahr 1575, wird Palladio’s Urheberschaft nur vermuthet.
— Pal. Ercole Tiene am Corso, von Jahr 1572, scheint einen ältern,b
hinter der Zeit zurückgebliebenen Architekten anzugehören. Auch
Pal. Gusano, jetzt Gasthof (Hôtel de la ville) ist nicht von Palladio.
— Das köstliche kleine Häuschen unweit Pal. Chieregati, welches alsc
die eigene Wohnung des Meisters gilt, baute er 1566 für einen ge-
wissen Pietro Cogolo unter besonders lästigen Raumbedingungen. Wer
heut zu Tage so viel Luxus aufwendet, verlangt mehr Platz. (Das
mittlere und obere Stockwerk offenbar auf Malereien berechnet.)
Von öffentlichen Gebäuden wird dem Palladio ausser der
Basilica das Fragment auf Piazza del Castello mit ziemlicher Wahr-d
scheinlichkeit zugeschrieben. (Jetzt als „altes Seminar“ bezeichnet,
eigentlich ein angefangener Palast für die Familie Porto.) Eine un-
tere Fensterreihe ist nicht eben glücklich zwischen die Piedestale der
Compositasäulen verwiesen; doch würde die Fassade, fortgesetzt und
vollendet gedacht, wohl imposant wirken. (Fruchtschnüre von Capi-
täl zu Capitäl; kleine Fenster oben im Fries.) — An der Loggia dele
Delegato, gegenüber der Basilica, hat Palladio mit Unrecht seine
grossen Formen an eine kleinräumige Aufgabe gewandt; dergleichen
gelang der Frührenaissance besser. Die Seitenfassade, wo er den
Säulen nur die Höhe des untern Stockwerkes gab und das Ganze
mehr decorativ behandelte, lässt vermuthen, dass er den Fehler er-
kannt habe (1571). — Von dem einfachen Triumphbogen, welcher denf
Stationenweg nach dem Monte Berico eröffnete, weiss ich nicht, ob
er die Ereignisse des Jahres 1848 überdauert hat; er war erst nach
Palladio’s Tode, aber vielleicht nach seiner Zeichnung errichtet und
entsprach in den Verhältnissen am ehesten dem Titusbogen.
Auch das berühmte Teatro olimpico, nächst der Basilica derg
Stolz Vicenza’s, wurde erst nach dem Absterben des Meisters ausge-
führt (1580). Am ehesten hat man sich bei der Säulenhalle über der
halbelliptischen Stufenreihe für die Zuschauer an seine Zeichnung ge-
halten; die schwere Doppelordnung und Attica der Scena selbst kann
kaum so von ihm entworfen sein. Die fünf (eigentlich sieben) per-
spectivisch ansteigenden und sich verengenden Gassen, in welche man
von der Scena aus gelangt, sind noch wohl erhalten. — Dieser merk-
[360]Architektur von 1540 bis 1580.
würdige Versuch eines Theaterbaues in der Art der Alten ist in jener
Zeit lange nicht der einzige; wir dürfen z. B. bei vielen Theaterbau-
ten des Augenblickes, deren Vasari eine ganze Anzahl erwähnt, eine
ähnliche Anlage voraussetzen. Allein des Erhaltenen ist ausserordent-
lich wenig; das oben (S. 357, b) genannte Teatro Farnese in Parma er-
scheint bereits als ein Mittelding zwischen antiker und moderner An-
lage; die Scena ist schon ein auf Verwandlungen berechneter Tiefbau.
Von den Villen Palladio’s geniesst die Rotonda der Marchesi
Capra, eine Miglie von der Stadt, mit ihrem runden Mittelbau und
ihren vier ionischen Fronten den grössten Ruhm. Es ist wohl auf-
fallend, dass weder er noch seine Bauherrn jemals sich von der Idee
eines schloss- oder tempelähnlichen Prachtbaues mit bedeutender
Centralanlage haben losmachen können, dass trotz der in der Haupt-
sache klaren Schilderungen der antiken Schriftsteller vom Landbau
und des Plinius Niemand eine echte antike Villa, d. h. ein Aggregat
von niedrigen, nicht symmetrisch geordneten Einzelbauten hat bauen
oder besitzen mögen, dass z. B. auch Palladio’s nächster Nachfolger
Scamozzi die Villa Laurentina des Plinius so grundfalsch restauriren
konnte. — Die übrigen Villen Palladio’s kennt der Verfasser nur aus
bziemlich alten Abbildungen; ausser der nahe bei Vicenza befindlichen
Villa Tornieri sind es nach der damaligen Bestimmung der Orte und
Besitzer hauptsächlich folgende: Villa Sarego, in Collogneso la Miga
(Gebiet von Vicenza); Villa Pisani bei Montagnana (Gebiet von Pa-
dua); Villa Tiene in Cicogna; Villa Barbaro in Masera (Gebiet von
Treviso); Villa Emo in Fanzola (dasselbe Gebiet); Villa Repetta in
Campiglia (Gebiet von Vicenza); Villa Pisani in Bagnolo (dasselbe
Gebiet); Villa Badoer in la Fratta (Polesina); Villa Valmarana in
Lisiera (Gebiet von Vicenza); Villa Sarego in S. Sofia (5 Miglien von
Verona); Villa Tiene in Quinto (Gebiet von Vicenza?); endlich Villa
Trissino zu Meledo (Gebiet von Vicenza), wo das Motiv der Rotonda,
mit grossen Vorhallen vermehrt, wiederholt ist — vieler andern zu ge-
schweigen. Der Mittelbau, hier öfter mit doppelter, als offene Loggia
behandelter Ordnung, pflegt die Anbauten und die mit Portiken um-
zogenen Ökonomiegebäude völlig zu beherrschen. Im Innern ein grosser
Reichthum an originellen und schönen Dispositionen, auch der Trep-
[361]Palladio. Villen. Kirchen.
pen. Die Ausführung ohne Zweifel sehr einfach, die Säulen aufge-
mauert. (Noch soll nahe bei Vicenza, zu Cricoli, die schöne vor-a
palladianische Villa der Trissini wohl erhalten existiren.)
In seinen Kirchenbauten, deren wichtigste sich sämmtlich zu
Venedig befinden, ist Palladio — zunächst in Betreff der Fassaden
— gegenüber dem bisherigen vielgliedrigen System der Venezianer,
welchem sich noch Jacopo Sansovino anbequemt hatte, ein grosser
Neuerer. Sein Beispiel, das in Venedig mehr bewundert wurde als
völlig durchdrang1), hat dafür in andern Gegenden eine starke Nach-
folge gefunden. Seit seinen Kirchenbauten war unter den strengern
Architekten nur Eine Stimme darüber, dass die Fassade nur aus
Einer Säulenordnung, nicht aus zweien oder gar dreien bestehen
solle, welches die Übung der frühern Renaissance gewesen war. Erst
in Verbindung mit den grossen Halbsäulen schien nun auch der Gie-
bel seinen wahren Werth zu erhalten; man wusste jetzt, dass er sich
auf das Ganze, nicht bloss auf das obere Stockwerk bezog und konnte
ihm die gehörige Vorragung und Schattenwirkung geben. Die Fronten
der Seitenschiffe wurden dann in Halbgiebeln abgeschlossen, die sich
an die Fassade auf beiden Seiten anlehnen. (Gleichzeitig nahm auch
Michelangelo für das Äussere von S. Peter nur Eine Ordnung an.)
Offenbar glaubte man mit dieser Annäherung an die Art antiker
Tempelfronten einen grossen Fortschritt gemacht zu haben. Und ge-
genüber der ausartenden Frührenaissance war es wirklich so. Einen
viel bedeutendern monumentalen Eindruck machen Palladio’s Fassaden
gewiss; sie bereiten würdiger auf ein Heiligthum vor als die meisten
Kirchenfronten seiner nächsten Vorgänger. Im Grunde gehen sie aber
weiter und wiilkürlicher von dem Zweck der Fassade ab: ein bau-
licher Ausdruck des Ganzen zu sein. Jede Form entspräche baulich
dem Innern eher als gerade diese Tempelhalle. Ausserdem hat sie
besondere Übelstände; ihren vier Säulen, wenn sie die antiken Ver-
hältnisse beibehalten und doch dem Höhenverhältniss des Mittelschiffes
entsprechen sollen, muss mit Piedestalen nachgeholfen werden; ihre
[362]Architektur von 1540 bis 1580.
Intervallflächen harmonisch zu verzieren ist unmöglich, weil dieselben
durch die Schwellung der Säulen eine nicht-winkelrechte Form haben
und im Grunde doch nur ein Ersatz sind für den freien Durchblick
einer offenen Säulenhalle1). Palladio musste ihnen Nischen mit Sta-
tuen geben. Endlich ist das Anlehnen der Halbgiebel mit ihrem
schiefen und ihrem wagerechten Sims (der dann über dem Portal
wieder zum Vorschein kömmt) nie ganz schön zu bewerkstelligen.
Als grosser Künstler brachte freilich Palladio eine Art von Har-
monie hinein. Die strenge Einfachheit seines Details, die beständige
Berechnung der Theile auf das Ganze bringt bei ihm immer einen
zwingenden Eindruck hervor.
In Betreff des Innern belebt er die Anordnung der frühern Re-
naissance durch einen imposanten Organismus von kräftigen Gliedern,
namentlich Halbsäulen, und durch Verhältnisse, welche die einzig
wahren scheinen, so lange man sie vor Augen hat. Auch hier herrscht
Eine Ordnung. Durch ausdrückliche Verfügung des Meisters oder
durch einen glücklichen Zufall blieben diese Kirchen ohne Vergoldung
und Bemalung. (Irgend eine decorative Gliederung der Gewölbe möchte
Palladio doch wohl beabsichtigt haben.)
Die Kirche S. Giorgio maggiore in Venedig, herrlich isolirt
der Piazzetta gegenüber gelegen, ist das frühste dieser Gebäude (be-
gonnen 1560). Schon von aussen bilden Kirche, Querschiff, Thurm
und Kloster eine malerische Gruppe. Der Eindruck des Innern ist
besonders schön und feierlich. Die Hauptordnung hat, wie gesagt,
Halbsäulen; die von ihr eingefassten Bogen ruhen auf Pilastern; unter
der ganz einfachen Kuppel treten dann auch in der Hauptordnung
Pilaster hervor; in den Seitenschiffen eine kleinere Ordnung von Halb-
säulen. Die Querarme schliessen im Halbrund. Der Durchblick in
den hintern Mönchschor durch eine schöne Säulenstellung mit geradem
Gebälk ist durch die darüber gesetzte Orgel verdorben. — Das Kloster
mit seinem vielbewunderten Refectorium ist gegenwärtig als Caserne
schwer zugänglich.
Die Fassade von S. Francesco della Vigna (1568) wiederholt das
[363]Venedig. Palladio’s Kirchen.
Motiv derjenigen von S. Giorgio; nur treten die Gesimsstücke der
Halbgiebel und dasjenige über der Thür hier weiter hervor als die
Wandsäulen selbst. (Das Innere von J. Sansovino.)
Es folgt die Kirche del Redentore in der Giudecca (1576),a
Palladio’s vollkommenster Kirchenbau; einschiffig mit nicht sehr tiefen
Seitencapellen, sodass an der Fassade die Hauptordnung — diessmal
2 Säulen zwischen 2 Pilastern — mehr über die untern Halbgiebel
vorherrschen konnte; statt der Postamente eine herrliche Treppe mit
Balustraden, aber nur in der Mitte und zwar absichtlich so angeord-
net, dass man den Sockel zu beiden Seiten sehe; über dem Haupt-
giebel eine horizontale Attica, an welche sich obere Halbgiebel — der
Ausdruck für die Strebepfeiler des Tonnengewölbes — anlehnen. Bei
einem etwas entferntern Gesichtspunkt steigt die Kuppel vortrefflich
über die Fassade empor. Das Innere (mit Tonnengewölbe) von grosser
perspectivischer Schönheit, bei den einfachsten Formen; reizvoller Ein-
blick in die Capellen mit ihren Nischen, in die lichtreichen abgerun-
deten Querarme, in die einfache Pilasterordnung der Kuppel; endlich
der erhabene Durchblick in den hintern Mönchschor durch eine Säulen-
stellung im Halbkreis. Das organische Gerüst besteht theils aus Halb-
säulen, theils aus Pilastern, welchen Palladio dieselbe Schwellung und
Verjüngung zu geben pflegte, wie den Säulen. (Das Kloster höchst
einfach, für Mendicanten.)
Erst nach des Meisters Tode wurde (1586) die kleine Kirche desb
Nonnenklosters delle Zitelle, ebenfalls in der Giudecca ausgeführt,
mit ungenauer Benützung seines Entwurfes. Ich weiss nicht, ob das
Auge, dass sich in Venedig an Zierbauten wie die Scuola di S.
Marco, S. M. de’ Miracoli u. dgl. gewöhnt hat, für diese einfache
Fassade mit zwei Pilasterordnungen, einem Halbrundfenster und einem
Giebel noch einige Aufmerksamkeit übrig haben wird; vielleicht ist
aber nirgends mit so wenigen Mitteln Grösseres erreicht, und nicht
umsonst wurden und werden diese Formen und Verhältnisse noch
fortwährend mehr oder weniger treu nachgeahmt. Im Innern ruht die
Kuppel auf einem Quadrat mit abgestumpften Ecken; ein Vorraum
und ein Chor; über den Seitenaltären die vergitterten Nonnenplätze
— Alles zeugt von Raumersparniss. (Die Vereinigung von je zwei
[364]Architektur von 1540 bis 1580.
Pilastern unter Einem Capitäl gehört ohne Zweifel zu den Verän-
derungen.)
Noch später (1609) benützte man einen Entwurf Palladio’s für
eine andere Nonnenkirche, S. Lucia (beim Bahnhof). Die raum-
sparende und dabei grossartig originelle Anlage des Innern (das
Äussere unbekleidet) ist nicht leicht zu beschreiben, wer aber die
wenige Schritte entfernte Kirche der Scalzi und deren empfindungs-
losen Pomp damit vergleicht, wird in S. Lucia die Hand des hohen
Meisters erkennen.
Ausser diesen Kirchen hinterliess Palladio in Venedig unvollendet
b(auf immer) das Kloster der Carità (1561), in welchem sich jetzt
die Academie befindet. Man sieht das kleinere dreiseitige Erdgeschoss
einer Pfeilerhalle mit Pilastern, und die eine Seite eines grossartigen
Hofbaues — zwei Geschosse mit Pfeilerhallen und Halbsäulen, und
ein Obergeschoss mit Mauer und Pilastern. Es ist das Gebäude, von
welchem Göthe mit so vieler und gerechter Begeisterung spricht. Kein
weisser Marmor, fast nur Backsteine, für welche Palladio eine Vor-
liebe hatte, weil er wohl wusste, dass die Nachwelt kein Interesse
hat, sie abzureissen wie die Quaderbauten.
Der gerechte Stolz, womit Vicenza und das östliche Oberitalien
überhaupt auf Palladio hinblickten, gewährte diesen Gegenden auch
die beste Schutzwehr gegen die Excesse des Barockstyls. Während
der schlimmsten borrominesken Zeit verdunkelte sich wohl Palladio’s
Ruhm zu einer mehr bloss historischen Anerkennung, aber mit dem
XVIII. Jahrhundert wurden seine Gebäude von Neuem als Muster
anerkannt, nachgeahmt, ja wiederholt. Das Ausland, hauptsächlich
England, mischte sich in die Frage und nahm Partei für ihn auf das
Nachdrücklichste. Wie Vignola für die Bildung des Details, so war
Palladio für die Composition das Orakel und Vorbild der strengern
Architekten seit 1700: ja er herrscht in der classischen Schule Ober-
italiens bis auf den heutigen Tag.
Die Schattenseiten dieses grossen Einflusses sind nicht zu ver-
hehlen. Unvermeidlich brachten die Nachfolger die entlehnten Motive
auch da an, wo sie nicht hinpassten, bloss um des Effectes willen;
[365]Nachfolge Palladio’s. Scamozzi.
die palladianischen Formen der Palastfronten, Höfe, Kircheninterieurs
u. s. w. wurden äusserlich gehandhabt, als grossartigste Decoration,
die sich vorbringen liess, und zwar oft in ganz knechtischer Nach-
ahmung bestimmter Bauten; umsonst lehrten die Urbilder, dass der
Meister jede einzelne Aufgabe anders und immer neu zu lösen ge-
wusst hatte.
Dennoch überwog der Vortheil. Unläugbar blieb man auf dieser
Fährte den wahren und ewigen Gesetzen der Architektur näher als
wenn man dem Barockstyl folgte. Bei der grossen Einfachheit des
Details in diesem System erhielt sich auch eher der Sinn für die
Wirkung der Verhältnisse, welche nun einmal die Seele der modern-
italienischen Baukunst sind. Jeden Augenblick kann sich dieser Styl
wieder der echten wenigstens römischen, wenn nicht griechischen Bil-
dung nähern; es ist, so zu sagen, noch nicht viel an ihm verdorben.
Ja, wenn sich Auge und Sinn darüber Rechenschaft geben, wie
sehr schon das Einfach-Grossräumige — in wenigstens nicht unedeln
Formen — auf die Stimmung wirkt, wie sehr das Gefühl „im Süden
zu sein“ davon bedingt ist, so lernt man diese Nachfolge Palladio’s
erst vollkommen schätzen. Ihr verdankt das moderne Oberitalien,
hauptsächlich Mailand, jene Bauphysiognomie, die man kalt undherz-
los, aber niemals kleinlich schelten kann. Sie hat das Bedürfniss nach
dem Grossen und Monumentalen wach gehalten und damit für jede
höhere Entwicklung in der Baukunst einen günstigen Boden vorbe-
reitet. Ein grosser Gedanke trifft wenigstens in jenen Gegenden auf
keine meschine Baugesinnung.
In Vicenza selbst war und blieb Palladio „das Palladium“, wie
Milizia in seinen Briefen sagt, und wie man aus Göthe’s italienischer
Reise noch deutlicher ersieht. Schon ein (nicht sehr dankbarer) vi-
centinischer Zeitgenosse, Vincenzo Scamozzi (1552—1616), zeigt
sich in seinem bedeutendsten Gebäude, Pal. Trissino am Corso, wesent-a
lich von Palladio abhängig. (Von ihm auch Pal. Trento unweit vom
Dom, und in Venedig der schon genannte Ausbau der Procurazien,b
sowie ein Pal. Cornaro am Canal grande, dann mehrere Villen u. s. w.c
Scamozzi ist durch sein grosses Werk „Architettura universale“ be-
kannter als durch seine eigenen Bauten). Aber noch viel später galt
Palladio in der Heimath als Vorbild. Theils nach vorhandenen Zeich-
[366]Der Barockstyl.
nungen von ihm, theils wie gesagt mit Nachahmung seiner Bauten
wurden eine ganze Anzahl von Villen und Palästen errichtet, bis die
französische Invasion den Wohlstand der venezianischen Landstadt tief
aerschütterte. Dahin gehört Pal. Cordellina, jetzige Scuola elementare etc.,
mit schöner Doppelordnung an der Fassade und im Hof, um 1750 von
bCalderari erbaut; Pal. Losco am Corso, mit nur zu zahmer Rustica
am Erdgeschoss u. A. m.
In Verona sind die Dogana (1753, von Pompei) und das Museo
dlapidario (1745, von demselben) sehr unmittelbare Zeugnisse der Be-
geisterung für den palladian. Hallenbau mit geraden Gebälken und
eecht antiken Intervallen; S. Sebastiano (von unbekanntem Urheber) ist
ein relativ classisches Gebäude aus der Zeit, da sonst überall der
fBarockstyl herrschte. — In Brescia der Hof des Pal. Martinengo.
Wir hören mit den 1580er Jahren auf, die Künstler einzeln zu
charakterisiren. Statt dessen mag hier ein Gesammtbild des seitdem
aufgekommenen Barockstyls folgen, so gut wir es zu geben im
Stande sind.
Man wird fragen: wie es nur einem Freunde reiner Kunstgestal-
tungen zuzumuthen sei, sich in diese ausgearteten Formen zu versen-
ken, über welche die neuere Welt schon längst den Stab gebrochen?
Und woher man nur bei der grossen Menge des Guten in Italien Zeit
und Stimmung nehmen solle, um auch an diesen späten Steinmassen
einige mögliche Vorzüge zu entdecken? Hierauf ist zu antworten,
wie folgt. Wer Italien nur durchfliegt, hat vollkommen recht, wenn
er sich auf das Allerbeste beschränkt. Für diejenigen, welche sich
einige Zeit gönnen, ist es bald kein Geheimniss mehr, dass der Ge-
nuss hier bei weitem nicht bloss in dem Anschauen vollkommener
Formen, sondern grösserntheils in einem Mitleben der italienischen
Culturgeschichte besteht, welches die schönern Zeiten vorzieht, aber
keine Epoche ganz ausschliesst. Nun ist es nicht unsere Schuld, dass
der Barockstyl ganz unverhältnissmässig vorherrscht und im Grossen
den äussern Eindruck wesentlich bedingt, dass Rom, Neapel, Turin
[367]Seine Repräsentanten.
und andere Städte mit seinen Gebilden ganz angefüllt sind. Wer sich
irgend eines weitern Gesichtskreises in der Kunst rühmen will, ist
auch dieser Masse einige Aufmerksamkeit schuldig. Bei dieser Be-
schäftigung des Vergleichens wird man vielleicht auch dem wahren
Verdienst gerecht werden, das manchen Bauten des fraglichen Styles
gar nicht abzusprechen ist, obwohl es ihnen bisweilen in Bausch und
Bogen abgesprochen wird. Diese Verachtung wird man bei gebilde-
ten Architekten niemals bemerken. Dieselben wissen recht wohl In-
tention und Ausdruck zu unterscheiden und beneiden die Künstler des
Barockstyles von ganzem Herzen, ob der Freiheit, welche sie genossen
und in welcher sie bisweilen grossartig sein konnten.
Noch weniger aber als ein allgemeines Verwerfungsurtheil liegt
uns eine allgemeine Billigung nahe.
Unsere Aufgabe ist: aufmerksam zu machen auf die lebendigen
Kräfte und Richtungen, welche sich trotz dem meist verdorbenen und
conventionellen Ausdruck des Einzelnen unverkennbar kund geben.
Die Physiognomie dieses Styles ist gar nicht so interesselos wie man
wohl glaubt.
Die einflussreichsten Architekten waren: zunächst ein vielbe-
schäftigter Schüler Michelangelo’s: Giacomo della Porta; dann
jene Colonie von Tessinern, welche Rom seine jetzige Gestalt gab:
Domenico Fontana (1543—1607) nebst seinem Bruder Giovanni
und seinem Neffen Carlo Maderna (1556—1639), welchen noch der
Nebenbuhler Bernini’s, Francesco Borromini (1599—1667) und
der späte Carlo Fontana (1634—1714) beizuzählen sind. Dann einige
Lombarden: die drei Lunghi (der Vater Martino, blühte um 1570,
der Sohn Onorio 1569—1619, der Enkel Martino † 1657); Fla-
minio Ponzio († unter Paul V); Cosimo Fansaga 1591—1678,
meist in Neapel thätig; die Bolognesen Domenichino (1581—1641)
und Alessandro Algardi (1602—1654), jener sonst mehr als
Maler, dieser als Bildhauer berühmt; die Römer Girol. Rinaldi
(1570—1655), sein Sohn Carlo (1611—1641) und Giovanni An-
tonio de’ Rossi (1616—1695); ferner der bekannte Maler Pietro
da Cortona (1596—1669); gleichzeitig mit diesen und Allen über-
[368]Der Barockstyl.
legen: Giov. Lorenzo Bernini von Neapel (1589—1680); alle
Spätern von ihm abhängig: Guarino Guarini von Modena (1624
bis 1683), der das jetzige Turin begann; der Decorator Pater An-
drea Pozzo (1642—1709); die drei Bibbiena von Bologna, deren
Blüthe nach 1700 fällt; die Florentiner Aless. Galilei (1691—1737)
und Ferdinando Fuga (geb. 1699); endlich die beiden mächtigsten
Architekten des XVIII. Jahrhunderts Filippo Juvara oder Ivara
von Messina (1685—1735), und Luigi Vanvitelli von niederlän-
discher Herkunft zu Neapel geboren (1700—1773)1). — Das Locale
verliert hier fast alle Bedeutung; einige der Genannten führen ein kos-
mopolitisches Wanderleben, Andere liefern wenigstens Zeichnungen
und Pläne für weit entfernte Bauten.
Innerhalb des Styles, welchen sie gemeinsam repräsentiren, giebt
es natürlich während der zwei Jahrhunderte von 1580 bis 1780 nicht
nur Nuancen, sondern ganz grosse Veränderungen, und bei einer voll-
ständigen methodischen Besprechung müsste mit Bernini unbedingt
ein neuer Abschnitt beginnen. Für unsere rasche Übersicht ist eine
weitere Trennung um so weniger räthlich, als die Grundformen im
Ganzen dieselben bleiben.
Die Barockbaukunst spricht dieselbe Sprache, wie die Renaissance,
aber einen verwilderten Dialekt davon. Die antiken Säulenordnun-
gen2), Gebälke, Giebel u. s. w. werden mit einer grossen Willkür
auf die verschiedenste Weise verwerthet; in ihrer Eigenschaft als
Wandbekleidung aber wird ihnen dabei ein viel stärkerer Accent ge-
geben als vorher. Manche Architekten componiren in einem bestän-
digen Fortissimo. Säulen, Halbsäulen und Pilaster erhalten eine Be-
gleitung von zwei, drei Halb- und Viertelspilastern auf jeder Seite; eben
so viele Male wird dann aber das ganze Gebälk unterbrochen und vor-
geschoben; je nach Umständen auch der Sockel. In Ermanglung einer
organischen Bekleidung verlangt man von Dem, was zur Zeit der Re-
naissance doch wesentlich nur Decoration war, dass es Kraft und
[369]Die Ausdrucksweise im Detail.
Leidenschaft ausdrücke; man will sie erreichen durch Derbheit und
Vervielfachung. Von der perspectivischen Nebenabsicht, die sich da-
mit verbindet, wird bei den Fassaden die Rede sein.
Eine nahe Folge dieser Derbheit war die Abstumpfung des Auges
für alle feinern Nuancen. Auf eine merkwürdige Weise tritt diess
zu Tage, sobald der Ausdruck der Pracht verlangt wird. Man sollte
erwarten, dass die Baukunst der römischen Kaiserzeit all ihren vege-
tabilischen und sonstigen plastischen Reichthum hätte herleihen müs-
sen, die Cannelirungen ihrer Säulen, die ornamentirten Basen, die
Blätterreihen ihrer Architrave, den Prachtschmuck der Friese, endlich
jene plastische Detailfülle ihrer Kranzgesimse, zumal Consolen und
Rosetten. Dies Alles kommt aber nur stellenweise und kaum je
vollständig zur Anwendung, meist dagegen nur in dürftigem Excerpt.
In ganz andern Dingen wird der Reiz für das Auge gesucht, welcher
der Pracht entsprechen soll: die Bauglieder selbst, ohne ornamentales
Detail, aber mit durchgehenden, oft sinnlosen Profilirungen aller Art
überladen, kommen in Bewegung; hauptsächlich die Giebel beginnen
seit Bernini und Borromini sich zu brechen, zu bäumen und in
allen Richtungen zu schwingen. An einzelnen besondern Prachtstücken,
wie Altäre u. s. w. werden gewundene Säulen beinahe zur Regel.
Wie die Farbigkeit der Steine und Metalle zur Mitwirkung benützt
wurde, soll weiter erörtert werden. Endlich bringt um 1700 der
Pater Pozzo diese ganze neue Art von Decoration in ein System,
das, im Zusammenhang mit jener durchgehenden perspectivischen Ab-
sicht vorgetragen, wahrhaft lehrreich ist, obschon die Mittel, einzeln
genommen, zum Theil abscheulich heissen müssen.
Wo dann eine wahre bauliche Function deutlich markirt werden
soll, weiss dieser Styl sich natürlich nur noch in unverhältnissmässig
massiven Formen auszusprechen. Man vergleiche, um mit einem klei-
nen Beispiel zu beginnen, die colossalen Deckenconsolen in S. Mariaa
in via lata zu Rom mit den so mässigen, welche in alten Basiliken
den Dachstuhl tragen.
Selten aber ist es mit dem Ausdruck von Functionen ernstlich ge-
meint. Vielmehr bekommen die einzelnen Formen ein von allem Or-
ganismus unabhängiges, später ein krankhaftes Leben. Man findet z. B.
bei Pozzo eine Sammlung von Thür- und Fensteraufsätzen, wie sie
B. Cicerone. 24
[370]Der Barockstyl.
um 1700 für classisch galten und oft genug wirklich ausgeführt wur-
den; es sind Fieberphantasien der Architektur. — Allein auch die
schlimmsten dieser Formen haben eine Eigenschaft, die für den ganzen
Styl wichtig und bezeichnend ist: nämlich ein starkes Relief und so-
mit eine starke Schattenwirkung. Untauglich zum Ausdruck des wahr-
haft Organischen, des Constructiven, sind sie im höchsten Grade wirk-
sam zur Eintheilung von Flächen, zur Markirung bestimmter Stellen.
Sie können diejenige lebendig gebliebene Seite der Architektur dar-
stellen helfen, welche als das Gebiet der Verhältnisse zu bezeich-
nen ist.
Der Hauptschauplatz auf welchem diese Frage der Verhältnisse
durchgefochten wird, sind in dieser Zeit unläugbar die Kirchen-
fassaden. Ich weiss, dass man leicht in Versuchung geräth, keine
einzige auch nur recht anzusehen. Sie sind schon in der Renaissance-
zeit, ja in der italienischen Gothik blosse vorgeschobene Decorationen
und werden jetzt vollends rein conventionelle Zierstücke, die mit dem
Ganzen gar keinen Zusammenhang haben. Ihre Verhältnisse, ob schön
oder hässlich nach damaligem Massstab, dürften uns gleichgültig sein.
Allein als reine Fiction ergreifen sie den Beschauer doch bisweilen,
trotz der oft so verwerflichen Ausdrucksweise, und nöthigen ihn, der
Absicht des Baumeisters nachzugehen, seine Rechnung — nicht von
Kräften und Lasten, wohl aber von Massen und Formen — nachzu-
rechnen. Man entsinnt sich dabei, dass es zum Theil die Zeitgenossen
der grössten Maler des XVII. Jahrhunderts waren, welche so bauten,
ja Maler wie Domenichino, Bildhauer wie Bernini selbst.
Seit Palladio werden die Fassaden mit Einer Ordnung (Seite 361)
häufiger, ohne jedoch im Ganzen das Übergewicht zu gewinnen. Für
Rom z. B., welches den Ton im Grossen angab, mochte die wider-
awärtige Fassade von S. Carlo al corso eher zur Abschreckung, als
zur Empfehlung dieser Bauform dienen. (Angeblich von Onorio Lun-
ghi, in der That vom Cardinal Omodei.) Auch diejenige Maderna’s
ban S. Francesca Romana steht weit unter Palladio. Der überwiegende
Typus, welchen seit etwa 1580 Giac. della Porta, Dom. Fontana,
Mart. Lunghi d. ä. etc. geschaffen hatten, blieb immer derjenige
[371]Die Kirchenfassaden.
mit zwei Ordnungen, und zwar früher eher von Pilastern, später eher
von Halbsäulen und vortretenden ganzen Säulen. Das breitere untere
Stockwerk und das schmalere obere werden auf die bekannte Weise
vermittelt, durch Voluten oder durch einfach einwärts geschwungene
Streben; doch ist der Abstand zwischen beiden nicht mehr so bedeu-
tend, wie zur Zeit der Renaissance, indem jetzt die Anlage der Kir-
chen überhaupt eine andere und die Nebenschiffe zu blossen Capellen-
reihen von geringer Tiefe geworden sind (wovon unten). Hie und
da wird die Strebe ganz graziös gebildet, mit Fruchtschnüren ge-
schmückt etc. (S. M. in Campitelli zu Rom, von Rinaldi); anderea
Architekten geben der obern Ordnung dieselbe Breite wie der untern,
lassen jedoch den Giebel bloss dem Hauptschiff entsprechen.
Innerhalb dieser gegebenen Formen bemühen sich nun die Bessern,
in jedem einzelnen Fall die Verhältnisse und das Detail neu zu com-
biniren. Die Harmonie, welche sie nicht selten erreichen, ist eine
rein conventionelle, wie die Elemente, aus welchen sie besteht, wirkt
aber eben doch als Harmonie. Das mässige Vor- und Zurücktreten
einzelner Wandtheile, die engere oder dichtere Stellung der Pilaster
oder Säulen, die Form, Grösse und Zahl der Nischen oder Fenster
wird im Zusammenhang behandelt und bildet ein wirkliches Ganzes.
Dass die gedankenlosen Nachtreter und Ausbeuter in der Majorität
sind, kann auf Erden nicht befremden, nur darf man nach ihnen nicht
die ganze Kunst beurtheilen. Ich möchte die Behauptung wagen, dass
die Bessern dieser Fassaden in der Gesammtbehandlung consequenter
sind, als diejenigen der Renaissance.
Die römischen vom Ende des XVI. und Anfang des XVII. Jahr-
hunderts erscheinen in der Gliederung noch einfach und mässig; blosse
Pilaster, meist noch ohne Nebenpilaster; Halbsäulen nur am Erdge-
schoss, ja selbst nur an den Portalen. Von Giac. della Porta:
Il Gesù, S. Caterina de’ Funari; S. Luigi de’ Francesi, letztere be-b
sonders nüchtern. — Von Mart. Lunghi d. ä.: S. Girolamo de’c
Schiavoni; S. Atanasio. — Von Vincenzo della Greca: SS. Do-d
menico e Sisto, seiner Zeit viel bewundert. — Von Carlo Maderna:
S. Susanna und S. Giacomo degli Incurabili, beide weit besser als diee
Fassade von S. Peter (Seite 337) für welche seine Kräfte nicht hin-
reichten. — Von Gio. Batt. Soria: S. Carlo a’ Catinari, die tüchtigef
24*
[372]Der Barockstyl.
aVorhalle von S. Gregorio u. m. a. — In Neapel konnte schon vor
b1600 eine Missform entstehen, wie die Fassade des Gesù nuovo, mit
ihrer facettirten Rustica, und um 1620 eine so gedankenlose Marmor-
wand, wie die der Gerolomini; beide wären in Rom unmöglich ge-
wesen. (Schon der Travertin nöthigte die Römer zu gleichmässiger
Behandlung, während Neapel zwischen Marmor und Mörtel schwankt.)
Mit Algardi’s Fassade von S. Ignazio und Rinaldi’s säulen-
reicher Fronte von S. Andrea della Valle zu Rom beginnt die derbere
Ausdrucksweise der Fassade von S. Peter ihre Früchte zu tragen:
das Vor- und Rückwärtstreten der einzelnen Flächen, die stärkere
Abwechslung der Gliederungen nebst der entsprechenden Brechung der
Gesimse. (Diejenige von S. Ignazio ist immer eine der besten dieser
dClasse.) An Rinaldi’s sehr interessanter Fassade von S. M. in Cam-
pitelli hat das untere Stockwerk Säulen und Halbsäulen von viererlei
verschiedenem Rang auf eben so vielen Axen. Hier offenbart sich
besonders deutlich das Vorwärts- und Rückwärtstreten der Mauer-
körper als ein malerisches Princip; Abwechslung in den Linien
und starke Schattenwirkung werden leitende Rücksichten, im geraden
Gegensatz zu aller strengern Architektur.
Reine Prahlerei ist dagegen eine Fassade wie die von S. Vin-
cenzo ed Anastasio bei Fontana Trevi, mit ihren gegen das Portal
hin en échelon aufgestellten Säulen. (Von Mart. Lunghi d. j.)
Um die Mitte des XVII. Jahrhunderts, mit dem Siege des ber-
ninischen Styles, tritt dann jene eigentliche Vervielfachung der
Glieder, die Begleitung der Pilaster und Halbsäulen mit zwei bis drei
zurücktretenden Nebenpilastern vollständiger ein.
Der Zweck derselben war nicht bloss Häufung der Formen; viel-
mehr treffen wir hier auf einen der durchgreifendsten Gedanken des
Barockstyls: die scheinbare perspectivische Vertiefung. Das Auge ge-
niesst die wenn auch nur flüchtige Täuschung, nicht bloss auf eine
Fläche, sondern in einen Gang mit Pfeilern auf beiden Seiten hinein
zu sehen.
Theilweise denselben Zweck, nur mit andern Mitteln erstrebt, darf
man auch in der verrufenen Biegung der Fassaden erkennen. Auch
hier wird eine Scheinbereicherung beabsichtigt, wenn die Wand sammt
all ihrer Decoration rund auswärts, rund einwärts oder gar in Wellen-
[373]Die Kirchenfassaden. Ihre Schwingung.
form 1) geschwungen wird. Das Auge hält, zumal beim Anblick von
der Seite, die Biegung für stärker als sie ist und setzt die ihm durch
Verschiebung unsichtbaren Theile reicher voraus als sie sind. Sodann ist
auch hier ein malerisches Princip thätig: dasjenige, die homogenen
Bauglieder, z. B. alle Fenstergiebel, alle Capitäle desselben Ranges
dem Beschauer auf den ersten Blick unter ganz verschiedenen Ge-
sichtspunkten vorzuführen, während die strengere Architektur ihre
Wirkung im geraden Gegentheil sucht. Ich weiss nicht, war es noth-
wendige Consequenz oder nicht, dass die Giebel ausser der Schwin-
gung nach aussen auch wieder eine nach oben annahmen, sodass ihr
Rand eine doppelt bedingte, meist ganz irrationelle Curve bildet; so
viel ist sicher, dass diese Form zu den abschreckendsten der ganzen
Baukunst gehört, zumal wenn die Giebel gebrochen sind. — Es wird
damals theoretisch zugegeben, dass die runde Form unter allen Um-
ständen die schönste sei 2); ohne darauf zu achten, welche Vorbedin-
gungen die wahre Baukunst macht und machen muss.
Francesco Borromini ist für diese geschwungenen Fassaden
der berüchtigte Name geworden, obschon die übelsten Consequenzen
erst von der missverstehenden Willkür der Nachahmer gezogen wur-
den. Sein Kirchlein S. Carlo alle quattro fontane (1667) enthält ina
der That weder innen noch aussen andere gerade Linien als diejeni-
gen an den Fensterpfosten etc. — An S. Marcello am Corso ist dieb
Fronte von Carlo Fontana; S. Luca von Pietro da Cortona;
S. Croce unweit vom Pantheon aus dem XVIII. Jahrhundert. — Eine
Seite kann man diesen Fratzengebilden immerhin abgewinnen: sie sind
wenigstens wirkliche Architektur, können schöne und grossartige
Hauptverhältnisse darstellen und stellen sie bisweilen wirklich dar.
Dies wird man am Besten inne beim Anblick gleichzeitiger venezia-
nischer Kirchenfassaden (S. Moisè, Chiesa del Ricovero, S. Mariac
Zobenigo, Scalzi), welche zwar geradlinig aber keine Architektur mehr,
[374]Der Barockstyl.
sondern marmorne Schreinerarbeit sind. Die kleinlichsten Gedanken
der venezianischen Frührenaissance spuken hier in barocken Wulst
gehüllt fort; es ist die Fantasie jener Schränke von Ebenholz, Elfen-
bein und Email (Studioli), die damals mit schwerem Aufwand für die
Paläste der Grossen beschafft wurden. Der Platzmangel nöthigte wohl
zu einer concentrirten Pracht, allein diese konnte sich auch im Ba-
rockstyl würdiger ausdrücken als durch solche Puppenkasten.
Übrigens war die Herrschaft dieser Fassadenform in Italien keine
lange und keine durchgehende; im XVIII. Jahrhundert sind die wich-
tigsten Fassaden wieder alle geradlinig; so die sehr colossale von S.
aPietro in Bologna und die sich schon dem neuern Classicismus nä-
bhernde am neuen Dom von Brescia; in Rom diejenige von S. Gio-
cvanni de’ Fiorentini, welche Aless. Galilei in Ermanglung der
durch Nachlässigkeit verlorenen Zeichnungen Michelangelo’s entwarf,
ohne sich in die der ältern Zeit angehörige Anlage mit breiten Neben-
schiffen wieder hineinfinden zu können. Von ihm ist auch die Fas-
dsade des Lateran’s 1), wo das vorgeschriebene Motiv einer obern Log-
gia über einem untern Vestibul wahrhaft grossartig von einer riesigen
Halle Einer Ordnung eingefasst ist, die sich oben in fünf Bogen, unten
in fünf Durchgängen mit geradem Gebälk öffnet. (Lehrreiche Parallele
mit der in jeder Beziehung schlechtern Fassade von S. Peter.) Fuga,
ewelcher einige Jahrzehnde später (1743) nach einem ähnlichen Pro-
gramm die Fassade von S. Maria maggiore baute, kehrte zu dem
System zweier Ordnungen zurück, und schuf ein Werk, welches zwar
durch reiche Abwechselung und durch den Einblick in Loggia und
Vestibul malerisch wirkt, aber selbst abgesehen von den sehr aus-
gearteten Einzelformen kleinlich und durch die Seitenbauten gedrückt
erscheint. Gleichzeitig entstand freilich noch viel Schlechteres, z. B.
fdie gewundene Fassade und Vorhalle von S. Croce in Gerusalemme
(von Gregorini). Und doch hatte für kleinere Kirchen mit Vor-
halle und Loggia schon Pietro da Cortona um 1680 ein so tüch-
gtiges Muster aufgestellt wie S. Maria in via lata (am Corso).
Ausser jenen geschwungenen Fassaden kommen übrigens noch
[375]Fassaden. Perspectivische Reizmittel.
viel kühnere Mittel der Scheinerweiterung vor. Derselbe Pietro da
Cortona wusste der kleinen und übel gelegenen S. M. della Pacea
ein majestätisches Ansehen zu geben, indem er vor die Fassade eine
kleine halbrunde Vorhalle, um die hintere Hälfte der Kirche aber eine
grosse, hohe, decorirte Halbrundmauer hinstellte, deren vordere Ab-
schlüsse durch reichmotivirte Zwischenbauten mit der Kirche verbun-
den sind. Das Auge setzt nicht nur hinter dieser Mauer ein grösseres
Gebäude voraus, sondern es würde auch von den beiden contrastirenden
Curven und der schönwechselnden Schattenwirkung auf das ange-
nehmste berührt werden, wenn die Einzelformen etwas reiner wären.
— Bernini, als er um die Kirche von Ariccia ebenfalls eine Halb-b
rundmauer anlegte, brauchte die List, dieselbe nach hinten hin all-
mälig niedriger werden zu lassen, damit das Auge ihr eine weitere
Entfernung und grössere Ausdehnung zutraue; er rechnete nicht dar-
auf, dass nach 200 Jahren eine Brücke über das Thal würde geführt
werden, von welcher aus sein Betrug sich durch die Seitenansicht
verräth. Wir werden ihn noch auf andern Erfindungen dieser Art
betreten.
Die Seitenfassaden, wie überhaupt das ganze Äussere mit
Ausnahme der Hauptfassade und Kuppel, sind in der Regel blosse
Zugabe. Nicht nur wurden die vorhandenen Mittel durch möglichste
Grossräumigkeit (und Pracht) des Innern und durch möglichsten Hoch-
bau in Anspruch genommen, sondern die Kunst hat, auch wo das
Geld ausreichte, auf eine höhere Durchbildung dieser Theile beinahe
verzichtet. Höchstens werden die beiden Ordnungen der Fassade, zu
Pilastern ermässigt, so gut es geht zur Einrahmung und Theilung der
Mauerflächen benützt. Wo Strebepfeiler an die Mauer des Ober-
schiffes hinansteigen, sind sie meist von todter oder sehr barocker
Gestalt. Die tüchtigste Physiognomie zeigen die Aussentheile einiger
oberitalischen Kirchen, vermöge des Backsteins, der hier ungescheut
zu Tage tritt; so z. B. an S. Salvatore in Bologna (von Magenta).c
Der blosse Mörtel dagegen offenbart die ganze Formlosigkeit. Von
den römischen Kirchen bietet nächst S. Peter der Hinterbau von S.
Maria maggiore wenigstens eine grosse und malerisch gut disponirted
Travertinmasse dar.
[376]Der Barockstyl.
Die Thürme sind in diesen Zeiten am leidlichsten, wo sie nur
als kleine, schlanke Campanili von anspruchloser, leichter Bildung
neben die Kirche hingestellt werden. Man gewöhnt sich bald daran,
diesen durchsichtigen Pfeiler als Trabanten der Kuppel hübsch zu
finden und vermisst ihn ungern wo er fehlt. — Sobald dagegen diese
Naivetät wegfällt, sobald der Thurm als solcher etwas bedeuten soll,
geht der hier ganz entfesselte Barockstyl in die unglaublichsten Phan-
tasien über. Borromini baut in Rom Thürme von ovalem Grund-
aplan (S. Agnese in Piazza navona), mit zwei convexen und zwei
concaven Seiten (Kloster der Chiesa nuova), mit spiralförmigem Ober-
bau (Sapienza) u. s. w.; endlich giebt er gleichsam ein Manifest aller
bseiner Stylprincipien in dem Thurm von S. Andrea delle Fratte. Wenn
in diesem Wahnsinn Methode und künstlerische Sicherheit ist, so fehlt
dieselbe ganz in dem (vielleicht) grössten Barockthurm Italiens: dem-
djenigen an S. Sepolcro in Parma. Neben diesem abscheulichen Ge-
bäude kann selbst die Nüchternheit mancher andern Thürme will-
kommen sein.
Viel grössere Theilnahme wurde dem Äussern der Kuppeln
zugewandt, welche das Vorbild der Peterskuppel nach Kräften re-
produciren. Ein wesentlich neues Motiv kommt wohl kaum vor, ob-
wohl sie unter sich äusserst verschieden sind in den Verhältnissen
und im Detail des mit Halbsäulen umgebenen Cylinders und in dem
Wölbungsgrad der Schale. Ich glaube nicht, dass eine in Italien
vorhanden ist, welche dem ungemein schönen, beinahe parabolischen
Umriss von Mansard’s Invalidenkuppel gleichkömmt; doch haben die
meisten spätern mit dieser genannten die bedeutendere Höhe und
Schlankheit gemein. Auch hier offenbart sich der principielle Hoch-
bau des Barockstyles. In Neapel ist die verhältnissmässige Niedrig-
keit der Kuppeln durch die vulcanische Beschaffenheit der Gegend
vorgeschrieben.
Die wichtigsten Neuerungen erfuhr die Anlage des Innern. Zu-
nächst muss von dem weitern Schicksal der bisher üblichen Formen
die Rede sein.
Säulenkirchen kommen zwar noch vor, aber nur als Aus-
nahme und nach 1600 kaum mehr; nicht nur war die ganze ange-
[377]Thürme. Kuppeln. Basiliken. Griech. Kreuz.
nommene Gliederung auf Mauermassen und Pfeilerbau berechnet,
wobei Säulen nur als vorgesetzter Schmuck zur Anwendung kamen,
nicht nur verabscheute man jetzt im Ganzen die Bogenstellungen auf
Säulen, sondern auch das Raumgefühl des Barockstyls fand bei engen
Intervallen jeglicher Art seine Rechnung nicht mehr. Dennoch ge-
hören gerade die paar Basiliken zu den bessern Gebäuden des Styles;
die Gerolomini (oder S. Filippo) in Neapel (von Giobatt. Cavagnia
1597); die Annunziata in Genua (von Giac. della Porta), beib
welcher man sich durch die schwere Vergoldung und Bemalung des
Oberbaues nicht darf irre machen lassen, u. a. m. In S. Siro und inc
Madonna delle Vigne zu Genua (1576 und 1586) stehen je zwei Säu-
len zusammen, wobei der Baumeister durch Anbringung eines Gebälk-
stückes und durch grössere Zwischenweiten sein Gewissen beruhigen
konnte; ein Motiv das damals auch bei allen Säulenhöfen befolgt oder
wenigstens verlangt wurde.
Sodann musste das griechische Kreuz, wie Bramante es für
S. Peter beabsichtigt, Michelangelo schon so viel als durchgesetzt
hatte, einen grossen Eindruck auf alle Architekten machen. Mehr als
ein halbes Jahrhundert hindurch (bis 1605) wusste man von nichts
Anderem, als dass diese Kirche aller Kirchen ein griechisches Kreuz
werden und bleiben solle, welches von seiner Kuppel nach allen
Seiten hin beherrscht worden wäre. In dieser Gestalt kannten die
grossen Baumeister von 1550—1600 S. Peter; auch wir können uns
den Eindruck vergegenwärtigen, sobald wir uns innen an das eine
Ende des Querbaues stellen, oder aussen in die Gegend neben der
Sacristei. — Damals entlehnte hier Galeazzo Alessi, wie wir
sahen (S. 351), die Grundform für seine Madonna di Carignano; spä-
ter, nach 1596, wurde die Madonna della Ghiara in Reggio ent-d
worfen, deren schönes Innere nur durch die vollständige Bemalung
der Gewölbe und Kuppel über dem hellfarbigen Unterbau schwer er-
scheint. Beide Gebäude schliessen allerdings nicht in halbrunden,
sondern in lauter geradlinigen Fassaden, letzteres mit Ausnahme des
Chores. In Rom ist das Innere von S. Carlo a’ Catinari (1612, vone
Rosati) ein schöner Bau dieser Art. Noch in ganz späten Re-
dactionen, wie S. Agnese in Piazza navona zu Rom (Inneres von
Carlo Rinaldi) und S. Alessandro in Zebedia zu Mailand wirktf
[378]Der Barockstyl.
wenigstens die nicht zu verderbende Raumschönheit eines so gestal-
ateten Innern. An dem besten derartigen Bau des vorigen Jahrhun-
derts, an dem herrlichen Dom von Brescia, von welchem noch
weiter die Rede sein wird, ist jener Hauptvortheil, die Herrschaft der
Kuppel über das ganze Äussere, ohne Noth Preis gegeben, und zwar
bloss zu Gunsten jener ungeheuern vorgesetzten Fassade (S. 374, b).
Allerdings ist die Kuppel das späteste, allein sie war von jeher beab-
sichtigt. Von den Armen des griechischen Kreuzes ist hier der hin-
terste (Chor) beträchtlich verlängert. (Ferrara, vgl. S. 211, d und e.)
Für einzelne besonders angebaute Prachtcapellen wurde das
griechische Kreuz die beinahe allein übliche Form, nur dass die Kup-
pel sehr die Hauptsache ausmacht, und die vier Arme mit ihren
Tonnengewölben ihr nur als Stützbogen dienen. Capellen wie diejenigen
bSixtus V und Pauls V in S. Maria maggiore zu Rom wurden schon
durch ihre Pracht mustergültige Vorbilder; ein wahrhaft schöner Bau
cist aber die eben so reiche, nur weniger bunte Cap. Corsini im La-
teran. (Die Cap. Corsini im Carmine zu Florenz, 1675 von Silvani
erbaut, gehört ebenfalls zu den bessern dieser Art.) Die ausgeschweif-
ten Grundpläne borrominesker Capellen, die meist auf Ellipsen zu-
rückzuführen sind, zeigen erst den wahren Werth des griechischen
Kreuzes.
Allein der Gottesdienst war so sehr an Langbauten und auch an
deren Verbindung mit Kuppeln über der Kreuzung gewöhnt, dass eine
Art von mittlerem Ausweg für längere Zeit zur Regel wurde. Es ist
hier wieder an Vignola und an seine Kirche del Gesù in Rom zu
erinnern (S. 343, e). Wenn schon einer der nächsten Schüler Michel-
gangelo’s, Giacomo della Porta, beim Bau von S. Maria a’ monti
sich diesem Vorbild im Ganzen anschloss, wenn dann Maderna’s vor-
deres Langhaus von S. Peter mit einer (trotz der Nebenschiffe) ana-
logen Anlage das natürliche Muster für hunderte von Kirchen noth-
wendig werden musste, so kann die grosse Verbreitung dieses Systemes
nicht mehr befremden.
Das Innere der Barockkirchen wird, wie schon vorläufig ange-
deutet, vorzugsweise 1) ein Weitbau und 2) ein Hochbau.
[379]Neuere Gestalt des Langhauses.
Das Hauptziel des Barockstyls ist: möglichst grosse Haupträume
an Einem Stücke zu schaffen. Dieselben Mittel, mit welchen die Re-
naissance lange, mässig breite Hauptschiffe, geräumige Nebenschiffe
und Reihen tiefer Capellen zu Stande gebracht, werden jetzt darauf
verwandt, dem Hauptschiff und Querschiff die möglichste Breite und
Höhe zu geben; die Nebenschiffe werden entweder stark reducirt oder
ganz weggelassen; die Capellen erhalten eine oft bedeutende Höhe
und Grösse, aber wenig Tiefe. (Natürlich mit Ausnahme der zu be-
sondern Cultuszwecken eigens angebauten.) — Man sieht, dass es sich
wieder um eine Scheinerweiterung handelt; das Auge soll die Ca-
pellen, obschon sie blosse Nischen geworden sind, für Durchgänge
zu vermuthlichen Seitenräumen ansehen.
Der Breitbau zog den Hochbau nach sich. Man findet fortan über
dem Hauptgesimse fast regelmässig eine hohe Attica, und über dieser
erst setzt das Tonnengewölbe an.
Nun tritt auch jene Vervielfachung der Gliederungen (S. 368) in
ihr wahres Licht. Ausser der perspectivischen Scheinbereicherung
liegt ihr das Bewusstsein zu Grunde, dass der einzelne Pilaster bei
den oft ungeheuern Entfernungen von Pfeiler zu Pfeiler nicht mehr
genügen würde. (D. h. dem Auge, und nur als Scheinstütze, denn
constructiv hat er ohnehin keine Bedeutung.)
Ferner ergiebt sich nun noch ein letzter und entscheidender Grund
gegen den Basilikenbau. Die Säulen hätten bei den Verhältnissen,
die man jetzt liebte, in enormer Grösse errichtet werden müssen. Kein
Wunder dass jetzt auch die Halbsäulen, welche noch Palladio so gerne
zur Bekleidung der Pfeiler verwandte, im Ganzen selten werden. Es
setzt sich der Gebrauch fest, die Säulen überhaupt nur noch zur Ein-
fassung der Wandaltäre anzuwenden, in welcher Function sie dann
gleichsam das bewegliche Element des Erdgeschosses ausmachen. Ihr
möglichst prächtiger Stoff (bunter Marmor und, wo die Mittel nicht
reichten, Stuckmarmor) löst sie von der Architektur des Ganzen ab,
doch wollen sie vor der Zeit Bernini’s die Linien des Gebäudes noch
nicht ohne Noth stören; ja der Hauptaltar richtet sich bisweilen mit
seinen Freisäulen nach der Hauptpilasterordnung der Kirche, und
ebenso die Altäre der Capellen nach der Pilasterordnung der letztern
[380]Der Barockstyl.
a(S. Ambrogio in Genua); erst seit der Mitte des XVII. Jahrhunderts
hören alle Rücksichten dieser Art auf, wovon unten Mehreres.
Der vordere Arm der Kirche ist im Verhältniss zum Ganzen sel-
ten lang 1); er überschreitet in der Regel nicht drei Pfeilerintervalle;
bfünf sind schon sehr selten. (Chiesa nuova in Rom, 1599 von Mart.
Lunghi d. ä.) Man wünschte schon sich von der Kuppel nicht zu
weit zu entfernen, abgesehen davon, dass die Kirche auch ohne ein
langes Hauptschiff gross und kostbar genug ausfiel. Den mittlern Ty-
pus dieser Art vertreten nächst dem Gesù in Rom: das Innere von
cS. Ignazio (von Domenichino), S. Andrea della Valle (von Ma-
derna) u. s. w., nebst unzähligen Kirchen der ganzen katholischen
Welt. Schon diese Anlage gewährt, Hauptschiff, Querschiff und Chor
zusammengerechnet, einen verhältnissmässig grössern ununterbroche-
nen Freiraum als irgend ein früherer Baustyl. Zwar ragen die Quer-
schiffe nur wenig hervor, meist nur so weit als die Capellen des
Hauptschiffes, allein der Beschauer wird über diese geringe Tiefe we-
nigstens so lange getäuscht, bis er in die Nähe der Kuppel gelangt
und anderweitig hinlänglich beschäftigt ist.
Und auch diese Anordnung ist dem Barockstyl noch nicht inter-
essant genug. Er unterbricht oft das Hauptschiff mit einem vor-
läufigen kleinern Querschiff, das eine flache Kuppel oder
auch nur ein sog. böhmisches Gewölbe trägt. — Schon die Renais-
sance hatte stellenweise etwas ähnliches versucht (Dom von Padua
S. 320, a, S. Sisto in Piacenza S. 204, a), aber in unschuldigern Absich-
ten; sie wollte nur Räume von bedeutendem Charakter schaffen; der
Barocco dagegen offenbart hier eine ihm (zumal nach 1600) eigene
Scheu vor grossen herrschenden Horizontalen ohne Unterbrechung,
und zieht es vor, das Langhaus zu negiren. Auch seine Neigung zur
Scheinerweiterung kommt dabei in Betracht; das Auge leiht den durch
das Vortreten der Pfeiler abgeschnittenen Armen dieses vordern Quer-
baues wiederum eine Grösse die sie nicht haben. Endlich ist das rein
malerische Princip der möglichsten Abwechselung in Formen und Be-
leuchtungen mit jener Scheu vielleicht eins und dasselbe.
[381]Unterbrechung des Langhauses. Rundbau.
Die bessern Kirchen dieser Art bieten eine prachtvolle Aufein-
anderfolge verschiedenartiger, sich steigernder Coulissen dar (sit venia
verbo), welchen der Chor zur Schlussdecoration dient 1). Man be-
trachte z. B. ohne Vorurtheil das Innere von S. Pietro in Bolognaa
(vom Pater Magenta, nach 1600); das Hauptschiff ist trotz schwe-
rer Ungeschicklichkeiten von grandiosem Effect; hauptsächlich aber
bieten die Nebenschiffe eine Abwechselung grosser und kleiner, hel-
lerer und dunklerer Räume auf einer und derselben Axe dar, deren
Durchblick das Auge mit Entzücken erfüllt. Von demselben Meister
ist S. Salvatore ebenda. Kleiner, später und überladener: Corpus
Domini (oder la Santa). Ein ziemlich würdiges Interieur dieser Art
ist auch dasjenige des Domes von Ferrara (1712, von Mazzarelli).b
War man einmal so weit gegangen, gab man zudem das ganze
Äussere mit Ausnahme der Fassade und etwa der Kuppel Preis, so
blieb das Feld für noch viel kühnere Combinationen offen. Namentlich
wurden in der borrominesken Zeit Rundräume, runde Abschlüsse
mit Halbkuppeln, ja Verbindungen von elliptischen, halbrunden und
irrationell geschwungenen Räumen beliebt. Dieser Art sind in Rom
Borromini’s eigene verrufene Interieurs von S. Carlo alle 4 fon-c
tane und von der Kirche der Sapienza; in Genua mag man bei Ge-
legenheit einen wundersamen Excess dieser Art in der kleinen Kirched
neben S. Giorgio beobachten. Bernini hat sich nie so tief einge-
lassen; seine elliptische Kirche S. Andrea in Rom (Via del Quirinale)e
zeigt Eine sehr deutlich festgehaltene Hauptform, welcher sich die
Capellen gleichmässig unterordnen. Das ansprechendste Interieur die-
ser freieren Art hat wohl unter den römischen Kirchen S. M. inf
Campitelli (von Rinaldi 1665); auf einen Vorderraum in Gestalt
eines griechischen Kreuzes folgt ein Kuppelraum und eine Chornische;
durch sinnreiche Vertheilung vortretender Säulen und Oekonomie des
Lichtes ist ein grosser perspectivischer Reiz in dieses (gar nicht sehr
[382]Der Barockstyl.
ausgedehnte) Ganze gebracht. — In kleinern Kirchen findet man über-
haupt die originellsten Ideen, freilich oft im allerbarocksten Ausdruck.
Übrigens wünschte man auch in dem gewöhnlichern Typus, wie
er seit dem Gesù in Rom sich festgestellt hatte, immer neu zu sein.
So suchte der Barockstyl z. B. für das Aufstützen der Kuppel auf
die vier Hauptpfeiler oder Mauermassen unablässig nach einem leich-
tern und elegantern Ausdruck als ihn etwa S. Peter darbot. Es wur-
den vor den Pfeiler nach beiden Seiten hin Säulen mit vorgekröpftem
Gebälk — doch nur als Scheinträger — aufgestellt, u. s. w. Eine der
ageistvollsten Lösungen des Problems bietet der Dom von Brescia,
wo in den Pfeiler zwei Winkel hineintreten, vor welchen freistehende
Säulen angebracht sind; keine Kuppel scheint leichter und sicherer
zu schweben als diese.
Die Beleuchtung der Kirchen ist, rein vom baulichen Gesichts-
punkt aus, fast durchweg eine glückliche: bedeutendes Kuppellicht
(wenn die Vorhänge nicht geschlossen sind!), Fenster im Tonnen-
gewölbe des Hauptschiffes, grosse und hoch angebrachte Lunetten-
fenster in den Querschiffen, kleinere in den Capellen; also lauter
Oberlicht, gesteigert je nach der Bedeutung der betreffenden Bau-
theile. Aber die Altargemälde kommen dabei erstaunlich schlecht
weg; von denjenigen in den Seitencapellen ist kein einziges auch nur
erträglich beleuchtet. — Wo Seitenschiffe angebracht sind, erhalten
sie womöglich eigene Kuppelchen, welche ihnen durch Cylinderfenster
und Lanterninen wenigstens so viel Licht zuführen, dass die an-
stossende Seitencapelle nicht ganz dunkel bleibt.
Dieses ganze Formensystem offenbart sich am Vollständigsten und
von der günstigsten Seite in solchen Kirchen, welche entweder farb-
los oder doch nur mässig decorirt sind. Wie in der nächstvorher-
gehenden Epoche S. Maria di Carignano in Genua, so verdient in
bdieser der oftgenannte Dom von Brescia — hell steinfarbig von unten
bis zu den einfachen Cassetten der Kuppelschale hinauf — den Vor-
zug der Schönheit vor mehrern Kirchen, die in der Anlage eben so
ctrefflich, dabei aber überladen sind. Der Dom von Spoleto (um 1640)
verdankt seine Wirkung sogar einzig der Farblosigkeit. Einzelne vor-
[383]Beleuchtung. Decoration. Jesuitenstyl.
nehmere Orden, die ihren Gottesdienst so zu sagen nur für sich halten
und keine Gemeinde um sich zu sammeln suchen, bauten sich wohl-
räumige, weisse Kirchen, in welchen nur der Marmorboden und die
Ausstattung der Altäre den Reichthum verrathen. So in Rom S. Gre-a
gorio (Camaldulenser), SS. Giovanni e Paolo (ehemals Jesuaten) etc.
Die Carthäuser dagegen scheinen für ihre noch grössere Abschliessung
einen Ersatz in der vollen Pracht der Kirchen zu suchen. Die Je-
suiten endlich sind für die bunte Überladung der ganzen Decora-
tion sprichwörtlich geworden. Es ist nicht zu läugnen, dass manche
ihrer Kirchen hierin wahre Extreme sind und dass der Pater Pozzo
ihrem Orden angehörte. Nur darf man diess nicht so verstehen, als
hätte es eine speciell jesuitische Kunst gegeben. Je nach den Bau-
meistern (die nur geringsten Theiles vom Orden waren) sind ihre
Kirchen sehr verschieden und selbst die buntesten sind mit einer con-
sequenten Solidität verziert, welche andern Kirchen oft fehlt.
Das malerische Grundgefühl des Barockstyls, welches so viel
Abwechselung in Haupt- und Nebenformen verlangte, als sich irgend
mit der unentbehrlichen Bedingung aller Architektur (der mechanischen
Wahrscheinlichkeit) vereinigen liess, musste in der Decoration sein
volles Genüge und seinen Untergang finden. Das Übel ist nicht die
Buntheit an sich, denn diese könnte ein strenge geschlossenes System
bilden, sondern das Missverhältniss der einzelnen Decora-
tionsweisen zu einander.
Schon in dem architektonischen Theil zeigt sich die Rastlosigkeit,
welche kein Stückchen Wand mehr als blosse Wand existiren lässt.
Was neben den Altären übrig bleibt, wird zu Nischen verarbeitet,
deren Grösse und Gestalt zu der umgebenden Pilasterordnung — sei
es die des Hauptschiffes oder die der Capellen — in gar keinem
rationellen, nothwendigen Verhältniss steht. Wesshalb denn auch
grössere und kleinere abwechseln. Oft klemmen zwei Pilaster eine
obere und eine untere Nische in ihre Mitte ein; es genügt, die Pfeiler
des Schiffes von S. Peter mit einem Pfeiler Palladio’s, z. B. im Re-b
dentore zu Venedig zu vergleichen, um zu sehen, wie eine Nische als
blosser Lückenbüsser und wie anders sie als ernsthaftes Motiv wirkt.
(Wobei wir die höchst bizarre Einfassung mancher Nischen nicht ein-
mal in Betracht ziehen.)
[384]Der Barockstyl.
Pilaster, Friese, Bogenleibungen u. s. w. hatten schon zur Zeit
der Renaissance oft einen reichen ornamentalen Schmuck (gemalt oder
stucchirt) erhalten, der nach strengern architektonischen Gesetzen we-
nigstens den erstern nicht gehörte, sich aber durch die naive Freude
daran und durch den schönen Detailgeschmack entschuldigen lässt.
Der Barockstyl beutet diesen Vorgang mit absichtlichem Missverstand
aus, um bei solchem Anlass seine Prachtstoffe anbringen zu können.
Er geräth wieder in diejenige Knechtschaft derselben, welche mit dem
ersten Jahrtausend (Seite 77, 115) hätte auf immer beseitigt sein
sollen. Es beginnen, namentlich in Jesuitenkirchen, die kostbarsten
Incrustationen mit Marmoren aller Farben, mit Jaspis, Lapis
Lazuli u. s. w. Ein glücklicher Zufall verschaffte den Decoratoren
ades Gesù in Rom jenes grosse Quantum des kostbarsten gelben Mar-
mors, womit sie ihre Pilaster ganz belegen konnten; in andern Kirchen
erschien gewöhnlicher Marmor zu gemein, und der kostbare Jaspis etc.
war zu selten, um in grossen Stücken verwendet zu werden; man gab
dem erstern vermeintlich einen höhern Werth und dem letztern eine
glänzende Stelle, indem man beide zu Mosaikornamenten vermischte.
Und dieselbe Zeit, die sonst so gut wusste was Farbe ist, verfing sich
nun hier in einer barbarischen Gleichgültigkeit, wo es sich um die
Farbenfolge verhältnissmässig einfacher Formen und Flächen handelte.
bDie plumpe Pracht der mediceischen Capelle bei S. Lorenzo in Florenz
(S. 275, a—d) steht ausserhalb dieser Linie; wohl aber kann man z. B.
cdie Incrustation von S. Ambrogio in Genua als normal betrachten,
d. h. als eine solche wie man sie gerne überall angebracht hätte. Hier
sind die Pilaster der Hauptordnung unten roth und weiss, oben schwarz
und weiss gestreift, Capitäle und Gesimse weiss, nur der Fries hat
weisse Zierrathen auf schwarzem Grund; an der untern Ordnung ist
in Marmor aller Farben jenes kalligraphisch gedankenlose Cartouchen-
werk angebracht. Einzelne besonders verehrte Capellen, auch die
Chöre von Kirchen ganz mit spiegelblankem gelbem, gesprenkeltem,
buntgeadertem Marmor zu überziehen, unter den Nischen vergoldete
Bronzereliefs herumgehen zu lassen, die Trauer z. B. in Passions-
capellen durch feinen dunkeln Marmor, ja durch Probirstein auszu-
drücken, wurde eine Art von Ehrenpunkt sobald die Mittel ausreichten.
d(Chor von S. M. Maddalena de’ Pazzi in Florenz; rechtes Querschiff
[385]Interieurs. Incrustationen. Sculpturen.
von S. Carlo in Genua; Capellen in allen reichern Kirchen Roms.) Ina
S. Peter zu Rom füllte Bernini (S. 339) die untere Ordnung vollends
mit Reliefzierrathen in Mosaik an.
Den reichsten Schmuck erhielten insgemein die Theile, welche
dem Auge die nächsten waren, Sockel, Piedestale von Altarsäulen etc.
(Mosaikwappen der Mediceischen Capelle in Florenz, in S. Ambrogiob
in Genua etc.; Capellenschranken in S. Martino zu Neapel). Wer
aber die Stoffe nicht hatte, ahmte sie in Scagliola oder Stuck-
marmor nach, wenn nicht an den Bautheilen selbst, doch wenig-
stens an den Altären. Welch undankbare Opfer man sich doch bisweilen
auferlegte, lehrt z. B. die Jesuitenkirche in Venedig. Das Teppich-c
muster, grüngrau auf weiss, welches die Flächen zwischen den Pi-
lastern, ja auch die Säulen im Chor deckt, wird Niemand beim ersten
Blick für etwas Anderes, als für eine aufgemalte Decoration halten.
Dann denkt man vielleicht an Stucco oder Scagliola, bis das Auge
sich zuletzt überzeugt, dass es sich um ein unendlich kostspieliges
Marmormosaik handelt.
Zu dieser Art von Polychromie wollte dann das Plastische
nur noch im derbsten Ausdruck passen. Die antike Architektur hatte
die Bogenfüllungen mit Relieffiguren, z. B. am Titusbogen mit Victo-
rien beseelt, an welchen man nicht bloss den herrlichsten plastischen
Styl, sondern die vollkommenste Harmonie der Anordnung und des
Reliefmasses mit den Bauformen bewundert. Die Renaissance ahmte
dergleichen zuerst schön und massvoll (Altar Alexanders VI in derd
Sacristei von S. M. del Popolo), dann mit kecker Umwandlung des
Reliefs beinahe in Freisculptur (Jac. Sansovino’s Biblioteca, S. 326)
nach. Der Barockstyl aber gab auch die Harmonie mit der Form der
Bogenfüllung Preis und liess grosse allegorische Figuren in dieselbe
hineinsitzen, so gut es ging. Mit ihrer naturalistischen Auffassung
empfindet das Auge um so peinlicher ihren Anspruch, wirklich da zu
sitzen, wo kein menschliches Wesen sitzen kann. (S. Peter in Rom;e
S. Ambrogio in Genua etc.) Bloss gemalte Figuren desselben natu-
ralistischen Styles (z. B. diejenigen des Spagnoletto in S. Martino zuf
Neapel) sind an dieser Stelle erträglicher, weil sie wenigstens hinter
dem Bogen sitzend gedacht sind und nicht herunter zu fallen drohen.
— In der Folge überlud der Barockstyl noch alle Gesimse, nament-
B. Cicerone. 25
[386]Der Barockstyl.
lich die Altargiebel u. dgl. mit Heiligen und Putten von Marmor und
Gyps. Von irgend einem Verhältniss zwischen diesen Decorations-
figuren und den Statuen der Nischen ist a priori nicht die Rede, da
schon die Nischen selber kein bewusstes Grössenverhältniss mehr zum
Gebäude haben.
Oberhalb der Gesimse beginnt endlich der Raum, in welchem die
entfesselte Decoration ihre Triumphe, bisweilen auch wahre Orgien
feiert. Seit der altchristlichen Zeit hatte die Gewölbemalerei in
Italien nie ganz aufgehört, allein sie hatte sich entweder auf die Kup-
peln und auf die Halbkuppeln der Tribunen beschränkt, oder (wie in
der Schule Giotto’s) sich der baulichen Gewölbeeintheilung strenge
untergeordnet. Zur Blüthezeit der Renaissance hatten in den besten
Gebäuden nur Kuppeln und Halbkuppeln figürliche Darstellungen; die
übrigen Gewölbe waren cassettirt. Michelangelo, der das Gewölbe
der Sistina ausmalte, zog doch für die Hauptgewölbe von S. Peter
die vergoldete Cassettirung vor; Coreggio malte nur Kuppeln und
Halbkuppeln aus. Auch der Barockstyl begnügte sich noch bisweilen
mit einfacher Ornamentirung seiner Tonnengewölbe, doch bald riss
die Deckenmalerei Alles mit sich fort; vielleicht zum Theil, weil die
handfesten Maler sie schneller und wohlfeiler lieferten als die Stucca-
toren ihr sehr massives und kostspieliges Cassettenwerk. Es blieb
noch immer der vergoldeten Stuccaturen genug übrig, in Gestalt von
Einrahmungen aller Art um die Malereien, auch von Fruchtschnü-
ren an Gesimsen, Archivolten u. s. w. Oft sind diese Theile das
Beste der ganzen Decoration. (Festons mit besonderer Beziehung auf
die Gärtner und Lebensmittelhändler als Stifter, in S. Maria dell’
aOrto zu Rom, Trastevere.) Es giebt Beispiele solcher Einrahmungen,
in welchen die unbewegten architektonischen und die bewegten vege-
tabilischen Theile mit einem dritten Bestandtheil zusammen ein über-
aus glückliches Ganzes ausmachen; dieses dritte ist die Muschel, ein
organisches Gebilde und doch in festem Stoff, das gleichsam die Mitte
einnimmt zwischen jenen beiden. Freilich entsteht noch öfter eine
bombastische Fratze als ein schönes Ornament. Doch wir kehren zur
Gewölbemalerei zurück.
[387]Decorationsmalereien. Pozzo.
Dieselbe drängt sich auf jede Weise ein. Zuerst in die Casset-
ten, an die Stelle der Rosetten; sie treibt die Cassette nach Kräften
zum Bilde auseinander. In den Kirchen Neapels um 1600 sind die
Gewölbe bereits in eine Anzahl meist viereckiger Felder getheilt, alle
voll historischer und allegorischer Darstellungen. (Gesù nuovo u. s. w.;a
als profanes Gegenstück: Vasari’s Deckengemälde im grossen Saal des
Pal. vecchio zu Florenz; alles je naturalistischer, desto unleidlicher.)
Dann schafft sie sich bequemere grosse Cartouchen von geschwun-
genen Umrissen und füllt dieselben mit ihren Scenen an (Annunziatab
in Genua). Endlich nimmt sie das ganze Gewölbe als Continuum in
Anspruch. Auch jetzt noch besannen sich die bessern Künstler und
suchten dem grossen Vorbild in der Sistina (s. d. Malerei) jene wun-
dersame Abstufung von tragenden, füllenden und krönenden Figuren,
von ruhigen Existenzbildern und bewegten Scenen abzugewinnen.
(Domenichino: Chor von S. Andrea della Valle; als profanes Beispiel:c
Galerie des Palazzo Farnese in Rom, von Annib. Caracci.) Im Gan-
zen aber schlägt Coreggio’s verführerisches Beispiel siegreich durch;
schon hatte man die Kuppeln mit jenen in Untensicht gegebenen Glo-
rien, Empyreen und Himmelfahrten anzufüllen sich gewöhnt; jetzt er-
hielten fast alle Gewölbe der Kirche solche Glorien, umrandet von
Gruppen solcher Figuren, welche auf der Erde zu stehen censirt sind.
Der Styl und die illusionäre Darstellungsweise wird uns bei Anlass
der Malerei beschäftigen; hier constatiren wir nur die grosse Abtre-
tung, welche sich die Architektur gefallen lässt. — Es war ein rich-
tiges Bewusstsein, welches den Pater Pozzo dazu trieb, diesen Ge-
stalten und Gruppen einen neuen idealen Raum zur Einfassung und
zum Aufenthalt zu geben, welcher gleichsam eine Fortsetzung der
Architektur der Kirche ist, eine möglichst prächtige Hofhalle, über
welcher man den Himmel und die schwebenden Glorien sieht. Es
gehörte dazu allerdings seine resolute Meisterschaft im perspectivischen
Extemporiren von Figuren und Baulichkeiten, seine Herrschaft über
die Nuancen des Tones und die ganze volle Sorglosigkeit in allen
höheren Beziehungen. Sein Gewölbe in S. Ignazio zu Rom ist uner-d
reicht geblieben; er selber hat in S. Bartolommeo zu Modena Gerin-
geres geleistet. Andere Male begnügt er sich mit der blossen per-
spectivisch gemalten Architektur (Scheinkuppel in der Badia zu Arezzo;e
25*
[388]Der Barockstyl.
aSaal in der Pinakothek zu Bologna u. A. m.; umständliche Anwei-
sungen in seinem Lehrbuch.) Aus der spätesten Zeit des Styles ist
bdas Gewölbe im Carmine zu Florenz (um 1780, von Stagi) eine
nicht zu verachtende Arbeit, man glaubt aus einem tiefen Prachthof
durch eine grössere und zwei kleinere Öffnungen in den Himmel zu
schauen. — Gleichzeitig mit Pozzo arbeiteten Haffner und Colonna in
vielen Städten Italiens die baulichen Theile der Deckenmalereien.
Natürlich konnten sich die Maler nie ein Genüge thun. Welche
Kunstgriffe erlaubte man sich bisweilen, um die täuschende Wirkung
auf das Äusserste zu treiben! — Die Maler, trotz ihrer „blühenden
Palette“, vermochten doch ihren Glorien natürlich nie die Helle des
Tageslichtes, geschweige denn den Glanz des Paradieses zu geben;
man hatte die Fenster neben der Malerei zur Vergleichung. Es ge-
schah nun das Mögliche um sie zu verstecken und nur auf das be-
malte Gewölbe, nicht auf die Kirche abwärts wirken zu lassen. Man-
sard in seinem Invalidendom baute zwei Kuppeln über einander, die
obere mit Seitenfenstern, die untere mit einer Öffnung, welche gross
genug war, um die Malereien der obern, nicht aber die Fenster sehen
czu lassen. Am wunderlichsten half sich der Baumeister von S. An-
tonio zu Parma (der jüngere Bibiena, um 1714). Er baute im
Langhaus zwei Gewölbe übereinander, gab dem obern starkes Seiten-
licht, und liess im untern eine Menge barocker Öffnungen, durch
welche man nun die himmlischen Personen und Engel an der obern
Decke hell beleuchtet erblickt. Als Scherz liesse sich der Gedanke
auf ansprechendere Weise verwerthen.
Die daneben noch immer, hauptsächlich in Venedig und Neapel
üblichen, mit einem System von Einzelgemälden überzogenen Flach-
decken erschienen als ein „überwundener Standpunkt“ neben solchen
Kühnheiten; der Ton dieser Ölgemälde war schwer und dunkel neben
den fröhlichen Farben des Fresco. Als endlich in Venedig Tiepolo
die Glorienmalerei in Fresco einführte, ging er mit kecker Übertrei-
bung über alles Bekannte hinaus.
Die erstaunlichsten Excesse beginnen überhaupt erst mit dem
XVIII. Jahrhundert. In der Absicht, das Raumverhältniss der himm-
lischen Schwebegruppen recht deutlich zu versinnlichen und den Be-
schauer von deren Wirklichkeit zu überzeugen, liess man die Arme,
[389]Decorationsmalereien. Das Ensemble. Altäre.
Beine und Gewänder einzelner Figuren über den gegebenen Rahmen
hervorragen (auf vorgesetzten ausgeschnittenen Blechstücken). Die
Figuren der Kuppelpendentifs z. B. sind seitdem in der Regel mit
solchen Auswüchsen behaftet. Ganz drollig wird aber die Prätension
auf Täuschung, wenn einzelne Engelchen und allegorische Personen
ganz aus dem Rahmen herausgeschwebt sind und nun, an irgend einem
Pilaster weislich festgenietet, ihre blechernen Füsse und Flügel über
die architektonischen Profile hinausstrecken. Wen dergleichen inter-
essirt, der durchgehe die Kuppelchen der Nebenschiffe in S. Am-a
brogio zu Genua, einer der belehrendsten Kirchen im Guten wie im
Schlimmen.
Von dieser Art und Massenhaftigkeit ist die Decoration, welche
„zusammenwirken“ soll. Es ist überflüssig, näher zu erörtern, wie
hier Eines das Andere übertönt und aufhebt, wie die einzelnen Theile,
jeder von besondern Präcedentien aus, ihrer besondern Entartung
entgegeneilen und wie sie einander gegenseitig demoralisiren, die
Farbe die bauliche und die plastische Form und umgekehrt. Keines
nimmt Rücksicht auf die Mass- und Gradverhältnisse der andern.
Und doch sind Wohlräumigkeit und gedämpftes Oberlicht so
mächtige Dinge, dass man in manchen dieser Kirchen mit Vergnügen
verweilen kann. Selbst die decorative Überladung hat ihre gute
Seite: sie giebt das Gefühl eines sorglosen Reichthums; man hält sie
für lauter Improvisation höchst begabter Menschen, welche sich nur
eben diessmal hätten gedankenlos gehen lassen. Die geschichtliche
Betrachtung modificirt freilich diess Vorurtheil.
Die übelsten Eigenschaften des Styls culminiren allerdings in dem
centralen Prachtstück der Kirchen: dem Hochaltar, und in den Al-
tären überhaupt. Der Wandaltar, zur Zeit der Renaissance so oft
ein Kunstwerk hohen Ranges, verarmt hauptsächlich in Rom durch
den Gebrauch äusserst kostbarer Steinarten zu einem colossalen, form-
losen Rahmen mit Säulenstellungen. (Cap. Pauls V in S. M. maggiore;b
linkes Querschiff des Laterans etc.) Gegen die Mitte des XVII. Jahr-
hunderts nimmt er dann die borrominesken Schwingungen des Grund-
plans, die Brechungen und Schneckenlinien des Giebels an, welche
[390]Der Barockstyl.
schon an den Fassaden, nur gemässigter, vorkommen. — Noch schlim-
mer geberdet sich der isolirte Altar, welcher, von der Rücksicht auf
die Wand entbunden, eine wahre Quintessenz aller übelverstandenen
Freiheit enthält. Ohne Oberbau wird er ein ganz formloses Gerüst
ain Gestalt eines grossen Kreissegmentes (Hochaltar von S. Chiara in
Neapel); mit einem Oberbau oder Tabernakel, als sog. Altare alla
romana, bietet er vollends die abschreckendsten Formen dar. Ber-
nini’s Frechheit stellte mit dem ehernen Tabernakel von S. Peter
die Theorie auf: der Altar sei eine Architektur, deren sämmtliche
Einzelformen in Bewegung gerathen. Seine gewundenen und geblüm-
ten Säulen 1), sein geschwungener Baldachin mit den vier Giebel-
schnecken haben grösseres Unheil gestiftet, als die Fassaden Borro-
mini’s, welche um Jahrzehnde später, ja vielleicht nur Weiterbildungen
des hier zuerst ausgesprochenen Princips sind. — Ausserhalb Roms
wird der Altare alla romana meist als Prachtgehäuse für eine Statue
oder Gruppe behandelt. Und hier begegnen wir noch einmal dem
Pozzo, welcher in der ganzen Altarbaukunst sein Äusserstes gelei-
stet hat. Vier Säulen erschienen ihm viel zu mager; man muss in
bder Jesuitenkirche zu Venedig sehen, wie er zehn Säulen mit ge-
schwungenen Gebälkstücken zu einer Art von Tempel verband; noch
cschrecklicher aber ist sein Hochaltar a’ Scalzi ebenda. Unter seinen
dWandaltären ist der des heil. Ignatius im linken Querschiff des Gesù
in Rom berühmt durch ungemeine Pracht des Stoffes und Vollstän-
digkeit des Schmuckes (Nebengruppen, eherne Communionbank etc.).
Andere in S. Ignazio u. s. w.
Die Klöster der mächtigern Orden nehmen in dieser Zeit den
Charakter einfacher Pracht, vor Allem der Grossräumigkeit an. Ausser
den Jesuiten verstanden sich hierauf besonders die Philippiner (Padri
dell’ oratorio); an grossartigen Benedictinerabteien dieser Zeit möchte
dagegen Deutschland beträchtlich reicher sein als Italien.
[391]Altäre. Klöster. Hallen.
Wer würdige, bequem geordnete Räume gerne besucht, wird in
den Capitelsälen, Refectorien und Sacristeien dieser Klöster sein Ge-
nüge finden; das eichene, oft geschnitzte Getäfel der untern Theile
der Wand, die hoch angebrachten Fenster, die Stuccaturen und die
bisweilen werthvollen, oft brillanten Fresken der gewölbten Decke
und des obern Theiles der Mauern geben den Eindruck eines Gan-
zen, welches in dieser Einfachheit, Fülle und Gleichartigkeit nur
einer wohlgesicherten Corporation und zwar nur einer geistlichen
angehören kann. Die Corridore sind gewaltig hoch und breit, die
Treppen geben oft denjenigen der grössten Paläste nichts nach.
Die Hallen der Höfe unterliegen, wie der meiste Hallenbau die-
ser Zeit, einer öden, interesselosen Pfeilerbildung; auch zeigt ihre
übergrosse Einfachheit, dass ihnen lange nicht mehr derjenige Werth
beigelegt wird, wie zur Zeit der Renaissance. Indess giebt es ein-
zelne höchst glänzende Ausnahmen; und zwar sind es die wenigen
Fälle, da der Barockstyl sich entschloss, Bogen auf Säulen zu setzen.
Im Einklang mit den übrigen Dimensionen wurden die Bogen gross
und weit, mussten daher auf je zwei mit einem Gebälkstücke ver-
bundene Säulen zu ruhen kommen (S. 377, c). Wir fanden diese Hal-
lenform bereits in dem herrlichen Universitätsgebäude zu Genua (S.
353, e); ein anderes Beispiel, ebenfalls ein früheres Jesuitencollegium,
ist der Hof der Brera in Mailand, einer der mächtigsten des ganzena
Styles, von Richini; mit der Doppeltreppe und den zahlreichen
Denkmälern des untern und des obern Porticus einer der ersten gross-
artig südlichen Baueindrücke, welche den vom Norden Kommenden
erwarten.
An den Palästen dieser Zeit ist, was zunächst die Fassaden
anbelangt, das Gute nicht neu und das Neue nicht gut. Die bessern
von denjenigen, welche nur die Traditionen aus der Zeit des Sanso-
vino, Vignola, Alessi und Palladio wiederholen, sind zum Theil schon
bei Anlass dieser ihrer Vorbilder genannt worden.
[392]Der Barockstyl.
Im Allgemeinen haben diejenigen ohne Pilasterbekleidung das
Übergewicht; bei der bedeutenden Grösse und Höhe der Gebäude
war es aus ökonomischen und baulichen Gründen gerathen, darauf zu
verzichten; auch waren die Pilasterordnungen nicht leicht in Einklang
zu bringen mit den Fenstern der kleinen Zwischenstockwerke (Mez-
zaninen), welche zur Zeit der Renaissance entweder halb verhehlt, d. h.
in die Friese verwiesen, oder doch ganz anspruchlos angebracht wur-
den, jetzt dagegen sich einer gewissen Grösse und Ausschmückung
erfreuen sollten, sodass das Mezzanin ein eigenes Stockwerk wird.
Paläste mit Einer Ordnung, wie die Nachfolger Palladio’s sie ent-
warfen, passten z. B. für die pompliebenden römischen Fürstenfamilien
nicht mehr. Die unschöne und leblose Einrahmung der Mauertheile
in Felder, welche seit dem XVII. Jahrhundert häufig vorkömmt, soll
eine Art von Ersatz bieten, da einmal das Auge die verticale Glie-
derung nicht gerne völlig entbehrt. Das Detail unterliegt theils einer
reich barocken, theils einer wüsten und rohen, missverständlich von
der Rustica abstrahirten Bildung; auch wo es verhältnissmässig rein
bleibt, sieht man ihm die Theilnahmlosigkeit an, womit es, bloss um
seine Stelle zu markiren, gebildet wurde. An den Kranzgesimsen
tritt, während man vor demjenigen des Pal. Farnese in Rom (S. 331, d)
noch immer die grösste Verehrung zu empfinden vorgab, eine er-
staunliche Willkür zu Tage, indem Jeder neu sein wollte. — Eine
wirkliche Neuerung waren, beiläufig gesagt, die grossen Portale;
die Zeit des Reitens begann der Zeit des Fahrens Platz zu machen.
— Der einzige mögliche Werth der Gebäude liegt natürlich nur in
den Proportionen.
Die beste römische Fassade dieser Zeit ist die des Pal. Sciarra,
von Flaminio Ponzio, vermöge der einfachen aber nachdrücklichen
Detailbildung und der reinen Verhältnisse der Fenster zur Mauermasse,
sowie der Stockwerke unter sich. Durch grossartige Behandlung des
Mittelbaues in drei Ordnungen mit offenen Bogenhallen zeichnet sich
bPal. Barberini aus (von Maderna und Bernini). Die Fassade des
dQuirinals gegen den Platz (von Ponzio) zeigt wenigstens eine gross-
artige, noble Vertheilung der Fenster.
Der berühmte Domenico Fontana ist gerade in dieser Be-
ziehung niemals recht glücklich; seine Fenster stehen entweder zu
[393]Paläste.
eng oder sie haben einen kleinlichen Schmuck, der zu den ungeheuren
Fassaden in keiner Beziehung steht. (Pal. des Laterans in Rom; Mu-a
seum — einst Universität — und Palazzo reale in Neapel.) Sein
Werth liegt in den Dispositionen.
Die meisten übrigen römischen Paläste dieser Zeit sind als grosse
Herbergen des hohen Adels und seiner obern und niedern Dienerschaft
erbaut; Zahl und Ausdehnung der Stockwerke sind Sache der Con-
venienz, und damit auch die Composition im Grossen. Die eine Fas-
sade ist besser als die andere, allein keine mehr eine freie künstleri-
sche Schöpfung, obwohl die Grösse des Massstabes und die Solidität
des Baues immer einen gewissen Phantasieeindruck hervorbringen. —
Die Fassaden Neapels stehen in jeder Beziehung um ein Bedeutendes
tiefer; in Florenz, Venedig und Genua herrschen die aus der vorher-
gehenden Periode ererbten Typen weiter. (Seite 327, 345, 354.)
Die Höfe der Paläste werden jetzt häufiger geschlossen als mit
Hallen versehen und haben dann eine ähnliche Architektur wie die
der Fassade, oder ihre Hallen zeigen einen nicht bloss schlichten, son-
dern gleichgültigen Pfeilerbau. Wo aber Säulenhöfe verlangt wer-
den, kommt es gerade wie in jenen Jesuitencollegien zu einzelnen,
leichten, prächtigen Bogenhallen auf gedoppelten Säulen. So im Pal.
Borghese zu Rom (von Mart. Lunghi d. ä.); oft erhält wenigstensb
die eine Seite eine hohe, gewaltige Loggia; so im Pal. Mattei (vonc
Maderna). Der grosse Hof des Quirinals (von Mascherino) wirktd
ganz imposant durch die einfache durchgehende Pfeilerhalle, welche
an der Seite der päpstlichen Wohnung sich zu einer offenen Loggia
steigert. Wo der Zweck des Gebäudes einfache Säulen mit Bogen
rechtfertigte, entstand auch wohl noch eine Halle im Sinne der frü-
hern Renaissance, wie z. B. der grosse Hof im Ospedale maggioree
zu Mailand (von Richini); ein trotz manchem barocken Detail schönes
und majestätisches Bauwerk.
Bei dem so grossen perspectivischen Raffinement des Barock-
styles konnten auch die Höfe nicht leer ausgehen. Der Durchblick
vom Portal her sollte jenseits des Hofes womöglich nicht nur auf einen
bedeutenden Gegenstand, etwa Brunnen mit Statuen, sondern auf eine
Architektur auslaufen, welche wenigstens scheinbar in weite Tiefe
hineinführte. Auch wo die Hinterwand des Hofes nur eine schlichte
[394]Der Barockstyl.
Mauer ist, wird irgendwie für ein solches Schaustück gesorgt, und
wenn man es auch nur hinmalen müsste. Wo ein hinterer Durch-
gang ist, wird er mit grossartigen Formen umgeben und auf diese
Weise irgend eine bedeutende Erwartung geweckt. Der Hof der
aConsulta beim Quirinal (von Fuga) giebt, vom vordern Portal aus
gesehen, ein solches Scheinbild, dem das Ganze des Hofes gar nicht
bentspricht. Im Pal. Spada zu Rom hat Borromini von der linken
Seite des Hofes aus nach einem Nebenhof einen Säulengang ange-
legt, dessen wahre Länge das Auge nicht gleich erräth. — Wie schon
in der vorigen Periode, z. B. in den Palästen von Genua, auf solche
Durchblicke hingearbeitet wurde, ist oben (Seite 350) nachzulesen. —
cAm Palast von Monte Citorio in Rom (von Bernini und Carlo
Fontana) ist der ganze halbrunde Hof mit der Brunnenschale in der
Mitte nur auf den Durchblick aus dem Vestibul berechnet.
Der Stolz der damaligen Paläste sind aber vorzugsweise die
Treppen. Wer irgend die Mittel aufwenden kann, verlangt breite,
niedrige Stufen, bequeme Absätze, steinerne (selten eiserne) Balustra-
den und eine reiche gewölbte Decke. Als das Ideal der Treppenbau-
dkunst galt Bernini’s Scala regia im Vatican mit ihren ionischen
Säulenreihen und ihrer kunstreich versteckten Verengerung. Man wird
in der That zugeben müssen, dass auf einem so geringen Raum nichts
Imposanteres denkbar ist. In den Palästen der neuen Nepotenfamilie
eCorsini zu Rom (von Fuga) und zu Florenz sind dagegen den Dop-
peltreppen eigene grosse Gebäude gewidmet; es war das einzige, wo-
durch man die Paläste vor denjenigen des ältern Adels ganz ent-
fschieden auszeichnen konnte. Die Treppe des Pal. Lancellotti in Velletri
(von Mart. Lunghi d. ä.) ist schon um der Aussicht willen, die
gvon ihren Bogenhallen eingefasst wird, einzig auf Erden. — In eini-
gen Palästen von Bologna (z. B. Pal. Fioresi) erblickt man durch
eine Öffnung des Plafonds die hellbeleuchtete, mit einem Frescobilde
versehene Decke eines obern Raumes. Wiederum eines jener Mittel,
durch welche der Barockstyl die Voraussetzung einer viel grössern
Ausdehnung und Pracht zu erwecken weiss, als wirklich vorhanden
ist. (Vgl. Seite 380, u. m. a. Stellen.)
Was an obern Vestibulen, Vorsälen u. s. w. Gutes ist,
beruht meist auf der Wiederholung früherer Motive.
[395]Paläste. Treppen. Säle.
Die Gemächer und Säle des Innern zeigen zweierlei Gestalt.
Die frühere (etwa 1580—1650 herrschende) hat folgende Elemente:
eine flache geschnitzte oder mit Ornamenten (zweifarbig, mit etwas
Gold) bemalte Sparrendecke; unterhalb derselben ein breiter Fries
mit Historien oder Landschaften in Fresco; über dem Kamin ein
grösseres Frescobild; der Rest der Wand entweder vertäfelt oder
(ehemals) mit Tapeten, etwa gemodelten Ledertapeten, bezogen. Die
spätere Gestalt zeigt Säle mit verschalten Gewölben, an welche
die Fresken verlegt werden; die Wand entweder ganz mit Tapeten
bedeckt, oder auch mit grossen Perspectiven bemalt. — In den Palä-
sten von Bologna herrscht der erstere Typus vor; in denjenigen von
Genua mischen sich beide Gattungen; in Rom enthält z. B. Pal. Cos-a
taguti ausgezeichnete Beispiele beider, Pal. Farnese aber ausser demb
grossen Saal (S. 296, c) die berühmte Galeria des Annibale Caracci,
welche eines der wenigen ganz architektonisch und malerisch durch-
geführten Prachtinterieurs dieser Zeit ist.
Phantasiereiche Prachtsäle wird man durchschnittlich eher in den
Villen zu suchen haben, wo das doppelte Licht, von vorn und von
der Rückseite, benützt wurde und wo das Erdgeschoss nicht durch
die Einfahrten in Anspruch genommen war. In dem Casino der Villac
Borghese (von Vasanzio) kömmt noch ein Luxus der Incrustation
hinzu, welcher dem hintern Saal einen wahrhaft einzigen Stoffwerth
giebt. (Die Verwendung der Steine besonnener und geschmackvoller
als in irgend einer Kirche.)
Das Prachtstück der Paläste war jetzt nicht der grosse, mittlere,
quadratische, sondern ein schmaler länglicher Saal, etwa mit Säulen-
stellungen und bemaltem Gewölbe, la galeria genannt. Sehr statt-
lich im Palazzo reale zu Genua, im Pal. Doria zu Rom und im Pal.d
Colonna ebenda (von Antonio del Grande). — Von eigentlichem
Rococo findet man in Italien nicht eben viele Proben, da die pla-
stische Durchführung der Wanddecoration, wo sie versucht wurde,
zu viele inländische Vorbilder fand; doch ist der berühmte Saal des
Pal. Serra in Genua (Str. nuova), von dem Franzosen de Wailly,e
auch nach Versailles noch sehr sehenswerth als eine der schönsten
und ernsthaftesten Schöpfungen dieses Styles, schon mit einem Anflug
des wiedererwachenden Classicismus.
[396]Der Barockstyl.
Die Gesimse machen nicht selten einen phantastischen Über-
gang zu den gemalten Gewölben, durch barocke Steigerung, Schwin-
gung und Unterbrechung; die Stuccofiguren, welche aus ihrem Laub-
werk hervorkommen, werden schon in die am Gewölbe gemalte Hand-
lung gleichsam mit hineingezogen. Weit das Bedeutendste dieser Art
asind die von Pietro da Cortona angegebenen Gesimse in den von
ihm gemalten Sälen des Pal. Pitti zu Florenz. Wenn diese ganze
Decorationsweise ein Irrthum ist, so wird wohl nie ein Künstler mit
grösserer Sicherheit geirrt haben. Andere Rahmen als diese Gesimse
darbieten, lassen sich zu diesen Malereien gar nicht ersinnen.
Wie die damalige Baugesinnung im Grossen zu rechnen gewohnt
war, zeigt sich besonders an einigen Bauten in Rom, welche ausser-
halb Italiens und vollends in unserm Jahrhundert kaum denkbar
wären. Die Architekten mögen sich z. B. fragen, in welcher Form
bgegenwärtig eine grosse Treppe von Trinità de’ Monti nach dem spa-
nischen Platz hinab angelegt werden würde? und ob man es wohl
wagen würde, Rampen und Absätze anders als in rechten Winkeln
an einander zu setzen? Specchi und De Santis, welche (1721
bis 1725) die jetzt vorhandene Treppe bauten, wechselten beneidens-
werth leichtsinnig mit Rampen und Absätzen der verschiedensten Grade
und Formen und sparten die interessantern Partien, nämlich die Ter-
rassen, für die obern Stockwerke 1). Sie fanden eine Vorarbeit in
cder 1707 erbauten Ripetta, welche vielleicht praktischer, aber nicht
leicht malerischer hätte angelegt werden können. — Wiederum eine
dganz einzige Aufgabe gewährte Fontana di Trevi. Einst hatten
Domenico Fontana die Acqua Felice bei den Diocletiansthermen, Gio-
vanni Fontana die Acqua Paolina aus geistlos decorirten colossalen
Wänden mit Nischen hervorströmen lassen und dem Wasser erhöhte
Becken gegeben. Niccolò Salvi dagegen ersetzte das Architekto-
nische durch das Malerische; um das Wasser in allen möglichen
Functionen und Strömungsarten und doch überall mächtig (nicht in
kleinlichen Künsten) zu zeigen, liess er es aus einer Gruppe von Fel-
[397]Stadttreppen. Brunnen. Wahl der Bauplätze.
sen entspringen und legte das Becken in die Tiefe, als einen See.
Die Sculpturen und die das Ganze abschliessende Palastfassade sind
wohl blosse Decorationen, letztere aber mit dem triumphbogenartigen
Vortreten ihres Mittelbaues, wodurch Neptun als Sieger verherrlicht
wird, giebt doch dem Ganzen eine Haltung und Bedeutung, welche
jenen beiden andern Brunnen fehlt.
Die Brunnen auf öffentlichen Plätzen und in Gärten (s. unten)
haben meist sehr barocke und schwere Schalen (Bernini’s Bar-a
caccia, auf dem spanischen Platz etc.) Doch giebt es einige, in
welchen die einfache Architektur mit dem springenden und ablaufen-
den Wasser ein vortreffliches Ganzes ausmacht; so die beiden unver-
gleichlichen Fontainen vor S. Peter (von Maderna), diejenigen im vor-b
dern grossen Hof des Vaticans, im Hof des Palastes von Monte Gior-
dano u. s. w. Von solchen, deren Hauptwerth auf plastischen Zuthaten
beruht, wird bei Anlass der Sculptur die Rede sein.
Endlich ein Vorzug, wonach die bessern Baumeister aller Zeiten
gestrebt haben, der aber damals besonders häufig erreicht wurde.
Schon abgesehen von den perspectivischen Reizmitteln am Ge-
bäude selbst ist nämlich anzuerkennen, dass der Barockstyl sehr auf
eine gute Wahl des Bauplatzes achtete. In tausend Fällen
musste man natürlich vorlieb nehmen mit dem Raum, auf welchem
eine frühere Kirche, ein früherer Palast wohl oder übel gestanden
hatte. Wo aber die Möglichkeit gegeben war, da wurden auch be-
deutende Opfer nicht gescheut, um ein Gebäude so zu stellen, dass
es sich gut ausnahm. Man wird z. B. in Rom bemerken, wie oft die
Kirchen den Schluss und Prospecteiner Strasse bilden; w ie vorsich-
tig die Jesuiten den Platz vor S. Ignazio so arrangirt haben, dass erc
ihrer Fassade zuträglich war; wie Vieles geschehen musste, um der
Chorseite von S. Maria maggiore die Wirkung zu sichern, die sie jetztd
(wahrlich nicht Styleshalber) ausübt; wie geschickt die Ripetta
(1707) zu der schon früher vorhandenen Fronte von S. Girolamo hinzu-e
geordnet ist u. dgl. m. Auch in dem engen Neapel hat man um je-
den Preis den wichtigern Kirchen freie Vorplätze geschaffen, ja selbst
in Genua. Der Hochbau wird selbst bei geringen Kirchen da ange-
[398]Der Barockstyl.
wendet, wo man damit einen bedeutenden Anblick hervorbringen,
einen Stadttheil beherrschen konnte. Wie schmerzlich würde das Auge
az. B. in Florenz S. Frediano, in Siena Madonna di Provenzano ver-
missen, die doch vermöge ihres Styles keinerlei Theilnahme erwecken.
bIn Venedig hat schon Palladio sein schönes Inselkloster S. Giorgio
maggiore so gewendet, wie es der Piazzetta am besten als Schluss-
decoration dienen musste. Vollends sind die Dogana di mare (1682)
cund die Kirche della Salute (1631) mit aller möglichen perspectivi-
schen Absicht gerade so und nicht anders gestaltet und gestellt wor-
den. Longhena, der die Salute baute, wusste ohne Zweifel, wie
sinnwidrig die kleinere Kuppel hinter der grössern sei, aber er schuf
mit Willen die prächtigste Decoration; ausser den beiden Kuppeln
noch zwei Thürme; unten ringsum Fronten, die theils von S. Giorgio,
theils von den Zitelle (Seite 363, b) geborgt sind; überragt von unge-
heuern Voluten und bevölkert von mehr als 100 Statuen. Wie sich
der so vielgebrochene Umgang des Achtecks im Innern ausnehmen
würde, kümmerte den Erbauer offenbar wenig. (Das Achteck selbst
ist innen ganz nach S. Giorgio stylisirt; dahinter folgt ausser dem
zweiten Kuppelraum noch ein Chor.) Und wie grundschlecht die ganze
Decoration von hinten, von der Giudecca aus sich präsentiren müsse,
war ihm vollends gleichgültig.
Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts werden zuerst Anläufe,
dann ernstliche Versuche zur Erneuerung des echten Classicismus ge-
macht. Es sind für Italien weniger die Stuart’schen Abbildungen der
Alterthümer von Athen, als vielmehr neue ernstliche Studien der rö-
mischen Ruinen, welche im Zusammenhang mit andern Bewegungen
des italienischen Geistes den Ausschlag geben. Ganz speciell war das
Detail des Barockstyls dermassen ausgelebt, dass der erste Anstoss
ihm ein Ende machen musste; schon etwa seit 1730 hatte man lieber
ganz matte, leere Formen gebildet, als jenen colossalen Schwulst
wiederholt, zu welchem seit Pozzo und den Bibiena Niemand mehr
die erforderliche Leidenschaft und Phantasterei besass. Der Cultus
Palladio’s in Oberitalien (Seite 364) kam der neuen Regung nicht
wenig zu Hülfe.
[399]Anfänge des neuen Classicismus.
Bisweilen zeigt sich dieses Neue in wunderlicher Zwittergestalt.
Die Kirche und der Vorplatz des Priorato di Malta in Rom gebena
vollständig denjenigen Haarbeutelstyl wieder, welchen man um 1770
in Frankreich „à la grecque“ nannte; ein Werk desselben Piranesi,
der um die genaue Kenntniss des echten römischen Details sich so
grosse Verdienste erwarb. — Der grösste italienische Baumeister dieser
Zeit ist wohl Michelangelo Simonetti, welcher unter Pius VI
im Vatican u. a. die Sala delle muse, Sala rotonda und Sala a croceb
greca nebst der herrlichen Doppeltreppe errichtete; edle und für Auf-
stellung von Antiken auf immer classische Räume, welche die Stim-
mung des Beschauers leise und doch mächtig steigern. (Eine nicht
unwürdige Nachfolge aus unserm Jahrhundert: der Braccio nuovo,
von Raffaelle Sterni). — Die Familie Pius VI baute durch Mo-
relli den Pal. Braschi, welcher die Compositionsweise der vorigenc
Periode merkwürdig in classisches Detail übersetzt zeigt, vorzüglich
aber durch seine prächtige Treppe berühmt ist.
Ausserhalb Rom ist nicht eben vieles von diesem Styl vorhanden,
oder das Bessere ist dem Verfasser entgangen. In Bologna wird man
mit Vergnügen den Pal. Ercolani besuchen, welcher zwar seine Ga-d
lerie eingebüsst, aber Venturoli’s herrliches grosses Treppenhaus
mit Pfeilerhallen oben ringsum beibehalten hat. In Genua ist ausser
dem schon genannten Treppenhaus Tagliafico’s im Pal. Filippoe
Durazzo (S. 345, f) die jetzige Fronte des Dogenpalastes, ein schönesf
Werk des Tessiners Simone Cantoni, zu erwähnen; der Saal des
ersten Stockwerkes entspricht freilich seinem Ruhm nicht ganz.
Seit 1796 wurde Italien in Weltschicksale hineingezogen, welche
seinen Wohlstand vorläufig zernichteten und einen starken Riss in seine
Geschichte machten. Wir versagen uns die Schilderung seiner Kunst
im laufenden Jahrhundert.
Im XVII. Jahrhundert bildete sich der italienische Gartenstyl
zu seiner höchsten Blüthe aus, dem wir hier als wesentlicher Ergän-
zung zur modernen Architektur eine besondere Betrachtung schuldig
[400]Villen und Gärten.
sind. (Der Verfasser ersucht um Nachsicht wegen seiner mangelhaften
Kenntniss des Gegenstandes.)
Die Anfänge dieses Styles sind unbekannt. Man liest wohl von
einzelnen prächtigen Anlagen aus dem XV. Jahrhundert und die Hin-
atergründe damaliger Malereien (Benozzo Gozzoli im Campo santo zu
Pisa etc.) geben auch eine Art von Phantasiebild, allein keine dieser
Anlagen ist irgend kenntlich erhalten.
Im XVI. Jahrhundert möchte Bramante’s ursprünglicher Ent-
bwurf zu dem grossen vaticanischen Hof (Seite 306) eine bedeutende
Anregung zu grandioser künstlerischer Behandlung der Gärten gege-
ben haben, besonders durch die Doppeltreppe mit Grotten, deren Stelle
jetzt die Bibliothek und der Braccio nuovo einnehmen. Der jetzige
cgrosse Garten hinter dem Vatican rührt auch noch aus dem XVI. Jahr-
hundert her und giebt wenigstens einen Begriff von den Hauptprin-
cipien der spätern Gartenkunst: Anlage in architektonischen Linien,
welche mit den Gebäuden in Harmonie stehen; ein tiefliegender wind-
geschützter Prunkgarten mit figurirten Blumenbeeten und Fontainen;
umgeben durch hochliegende Terrassen (als stylisirten Ausdruck des
Abhanges) mit bedeutender immergrüner Vegetation, besonders Eichen.
Vielleicht hat gerade die Villa Pia ihre echte alte Umgebung nicht
mehr (Seite 316, e).
Das reichste, durch Naturvorzüge ewig unerreichbare Beispiel eines
dPrachtgartens bietet dann die schon 1549 angelegte Villa d’Este
in Tivoli. Der steile Abhang und die vom Gewaltigen bis ins Nied-
liche unter allen Formen benützte Wassermasse des Teverone waren
Elemente, die anderswo sich nicht wieder so zusammenfanden. Das
zu Grunde liegende Gefühl ist übrigens noch ganz das phantastische
des XVI. Jahrhunderts, welches steile Absätze und den Abschluss
der Perspective durch wunderliche Gebäude und Sculpturen liebte.
eAls kleinere Anlage aus nicht viel späterer Zeit ist der schöne Garten
des Pal. Colonna in Rom zu nennen. Die drei bedeutendsten rö-
mischen Gartenanlagen des XVI. Jahrhunderts sind freilich unterge-
gangen (bei Villa Madama, bei Vigna di Papa Giulio und die Orti
Farnesiani auf dem Palatin, eine Schöpfung Vignola’s), sodass ein
Durchschnittsurtheil kaum zu geben ist. Der Garten an der Farnesina
im Trastevere hat keinen höhern Zusammenhang mit dem Gebäude.
[401]Villen und Gärten.
In Genua ist der Garten des Pal. Doria eine ziemlich altea
Anlage (seit 1529); die Treppen zum Theil mit Bogenhallen bedeckt;
die Gestalt der Hauptfontaine (mit der Statue des Andrea Doria als
Neptun) vielleicht der älteste erhaltene Typus dieser Art.
In Florenz entstand der Garten Boboli unter der Leitung desb
Bildhauers Tribolo und später des Architekten Buontalenti, schon
zur Zeit Cosimo’s I. Die Wasserarmuth des Hügels, welche nur wenige
Fontainen und ein Becken in der Tiefe gestattete, wird vergütet durch die
Schönheit der Aussicht; das Motiv des Circus an der Stelle des Prunk-
gartens, mit der Umgebung von Eichen-Terrassen, ist grossartig und
glücklich als Fortsetzung der Seitenflügel des Hofes in’s Freie ge-
dacht; zu den hintern, tiefliegenden Theilen mit Gian Bologna’s Insel
führt jene steile Cypressenallee, die als solche kaum mehr ihres Glei-
chen hat, während es anderwärts viel schönere einzelne Cypressen
giebt. Sie ist ein wahrhaft architektonischer Gedanke.
Prachtgärten wurden eine mediceische Leidenschaft und der
schon genannte Buontalenti legte für Cosimo und Francesco deren
mehrere an, worunter der berühmte von Pratolino. Die ganze Gat-c
tung blieb, beiläufig gesagt, fortwährend ein Zweig der Baukunst und
eine Sache der Architekten, welchen sie auch von Rechtswegen ge-
hörte. (Wenn auch Ludwig XIV seinen besondern Gartenmeister Le
Notre hatte, so sind doch dessen Anlagen so architektonisch als irgend
welche jener Zeit; in Rom gehört ihm Villa Ludovisi, s. unten.)
Die berühmten Anlagen der letzten Herzoge von Ferrara sollen
sämmtlich untergegangen oder unkenntlich geworden sein.
Vom Ende des XVI. Jahrhunderts an bildet sich das System der
italienischen Gartenkunst vollständig aus. Das Bunte und Kleinliche
verschwindet oder wird versteckt und dann oft in grosser Masse an-
gewendet; die Wasserorgeln, Windstösse, Vexirstrahlen und was sonst
von dieser Art die Besitzer glücklich machte, bekommen ihre beson-
dern Grotten, der Garten aber wird harmonischer als früher den
grossen Linien und Perspectiven, den möglichst einfachen Contrasten
gewidmet. Auch in den Wasserwerken herrscht das Barocke nicht
B. Cicerone. 26
[402]Villen und Gärten.
so vor, wie man wohl annimmt und einzelne davon sind so schön
und ruhig componirt, so zur Umgebung gedacht, dass sich nichts
Vollkommneres in dieser Art ersinnen lässt. Das Ganze hat nun einen
Zweck, welcher demjenigen des sog. englischen Gartens geradezu ent-
gegengesetzt ist. Es will nicht die freie Natur mit ihren Zufälligkeiten
künstlich nachahmen, sondern die Natur den Gesetzen der Kunst dienstbar
machen. Wo man krumme Wege, Einsiedeleien, Chinoiserien, Stroh-
hütten, Schlossruinen, gothische Capellen u. dgl. antrifft, da hat mo-
dernste Nachahmung des Auslandes die Hände im Spiel gehabt 1). Der
Italiener theilt und versteht die elegische Natursentimentalität gar nicht,
wovon diess die Äusserungen sind oder sein sollen. Das Wesentliche
des italienischen Gartens ist vor Allem die grosse, übersichtliche, sym-
metrische Abtheilung in Räume mit bestimmtem Charakter. Zunächst
ist der genannte Prunkgarten und seine Umgebung von Terrassen
mit Balustraden und Rampentreppen der reichsten architektonischen
Ausbildung fähig, durch halbrunden Abschluss (als sog. Teatro),
durch Abstufung, durch Grotten und Fontainen; insgemein steht er
im nächsten Zusammenhang mit dem Gebäude der Villa. Dann wer-
den Thäler und Niederungen stylisirt durch Absätze, und das in stets
gerader Linie durchfliessende Wasser zu Bassin’s erweitert und wo-
möglich zu Cascaden aufgesammelt, deren mässiges Träufeln durch
architektonischen und mythologischen Schmuck motivirt wird und daher
nicht lächerlich erscheint, wie der künstliche Naturwasserfall des eng-
lischen Gartens bei ähnlicher Armuth. Oder es wird eine Niederung
als Circus gestaltet (und sogar als solcher gebraucht). Oder ein ganzes
Thal, eine ganze Gegend wird auch einer bestimmten Vegetation über-
lassen, doch nicht bis zum vollen Eindruck des Ländlichen; den Pi-
anienhain der Villa Pamfili z. B. wird Niemand für einen wild ge-
wachsenen Pinienwald halten. Sodann erhalten die (sämmtlich gerad-
linigen) Gänge, die womöglich auf bedeutende Ausblicke, auch auf
Brunnen und Sculpturen gerichtet sind, entweder eine blosse Einfassung
oder eine Überwölbung von immergrünen Bäumen; im erstern Fall
[403]Villen und Gärten.
dichte Cypressenhecken und Lorbeern, im letztern vorzugsweise Eichen.
Diese Einfassung macht zugleich die der Öconomie überlassenen Stücke
des Gartens unsichtbar.
Es wird hier durchaus im Gros sen gerechnet; indess ist nicht zu
läugnen, dass ohne die Mitwirkung des Irrationellen, der Bergfernen,
der ländlichen oder städtischen A ussichten, auch wohl des Meeres
und seiner Küsten der Eindruck vielleicht ein schwerer und drücken-
der sein würde. Ein solcher ist (mindestens für mein Gefühl) der des
Gartens von Versailles, dessen letzte Perspectiven sich in die unbe-
deutendste aller Gegenden verlaufen. Auch die vollkommenste Ebene,
wenn sie nur durch Berglinien beherrscht wird, kann sich zum italie-
nischen Garten eignen, während hier das so bedeutend behandelte
Terrassenwerk die mangelnde Aussicht nicht ersetzt. Der Contrast
der freien Natur oder Architektur, welche von aussen in den italieni-
s chen Garten hereinschaut, möchte geradezu eine Grundbedingung des
Eindruckes sein.
Wir beginnen diese zweite Reihe mit der einst herrlichen Villaa
Montalto-Negroni auf dem Viminal und Esquilin, angelegt seit
etwa 1580, noch in ihrem verwilderten und zum Theil ausgeholzten
Zustande schön und ehrwürdig. Das untere Casino ein Bau Dome-
nichino’s; sonst im Ganzen mehr das Ländliche als das Bauliche vor-
herrschend; bedeutende Mitwirkung der Kirche S. Maria maggiore;
vom Cypressenhügel aus eine grandiose Aussicht auf die Campagna.
Villa Aldobrandini bei Frascati (der Garten wahrscheinlichb
mit dem Palast von Giacomo della Porta angelegt) ist dagegen
ein prächtiges, durch hohe natürliche Vortheile begünstigtes Haupt-
b eispiel des strengen Styles. Der Prunkgarten auf hoher Terrasse,
zu welcher Rampen emporführen; an dessen Rückseite der Palast, an
Masse und Styl sehr verschieden von den Casini römischer Stadtvillen,
welche blosse Absteige- und Fest-Hallen sein wollen. Dahinter das
mächtige Teatro mit Grotten und Fontainen, und über demselben die
Eichen, durch deren Mitte die von einer obern Fontaine herunterkom-
mende Cascade fliesst; einer Menge Nebenmotive nicht zu gedenken.
(Villa Mattei auf dem Cölius, 1582, ist gegenwärtig und aufc
längere Zeit unzugänglich.)
26*
[404]Villen und Gärten.
Villa Medici auf Monte Pincio, jetzige Académie de France,
ebenfalls vom Ende des XVI. Jahrhunderts; das Gebäude, von Anni-
bale Lippi, zeigt wenigstens auf der Rückseite den Charakter der rö-
mischen Casini schon ziemlich vollendet: luftige Hallen und Bekleidung
der Wandfläche mit antiken Reliefs. Der Prunkgarten (und seine Fort-
setzung in grossen einfachen Laubgängen) ist überragt von einer hohen
Eichenterrasse, aus welcher eine Stufenpyramide (nicht etwa ein Hü-
gel mit Spiralgängen nach Art englischer Gärten) als Belvedere em-
porsteigt.
Der Garten des Quirinalischen Palastes, einfach und
grossartig, wahrscheinlich von Carlo Maderna (nach 1600), wel-
cher wenigstens die Grottenpartie mit den Spielwassern etc. entwarf
und sie in eine Ecke links unter der Terrasse des Prunkgartens ver-
wies. Das Casino (von Fuga) ist spät und für seine Bestimmung
schwer und meschin.
Villa Mondragone bei Frascati, der Riesenbau Paul’s V und
seiner Familie, einst (wenigstens dem Entwurf nach) eines der voll-
ständigsten Specimina des strengen Styles, ist gegenwärtig in trauri-
gem und unschönem Verfall und lohnt den Besuch auch wegen der
(von andern Punkten aus reichern) Aussicht kaum.
Villa Borghese vor Porta del Popolo; der ältere Theil mit
dem Casino des Vasanzio (S. 395, c), an welches sich der Prunkgarten
seitwärts anschliesst, umfasst ausser den mehr ländlichen Theilen und dem
(in neuerer Zeit angelegten) Circus auch noch einen besondern archi-
tektonisch angelegten Eichenhain, dessen Aesculaptempel, inmitten
eines kleinen Sees, indess von neuerem Datum ist. Der zwecklose
Vandalismus des Jahres 1849 hat die Hälfte des Hains gefällt. — Die
neuern Theile der Villa, bei demselben Anlass verheert, waren in ein-
zelnen Partien mehr mit Absicht auf malerisch landschaftliche Wir-
kung im Sinn der Schule Poussins angelegt.
Auch Villa Pamfili vor Porta S. Pancrazio hat 1849 stark ge-
litten, doch glücklicher Weise nicht in den wesentlichen Theilen. Die
Anlage, von Algardi (nach 1650), war durch die grossartigsten Vor-
theile, durch herrliche hohe Lage und den Wasserreichthum der Acqua
Paolina unterstützt. Ein System von Eichenhallen, rings um eine
Wiese, fasst den Blick auf das Casino ein, welches mit antiken Sculp-
[405]Villen und Gärten.
turen fast bedeckt ist. Hinter demselben, von Eichenterrassen umge-
ben, folgt der tiefliegende Prunkgarten und dann eine noch tiefere
Fläche, welche ehemals in dichter Laubnacht eine wunderbare Fülle
von springenden Wassern längs einer Terrasse und eines Teatro ent-
hielt, gegenwärtig aber durch eine höchst unglückliche englische Partie
ersetzt wird. Zu beiden Seiten dieser Hauptanlage, namentlich rechts,
dehnen sich die mehr ländlichen, aber noch immer in einfachen ar-
chitektonischen Gesammtlinien gegebenen grossen Nebenpartien aus:
die Anemonenwiese und das Thal mit dem Laghetto; den Abschluss
macht jener berühmte Pinienhain, der an gleichartiger Macht der Bäume
und Kronen in Italien wohl seines Gleichen sucht.
Villa Conti (jetzt Torlonia) bei Frascati macht vielleicht vona
allen den reinsten und wohlthuendsten Eindruck, während sie an
Ausdehnung und Zahl der Motive von vielen andern Gärten über-
troffen wird. Nur eine obere (dichte) und eine untere (lichte) Eichen-
terrasse, aber von den herrlichsten Wasserwerken belebt und mit der
schönsten Aussicht.
Villa Ludovisi auf Monte Pincio, von Le Notre angelegt,b
mit einzelnen grandiosen Partien (vorn) und angenehmen Schatten-
gängen. Die neuern Theile von buntestem sog. englischem Styl.
Der Garten des Pal. Barberini in Rom, ehemals herrlich.c
Aus dem XVIII. Jahrhundert stammt zunächst der Garten Cor-d
sini am Abhang des Janiculus; nur Ein Motiv ist von strengerm
Styl, dieses aber erhaben schön, nämlich die Cascade mit Fontaine
zwischen den Ahornbäumen.
Villa Albani vor Porta Salara, Gebäude und Garten angelegte
von Carlo Marchionne unter der Leitung des Cardinals Alessan-
dro Albani; direktes Übergewicht der architektonischen Linien und
der Architektur selbst, unter bedeutender und hier einzig durchgän-
giger Mitwirkung antiker Sculpturen; die Eichen nur als Abschluss und
Hintergrund; Einzelnes schon mit rein malerischer Absicht angelegt;
der Blick auf das Sabinergebirge sehr mit in Rechnung gebracht, und
desshalb die vordern Theile ganz licht mit blossen Cypressenhecken.
Der Garten des Priorato di Malta auf dem Aventin mit einemf
einfachen Laubgang, der direkt auf die Kuppel von S. Peter gerichtet
ist. Vielleicht von Piranesi, der wenigstens die Gebäulichkeiten angab.
[406]Villen und Gärten.
Eine Menge kleinerer Villen verdanken einen bisweilen unbe-
schreiblichen Reiz wesentlich ihrer Lage und Aussicht. (Die ruinirte
aVigna Barberini bei S. Spirito; die ebenfalls ganz vernachlässigte
Villa Spada hinter der Acqua Paolina, nebst den übrigen Villen des
bJaniculus; Villa Spada oder Mills auf dem Palatin, deren erbärmliches
jetziges Casino diese Stelle nicht ewig verunzieren wird; der Garten
der Passionisten auf dem Coelius u. a. m.). Andere, auch in wenig
bevorzugter Lage, enthalten doch einzelne Elemente von grossem
Reiz oder erwecken durch ihren Charakter dieselbe Stimmung, welche
jene grössern und berühmtern Anlagen hervorrufen. (Mehrere ganz
canspruchlose an der Strasse von den Diocletiansthermen nach Porta
S. Lorenzo, andere an der Strasse von S. Maria maggiore nach dem
dLateran; in der Nähe des letztern Villa Massimi und Villa Altieri,
letztere mit schönen Laubgängen und einer grossen Pinie, sowie auch
Villa Wolkonski, deren Hauptwirkung auf den Trümmern des Aquä-
ductes beruht.)
Nicht eine Anlage, sondern nur ein wonnevoller Ort war der
eCypressenhain der Villa Poniatowski, nutzlos dem Boden eben
gemacht im Jahr 1849. Die Baumfeindschaft ist im heutigen Italien
ein populärer Zug.
Von den neapolitanischen Villen reicht keine bedeutende
über das vorige Jahrhundert hinauf. Die zum Theil ältern Anlagen
auf dem Vomero sind im Gartenstyl den römischen auf keine Weise
fzu vergleichen, auch ganz wasserlos, allein so gelegen, dass die Aus-
gsicht auch die prächtigste Einrahmung würde vergessen machen. Flo-
ridiana ist völlig modern, Belvedere zum Theil; Villa Patrizi
und Villa Ricciardi (diese mit doppeltem Blick, gegen das Meer
und gegen Camaldoli) sind älter; die traumhafte Herrlichkeit der Aus-
sicht haben sie mit dem ganzen Höhenzug gemein. Von den Bour-
hbonenvillen des vorigen Jahrhunderts nimmt der Park von Caserta,
nicht durch Aussicht, allein durch die Anlage, den ersten Rang ein.
Ausserdem Capodimonte, Quisisana bei Castellamare, Portici u. s. w.
i— Als moderne Gründung ist der hintere Theil der Villa reale in
Neapel seiner vielartigen tropischen Vegetation gemäss mit Recht in
landschaftlichem, nicht in architektonischem Sinne angelegt.
[407]Villen und Gärten.
In Genua hemmen die starken Winde den edlern Baumwuchs
und die Wasserarmuth der Höhen ringsum fügt eine weitere Ein-
schränkung hinzu. Der Garten des Pal. Doria ist, wie bemerkt,a
eine alte Anlage; wirksames Terrassenwerk mit Grotten bietet wohl
dieses und jenes Landhaus, doch die Gartenanlagen sind vegetabilisch
ganz gering. Die kleine Villa des Marchese di Negro ist mehr ein
entzückender Punkt als ein wichtiger Garten. Das Schönste was mir
bekannt ist, gewährt der Garten des schon genannten Pal. Palla-b
vicini ausserhalb Aquasola, welcher eine obere und eine untere Ter-
rasse mit Grotten etc. bildet. Hinter dem Palast sind es aber doch
eben nur magere Cypressen statt der römischen Eichen (S. 352, g). Eine
sehr ansehnliche Terrassenanlage verspricht (wenigstens von aussen) die
Villa Durazzo, jetzt Grappallo, al Zerbino. — Die Villen der Um-c
gebung, unter welchen sich sehr prachtvolle befinden sollen, sind mir
nicht hinlänglich aus eigener Anschauung bekannt; die des Marchese
Pallavicini in Pegli ist von modernem englischem Gartenstyl.
Auch über die alten venezianischen Villengärten an der Brenta
und deren jetzigen Bestand vermag ich keine Auskunft zu geben.
Auf dem altvenezianischen Festland geniesst der Garten Giustid
in Verona wegen seiner Cypressenterrassen einen gerechten Ruhm;
im alten Herzogthum Mailand der ungeheure Park von Monzae
(voriges Jahrhundert) und vor Allem die borromeischen Inseln.f
(Die Anlagen seit 1671.) In Betreff der Isola bella lässt sich wohl
nicht läugnen, dass die Aufgabe, wenn das Bauliche so vorherrschen
durfte, sich phantasiereicher hätte lösen lassen, als durch zehnfache,
immer kleiner werdende Wiederholung eines und desselben Motives,
allein wer mag hier unter dem noch immer unwiderstehlichen Phan-
tasieeindruck mit dem Erfinder rechten? — Isola madre mit ihrer
mehr ländlich vertheilten, mit Durchblicken auf die Dörfer am See
abwechselnden und dabei hochsüdlichen Vegetation wird je nach
Stimmung und Geschmack mehr Gefallen erregen.
In den Villen am Comersee, welche fast sämmtlich durch steileg
Ufer bedingt sind, ruht das Hauptgewicht bei weitem mehr auf Architek-
tur und Aussicht, als auf planmässigen Gärten. Das bedeutendste Ter-
rassenwerk hat wohl Villa Sommariva, den schönsten[ ]Garten Villa Melzi.
[[408]][[409]]
SCULPTUR.
Nur schwer und allmälig öffnet sich dem Laien das Verständniss
für die Sculptur. Die Gesetze und Bedingungen, unter welchen sie
das Schöne hervorbringt, sind so vielfältig und liegen zum Theil so
versteckt, dass sehr viel Zeit, Übung und Verkehr mit Bildhauern
dazu gehört, um sich auch nur in den Vorhallen dieser Kunst zurecht-
zufinden. Viele unter den antiken Werken sprechen freilich so laut
und von selbst, dass auch der gleichgültigste Beschauer auf irgend
eine Art davon angeregt wird; daneben bleibt aber vielleicht das
Allertrefflichste unbemerkt, wenn Auge und Sinn nicht eine gewisse
Vorschule durchgemacht und nach bestimmten Vorsätzen suchen und
forschen gelernt haben.
Es giebt einen Weg zum Genuss an der Hand der antiken Kunst-
geschichte. Sie lehrt epochenweise, wie das Schöne geworden, welchen
Zeiten, Schulen und Künstlern die Schöpfung und Ausbildung der
wichtigsten Elemente desselben angehört; sie weist in den wenigen
vorhandenen Urbildern und in den zahlreichern Wiederholungen diese
ihre Resultate oft mit völliger Sicherheit nach. Allein diess setzt be-
trächtliche Studien und einen bereits sehr geschärften Blick voraus.
Wer unvorbereitet aus dem Norden in die Galerien Italiens tritt, wird
sich die Schätze derselben auf eine andere Art aneignen müssen.
Die Griechen verlangten von ihren Künstlern nicht Originalität
im heutigen Sinne, d. h. nicht ewig abwechselnde Aufgaben und Dar-
stellungsweisen; wenn für irgend einen Gegenstand der höchste Aus-
[410]Antike Sculptur. Die Masse und ihr Inhalt.
druck einmal gefunden war, so genügte es Jahrhunderte hindurch,
diesen frei zu reproduciren oder auch ohne Weiteres zu wiederholen.
Es bildeten sich stehende Typen oder Darstellungsweisen, und (was
momentane Stellung oder Bewegung anbetrifft) stehende Motive.
An diese halte sich der Laie, ihnen suche er zunächst das Mögliche
abzugewinnen. Das geschichtliche Interesse wird sich mit der Zeit
von selbst hinzufinden, wenn man unter den verschiedenen Exempla-
ren derselben Darstellung das Bessere und das Geringere, das Frühere
und das Spätere mit einander vergleichen gelernt hat.
Eine Anzahl glänzender Ausnahmen abgerechnet, besteht der un-
geheure Vorrath der Museen Italiens nicht aus Originalwerken alt-
griechischer Künstler, sondern aus Werken der römischen Zeit vom
letzten Jahrhundert der Republik abwärts. Zum Theil sind es Ori-
ginalarbeiten der betreffenden Zeit, wie z. B. die Bildnissstatuen und
Brustbilder von Römern, die Bildwerke der Triumphbogen und Ehren-
säulen u. s. w.; in weit überwiegender Masse aber finden sich die
Wiederholungen älterer idealer Typen und Motive, meist von griechi-
scher Erfindung. Die ausführenden Künstler selbst sind fast sämmt-
lich unbekannt, doch giebt man sich gerne der Vermuthung hin, dass
bis tief in die Kaiserzeit hinein eine treffliche Colonie griechischer
Sculptoren in Rom und Italien geblüht habe. Immerhin müssen wir
uns darein fügen, aus der Blüthezeit der griechischen Cultur eine
Menge blosser Künstlernamen fast ohne Denkmäler, aus den letzten
Zeiten des Alterthums dagegen eine gewaltige Menge von Denkmälern
fast ohne Künstlernamen zu kennen. — Der Unterschied zwischen
griechischer und römischer Kunst wird, wie aus dem Gesagten er-
hellt, zwar im Ganzen sehr bemerklich, an dem einzelnen Denkmal
aber nicht immer leicht nachzuweisen sein.
Die ehemalige Bestimmung und Aufstellung dieser Bildwerke war
eine sehr verschiedene und entsprach wohl im Ganzen ihrem Werthe
oder ihrer äussern Beschaffenheit. Die Colossalstatue gehörte ins
Freie, wo sie sich herrschend selbst zwischen mächtigen Bauten gel-
tend machen konnte. Selten kommen eigentliche Cultusbilder vor,
während der übrige Schmuck der Tempel, die Reliefs ihrer Friese,
[411]Herkunft und Bestimmung.
die Statuen ihrer Giebel und Portiken in Menge übrig geblieben sind.
Die Bildnisse stammen wohl aus den Vorhallen der Reichen und Vor-
nehmen, zum Theil auch von öffentlichen Plätzen, während das ganze
Privathaus und die Villa des Wohlhabenden noch ausserdem reiche
Fundorte von Göttern, Heroen, Brunnenfiguren und andern idealen
Gestalten geworden sind. Bei Altären und Sarcophagen ergiebt sich
die Herkunft schon aus der Bestimmung; marmorne Candelaber und
Vasen mochten ebensowohl zu heiligem Gebrauch in Tempeln als zur
Zierde in Palästen dienen; Hermen standen wohl meist im Freien,
namentlich in Gärten. Endlich lieferten die römischen Thermen das
Köstlichste, selbst Prachtarbeiten griechischer Kunst, wie z. B. den
Laocoon; nur mit Mühe kann sich die Phantasie ein Bild entwerfen
von der Fülle plastischen Schmuckes, welche diese Stätten des öffent-
lichen Vergnügens, welche auch Theater, Cirken und öffentliche Hallen
verherrlichte. — Für so verschiedene Zwecke wurden begreiflicher
Weise auch sehr verschiedene Kräfte in Anspruch genommen, und es
ist ein grosser Unterschied der Behandlung zwischen dem Hauptwerk
eines wichtigen Saales in kaiserlichen Thermen oder Palästen, und
der Statue, welche für das hohe Dach eines Porticus oder die ent-
fernten Laubgänge eines bescheidenen Gartens geschaffen wurde. Zu
gleicher Zeit meisselten vielleicht der Künstler und der Steinmetz nach
demselben Vorbilde, und der Eine brachte ein Werk voll des edelsten
Lebensgefühles, der Andere eine auf die Ferne berechnete Decora-
tionsfigur zum Vorschein. Und dennoch wird auch die letztere, so
roh und so spät sie sei, den göttlichen Funken des griechischen Ge-
nius, der in der Erfindung waltet, nie ganz verläugnen können.
Noch auf eine weitere Verkettung von Umständen, welche den
Genuss antiker Bildwerke oft sehr beeinträchtigen, muss hier vor-
läufig aufmerksam gemacht werden. Nur äusserst wenige Statuen
nämlich sind ganz unverletzt gefunden worden; die meisten haben
sehr bedeutende Restaurationen aus den letzten Jahrhunderten. Das
ungeübte Auge unterscheidet gar nicht so leicht als man denken sollte,
das Neue von dem Alten. Nun gehören gerade die sprechenden Theile,
Kopf, Hände, Attribute, oft nur dem Hersteller an, und dieser hat
[412]Antike Sculptur. — Restaurationen.
lange nicht immer das Richtige getroffen; er giebt z. B. einer ehe-
maligen Flora Kornähren und einer ehemaligen Ceres Blumen in die
Hand; er restaurirt einen Mars als Mercur und umgekehrt. Der Laie
darf daher die bessern literarischen Hülfsmittel, welche dergleichen
Täuschungen aufdecken, nicht verschmähen, wenn er zu einiger Kennt-
niss dieses Gebietes gelangen will. Bisweilen musste nach einem ver-
hältnissmässig geringen aber an Kunstwerth ausgezeichneten Rest das
Ganze einer Statue neu gedacht und danach das viele Fehlende er-
gänzt werden. Dieser Art sind z. B. Thorwaldsens unübertreffliche
Restaurationen an mehreren von den äginetischen Figuren so wie am
barberinischen Faun in der Münchner Glyptothek; auch der rechte
Arm des Laocoon (von wem er auch sein möge) gehörte zu den
grössten Aufgaben in diesem Fache.
Wie aber, wenn man an vielen Statuen zwar antike, aber nicht
ursprünglich dazu gehörige, sondern anderswo gefundene Köpfe an-
träfe? Diese Ergänzungsweise ist z. B. gerade in den römischen Mu-
seen sehr häufig und lässt sich insgemein schwer, ja in einzelnen
Fällen ohne besondere Nachrichten ganz unmöglich entdecken. Vor
dem opfernden Römer z. B., der die Toga über das Haupt gezogen
ahat (Vatican, Sala della Biga), wird Niemand von selbst auf einen
solchen Gedanken gerathen.
So weit die modernen Galerieverwaltungen und Restauratoren;
man kann ihre Thätigkeit und ihr Glück nur bewundern, wenn sie
so das Rechte treffen, wie in dem letztgenannten Fall. Allein schon
im Alterthum kamen Dinge analoger Art vor. Nicht nur wurden bei
politischen Umschwüngen und Regierungswechseln die Köpfe von
Bildnissstatuen abgeschlagen und neue aufgesetzt, sondern die Bild-
hauer müssen wenigstens in der römischen Zeit viele kopflose Statuen
im Vorrath gearbeitet haben, welchen erst nach geschehener Bestellung
ein Porträtkopf aufgesetzt wurde. Diess stimmte trefflich zu der seit
Alexander aufgekommenen Sitte vieler Grossen, sich in Gestalt einer
Gottheit abbilden zu lassen, und vollends zu der spätrömischen Ge-
wohnheit, die Statuen aus mehrern Steinarten zusammenzusetzen. Es
war am Ende ganz gleichgültig, welcher Marmorkopf in die alabasterne
oder porphyrne Draperie hineingesenkt wurde.
[413]Werth derselben.
Diess Alles darf den Beschauer zu einiger Vorsicht stimmen. Es
ist Echtes und Wohlerhaltenes genug vorhanden, um bei fortgesetzter
Beobachtung zu einem ausgebildeten Urtheil zu gelangen. Wer an
irgend einer Restauration Anstoss nimmt, bemühe sich, eine bessere
auszudenken; gewiss eine der edelsten Thätigkeiten, zu welchen der
Anblick antiker Werke den sinnenden Geist anregen kann.
Den Restauratoren wird begreiflicher Weise ihr Geschäft häufig
sehr erleichtert durch das Vorhandensein besser erhaltener Exemplare
desselben Werkes. Über die Herstellung z. B. des Satyrs mit dem
Beinamen des „Berühmten“ (periboetos), der sich in allen Sammlun-
gen, oft mehrfach, vorfindet, kann gar kein Zweifel obwalten. Für
Manches aber sind die Künstler auf Analogien, namentlich auf die
Reliefs beschränkt, wo sich wenigstens der Typus derjenigen Gestalt,
die sie unter den Händen haben, vollständig vorfindet. Für Einzel-
bildung und Bewegung namentlich der Arme und Beine ist natürlich
Jeder auf sein Gefühl und sein Studium der Alten angewiesen.
Marmorne und andere steinerne Zierrathen, wie Candelaber und
Vasen, sind, wie oben bemerkt, oft zu zwei Drittheilen nach irgend
einem Fragment restaurirt; von den Vasen ist namentlich der Fuss
nur selten alt, die Henkel und der obere Rand meist nach Massgabe
der Ansätze ergänzt. Reliefs sind bisweilen nach geringen Ansätzen
von Füssen, Geräthen, Gewandsäumen u. dgl. um mehrere Figuren
vermehrt worden.
Je neuer die Auffindung und Restauration eines Werkes ist, desto
gewissenhafter (im Allgemeinen gesprochen) wird man dasselbe be-
handelt finden. Die grossen Fortschritte der Alterthumswissenschaft
und des vergleichenden Studiums seit hundert Jahren haben hier den
heilsamsten Einfluss ausgeübt. Die Restaurationen früherer Künstler,
z. B. in der alten farnesischen und mediceischen Sammlung waren oft
nicht bloss an sich stylwidrig und selbst sinnlos, sondern leider auch
mit einer Überarbeitung und Glättung des ganzen Werkes verbunden,
welches man mit den neuen Zuthaten in Harmonie bringen wollte.
Da die Antiken damals nicht zur Belehrung in öffentlichen Museen,
sondern als Zierrath in den Palästen der Grossen aufgestellt wurden,
[414]Antike Sculptur. Typen. Tempelstyl.
so verlangte man durchaus den Eindruck eines unversehrten Ganzen.
Eine Menge Torsi, die man jetzt als Fragmente aufstellen würde, sind
in jener Zeit zu vollständigen Statuen restaurirt worden. Die medi-
ceische Sammlung enthält deren besonders viele.
Die Typen oder Darstellungsweisen der Gestalten der alten Kunst,
namentlich der Götter und Heroen, erhielten ihre bleibende Ausbildung
in der höchsten Blüthezeit des Griechenthums, im V. und IV. Jahr-
hundert v. Chr., von Phidias bis Lysippus. Auch später zwar kam
noch manche einzelne neue Gestalt, manche mehr auf das Zierliche
gerichtete Auffassungsweise hinzu, und selbst die Zeit Hadrians schuf
noch aus dem Bilde eines Menschen das Antinous-Ideal; doch über-
wiegen bei weitem die aus jener frühern grossen Epoche überkomme-
nen, mehr oder weniger frei wiederholten Typen.
Daneben erhielt sich aus den Zeiten vor Phidias, ja zum Theil
aus hohem Alterthum ein früherer, feierlich-befangener Styl, der sog.
hieratische oder Tempelstyl. Werke aus der alten Zeit der
wirklichen Herrschaft desselben sind in Italien äusserst selten; ausser
den Metopen des Tempels von Selinunt u. a. sicilischen Bruchstücken
awird man etwa noch das Relief eines verwundeten Kriegers im Mu-
seum von Neapel (Nebenraum des dritten Ganges) und dasjenige der
bLeucothea in der Villa Albani zu Rom (Zimmer der Reliefs) namhaft
machen können. Sehr häufig sind dagegen die später und absichtlich
in diesem Styl gearbeiteten Sculpturen, namentlich die Reliefs an Al-
tären; auch Statuen dieser Art kommen nicht selten vor, und für ge-
wisse Typen, wie z. B. für den bärtigen Bacchus blieb die hieratische
Darstellungsart sogar die allein herrschende.
Was konnte die Griechen und später die Römer bewegen, neben
ihrer freien und grossen Kunst diese befangnere Gattung mit Willen
festzuhalten? Zuerst war es gewiss die Ehrfurcht vor den Ceremonien,
welche sich seit unvordenklichen Zeiten an Götter, Weihgeschenke
und Altäre dieses Styles geknüpft hatten. Später erhielt derselbe den
Reiz des Alterthümlichen und Einfachen und die Kunst bemühte sich,
[415]Tempelstyl.
hier innerhalb absichtlicher Schranken eine eigenthümliche Aufgabe
in Umriss und Modellirung zu lösen. Zuletzt wurde daraus eine Sache
ästhetischer Feinschmeckerei, ja vielleicht einer bewussten Reaction
gegenüber dem überladenen unruhigen römischen Relief. Vielleicht
sind die meisten erhaltenen Werke im Tempelstyl nicht älter als das
Kaiserreich, und man hat namentlich die Zeit Hadrians dafür im Ver-
dacht, schon weil sie sich ausserdem der Nachahmung des ägypti-
schen Styles mit so vielem Eifer hingab.
Die Kennzeichen des Tempelstyles prägen sich leicht ein. Das
Gesetz des Contrastes der Gliedmassen, welches erst der Stellung des
Leibes Freiheit und Anmuth giebt, wird hier geflissentlich bei Seite
gesetzt und statt dessen die möglichste Symmetrie der beiden Schul-
tern, Arme, Lenden etc. erstrebt. Die Bewegungen sind steif und
entweder gewaltsam oder überzierlich, so dass die Götter auf den
Fussspitzen gehen, Fackeln und Stäbe nur mit zwei Fingern anfassen
u. dgl. Das Haar ist in unzählige symmetrische Löckchen geordnet;
die Gewandung besteht in vielen höchst regelmässigen Fältchen, welche
an jedem Saum oder Aufschlag als Zickzack von genau eben so vie-
len Ecken auslaufen. Der Ausdruck der Köpfe, wo sie gross genug
gebildet sind, besteht in einem kalten, maskenhaften Lächeln; die
Stirn ist flach, die Nase spitz, die Ohren hoch oben, die Mundwinkel
aufwärts gezogen, das Kinn auffallend stark. (Man vergleiche die
Abgüsse der echten altgriechischen Giebelgruppen des Tempels von
Ägina in der lateranischen Sammlung mit den spätern Nachahmungena
dieses Styles: die schreitende Pallas 1) in Villa Albani (Zimmer derb
Reliefs, wo noch mehreres der Art); mehrere Köpfe in der Galeriac
geografica des Vaticans; — der schreitende Apoll mit dem Reh
auf der Hand im Museo Chiaramonti ebenda; — die schreitende her-d
culanensische Pallas im Museum von Neapel (zweiter Gang) mit moder-
nem Kopf; — eine Bronzestatuette ebenda (kleine Bronzen, drittes
Zimmer); — die halb-ägyptische, halb-hieratische Isisstatuette ebenda
(ägyptische Halle); — die schreitende Artemis mit rothbesäumtem
Kleide ebenda (in einem verschlossenem Zimmer hinter der Halle des
Tiberius).
[416]Antike Sculptur. Tempelstyl.
Im Relief verlangte der Tempelstyl die möglichste Symmetrie
selbst in der Bewegung und eine gleiche Entfernung gleichbedeuten-
der Figuren von einander. — Unter den schönern Arbeiten dieser Art
asind zu nennen: ein Altar mit bacchischen Figuren und ein (vielleicht
doch uraltes?) Relief der drei Grazien im Museo Chiaramonti (Vati-
bcan); — ein viereckiger Zwölfgötteraltar im sog. Kaffehaus der Villa
Albani; — eine Platte mit vier Göttern im Zimmer der Reliefs ebenda;
Apolls Erscheinung beim Tempel zu Delphi, über der Thür des Haupt-
csaales ebenda; — ein runder Zwölfgötteraltar in der obern Galerie
des capitolinischen Museums; u. A. m.
Wie will man aber beweisen, dass diese Arbeiten nicht wirklich
uralt, sondern blosse Nachbildungen in einem veralteten Style sind?
Es dauerte in der That lange, bis die Archäologie in dieser Sache
klar sah. Jetzt kann sich jedes fähige Auge überzeugen, dass die
betreffenden Bildhauer eben doch nicht allen Reizmitteln der Kunst
ihrer Zeit entsagen mochten, dass sie die Härte der alten Musculatur,
den sonderbaren Ausdruck der Köpfe wesentlich milderten und dass
auf diese Weise ein sehr merklicher Widerspruch zwischen der alter-
thümlichen Auffassung und der weichen Ausführung in das Werk
hineinkam. Bisweilen wird es dem Beschauer noch leichter gemacht,
dwenn z. B. eines der erwähnten Reliefs (im Hauptsaal der Villa Al-
bani und anderswo), welches Apolls Trankopfer nach dem Siege im
Kitharspiel darstellt, einen korinthischen Tempel zum Hintergrunde
hat. Hier springt der Anachronismus in die Augen, weil Jedermann
weiss, dass diese Säulenordnung ungleich spätern Ursprunges ist als
dieser Sculpturstyl zu sein vorgiebt.
In den Typen der Götter herrscht nun hier, wie sich von selber
versteht, eine ältere Art. Die männlichen Gestalten erscheinen in der
Regel bejahrt, selbst Hermes und Dionysos bärtig; die Bekleidung ist
im Ganzen vollständiger und anders anschliessend; mancher einzelne
Schmuck macht sich geltend, dessen die vollendete Kunst entbehren
konnte. Das Nähere muss hier übergangen werden.
Lange Zeit nannte man diesen Styl mit Unrecht den etruski-
schen. Allerdings kam er in den Fundorten Etruriens, das über-
[417]Etruskische Kunst.
haupt eine früh überlieferte griechische Kunstübung merkwürdig fest-
hielt, ebenfalls und zwar nicht selten zum Vorschein; allein diess
beweist nicht gegen seinen allgemeinen griechischen Ursprung. Wir
werden bei Anlass der Vasen auf eine ähnliche Erscheinung stossen.
Die etruskische Kunst selber übergehen wir, da sie mehr
n ur lehrreiche Seitenbilder zur Geschichte des Schönen als einen un-
mittelbaren Genuss desselben gewährt. Nur mittelst einer langen,
zweifelreichen Forschung könnten wir uns und dem Leser klar machen,
was und wie Vieles hier der alten religiösen Gebundenheit, dem eigen-
thümlichen Volksgenius, den uralten griechischen Cultureinflüssen, der
spätern Einfuhr griechischer Kunstwerke und Einwanderung griechi-
scher Künstler, endlich der Mitleidenschaft unter den Schicksalen und
dem Zerfall der römischen Kunst angehört. Die meist kleinen und
sehr zahlreichen Gegenstände, um welche es sich handelt, sind z. B.
im Vatican zu einem besondern Museo etrusco vereinigt; Mehreres
vom Wichtigsten findet sich in den Uffizien zu Florenz (verschlossnera
Gang gegen Ponte vecchio hin; und zweites Zimmer der Bronzen);
auch im Collegio Romano zu Rom, in den Sammlungen von Volterrab
und Cortona, sowie im Museum von Neapel (letztes Zimmer derc
kleinen Bronzen) steht viel Etruskisches beisammen.
Wer die Hauptfundorte, jene alten Nekropolen von Toscanella,
Cervetri, Vulei, Chiusi etc. bereist, wird wohl noch Manches an Ort
und Stelle in Privatbesitz antreffen und sich ausserdem einen Begriff
von dem prachtvollen Begräbnisswesen jenes räthselhaften Volkes
machen können 1). — Was diese u. a. Sammelpunkte dem Forscher
des Schönen immer sehr werth macht, sind die vielen einzelnen Reste
und Elemente griechischer Kunst, welche er zwischen und an den
etruskischen Reliquien wahrnehmen wird. Mit dem Museo etrusco
des Vaticans ist z. B. eine herrliche Sammlung von gemalten Vasen
verbunden, welche vielleicht kaum zur Hälfte etruskischen Fundorten
B. Cicerone. 27
[418]Antike Sculptur. Anordnung nach Typen.
und nur geringsten Theiles eigentlich etruskischer Kunst, vielmehr
afast durchgängig griechischen Thonmalern angehören; der grosse Saal
des Museo aber enthält u. a. Schätzen eine ovale eherne Lade mit
Amazonenkämpfen in Relief 1) und eine Auswahl von Spiegeln mit
eingegrabenen Linearzeichnungen schönen griechischen Styles. Vollends
bmöchte die runde Lade (oder Cista) des Collegio romano, mit der
Landung der Argonauten, alle Linearzeichnungen des griechischen Al-
cterthums übertreffen. In Florenz enthält der genannte Seitengang der
Uffizien unter der grössten vorhandenen Sammlung etruskischer
Aschenkisten einige (z. B. die erste links) mit Reliefs von griechischer
Schönheit.
Die Anordnung der antiken Sculpturen nach Typen, welche nun-
mehr folgt, soll keineswegs als die einzig mögliche oder als besonders
methodisch gelten, sondern nur als derjenige Leitfaden, welcher am
leichtesten in die Sache hineinführt. Der Werth der plastischen Aus-
führung, welchen der Nichtkünstler doch erst nach längern Studien
richtig beurtheilen lernt, ist nicht unser Hauptmassstab bei der folgen-
den Aufzählung; der Gedanke, das Motiv müssen hier wichtigere
Rücksichten bleiben. Wir werden uns nicht scheuen, selbst sehr
geringe und späte Arbeiten zu nennen, sobald sie zufällig die einzigen
bekannten oder zugänglichen Exemplare vorzüglicher alter Kunst-
gedanken sind. Mit diesen, selbst in ihrer dürftigsten Aeusserung, wo
keine bessere vorhanden ist, suche man um jeden Preis das Gedächt-
niss zu bereichern, ohne desshalb den Blick auf die Ausführung
hintanzusetzen.
Wir beginnen unsere Andeutungen billig mit dem Vater der Götter
und der Menschen, in dessen Gestalt ja der Hellene gewiss das Hochste
an Macht und Herrlichkeit ausgedrückt haben wird. Von demjenigen
[419]Zeus.
Gesammtbilde allerdings, dessen Anblick die Griechen zur Bedingung
jedes glücklichen Lebens machten, von dem olympischen Zeus des
Phidias, sind uns nur kümmerliche Reminiscenzen erhalten. Eine solche
erkennt man z. B. in dem colossalen Jupiter aus dem Hause Verospi
(Vatican, am Ende der Büstenzimmer), welcher mit nacktem Ober-a
leib, den Donnerkeil in der Rechten (statt der Siegesgöttin bei Phi-
dias) und den Scepter in der Linken thront. Von dem Haupte des
Zeus aber, wie es der Meister gebildet, ist glücklicher Weise ein
ziemlich nahes Abbild auf unsere Zeit gerettet in der berühmten
Büste von Otricoli (Vatican, Sala rotonda). Hier erkennt manb
jenen Ausdruck wieder: „friedlich und ganz mild“, das erhabene Haupt
in Gnade und Erhörung geneigt mit leisem Lächeln. Von den Locken
war genug vorhanden, um das Fehlende (auch das ganze Hinter-
haupt) trefflich zu restauriren. Die Züge sind in der That keines
Menschen Züge; vielmehr erscheinen diejenigen Elemente des Ant-
litzes, welche zu bestimmten Zwecken des Ausdruckes dienen, nach
höhern Gesetzen verändert und hervorgehoben. So dient die Ver-
dichtung in der Mitte des Stirnknochens (oder der Stirnhaut) dazu,
das gewaltigste Wollen und zugleich die höchste Weisheit anzudeuten.
Die Augen, von ganz wunderbarem Bau, liegen tief und treten doch
hervor; die Nase (etwas restaurirt) bildet mit der Stirn nicht einen
einwärts, sondern einen leise auswärts tretenden Winkel, worin die Lei-
denschaftslosigkeit ausgedrückt liegt. (Dieses anscheinende Paradoxon
kann hier nicht entwickelt werden; ich verweise nur auf den griechi-
schen Kunstgebrauch des Gegentheils, der Stülpnase, z. B. bei den
Barbaren und den Satyrn, wozu beim Silen noch die aufwärts her-
vortretende Stirn kömmt.) Die Lippen endlich (leider auch nicht ganz
alt) vereinigen Süssigkeit und Majestät in einem Grade, wie kein ir-
discher Mund. — An diesem Haupt sind nu n Locken und Bart von
höherer Bedeutung als an irgend einem andern. In ihnen wallt und
strömt gleichsam eine überschüssige göttliche Kraft aufwärts und ab-
wärts. Die Stirnlocken namentlich sind hei mehrern göttlichen Ge-
stalten wie ein Sinnbild geistiger Flammen. Dieser Zeus wäre mit
glatten oder kurzen Haaren nicht mehr Zeus, wie Apoll ohne seinen
Krobylos (Lockenbund über der Stirn) nicht mehr Apoll wäre.
27*
[420]Antike Sculptur. Zeus. Serapis.
Was sonst von Zeusköpfen vorkömmt, steht tief unter diesem
aWerke. So z. B. selbst der schöne im Museum von Neapel (Halle des
Tiberius), wo sich auch (Halle des Jupiter) die kolossale, etwas de-
corationsmässig behandelte Halbfigur des Zeus aus dem Tempel von
Cumä befindet. (Die Nase schlecht restaurirt; Haar und Bart ge-
bwaltig und meist alt.) Noch ein schöner Kopf in der Villa Albani
c(Vorhalle des Kaffehauses); ein anderer, sehr colossaler, in den Uffi-
dzien zu Florenz (Halle der Niobe); ein tüchtiger römischer in der Ga-
lerie von Parma.
Von den Brüdern des Zeus gleicht ihm am meisten Hades oder
Pluto, der Herr der Unterwelt, in seiner spätern (doch immer noch
griechischen) Personification als Serapis, mit dem Scheffel (modius)
eauf dem Haupt 1). Eine schöne Büste (in der Sala rotonda des Vaticans)
lässt uns das Zeusideal, aber mit einem düstern Zuge der Trauer er-
kennen. Unter den dichten Locken treten die sanft blickenden Augen
tief einwärts. Kein Entsetzen, nur ein leiser Schatten der ewigen
Nacht sollte über den Beschauer kommen. Überdiess war ja Serapis
in seiner spätern Bedeutung auch ein Genesungsgott und vertrat sogar
die Stelle des Asklepios. (Eine geringere Büste, von Basalt, im Zim-
fmer der Büsten; ungleich besser diejenige der Villa Albani im sog.
gKaffehause.) (Eine fleissige, kleine Bronze in den Uffizien, II. Zim-
hmer d. Br., Eckschrank rechts.) Noch ein schöner, sanfttrauriger Kopf
in der Galerie zu Parma.
Mit Serapis wurde in späterer Zeit, wie gesagt, der Heilgott As-
klepios identificirt, der auf diese Weise zu ganz Zeus-ähnlicher
Bildung gelangte — abgesehen natürlich von seinem besondern Attri-
but, dem Schlangenstab, auf den er sich mit der einen Schulter stüzt.
i— Die Statuen sind meist von geringer Arbeit; so die schwarz-mar-
morne im grossen Saal des capitolinischen Museums. Vielleicht die
kbeste von allen im Museum von Neapel, zweiter Gang. Der schöne
[421]Asklepios. Poseidon. Wassergötter.
Asklepios im Braccio nuovo des Vaticans trägt die sehr feinen, be-a
sonnenen Bildnisszüge irgend eines berühmten Arztes, vielleicht eines
Leibarztes des Augustus. — Von den beiden im zweiten Gang derb
Uffizien zu Florenz gleicht der eine dem neapolitanischen; der andere
ist offenbar eine Porträtstatue, wie schon die hohen Schultern andeu-
ten und wie die individuelle Stellung es noch wahrscheinlicher macht.
Das Übrige hat der Restaurator gethan. — Auch in dem Asklepios
im Palast Pitti (inneres Vestibul oberhalb der Haupttreppe) könntec
man eher einen griechischen Philosophen erkennen; mit nacktem
Oberleib, den linken Ellbogen auf eine Keule gelehnt, mit der linken
Hand, die eine Rolle hält, den Bart berührend, die Rechte auf die
ausgeladene Hüfte gestützt, schaut er mit dem Ausdruck des Sinnens
vorwärts. Die Arbeit ist einfach und noch sehr tüchtig.
Wer sich weiter überzeugen will, wie die griechische Kunst
ideale Verwandtschaften auszudrücken und mit typischen Unterschie-
den zu verschmelzen wusste, vergleiche den Kopf des Poseidon
(Vatican, Museo Chiaramonti) mit dem otricolanischen Zeus. Die an-d
gebornen Züge sind bei beiden Brüdern dieselben, aber der Ausdruck
des Meergottes ist unruhig, düster bis zu einem Anflug von Zorn,
das Haar wirr und feucht. (Eine vollständige, aber in der Arbeit sehr
unbedeutende Statue im Vatican, Galeria delle statue; eine andere ime
Museum des Laterans).
Auch die übrigen Götter der grössern Wasser, also mit
Ausnahme der Tritonen und der Quellgottheiten, sind grossentheils
von Zeus Geschlecht und gleichen ihm, nur ins Befangene und dann
bald in das wohlig Geniessende, bald ins Schreckliche oder ins Beküm-
merte hinein. Sie haben sein gewaltiges Haar, aber nicht wallend, son-
dern feucht darniederhängend; seine in der Mitte erhobene Stirn, aber
niedriger; seinen Bart, aber nicht lockig, sondern nass und oft mit
Schuppen, ja mit kleinen Fischen durchzogen; seine grossartigen
Lippen, aber mit bornirtem Ausdruck. Ihr Bau (wo es nicht blosse
Köpfe oder Masken sind) ist überaus mächtig und breit und entwickelt
sich in ihrer liegenden, etwas aufgelehnten Stellung ganz besonders
majestätisch.
[422]Antike Sculptur. Wassergötter.
Die schönste dieser Gestalten ist der Nil (im Braccio nuovo des
Vaticans), wahrscheinlich aus der Zeit des Augustus, welcher be-
kanntlich erst Ägypten unterwarf. Beneidenswerthe Symbolik der
Alten, welche die 16 Ellen, um die der Nil alljährlich zu wachsen
pflegt, durch 16 der niedlichsten Genien personificiren durfte! Heiter
klettern sie an dem Gott herum und spielen mit seinem Krokodil und
Ichneumon; einer guckt sogar oben aus seinem Füllhorn heraus; ihre
Schalkhaftigkeit ist gleichsam nur ein anderer Ausdruck für die stille
Seligkeit des gewaltigen Stromgottes.
Die treffliche vaticanische Statue des Tigris (Sala a croce greca)
erhält durch den von Michel Angelo oder einem seiner Schüler re-
staurirten Kopf ein besonderes Interesse des Contrastes.
Im Hof des capitolinischen Museums liegt als Brunnengott der
ccolossale Marforio (wahrscheinlich ein Rhenus aus der Zeit Domitians.)
Er trägt die Züge des Zeus, aber in das Bornirte umgestaltet; Leib
und Beine sind (absichtlich) viel zu kurz für den gewaltigen Ober-
dkörper. — Die beiden Wassergötter an der Treppe des Senatorenpala-
stes auf dem Capitol und die beiden in der untern Vorhalle des Mu-
eseums von Neapel sind theils gute, theils leidliche Decorationsarbeiten.
Der düstere Ausdruck erscheint bedenklich geschärft und deutet
fauf Sturm in dem florentinischen Kopfe des Oceanus (Uffizien, Halle
der Niobe); er geht über in das Erschrockene, ich möchte sagen Ausge-
gscholtene, in der höchst colossalen Maske eines Wassergottes im Museo
hChiaramonti im Vatican; eine ähnliche in Villa Albani (Nebenräume
irechts.) Auch dem Oceanus (Büste in der Sala rotonda des Vaticans,
mit Trauben im Haar, Delphinen im Bart, Schuppen an Braunen und
Wangen) ist sichtbarlich nicht ganz wohl zu Muthe. Schon ruhiger
kist der Ausdruck der zwei colossalen Masken in Villa Albani hinter
dem Kaffehaus.
Ein merkwürdiges Gegenbild zu Zeus bildet die frühere, aber
von der Kunst fortwährend und zwar annähernd oder ganz im Tem-
pelstyl festgehaltene Darstellung des bärtigen Dionysos. Neben
Zeus, den Gott der sittlichen Weltordnung, stellt sich hier ein König
und Gott der Naturfreude mit einem Ausdruck seligen Genusses, dem
[423]Bärtiger Dionysos. Herakles.
wir freilich im Leben bei Männern reifern Alters kaum je begegnen,
der aber doch seine volle innere Wahrheit hat. Die breiten, wohl-
gerundeten (doch keineswegs plumpen) Formen und der stilljoviale
Ausdruck des Kopfes, der heitre Blick, die charakteristischen gleich-
mässigen Hauptlocken mit der Binde, sowie der ebenfalls gelockte
Bart — diess Alles ist schon in den Hermen oder Büsten zu erken-
nen, deren viele Tausende in den Gärten und Häusern der Alten ge-
standen haben müssen. (Eine ganze Anzahl im Garten etc. der Villaa
Albani; — vier im Palast Giustiniani zu Rom, unten; — mehrere,b
darunter auch wohl Büsten des bärtigen Hermes, in der Galeria geo-c
grafica des Vatican. Vieles davon ist sehr rohe Arbeit.) Ein Prie-
ster dieses Bacchus, wie üblich mit den Zügen und dem Costüm des
Gottes selber dargestellt, findet sich in Villa Albani (rechts vom Pa-d
last am Ende der Nebengalerie.)
Auf eine geheimnissvolle Höhe gehoben, treffen wir diesen Typus
wieder in einer berühmten vaticanischen Statue (Sala della biga) mite
dem Namen (wahrscheinlich des Künstlers): Sardanapallos. In
ein herrliches weites Gewand gehüllt, mit der Rechten auf ein Scepter
gestützt (diess unvollständig restaurirt), schaut der bejahrte Dionysos
voll hoher, innerer Wonne in die von ihm beherrschte Welt. (Nahe
mit diesem Werk verwandt, aber ungleich geringer: Kopf und Brustf
eines bärtigen Bacchus im Museum von Neapel, Halle des Tiberius.)
Von den Söhnen des Zeus, abgerechnet die eigentlichen Götter,
ist der mächtigste Herakles. In seinem Antlitz ist auch noch etwas
übrig geblieben von den Zügen seines Vaters, namentlich in der Stirn
(sehr auffallend in einem Kopfe des verklärten Herakles; Vatican,g
Büstenzimmer); sonst herrscht darin eine jeder Mühe gewachsene
Kraft und Leidenschaft vor. (Letztere in der Adlernase bisweilen ange-
deutet.) Seine höchste und bleibende Kunstform erhielt Herakles
durch den grossen Lysippos, zu Alexanders Zeit. Wir lernen sie
kennen vor Allem in dem weltberühmten Torso des Atheners Apol-h
lonios (am Eingang des Belvedere im Vatican). Nach dem Hymnus
Winckelmanns und den bekannten Streitfragen über die vermuthliche
[424]Antike Sculptur. Herakles.
Urgestalt des Werkes 1) wage ich nur, den Beschauer auf die unge-
meine Leichtigkeit und Elasticität dieser Bildung, auf den Ausdruck
der höchsten Kraft ohne Schwere aufmerksam zu machen.
Liegt hierin eine Andeutung, dass Herakles verklärt, etwa in
seiner Verbindung mit Hebe, der ewigen Jugend, abgebildet sei, so
aspricht der farnesische Herakles (Colossalstatue des Atheners
Glykon im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stieres) einen
ganz andern Sinn aus. Hier ist es der noch in Kämpfen und Wan-
derungen begriffene, nur für einen Augenblick ausruhende Held, mit
den erbeuteten Äpfeln der Hesperiden (diese sammt der rechten Hand
restaurirt, wohl richtig). In der wahrhaft gewaltigen Musculatur, in
dem Ungeheuern, namentlich der Arm- und Schulterbildung wirkt
noch die letzte Anstrengung nach; um so stärker erscheint der Aus-
druck der Ruhe durch das Aufstützen auf die Keule links und die
Ausschwingung des Leibes rechts, sowie durch die Senkung des Haup-
tes und die reine Horizontale der Schultern charakterisirt, während
Stellung und Gestalt der Beine dem Ganzen doch die Leichtigkeit
eines Hirsches geben. Die Arbeit ist mit derjenigen des Torso aller-
dings nicht zu vergleichen. Am Kopf sehr starke Restaurationen.
Unzählige, meist spätere Arbeiten, stellen den Heros und seine
bMythen dar; auch z. B. als kleine Bronzefigur kommt er sehr häufig
vor. (Uffizien, II. Zimmer d. Br., 3. Schrank.) In der Sala degli
cAnimali des Vaticans allein sind vier Thaten des Heros in nicht ganz
dlebensgrossen Gruppen dargestellt. In der Villa Borghese ist ein
ganzes Zimmer solchen Überresten geweiht; man trifft Herakles als
Herme, als Kind, auch als Knecht der Omphale, in ihren weiblichen
eGewändern. Im Museum von Neapel (zweiter Gang) findet sich das
von irgend einer guten Gruppe des Mars und der Venus entlehnte
Motiv auf Herakles und die heroische Siegerin übertragen; ein sehr
artiges römisches Werk.
Herakles, der als Stellvertreter des Atlas den Weltglobus trägt
im Museum von Neapel (Halle der berühmten Männer), ist eine gute,
aber stark ergänzte Arbeit. Die unten zu besprechende Gruppe des
[425]Die Dioskuren.
Herakles mit Antäus giebt den Helden mehr fleischig als musculös
und entfernt sich wieder um eine Stufe weiter von dem verklärten
Herakles als die meisten übrigen Bildungen. (Hof des Pal. Pitti.)a
Endlich blieb ein wesentlich genrehafter Moment, der den Zeus-
sohn in rein physischer Gewaltigkeit darstellt, der kleinern Bildung
in Erz vorbehalten. Ich meine die köstliche Bronze des „trunkenenb
Herakles“ im Museo zu Parma. An dieser rückwärts taumelnden
von allen Seiten glücklich gedachten Figur erkennt man das ganze
Muskelwesen des farnesischen Herakles, nur im Dienste einer ganz
andern Macht, als bei den zwölf Arbeiten. Gefunden in Veleja, und
doch vielleicht griechischen Ursprunges.
Es war nicht mehr als billig, dass auch die vorzugsweise so
genannten „Zeussöhne“ (Dioskuren) Kastor und Polydeukes in
ihrem Typus an den Vater erinnerten. Diess ist in der That der Fall
mit den beiden weltberühmten Colossen auf dem Platze des Qui-c
rinals in Rom; die Bildung von Stirn, Lockenansatz, Nase und Lip-
pen ist deutlich dem Zeusideal entnommen, wovon man bei Betrach-
tung der Abgüsse sich am Besten überzeugen kann; nur erscheint Alles
in den jugendlichen und heroischen Charakter übertragen. — Bekannt-
lich galten diese Rossebändiger einst als Arbeiten des Phidias und
Praxiteles; gegenwärtig betrachtet man sie aus überzeugenden Grün-
den als römische Nachahmung nach einer Gruppe vielleicht aus der
Schule des Lysippos, und giebt starke Willkürlichkeiten in der Ein-
zelbehandlung zu, z. B. im Ansatz der Hälse. — Ihre Bildung im Gan-
zen vereinigt mit unbeschreiblicher Wirkung das Schlanke und das
Gewaltige; ihre momentane Bewegung spricht wunderbar schön aus,
wie es für sie eine leichte Mühe sei, die bäumenden Pferde zu len-
ken; Stallknechte mögen das Thier zerren und sich aufstemmen, Dios-
kuren bedürfen dessen nicht. Die Pferde sind auch verhältnissmässig
kleiner gebildet, wie sich überhaupt in der alten Kunst der Massstab
mehr nach der relativen Bedeutung der Figuren als nach ihrem phy-
sischen Grössenverhältniss richtet. — Ehemals standen sie parallel, ohne
Zweifel mit Recht; ihre jetzige Gruppirung mit der Brunnenschale
und dem Obelisken passt vielleicht besser zum Platze.
[426]Antike Sculptur. Hera.
Die beiden Dioskuren der Capitolstreppe, sonderbar bedingte
Werke 1) aus noch ziemlich guter Zeit, scheinen ganz geschaffen, um
den Werth der quirinalischen ins hellste Licht zu stellen.
Hera, die Schwester und Gemahlin des Zeus bedurfte einer
entsprechend grossartigen Persönlichkeit, in welcher die Königin der
Götter zu erkennen sein sollte. Die reife Schönheit eines mächtigen
Weibes ist denn auch nie bedeutender dargestellt worden, als in die-
sem Typus, der doch zugleich eine unbegreifliche Jugendlichkeit aus-
spricht. Die Statuen sind meist spät, verrathen aber ein herrliches
bVorbild, wie z. B. die colossale in der Sala rotonda des Vaticans.
c(Kleineres Ex. in der Villa Borghese, Zimmer der Juno; ein anderes
din der Galeria delle Statue des Vaticans; noch ein anderes, mit mo-
edernem Kopf, im Museum von Neapel, Halle der Flora.) Das nasse
Anliegen des feinen Untergewandes ist bisweilen allzu absichtlich dazu
benützt, die bedeutenden Formen des Oberleibes hervortreten zu lassen;
sonst aber wird die milde Majestät des bediademten Hauptes und die
imposante Stellung, womit der Körper sich nach der Rechten ausladet,
immer die Herrscherin auf das Deutlichste erkennen lassen.
Eine eigene Aufgabe gewährte dem römischen Bildhauer die Juno
fLanuvina. (Colossalstatue ebenfalls in der Sala rotonda des Vaticans.)
Als Schützerin der Heerden hat sie Haupt und Leib mit einem Thier-
fell bedeckt; mit dem (restaurirten) Speer in der Hand schreitet sie
zu gewaltiger Abwehr aus. Ohne Zweifel hat der Bildner ein uraltes
Tempelbild von Lanuvium in dem Styl griechisch-römischer Zeit re-
produciren müssen; die Züge aber sind junonisch.
Diese göttlichen Züge lernt man nun weit besser als aus irgend
einer Statue, aus zwei berühmten Colossalköpfen kennen. Der eine,
gdie Juno im Hauptsaal der Villa Ludovisi in Rom, erschien einst
Göthe „wie ein Gesang Homers“, und in der That wird die Seele
griechisches Mass und griechische Schönheit selten so vernehmlich zu
[427]Hera.
sich reden hören. Der andere, im Museum von Neapel (Halle desa
Tiberius), giebt in schöner frühgriechischer Arbeit einen ältern, stren-
gern Typus wieder, dem zur vollen Majestät noch die Anmuth fehlt,
aus einer Zeit, da die griechische Kunst noch nicht ihre volle har-
monische Grösse erreicht hatte; es ist noch die homerische, er-
barmungslose Hera 1), während aus der Ludovisischen eine königliche
Milde hervorblickt. Verweilen wir noch bei diesem Haupte, so oft
und so lange die Strenge des Besitzers die Thür offen lässt! Die
göttliche Anmuth liegt wesentlich in der Linie des Mundes und in
den nächstliegenden Theilen der Wangen, auch in den nur mässig
grossen, mild umrandeten Augen (wie hart und scharf sind die Augen-
lieder der neapolitanischen!). Das einzige Leiden ist die Restauration
der Nasenspitze, welche man sich auf irgend eine Art verdecken
möge.
Von diesem hohen Typus führen verschiedene Pfade abwärts in
das Kluge und Schlaue, in das bloss Liebliche, selbst in das Buhle-
rische. Eine beträchtliche Anzahl von Büsten geben die Belege hiezu.
Wir nennen bloss diejenigen, welche sich zugleich noch merklich an
die hohe Grundgestalt anschliessen.
In demselben Hauptsaal der Villa Ludovisi; eine tüchtige römischeb
Juno mit Schleier, Diadem und gewirktem Unterkleid. Im Vorsaal:
eine geringere aus römischer Zeit, und ein uralter, sehr colossaler
Kopf. — Ein schöner und milder römischer Kopf im Braccio nuovoc
des Vaticans. — Ein anderer in der obern Galerie des Museo capi-d
tolino. — Eine freundlich-galante Juno im Museum von Neapel (Hallee
des Tiberius, in der Nähe der berühmtern). — Eine der strengern,
aus römischer Zeit, in den Uffizien zu Florenz (Halle d. Hermaphr.).f
— Eine sehr schöne, vielleicht griechische Büste, flüchtig gearbeitet,
sehr abgerieben und durch eine moderne Nase abscheulich entstellt,
findet sich im Dogenpalast zu Venedig (Sala de’ Busti). Am Diademg
Palmetten und zwei Greifen.
[428]Antike Sculptur. Demeter.
Die eigentliche Matrone unter den Göttinnen, die mütterliche in
vorzugsweisem Sinne war einst Demeter. Die frühere Kunst gab
ihr daher, neben dem Jugendlichen, was allen Göttinnen eigen ist,
zwar nicht die königliche Würde der Hera, aber doch eine hohe Gra-
vität, einen gewaltigen Gliederbau und eine völlige Bekleidung (selbst
bisweilen einen Schleier). So finden wir sie in der grandiosen (in
aden Attributen ergänzten) Colossalstatue des Vaticans (Sala rotonda)
dargestellt; ihre Stellung ist die so mancher Statuen des ältern Typus:
mächtiges Vortreten des einen Fusses (auf welchem der Körper ruht),
Nachziehen des andern, also beinahe ein Vorschreiten, wie es insbe-
sondere der wandernden Göttin geziemt, die ihre verlorene Tochter
sucht.
Ein späterer Typus zeigt die Göttin ohne das Matronenhafte,
vielmehr mit dem süssesten Reiz eines schlank zu nennenden jungen
Weibes angethan. Nur die Ähren in der Hand deuten an, um wen
bes sich handelt. Dieser Art ist die Statue der Villa Borghese
(Zimmer der Juno). Ganz ungesucht und mühelos scheint hier der
Bildhauer das herrlichste denkbare Gewandmotiv als Ausdruck des
edelsten Leibes, und die stille, sinnende Schönheit eines Kopfes
erreicht zu haben, der zwischen Aphrodite und den Musen die
Mitte hält.
An diese Statue erinnert eine schöne, als Flora restaurirte Ge-
wandfigur im Vatican (Galeria delle Statue), die ihr jedoch nicht
gleich kömmt. Dagegen könnte die als Hygiea restaurirte Statue im
dDogenpalast zu Venedig (Sala de’ Busti) eher eine Demeter jenes äl-
tern Typus gewesen sein.
Zu den reichen, vollen, mütterlichen Bildungen gehört auch Isis,
die schon zur griechischen Zeit aus dem ägyptischen Götterkreis in
die classische Kunst hereinkam. Fast junonisch herrlich erscheint sie
euns in dem prächtigen Colossalkopf der Villa Borghese (Hauptsaal);
fmehr jungfräulich in einem reizenden Köpfchen des Vaticans (Büsten-
zimmer; statt des Lotos ein Lockenbund über der Stirn). Die voll-
ständigen Statuen werden bald für die Göttin selbst, bald für eine
blosse Priesterin ausgegeben; ein Zweifel, welcher desshalb unlösbar
[429]Isis. Ares.
bleibt, weil überhaupt Priester und Priesterin beim feierlichen Opfer
das Costüm ihrer Gottheit trugen. Isis ist in dieser Beziehung sehr
leicht zu erkennen an dem Sistrum (wo es nicht restaurirt ist), einem
birnförmig gebogenen, mit einigen Drähten oder Stäbchen durch-
zogenen Lärminstrument von Erz, und an dem vor der Brust zusam-
mengeknüpften Fransengewand. Eine späte, aber noch sehr schöne
Statue im Museo Capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters); zweia
geringere im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore).b
Von dem Gott des Kampfes, den die römische Kunst überdiess
als Vater des Romulus zu verherrlichen hatte, besitzt man auffallender
Weise keine völlig sichere Statue von guter Arbeit. Im untern Gangc
des capitolinischen Museums steht ein prächtig geharnischtes und be-
helmtes Colossalbild, dessen Züge wohl den Sohn des Zeus zu ver-
rathen scheinen, das aber eben seiner pomphaften Bekleidung wegen
doch wohl eher ein Porträt heissen mag. (Es galt früher für Pyrrhus.)
Die gute nackte Statue eines reifen, fast stämmigen Mannes mit Helmd
und kurzem Mantel, im grossen Saale desselben Museums, ist wohl
unstreitig ein Mars, aber mit dem Angesicht Hadrians. Die mehrfach
(z. B. gerade hier) vorkommende Gruppe von Mars und Venus ist
durchgängig von später Arbeit und stark restaurirt. Selbst die herr-
liche Statue der Villa Ludovisi wird von Manchen als Achill ine
Anspruch genommen, mag aber einstweilen als ein ruhender, zur
Milde gestimmter Kriegsgott gelten; mit dem Schwert in der Hand,
den Schild zur Rechten, sitzt er auf einem Fels, den linken Fuss auf
einen Helm gestützt; vor ihm ein Amorin; sein Typus ist im Ganzen
dem des Hermes ähnlich, nur mit männlich strengern, härtern Zügen,
zumal im untern Theile des Gesichtes. Die Stellung wunderbar leicht,
von allen Seiten die schönsten Linien darbietend. Man glaubt auf ein
Original des Skopas schliessen zu dürfen. — In der Nähe die Statuef
eines ebenfalls nackten, auf dem Boden sitzenden Helden, welche eine
belehrende Vergleichung des bloss Heroischen mit dem Göttlichen des
Ares gewährt.
In vollständiger Rüstung, ausschreitend und mit einer Waffe aus-
holend, ist Mars hauptsächlich in den etruskischen Erzfiguren dar-
[430]Antike Sculptur. Hermes.
agestellt. (Museo etrusco des Vaticans: der bekannte Mars von Todi;
bUffizien in Florenz, zweites Zimmer der Bronzen, zweiter Schrank:
mehrere kleine Figuren dieser Art; doch auch ein ganz kleiner ver-
stümmelter Mars des schönen Typus.)
Die antike Mythologie gewährte der Kunst oft an einer und der-
selben Gottheit viele Seiten und Charakterzüge, die sich darstellen
liessen, je nachdem die verschiedenen Entwicklungsperioden des Grie-
chenthums, auch wohl die localen Mythen, eine göttliche Gestalt ver-
schieden hatten bilden helfen. Endlich aber pflegt sich die Kunst
einer jener Seiten entschieden zu bemächtigen und die andern zu
vergessen oder nur als Anklänge leise anzudeuten.
Reichlichen Beleg hiefür liefert Hermes. Ursprünglich ein unter-
irdischer Gott des Gedeihens und des Seegens ward er später der
Herr des Gewinns und Verkehrs, ein Bote der Götter, wandelnd vom
Olymp bis zur Unterwelt, nach welcher er auch die Menschenseelen
geleitet. Kaum eine Gottheit wurde häufiger gebildet; an allen
Strassen begegnete man einem Pfeiler mit seinem bärtigen Haupt,
sodass dergleichen Pfeiler mit Köpfen überhaupt den Namen „Her-
men“ erhielten, gleich viel wen sie darstellten.
Da er aber als Gott des Gedeihens auch der Schützer der Gym-
nasien war, so wurde später aus dem raschen, rüstigen Götterboten
das Ideal eines nur mit dem kurzen Mantel (Chlamys) bekleideten
Jünglings der Ringschule, und bei diesem Typus hielt die Kunst stille.
Von seiner Botenschaft her blieb ihm bisweilen ein Ansatz von Flü-
geln an den Fussknöcheln, auch wohl am Haupt, so wie der Reise-
hut; von seinem Heroldsamte bisweilen der Schlangenstab; von seiner
Eigenschaft als Kaufmann der Geldbeutel in der Linken; — allein auch
ohne diess Alles ist und bleibt er Hermes und zwar gerade in den
besten Beispielen.
Weit die erste Stelle nimmt unter diesen der vaticanische
Hermes (Belvedere) ein; derselbe welcher früher unbegreiflicher
Weise als „vaticanischer Antinous“ bezeichnet wurde. Es ist ein
ewig junges Urbild der durch Gymnastik veredelten Leiblichkeit, wie
die breite, herrliche Brust, die kräftigen und doch feinknochigen Glie-
[431]Hermes.
der, die leichte, ruhige Stellung diess vernehmlich ausdrücken. Allein
in der ganzen Gestalt waltet ein wahrhaft göttlicher Sinn, der sie
über jene Einzelbedeutung weit emporhebt. Sie hat, ich möchte
sagen, ein höheres, zeitloseres Dasein als alle menschlichen Athleten,
in welchen die Wirkung der letztvorhergegangenen, die Erwartung
der nächsten Anstrengung mit angedeutet scheint. Und welch ein
wunderbares Haupt! es ist nicht bloss der freundlich-sanfte, feine
Hermes, sondern wahrhaftig der, welcher „den obern und den untern
Göttern werth“ ist, der Mittler der beiden Welten. Darum liegt auf
diesem Jünglingsantlitz ein Schatten von Trauer, wie es dem unsterb-
lichen Todtenführer zukömmt, der so viel Leben untergehen sieht.
Die süsse, jugendliche Melancholie, welche im Antinous zweideutig
gemischt waltet, ist hier mit vollkommener Reinheit ausgedrückt.
Die Statue ist stark verstümmelt, geglättet und zweifelhaft re-
staurirt. Möge sie wenigstens fortan bleiben wie sie ist. (Eine viela
geringere Wiederholung im grossen Saal des Pal. Farnese.)
Noch mancher treffliche Hermes steht in den römischen Galerien,
allein keiner der diesem irgend nahe käme. Zur Vergleichung diene
z. B. der Hermes mit der Inschrift INGENVI (Vatican, Galeria delleb
statue), und derjenige des Braccio nuovo, gute römische Arbeiten.c
Im letztgenannten Theile des Vaticans stehen (hinten) auch zwei be-
mäntelte Hermen, deren Köpfe wirklich Hermes vorstellen. — Im
grossen Saal des capitolinischen Museums glaubt man in der Statued
eines vorgebeugten Jünglings, welcher (in der jetzigen Restauration)
den Zeigefinger der Rechten wie horchend erhebt, und den linken
Fuss auf ein Felsstück setzt, einen Hermes zu erkennen. Es ist ein
stattliches, lebensvolles Werk, etwa aus hadrianischer Zeit. — Ein
römischer Hermes, wenigstens mit einem Nachklang jener schönene
Trauer, im Hauptsaal der Villa Ludovisi.
Im Museum von Neapel, Abtheilung der grossen Bronzen, bietenf
zunächst zwei Köpfe eine interessante Parallele dar. Der eine, alter-
thümlich streng, mit einer Reihe von Löckchen wie Korkzieher, zeigt
uns den kalten conventionellen Ausdruck des frühern griechischen
Typus, während der andere sich der seelenvollen Schönheit des vati-
canischen Gottes nähert. Dann findet sich hier die unvergleichlicheg
Statue des angelnden Hermes. Er hat schon lange gesessen und
[432]Antike Sculptur. Hermes.
ist darob etwas eingesunken; allein sein Blick sagt, dass er noch
lauert und seine ganze leichte Stellung und der Bau seiner Glieder
lässt ahnen, mit welcher Elasticität er aufspringen wird. Die Kunst
wird keine sitzende nackte Jünglingsfigur mehr schaffen, ohne dieses
Erzbild wenigstens mit einem Blick zu Rathe zu ziehen. Ist es aber
wirklich Hermes? Was er an den Füssen angeschnallt hat, sind keine
Sandalen, sondern Flügel, die ihm also nicht von Hause aus angehören;
sodann hat sein Kopf wohl den Hermestypus, aber auf einer niedri-
gern Stufe, und vollends geben ihm die abstehenden Ohren etwas
Genrehaftes. Vielleicht haben wir irgend einen unbekannten Mythus
oder auch nur einen unergründlichen Scherz vor uns.
In den Uffizien zu Florenz kann eine ausgezeichnet wohlerhaltene
römische Statue (im ersten Gang) gerade zum Beleg des Gesagten
dienen, insofern hier die Flügel unmittelbar über dem Knöchel aus
dem Fuss herauswachsen. Von viel grösserer Bedeutung ist der leider
bsehr stark und zwar als Apoll restaurirte sitzende Hermes im zweiten
Gange. Der Gott ist sehr jugendlich, etwa fünfzehnjährig gedacht,
aber in grösserm Verhältniss ausgeführt, sodass man ihn in seinem
verstümmelten Zustande leicht verkennen konnte, indem seine spätere
gymnastische Bildung hier nur leise angedeutet ist. Ein Blick auf den
ebenso jugendlichen Apoll, etwa den Sauroktonos, zeigt freilich den
gründlichen Unterschied; hier wollen alle Formen nur das leichteste
Dasein ausdrücken, während im Hermes die Rüstigkeit und Elasticität
ein wesentlicher Zug ist, selbst wo er ruht wie hier. (Schöne römische
Arbeit; in der Nähe eine ähnliche, viel geringere Statue mit dem echten
Hermeskopfe; die Lyra, deren Erfinder Hermes war, ist hier antik.)
c— Noch knabenhafter und fast genreartig ist Hermes dargestellt in
einer Statue der Inschriftenhalle ebenda, einem guten römischen Werke.
Er steht auf einen Stamm gelehnt; im ursprünglichen Zustande hielt
er etwas mit der rechten Hand, auf die seine Blicke gerichtet sind.
d— Ob der gute römische Torso von Basalt (in der Halle des Her-
maphr. ebenda) einen Hermes oder einer Satyr vorstellte, ist schwer
zu entscheiden.
Vom Geschlecht des Hermes als Schützers der Ringschulen sind alle
Athleten griechischer Erfindung. Man erwarte hier nicht den zum
[433]Athleten. Discobolen.
Gladiator abgerichteten römischen Sklaven. Der griechische Jüngling
übte sich in allen Gattungen der Gymnastik freiwillig, weil ihm die
gleichmässige Ausbildung des ganzen Menschen Lebenszweck war.
Und so stellte ihn die Kunst dar, edel bewegt oder edel stehend, ela-
stisch ohne alles Tänzerliche, mit irgend einer äussern Andeutung des
eigentlich Gymnastischen; der ganze Leib aber ist in allen Theilen
durchgearbeitet und der Weichlichkeit abgerungen ohne doch in der
reichen Musculatur irgendwie absichtlich zu erscheinen. Eine innere
Schwungkraft scheint ihn zu beleben. Der in der Regel kleine Kopf
mit kurzem Haar sitzt frei und schön auf dem Nacken; der Ausdruck
ist ernst und sanft und klingt sehr deutlich an den des Hermes an.
Im Braccio nuovo des Vaticans bereiten die Athleten der Halb-a
rotunde, mittelgute Arbeiten, auf den vor drei Jahren gefundenen
„Apoxyomenos“ am Ende des Saales vor. Wenn die Kenner in
demselben auch nicht das berühmte Original des Lysipp finden und
im Einzelnen Manches tadeln wollen, so bleibt die Statue doch eine
der besten dieser Art. Die so schwer auf schöne Weise zu gebende
Bewegung der Arme und die dadurch begründete Linie des Körpers
sind hier Wunder der Kunst.
Sehr reizende Motive gewährten sodann die Discobolen oder
Scheibenwerfer; sei es dass sie gebückt im Augenblick des Werfens,
oder stehend und sich zum Wurf vorbereitend gebildet wurden; immer
geschah es mit dem höchsten, durch die ganze Gestalt verbreiteten
Ausdruck des Momentes. Der Vatican enthält (in der Sala della biga)b
sehr ausgezeichnete Beispiele, einen stehenden, mit Auge und Geberde
sein Ziel messenden, nach Naukydes, und einen gebückten, nach My-
ron; von letzterm ein noch schöneres Exemplar im Palast Massimic
zu Rom. Ein sehr zusammengestückelter stehender, von ursprünglich
guter Arbeit, im Braccio nuovo des Vaticans. Eine geringere Wieder-d
holung des myronischen in den Uffizien, zweiter Gang.e
Bei weitem am häufigsten aber sind ruhig stehende Athletenbil-
der, ohne Andeutung einer besondern Thätigkeit. Bei ihrer oft stark
restaurirten Beschaffenheit und dem meist geringen Werth ihrer Aus-
führung (als Decorationsfiguren) ist es nöthig sich zu erinnern, dass
man doch vielleicht manches Nachbild nach jenen hunderten der schön-
sten Athletenstatuen im Hain von Olympia vor sich hat. — Zu diesen
B. Cicerone. 28
[434]Antike Sculptur. Athleten. Ringer.
ruhig stehenden Athleten gehört vielleicht, wie wir sehen werden, der
asog. capitolinische Antinous. Andere Arbeiten von Werth: der Athlet
mit Salbgefäss in der Galeria delle Statue des Vaticans; der schlanke,
bkurzhalsige, einem alterthümlich strengen Original nachgebildete, im
grossen Saale des capitolinischen Museums; der das Stirnband Um-
clegende (Diadumenos) im grossen Saal des Palastes Farnese, nach
einem berühmten Motiv. — Vier Athleten im ersten Gang der Uffi-
dzien zu Florenz, zum Theil willkürlich restaurirt und von jeher nicht
viel mehr als Decorationsarbeit, aber vielleicht nach Originalen der
grossen alten Zeit, worauf der breite, gewaltige Typus und beson-
ders die Bildung des Kopfes und Halses hinweist. Ein ähnlicher im
ePal. Pitti (inneres Vestibul oberhalb der Haupttreppe.)
Von den Bronzen des Museums von Neapel (Abtheilung der
grossen Bronzen) gehören ausser mehrern schönen Köpfen hieher die
beiden trefflichen Statuen der gebückt laufenden Jünglinge. Bei Wer-
ken von so lebensvoller, wenn auch einfacher Arbeit hat der geringste
Zug seine Bedeutung. Es wird also eine sehr aufmerksame Betrach-
tung wohl dahin gelangen zu entscheiden, ob eigentliche Wettläufer,
ob Discuswerfer die ihrer entrollenden Scheibe nachblicken, ob end-
lich Ringer gemeint sind, welche sich den Punkt des Angriffs er-
sehen. Kenner des jetzigen Ringkampfes versichern das Letztere.
Ein sehr tüchtiger bronzener Athlet, der sog. Idolino, steht in
den Uffizien (zweites Zimmer der Bronzen) auf einer prächtigen
Basis aus der Renaissancezeit, von Verocchio oder Settignano. —
hEbendaselbst (sechster Schrank) die Statuette eines Ringers in voller
Bewegung; am aufgehobenen rechten Ellbogen ist noch die Hand
seines fehlenden Mitringers erhalten.
Diese wahrscheinlich erst aus römischer Zeit stammenden Exem-
plare lassen auf die Verehrung schliessen, welche jenen ebenfalls
ehernen Athletenbildern der griechischen Kampfstätten noch immer
gewidmet wurde. Die spätere Sculptur muss nach den Siegerstatuen
von Olympia wie nach einer Sammlung von Urkunden der Kraft und
Anmuth emporgeblickt haben.
Die beiden Ringer in der Tribuna der Uffizien zu Florenz werden
bei Anlass der Gruppen behandelt werden.
[435]Gladiatoren. Krieger.
Bekanntlich nahmen, wenigstens in Sparta, auch die Mädchen an
gewissen Wettkämpfen Theil, und es ist zu glauben, dass sich die
Sculptur die darstellbaren Motive nicht entgehen liess, welche dabei
zum Vorschein kamen. Erhalten ist, wenigstens in guter alter Copie,
eine zum Auslauf bereite Wettläuferin (im obern Gang des Vaticans);a
eine graziöse, nichts weniger als amazonenhafte Gestalt, in welcher
das Jungfräuliche vortrefflich ausgedrückt ist. Die kurzgeschnittenen
Stirnhaare gehörten zur Sache; auch die Büste ist so ausgeweitet wie
der Wettlauf es erfordert, die Beine von einer fast scharfen Aus-
bildung.
Überaus traurig ist der endliche Ausgang des Athletenbildens.
Das kaiserliche Rom begeisterte sich nämlich so sehr für die Wagen-
führer seiner Cirken und die Gladiatoren seiner Amphitheater, dass
deren leibhafte Abbildungen mit Namensbeischrift Mode wurden. Die-
ser Art sind schon die Mosaikfiguren aus den Caracallathermen inb
einem obern Saale des Laterans und vollends die aus dem IV. Jahr-c
hundert stammenden im Hauptsaal der Villa Borghese. Selbst an
Sarcophagen (z. B. einem im ersten Gang der Uffizien) kommen Wa-d
genführer mit Namen vor. Auch die alten Griechen waren von der
persönlichen Darstellung bestimmter Athleten ausgegangen, allein sie
hatten dieselbe auf eine allgemeine Höhe des Schönen gehoben und
sie bald nur als vielgestaltige Äusserungen des Schönen dargestellt.
Es kann nicht befremden, dass die Statuen von hellenischen
Kriegern bisweilen schwer von den Athletengestalten zu trennen
sind. Über eine der berühmtesten Statuen des Alterthums, den bor-
ghesischen Fechter (im Louvre), hat man sich lange Zeit nicht
ganz einigen können, ob darin ein Ringkämpfer oder ein Krieger zu
erkennen sei; die Stellung spricht für das letztere, die Formen des
Körpers aber sind die der vollendetsten Athletik, wie sie kaum an
einer andern Statue vorkommen. (Von einem römischen Gladiator
kann gar nicht die Rede sein.)
Eine Anzahl von Statuen aber stellen ohne Zweifel wirkliche
Krieger dar, mögen sie nun besonders gearbeitet sein oder irgend
einer Schlachtgruppe angehört haben. Ersteres gilt wohl von dem
28*
[436]Antike Sculptur. Krieger. Heroen.
aschönen, ausruhend auf der Erde sitzenden Krieger der Villa Ludo-
visi (Hauptsaal), von griechisch scheinender Arbeit, den wir schon bei
Anlass des nahen Ares erwähnten. Vier Marmorbilder des Museums von
bNeapel (erster Gang, leider wie so Manches aus der alten farnesischen
Sammlung stark überarbeitet) waren vielleicht eher Theile einer Gruppe
und zwar am ehesten einer Giebelgruppe, wie ihre ausschliessliche Be-
rechnung auf die Vordersicht andeutet 1). Einer dieser Kämpfer sinkt
tödtlich verwundet zusammen; einer, mit besonders schön entwickeltem
Körper, ist im Anspringen begriffen; ein dritter legt aus; ein vierter,
sehr jugendlich und mit kurzem Mantel bekleidet, scheint sich, bereits
verwundet, zu vertheidigen. Die Motive sind sämmtlich von höherm
Werthe als die übrigens noch immer gute Ausführung; es sind schöne
griechische Einzelgedanken aus einer jener Kampfscenen, die das be-
deutendste Factum in einer geringen Anzahl von Figuren gleichsam
verdichtet und concentrirt darstellen mussten. Dass das Urbild ein
sehr altes war, beweist der einzig echt erhaltene Kopf des zweiten,
dessen regelmässige Haarlöckchen und starkes Kinn noch unmittelbar
an die Ägineten erinnern. — In demselben Gang finden sich noch
mehrere Kriegerstatuen theils von geringerm Werth, theils von über-
cwiegend modernen Bestandtheilen. — In der Halle des farnesischen
Stieres findet sich auch eine jener seltenen Statuen aus dem trojani-
schen Heldenkreise (colossal, schon in antiker Zeit (?) restaurirt und
mit einem Bildnisskopf versehen); der fast nackte Krieger trägt einen
todten Knaben, den er an dem einen Fusse hält und über die Schul-
ter hängen lässt, eilig aus dem Kampfgewühl; es ist wahrscheinlich
Hektor, der dem Achill die Leiche des Troilos entrissen. Hier ist die
Bildung allerdings keine athletische mehr, sondern eine im höhern
Sinn heroische, soweit die antike Beschaffenheit sich erkennen lässt;
die Bewegung und das Motiv der beiden Körper verrathen ein vor-
treffliches Urbild. — Noch viel berühmter aber muss eine oft wieder-
holte Gruppe: Aiax (n. a. Menelaos) mit dem Leichnam des Patroklus
gewesen sein, welche bei Anlass der Gruppen zu besprechen sein wird.
[437]Heroen. Jäger. Meleager.
Der trefflichste Achill ist mit der ältern borghesischen Sammlung
in den Louvre übergegangen. Vielleicht ist mit einer tüchtigen He-a
roenstatue der Villa Albani (Vorhalle des Kaffehauses) Achill gemeint.
— Einen wunderschönen Kopf des Achill, von griechischer Arbeit,b
findet man im Camposanto zu Pisa (N. 78).
Von Odysseus haben wir nichts Sicheres, als die kleine Statue
des Museo Chiaramonti (Vatican), welche ihn darstellt, wie er demc
Kyklopen die Schale reicht. Eine stramme, kräftige Figur; in den
Zügen mehr der Energische, Vielduldende als der Schlaue.
Als Bildnissstatue eines Kriegers aus der historischen Zeit ist
jedenfalls der Alcibiades in der Sala della biga des Vaticans zud
betrachten, auch wenn die Benennung sehr zweifelhaft bleiben sollte.
Es ist ein sehr schöner Akt der Vertheidigung; der Beschauer er-
wartet, dass sie erfolgreich sein werde, weil in der ganzen Gestalt
nicht nur physische Macht, sondern hohe geistige Entschiedenheit
waltet.
Auf die Krieger folgen die Jäger und zwar zunächst ihr mythi-
sches Urbild, Meleager. Die berühmte vaticanische Statue (Be-e
vedere), ein vorzügliches Werk der Kaiserzeit, wenn auch nicht in
allen Theilen gleichmässig belebt, giebt uns diesen Typus in seiner
vollkommenen Ausbildung, sehr dem Hermes genähert, selbst in Ge-
stalt und Zügen des jugendlichen Kopfes, und doch wieder wesent-
lich von ihm verschieden. Die Jagd verlangt und bildet einen Körper
anders und einseitiger als die Athletik; ihr genügt das Schlanke und
Rasche; eine für jede Probe durchgearbeitete Musculatur wäre über-
flüssig. So schön und leicht nun diese Gestalt dasteht, so unbeholfen
und zweideutig ist die Stützung unter dem linken Arm (Eberkopf und
Tronco). Vielleicht hatte der Künstler ein ehernes Urbild vor sich
und musste sich in Marmor helfen, wie er konnte. Eine kleine Wie-
derholung von rosso antico im Museum von Neapel (Halle der farbi-f
gen Marmore). Eine stark überarbeitete lebensgrosse Statue im Haupt-g
saal der Villa Borghese.
Weit von dieser Auffasung entfernt und durch den Contrast be-
lehrend: die Statue eines Jägers im grossen Saal des Museo capitolino.h
[438]Antike Sculptur. Pallas.
Hier handelt es sich nicht um einen mythischen Heros, sondern nur
um einen besonders geschickten und begünstigten römischen Jagd-
sclaven, der denn auch wie er war, von der Hand eines guten Künst-
lers (vielleicht der augusteischen Zeit), vor uns steht. Ob „Polyti-
mus der Freigelassene“, wie an der Basis zu lesen ist, auf den Jäger
Bildhauer oder Eigenthümer geht, wollen wir nicht entscheiden.
Wenn sich in jeder Gottheit irgend eine Seite des griechischen
Wesens ideal ausdrückt, so ist Pallas Athene eine der höchsten
Versinnlichungen dieser Art. Aus der Lichtjungfrau, welche die dämo-
nischen Mächte bekämpft und das Haupt der besiegten Gorgo an der
Brust trägt, war schon bei Homer und Hesiod eine Schützerin jeder
verständigen und kräftigen Thätigkeit, die Begleiterin, der Genius des
„Griechen als solchen“ geworden, wie wir den vielduldenden Odysseus
wohl nennen dürfen; sie ist der Verstand des Zeus und aus seinem
Haupte geboren. Weder der Peloponnes noch Jonien hätten sie herr-
lich genug gebildet; als Schutzherrin von Athen erhielt sie ihren
Typus durch die grössten Künstler dieser Stadt, vorzüglich durch Phi-
dias; aus ihrer Gestalt scheint Athen selber vernehmlich zu uns zu
sprechen.
Die ältere Kunst hob an ihr wesentlich das Kriegerische hervor;
erregt, selbst stürmisch schreitet die bewaffnete, strenge Jungfrau mit
ihren fast männlichen Formen und Geberden einher. So die schon
aerwähnte hieratische Statue in der Villa Albani (Reliefzimmer). —
Eine späte Nachahmung eines ruhigern Tempelbildes, im Hauptsaal
bder Villa Ludovisi, interessirt hauptsächlich durch den Künstlernamen:
Antiochos von Athen.
Einen viel entwickeltern Typus, in welchem indess noch immer
die kriegerische Stadtherrscherin vorwaltet, finden wir in einer Statue
cdes Museums von Neapel (Halle der Flora) ausgedrückt. Das Haupt, von
mächtigen, fast junonischen Formen, trägt einen Helm, dessen reicher
Schmuck sammt der umständlich behandelten Aegis der ganzen Gestalt
noch etwas Buntes giebt. Man vergleiche mit dieser Statue die in der In-
dtention übereinstimmende im Hauptsaal der Villa Albani, welche bei sehr
vorzüglicher griechischer Arbeit noch etwas Heftiges und Befangenes hat;
[439]Pallas.
die Statur untersetzt, der Helm, in Form eines Thierfelles, wie eine
Haube anliegend. (Eine schöne kleine Bronze der Uffizien: Bronzen,a
II. Zimmer, 1. Schrank, zeigt ähnliche Auffassung.) Sehr eigenthümlich,
als kriegerisches Mädchen, erscheint Pallas in einer schön gedachten,
aber nur mittelgut ausgeführten Statue der Uffizien (Verbindungsgang);b
das vortrefflich übergeworfene, mit der Linken an der Hüfte festge-
haltene Gewand reicht nur bis an die Waden. Der echte, wenigstens
alte Kopf schaut, seit das Halsstück neu eingesetzt ist, etwas senti-
mental aufwärts.
Die volle Herrlichkeit der Göttin spricht sich jedenfalls erst in
demjenigen Typus aus, welcher in zwei (nicht sehr von einander ab-
weichenden) Statuen erhalten ist: der Pallas Giustiniani im Braccioc
nuovo des Vaticans, und der Pallas von Velletri 1) in der obern Ga-d
lerie des capitolinischen Museums. In langem einfach gefaltetem Ge-
wand und Mantel steht sie ruhig da; von den Waffen hat die letzt-
genannte Statue sogar nur den schlichten hohen Helm und den Speer.
Ihr länglich ovales Antlitz mit dem strengen Blick und Mund ist bei
hoher Schönheit weit entfernt von aller Bedürftigkeit, von aller Liebe;
das unbeschreiblich Klare ihrer Züge wirkt indess doch nicht wie
Kälte, weil eine göttliche Macht darin waltet, die Vertrauen erregt.
Gerade die gänzliche Einfachheit der ganzen Darstellung lässt diesen
Ausdruck so überwältigend hervortreten. — Ob wir hier einen der
Typen des Phidias oder einen etwas spätern vor uns haben, mag un-
entschieden bleiben — jedenfalls wird man den Künstler glücklich
preisen, der das Wesen der Pallas Athene zuerst so empfand. (Die
Pallas von Velletri in der Arbeit ungleich; die giustinianische leider
stark geglättet. Eine ähnliche Figur, von guter römischer Arbeit,
mit modernem Kopfe, im Pal. Pitti zu Florenz, inneres Vestibul ober-e
halb der Haupttreppe).
Eine Menge einzelner Büsten der Göttin halten im Ganzen diesen
spätern, ruhigen Typus fest. Man wird im Braccio nuovo des Vati-f
cans eine sehr schöne, in der Höhe stehende vielleicht nicht sogleich
als modern erkennen; der Kopf ist aber in der That einem antiken
[440]Antike Sculptur. Roma. Tyche.
aBruchstück zu Liebe hinzugearbeitet. — Im Museo Chiaramonti eine
Colossalbüste mit eingesetzten Augen und Drahtwimpern, etwas leere
römische Prachtarbeit. Ebendort ein kleines gutes Köpfchen. In den
bBüstenzimmern eine vortreffliche grosse Büste. Im Museum von Nea-
cpel (Halle des Jupiter) zwei gute Büsten.
Von der kriegerisch gerüsteten Pallas geradezu entlehnt wäre der
Typus der Göttin Roma, wenn wir die einzige vorhandene Statue
düber dem Brunnen auf dem Capitol wirklich als solche in Anspruch
nehmen dürfen. — Ganz sicher ist dagegen das Relief an der Palast-
eTreppe der Villa Albani; die schlanke, amazonenhafte Roma, in kur-
zem Gewand bis an die Knie, das Haupt behelmt, thront hier auf
Trophäen. Bei nicht eben geistvoller Ausführung ist sie als die
stets rüstige, sprungfertige Siegerin doch glücklich charakterisirt. —
fDie sitzende Colossalstatue im Garten der Villa Medici soll ebenfalls
eine Roma sein.
Bei diesem Anlass sind noch einige andere locale Personificationen
zu nennen.
Auch die Provinzen wurden bisweilen an Siegesdenkmalen
charakterisirt. Von grössern Bildwerken dieser Gattung sind uns nur
geine Anzahl Hochrelieffiguren erhalten (eine im untern Gang des Museo
Capitolino, eine im Hof des Conservatorenpalastes, mehrere im Museum
von Neapel, Halle des Jupiter), leblose römische Decorationsarbeiten.
hAn einem berühmten Altar aus Puteoli (Museum von Neapel, Halle
des Tiberius) sind vierzehn asiatische Städte als allegorische weibliche
Figuren dargestellt, wobei die Kunst sich begreiflicher Weise sehr auf
die Attribute stützen musste; überdiess ist der Marmor sehr verwittert.
— Diess Alles kommt kaum in Betracht neben einer kleinen, wunder-
ischönen Figur des Vaticans (oberer Gang), welche die Tyche oder
Stadtgöttin von Antiochien vorstellt. Ganz bekleidet sitzt sie mit
aufgestücktem Arm und übereinandergeschlagenen Füssen auf einem
Fels, unter ihr die nackte Halbfigur des Flussgottes Orontes. (Nach-
ahmung eines Werkes aus der Diadochenzeit.) Hier endlich ist vor
Allem ein schönes lebendes Wesen dargestellt und die geographische
Symbolik untergeordnet. In Antiochien, wo das Urbild stand, wusste
[441]Amazonen.
ja doch Jedermann, welche Göttin gemeint war. (Zwei kleine Bronze-a
wiederholungen in den Uffizien, II. Zimmer d. Br., 4. Schrank.)
In eigenthümlicher Seitenverwandtschaft zu Pallas Athene ste-
hen, dem Typus nach, die Amazonen, deren höchste Ausbildung ja
vielleicht wesentlich demselben grossen Bildner angehört, welchem das
höchste Ideal der Stadtgöttin von Athen seine Züge verdankt, Phidias.
Der herrliche Gedanke, männliche Kraft in weiblichem Leib darzu-
stellen, gehört ganz der Zeit der hohen Kunst an, sowie die zierlich
und buhlerisch gewordene Kunst sich charakterisirt durch die Schö-
pfung des Hermaphroditen, welcher durch die Vermengung des sinn-
lich Reizenden der beiden Geschlechter ein vermeintlich Höheres re-
präsentiren soll. — Die Sage von dem kriegerischen asiatischen Frauen-
volk und von seinen Kämpfen mit den griechischen Helden gab nur
den Anlass zu dem hohen künstlerischen Problem, welches Polyklet,
Phidias, Ktesilaos, Dositheus u. A. jeder auf seine Weise löste. Aus-
geschlossen blieb wie bei Pallas in dem strengen ovalen Kopf jeder
Ausdruck des Liebreizes; bei aller Entfaltung der Kraft gehen aber
doch die Formen nie über das Weiche und Weibliche hinaus. Das
leichte aufgeschürzte Gewand deckt nur einen Theil der Brust und
die Hüften bis zum Knie; es fliesst so um die Gestalt, dass jede
Nuance der Bewegung sich darin klar ausdrückt. Diess war sehr
wesentlich, denn das Heroische liess sich im Weibe, wenn es schön
bleiben sollte, überhaupt nur als Rüstigkeit, Bewegungsfähigkeit dar-
stellen. — Bei den einzelnen auf uns gekommenen Motiven ist nie zu
vergessen, dass die Künstler diese Heroinnen als Gattung, als Volk
dachten, und dass wir lauter Episoden eines grössern Ganzen vor
uns sehen. Das schönste Motiv, die den Speer zum Sprung auf-
stützende Amazone des Phidias, kann man leider nirgends rein ge-
niessen, indem sie (Exemplare im Braccio nuovo und in der Gale-b
ria delle statue des Vaticans, sowie im Museo Capitolino, Zimmer desc
sterbenden Fechters) statt des Speeres mit einem Bogen restaurirt zu
werden pflegt, doch bleibt der Ausdruck und die imposante Haltung
des Kopfes, und in dem Körper das so kräftige und zugleich so an-
muthige sich Anschicken zum Sprunge. — Die verwundete Amazone
[442]Antike Sculptur. Apoll.
ades Ktesilaos, in einer Wiederholung des Sosikles, im grossen Saale
des Museo capitolino.
Eine interessante kleine Bronzewiederholung der Amazone des Phi-
dias findet sich in den Uffizien (Bronzen, II. Zimmer, 2. Schrank; mit
restaurirtem Arm.)
An der bekannten Statuette des Museums von Neapel (grosse
Bronzen), welche eine behelmte kämpfende Amazone zu Pferd dar-
stellt, ist der Typus nur wenig zu erkennen.
Die Gestalt Apolls wie wir sie aus den Statuen der Blüthezeit
und deren Nachahmungen kennen lernen, ist das gemeinsame Resultat
sehr verschiedener mythischer Grundanschauungen und einer bestimm-
ten künstlerischen Absicht auf eine Darstellung des Höchsten. Apoll
ist ein kämpfender Gott, welcher Ungeheuer und trotzige Menschen
zernichtet, er ist zugleich der Gott alles heilvollen, harmonischen Da-
seins, dessen Sinnbild und Beihülfe Musik und Dichtung sind; als
Theilhaber an der höchsten Weisheit gehört ihm auch vorzugsweise
die Weissagung und deren Ausdruck, die Orakel. Die ausgebildete
Kunst aber konnte diese Charakterzüge nicht alle einzeln darstellen;
sie gab als gemeinsames Symbol aller Ordnung und alles Heiles ein
Bild der höchsten, man könnte sagen, centralen Jugendschönheit, wie
dies dem Geiste des Griechen gemäss war. Kithara, Lyra, Bogen und
Köcher bleiben nur als Attribute; das wahre Kennzeichen des Apoll
ist eine Idealform, welche von jeder Spur einer Befangenheit, eines
Bedürfnisses vollkommen rein ist, und nicht bloss zwischen dem gymna-
nastischen Hermes und dem weichen Dionysos, sondern zwischen allen
Göttergestalten die höchste Mitte hält. Schlanke Körperformen, mit so
viel Andeutung von Kraft als die jedesmalige Bewegung verlangt; ein
ovales Haupt, durch den mächtigen Lockenbund über der Stirn noch
verlängert erscheinend; Züge von erhabener Schönheit und Klarheit.
Von den in Italien vorhandenen Statuen gewähren allerdings nur
wenige eine volle Anschauung dieses Ideals; die meisten sind römi-
sche, sogar nur decorative Arbeiten. Doch befindet sich darunter der
dvaticanische Apoll (in einem besondern Gemach des Belvedere);
als Sieger über den Drachen Python, vielleicht über die Niobiden, ja
[443]Apoll. Apollino.
als Vertreiber der Erinnyen gedacht — je nachdem man einer Erklä-
rung beipflichtet — wendet er sich, nachdem sein Pfeil getroffen, mit
hohem Stolz, selbst mit einem Rest von Unwillen hinweg. (Die de-
klamatorisch restaurirte rechte Hand möge man sich wegdenken.)
Wahrscheinlich Nachahmung eines Erzbildes, wie der Mantel andeutet,
zeigt diese Statue eine Behandlung des Einzelnen, die man am ehe-
sten der ersten Kaiserzeit zutrauen will und die gegenwärtig nicht
mehr so mustergültig erscheint, wie zur Zeit Winkelmanns. Einer
unvergänglichen Bewunderung bleibt aber der Gedanke des Ganzen
würdig, das Göttlich-Leichte in Schritt und Haltung, sowie in der
Wendung des Hauptes. (Welches übrigens, der Wirkung zu Liebe,
weit nach der rechten Schulter sitzt.)
Noch im Kampfe begriffen, die Sehne des Bogens anziehend 1),a
finden wir Apoll in einer Bronzestatue des Museums von Neapel
(grosse Bronzen). Hier ist er ungleich jugendlicher, schlank, als
Knabe, doch mit einem ähnlichen unwilligen Ausdrucke des Köpf-
chens gebildet. Die schöne Bewegung seines Laufes wird durch das
über den Rücken und dann vorn über die Arme geschwungene Stück-
chen Gewand gleichsam noch beschleunigt.
Am häufigsten repräsentirt ist der Typus des angelehnt ausru-
henden Apoll, welcher den rechten Arm über das Haupt schlägt und
mit der Linken meist die Kithara hält. Dieses Motiv mit seinem fast
genrehaften Reiz kam, wie wir denken möchten, ursprünglich nur
einem sehr jugendlichen Apoll zu, und so stellt auch die berühmte
florentinische Statue (Uffizien, Tribuna), welche mit Recht der „Apol-b
lino“ genannt wird, den Gott auf der Grenze des Knaben- und Jüng-
lingsalters dar. Leider musste dieses Werk in neuerer Zeit, schwerer
Verletzungen wegen, einen Kittüberzug annehmen, welcher die echte
Epidermis völlig verhüllt; allein die praxitelische Schönheit schimmert
noch deutlich durch. Der Ausdruck des leichtesten Wohlseins ist
hier mit einem hohen Ernste verbunden, welcher die Gestalt auf den
ersten Blick von bloss halbgöttlichen Wesen unterscheidet.
Die lebensgrossen, ja colossalen Statuen desselben Motives sind
[444]Antike Sculptur. Apoll. Sauroktonos.
wohl nur spätere und an sich keinesweges glückliche 1) Vergrösserun-
gen, welches auch ihre Umbildung ins Erwachsene und Volle sein
amöge. So die zum pythischen Apoll mit Schlange und Dreifuss um-
geschaffene, colossale halbbekleidete Figur von dieser Haltung, im
bgrossen Saal des Museo capitolino, und die ähnliche grosse Basalt-
statue im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore); besser
cund ganz nackt die grosse Statue im Zimmer des sterbenden Fechters
(Museo capitolino); — ehemals hatte dieselbe Stellung der jetzt mit
daufgestrecktem Arm restaurirte Apoll am Ende des ersten Ganges der
Uffizien, vielleicht eine Arbeit hadrianischer Zeit; auch derjenige im
eDogenpalast zu Venedig, Corridojo, leidlich römisch.
Eine vom Apollino ganz verschiedene und doch wieder unendlich
schöne Bildung des jugendlichen Apollon verdanken wir sicher dem
grossen Umbildner des Erhabenen in das Lieblich-Reizende, Praxi-
teles. Es ist derjenige Apoll, welcher, mit der Linken leicht an einen
Baumstamm gelehnt, einer an diesem emporkriechenden Eidechse auf-
lauert. (In der Rechten, wo sie richtig restaurirt ist, hält er den
Pfeil, womit er das Thier zu tödten gedenkt, sobald es hoch genug ge-
krochen sein wird; daher sein Name Sauroktonos, Eidechsentötder.)
Die noch beinahe knabenhaften, überaus schlanken Formen, die fast
weiblich schönen Züge des Kopfes und die leichte ruhende Stellung,
welche an den Satyr periboëtos desselben Meisters erinnert, geben
diesem genrehaften Motiv einen hohen Reiz. So musste das Far
niente eines jungen Gottes gebildet werden. Ein sehr schönes, stark
[445]Apoll. Sogenannter Adonis.
restaurirtes Exemplar im Vatican, Galeria delle statue. Ungleich ge-a
ringer das kleine bronzene in der Villa Albani (Zimmer des Aesop).b
Eine ähnliche Statue, aber mit Lyra, Dreifuss u. s. w. aus Marmorc
verschiedener Farben ergänzt, in den Uffizien zu Florenz (zweiter
Gang).
Diesem berühmten Motiv glauben wir den sog. Adonis des Mu-d
seums von Neapel (in der danach benannten Halle) an die Seite stel-
len zu dürfen. Abgesehen von den restaurirten Armen und Beinen
bleibt ein jugendlicher Torso übrig, minder weich als Dionysos, min-
der athletisch als Hermes, mit einem reichlockigen Haupt, dessen
Züge am ehesten sich den apollinischen nähern. Eine Ahnung sagt
uns, dass auch dieses schöne, geniessende Wesen in die Reihe praxi-
telischer Bildungen zu setzen sein möchte; über seine besondere Be-
nennung darf man im Zweifel bleiben. Die vorzügliche Arbeit könnte
wohl griechisch sein 1). — Vielleicht der trefflichste Apoll Roms, nach
dem belvederischen und dem Sauroktonos, ist derjenige im Musen-e
zimmer der Villa Borghese. (Von parischem Marmor; bis an die
Knie das Meiste alt.) An demjenigen im grossen Saal des Palazzof
Farnese sind die alten Theile ebenfalls sehr schön.
Als Führer der Musen nimmt der Gott eine Gestalt und Haltung
an, welche nur im Zusammenhang mit den Musen selbst ihren vollen
Sinn offenbart (S. unten.)
Von den einfachen, stehenden Apollobildern ohne besondere Be-
ziehung ist dasjenige im Palast Chigi zu Rom nennenswerth, welchesg
noch mehr dem kräftigen als dem reichschönen Typus nahe steht. Noch
alterthümlicher, vielleicht nach einem frühgriechischen Werke, einh
zweiter Apoll im grossen Saal des Museo capitolino. Eine kleine flo-
rentinische Bronze (Uffizien, II. Zimmer d. Br., 1 Schrank) stellt deni
Apoll ebenfalls in früherer Art, mit der Rechten über die Schulter in
den Köcher greifend, dar.
Ein bis jetzt nicht erklärter Moment der Ruhe ist ausgedrückt in
dem nackt mit gekreuzten Beinen stehenden, scheinbar mit dem linken
Oberarm auf sein lang herabfallendes Gewand gelehnten Apoll; am
[446]Antike Sculptur. Artemis.
untern Ende des Gewandes der Schwan. (Ich kenne davon fünf Exem-
aplare: Museum von Neapel, zweiter Gang; — Museo capitolino, grosser
Saal; — Uffizien in Florenz, erster — und zweiter Gang, das letztere
vielleicht am besten gearbeitet; — grosser Saal des Palazzo vecchio
in Florenz.) Ob das Gewand irgend eine Stütze verhüllend gedacht
ist, von der doch wenigstens in den vorhandenen Wiederholungen gar
keine Andeutung erscheint? Ob ein ehernes Original vorlag, dessen
Stütze dem Copisten in Marmor nicht genügen konnte? Jedenfalls muss
das Urbild von hohem Werthe gewesen sein, wie schon die öftere
Wiederholung und die höchst anmuthige Stellung zeigt. Das zweite
florentinische Exemplar hat einen fast weiblichen und doch echten Kopf.
Die Schwester Apolls hat wie in den Grundbedeutungen (als
Kämpferinn gegen Thiere und Frevler und als Lichtspenderin) so auch
in der Gestalt Ähnlichkeit mit ihm. Die Kunst der Blüthezeit bildete
sie indess nicht zu einem so allseitigen Ideal aus wie den Bruder; der
Aphrodite blieb es vorbehalten, die „Wonne der Götter und der Men-
schen“ zu werden, während in Artemis Bewegung und Thätigkeit
zu sehr vorherrschten. Ihre sehr zahlreichen, aber fast durchgängig
stark restaurirten Statuen lassen sich auf zwei merkbar verschiedene
Typen zurückführen.
Der eine ist der einer reifen Jungfrau von reicher, voller Bildung,
welche sich bisweilen in der Rundung und den Zügen des Hauptes
der siegreichen Aphrodite nähert. Die Gestalt ist wohl die der Jäge-
rin, allein ohne alles Amazonenhafte, von milden Formen. So sehen
bwir sie, ganz bekleidet, in der liebenswürdigen Statue des Braccio
nuovo (Vatican); es ist Diana, die den schlafenden Endymion be-
schleicht, ängstlich und behutsam, in denkbar schönster Bewegung.
— Die meisten Statuen stellen sie jedoch bloss in dem bis über die
Kniee aufgeschürzten Untergewand, hurtig schreitend, begleitet von
einer Hirschkuh, auch wohl von einem Hunde dar. So das mittel-
cmässige, aber des Kopfes wegen charakteristische Werk im Museum
von Neapel (zweiter Gang). Bisweilen sind ihre Locken über der
Stirn zu einem Bunde (Krobylos) geknüpft, wie es der Jägerin und
auch dem streitbaren Apoll zukömmt, (der schönen Wirkung halber
[447]Artemis.
indess auch bei den Aphroditenbildern von der knidischen abwärts
zur Regel wurde.)
Der andere Typus, der sich viel enger an den des Apoll an-
schliesst, musste da entstehen, wo die Geschwister als zusammenge-
hörig dargestellt oder gedacht wurden, also bei ihrem gemeinsamen
Kampf, z. B. gegen die Niobiden. So ist das getreue Gegenstück zum
Apoll von Belvedere die Diana von Versailles (im Louvre) dem Bru-
der dermassen entsprechend gebildet, dass man an einer Zusammen-
gehörigkeit beider kaum zweifeln mag. Ausser den sehr schlanken
Verhältnissen hat die Göttin mit ihm hier auch den Ausdruck des
Unwillens gemein, der in dem schmalen weiblichen Kopfe sich fast
zu scharf und höhnisch ausspricht; ihre nicht menschlich ungestüme,
sondern übermenschlich unaufhaltsame Bewegung zeigt, dass sie erst
zum Kampf oder zur Jagd eilt, während Apoll seinen siegreichen Pfeil
schon entsandt hat. Von den italienischen Sammlungen enthält das
Museum von Neapel (grosse Bronzen) den Oberleib einer Diana, welchea
zu dem ebendort aufgestellten laufenden Apoll (S. 443, a) gehörte und
zugleich stark an die Statue des Louvre erinnert.
Als Lichtbringende (lucifera), als Luna (Selene) erscheint Diana
in der Regel ganz bekleidet 1) mit (meist restaurirten) Fackeln in den
Händen. (In der körperlichen Bildung bald mehr dem erstgenannten
bald mehr dem letztgenannten Typus entsprechend.) Die Kunst bemühte
sich hier, das Eilige und Leichte des Schrittes in einem reichen, rau-
schend bewegten Gewande auszudrücken. Wir besitzen von zwei ge-
wiss sehr vorzüglichen Originalen, einem stark ausschreitenden und
einem in kleinen Schritten gleichsam schwebenden, nur Nachbildungen
von bedingtem Werthe. Statuen im Museo Chiaramonti und im Ga-b
binetto delle Maschere des Vaticans; die letztere mit einem ähnlichenc
fast bittern Ausdruck, wie die Tödterin der Niobiden; die reichen
Haare nicht aufwärts gebunden, sondern offen zurückwallend. — Eine
wirklich schwebende (auf einem zurücktretenden Tronco ruhend) imd
Kaffehaus der Villa Albani; ihr Kopf vom ernst-lieblichen Typus.
Eine schlecht restaurirte Schreitende im Pal. Riccardi zu Florenz (Vor-e
zimmer der Acad. della Crusca).
[448]Antike Sculptur. Aphrodite. Die Siegreiche.
Bei einem Vergleich mit den flatternden Gewändern der Bernini-
schen Schule wird man selbst den manierirtesten Dianenbildern dieser
Art im Verhältniss das schöne und edle Masshalten zugestehen, das
die antike Kunst nie ganz verlässt.
Schliesslich ist eine schöne kleine Bronze der Uffizien (II. Zim-
mer d. Br., 4. Schrank) nicht zu übersehen.
So wie Apoll unter den Göttern, so bezeichnet Aphrodite
unter den Göttinnen die Sonnenhöhe griechischer Idealbildung, nicht
in ihrem ältern, königlich matronenhaften Typus, sondern in der-
jenigen Gestalt, die sie erst in der Zeit nach Phidias empfing. Und
zwar scheint sich zunächst diejenige Darstellung ausgebildet zu haben,
welche wir aus der Venus von Melos (im Louvre) kennen lernen;
vielleicht aus Scheu, zu frühe in den gewöhnlichen Liebreiz zu ver-
fallen, gestaltete die Kunst sie als Herrin selbst über göttliches Ge-
schick, als Venus victrix, wahrscheinlich mit den Waffen des
Ares in den Händen, vielleicht auch eine Palme umfassend 1), und von
den Hüften an bekleidet. Ihr Bau ist nicht bloss schön, sondern ge-
waltig, mit einem Anklang an das Amazonenhafte; ihr Haupt trägt
göttlich freie und stolze Züge, die wir im Leben nicht wohl ertragen
würden. — Eine nur sehr bedingte Reproduction hievon ist die Ve-
bnus von Capua im Museum von Neapel (zweiter Gang), aus spä-
terer, versüssender Kunstepoche. Die widerliche Restauration der
Arme und den ganz willkürlich neben sie gestellten Amor denke man
sich hinweg, — denn von letzterm sind auch die Füsse nicht alt,
wie man behaupten will, sondern nur die untere Platte der Basis,
welche indess ganz etwas anderes, etwa eine Trophäe getragen haben
wird, oder irgend einen Gegenstand den die Göttin mit der Hand be-
rührte. In der Behandlung der Formen steht diese Aphrodite mehrern
der unten zu nennenden lange nicht gleich. (In spielender Umdeutung
cbraucht die spätere Kunst den Gedanken in der guten römischen Statue
einer nackten sehr jugendlichen Venus, welche sich das Schwert des
Mars umhängt; Uffizien, Verbindungsgang.)
[449]Aphrodite. Die Knidische.
Es kann nicht befremden, dass die römische Kunst sich dieses
Motives geradezu bediente, um die Victoria, den weiblichen Genius
des Sieges darzustellen. Dieser Art ist die herrliche eherne Victoriaa
im Museo patrio zu Brescia; schon im Typus des Kopfes der Göt-
tin genähert, vergegenwärtigt sie uns vielleicht ziemlich genau die
Haltung und Bewegung der siegreichen Aphroditen, nur dass sie auf
den Schild schreibt und auch am Oberleibe mit einem (vorzüglich
schön behandelten) leichten Gewande bekleidet ist. Sie steht mit dem
linken Fuss auf einem (restaurirten) Helm, und stützt den (restau-
rirten) Schild auf die vom Überschlag des Mantels bedeckte linke
Hüfte. Auf Münzen des I. Jahrh. n. Chr. sind Victorien dieses Typus
nicht selten.
Einen andern Sinn zeigt der von Praxiteles und seiner „knidi-
schen Aphrodite“ abgeleitete Typus. Das Göttliche geht hier
rein in den wunderbarsten weiblichen Liebreiz auf, der sich in gross-
artigen Formen unverhüllt, aber ohne alle Lüsternheit offenbart. Die
Herrin ist hier zuerst mit einem bloss menschlichen Motiv, nämlich
als baden Wollende oder Gebadete dargestellt; darauf deutet das
Salbengefäss, auf welches sie bisweilen mit der einen Hand das Ge-
wand legt; mit der andern, auch wohl mit einem Theile des Gewandes
deckt sie den Schooss, nicht ängstlich, auch nicht buhlerisch, sondern
wie es der Göttin geziemt. Oft hat sie beide Hände frei, die eine
vor der Brust, die andere vor dem Schooss. Die Leichtigkeit und
zugleich die Ruhe ihrer Stellung ist nicht mit Worten auszudrücken;
sie scheint herbeigeschwebt zu sein. Das Schmachtende ist in den
noch immer grandiosen Zügen des hier schon etwas schmalern Hauptes
nur eben angedeutet.
Die verschiedenen Einzelmotive, welche wir so eben bezeichneten,
sind meist in mehrern Beispielen nachweisbar, von welchen sich manche
bis in die späteste Römerzeit hinein verlieren. Wir nennen nur die
wichtigern Exemplare:
Die vaticanische (Sala a croce greca) mit modernem blecher-b
nem Gewande; der herrliche Kopf noch sehr an die Venus victrix
erinnernd.
B. Cicerone. 29
[450]Antike Sculptur. Aphrodite.
Diejenige im Palast Chigi zu Rom, Copie von Menophantos nach
einer berühmten Statue in Troas; mit der linken das Gewand vor den
Schooss ziehend, die Rechte vor der Brust.
Diejenige im Herakleszimmer der Villa Borghese.
Die capitolinische (in einem verschlossenen Zimmer des Mu-
seo capitolino); beide Hände frei; ziemlich stark vorwärts gebeugt,
sodass die obern Theile des Hauptes dem Licht zu Gefallen etwas
flach zurückliegend gebildet werden mussten; die Rückseite von un-
vergleichlicher naturalistisch-schöner Bildung. Fast unverletzt er-
halten.
Diejenige im Hauptsaal der Villa Ludovisi, sehr durch Politur
verdorben und wohl nie von besonders guter, eher von schwülstiger
Arbeit, verräth in der grossartigen Auffassung des Kopfes ein treff-
liches Urbild. Die Haltung kommt der Venus Chigi am nächsten.
Diejenige im Palast Pitti zu Florenz (inneres Vestibul oberhalb
der Haupttreppe); der linke (richtig restaurirte) Arm nach dem Salb-
gefäss gewandt, der rechte vor dem Schooss. Gute römische Arbeit.
Diejenige im Dogenpalast zu Venedig (Coridojo), der capitolini-
schen nahe verwandt, von mittlerer römischer Arbeit; der Kopf noch
mehr alterthümlich.
Von diesen Aphroditenbildern unterscheidet sich eine dritte Gat-
tung, an deren Spitze die mediceische Venus steht. Hier erreicht der
Liebreiz seine höchste Stufe durch das Mädchenhafte, welches sich in
den noch nicht vollständig ausgebildeten Formen und in dem feinen
Köpfchen ausspricht. Der kleinere Massstab gehört wesentlich dazu,
um diesen Charakter zu vervollständigen. Von der Göttin sind wir
hier allerdings wieder um eine Stufe weiter entfernt, und ein ernster
Blick mag sich wohl gerne zurückwenden von dem Mädchen zu jenen
reifen göttlichen Weibern, zur siegreichen und zur knidischen Aphro-
dite. Allein auch hier hat die Kunst ein Höchstes gegeben.
Die mediceische Venus, in der Tribuna der Uffizien zu Flo-
renz, ist ein Werk des Atheners Kleomenes, Sohnes des Apollodorus
(die jetzige Inschrift neu, aber Copie einer gleichlautenden echten),
vielleicht aus dem II. Jahrhundert v. Chr. — Hier ist kein Gewand
[451]Aphrodite. Die Mediceische. Spätere Motive.
und kein Salbgefäss mehr beigegeben; die Kunst wagt es, die Göttin
nackt zu bilden um ihrer blossen Schönheit willen, ohne Bezug auf
das Bad. Der unumgängliche Tronco ist hier als Delphin gebildet,
weniger um auf die Geburt der Venus aus dem Meere anzuspielen,
als um den weichen Linien dieses Körpers etwas Analoges zur Be-
gleitung anzufügen. Ob nun die Statue selbst das höchste denkbare
Ideal weiblicher Schönheit darstelle — diess wird je nach dem Ge-
schmack bejaht oder bestritten werden. Sehr verglättet und mit af-
fektirt hergestellten Armen und Händen, gestattet sie überhaupt kein
unbedingtes Urtheil mehr; selbst am Kopf möchte das Kinngrübchen
von moderner Hand verstärkt sein; zudem fehlt die ehemalige Ver-
goldung der Haare und das Ohrgehänge, nebst der farbigen Füllung
der Augen. Für all Das, was übrig bleibt, wollen wir den Beschauer
nicht weiter in einem der grössten Genüsse stören, die Italien bie-
ten kann.
(Die Attitude, bald in mehr mädchenhaften, bald in frauenhaften
Formen ausgedrückt, wurde eine der beliebtesten. Eine grosse Menge
von Wiederholungen, in der Regel nicht mehr als Decorationsfiguren,
finden sich überall. Zwei überlebensgrosse z. B., die eine mit dema
zur Stütze dienenden Gewand hinten herum, stehen im ersten Gang
der Uffizien und gewähren mit ihren leeren Formen einen interessan-
ten Vergleich, wenn man sich von der Vortrefflichkeit der mediceischen
überzeugen will.)
Dieser Typus erst eignete sich zur Verarbeitung in eine Anzahl
herrlicher Stellungen; die Göttin musste sich von dem Cultusbild
möglichst weit entfernen und ganz zum schönen Mädchen werden, da-
mit die Kunst völlig frei damit walten konnte. In den bessern Fäl-
len aber bleibt sie Aphrodite und über alles Genrehafte weit erhaben.
Wir nennen hier zuerst die kauernde Venus (Vénus accrou-b
pie), deren schönstes Exemplar (Vatican, gabinetto delle maschere)
den Namen Bupalos trägt. (Nicht derjenige des VI. Jahrhunderts v.
Chr., sondern jedenfalls ein weit späterer dieses Namens.) Es ist nicht
eine aus dem Meer aufsteigende, sondern eine im Bad sich waschende;
die Basis trägt noch in ihren alten Theilen die Andeutung der Wellen,
auf welchen die Göttin ruht — denn nie hätte die griechische Kunst
einer gemein-wirklichen Illusion zu Liebe irgend einen Theil der Kör-
29*
[452]Antike Sculptur. Aphrodite.
per unter dem (marmornen) Wasser versteckt. Bei sehr bedeutenden
Restaurationen bleibt doch die Art, wie die Glieder sich decken und
ihre Linien sich schneiden, unerreichbar schön. Der Körper ist, bei
einer scheinbar leichten Behandlung, voll des edelsten Lebens. (Die
aEpidermis leider stark verletzt, der Kopf überarbeitet?) — Ein viel
geringeres, stark restaurirtes Exemplar in den Uffizien zu Florenz.
(Verbindungsgang.)
Es folgt Aphrodite Kallipygos, im Museum von Neapel 1). Der
Kopf und mehrere andere Theile sind modern und schlecht, das Übrige
aber von merkwürdiger Vollendung und raffinirtem Reize. Die Ab-
sichtlichkeit der ganzen Darstellung rückt dieses Bild in das Gebiet
des Buhlerischen, wenn man es auch nicht obscön nennen kann.
Ähnlich verhält es sich mit zwei charmanten ehernen Figürchen
cderselben Sammlung (kleine Bronzen, drittes Zimmer, auch in Florenz,
dUffizien, zweites Zimmer der Bronzen, zweiter Schrank): einer die
Sandalen ausziehenden und einer im Abtrocknen begriffenen Venus.
Das Stehen auf einem Beine, hier mit der anmuthigsten Wendung des
Körpers verbunden, hat mehr genrehaft Wahres als Ideales und ver-
mag uns die Göttin nicht als solche näher zu bringen.
Reiner empfunden ist eine andere Statuette (bei den grossen
Bronzen), welche Aphrodite, von den Hüften an bekleidet, mit ihrem
Haarputz, etwa mit dem Trocknen der Haare nach dem Bade be-
schäftigt darstellt. Ein höchst zierliches Figürchen, von bester Arbeit.
fÄhnlich eine Marmorfigur (freilich mit restaurirten Armen und Locken)
im Braccio nuovo des Vaticans; aus guter römischer Zeit. Bei andern
sehr zierlichen kleinen Bronzen, welche die Göttin in ähnlicher Hand-
lung, aber ganz nackt darstellen, bleibt es zweifelhaft, ob sie nicht
gerst die Haare auflöst. (Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen, zweiter
Schrank.) — Eine zum Bade sich vorbereitende Aphrodite des jugend-
hlichen Typus ist wohl auch dargestellt in der florentinischen sog. Venus
Urania (Uffizien, Halle der Inschriften). Abgesehen von den Restau-
rationen möchte ihre Geberde am ehesten darin bestanden haben, dass
sie das um die Hüften leicht geschürzte Gewand mit der Linken und
[453]Aphrodite. Venus genitrix.
die Haare mit der Rechten aufzulösen im Begriffe war. Die Aus-
führung ist vorzüglich schön, doch schwerlich mehr griechisch, die
erhaltenen Theile des Köpfchens von einem Reiz, der an die Psyche
von Capua erinnert. (Nach neuerer Annahme ein praxitelisches Motiv,
die sog. coische Venus.)
Die spätere Zeit hat noch einige Motive mehr hinzugefügt, die
weder im Gedanken noch in der Ausführung zu den glücklichen ge-
hören. Vielleicht strebte z. B. derjenige Bildhauer originell zu sein,
welcher die Venus der Villa Borghese (Zimmer der Juno) bildete,a
die sich mit dem Schwamme wascht, während ein Amorin zusieht;
oder der Erfinder derjenigen kauernden Venus, welche den Delphinb
am Schweif hält, im Vorsaal der Villa Ludovisi. — Häufig ist das
Gewand über dem Schooss zusammengeknüpft, lässt vorn die Beine
frei und dient hinten als Stütze (S. 451, a); — oder die Göttin ist im
Begriff, es mit beiden Händen um sich zu nehmen. (Beispiele von die-c
sen beiden Motiven im Museo Chiaramonti des Vaticans.)
Das Mütterliche tritt in den bisher genannten Bildungen der Aphro-
dite nirgends hervor. Mit ihrem Sohne Eros wurde die Göttin kaum
je zu einer Gruppe verbunden (wenigstens haben wir keine solche).
Die geflügelten Kinder, welche ihr beigegeben werden, sind Eroten,
Amorine, nicht Darstellungen des eigentlichen Eros.
Ein ganz besonderer Typus aber blieb der mütterlichen Seite der
Göttin vorbehalten, vielleicht aus alter Zeit stammend, jedenfalls aber
erst unter den Kaisern häufig wiederholt. In vielen Sammlungen
(z. B. ganz gut im Junozimmer der Villa Borghese, auf der Trepped
des Museums von Neapel, als Statuette auch im zweiten Gang des-
selben, in der Inschriftenhalle der Uffizien zu Florenz u. a. a. O.)e
findet man das Bild einer ganz bekleideten Frau von reifer Schönheit,
deren Formen durch das dünne, eng anliegende Untergewand deut-
lich erscheinen; das Obergewand zieht sie eben mit dem einen Arm
vom Rücken herüber, als wollte sie sich verhüllen 1). Es ist Venus
die Erzeugerin (genitrix), die Schützerin des gesetzlichen Fort-
lebens der Familie, und zugleich durch Anchises die Ahnfrau des
[454]Antike Sculptur. Danaide.
julischen Geschlechtes; ihr gelobte Cäsar bei Pharsalus jenen Tempel,
von welchem noch in Torre de’ Conti unterhalb des Esquilins die
kümmerlichen Reste vorhanden sind. — An den Statuen dieser Gat-
tung ist der Kopf natürlich meist das Porträt irgend einer Kaiserin;
wo die Göttin selber gemeint ist, trägt sie matronale, aber noch ju-
gendlich schöne Züge, wie z. B. die wohlerhaltene und als Decora-
tionsfigur gut gearbeitete florentinische Statue beweist.
An den spätern Typus der Aphrodite, wie er sich in der medi-
ceischen, in der Vénus accroupie u. s. w. zeigt, schliessen sich eine
Anzahl halbgöttlicher Wesen verschiedener mythologischer Bedeutung
an. Sie sind sämmtlich halb oder ganz bekleidet, denn die Nacktheit
ist nur der Göttin und der Buhlerin eigen. Ihre Züge haben bei
grossem Reiz und vieler Ähnlichkeit doch nicht das Göttliche der
Aphrodite, lassen vielmehr eine Umbildung derselben in das Niedliche
und Graziöse erkennen. (Der Kopf schmal und länglich, doch bis-
weilen auch jugendlich rund mit kurzem Näschen; der untere Theil
des Gesichtes ins Enge gezogen.) Das Wesentliche aber ist das
Motiv der Stellung und Bewegung.
So wird man z. B. zugestehen, dass die vaticanische Da-
naide (Galeria delle Statue), welche das Schöpfgefäss vor sich hält,
sich schöner neigt als die Kunst diess Motiv sonst dargestellt hat.
Die sanfte Bewegung, welche Hals, Rücken, Leib und Hüften beseelt
und sich in der Gewandung fortsetzt, hat nicht mehr ihres Gleichen;
die Arme sind restaurirt, allerdings trefflich. In den halbgeschlossnen
Augen ist der Schmerz über die vergebliche Arbeit leise angedeutet.
b(Ein ungleich geringeres und stark restaurirtes Exemplar im Tyrtäus-
zimmer der Villa Borghese.)
Diesen nämlichen Typus, welchen man etwa als den der Nym-
phen bezeichnen könnte, spricht eine niedrig sitzende bekleidete
cFigur 1) aus, welche den einen Arm aufstützt und vor sich abwärts
schaut. (Vatican, Galeria delle statue; ein zweites Exemplar im obern
Stockwerk des Palastes Barberini zu Rom.) Man glaubte in ihr die
trauernde Dido zu erkennen, allein es ist wohl eher eine liebliche,
[455]Nymphen. Brunnenfiguren.
träumerisch auf das Wasser schauende Nymphe, vielleicht ein weib-
liches Gegenstück zu dem sich im Quell spiegelnden Narciss. Das
zerstreute Dämmern nicht nur im Ausdruck des Gesichtes, sondern
auch der ungesucht nachlässigen Stellung wird dem Beschauer recht
klar durch den Vergleich mit einer gegenübersitzenden, alterthümlicha
gearbeiteten Penelope; dieses ist die Sinnende, Rechnende und War-
tende; als Matrone ist sie mit verschleiertem Haupt gebildet.
Hier glauben wir auch die sog. „Psyche“ aus dem Amphi-b
theater von Capua (jetzt im Museum von Neapel, Halle des Jupiter)
unterbringen zu dürfen. Es ist nur ein Oberleib mit der einen Hüfte,
durch neuere Politur verdorben und jetzt in einer unrichtigen Axe
aufgestellt, aber von einer Süssigkeit der Bildung, die alle Blicke
fesseln muss. Für Aphrodite ist namentlich der untere Theil des
Kopfes zu mädchenhaft, auch liegen die Augen wohl zu tief im Schat-
ten. Wir wollen nicht die Handlung und Stellung errathen, dürfen
aber eine Nymphengestalt ahnen, welche der Danaide und der Dido
in der Erfindung ebenbürtig war.
Einzelne Köpfe sind oft sehr schwer mit Bestimmtheit auf diesen
Typus zurückzuführen. Ich glaube z. B. in einem Kopf des Museumsc
von Neapel (grosse Bronzen) eine Gefährtin der Jägerin Artemis zu
erkennen, ohne doch dieser Benennung sicher zu sein. Es ist der
schöne strenge Mädchenkopf mit aufwärts zu einem Kranz gebundenen
Haaren, welcher jetzt Berenice heisst.
Als Quellgottheiten eigneten sich die Nymphen vorzüglich zu
Brunnenfiguren. In mehrern Sammlungen sieht man dergleichen,
meist von kleinerm Massstab, Muschelbecken vor sich hinhaltend, oder
auf Urnen gelehnt, immer halb bekleidet; fast lauter Decorationsarbei-
ten, mittelmässig in der Ausführung und selbst oft im Gedanken.
Man wird indess wohl eine Nymphe des Museums von Neapel (Halled
des Adonis) ausnehmen müssen, welche wenigstens hübsch gedacht
ist, als eine zum Baden sich Vorbereitende; sie lehnt mit dem linken
Arm auf die Urne und greift mit der Rechten nach der Sandale des
linken Fusses, den sie über das rechte Knie gelegt hat. (Diese Ex-
tremitäten sind nebst dem Kopf neu, aber ohne Zweifel richtig re-
staurirt. Die Arbeit an sich gering römisch.) Ein besseres Exemplare
in den Uffizien (Verbindungsgang). — Auch eine sehr schlecht gear-
[456]Antike Sculptur. Nymphen. Cleopatra.
abeitete schlummernde Nymphe im Vatican (Belvedere, zwischen dem
Apoll und den Canova’s) weist auf ein reizendes Original hin. — Noch
ein ganz einfach schönes Motiv ist die halbnackte stehende Nymphe,
welche mit der Linken auf die Urne lehnt und die Rechte auf die
ausgeladene Hüfte stützt. Ich weiss mich keines andern einiger-
massen erhaltenen Exemplares zu erinnern, als desjenigen im Pal.
bPitti (Nebenhof links, beim Ajax), welches freilich eine geringe rö-
mische Arbeit ist. An der ähnlichen ehemals schönen Statue der
cGalerie von Parma ist gar zu Vieles modern.
Ins Matronale geht der Nymphentypus über in der Amme des
Dionysos, Leukothea; sie wird völlig bekleidet und mit Binden um
das Haar dargestellt. Ich kenne von vollständigen Darstellungen nur
ddie schöne, ungemein noble Bronzefigur in den Uffizien (Bronzen,
zweites Zimmer, Eckschrank rechts). Eine treffliche Marmorstatue in
eder untern Halle des Pal. Ceperello zu Florenz (Corso N. 814) möchte ich
ebenfalls für eine Götteramme halten, schon der starken Brüste wegen.
Der Kopf neu aufgesetzt, aber dazu gehörend. Die sog. Sapphoköpfe
zeigen dieselbe Art, das Haar zu binden.
Den bekleideten Nymphengestalten des gewaltigern Typus müssen
fwir eine in ihrer Art einzige Statue beigesellen: die vaticanische
Cleopatra, richtiger die schlummernde Ariadne (Vatican, Galeria
delle statue). Schon das Alterthum hat, wie die nebenan aufgestellten
kleinen Wiederholungen beweisen, dieses Motiv in beiderlei Sinn ge-
braucht, doch ist Ariadne das Ursprüngliche, und der erste Blick lässt
eine Schlafende, nicht eine Sterbende erkennen. (Sie ist etwas zu sehr
nach vorn gesenkt, was namentlich dem über das Haupt gelegten
rechten Arm ein zu schweres Ansehen giebt und den ganzen Anblick
etwas verfälscht.)
Als Motiv der Ruhe wird diess Werk auf ewig die Sculptur be-
herrschen. Es ist nicht möglich ein lieblich-grandioses Weib auf
majestätischere Weise schlummernd hinzustrecken. Die Art, wie der
Kopf durch die Lage der Arme die höchste Bedeutung erhält, die
ungemeine Würde in der Kreuzung der Beine, endlich die unerreich-
bare Pracht und die weise Aufeinanderfolge der Gewandmotive wer-
den nie genug zu bewundern sein. — Der noch streng-schöne Ge-
sichtstypus lässt uns eine Ariadne erkennen, die noch nicht in den
[457]Farnesische Flora. Victorien.
Kreis ihres Retters Dionysos aufgenommen ist; ihre spätere, bacchi-
sche Gestalt wird uns weiter beschäftigen.
Hier müssen wir eines der ruhmwürdigsten Werke des Alter-
thums einschalten, die sog. farnesische Flora (Museum von Nea-a
pel, in der danach benannten Halle). Man deutet sie gegenwärtig als
eine Hore; da Kopf, Arme, Attribute und Füsse modern sind, so
bleibt nur so viel mit Sicherheit anzunehmen, dass ein halbgöttliches
Mittelwesen gemeint sei. Colossal und für einen decorativen Zweck
berechnet, zeigt diess herrliche Bild doch durchaus lebendige Arbeit,
sowohl in dem von zwei Schulterspangen und einem Gürtel gehalte-
nen Unterkleid, als in dem leicht herumgelegten Obergewande und in
den nackten Theilen. Bei einer sehr reichen Körperbildung giebt die
ganze Gestalt im höchsten Grade den Eindruck des leichten Einher-
wallens, eine wahre Göttin des innigsten Wohlseins.
Eine andere colossale Statue derselben Sammlung (untere Vor-b
halle) ist wohl wirklich eine Flora, allein römisch-decorativ behandelt,
als schwere Gesimsfigur; doch ist hier der grandiose Kopf alt. (Ob
der als Gegenstück aufgestellte „Genius des römischen Volkes“, eben-
falls seltsam schwer gebildet, von Alters her zu einer Reihe solcher
Figuren gehörte, ist mir nicht bekannt. Vgl. S. 426, a, und Anm.)
Von Pomonen wüsste ich kein irgend ausgezeichnetes Exemplar
anzuführen. Dasjenige in den Uffizien (erster Gang), auf welchesc
beispielshalber verwiesen werden mag, ist eine unbedeutende rö-
mische Gartenfigur mit modernem Kopf.
Leider ist auch keine recht gute Victorienstatue zu nennen 1), ob-
wohl es deren einst vortreffliche (freilich von Erz oder edeln Metallen)
gegeben haben muss, und zwar sowohl schwebende (d. h. scheinbar
auf den Zehen stehende mit wehendem Gewande in der Art der Diana
lucifera), als stehende. Eine geringe der letztern Art, welche doch
auf ein gutes Urbild schliessen lässt, in den Uffizien (erster Gang);d
eine der erstern Art im Pal. Riccardi (Vorzimmer der Acad. della
[458]Antike Sculptur. Leda. Musen.
Crusca). — Um so reichlicher sind die Victorien im Relief und in
ader Malerei vertreten; die schönsten am Titusbogen. — Einige kleine
Bronzefiguren geben wohl am ehesten einen Begriff von den schwe-
bbenden Victorien; eine treffliche im Museum von Neapel (bei den
cgrossen Bronzen); eine andere in den Uffizien (zweites Zimmer der
Bronzen, vierter Schrank); diese letztere hat wie diejenigen am Titus-
bogen nackte Schenkel, zur Andeutung ihrer raschen Botenschaft.
Geringere Exemplare ziemlich häufig.
Bei diesem Anlass mag noch eines mythisch berühmten Weibes
gedacht werden, das nur zu oft plastisch dargestellt worden ist, näm-
lich der Leda mit dem Schwan. Ich brauche die betreffenden Sta-
tuen nicht näher zu bezeichnen; sie sind nicht einmal recht gewaltig
sinnlich, sondern meist so flau und langweilig, dass ihre Aufstellung
in den meisten Sammlungen gar kein Hinderniss gefunden hat, wess-
halb man ihnen denn auch überall begegnet. Der Schwan sieht bis-
weilen eher einer Gans ähnlich und man hat desshalb andere Deu-
tungen zu Hülfe gezogen; wer aber beachtet, in welchen Fällen das
Thier klein gebildet ist, wird vielleicht mit uns der Ansicht sein, dass
diess aus demselben ästhetischen Grund geschah, um dessentwillen
die Panther des Bacchus in kleinerm Verhältniss gebildet wurden.
d(Die gemeinste aller Leden, im Dogenpalast zu Venedig, Camera a
letto, ist ein Werk des XVI. Jahrhunderts.)
Wenn die eben aufgezählten weiblichen Bildungen ein mytholo-
gisch Gegebenes verherrlichten, so zeigt uns eine andere Reihe, die
der Musen, wie die Griechen das Symbolische lebendig zu machen
wussten, wie frei sie sich dabei bewegten und welche Grenzen sie
innehielten. Statt sich ängstlich zu bemühen, jede Muse einzeln von
Kopf bis zu Fusse ihrem Fache gemäss zu charakterisiren, begnügten
sie sich mit Attributen und drückten in den Gestalten selbst fast nur
das Allgemeine einer schön vergeistigten Weiblichkeit aus. (Verstüm-
melte Musenstatuen sind desshalb kaum mit völliger Sicherheit zu
restauriren, wenn man nicht ein Vorbild mit erhaltenen antiken Attri-
buten vor sich hat.) Es ist das persönlich gewordene Sinnen, nicht
das Phantasiren oder das Grübeln (wie in Albrecht Dürers Melan-
[459]Musen. Apollo Musagetes.
cholia), sondern ein ruhiges Schweben in geistigem Glück. Diese meist
feierlich bekleideten Gestalten sind theils beschäftigt, theils ruhend
und hinausblickend (doch nicht in die Höhe!) gebildet; wir finden sie
sitzend, aufgelehnt, frei stehend, auch feierlich vortretend, meist aber
wird Stellung und Draperie so sehr den Ausdruck erhöhen helfen,
dass man auch ohne den Kopf die Statue für nichts anderes als für
eine Muse oder doch für ein ursprüngliches Musenmotiv erkennen würde.
Einzelne Sarkophage, welche die Musen sämmtlich darstellen (einera
im Museo capitolino, Zimmer der Kaiser) geben uns eine Idee von
den (unter sich verschiedenen) Statuengruppen, welche das Alterthum
hervorbrachte und dann wiederholte. — Unter den erhaltenen Statuen
finden wir zwar vielleicht in Italien keine, welche der Polymnia des
Berliner Museums oder der Melpomene des Louvre völlig gleichkäme,
allein doch manche achtungswerthe Exemplare. In der vollständig-
sten Gruppe, aus der Villa des Cassius (Vatican, Sala delleb
Muse) wird man, was die Arbeit betrifft, Vieles vermissen, allein die
schöne Abstufung des Sinnens, ohne alle gewaltsam auffahrende Inspi-
ration, mit Genuss verfolgen können. Die in der Erfindung lieblichste
dieser Figuren, die sitzend sich aufstützende Euterpe, ist allerdings
nebst der Urania erst später anderswoher hinzugekommen. (Euterpe
wird sonst, z. B. in den beiden Exemplaren zu Neapel, stehend mit
über einander geschlagenen Füssen gebildet.)
Dagegen gehört ursprünglich zu dieser Gruppe, und zwar als
deren bestgearbeitete Figur, der im langen Gewand und wehenden
Mantel mit der Lyra einherschreitende, lorbeerbekrönte Apollo Mu-c
sagetes. (Copie nach Skopas.) Nirgends tritt Apoll so als Schützer
und Anführer aller hohen Begeisterung auf wie hier; der allgemeine
musische Ausdruck concentrirt sich in dieser höchst jugendlichen, fast
weiblichen Gestalt ganz wunderbar. Er allein ist innerlich und äusserlich
bewegt; bald werden die Musen dem Festreigen folgen müssen, den er
eben antritt. — Ganz in der Nähe steht wie zur Vergleichung ein
anderer Musagetes, in welchem Schritt und Gewandung affectirt er-
scheinen und der einen ihm nicht gehörenden weiblich bacchischen
Kopf trägt.
In demselben Saal findet man noch eine Muse in kleinerm Mass-d
stab, mit der Bezeichnung als Mnemosyne. Leider hat diese reizend
[460]Antike Sculptur. Musen.
gedachte verhüllte Figur einen restaurirten Kopf. — Von den vier be-
atreffenden Statuen des Musenzimmers in der Villa Borghese ist nur
etwa die Melpomene besser gearbeitet als das entsprechende vaticani-
sche Exemplar; gerade so viel, um das Verlangen zu steigern nach
dem gewiss wunderbaren Original dieser Jungfrau mit dem Weinlaub
im Haar und mit dem auf den Fels gestützten linken Fuss. — In der
bVilla Ludovisi mehrere gering ausgeführte Musenstatuen von gutem
cMotiv. — An der Treppe des Conservatorenpalastes auf dem Capitol
eine vorgebliche Urania, jedenfalls sehr schön als Gewandstatue.
Eine anregende Vergleichung mit den Musen gewähren, am Ein-
dgang der Sala rotonda des Vaticans, die zwei grossen Büsten, in wel-
chen die (sonst als Musen personificirten) Comödie und Tragödie be-
sonders dargestellt sind; Köpfe von reifer Anmuth und mildem Ernst,
aber ohne Liebreiz.
Im Museum von Neapel empfängt uns, und zwar gleich in der
untern Vorhalle, eine jener colossalen Musen, wie sie wohl öfter
zum Schmuck von grossen Theatern gearbeitet worden sind. Die flüch-
tige Arbeit und die Berechnung auf eine Nische deuten klar auf eine
derartige decorative Bestimmung hin. (Sie ist nur für die Vorder-
ansicht gedacht, wie das Zurücktreten des Oberleibes gegen Hüften
und Schenkel und selbst die Profilansicht des Kopfes beweist.) Man
nennt sie Urania, und die linke Hand mit dem Globus, welche diesen
Namen veranlasst, ist wohl wirklich alt; dem Typus nach ist sie eine,
zwar nicht ganz ebenbürtige, Schwester der Pariser Melpomene. Alles
ist gross und einfach gegeben, das lange Kleid mit der geraden vor-
dern Falte, der auf den Schultern mit Spangen befestigte Mantel, das
Vortreten des linken, die Beugung des rechten Fusses. Der Kopf ist
mehr den göttlichen Bildungen genähert und scheint zwischen Hera
und Aphrodite in der Mitte zu stehen. — Diess war an sich nicht noth-
wendig, denn dass auch das Mädchenhaft-Liebliche des eigentlichen
Musentypus sich in höchst colossalem Massstab darstellen lässt, zeigt
fder schöne Kopf der Villa Borghese (Hauptsaal) welcher wohl mit
Unrecht als Juno gegolten hat. — (Von ähnlicher Art, aber geringer,
gdie colossale Muse im Hof des Pal. Borghese zu Rom, die auch wohl
als Apollo Musagetes bezeichnet wird.)
[461]Musen.
Weiter enthält im Museum von Neapel die Halle der farbigena
Marmore einen sitzenden Apollo Musagetes mit porphyrnem Gewand
und weissmarmornen Extremitäten. Die spätere römische Kunst liebte
solche Zusammensetzungen, schon weil die harten Stoffe und ihre
Bearbeitung viel Geld kosteten. Wenn das Auge die aus dem Far-
bencontrast und der Politur entstehende Blendung überwunden hat,
so entdeckt es in den meisten derartigen Bildwerken, und so auch in
diesem, eine geistige Leerheit, welche da ganz am Platze ist, wo der
Stoff mehr anerkannt wird als die Form. Diese Buntheit ist eine der
begleitenden Ursachen des Unterganges der antiken Sculptur gewesen.
In der darauf folgenden „Halle der Musen“ steht Mehreresb
unter dieser Kategorie beisammen, was erst durch Restauration und
willkürliche Deutung den betreffenden Sinn erhalten hat. So vielleicht
selbst die treffliche Gewandstatue, welche hier und anderwärts Poly-
hymnia heisst u. s. w. Die unzweifelhaften Musen, z. B. Melpomene
und die eine Euterpe, sind von ganz geringer Arbeit, mit Ausnahme
der sog. Terpsichore, in welcher man mit leichter Mühe eine verklei-
nerte Reduction nach einer jener grandiosen Colossalstatuen erkennt,
dergleichen die Urania in der Vorhalle eine ist. Das hochgegürtete
Untergewand und der langwallende Mantel sind von ganz ähnlicher
Anordnung wie bei dieser.
In den Uffizien zu Florenz: erster Gang: eine mit Recht oderc
Unrecht als Urania restaurirte Statue, mit dem majestätischen Motiv
des vorn über die Brust, dann über die Schulter geschlagenen, end-
lich von hinten hervor unter den Ellbogen geklemmten Obergewandes
(wie die angebliche Euterpe im Vatican, Galeria delle Statue). Der
Kopf schön und echt. — Ebenda, aus derselben Reihe, Kalliope.
Im Dogenpalast zu Venedig: Corridojo: zwei Musen vom Theaterd
von Pola, decorative römische Copien nach einem alten griechischen
Typus, als Karyatiden mit fast geschlossenen Füssen, symmetrischer
Haltung, strenger und gewaltiger Bildung. Das ehemalige Motiv der
Arme zweifelhaft.
Bei Anlass der Musen sind am besten diejenigen zahlreichen weib-
lichen Statuen zu besprechen, welche unter dem sehr allgemeinen Na-
[462]Antike Sculptur. Weibliche Gewandstatuen.
men von Gewandstatuen zusammen gefasst werden. Für eine
kritische Aufzählung (worauf hier kein Anspruch gemacht wird) wäre
es unerlässlich, zu ermitteln, welchen göttlichen oder menschlichen
Gestalten die verschiedenen Gewandungstypen zukamen. Die Schwie-
rigkeit einer solchen Forschung leuchtet ein, wenn man erwägt, dass
weit die meisten dieser Statuen gefunden wurden ohne Hände und
Attribute, auch kopflos oder mit solchen Köpfen, die ihnen schon
im Alterthum willkürlich gegeben worden waren: dass endlich schon
das Alterthum häufig vorhandene Göttertypen zu Porträtbildungen
benützte. So viel ist immerhin gewiss, dass eine Anzahl von Motiven
der Stellung und Gewandung, hauptsächlich aus der spätern Zeit der
griechischen Kunst, ein canonisches Ansehen genossen und um ihrer
Schönheit willen beständig wiederholt wurden. Hauptsächlich ge-
währte der Chor der Musen, in den verschiedenen Auffassungen, die
wir nachweisen können, einen Vorrath der schönsten Vorbilder für
die Drapirung von Bildnissfiguren, sodass beim einzelnen Torso schwer
zu entscheiden sein wird, ob er für eine Musenstatue oder für ein
als Muse stylisirtes Bildniss gearbeitet worden. Ausserdem sind unter
der Masse der „Gewandstatuen“ Stellungs- und Drapirungs-Motive
von Göttinnen, symbolischen Personificationen, Priesterinnen, Theil-
nehmerinnen an Festzügen, selbst eigentlichen Genrefiguren begriffen;
manche Motive gehören auch ganz ursprünglich der porträtirenden
Kunst an und geben ideal aufgefasste griechische und römische Trach-
ten wieder. — Wenn aus dem ganzen Alterthum keine andern Kunst-
werke erhalten wären, so würden schon diese Gewandtorsen (selbst
die gering ausgeführten nach guten Motiven) uns den höchsten Be-
griff von der alten Kunst geben. Es ist keine ruhig-grossartige und
keine einfach-liebliche Stellung des beseelten Weibes, welche hier nicht
in und mit einer theils prächtigen, theils schlichten Gewandung aus-
gesprochen wäre. Haltung und Gewandung wären beide für sich
schön, aber es ist der hohe Vorzug der antiken Kunst, dass sie ganz
untrennbar zusammengedacht sind und nur mit einander existiren.
Zu den reichsten Motiven gehört das schon bei den Musen vor-
kommende, auf verschiedene Attituden angewandte: theilweise Auf-
hebung des Gegensatzes zwischen Ober- und Untergewand, vermöge
Durchscheinens des letztern durch das erstere. Weit entfernt von der
[463]Weibliche Gewandstatuen.
Künstelei, welche z. B. im vorigen Jahrhundert bei mehreren Bild-
hauern zum peinlichsten Streben nach Illusion führte, ist hier der
Contrast des Feinern und des Derbern und das Übereinander der Fal-
tung zwar mit der höchsten Kunst, aber ohne alle falsche Bravour
behandelt; man sieht (wenigstens bei den bessern Exemplaren) immer,
dass es dem Künstler vor Allem um die Hauptsache, um das schöne
und sprechende Hervortreten der Gestalt im Gewande zu thun war
und dass er jene Zierlichkeiten nur als Mittel zum Zwecke brauchte.
Eine wunderbare und räthselhafte (römische?) Figur, die sog.
Pudicitia, mag hier zuerst genannt werden. Sie fasst mit der rech-a
ten Hand in der Nähe des Halses den Schleier, dessen Ende über den
nach rechts hinübergelegten linken Arm herabfällt. Will sie sich ver-
schleiern oder hat sie sich eben entschleiert? — Das Auge bleibt in
einer angenehmen Ungewissheit. Das Zurücktreten der rechten Schul-
ter 1), die Stellung der Füsse tragen mit zu diesem reizvollen Eindruck
bei. (Das schönste Exemplar im Braccio nuovo des Vaticans, ein
geringeres im Hof des Belvedere; andere überall.)b
Unter den übrigen zahlreichen Motiven, wovon immer eines rei-
zender und sprechender ist als das andere, nennen wir beispielshalber
dasjenige, wobei der Überschlag des Obergewandes erst über die Brust,
dann über die Schulter geschwungen und von hinten hervor unter dem
Arm geklemmt wird (Seite 461, c). Von vielen Beispielen eines der
schönsten: die als Euterpe restaurirte Gestalt in der Galeria dellec
statue des Vaticans.
Wieder eine besondere Aufgabe ist in der verhüllten Gefäss-
trägerin (Museo capitolino, Zimmer des sterbenden Fechters) gelöst,d
die man für Pandora oder Psyche mit der Büchse, für Tuccia mit dem
Sieb u. s. w., mit dem meisten Recht aber als Trägerin eines Heilig-
thums in einem Festzuge erklärt hat. Für uns ist diese nur flüchtig
gearbeitete Statue ein jedenfalls sehr schöner Versuch mehr, ein neues
Motiv von Haltung und Geberde in feierlicher Gewandung auszudrücken.
Allerdings zieht in demselben Raum die sog. Flora am schnellstene
die Blicke auf sich, eine schöne Römerin, mit einem Kranz um das
[464]Antike Sculptur. Weibliche Gewandstatuen.
Haupt; über dem feinen Unterkleid ein eigenthümliches Obergewand,
welches wahrscheinlich dem äussern Effect zu Liebe so gebildet ist:
mit sehr weiter oberer Öffnung, sodass es bei jeder Bewegung auf beide
Arme herabfallen müsste; von einem schweren Stoffe, welcher so tiefe,
schattige „Augen“ bildet, wie sie sonst kaum an einem antiken Ge-
wande vorkommen; im Ganzen macht sich der Eindruck wie von
einem schön drapirten Modell geltend.
Den männlichen Togafiguren stehen am meisten parallel eine An-
zahl mächtiger Gestalten von betenden oder opfernden Frauen (Oran-
tinnen). Weniger wegen der Ausführung als wegen der vollstän-
adigen Erhaltung nennen wir hier die eherne sog. Pietas des Museums
von Neapel (grosse Bronzen). Das Untergewand tritt sehr beschei-
den zurück; weit die Hauptsache ist der gewaltige Mantel, welcher
die ganze Figur sammt dem Haupte umwallt. Von den ausgestreck-
ten Armen klemmt der linke mit dem Ellbogen die beiden Hauptenden
zusammen, welche hierauf in zwei Zipfeln unterhalb des linken Knies
auslaufen; ein drittes Ende, dessen innerer Umschlag schön über die
Brust hinläuft, fliesst dann über den linken Arm hinunter. — An Mar-
morexemplaren ist bisweilen die Arbeit besser, das Motiv aber der
Verstümmelungen wegen unverständlicher. — Gut erhalten, bis auf die
bHände (deren jetzige Restauration allerdings die Orantinn nicht mehr
erkennen lässt) und die Gewandenden rechts vom Beschauer, erscheint
eine Marmorfigur dieser Art in derselben Sammlung (Halle des Ti-
berius), welche man unbedingt den herrlichsten römischen Gewand-
statuen beizählen darf. Die bronzene Pietas würde daneben ins tiefe
Dunkel zurücktreten.
Sehr häufig kommt dasjenige Motiv vor, welches unter den Mu-
sen vorzüglich der Polyhymnia eigen ist: das Obergewand ver-
hüllt bereits die linke Seite und den linken Arm, so dass von der
Hand nichts oder nur Fingerspitzen sichtbar sind; hinten herumge-
schlagen, soll es mit der erhobenen Rechten eben noch einmal über
die linke Schulter gelegt werden. (Schön an zwei Statuen junger Rö-
cmerinnen, vielleicht von der Familie des Balbus, im Museum von
dNeapel, erster Gang, und an einer Kaiserin, dritter Gang). — Auch
ean der sog. Iphigenia, welche in der Kirche S. Corona zu Vicenza
neben dem 5. Altar links sich befindet. — Die florentinische Priesterin
[465]Weibliche Gewandstatuen.
(Uffizien, Halle der Inschriften) ist wiederum eigenthümlich reizenda
verhüllt; aus dem weiten Obergewande, welches die ganze Gestalt
umgiebt, sieht nur die Linke (mit der restaurirten Schale) heraus;
die Brüste und der untergeschlagene rechte Arm sind im Gewande
vorzüglich edel ausgedrückt. — Eine köstliche Priesterin findet sich
auch unter den halblebensgrossen Statuen in einem der hintern Säleb
der Galerie des Pal. Pitti. (Mit den Wandfresken des Pietro da
Cortona.)
Das Untergewand wird als Hauptausdruck der Stellung behan-
delt in drei sitzenden Statuen aus der frühern Kaiserzeit, welche man
für Bildnisse theils der ältern, theils der jüngern Agrippina erklärt.
(Museo capitolino, Zimmer der Kaiser; Villa Albani, untere Halle desc
Palastes; wozu als Erzänzung die bejahrte Sitzende mit verschlunge-
nen Händen gehört, Museum von Neapel, dritter Gang.) Wenn esd
nun misslich bleibt, physiognomisch Partei zu nehmen für Bilder,
welche entweder eine der tugendhaftesten oder eine der lasterhafte-
sten Römerinnen darstellen — und beide Taufen sind unsicher! — so
haben wir doch jedenfalls denjenigen allgemeinen Typus vor uns, in
welchem sich die grossen Damen des Tacitus und Juvenal mit Vor-
liebe abbilden liessen. Das bequeme Auflehnen auf dem Sessel, die
schöne Entwicklung der schönen Glieder, die sich dabei ergiebt, muss-
ten dieses Motiv sehr in Gunst setzen 1). Freilich scheinen diese Sta-
tuen nur gut, bis man die sitzenden Frauen der parthenonischen Giebel
(Abgüsse im Lateran und anderswo) damit vergleicht. Mit welch an-
derm Lebensgefühl fliessen hier die leichten Gewänder über die gött-
lichen Gestalten!
Eine sehr eigenthümlich und gut gedachte sitzende Spätrömerin
müssen wir indess hier noch erwähnen. Man sieht in der obern Ga-e
lerie des capitolinischen Museums eine ganz eingehüllte Gestalt, mit
der verhüllten Rechten das Gewand an das Kinn ziehend, die offene
Linke unterschlagend. Die Statue soll Julia Mäsa vorstellen, die
Grossmutter der ungleichen Vettern Elagabal und Alexander Severus.
B. Cicerone. 30
[466]Antike Sculptur. Weibliche Gewandstatuen.
Über dem Ausdruck tiefen Sinnens in Haupt und Stellung vergisst
der Beschauer gerne die nur mittelmässige Ausführung.
Ebenfalls Kaiserinnen scheinen dargestellt in den sog. Vesta-
linnen der Loggia de’ Lanzi in Florenz. Vier derselben (von
der offenen Seite des Gebäudes an gerechnet 2, 4, 5 und 6) zeigen das
grandiose Motiv eines Obermantels, der von der rechten Schulter
schief herab gegen das linke Knie, und mit seinem aufgenommenen
Ende über den linken Arm geht; darunter das ermellose Brustkleid
und das an den Hüften aufgenommene Unterkleid, dessen Bauschen
wieder auf die Schenkel herabfallen. Die Stellung ist in jeder dieser
colossalen Figuren besonders nuancirt, die Behandlung für die wahr-
scheinlich späte Zeit vorzüglich.
Auch die einfache griechische Idealgewandung wurde um ihrer
Schönheit willen noch lange, und nicht bloss bei Göttinnen, reprodu-
cirt. Es ist ein schlichtes langes Kleid, über den Hüften meist so
gegürtet, dass etwas herabhängende Bauschen über dem Gürtel ent-
stehen; dann ein Oberkleid, auf den Schultern geheftet und zu beiden
Seiten offen oder nur wenig geschlossen, vorn herabhängend bis in
bdie Nähe des Gürtels, auf den Seiten etwas länger. Fünf eherne Sta-
tuen im Museum von Neapel (grosse Bronzen), nicht sehr alt aber
alterthümlich, stellen diesen Typus mit verschiedenen Attituden ver-
bunden dar; man glaubt sie als Schauspielerinnen erklären zu dürfen.
Die Arbeit erhebt sich nicht über die rohe Decoration. (Spuren von
cBemalung.) Eine ähnliche Marmorfigur z. B. im Vorsaal der Villa
Ludovisi zu Rom.
Die gänzliche Einhüllung der Gestalt in ein Gewand wurde eben-
dfalls nicht selten dargestellt; alterthümlich streng z. B. in zwei Sta-
tuen mit Bildnissköpfen, im untern Gang des Museo capitolino.
In der Galerie zu Parma sind von den Gewandfiguren weit die
besten N. 10, mit dem Motiv der sog. Polyhymnia, sehr verstümmelt,
und N. 7, sog. ältere Agrippina, mit der linken das Gewand aufnehmend.
Eine grosse Anzahl schöner Motive müssen wir übergehen um
der Kürze willen. (Von den weniger bekannten Sammlungen muss
fhier, wegen mehrerer guter Gewandstatuen, das Casino der Villa Pam-
fili bei Rom genannt werden; sonst verweisen wir noch auf den zwei-
[467]Kanephoren und Karyatiden.
ten Gang des Museums von Neapel und auf den Braccio nuovo desa
Vaticans.)
Wer im Süden der Gestalt und den Bewegungen des Volkes
auch nur einen Blick gönnt, wird z. B. an jedem Brunnen überrascht
werden durch die ungemeine Anmuth des Hebens und Tragens der
Wassergefässe, der Waschkörbe u. dgl. Auch hat die Kunst von jeher
derartige Motive von Schönheit und Kraft sich zu eigen gemacht;
Raphael gab ihnen die Unvergänglichkeit in einer tragenden Figur
seines Incendio del borgo (Vatican); Michel Angelo in der unerreich-
baren Gruppe der Judith und ihrer Magd (Cap. Sistina). — Die Alten
aber hatten das Glück, diesen Motiven in einer feierlichen, erhabenen
Sphäre zu begegnen: bei den Processionen nämlich, wenn die Jung-
frauen der Stadt und die Tempeldienerinnen, auf dem Haupt die
Körbe mit den Heiligthümern oder Opfergeräthen, einherwandelten.
Daraus entstand der Typus der Korbträgerinnen (Kanephoren). Die
eine Hand leicht an den Korb erhoben, die andere eingestützt oder im
Gewand verhüllt, mit langsamem, bloss angedeutetem Schritte, frei
vorwärtsblickend kommen sie uns entgegen. So die herrliche bacchi-b
sche Kanephore der Athener Kriton und Nikolaos in der untern Halle
der Villa Albani; neben ihr treten vier andere (ebendort) als flüch-c
tige römische Arbeiten weit in den Hintergrund.
Noch viel ernster und feierlicher aber gestaltet sich dieser
Typus in der Karyatide; die festlichen Jungfrauen tragen über
ihrem zum Capitäl gewordenen Korb das Gesimse eines Tempels.
Ausser den auf der athenischen Akropolis (am Erechtheion) erhaltenen
Karyatiden besitzt Rom (Vatican, Braccio nuovo) ein stark restaurir-d
tes Exemplar, welches der Sage nach einst im Pantheon soll ange-
bracht gewesen sein; an Grösse und Ernst offenbar eher ein griechi-
sches als ein römisches Werk. Von nicht viel geringerm Werthe iste
die Karyatide im Hof des Palazzo Cepperello in Florenz. — Auf merk-
würdige Weise ist in der Jungfrau zugleich die architektonische Stütze,
die Stellvertreterin der Säule charakterisirt; man hätte sie, soweit es
sich um die Tragkraft handelte, viel leichter bilden können; allein
30*
[468]Antike Sculptur. Eros.
wenn das mechanische Bewusstsein sich dabei beruhigt hätte, so hätten
Auge und innerer Sinn sich nicht zufrieden gegeben.
Unter den Knabengestalten nimmt Eros die erste Stelle ein.
Wir kennen ihn als Statue nur unter demjenigen Typus, welchen ihm
die vollendete griechische Kunst des IV. Jahrhunderts verlieh und
welche die Folgezeit wiederholte.
Eine der anmuthigsten Darstellungen, vielleicht nach Lysippos,
welche den jugendlichen Körper in leichter Anstrengung zeigt, der
sog. bogenspannende Eros, ist leider nur in entweder sehr zer-
stückten oder bloss mittelgut gearbeiteten Exemplaren auf unsere Zeit
agelangt. Die beste Arbeit zeigt in seinen alten Fragmenten der va-
bticanische (Museo Chiaramonti); dann folgt derjenige im runden Saal
cder Villa Albani und derjenige in der obern Galerie des Museo ca-
dpitolino. Der besterhaltene im Dogenpalast zu Venedig, Camera a
letto; der Kopf eine antike Restauration. Trotz dieser Mehrzahl vor-
handener Copien kann man über das ursprüngliche Motiv einige
Zweifel hegen. (Neuerlich als „bogenprüfender Amor“ bezeichnet.)
Diesem kindlich schalkhaften Schützen steht ein jugendlicher Gott
der Liebe gegenüber. Ungleich ernster und in den Formen entwickel-
ter erscheint nämlich Eros, offenbar nach Praxiteles, in dem vatica-
enischen Torso (Galeria delle statue, früher als „vaticanischer
Genius“ benannt). Das schmale Haupt, mit den zusammengewun-
denen Locken über der Stirn, drückt eine Sehnsucht aus, die sich
weder in das Schmachtende noch in die Trauer verliert, sondern eben
in ihrer ruhigen Mitte das Wesen dieses Gottes ausmacht. Die Formen
des Körpers sind von einer jugendlichen Schönheit, die für die Sculptur
massgebend geworden ist. (Am Rücken die Ansätze für die Flügel.
fEin geringeres, aber bis an die Kniee erhaltenes Exemplar im Mu-
seum von Neapel, Halle des Adonis).
Die schöne Statue, welche in den Uffizien zu Florenz (Halle des
Hermaphr.) „der Todesgenius“ heisst, aber als Eros restaurirt
ist, vereinigt die frühe Jugend des bogenspannenden Eros mit einem
Ausdruck des Ernstes ohne Sehnsucht. Er blickt nicht „hinaus“, son-
dern links abwärts und hält die rechte Hand auf die linke Schulter.
[469]Amor und Psyche. Paris. Ganymed.
(Ungleiche Arbeit, von der Hälfte der Schenkel abwärts restaurirt.)
Ob Schlaf, Tod, oder der Sohn Aphroditens gemeint ist, wollen wir
nicht entscheiden.
Die erst spät (II. Jahrhundert n. Chr.) vorkommende Gruppe
Amors, der die Psyche liebkost, ist bei einem schönen Ausdruck
doch in den Linien der beiden Körper sowohl als in ihrer Durch-
bildung nur von mittlerem Werth. Selbst das vorzügliche capitolini-a
sche Exemplar (im verschlossnen Zimmer der Venus) macht hievon
nur eine bedingte Ausnahme; das florentinische (Uffizien, Halle desb
Hermaphr.) ist ziemlich gering. Noch später, an zahllosen Sarcopha-
gen, werden die beiden Kinder immer jünger, endlich blosse sog.
Putten, und in der Arbeit immer roher. Der neuern Kunst blieb hier
ein Feld offen, auf welchem Canova und Thorwaldsen neu sein
konnten.
Dem Eros-Typus nahe verwandt, doch fast nur in geringen Exem-
plaren vorhanden, erscheinen zwei andere Knabengestalten, die schön-
heitberühmten Söhne des Königshauses von Ilion, die Hirten vom Ida.
Zunächst der jugendliche Paris, in einer späten römischen Statuec
des Museums von Neapel (zweiter Gang); er ruht aufgelehnt, die
Füsse übereinander, den Apfel in der Rechten hinter sich haltend;
zwei Wurfspiesse lassen ihn zugleich als Jäger erkennen; neben ihm
ein Hund. Es liegt in dieser Figur etwas von dem schönen Müssig-
gang ruhender Götter und Satyrn, aber die Ausführung ist sehr be-
fangen. (Über den erwachsenen Paris in der Galeria delle statue des
Vaticans s. unten.) — Sodann Ganymed. Die alte Kunst muss zunächst
in einem sehr ausgezeichneten Werke (wahrscheinlich von Leochares)
das Aufwärtsschweben eines schlanken jugendlichen Körpers verbun-
den mit dem Ausdruck der Hingebung dargestellt haben, als Gany-
med der vom Adler behutsam emporgetragen wird (natürlich an einen
Tronco angelehnt und jedenfalls für die Sculptur ein zweifelhafter Ge-
genstand). Ein kleines römisches Exemplar im obern Gang des Va-d
ticans. (Der einst viel genannte venezianische Ganymed, im Dogen-e
palast, Camera a letto, ohne Tronco und jetzt schwebend aufgehängt,
ist eine mittelmässige römische Arbeit.) — Neben dieser mehr idealen
[470]Antike Sculptur. Ganymed.
aDarstellung heben andere Statuen mehr den Hirtenknaben oder den
Mundschenken hervor; so diejenige des Museums von Neapel (zweiter
Gang): Ganymed auf den Adler gelehnt und mit ihm sprechend, eine
bgute Arbeit mit schlecht restaurirter Handbewegung. (In der Nähe
ein weit schlechterer Ganymed.) Ein anderes, ebenfalls schlecht re-
staurirtes Exemplar in den Uffizien, erster Gang. — Auch Ganymed
den Adler tränkend kommt wenigstens in Reliefs vor. — Eine schöne
ckleine Brunnenstatue mit restaurirten Armen, auf den (nicht vorhan-
denen) Adler herabschauend gedacht, im Braccio nuovo des Vaticans,
dam Stamm der Name des Künstlers Phaidimos; — eine unbedeutende
im Gabinetto delle Maschere ebenda; — ein sehr schöner Gedanke in
eeiner mittelguten Statue des obern Ganges ebenda: Ganymed die
Schale emporreichend; er und der Adler, welcher hier nicht als Hülle,
sondern als Attribut des Zeus neben ihm steht, schauen aufwärts wie
zu dem Gott empor. Es ist kein irdisches Aufwarten, sondern ein
feierliches Kredenzen bezeichnet. (Der Arm mit der Schale neu, aber
dem alten Ansatz nach wohl richtig ergänzt.) Raphael hat diess
ähnlich empfunden, im Hochzeitsmahl der Farnesina, wo Ganymed
sich auf ein Knie niederlässt.
Die schöne lebendige Statue kleinern Massstabes in den Uffizien
(Halle des Hermaphr.) hat einen Kopf und einen Adler von Benv.
Cellini, stellte aber wohl ursprünglich Ganymed dar. Bildung und
Stellung sind von gleicher Anmuth.
(Kinderstatuen ziehen das Verhältniss zum Adler ins Drollig-
gKindliche; so die sehr meisterhaft gedachte des kleinen Ganymed,
welcher den Adler nach hinten umfasst, im obern Gang des Va-
ticans.)
Der Bilderkreis der Götter wird glorreich ergänzt durch Dio-
nysos, den Gott der hohen Naturwonne. Nachdem ihn die Kunst
lange als bärtigen Herrscher gebildet (S. 422), erhielt er zur Zeit des
Skopas und Praxiteles die süsseste Jugend und sein bisher bloss bur-
leskes Gefolge (man vgl. die Satyrn auf den ältern Vasen) eine reiche
charakteristische Abstufung bis ins Schöne hinein. Ihm, dem reinsten
Grundton und Mittelpunkt dieses gestaltenreichen Schwarmes (Thia-
[471]Dionysos.
sos), wurde eine Schönheit zugedacht, zu deren vollem Ausdruck
männliche und weibliche Formen gemischt werden mussten. So ent-
stand der wunderbare Typus unbestimmter, zielloser Seligkeit, dessen
tiefster Zug (wie bei der Aphrodite) eine leise Sehnsucht ist. Einem
solchen Dasein kam vor Allem eine leichtruhende Stellung zu, welche
die Entwicklung eines reichen Körpermotives begünstigte, so das Auf-
lehnen auf einen Rebenstamm, der später zu einer jungen Satyrgestalt
belebt wurde; auch wohl eine leichtgewendete sitzende Haltung. Der
Thyrsus, wo er vorkömmt, dient der Gestalt zur Zier mehr als zur
Stütze. Das Haupt, meist etwas geneigt, ist von einem Kranz von
Weinlaub oder Epheu beschattet und von herrlichen Locken umgeben,
die eine Stirnbinde zusammenhält. Mit Ausnahme eines Thierfelles ist
Dionysos in der Regel nackt, doch auch nicht selten von den Lenden
an mit einem Gewande bekleidet.
In den italienischen Sammlungen wird wohl dem sitzenden Torsoa
des Museums von Neapel (Halle des Jupiter) der unbestrittene Vor-
rang bleiben, indem hier die milden und reichen Formen des Gottes
schöner und einfacher behandelt sind als sonst irgendwo. Ein andererb
schöner sitzender Torso im Vatican (Galeria delle Statue). Der Torso
eines stehenden Bacchus von sehr guter römischer Arbeit, als Apollc
restaurirt, in der innern Vorhalle der Uffizien zu Florenz.
Die volle dionysische Schönheit aber konnte nicht ergreifender
hervorgehoben werden, als durch den Contrast mit einem bestimmten
Begleiter aus dem Gefolge des Gottes. Die Kunst personificirte den
Weinstock (Ampelos), auf welchen der Gott sich lehnte, zu einem
Satyr, mit welchem er in verschieden charakterisirte Beziehungen (des
Sprechens, des Aufstützens) gesetzt wird; bisweilen mischt sich ganz
deutlich ein Zug des Humors ein: Ampelos kann die Stimmung seines
Herrn nicht recht fassen und macht sich seine Gedanken darüber. Die
vielleicht ehemals beste Gruppe dieser Art, ein sehr schönes aber übeld
zugerichtetes Werk in der Villa Borghese (Hauptsaal) zeigt den voll-
ständigern Typus des Gottes in seiner edelsten Gestalt; Ampelos
jedoch ist grossentheils zerstört. Gut erhalten oder restaurirt, aber
viel weniger hoch aufgefasst: Dionysos mit dem ausschreitendene
Ampelos in der Sala rotonda des Vaticans; — ähnlich, aber kleiner
und geringer im Dogenpalast zu Venedig, Corridojo; — grossartig undf
[472]Antike Sculptur. Dionysos.
aschwülstig mit einem frechen Ampelos, im Hauptsaal der Villa Lu-
bdovisi; — kleiner und von guter römischer Arbeit in den Uffizien
(Halle der Inschriften), durch die Restauration, welche auch die Basis
umfasst, vielleicht zu viel nach links (vom Beschauer) geneigt; — roh
cdecorativ und für einen baulich bedingten Gesichtspunkt berechnet,
in der Galerie zu Parma 1); — endlich als Seitenstück: Dionysos mit
ddem geflügelten Eros, im zweiten Gange des Museums von Neapel.
e— Bei den grossen Bronzen derselben Sammlung: eine treffliche Sta-
tuette des Bacchus mit dem Thyrsusstab.
Die überwiegende Menge der Bacchusfiguren sind unbedeutende
römische Arbeiten; bisweilen von gutem Motiv, aber schwerer Aus-
führung, indem die Kunst den Ausdruck der reichen und weichen
dionysischen Natur im Breiten und Üppigen suchte. So die Statuen
fvon Tor Marancio im obern Gang des Vaticans; diejenigen im zweiten
gGange des Museums von Neapel (worunter eine stark ergänzte bes-
hsere). Mehrere, auch von den bessern, in der Villa Borghese. Als
Herr der Unterwelt thront Dionysos, neben sich die gerettete Seele
eines Mädchens, in einer sehr späten, nur sachlich merkwürdigen
iGruppe der Villa Borghese (Faunszimmer). — Wo der Gott einen
seiner Panther bei sich hat, wird man das Thier verhältnissmässig
immer sehr klein gebildet finden. Man hat es desshalb auch schon
als Luchs u. s. w. classificiren wollen. Die griechische Kunst aber,
welche selbst die Söhne Laocoons in einem kleinern Verhältniss bil-
dete als den Vater, erlaubte sich auch die Freiheit, die bis über sechs
Fuss langen Tiger und Panther auf ein Mass zu reduciren, woneben
der Gott bestehen konnte.
Schliesslich müssen wir die zwei köstlichen florentinischen
kBronzefiguren (Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen, dritter
Schrank) erwähnen, welche den Bacchus als einen schlanken Knaben
darstellen; das einemal hebt er mit beiden Händen Trauben empor;
das andermal schlägt er beide Arme über das nach links abwärts-
[473]Ariadne.
blickende Haupt, mit einem Ausdruck süssester Melancholie, den
wohl kein Marmorbild des Gottes so wiedergiebt.
In den Reliefs, auch an Sarcophagen, wo man den Gott in den
verschiedensten Stellungen und Handlungen kennen lernt, erscheint er
nicht selten mit der von ihm geretteten Ariadne, welche, einmal in
seinen Kreis aufgenommen, nur ihm ähnlich gebildet werden konnte.
Selbständige Statuen dieser dionysischen Ariadne kommen wohl
nicht vor, doch hat man einen der schönsten Köpfe des Alterthums
(im Museo capitolino, Zimmer des sterbenden Fechters) langea
Zeit so benannt, bis neuere Forscher darin einen ganz jugendlichen
Dionysos zu erkennen glaubten. Wie dem auch sei, Augen, Wangen
und Mund dieses Werkes geben gerade das Schönste und Süsseste
der bacchischen Bildung, die Verlorenheit in sanfter Wonne, mit einer
unbeschreiblichen Leichtigkeit wieder. Im anstossenden Faunszimmerb
findet sich ein geringerer, doch noch immer schöner Kopf, bei welchem
man ebenfalls über die Benennung im Zweifel bleiben kann. (Die
Augen zur Ausfüllung mit irgend einer andern Steinart bestimmt, wie
an vielen Köpfen.)
Die schöne Statue, welche in den Uffizien zu Florenz (ersterc
Gang) Ariadne heisst, hat einen antiken bacchischen, ihr aber nicht
angehörenden Kopf; der Leib möchte vielleicht der einer Muse gewesen
sein. Ihre fast verticale linke Seite zeigt zwei Ansätze; sie muss sich
auf Etwas gelehnt haben. (Beide Arme sind wegzudenken.)
Von derjenigen Stimmung, welche in Dionysos rein und göttlich
waltet, gehen die einzelnen Äusserungen wie Radien in die Personen
seines Gefolges aus. Es ist die Naturfreude auf allen ihren Stufen,
je nach der edlern oder gemeinern Art des Einzelnen. Man muss sich
diesen „Thiasos“ immer als Ganzes, als Zug oder Scene denken, wie
er in mehrern ganz trefflichen Reliefs und sehr vielen meist mittel-
guten oder geringen Sarcophagbildern, auch auf vielen Vasen sich
stückweise darstellt. Allein schon die Kunst der besten Zeit, schon
Meister wie Praxiteles haben die einzelnen Gestalten dieses Ganzen
[474]Antike Sculptur. Satyrn.
als Episoden einzeln gedacht und behandelt und von den Nachahmun-
gen gerade dieser Werke sind die Galerien voll.
Diese sämmtlichen Gestalten haben leisere oder derbere Anklänge
an das Thierische, ja Bestandtheile von Thieren an sich. Nur so
wurden sie geschickt zu dem vollkommen wohligen Genuss und zu
dem endlosen Muthwillen, in welchem sie sich ergehen.
Die Hauptschaar besteht aus Satyrn. (Der römische und italie-
nische Name „Faun“ kann nur verwirren und wird am besten ganz
beseitigt.) Ihre Abzeichen sind die mehr oder weniger bemerkliche
Stülpnase, die etwas gespitzten Ohren, oft auch ein Schwänzchen und
zwei Halsdrüsen; als Kleidung etwa ein Thierfell. Allein schon in-
nerhalb dieser Gattung ist die reichste Abstufung zu bemerken.
Der edelste, dem Dionysos am nächsten stehende, ist der vom
Flötenspiel ausruhende, an einen Baumstamm gelehnte (bisweilen be-
kränzt); eines der anmuthigsten und beliebtesten Motive der alten
Kunst, wahrscheinlich Nachbildung des praxitelischen Satyros pe-
ariboëtos. Das beste römische Exemplar im Museo capitolino (Zim-
bmer des sterbenden Fechters); andere gute: im Braccio nuovo des
cVaticans und in der Villa Borghese (Zimmer des Fauns). — Zwei
dgeringe römische Wiederholungen im Pal. Pitti zu Florenz (inneres
Vestibul über der Haupttreppe) geben dem Periboëtos einen kleinen
Pan bei, durch welche Zuthat die Einsamkeit verloren geht, die für
den geistigen Ausdruck der Figur so wesentlich ist. — Das Über-
wiegen des Genusslebens zeigt sich beim Periboëtos nur in dem vollen
Rund der Züge und in dem etwas vortretenden Bauch, die Malice
nur in einem kaum bemerklichen Zuge des Gesichtes.
Sein jüngerer Bruder ist der Satyrknabe, welcher die Flöte
eben ansetzen oder weglegen will (was der Restaurationen wegen
selten zu entscheiden ist), angelehnt mit gekreuzten Beinen. Gute
eExemplare im Braccio nuovo des Vaticans, in der obern Galerie des
fMuseo capitolino und anderswo; ein geringeres im runden Saal der
gVilla Albani; keines wohl der Anmuth des Originals entsprechend.
hEin Fragment in der Galerie zu Parma. (Auch der sog. Amorstorso
daselbst ist wohl eher von satyresker Bildung.) Die Satyrknaben und
Kinder, von welchen einzelne treffliche Köpfe vorkommen, sind theils
von harmlosem, theils auch schon von nichtsnutzigem, spöttischem
[475]Satyrn.
Ausdruck; ein noch fast unschuldiges, heiter lachendes Köpfchen in
der obern Galerie des Museo capitolino; eine ganze Anzahl, von ver-a
schiedenem Ausdruck, im Museo Chiaramonti (Vatican).b
Zu den edlern Satyrn gehört insgemein auch noch derjenige,
welcher den jungen Dionysos auf der Schulter tragen darf. Sein
leichtes Ausschreiten und Lachen, und der schlank-elastische, wie von
innern Federkräften bewegte Körperbau unterscheiden ihn indess we-
sentlich vom Periboëtos und nähern ihn schon den übrigen Satyrn.
Meist stark restaurirt, lässt er Zweifel übrig in Betreff der Haltung
seiner Arme und der Gestalt des Bacchuskindes. Treffliches, aber sehr
überarbeitetes Exemplar im Museum von Neapel (zweiter Gang); an-c
dere im Braccio nuovo des Vaticans und in der Villa Albani (Ne-d
bengalerie rechts). Das Kind ist wohl bisweilen als blosser junger
Bacchant gedacht. — In der Stellung sehr ähnlich der hie und da
vorkommende Satyr, welcher ein Zicklein trägt.
Wie das Flötenspiel dem idyllischen, einsam ausruhenden Satyr
zukömmt, so die Klingplatten und das Tamburin der bereits in
Bewegung gerathenen bacchischen Schaar. Aus den hier zu nennenden
Gestalten spricht bald ein heitrer, bald ein wilder Taumel, der als
zweites, dämonisches Leben den oft meisterhaft gebildeten Körper
durchbebt. Der heftigste denkbare Eifer des Musicirens spricht sich
in der berühmten florentinischen Statue aus (Uffizien, Tribuna);e
die Bewegung zeigt freilich, dass in dieser Musik die Melodie dem in
wildem Taktiren vortrefflich ausgesprochenen Rhythmus untergeordnet
ist. Der Kopf und die Arme sammt Klingplatten von Michelangelo
restaurirt; das Übrige trotz der verletzten Oberfläche einer der besten
Satyrstypen. Ganz anders und wiederum in seiner Art unvergleich-
lich der Klingplattenspieler der Villa Borghese (in der Mitte desf
Faunszimmers); ein ältlicher Virtuose des Spieles und des Tanzes
zugleich, dreht er sich mit wirbelnder Schnelligkeit auf beiden Füssen
herum; seine sennig ausgetanzten Glieder und seine originell hässlichen
Gesichtszüge sind auf das Geistvollste behandelt.
Wüster und wilder ist die Geberde des colossalen Tänzers der-
selben Sammlung (Hauptsaal), welchem der Hersteller einen Hirten-g
stab in die Hände gegeben hat. Die Arbeit, so weit sie alt ist, kann
noch immer für trefflich gelten, doch wirkt gewisses Detail, wie z. B.
[476]Antike Sculptur. Satyrn.
die schwellenden Bauchadern u. dgl. in dem grossen Massstab schon
anicht mehr angenehm. (Ein dritter grosser Satyr, im Faunszimmer,
bist mehr als zur Hälfte neu.) — Zwei fast identische Statuetten, sprin-
gende Satyrn mit Klingplatten, sich stark zurückbeugend, im obern
Gang des Vaticans; vielleicht Nachbildungen eines berühmten Origi-
cnals. Ein eifriger Bläser der Doppelflöte, kleine Bronze in den Uffi-
zien, zweites Zimmer der Bronzen, dritter Schrank.
Bisweilen ist es mehr ein blosses fröhliches Aufspringen als ein
eigentlicher Tanz, was der Bildner geben wollte. So vielleicht in der
dherrlichen Statuette des Museums von Neapel (grosse Bronzen);
aufwärts blickend, mit den Fingern der einen Hand in der Luft schnal-
zend schwebt der nicht mehr junge Gesell mit, ich möchte sagen, hör-
barem Jubelruf dahin.
Sehr wesentlich ist endlich das Verhältniss der Satyrn zum Wein,
dessen Werth, Bereitung und Wirkung an und mit ihnen hauptsäch-
lich dargestellt wird. (Weinbereitende Genien und Eroten sind in
der Regel eine spätere, schwächere Schöpfung.) Die Reliefs geben
den betreffenden Bilderkreis vollständig; wir müssen uns auf die Sta-
tuen beschränken.
Schon an der Traube (hat der Satyr seine lüsterne Wonne; er
hält sie empor und besieht sie mit einem Gemisch von Lachen und
Begier, das die Kunst gerne raffinirt behandelte. Ein Meisterwerk
eder sog. Fauno di rosso antico, in dem Faunszimmer des Museo
capitolino, spät und zur Hälfte neu, aber in den erhaltenen Theilen
classisch für die Behandlung des Satyrleibes. Eine Wiederholung in
fMarmor, im grossen Saal desselben Museums; ein gutes Exemplar
gwiederum in rosso antico, im Gabinetto delle Maschere des Vaticans.
Andere a. a. O.
Wenn in diesem Typus die Frechheit des ausgewachsenen Satyrs
kenntlich vorherrscht, so verknüpfen andere Statuen dieselbe Handlung
mit einer jugendlichern und edlern Körperbildung und einem harm-
losern Ausdruck; es sind schlanke, ausschreitende Gestalten in der
Art des Satyrs mit dem Bacchuskind; leider fast sämmtlich stark re-
staurirt, doch so beschaffen, dass man ein ausgezeichnetes Urbild ver-
muthen darf, in welchem ein eigenthümliches Problem elastisch-
jugendlicher Form und Bewegung schön muss gelöst gewesen sein.
[477]Satyrn.
Drei Exemplare von ungleichem Werthe im zweiten Gang des Mu-a
seums von Neapel; eines von parischem Marmor, mit echtem, edelm
Kopf, aber sonst von schwankender Behandlung, in den Uffizien zub
Florenz (erster Gang). — Hieher gehören auch noch folgende Werke.
Auffallend ideal, und desshalb vereinzelt stehend: der schöne Satyrc
mit dem Füllhorn, im Hauptsaal der Villa Ludovisi. — An dem vor-
geblichen „Bacchus mit Faun“ im zweiten Gang der Uffizien zu Flo-d
renz ist nichts als der Torso der erstern Figur alt; von guter Arbeit,
vermuthlich einer der edlern jungen Satyrn. Der daneben kauernde
kleine „Faun“ sammt allem Übrigen ist neu. — Ein sehr schöner Sa-
tyrstorso desselben Ranges, doch mehr ausgewachsen, nach rechtse
lehnend, ebenda (Halle des Hermaphr.; nicht restaurirt, aber geglät-
tet). — Im Palast Pitti (äusseres Vestibul über der Haupttreppe) zweif
Satyrn, welche ihre Panther mit emporgehaltenen Trauben necken,
ein öfter vorkommendes, aber bisweilen nur vom Restaurator herrüh-
rendes Motiv.
Einzelne Satyrsköpfe, ganz in Weinlaub eingehüllt, drücken
das lüsterne Lauern vortrefflich aus; die Behandlung der Augen und
das Zähnefletschen nähern sie der Maske. Ein Beispiel im Museog
Chiaramonti des Vaticans; Haar, Bart und Schnurrbart bestehen aus
lauter Trauben und Weinlaub.
Die Frechheit, welche der genossene Wein erregt, giebt sich in
zwei nur einfach als Brunnenfiguren ausgeführten, aber gut gedachten
sitzenden Satyrn mit Schläuchen kund. (Im Braccio nuovo desh
Vaticans.) Schon das Ausstrecken ihrer (theils alten, theils richtig
restaurirten) Beine ist so sprechend, dass diese Theile allein nur zu
weinfrechen Satyrn passen könnten. — Zu den frechen und boshaften
Satyrn gehört, beiläufig gesagt, auch der kleine Torso im Museum voni
Neapel (Halle des Jupiter), welcher einst aus spitzem Munde Wasser
spritzte.
Eine andere, vorzüglich gut repräsentirte Schattirung ist die Wein-
seligkeit. Nirgends wird dieser Seelenzustand köstlicher dargestellt,
als in dem auf dem Schlauch liegenden bärtigen Satyr,k
welcher mit der aufgehobenen Rechten der ganzen Welt ein Schnipp-
chen schlägt. (Museum von Neapel, grosse Bronzen.) Das eigen-
thümliche elastische Leben des Satyrleibes ist in der bewegten Linie,
[478]Antike Sculptur. Satyrn. Marsyas.
die von der aufgestützten linken Schulter nach dem rechten Schenkel
ageht, sehr energisch ausgesprochen. — Womit ein guter, aber stark
überarbeiteter Satyr im Vatican (Galeria delle Statue) zu verglei-
chen ist.
Arme, alte, verstossene Satyrn mit mürrischem Ausdruck müssen
inzwischen Schläuche halten und schleppen. (Meist Brunnenfiguren.)
bEin solcher im runden Saal der Villa Albani. Als Träger eines
cWasserbeckens ihrer drei dieser Art, im obern Gang des Vaticans.
dAuch ein jugendlicher, brutal-fröhlicher Schlauchträger kommt vor.
Endlich überwältigt der Schlaf den trunkenen Satyr. Ein Werk,
das dem berühmten „barberinischen Faun“ in der Münchner Glypto-
thek gleich käme, besitzt Italien in dieser Gattung nicht. Der bronzene
des Museums von Neapel (grosse Bronzen) ist bei seinen starken
Restaurationen und der etwas conventionellen Behandlung des Ur-
sprünglichen nur durch das Motiv interessant. Er schläft sitzend auf
einem Felsstück, den rechten Arm über das Haupt gelegt, den linken
hängen lassend, als wäre ihm eben das Trinkgefäss entglitten.
Ein bestimmter Satyr, Marsyas, hat durch sein bekanntes Schick-
sal der antiken Kunst Anlass gegeben zu einem der wenigen Motive
körperlicher Qual, welche sie behandelt hat. Vielleicht wäre auch
dieses unterblieben, wenn nicht gerade der Satyrsleib mit seiner elasti-
schen Musculatur in der Stellung eines an den Armen Aufgehängten
eine besonders interessante Aufgabe dargeboten hätte. Es gab eine
namhafte Gruppe im Alterthum, welche Apoll, einen oder zwei Skla-
ven und den unglücklichen Satyr dargestellt haben muss; davon sind
edie jetzt vorhandenen Marsyasfiguren, u. a. eine in der Villa Albani
f(im Kaffehaus), zwei in den Uffizien zu Florenz (Anfang des zweiten
Ganges) Einzelwiederholungen, die freilich mit ihrer geringen Aus-
führung keinen Begriff geben von dem grossen Raffinement, welches
wir im Urbilde voraussetzen dürfen. — Den bereits Geschundenen
darzustellen war erst die Sache der neuern Kunst, die in ihrem S.
Bartholomäus durch das höchstmögliche Leiden Eindruck machen
gwollte. (Statue des Marco Agrato im Chorumgang des Domes von
Mailand.) Bei Michelangelo (im jüngsten Gericht der Sistina) zeigt
der Heilige seine abgezogene Haut zwar auch vor, allein er hat zu-
gleich eine andere am Leibe.
[479]Leidender Satyr. Silen.
Einen andern leidenden Satyr glauben wir in dem vorzüglichen
Colossaltorso der Uffizien (Halle des Hermaphr.) zu erkennen.a
Nach einem Ansatz des linken Schenkels zu urtheilen, muss er ge-
sessen oder gelehnt haben, während doch die Formen des Leibes die
grösste Erregung zeigen. Welcher Art sein Leiden war, ob ihm ein
Dorn ausgezogen wurde u. dgl., ist schwer zu errathen. Als derber
und wilder Satyr giebt er sich durch die herculische Bildung von
Brust und Rücken, durch den auswärts geschobenen Bauch mit kräf-
tigen Adern zu erkennen.
Einer der alten Satyrn (ja eine ganze Gattung derselben) führt
den Namen Silen. Er könnte der wohlmeinende Vater der ganzen
Schaar sein, allein sein unverbesserlicher Weindurst macht ihm zu oft
die stützende Hülfe der Jüngern nöthig und bringt ihn um alle Ach-
tung. Der alte, fette, kahle Buffone kann sich nicht einmal immer
auf seinem Eselchen halten, sondern muss auf einem Karren mit-
gefahren werden; dafür wird er geneckt ohne Erbarmen. Diese seine
Privatleiden erfährt man jedoch fast nur aus Vasen und Reliefs; in
den Statuen macht er etwas bessere Figur. Die Haarlöckchen, die
über seinen ganzen Leib verbreitet sind, die Behandlung der Extre-
mitäten, ja die fast angenehme Hässlichkeit seines Kopfes selbst geben
ihm bisweilen etwas sehr Distinguirtes. So wird man z. B. dem Silenb
der Villa Albani (im sog. Kaffehaus) schon seiner niedlich gestellten
Füsse wegen zugestehen, dass er eigentlich zum Geschlecht der feinern
Schwelger gehöre. (Ein anderes, sehr gutes, aber weniger erhaltenesc
Exemplar in der Sala delle Muse des Vaticans.) — Im Ganzen aber
sind Silen und sein Schlauch gar zu unzertrennlich, als dass dem
Alten gründlich zu helfen wäre. Er reitet darauf und hält das weiche
Gefäss an zwei Zipfeln (Statuette im Museum von Neapel, grossed
Bronzen), während dessen Mündung, wie in der Regel, als Brunnen-
öffnung dienen muss; er liebkost den theuren Behälter (Statuette
ebenda), gerade wie er es sonst mit dem kleinen Panther des Bacchus
macht (Statuette ebenda). Eine kleine Marmorfigur im obern Gange
des Vaticans stellt den komischen Moment dar, in welchem er den
Schlauch und das Trinkhorn beim besten Willen nicht mehr in Ver-
bindung bringen kann.
[480]Antike Sculptur. Silen. Pan.
Die Folgen zeigen sich in einer kleinen Statue des Museums von
Neapel (zweiter Gang); Silen, wahrscheinlich schrecklich gefoppt,
bittet knieend und mit gefalteten Händen um Gnade. (Dasselbe Motiv
nicht selten auf Vasen.) — Als Brunnenfigur drückt er auch wohl
bsitzend mit aller Kraft auf einen Traubenbüschel, in welchem die
Mündung angebracht ist. (Uffizien, Halle der Inschriften.)
Bisweilen aber offenbart Silen eine höhere Natur; er ist der Er-
zieher und Hüter des Bacchus während der bedrohten Jugend
desselben gewesen. Mit dem göttlichen Kinde auf den Armen, freund-
lich ihm zulachend, erscheint er wieder als schlanker bärtiger Satyr
in beginnendem Greisenalter, von gemässigter herakleischer Bildung.
Von seinen Zügen sind alle wesentlichen Elemente, aber sehr veredelt
cbeibehalten. Eine gute Statue im Braccio nuovo des Vaticans; Köpfe
dim Museum von Neapel (erster Gang) und in der obern Galerie des
eMuseo capitolino; — bei weitem die beste Statue dieses Typus, in
der Detaildurchführung als classisch geltend, ist mit der alten borghe-
sischen Sammlung in den Louvre übergegangen.
Eine bedeutende Stufe tiefer nach der Thierwelt zu finden wir
die Pane. Das einsame halbgöttliche, halbthierische Waldwesen hat
sich, den vorhandenen Kunstwerken nach, längst in den Kreis der
dionysischen Genossen begeben und sich dort zu einem ganzen Ge-
schlecht vervielfacht. Als einzelne Figur ist er fast nur in unter-
geordneten Werken decorativer Art auf unsere Zeit gekommen, an
welchen man immerhin den meisterhaft gedachten Übergang aus den
Ziegenfüssen in den satyrhaften Menschenleib und die geistvolle Ver-
mischung menschlicher und thierischer Züge im Gesicht studiren kann.
f(Ein seitwärts ins Affenmässige gehender Ausdruck in einem gut gear-
beiteten Köpfchen des Vaticans, Büstenzimmer.) — Zwei grosse Pane als
gGesimsträger, im Hof des Museo capitolino; eine sehr chargirte Pans-
hmaske als Brunnenöffnung ebenda, im Zimmer des Fauns. — Häufig ein
kleiner Pan im Mantel mit der vielröhrigen Hirtenflöte in der Hand,
ivon drolligem Ausdruck des Wartens und Zusehens. (In dem ge-
knannten Hof; auch im Garten der Villa Albani; derjenige im Garten
lder Villa Ludovisi ist ein Werk des X VI. Jahrhunderts, aber nicht
von Michel Angelo, sondern von einem affektirten Nachahmer des-
selben.)
[481]Pan. Centauren.
Von Gruppen ist die des Pan und Olympos in leidlichen
Nachahmungen eines ausgezeichneten Werkes vorhanden. Der Con-
trast in Stellung und Bildung zwischen dem Waldgott und dem ganz
jungen Satyr, welcher bei ihm die Musik lernt, hatte für die Kunst
denselben ungemeinen Reiz, welchen sie auf einer andern Stufe in
der Zusammenstellung von Centauren als Lehrern mit jungen Helden
wiederfand. (Die besten Exemplare besitzt Florenz: eines, unsichtbar,a
in dem Magazin der Uffizien; eines im ersten Gang der Uffizien, mit
dem echten Kopf des Olympos von angenehm leichtfertigem Aus-
druck; ein Olympos ohne den Pan, im zweiten Gang der Uffizien,b
roh, aber gut erhalten; — ein anderes gutes Exemplar im geheimenc
Cabinet des Museums von Neapel; — geringere in der Villa Ludovisid
zu Rom, Vorsaal; — und, zur Hälfte neu, in der Villa Albani, unter-e
halb des Kaffehauses. Andere a. a. O.)
Von einem sehr artigen Motiv: Pan der einem Satyr einen Dornf
aus dem Fusse zieht, ist u. a. ein kleines und bedeutend ergänztes
Exemplar im obern Gange des Vaticans erhalten.
Pan in anderer Gesellschaft ist bisweilen von derjenigen Art,
welche in den italienischen Sammlungen nicht leicht aufgestellt wird.
Ein Hermaphrodit, den zudringlichen Pan abwehrend, kleine Gruppe,g
in den Uffizien (Halle des Hermaphroditen); hier ist der ganze Pan
neu, angeblich von Benv. Cellini.
Nicht dem Ursprung, wohl aber der spätern kunstüblichen Form
zu Liebe müssen wir noch die Centauren hieher rechnen. Auch
sie, ehemalige Jäger und wilde Entführer, gerathen in den dionysi-
schen Kreis hinein, dem sie durch ihre Weinlust von jeher nahe ge-
standen. Bisweilen ziehen sie auf den Reliefs den Wagen des Gottes
an der Stelle der Panther; auf ihrem Rücken etwa ein kleiner bacchi-
scher Genius, der sie zügelt oder mit ihnen spricht. Dieser bacchi-
schen Natur gemäss tragen auch die beiden (nächst einem Werk des
Louvre) ausgezeichnetsten Centaurenstatuen (von Aristeas und Papiash
aus Aphrodisias, im grossen Saale des Museo capitolino) auf ihrem
Pferdeleib den Oberkörper eines ältern und eines jüngern Satyrs 1).
B. Cicerone. 31
[482]Antike Sculptur. Bacchantinnen etc.
Die Arbeit, obwohl erst aus hadrianischer Zeit, ist vorzüglich, und
die Übergänge aus den menschlichen in die thierischen Formen sind
mit einem Lebensgefühl gegeben, welches an die Wirklichkeit solcher
Wesen glauben macht. (Die Ähnlichkeit des ältern mit den Gesichts-
zügen des Laocoon bleibt immer auffallend; jedenfalls sollte ein Ge-
gensatz des Alters und der Jugend, der Heiterkeit und des Trübsinns
dargestellt werden.)
Es versteht sich übrigens, dass die Marmorstatue nicht die geeig-
nete Form war, um den Centauren in voller bacchantischer Bewegung
zu zeigen. Eine Anzahl wunderbarer kleiner pompejanischer Gemälde
geben uns erst einen vollen Begriff von Dem, was man Satyrn und
Centauren zutraute.
Von den weiblichen Gestalten des dionysischen Kreises sind viele
in Gemälden und Reliefs, aber nur wenige in Statuen nachweisbar.
Schon die Bildung der Ariadne als Statue ist, wie wir sahen, zwei-
afelhaft; ob sie oder eine blosse bacchische Tänzerin in einer
wunderschön bewegten und bekleideten vaticanischen Figur (Ga-
binetto delle Maschere) dargestellt sei, lassen wir dahingestellt; das
mit Epheu bekränzte Haupt, von dionysischer Süssigkeit, ist alt und
becht. — Eine junge Satyrin in der Villa Albani (Nebengalerie rechts),
zeigt in ihrem zwar aufgesetzten, aber doch wohl echten Köpfchen
die Merkmale ihrer Gattung, auch das Stumpfnäschen, in das Mäd-
chenhafte übersetzt; ihr schwebender Tanzschritt veranlasste, vielleicht
mit Recht, eine Restauration der Hände mit Klingplatten. — Eine ruhig
cstehende, mit einem Thierfell über dem Gewande, in der untern Halle
des Conservatorenpalastes auf dem Capitol; leider ist an dieser schön ge-
ddachten Statue der Kopf zweifelhaft. — Eine hochausschreitende schlanke
Bacchantin mit einem Luchs, unter Lebensgrösse, an Kopf und Armen
kläglich restaurirt, zeigt noch ein schönes Motiv in geringer römischer
eAusführung. (Uffizien, Verbindungsgang.) — Eine hübsche nackte Bac-
chantin mit Thierfell, im Dogenpalast zu Venedig (Corridojo), trägt
1)
[483]Der Thiasos. Meergottheiten.
jetzt einen Dianenkopf. — Endlich giebt es Sileninnen. Eine in ihrera
Art vortreffliche auf der Erde sitzende Alte (in der obern Galerie des
Museo capitolino) offenbart ein Verhältniss zur Amphora, welches
wenigstens eben so innig ist, als das des Silenus zum Schlauch;
ihr mageres Haupt ist vergnüglich aufwärts gerichtet; ihr offener
Mund und ihr Hals sind lauter Schluck und Druck. — In der Villa
Albani sogar eine Panisca; Centaurinnen kommen wenigstens in den
pompejanischen Gemälden vor.
Alle diese Gestalten sind nun immer nur Bruchstücke eines gros-
sen Ganzen, welches die Phantasie aus ihnen und aus den Reliefs und
Gemälden, auch wohl aus den Schilderungen der Dichter mühsam wie-
der zusammensetzen muss. Allerdings so wie Skopas und Praxiteles
den bacchischen Zug im Geiste an sich vorbeigehen sahen, so wird
ihn weder die Combination des Künstlers, noch die des Forschers je
wieder herstellen.
Noch die spätere griechische Kunst wurde nicht müde, diesen
Gestaltenkreis mit neuen Scenen und Motiven zu bereichern. Als die
Griechen den Orient erobert hatten, symbolisirten sie ihre eigene That,
indem sie Dionysos als den Eroberer von Indien und seinen Zug als
einen Triumphzug darstellten, in welchem gefangene Könige des
Ostens, Wagen voller Schätze und asiatische Zugthiere mit abgebildet
wurden. Unermüdlich wurden bacchische Opfer, Gastmäler, Feste,
Tänze u. s. w. von Neuem variirt, und die ganze Decoration von
Häusern und Geräthen vollkommen mit bacchischen Gegenständen und
Sinnbildern durchdrungen.
Nun die merkwürdige Parallele zum bacchischen Gestaltenkreis.
Schon bei Anlass des Poseidon wurde angedeutet, wie die alte
Kunst das Element der Fluth von seiner trüben, zornigen Seite aus
symbolisirte. Allerdings bildet sich später der Zug der Meergott-
heiten nach dem Vorbilde des Bacchuszuges zu einem rauschenden,
selbst theilweise fröhlichen Ganzen um (wahrscheinlich in Folge einer
berühmten Arbeit des Skopas), und die Tritonen entlehnen von den
31*
[484]Antike Sculptur. Tritonen.
Satyrn die Ohren, von den Centauren die pferdeartigen Vorderfüsse,
welche ihrem Oberleib erst die rechte Basis im Verhältniss zum Fisch-
schwanze geben. Allein der Triton, selbst der ganz jugendliche, be-
hält doch meist einen trüb-leidenschaftlichen Ausdruck, der sich in
den tiefliegenden Augen, den eigenthümlich geschärften und geboge-
nen Augbraunen, dem schönen aber gewaltsam zuckenden Mund und
ain der gefurchten Stirn offenbart. So der grossartige vaticanische
bTritonstorso (Galeria delle Statue). Ganz in der Nähe (Saal der
Thiere) steht die wohlerhaltene Gruppe eines Tritons, welcher eine
Nereide entführt, mit Amorinen auf dem Schweif, vortrefflich erfun-
den, aber von sehr ungleicher Ausführung. Hier ist das Profil des
Halses zu einer Art von Halsflosse geschärft, welche den Ausdruck
von Leidenschaft und Anstrengung sichtbar steigert. (Wahrscheinlich
eine Brunnengruppe.)
Die schön belebte Jünglingsgestalt auf dem Delphin reitend, im
cägyptischen Zimmer der Villa Borghese, zeigt allerdings in Kopf und
Geberde den Ausdruck der Fröhlichkeit und Elasticität. Allein es ist
in dieser durchaus menschlichen Figur kein Triton dargestellt, son-
dern wahrscheinlich Palämon, und zudem ist der Kopf (vom Satyrs-
typus) der Statue fremd. Als eine der erfreulichsten Brunnenstatuen
— das Wasser kam aus dem Mund des Delphins — verdient sie noch
eine besondere Beachtung.
Nicht immer aber wird in den Tritonen das Jugendliche mit dem
schönen und herben Trübsinn dargestellt; es giebt auch alte, bärtige,
mit lachendem oder komisch-grämlichem Ausdruck, Silene der Fluth,
dwenn man will. Solche sind verewigt in dem Mosaik der Sala ro-
tonda des Vaticans (aus den Thermen von Otricoli). Die von allem
Wetter gebräunten Seeleute, meist mit hübschen jungen Nereidenweib-
chen hinter sich auf dem geschwungenen Schweif, haben es hier m it
allerlei Meerungeheuern zu thun, als da sind Seepferde, Seegreifen,
Seeböcke, Seestiere, Seedrachen u. dgl.; diese Meerwunder werden
geneckt, gefüttert und gezäumt. Es sind Scenen aus dem Stillleben
der persönlich gewordenen Seewelt, hier von drolliger Art.
An den Sarcophagen haben dagegen auch die alten Tritonen in
der Regel den ernsten und trüben Ausdruck.
[485]Nereiden. Der Hermaphrodit.
Bei den nackten oder beinahe nackten Nereiden versteht es
sich von selbst, dass die Kunst sie nur heiter mädchenhaft bilden
durfte. Bedeutende Statuen sind kaum vorhanden, wohl aber reizend
gedachte (meist gering ausgeführte) Statuetten, welche diese zierlichen
Wesen auf Seewiddern reitend darstellen (Beispiele a. m. Orten). Das
einzige bedeutendere Marmorwerk, die florentinische Nereide aufa
dem Seepferd (zweiter Gang der Uffizien) lässt trotz Verstümmlung
und Restauration ein so reizendes Motiv erkennen, dass man in dieser
römischen Brunnenfigur die Nachahmung einer Gestalt des Skopas zu
finden glaubt.
Als die antike Kunst, wahrscheinlich in der praxitelischen Zeit,
nach immer wirksamern Ausdrucksweisen des Schönen suchte, gerieth
sie auf die Schöpfung des Hermaphroditen, wobei ihr ein schon
vorhandener Mythus entgegen kam. Es war aber bei dieser Aufgabe
kein rechtes Gedeihen. Man konnte den Dionysos der weichen Weib-
lichkeit, die Amazone der männlichen Heldengestalt sehr nähern und
dabei den strengsten Gesetzen der Schönheit in vollstem Mass genügen;
es fand dabei eine echte Durchdringung dessen statt, was am Manne
und was am Weibe schön dargestellt werden kann. Hier dagegen
werden auch die äusserlichen Kennzeichen der Geschlechter in Einer
Gestalt vereinigt, als ob die Schönheit in diesen läge und sich nun
doppelt mächtig aussprechen müsste. Man vergass dabei, dass alles
Monströse schon a priori die geniessende Stimmung zerstört, indem es
wenn auch nicht den Abscheu, so doch Unruhe und Neugier an deren
Stelle setzt; dass ferner das Schöne nur an bestimmten Charakteren
und nur im Verhältniss zu denselben vorhanden und denkbar ist und
bei willkürlichen Mischungen zerfliesst 1). Es geschah nun zwar das
Mögliche, um über die Formen dieses Wesens den grössten sinnlichen
[486]Antike Sculptur. Antinous.
Reiz auszugiessen; man erfand auch (z. B. auf Reliefs) für den Her-
maphroditen besondere Situationen, indem man ihn mit allerlei Leuten
aus dem Gefolge des Dionysos zusammenbrachte, allein er blieb ein
Ding aus einer fremden, abstracten Welt. Da man keine bezeich-
nende Action von ihm wusste, so liess die Kunst ihn am liebsten
schlafen, ja sie erhob ihn zum Charakterbild des unruhigen Schlafes
einer schön gewendeten jugendlichen Gestalt. So die vorzügliche Sta-
atue im Louvre, von welcher die beiden in der Villa Borghese und in
bden Uffizien (in den danach benannten Räumen) Wiederholungen sind;
die letztgenannte die bessere, aber schlechter erhaltene. (Ein Torso
cim Museo Chiaramonti des Vaticans ist der eines laufenden, wahr-
scheinlich vor Pan oder einem Satyr fliehenden Hermaphroditen.)
Der letzte Gott, welcher eine höhere Kunstform erhielt, war der
vergötterte Liebling des Kaisers Hadrian, Antinous. Es handelte
sich darum, die Bildnissähnlichkeit des für Hadrian freiwillig (im Jahr
130 n. Chr.) gestorbenen Jünglings im Wesentlichen festzuhalten und
zugleich sie in eine ideale Höhe zu heben. Züge und Gestalt eigneten
sich mehr dazu als der geistige Ausdruck; es ist eine volle, reiche
Bildung, breitwölbig in Stirn und Brust, mit üppigem Munde und
Nacken. Der Ausdruck aber, so schön er oft in Augen und Mund
zu jugendlicher Trauer verklärt ist, behält auch bisweilen etwas Böses
und fast Grausames.
Ausser den zahlreichen Büsten, welche den Antinous insgemein
din der Art eines jungen Heros darstellen (z. B. in der Sala rotonda
des Vaticans) giebt es eine Anzahl von Statuen, in welchen er ent-
weder schlechthin als segenverleihender Genius, bisweilen mit dem
Füllhorn, oder in der Gestalt einer bestimmten Gottheit personificirt
eist. Dahin gehört der Antinous als Vertumnus im Braccio nuovo, und
fals grosse Halbfigur in Relief in der Villa Albani, der Antinous als
gOsiris im ägyptischen Museum des Vaticans, vor allen der pracht-
hvolle Antinous als Bacchus im Museum des Laterans (ehemals im
Pal. Braschi), eine der elegantesten Colossalstatuen der spätern
iZeit; von den attributlosen heroischen Statuen ist die des Museums
von Neapel (Halle der Flora) unstreitig eine der schönsten.
[487]Fremde Göttertypen.
Die schöne capitolinische Statue (Zimmer des sterbendena
Fechters) führt wohl mit Unrecht den Namen des Antinous. Kopf und
Körper sind am ehesten die des Hermes oder eines Athleten, nur nicht
von so schlanker, eher gedrungnerer Form als gewöhnlich; von der
prachtvollen Üppigkeit des Antinous ist dieses Werk jedenfalls weit
entfernt 1). Der sog. Antinous des Vaticans (Belvedere) ist, wie oben
bemerkt, ein Hermes.
In den spätern Kaiserzeiten, als ein düsterer Aberglaube die Rö-
mer auf den Cultus des Fremden als solchen hintrieb, büssten meh-
rere Gottheiten ihre frühere schöne Kunstform ein. So zunächst Isis.
In einer colossalen Büste des Vaticans (Museo Chiaramonti) findenb
wir sie fast unkenntlich wieder, mit öden starren Zügen unter einem
schweren Schleier, der wieder an ihre altägyptische Kopftracht er-
innert, mit plumpem Schmuckbehäng auf der Brust.
Gespenstisch, maskenhaft und dabei ganz roh ist auch der Kopf
der „grossen Mutter“ (Cybele) im untern Gang des Museo ca-c
pitolino gearbeitet. Der Cultus des III. Jahrhunderts bedurfte der
schönen Kunstform nicht mehr, mit welcher es übrigens auch an den
bessern Darstellungen der Cybele (eine auf dem Löwen reitende, in
Villa Pamfili bei Rom; eine kleine sitzende im Museum von Neapel,d
zweiter Gang) nie war genau genommen worden. (An dem schönen
Kopf gegenüber ist die Mauerkrone ganz willkürlich aufgesetzt; eine
Replik desselben, ohne allen Ansatz, im Musenzimmer der Villa Borg-e
hese.)
Nur um die Leidensgeschichte der spätern römischen Kunst zu
bezeichnen, mögen hier noch ein paar Missbildungen dieser Art ge-
nannt sein, wie z. B. der hundsköpfige Anubis in römischem Ober-f
kleid (Museum von Neapel, ägyptische Halle); die Äonen (vaticani-g
sche Bibliothek); die vielbrüstige ephesinische Diana (oberer Gangh
des Vaticans, und — gelb mit schwarzem Kopf und Extremitäten — im
[488]Antike Sculptur. Barbaren. Phryger. Sklaven.
aMuseum von Neapel, Halle der farbigen Marmore, sowie — weissmar-
bmorn mit schwarzen Zuthaten — im Kaffehaus der Villa Albani) etc.
In dreierlei Typen hat die antike Kunst den Fremden, den Bar-
baren personificirt und als stehendes Element der Darstellung ge-
braucht.
Der edelste dieser Typen ist der des Asiaten, speciell des Phry-
gers. Er unterscheidet sich in den ältern Werken, wie z. B. den tro-
janischen Figuren der Äginetengruppen, nur durch die charakteristische
Tracht — Ermelkleid, Hosen und phrygische Mütze — von den Ge-
stalten der classischen Welt. Später, als man mit allem Asiatischen
durchgehends den Begriff der Weichlichkeit verband, wurden die Er-
mel und Hosen weit und faltig und ein reichwallender Mantel kam
chinzu. Dieser Art ist der sitzende Paris des Vaticans (Galeria
delle statue), ein sehr glücklich gedachtes Werk, aber von unbedeu-
tender Ausführung. (Paris als Knabe, s. oben.) Auch für die asiati-
schen Gottheiten, die in den Kreis römischer Verehrung aufgenommen
wurden, nahm später die Kunst diesen längst fertigen Typus in An-
spruch, wie die häufigen Gruppen des Mithras auf dem Stier knieend
d(die beste freistehende im Vatican, Saal der Thiere, viele Reliefs überall)
eund einzelne Gestalten des Attys beweisen. (Diejenige der Uffizien,
erster Gang, ist stark restaurirt und überarbeitet.)
Ganz anders verfuhr die Kunst mit (scytischen?) Sklaven, welche
meist in komisch-charakterisirender Absicht gebildet wurden, als alte,
stotternde, schlotterbeinige, dummpfiffige Individuen, wie sie hie und
da dem griechischen Hause zur Erheiterung dienen mochten. Eine solche
Figur ist z. B. der sog. Seneca im Louvre, ebenso der Sklave mit dem
fBadegefäss, im obern Gang des Vaticans. Auch einzelne gute Köpfe
kommen vor; man glaubt das Stammeln des fremden Knechtes aus
dem offenen Munde zu hören. — Possierliche Sklaven waren auch als
gkleine Bronzen ein beliebter Gegenstand; mehrere der Art z. B. in
den Uffizien (II. Zimmer d. Br., 6. Schrank).
Endlich bildeten Griechen und Römer ihre Feinde ab, als Käm-
pfende und als Überwundene. Der Typus, von welchem die griechische
Kunst hiebei ausging, war nicht der des Persers, sondern der des
[489]Barbaren. Kelten.
Kelten, dessen Heere im III. Jahrhundert v. Chr. Griechenland und
Kleinasien in Schrecken setzten. Die einzelnen Siege, welche man
über sie erfocht, scheinen besonders von den kunstliebenden Königen
von Pergamus durch Denkmäler verewigt worden zu sein. Von die-
sen letztern stammt wahrscheinlich die Ausbildung desjenigen Barbaren-
typus her, welchen dann auch die Römer adoptirten und für Dacier,
Germanen u. s. w. fast ohne Unterschied brauchten.
Das Kennzeichen des Barbaren aber war nach antiker Ansicht
die Unfreiheit, also in leiblicher Beziehung der Mangel an edlerer
Gymnastik, in geistiger eine düstere, selbst dumpfe Befangenheit. Wie
weit hierin das Vorurtheil, wie weit die wirkliche Wahrnehmung sich
geltend machte, geht uns nichts an. Genug, dass die vorhandenen
Bildwerke eine durchgehende, obwohl verschieden abgestufte Bildung
des Kopfes und des nackten Körpers zeigen.
An der Spitze stehen die beiden grossen tragischen Meisterwerke:
der „sterbende Fechter“ (im Museo capitolino, in dem nach ihma
benannten Zimmer), und „der Barbar und sein Weib“ im Haupt-b
saal der Villa Ludovisi. (Dass es sich nicht um einen Gladiator und
nicht um Arria und Pätus handle, hat man längst eingesehen.) Beide-
male sind es nackte Gestalten, vielleicht Einzelwiederholungen aus be-
rühmten Schlachtgruppen. In dem sterbenden Kelten ist die vollste
Wahrheit des Momentes, nämlich des letzten Ankämpfens gegen den
Tod, auf merkwürdige Weise in den edelsten Linien ausgesprochen,
und wenn es keine Niobiden gäbe, so würde man sagen, es sei un-
möglich schöner zu sinken. Um so beharrlicher aber hat der Künst-
ler die barbarische (oder für barbarisch angenommene) Körperbildung
durchgeführt, damit ja Niemand einen gefallenen griechischen Helden
zu sehen glaube. An Brust, Rücken und Schultern wird man wahr-
haft gemeine Formen bemerken, die diesen Typus auf das Stärkste
z. B. vom Athletentypus unterscheiden. Das struppige Haar, der
Knebelbart und der eigenthümliche Halszierrath vollenden diesen Ein-
druck — und doch bleibt noch eine ganz besondere Racenschönheit
übrig, welcher ihre volle künstlerische Gerechtigkeit wiederfährt. —
Die ludovisische Gruppe, ein glänzendes Werk des hohen Pathos, stellt
einen Kelten dar, welcher sein Weib getödtet hat und nun auch sich
ersticht, um der Gefangenschaft zu entgehen. Die Restaurationen und
[490]Antike Sculptur. Barbaren. Kelten.
Überarbeitungen haben den keltischen Charakter doch keineswegs ver-
wischt. (Den rechten Arm wird man leichter tadeln als besser re-
stauriren können; kläglich vermeisselt ist nur die Frau, zumal an der
Vorderseite, welche gegen die unberührten Theile, z. B. die Füsse, stark
absticht; leider geht uns dabei der einzige ganz sichere Typus einer
Barbarin theilweis verloren.) Von wunderbar ergreifender Art ist in
dieser Gruppe das Momentane, in der verzweifelten und gewaltigen
Geberde des Mannes und seiner Verbindung mit der bereits todt zu-
sammengesunkenen Frau; dem Geist der alten Kunst gemäss, sind
die Schrecken des Todes bei ihr nur angedeutet in den gebrochenen
Augen, in einem leisen Zuge des Mundes und in der unvergleichlich
sprechenden Stellung der Füsse.
Diese nämlichen Kelten sind dann auch in ihren Kämpfen mit
Griechen und Römern an einigen Sarcophagen abgebildet. Nicht
des eigenen Kunstwerthes halber, sondern weil sich darin vielleicht
ein Nachklang jener grossen Schlachtgruppen zu erkennen giebt, mögen
ahier die betreffenden Sarcophage in den untern Zimmern des capi-
btolinischen Museums und der Vorhalle der Villa Borghese (andere
a. a. O.) vorläufig genannt werden.
Als unmittelbare Reste einer guten römischen Nachahmung einer
cjener Gruppen darf man vier halblebensgrosse Statuen von Sinkenden
und Liegenden im Museum von Neapel (erster Gang) in Anspruch
nehmen: ein todter Barbar in Mütze und Hosen, mit Schild und krum-
mem Säbel; ein todter, nackter, griechischer Kämpfer; eine todte Bar-
barin als Amazone gebildet; und ein sterbend Sinkender, fast in der Stel-
lung des Fechters, nur umgekehrt; sämmtlich von trefflichster Erfindung
und befangener Ausführung. Wenn man noch die gegenüberstehenden
Reiterstatuen desselben Massstabes (einen griechischen Anführer und
eine sterbend vom Pferde sinkende Barbarin oder Amazone) hinzu-
rechnen will, so ist auf die starken Restaurationen dieser Beiden billige
Rücksicht zu nehmen. Eher noch gehört zu jenen vieren ein halbknieen-
dder Kämpfer im obern Gang des Vaticans, trotz des kleinern Mass-
stabes.
Ausserdem lieferten die römischen Triumphbogen u. a. Sieges-
denkmale eine Anzahl von Reliefs, Statuen und Köpfen gefangener
Barbaren. Wo sie bekleidet gebildet sind, tragen sie Mützen, Ermel,
[491]Barbaren. Kelten.
Hosen und Mäntel wie die Asiaten, wahrscheinlich weil die Kunst
von den griechischen Zeiten her daran gewöhnt war. Am Triumph-
bogen des Septimius Severus, wo es sich um wirkliche Asiaten, Par-
ther etc. handelt, ist auf das gelockte Haar noch ein besonderer Accent
gelegt. Ob in den beiden trefflichen Statuen der Hofhalle des Con-a
servatorenpalastes auf dem Capitol eine besondere illyrische Nuance
der Tracht zu bemerken ist, wie behauptet wird, mag dahingestellt
bleiben. Sonst lernt man den Typus des Gesichtes am bequemsten
kennen aus den drei colossalen Dacierköpfen des Braccio nuovo imb
Vatican; die düstre, bedeckte Stirn, das tiefliegende Auge, die lange,
schräg herab reichende Nase (wo sie alt ist), der Schnurrbart, der
halboffene Mund, endlich die Bildung der Unterlippe und des Kinns
sind hier höschst bezeichnend gebildet. Anderwärts ist das struppige
Haar mehr hervorgehoben, auch nähert sich die Nase der Stülpnase,
der Bart einem schmalen Knebelbart.
Als Besiegte liessen sich die Barbaren trefflich zu tragenden
und stützenden Figuren brauchen, wie einst schon im grossen Tempel
von Agrigent riesige Africaner als Atlanten das Gesimse des Innen-
baues trugen. Eine kleine Nachbildung von diesen mag man etwa
in den vortrefflich gedachten Figuren erkennen, welche im Tepidariumc
der Bäder von Pompeji den Sims stützen. Dagegen sind in zwei
knieenden Tragfiguren von weiss und violettem Marmor (Paonazetto)d
im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore) trotz ihrer
schwarzen Köpfe und Hände keine Africaner, sondern Barbaren vom
kunstüblichen Keltentypus dargestellt.
Eine ähnliche knieende Figur, mit einem (restaurirten) Gefäss auf
der Schulter, im obern Gang des Vaticans, könnte vielleicht als einere
der Knechte gelten, welche den Priamus mit Geschenken in das Zelt
Achills begleiteten.
Nur mit grossem Bedenken wage ich der schon früher vorgekom-
menen Vermuthung beizutreten, dass eine der berühmtesten Barbaren-
statuen, der Schleifer (l’arrotino) in der Tribuna der Uffizien zuf
Florenz, ein modernes Werk sei. Es ist ein betagter, niederkauern-
der Mann, der ein breites Messer auf einem am Boden liegenden
Steine schleift und dabei empor sieht und horcht; man nimmt ihn für
einen scythischen Sclaven Apolls und seine Aktion für eine Vorbe-
[492]Antike Sculptur. Barbarinnen.
reitung zum Schinden des Marsyas. Die Gründe für die Modernität
lassen sich natürlich nur an Ort und Stelle vollständig entwickeln;
ich glaube aber behaupten zu dürfen, dass eine solche Behandlung
des Haares, ein solcher Kopfbau, ein solches Auge, endlich eine solche
Draperie in der alten Kunst schwer mit Parallelen zu belegen sein
werden. Das Linien-Motiv und im Ganzen auch die Behandlung ist
von einer Vortrefflichkeit, die man allerdings am liebsten den Alten
zutraut, wenn auch ersteres zur dargestellten Thätigkeit nicht voll-
kommen passt. Jedenfalls würde, höchstens Michelangelo ausgenom-
men, sich wohl kein Neuerer dazu melden dürfen 1).
In Betreff der Barbarenfrauen wurde schon angedeutet, dass
ihre Darstellung im Ganzen dem Amazonentypus folgt. Diess gilt in
abeschränktem Sinne auch von der kolossalen Statue in der Loggia
de’ Lanzi zu Florenz in welcher man neuerlich Thusnelda, die Ge-
mahlin des Arminius, zu erkennen glaubt; sie hat das Schlank-Gewal-
tige, auch die Bildung des Kopfes mit den Amazonen gemein, nur das
lange Untergewand unterscheidet sie. Herrlich ist der Ausdruck des
tiefen, aber gefassten Schmerzes in der plastisch unübertrefflichen
Stellung und in dem ruhigen Antlitz mit den aufgelösten Haaren und
den klagenden Augen niedergelegt; auch das vorzüglich schöne Ge-
wand zeigt, dass wir eine Statue der besten Zeit, wahrscheinlich von
dem Triumphbogen eines Fürsten des augusteischen Hauses vor uns
haben.
In allen italienischen Sammlungen wird man die Kinderstatuen
in einem sehr starken Verhältniss vertreten finden; es sind ihrer im
Ganzen wohl mehrere Hunderte. In den antiken Häusern und Gärten
müssen sie eine der beliebtesten Zierden gewesen sein und man darf
sich Nischen, Brunnen, Lauben oft vorzugsweise durch sie belebt und
motivirt denken. Von den neuern Kinderstatuen unterscheiden sie
sich sämmtlich durch die Abwesenheit alles Träumerischen und Sen-
[493]Kinderstatuen.
timentalen, was die jetzige Sculptur so gerne in das kindliche Wesen
hineinträgt; sie geben durchweg das Drollige, Schalkische, Lustige,
auch wohl das Zänkische und Diebische, vor Allem aber diejenige
derbe Gesundheit und Kraft, welche ein Hauptattribut des Kindes
sein sollte. Oft und mit Vorliebe ist z. B. Herrschaft und Sieg des
Knäbchens über kleinere Thiere dargestellt. — Die Arbeit erhebt sich
nur ausnahmsweise über das Decorative, den Gedanken aber wird
man meistens frisch und trefflich nennen dürfen. Die grösste Menge
von Kinderfiguren findet sich zu Rom beisammen im Museo Chiara-
monti und im obern Gange des Vaticans; mehrere treffliche im Mu-
seo capitolino und in der Villa Borghese; eine Anzahl geringer im
Palazzo Spada u. a. a. O.; ausserdem ergiebt das Museum von Neapel
einzelnes Wichtige, die Uffizien in Florenz fast nur Geringes. (Einige
gute kleine Bronzen daselbst, II. Zimmer der Bronzen, 2. und 6.a
Schrank.) Zwei gute Köpfchen im Museo zu Parma.b
Zunächst sind es einige göttliche Wesen, welche sich die
Phantasie gerne in ihrer frühen Jugend vorstellte. Die Kunst hütete
sich wohl, etwa durch absichtliche Vergeistigung den künftigen Gott
anzudeuten; sie gab nur ein Kind, mit äussern Andeutungen in Tracht
und Attributen. So der öfter vorkommende kleine Hermes (Vatican,c
Mus. Chiar. und oberer Gang); auch wohl der kleine Bacchus, wenn
man von den vielen Kindern mit Trauben (ebenda) eins oder das an-
dere auf ihn deuten darf. Sehr häufig sind die Heraklisken, von
zweierlei Art: entweder wirkliche Momente aus der Jugend des He-
rakles, wie das Schlangenwürgen (in einem zweifelhaften Marmorwerkd
der Uffizien, Halle des Hermaphroditen, nach welchem das eherne
Exemplar im Museum von Neapel, Abtheilung der grossen Bronzen,e
jedenfalls nur moderne Copie ist); oder komische Übertragungen des
ausgewachsenen Heros mit Keule und Löwenhaut in die kindliche
Gestalt — bisweilen schwer zu unterscheiden von blossen Kindern,
die mit den genannten Attributen ihr Spiel treiben. In der Villa Borg-f
hese (Zimmer des Herakles) zwei dergleichen, einer ruhend, der an-
dere mit der Keule drohend; ein dritter sogar als Herme; mehrere in
den genannten Räumen des Vaticans; einer, zwar als Kind, aber co-g
lossal vergrössert, im grossen Saal des Museo capitolino, ein höchsth
widerlich-komisches Werk von Basalt. — Sodann werden mehrere gött-
[494]Antike Sculptur. Kinderstatuen.
liche Wesen überhaupt nur in Knabengestalt gedacht, wie der kleine
Genesungsgott Telesphorus, der aus seinem Mäntelchen mit Ka-
apuze oft so schalkhaft vergnüglich herausschaut. (Vatican, in den
bgenannten Räumen; Villa Borghese, Zimmer der Musen); — ferner
Harpocrates, aus dem am Finger lullenden Isiskind zum schön
jugendlichen Gott des Schweigens umgedeutet (in der vielleicht nur
csieben bis achtjährig gedachten, aber in grösserm Massstab ausge-
führten Statue des Museo capitolino, grosser Saal; ein für die hadria-
nische Kunstepoche bezeichnendes Werk, effektreich, aber schon mit
detwas leeren Formen). — Sehr artig ist der kleine Phrygier mit Tam-
burin und Hirtenstab, den man als Atys oder als Paris in Kindes-
alter erklären kann. (Mus. Chiaram.) — An Kunstwerth übertrifft wohl
esämmtliche vorhandene Kinderstatuen der Torso der Villa Borghese
(Zimmer des Hermaphroditen) welchen man des Gefässes wegen als
wasserholenden Hylas erklärt, ein überaus schön und lebendig ge-
arbeitetes Körperchen.
Unter dem grossen Vorrath der Übrigen geben sich manche, und
zwar meist die spätern und schlechtern, durch ihre Flügel als Genien
und Eroten zu erkennen. Für die Sculptur macht dieser Unterschied
von den blossen Genrefiguren nicht viel aus; wohl aber für die Malerei,
welche ihre Genien darf schweben lassen und von dieser Befugniss
in Pompeji den ausgedehntesten Gebrauch gemacht hat. Zum Theil
noch aus guter Zeit stammen eine Anzahl Reliefs, welche die Be-
schäftigungen Erwachsener auf geflügelte Kinder übertragen; Jagden,
Circusspiele, Weinlesen, Wettrennen dieser Art kommen häufig vor;
fim Museo Chiaramonti trifft man z. B. einen Fries, welcher eine Jagd
von Genien gegen Panther und Böcke darstellt. (Eines schönen Re-
gliefs im Chor von S. Vitale in Ravenna kann ich mich nicht mehr
genau erinnern.)
Die bessern Kinder sind fast durchgängig die nichtgeflügelten.
Es liegt ein Schatz von harmloser und drolliger Naivität in diesen
zum Theil oft wiederholten Motiven. Kinder mit Früchten sind theils
im ruhigen Bewusstsein des bevorstehenden Genusses, theils als eilige
hDiebe dargestellt (Mus. Chiar. und oberer Gang des Vaticans); als
Brunnenstatuen dienten vorzugsweise kleine Amphorenträger (oberer
Gang ebenda), Knaben mit Delphinen, auch Satyrkinder mit Schläu-
[495]Kinderstatuen.
chen, Krügen u. s. w. (Museum von Neapel, grosse Bronzen.) Anderesa
ist Travestie des Treibens der Erwachsenen, so die kleinen Ringkäm-
pfer, Fackelläufer, Trophäenträger (Mus. Chiar. und oberer Gang desb
Vaticans); vorzüglich lustig ist das Spiel der Kinder mit tragischen
Masken dargestellt, z. B. in dem kleinen Jungen, welcher den Arm
durch den Mund der Maske steckt (Villa Albani, Kaffehaus), undc
vollendet trefflich in einem Knaben des Museo capitolino (Zim-d
mer des Fauns), welcher das unbequeme Ding anprobiren will und es
einstweilen quer über den Kopf sitzen hat. Das Verhältniss zu den
Thieren ist theils das des frohen Besitzes (der Knabe mit den Vögelne
im Schürzchen, Mus. Chiaram.; die Knaben mit Enten, Hähnen, Haus-f
schlangen u. s. w., oberer Gang des Vaticans, obere Galerie des Museog
capitolino; Villa Borghese, Zimmer der Musen und des Hermaphro-h
diten; Uffizien, Halle des Hermaphroditen), theils das des Schutzes,i
wie z. B. in dem zierlichen Mädchen des Museo capitolino (Zimmerk
des sterbenden Fechters), welches ihr Vögelchen vor einem Thier
schützt (der rechte Arm und die Schlange restaurirt); theils aber das der
siegreichen Bändigung, wie z. B. in dem bewundernswerthen Kna-l
ben mit der Gans (Museo capitolino, Zimmer des Fauns); auch
wohl das der muthwilligen Quälerei, wie z. B. in dem Knaben, derm
einer Gans die Hände vor den Hals hält und ihr auf den Rücken
knieet (Museum von Neapel, Halle des Adonis, stark restaurirt). Sonst
wurden auch wohl weinende und lachende Kinder als Gegenstücke
gefertigt; in den genannten Sammlungen dergleichen von geringer Ar-
beit. Einzig in seiner Art und mit drollig absichtlicher Hervorhebung
eines bestimmten Typus: der (weissmarmorne) Mohrenknabe als Bade-n
diener, oberer Gang des Vaticans. — Es versteht sich, dass auch
Kinderporträts vorkommen, niedlich in kleiner Toga drapirt, oft mit
dem runden Amulet, der Bulla, auf der Brust. Eine artige Basaltfi-o
gur dieser Gattung in den Uffizien (Halle der Inschriften).
Das vorausgesetzte Alter der Kinderstatuen ist in der Regel das
dritte bis fünfte Jahr und überschreitet nur selten das siebente oder
achte Jahr. Von ältern bekleideten Mädchen ist die graziöse Knö-
chelspielerin ein Beispiel, von der ich in den italienischen Samm-
lungen kein Exemplar kenne. Die Darstellung des Nackten wich dem
Zeitraum zwischen dem Kindesalter und dem ausgebildeten Knabenalter
[496]Antike Sculptur. Kinder. Statuetten.
gerne aus; sie scheute die harten, magern, unreifen Formen und die
unsichere Haltung; den Wiederbeginn ihres Gestaltenkreises bezeich-
net sie glorreich durch den praxitelischen Eros.
Vielleicht gehört aber doch eine der berühmtesten Statuen in diese
aZwischenzeit: der Dornauszieher. (Bronzenes Hauptexemplar im
Pal. de’ Conservatori auf dem Capitol, Eckzimmer; Wiederholungen
bin den Uffizien zu Florenz, Verbindungsgang, u. a. a. O.) Hier stehen
allerdings die knabenhaften Arme und Beine in einem Widerspruch
mit dem ausgebildeten Rücken, so dass man versucht ist eine indi-
viduelle Bildung anzunehmen, welche diese Contraste wirklich ver-
einigte. Wie dem auch sei, die Einfachheit des Motives, das span-
nende Interesse, welche es doch zugleich erregt, und die Schönheit
der Hauptlinien, von welcher Seite man das Werk betrachte, geben
dem Ganzen einen Werth, der über die Einzelausführung weit hin-
ausgeht.
In demselben Lebensalter ist etwa auch der bronzene Opfer-
knabe dargestellt, welcher sich im capitolinischen Museum (Zimmer
der Vase) befindet; ein edler Typus, leicht und anständig in der Stel-
lung, die Arbeit eher flüchtig als genau.
Die Begeisterung für die Sculptur war im Alterthum so allge-
mein verbreitet, dass wer es irgend vermochte, wenigstens kleine Sta-
tuetten von Erz, Thon oder Marmor erwarb. Manches dieser Art
diente wohl als Hausgottheit, und in mehr als einem Gebäude zu
Pompeji sieht man noch die kleinen Nischen von Mosaik oder Stucco,
welche zur Aufnahme solcher Figuren dienten; das Meiste aber war
dgewiss nur als Gegenstand des künstlerischen Genusses im Hause auf-
gestellt. Wie harmlos mögen sich in dem kleinen Hof der Casa della
Ballerina zu Pompeji die marmornen Thierchen und Statuetten aus-
genommen haben, als der Brunnen noch floss und die Laube darüber
noch grünte!
Weit die erste Stelle nehmen eine Anzahl Bronzefigürchen
griechischer Kunst ein, die nur leider gar zu selten ihren Weg in die
öffentlichen Sammlungen finden, vielmehr insgeheim nach dem Aus-
elande gehen. Die einzige grosse Sammlung, im Museum von Neapel
[497]Statuetten.
(kleine Bronzen, besonders das dritte Zimmer) enthält doch nur We-a
niges von erstem Werthe, wie die Pallas, den behelmten Jüngling,
mehrere tanzende Satyrn, das verhüllte Weibchen etc., zwischen zahl-
reichen römischen Arbeiten. Auch bei den Terracotten desselbenb
Museums (fünftes Zimmer der Terracotten) scheint das Beste zu fehlen.
(Die Krugträgerin und die verhüllte Tänzerin — beide von erstem
Range — wird man in Italien nur in Abgüssen vorfinden.) — Die flo-
rentinische Sammlung (Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen) enthältc
manches Vorzügliche, zugleich in etwas günstigerer Aufstellung. —
Es würde uns sehr weit führen, wenn wir näher auf den Styl dieser
kleinen Meisterwerke und seine Bedingungen eingehen wollten; viel-
leicht wendet sich ihnen die Vorliebe des Beschauers sehr rasch zu
und in diesem Falle wird er erkennen, wie die Kunst auch in diesem
bisweilen winzigen Massstabe kein einziges ihrer hohen, bleibenden
Gesetze aufgab. Die kleinsten Figürchen sind plastisch untadelhaft
gedacht; das Nette und Zierliche der Erscheinung diente nicht zum
Deckmantel für lahme Formen und Linien. Man fühlt es durch, dass
nicht ein Decorator den Künstler spielt, sondern dass eine Kunst die
des Grössten fähig ist, sich zu ihrem eigenen Ergötzen im Kleinen
ergeht. (Es ist natürlich von den bessern und ältern die Rede, denn
die römischen sind zum Theil allerdings lahme Fabrikarbeit.)
In den römischen Sammlungen findet sich eine bedeutende An-
zahl marmorner Statuetten, welche trotz der meist nur mittel-
guten Arbeit doch ein eigenthümliches Interesse haben. Sie sind näm-
lich wohl fast durchgängig (und selbst wo man es nicht direct beweisen
kann) kleine Wiederholungen grosser Statuen und dienen somit zum
unfehlbaren Beleg für die Werthschätzung, in welcher die grossen Ori-
ginale standen. Ausserdem beachte man die Einfachheit der Arbeit,
welche mit dem Geleckten und Auspolirten moderner Alabastercopien
in offenem Gegensatze steht. Offenbar verlangte man im Alterthum von
dem Copisten nur, dass er das Motiv des Ganzen mit mässigen Mit-
teln wiedergebe; das Übrige ergänzte die Phantasie und das Gedächt-d
niss. (Hauptstellen: das Museo Chiaramonti und der obere Gange
des Vaticans, sowie die hintern Räume der Villa Borghese. Manchesf
auch im Dogenpalast zu Venedig, Camera a letto.)
B. Cicerone. 32
[498]Antike Sculptur. Gruppen.
Für die höchste und schwierigste Aufgabe der Sculptur, für die
Bildung freistehender Gruppen, hat das Alterthum uns wenigstens
eine Anzahl von mehr oder weniger erhaltenen Beispielen hinterlassen,
in welchen die ewigen Gesetze dieser Gattung abgeschlossen vor uns
liegen, obwohl es nur arme, einzelne Reste von einem Gruppenreich-
thum sind, von welchem sich die jetzige Welt keinen Begriff macht.
Unter jenen Gesetzen sind einige, die auf den ersten Blick einleuch-
ten: der schöne Contrast der vereinigten Gestalten in Stellung, Kör-
peraxe, Handlung u. s. w.; die wohlthuenden Schneidungen und
Deckungen; die Deutlichkeit der Action für die Ansicht von mehrern
oder allen Seiten etc. etc. Schwer aber (und nur dem Bildhauer selbst
möglich) ist das Nachfühlen und Nachweisen des Gesetzmässigen in
allem Einzelnen. Wir begnügen uns daher, nur flüchtig auf den Kunst-
gehalt der in Italien vorhandenen antiken Gruppen hinzudeuten, und
beginnen mit dem Einfachsten (obwohl die Kunst vielleicht umgekehrt
mit dem quantitativ Reichsten, den Giebelgruppen der Tempel, mag
begonnen haben.)
Zum Einfachschönsten gehören einige Werke, welche zwei Ge-
stalten in ganz ruhiger geistiger Gemeinschaft darstellen. Das Aus-
gezeichnetste in dieser Art, die sog. Gruppe von San Ildefonso,
(die Genien des Schlafes und des Todes, nach der üblichsten Erklä-
rung, traulich aneinander gelehnt) befindet sich jetzt in Madrid; ein
aAbguss u. a. in der Académie de France zu Rom.
Ein ähnlicher schöner Sinn lebt in einer nur mittelmässig gear-
beiteten Gruppe des Museums von Neapel (zweiter Gang), welche
Orest und Elektra darstellt; sie stützt den linken Arm in die Hüfte
und legt ihm den rechten über die Schulter; er lässt den rechten Arm
hängen und gesticulirt mit dem linken. Contrast und Verbindung des
nackten und des bekleideten Körpers sind hier von schönster Erfin-
dung, der Ausdruck des trauten Verkehres vortrefflich mit wenigen
Mitteln wiedergegeben.
Wie hier Bruder und Schwester, so sind in einem berühmten
cWerke der Villa Ludovisi zu Rom (Hauptsaal) Mutter und Sohn, in
einem erregtern Moment, vielleicht des Abschiedes oder des Wieder-
[499]Gruppen des schlichten Verkehrs; der Liebe.
sehens, dargestellt. Die gewöhnliche Bezeichnung, ebenfalls auf Orest
und Elektra lautend, ist der ungleichen Grösse wegen jedenfalls un-
statthaft, während den Namen Penelope und Telemach nichts
ernstlich widersprechen würde 1). Die Mutter ist die ungleich bessere
Figur, nicht bloss durch den reinern Ausdruck gemüthlicher Hin-
gebung, sondern auch in Beziehung auf die Arbeit; ihr Gewand er-
scheint in der Erfindung wie ein Prachtstück der spätern griechischen
Kunst. Der Name des Bildhauers, am Unterkleid, lautet; Menelaos,
Schüler des Stephanos.
Ein höheres und ein untergeordnetes göttliches Wesen, das eine
träumerisch versunken, das andere stützend und mit schalkhaftem
Ausdruck zur Bewegung auffordernd, sind in den Gruppen des Bac-
chus und Ampelos zusammengesellt (S. 471, 472). Nur weicht gerade
das beste Exemplar beträchtlich von der Anordnung der übrigen ab
und lässt doch zugleich bei seinem trümmerhaften Zustande kein ge-
naueres Urtheil zu.
Lehrer und Zögling, allerdings von eigener Art, finden sich ver-
bunden in den schon (S. 481) genannten Gruppen des Pan und des
jungen Satyrs Olympos, welcher Unterricht im Spiel der Syrinx
erhält. — Die ebenfalls erwähnte kleine vaticanische Gruppe des Pan,
welcher einem Satyr einen Dorn aus dem Fusse zieht, lässt wie diese
ein gutes, nicht mehr vorhandenes Urbild bedauern.
Von Liebespaaren sind fast nur Amor und Psyche (S. 469)
mit der Absicht auf vollen Ausdruck tieferer Innigkeit gearbeitet worden,
oder Anderes der Art ist uns verloren gegangen. Gegenstände dieser
Art lagen der antiken Kunst bei weitem nicht so nahe als der jetzi-
gen; auch sind „Amor und Psyche“ eine ihrer späteren Schöpfungen.
Mit grosser Meisterschaft bildete sie dagegen Vereinigungen von
mehr sinnlicher Art, dergleichen in italienischen Sammlungen nicht
leicht ans Tageslicht gestellt werden. Den Triton, welcher eine Ne-
reide entführt, haben wir bereits an seiner Stelle erwähnt (S. 484, b).
In der Gruppe „Mars und Venus“ wozu meist noch ein
32*
[500]Antike Sculptur. Gruppen. Die Grazien.
kleiner Amorin kömmt (grosses Exemplar im grossen Saal des Museo
acapitolino, S. 429, d, kleine im Museo Chiaramonti des Vaticans und im
bTyrtäuszimmer der Villa Borghese) ist das Verhältniss der Liebenden
ein ungleiches; die Göttin sucht den Schmollenden oder zum Gang in
die Schlacht Gerüsteten bei sich festzuhalten. Die Gruppe scheint nicht
selten zu Porträtbildungen degradirt worden zu sein und ist überhaupt
nur in geringer Ausführung vorhanden. — Herakles und Omphale,
offenbar ein später Einfall, sind in der schon erwähnten (S. 424, e)
Gruppe des Museums von Neapel (zweiter Gang) diesem an sich gu-
ten Motiv nachgebildet.
Hermes mit der Nymphe Herse, im grossen Saal des Pal.
Farnese zu Rom, bis ins Unkenntliche restaurirt. — Diess gilt noch
von einer Anzahl durchschnittlich sehr gering gearbeiteter Liebespaare
in verschiedenen Sammlungen. Bisweilen haben die Restauratoren
sogar Figuren zu Gruppen vereinigt, welche gar nicht zusammen-
gehörten.
In der Libreria des Domes von Siena steht die stark verstüm-
melte, vielleicht ziemlich späte Gruppe der drei sich leicht umarmt
haltenden Grazien, offenbar nach einem herrlichen Original; in den
Contrasten und in der Schneidung der Linien ist noch das Nachbild
von grossem Reize 1). Rafael wurde durch dieses Werk zu einem
bekannten Bilde angeregt, welches sich jetzt in England befindet; mit
grossem Rechte wandte er als Maler die mittlere Figur, die in der
Gruppe vom Rücken gesehen wird, um, und zeigte alle drei von
vorn; mit grossem Unrecht folgte ihm Canova als Bildhauer hierin
nach und brachte eine gegensatzlose Gruppe hervor, welche einzig
auf die Vorderansicht berechnet ist. (Galerie Leuchtenberg.)
Von Gruppen des Kampfes ist in den italienischen Samm-
elungen eine der bedeutendsten vorhanden: die beiden Ringkämpfer
in der Tribuna der Uffizien zu Florenz. Stark überarbeitet und von
verschiedenen Händen restaurirt, wie wir das Werk jetzt vor uns
sehen, lässt es nur noch ahnen, dass der Moment mit höchster künst-
lerischer Berechnung aus der grossen Zahl möglicher Momente ge-
wählt war, von einem Bildhauer der alle Geheimnisse der Ringschule
[501]Gruppen des Kampfes. Ajax und Patroclus.
kennen musste. Noch ist der Unterliegende nicht hoffnungslos; der
Beschauer wartet gespannt auf den Ausgang. Die beiden verschlun-
genen Körper sind für die Ansicht von allen Seiten deutlich ent-
wickelt.
Von der Gruppe „Herakles und der Centaur Nessus,“a
im ersten Gange ebenda, ist die ganze erstere Figur neu und auch
von der letztern ein Theil. — Von einer viel wichtigern florentinischen
Gruppe, Herakles und Antäus (im Hofe des Palazzo Pitti) istb
fast die Hälfte von Michelangelo (?) restaurirt und die alten Theile
zeigen eine stark verwitterte Oberfläche; in seinem Urzustand war
das Werk vorzüglich, wenn die (immerhin nur römische) Ausführung
einigermassen der Composition entsprach; Herakles hat seinen Gegner
von der Erde aufgehoben und erdrückt ihn in der Luft, während An-
täus vergebens die Hände des Helden von seinem Leib wegzureissen
strebt; ein Gestus, welcher vielleicht in der Ringschule nicht selten
vorkam und in verschiedenen Gestalten dargestellt wurde (z. B. in
zwei Amorinen, Uffizien, Verbindungsgang), hier aber in ausgezeich-c
net schöner und energischer Weise durchgeführt war. Die einseitige
Bewunderung dieser Gruppe hat im XVI. Jahrhundert auf Bandinelli,
Giov. di Bologna und ihre Mitstrebenden einen grossen Einfluss ge-
habt. (Eine kleine Bronze, Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen,d
dritter Schrank, stellt dieselbe Gruppe mit einer zuschauenden Pallas
vermehrt dar.) Vgl. S. 425, a.
Scenen nach dem Kampfe, vielleicht als Episoden grösserer
Giebelgruppen zu betrachten, sind die beiden berühmten Werke: der
Barbar und sein Weib, in der Villa Ludovisi zu Rom (wovon S. 489, b
die Rede war) und die Gruppe des Ajax mit dem Leichnam
des Patroclus. Letztere muss ein hochbewundertes Werk aus der
Zeit des Phidias zum Original gehabt haben, welches vielfach nach-
gebildet wurde. Vier Exemplare davon sind stückweise erhalten:
1) der sog. Pasquino, an einer Ecke von Pal. Braschi zu Rom, beie
aller Verstümmelung von so einfach grandioser Arbeit, dass neuere
Kenner ihn in die Zeit des Phidias selbst versetzen, nachdem schon
Bernini ihn für die bestgearbeitete Antike in Rom erklärt hatte.
2) Der gewaltig leidenschaftliche Kopf des Ajax und die Schulter
sowie die (vorzüglich gearbeiteten) nachschleppenden Beine des Pa-f
[502]Antike Sculptur. Gruppen. Laocoon.
atroclus, im Vatican (Büstenzimmer). 3) Die vollständigste Gruppe in
einem Hof des Pal. Pitti in Florenz (links von dem grossen Hofe),
vielleicht noch griechische Arbeit; am Kopf des Ajax nur der Helm
zum Theil neu, am Patroclus der Oberleib beinahe mit den ganzen
Armen, ausserdem die sämmtlichen untern Theile nebst Basis und
bTronco. 4) Das Exemplar in der Loggia de’ Lanzi zu Florenz, ge-
ringer und eben so stark restaurirt 1). — Die Aufgabe war eine der
erhabensten: der vorzugsweis stürmisch gedachte unter den Heer-
führern vor Ilion, mitten im Kampf, und doch der Gegenwehr ent-
sagend, um einen Sterbenden zu retten; ein Motiv gewaltiger leiblicher
Anstrengung und grosser geistiger Spannung zugleich; — als pyra-
midale Gruppe eng beisammen und doch auf das Klarste auseinander-
gehalten und durch die schönsten Contraste belebt.
Doch es sollten noch höhere Aufgaben gestellt und gelöst werden.
Die Gruppe des Laocoon im Belvedere des Vaticans ist
durch die grössten Geister unserer Nation beschrieben und mit einer
Tiefe gedeutet worden wie vielleicht kein anderes Kunstwerk der
Welt. Der Gegenstand ist allbekannt, ebenso die Namen der Künst-
ler, Agesander, Polydorus und Athenodorus von Rhodus; dagegen
schwankt die Zeitbestimmung noch immer zwischen dem III. Jahr-
hundert v. Chr. und der Zeit des Titus, in dessen Thermen (1506)
das Werk gefunden wurde. Restaurirt ist der rechte Arm des Lao-
coon, die rechte Hand und das rechte Bein des ältern Sohnes, der
rechte Arm des jüngern Sohnes, das Meiste an der einen (obern)
Schlange, nebst mehrern Enden der sonst erhaltenen Extremitäten.
Manche Stellen zeugen von der Wirksamkeit moderner Schabeisen.
Wir haben das Werk nicht zu erklären, sondern nur davon zu
reden, wie der Einzelne es sich am ehesten geistig zu eigen machen
könne. Das Erste, worüber man genau ins Klare kommen muss, ist
der Moment, dessen Wahl und Bezeichnung an sich schon ihres Gleichen
nicht mehr hat. Man wird finden, dass derselbe aus einem unver-
gleichlichen Zusammenwirken einer Anzahl Momente verschiedenen
Grades besteht. In und mit diesen entwickeln sich die Charaktere
zu einem Ausdruck, welcher in dem Kopfe des Vaters seinen höchsten
[503]Laocoon. Toro Farnese.
Gipfelpunkt erreicht. Bei weiterer Betrachtung wird man inne wer-
den, wie die dramatischen Gegensätze zugleich die schönsten plasti-
schen Gegensätze sind, und wie die Ungleichheit der beiden Söhne
an Alter, Grösse und Vertheidigungskraft ausgeglichen wird durch
jene furchtbare Diagonale, welche in der Gestalt Laocoons sich aus-
drückt; die Gruppe erscheint schon als Gruppe absolut vollkommen,
obschon sie nur für die Vorderansicht bestimmt ist. Das Einzelne
der Durchführung ist dann noch der Gegenstand langen Forschens
und stets neuer Bewunderung. Sobald man sich Rechenschaft zu
geben anfängt über das Warum? aller einzelnen Motive, über den
Mischungsgrad des leiblichen und des geistigen Leidens, so eröffnen
sich, ich möchte sagen, Abgründe künstlerischer Weisheit. Das Höchste
aber ist das Ankämpfen gegen den Schmerz, welches Winckelmann
zuerst erkannt und zur Anerkennung gebracht hat. Die Mässigung im
Jammer hat keinen bloss ästhetischen, sondern einen sittlichen Grund.
Die figurenreichste Freigruppe der alten Kunst ist endlich die
des farnesischen Stieres in der danach benannten Halle desa
Museums von Neapel; ein Werk des Apollonius und Tauriscus von
Tralles, welche vielleicht der rhodischen Schule des III. oder II. Jahr-
hunderts v. Chr. angehörten. So wie sie jetzt vor uns steht, ist sie
dergestalt mit antiken und modernen Restaurationen versehen, dass
man nicht einmal für die wesentlichsten Umrisse eine sichere Bürg-
schaft hat. Der Moment wäre nach dem jetzigen Zustande der, dass
das vom Haar der Dirce ausgehende Seil dem wilden Stier schon um
das rechte Horn geschlungen ist und ihm erst um das linke ge-
schlungen werden soll, wesshalb die beiden Jünglinge (Zethus und
Amphion) das Thier an der Stirn und an der Schnauze festhalten;
die von hinten zuschauende Antiope soll (wenn man aus dem Schwei-
gen des Plinius urtheilen darf) eine spätere, römische Zuthat sein, in
welchem Fall die ganze Basis umgearbeitet sein müsste.
Von dem ursprünglichen Detail sind die erhaltenen Stücke der
beiden Brüder von sehr tüchtiger lebensvoller Arbeit; die untere Hälfte
der Dirce mit der herabgesunkenen, grossartig geworfenen Gewandung
würde den besten griechischen Resten ähnlicher Art kaum nachstehen.
Auch beim jetzigen Zustande wird man die Sonderung der Figuren,
[504]Antike Sculptur. Gruppen.
die Contraste in den Momenten der Anstrengung und des Leidens,
die Aufthürmung des Ganzen auf Felsstufen verschiedener Höhe min-
destens geschickt und glücklich nennen müssen.
Allein das Ganze richtet sich durchaus nur an den äussern Sinn.
Dass die beiden Brüder sich aus Mutterliebe an der bösen Dirce
rächen, erfahren wir aus der Mythologie, allein nicht aus dem Kunst-
werk, welches an sich nichts als eine Brutalität vorstellt. Diese wird
uns allerdings vorgeführt mit einer Energie und einem Reichthum von
Mitteln, welche die Kunst sich erst an ganz andern Gegenständen
hatte erwerben müssen, ehe sie dieselben an einer solchen Bravour-
arbeit missbrauchen konnte.
Den Beschluss würde die weltberühmte Gruppe der Niobe
machen, wenn nicht gerade die Zusammenstellung der vorhandenen
Figuren zur Gruppe so überaus streitig wäre.
Es gab im alten Rom in oder an dem Tempel des Apollo So-
sianus eine aus Griechenland gebrachte Gruppe, welche den Untergang
der Niobiden (bekanntlich durch die Geschosse des Apoll und der
Artemis) darstellte und welche die Einen dem Skopas, die Andern
dem Praxiteles zuschrieben. Im Jahr 1583 fand man in der Villa
Palombara zwischen S. Maria maggiore und dem Lateran wirklich
eine Anzahl Statuen dieses Inhalts auf; es sind diejenigen, welche
aspäter nach Florenz kamen und jetzt nebst anderweitig gefundenen
im Niobe-Saal der Uffizien aufgestellt sind. Allein die Arbeit steht
nicht nur durchgängig beträchtlich unter derjenigen Höhe, welche
man dem Styl eines Skopas oder Praxiteles zuschreiben darf, sondern
auch die einzelnen Statuen sind unter sich höchst verschieden in Güte
und Styl, selbst in der Marmorgattung, und treten somit auf die Stufe
einer alten Copie von verschiedenen Händen zurück. Es muss be-
bmerkt werden, dass die beiden Ringer in der Tribuna und das Pferd
cin der innern Vorhalle derselben Galerie mit diesen Statuen gefunden
wurden. Inzwischen entdeckte man an verschiedenen Orten Köpfe
und Figuren, welche theils Wiederholungen der florentinischen, theils
mit Wahrscheinlichkeit demselben Cyclus einzuordnen sind:
Vatican: Museo Chiaramonti: die eilende Tochter, ohne Kopf und
Arme; ein schöner Kopf (509), Ariadne benannt, gehört vielleicht
[505]Niobe.
auch hicher; — Galeria delle Statue: eine niedersinkende Tochter,a
nebst dem Knie eines Bruders, auf das sie sich stützt (auch als Ce-
phalus und Procris bezeichnet); — oberer Gang: ein fliehender Sohn.b
Museo capitolino: obere Galerie: ein fallender und ein knieenderc
Sohn, auch zwei Töchter, wovon die eine als Psyche 1) umgebildet
ist; ein colossaler Kopf der Mutter, nebst einem oder zwei andern
Köpfen dieses Typus; — grosser Saal: die Statue eines alten Weibes,d
welche man für die Amme der Töchter ausgiebt.
Museum von Neapel: Halle des Tiberius: vielleicht ist eine ste-e
hende, ganz bekleidete Statue eine Niobide.
Ausserhalb Italiens ist der sog. Ilioneus in der Münchner Glypto-
thek nach allgemeiner Ansicht ein Niobide und zwar gemäss der Vor-
trefflichkeit der Arbeit (die alle florentinischen etc. Figuren weit über-
trifft) vielleicht ein echter Bestandtheil der Originalgruppe.
Andere Statuen, welche theils Niobiden gewesen sind, theils durch
die Restauratoren dazu gemacht wurden, könnten wir nicht ohne
Weitschweifigkeit und Unsicherheit besprechen.
Wie man sich nun diesen Vorrath als Ganzes zu denken habe,
darüber gehen die Ansichten dergestalt auseinander, dass nicht einmal
durchgängig die Giebelgruppe eines Tempels darin anerkannt wird,
während Manche aus nicht zu verachtenden Gründen den Vorrath in
zwei Giebelgruppen vertheilen. In diesem Fall bestände der Mittel-
punkt in der einen aus der Mutter, in der andern aus dem Pädagogen;
jene würde die Töchter, diese die Söhne enthalten haben.
Das echte alte griechische Meisterwerk wird man sich nie mehr
genau vergegenwärtigen können. Schon die alten römischen Wieder-
holer sind zu willkürlich damit umgegangen und haben daneben auch
einzelne Motive z. B. als Musen, als Psychen benützt. Eine Wieder-
holung des Ganzen war so kostspielig, dass mehr als ein Besteller
sich vielleicht mit einer Art von Excerpt begnügte; wer ein paar
Statuen hatte, liess sich vielleicht die fehlenden hinzuarbeiten so gut
er sie um billigen Preis haben konnte. Gewiss sind auch einzelne
Figuren und Köpfe um der Schönheit des Motives willen besonders
ausgeführt worden.
[506]Antike Sculptur. Gruppen.
Solange man genöthigt ist, die florentinischen Exemplare zu Grunde
zu legen, wird man das Ganze nie in einer Giebelgruppe vereinigen
können. Das Dasein und der grosse Massstab des Pädagogen macht
diess unmöglich. Ich glaube, dass er für dieses oder ein ähnliches
Exemplar von einem römischen Wiederholer, der zwei Gruppen aus
dem Ganzen machte, geschaffen worden ist; man brauchte eine grosse
Figur als Mittelpunkt für die Söhne, und in dieser zweiten Redaction
wurde dann das Werk weiter wiederholt. Das abscheuliche alte Weib
in der capitolinischen Sammlung, das man als Amme mit den Niobiden
in Verbindung bringt, kommt allerdings an den Sarcophagen, z. B.
ademjenigen im Dogenpalast zu Venedig, wieder vor, und mag in der
That an irgend einem andern, wieder anders angeordneten Exemplar
der Gruppe als Gegenstück des Pädagogen gedient haben. In dem
florentinischen Exemplar fände sie schon des kleinen Massstabes we-
gen kaum eine Stelle. Ob die beiden fraglichen Gruppen als Giebel-
gruppen eines Tempels dienten, bleibt höchst ungewiss; sie konnten
auf irgend eine Weise im Freien arrangirt sein, und für diesen Fall
erinnere man sich wieder an das dabei gefundene Pferd 1) und an die
beiden Ringer. Letztere (s. oben) sind wohl sicher keine Niobiden
gewesen, allein man wusste im Alterthum, dass auch zwei Söhne der
Niobe im Akt des Ringens abgebildet worden waren, und der Er-
werber oder Besitzer des (jetzt florentinischen) Vorrathes stellte zu
seinen Niobesöhnen auch die beste Ringergruppe die er besass oder
bekommen konnte. Wer den Pädagogen hinzuthat, der war auch
weitern Ergänzungen gewiss nicht abgeneigt.
Daran aber wird man kaum zweifeln dürfen, dass das alte Ori-
ginal die Giebelgruppe eines Tempels bildete, und zwar eine einzige.
Man beachte die ausschliessliche Berechnung der meisten Statuen auf
den Anblick von vorn.
Unter den florentinischen Figuren mögen den Urbildern am näch-
sten stehen: die grösste Tochter; die Mutter mit der jüngsten Tochter;
der jüngste Sohn; der bergan flüchtende Sohn (mit dem Fusse vor
dem Felsstück); der rettende Sohn mit dem Gewand über dem Haupt
[507]Antike Sculptur. Gruppen.
(in dem Exemplar welchem das vaticanische Fragment angehört, eine
an seinem Knie niedergesunkene Schwester schützend); — von den
Töchtern ist mit Ausnahme der genannten keine in der Arbeit mit der
verstümmelten laufenden Statue des Museo Chiaramonti (S. 305, d) zu
vergleichen und zwei oder drei sind ganz gering, was auch von der
Ausführung in mehrern Söhnen gilt. Der Pädagog ist eine nicht zu
verachtende römische Arbeit, nur unangenehm restaurirt. Der sog.
Narciss ist mit Recht in neuerer Zeit der Sammlung als verwundeter
Niobide beigesellt worden. Vom todten Sohn ist in München ein noch
besseres Exemplar.
Wenn nun vielleicht an keiner der florentinischen Statuen ein
griechischer Meissel gearbeitet hat, so sind sie doch von grossem und
bleibendem Werthe. Das überaus grandiose Motiv der Mutter ver-
einigt die höchste Gewalt des Momentanen mit der grössten Schön-
heit der Darstellung; sie flieht, schützt und fleht; das Heraufziehen
des Gewandes mit der Linken, so erfolglos es gegen Göttergeschosse
sein mag, ist gerade als unwillkürliche Bewegung so sprechend.
(Diese Theile ergänzt, aber richtig.) Die ganze Gewandung, noch in
der Nachbildung vorzüglich, muss im Urbild von einer Herrlichkeit
gewesen sein, die vielleicht keine Antike unter den vorhandenen wie-
dergiebt; hier ist Alles Bewegung und doch kein Flattern; der herr-
lichste Körper drückt sich darin aus. Den Kopf geniesst man besser
in Einzelabgüssen. (Vielleicht wird bisweilen mehr hineinphantasirt
als in diesem Exemplare wirklich ist.) — Nach der Mutter wird man
wohl dem Sohne mit dem Gewand über dem Haupt den Preis geben.
Einer genauen Beachtung ist der Typus werth, welcher in diesen
Gestalten durchgeführt ist. Mutter und Töchter, soweit ihre Köpfe
echt sind, haben diejenige grossartige, reife Schönheit, welche sich
der siegreichen, auch wohl der knidischen Aphrodite nähert; selbst
die jugendlichsten zeigen einen matronalen Anflug, wovon man sich
durch Vergleichung mit der mediceischen Venus leicht überzeugen
kann; es ist das frühere Schönheitsideal der griechischen Kunst über-
haupt, welches sich zu erkennen giebt. — Die Söhne sind gemässigt
athletisch gebildet und ihr Gesichtstypus steht zu demjenigen des
Hermes in einem ähnlichen Verhältniss wie der mehrerer jugendlicher
Athleten, abgesehen von dem zum Theil meisterhaft mit wenigen
[508]Antike Sculptur. Bildnisse.
Zügen gegebenen Ausdruck des Momentes. Zwei davon sind in dop-
pelten Exemplaren aufgestellt.
Die vorgeschlagene Zusammenstellung der Niobiden mit dem Apoll
vom Belvedere und der Diana von Versailles kann nur befangenen
Gemüthern zusagen. Beide sind ihrem Typus nach viel spätern Ur-
sprunges als das Original der Niobiden. Und der Grieche verstand
das Schicksal der letztern auch ohne eine solche erklärende Zuthat,
welche nur zerstreuen konnte.
Eine an so vielen Idealbildungen grossgewachsene Kunst wie die
griechische war, konnte auch Bildnisse schaffen wie keine andere.
Sie gab dieselben im höchsten Sinne historisch, indem sie die zu-
fälligen Züge den wesentlichen unterordnete oder wegliess, indem sie
den Charakter des ganzen Menschen ergründete und von diesem aus
den ganzen Menschen wieder belebte, nicht wie er wirklich war, son-
dern wie er nach dem geistigen Kern seines Wesens hätte sein müs-
sen. Allerdings gehörten hiezu auch griechische Aufgaben: ausge-
zeichnete Männer und Helden, welchen von Staatswegen oder von
bewundernden Privatleuten Statuen gesetzt wurden. Aus solchen
Einzelgestalten konnten wahre Typen für jede erhöhte Menschendar-
stellung werden, und in der That hat die Kunst sich noch lange an
diese Motive höchsten Ranges gehalten und sie bisweilen auf viel
spätere Menschen übergetragen.
Wir betrachten zunächst die ganzen Statuen, deren in Italien
eine bedeutende Anzahl erhalten ist. Der Streit über die Namen-
gebung berührt uns nicht, sobald wir im einzelnen Falle sicher sind,
das Standbild eines berühmten Griechen vor uns zu haben. Einigen
der betreffenden Werke liegen überdiess erweislich gar keine bei Leb-
zeiten gemachten Bildnisse zu Grunde, sodass die Kunst den ganzen
Charakter aus eigenen Mitteln schaffen musste; bei noch mehrern
lässt sich diess wenigstens vermuthen.
[509]Statuen berühmter Griechen.
Für die werthvollste Statue dieser Art galt lange Zeit der sog.
Aristides, jetzt Aeschines des Museums von Neapel1) (Halle dera
Flora), bis in Terracina der sog. Sophokles gefunden wurde (im
Museum des Laterans, wo ein Abguss des Aeschines, wie in Nea-b
pel einer des Sophokles, zur Vergleichung in der Nähe steht). Von
diesen beiden ruhig stehenden, ganz ähnlich in Ein Gewand drapirten
Gestalten wird der Sophokles schon wegen der edlern Züge einen
Vorzug behalten; ausserdem hat das Gewand des Aristides einige
gesuchte Zierlichkeiten, namentlich in der Gegend beider Hände, einige
überflüssige Augen und Falten, zumal über dem Bauch, während das-
jenige des Sophokles einfach nur das Nöthige, dieses aber schön und
leicht giebt; endlich laufen beim Aristides die Falten von der linken
Hüfte auf das vortretende rechte Knie zu und nehmen der Figur
auf diese Weise das Gleichgewicht; beim Sophokles, wo sie denselben
Gang nehmen, wird diess harmonisch aufgehoben durch das Vortreten
des linken Knies. Die Büchse mit den Schriftrollen steht bei jenem
neben dem linken, bei Sophokles neben dem rechten Fusse.
Beide sind unzweifelhaft von griechischem Meissel geschaffen.
Diess gilt auch noch von einigen unter den Folgenden, doch nicht von
allen, indem auch die Römer aus geschichtlicher und literarischer Pie-
tät solche Statuen nach griechischen Originalen arbeiten liessen, haupt-
sächlich zum Schmuck ihrer Bibliotheken.
Zunächst mögen einige mehr oder weniger zweifelhafte genannt
werden; so der Alcibiades (S. 436, d) und der Phocion2) im Vaticanc
(Sala della Biga), letzterer eine einfach schöne bärtige Heldenfigur in
Helm und derber Chlamys, nach ihrer Wiederholung als Statuette (im
obern Gang des Vaticans) zu urtheilen ein beliebtes und bekanntes
Motiv; — der nackte, stehende, enthusiastische Tyrtäus (in dem hierd
danach benannten Eckzimmer der Villa Borghese), von flüchtiger aber
guter Arbeit, mit zweifelhaften Restaurationen3); — der halbnacktee
Lykurg im Vatican (Sala delle Muse) u. s. w. — Mehrere sehr be-
rühmte, aber auch wohl nicht ganz sichere Philosophen im sog. Kaffe-f
[510]Antike Sculptur. Statuen berühmter Griechen.
haus der Villa Albani. — Um so sicherer ist mit einer verstümmelten
aStatue, in einem obern Zimmer des Palastes dieser Villa, Aesop ge-
meint; ein concentrirter Idealtypus des geistvollen Buckligen, nackt
und in seiner Art meisterhaft gebildet.
Sehr ausgezeichnet durch den innern Ausdruck mühsam errunge-
bner rednerischer Grösse: der Demosthenes im Braccio nuovo des
Vaticans1); — von dem ebendort befindlichen Euripides gehört der
Kopf wirklich diesem Dichter und der Rumpf jedenfalls einem be-
rühmten Griechen, beides aber hing nicht ursprünglich zusammen. —
Ebendort noch ein namenloser Philosoph.
Zeno der Stoiker, im Museo capitolino (Zimmer des sterbenden
Fechters); kurzer Hals, strammer Schritt, starke Brust, angezogener
Mantel, heftige Züge — ein wahres Specimen griechischer Charakte-
ristik, die den ganzen Mann in lauter Charakter zu verwandeln wusste
(die Benennung sehr unsicher). — Bei diesem und den zunächst vor-
her Genannten kann man sich, beiläufig gesagt, überzeugen, dass
schon die Griechen, und sie gerade am Bewusstesten, an gewissen
Bildnissstatuen eine Idealtracht darstellten. Man würde sehr irren,
wenn man glaubte, Euripides und Demosthenes seien wirklich halb-
nackt in den Gassen von Athen herumgegangen. Allein diese Ideal-
tracht ist eine vereinfachte wirkliche, es ist der Mantel ohne das
Unterkleid. Und nicht jede Tracht lässt sich so vereinfachen! mit der
unsrigen wollen wir nicht einmal zum Versuche rathen.
Unter den sitzenden, meist ganz bekleideten Statuen nehmen
ddie beiden Komödiendichter im Vatican (Galeria delle Statue): Me-
nander und Posidippus eine bedeutende Stelle ein; zumal der
Erstere, der in Stellung und Miene so fein philiströs, so ernst und
gemüthlich erscheint; je nach den Umständen wird er als Buffone
oder als hohe geistige Macht auftreten.
Im Palast Spada zu Rom (erster unterer Saal): Aristoteles,
horchend, nachdenkend, mit scharfen, grämlichen, ehemals schönen
Zügen (die Augen ungleich); Stellung und Gewand ganz anspruchlos.
Die Benennung gilt für sicher.
[511]Statuen und Köpfe berühmter Griechen.
Im Vorsaal der Villa Ludovisi zu Rom: eine unbekannte, vor-a
trefflich drapirte Statue (mit römischem Kopf?), bezeichnet als das
Werk des Zenon, Sohnes des Attinos, von Aphrodisias.
Unter mehrern Statuetten dieser Art (Einiges im obern Gang desb
Vaticans, u. a. a. O.) müssen zwei im Museum von Neapel (Halle der
Musen), die eine mit der Inschrift: Moschion, besonders hervor-c
gehoben werden; köstliche, lebensvolle Figuren, Geberden und Ge-
wandungen; nicht in feierlichem Reden, sondern etwa in ruhigem
Dociren gedacht, bequem rückwärts gelehnt, in beiden Händen Schrift-
rollen. Endlich der zweifelhafte Anakreon im Musenzimmer der Villad
Borghese, und „Aristides der Smyrnäer“ im Museo cristiano des Va-e
ticans, beide in ihrer Art bedeutend.
In den Uffizien zu Florenz könnte der „Jupiter“ (im zweitenf
Gange) vor der Restauration ein griechischer Philosoph gewesen sein,
allerdings nur in römischer Ausführung. (Stehend, mit nackter Brust,
die in den Mantel gehüllte Linke auf die Hüfte stützend.)
Viel zahlreicher als die ganzen Statuen sind natürlich die er-
haltenen Köpfe berühmter Griechen, dergleichen noch in römischer
Zeit ganze Reihen müssen nachgearbeitet worden sein. Die echte
griechische Form für Bildnisse, welchen man keine ganze Statue
widmen wollte, war die Herme, d. h. ein beinah oder völlig manns-
hoher Pfeiler (und zwar ein senkrecht geschnittener), dessen oberes
Ende der Kopf sammt einem sehr genau bemessenen Theil der Brust
und des Schulteransatzes bildete. Allein unter den „berühmten Grie-
chen“ stehen in den Galerien blosse Köpfe mit Hals, Köpfe mit rö-
mischer oder moderner Gewandbüste, eigentliche Hermen, Fragmente
von Statuen u. s. w. beisammen, ein Gemisch das wir um so
weniger auseinander scheiden können, da nur das Bedeutendste hier
mit Namen erwähnt werden darf.
An der Spitze der griechischen Porträtbildungen steht billig der
Typus Homers. Von einem wirklich überlieferten Bildniss kann
natürlich keine Rede sein; die Kunst hat diesen Kopf allein geschaf-
fen. (Schönstes Exemplar im Museum von Neapel, Halle des Ti-g
berius; ein gutes nebst geringern im Philosophenzimmer des Museoh
[512]Antike Sculptur. Köpfe berühmter Griechen.
acapitolino; ein guter Bronzekopf in übelm Zustande: Uffizien in Flo-
renz, Bronzen, zweites Zimmer.) Ich gestehe, dass mir gar nichts
eine höhere Idee von der griechischen Sculptur giebt, als dass sie
diese Züge errathen und dargestellt hat. Ein blinder Dichter und
Sänger, mehr war nicht gegeben. Und die Kunst legte in Stirn und
Wangen des Greises dieses göttliche geistige Ringen, diese Anstren-
gung voll Ahnung und dabei den vollen Ausdruck des Friedens,
welchen die Blinden geniessen! An der Büste von Neapel ist jeder
Meisselschlag Geist und wunderbares Leben.
Auf Homer muss zunächst folgen die berühmte eherne Büste
bdes Museums von Neapel (grosse Bronzen), welche man für das
Bildniss Plato’s hält. Beim ersten Blick wird der Beschauer eher
an einen bärtigen Bacchus denken, allein Manches deutet darauf hin,
dass eine historische Person dargestellt sei, und zwar am ehesten
ein Weiser oder Gesetzgeber. Nicht ideal, sondern individuell ist
z. B. schon die Linie des Profils, die Furchung der Stirn, die Partien
der Wangen zunächst der Nase; menschlich jedenfalls die Bildung
der Schlüsselbeine. Das Vorhandene als Fragment einer Statue ge-
dacht, wird man auf eine sitzende Stellung, einen aufgestützten linken,
einen herabhängenden rechten Arm schliessen dürfen. In den per-
sönlichen Formen aber lebt ein übermenschlicher Ausdruck der Ruhe
und Geisteshoheit, wie der eines milden Herrschers. Der ungeheure
Nacken, welcher göttlichen Bildungen entnommen scheint, fügt das
Gefühl unwiderstehlicher Kraft hinzu. Das sehr schön alterthümlich
gebildete Haupt- und Barthaar dagegen zeigt die Tracht einer be-
stimmten Zeit in möglichster Veredelung, sowie die Sculpturen von
Ninive eine Haartracht in feierlicher Erstarrung erkennen lassen.
Die grosse Masse der Übrigen steht hauptsächlich an folgenden
cOrten beisammen: Im Vatican: Sala delle Muse, Büstenzimmer und
dGaleria geografica; — Museo capitolino: das schon genannte Philo-
esophenzimmer; — Villa Albani: untere Halle des Palastes, und Ne-
fbengalerie rechts; — Museum von Neapel: Grosse Bronzen, erster
gGang der Marmore, Halle der berühmten Männer, und Halle des Ti-
hberius; — Uffizien in Florenz: Halle der Inschriften; — u. a. a. O.
Das Interesse, welches der Beschauer diesen Köpfen widmen
wird, hängt natürlich meist von der historischen Theilnahme für die
[513]Köpfe berühmter Griechen.
Menschen ab. Nun sind leider auch hier bei weitem die meisten Be-
nennungen (selbst manche der in griechischen Buchstaben eingegra-
benen) streitig oder höchstens nur wahrscheinlich; man errieth z. B.
bestimmte Philosophen aus dem physiognomischen Einklang ihrer
Lehre mit bestimmten Köpfen, eine Methode, welche doch immer sehr
fragliche Resultate abwerfen wird. Aus Gemmen und aus Münzen
der Heimathstädte berühmter Griechen mit deren flüchtigem Profilkopf
wurden die Namen für eine Anzahl von Büsten ermittelt. Der capi-
tolinische Äschylus soll seinen Namen bloss dem kahlen Haupt ver-a
danken, welches allerdings für den grossen Tragiker schon seiner
Todesart wegen ein wahres Abzeichen sein musste. Wir wollen einige
der sicher benannten und zugleich berühmtern bezeichnen.
Einige der sieben Weisen Griechenlands, ideale Cha-b
rakterhermen, im Musensaal des Vaticans, flüchtige Nachahmungen
(wie man annimmt) nach Lysippos. Ebendaselbst: Perikles und Aspa-
sia. Anderswo auch Miltiades und Themistokles. Sokrates in reicher
Abstufung, vom feinsten Ausdruck bis zur rohen Brunnenmaske, in
allen Sammlungen. Von den Tragikern ist in Büsten nur Euripides
(in vielen Exemplaren) ganz sicher, von den übrigen Dichtern vielleicht
nicht einmal der capitolinische Pindar; der sehr schöne Bronzekopfc
sammt Schultern, welcher im Museum von Neapel (grosse Bronzen)d
Sappho heisst, kann auf diesen Namen so viel oder wenig Anspruch
machen, als die übrigen Büsten, die man so benennt. Von den Ty-
pen der Philosophenköpfe werden etwa zwölf unbedingt aner-
kannt, von den namhaftern Rednern Isokrates, Lysias und Demo-
sthenes, sammt der zweifelhaften Statue des Äschines. (Hübsche und
sichere Köpfchen von Epikur, Zeno, Demosthenes u. A. bei den klei-e
nen Bronzen des Museums von Neapel; dagegen die Büsten des He-
raklit und Demokrit bei den grossen Bronzen bezweifelt werden; derf
schöne sog. Archytas ebenda ist vollends willkürlich so benannt.) Zu-
verlässig und bedeutend: die marmorne Doppelherme der beiden Ge-g
schichtschreiber Herodot und Thucydides in demselben Museum
(Halle des Tiberius).
In den Uffizien zu Florenz enthält die Halle der Inschriften u. a.h
einen schönen Hippokrates, einen geringern Demosthenes, eine namen-
lose griechische Herme, einen bezeichneten Solon, einen Aristophanes,
B. Cicerone. 33
[514]Antike Sculptur. Diadochenköpfe.
a(flüchtig und sehr verdorben, trotz der griechischen Inschrift eine
späte Arbeit), einen Alcibiades, welcher der vaticanischen Statue (Sala
della biga) gleicht, einen jener Köpfe, welche Sappho zu heissen
pflegen, u. A. m.
Von den bessern Büsten dieser Art, d. h. von denjenigen, welche
nicht späte Duzendnachbildungen sind, gilt durchgängig, was schon bei
Anlass der ganzen Statuen gesagt wurde: sie stellen den Menschen so
umgegossen dar, wie er nach seinem tiefsten Wesen hätte sein müs-
sen, und verdienen desshalb den Namen — nicht von „idealisirten“,
sondern von Idealbildnissen im besten Sinne. Es wird nicht etwas
conventionell für schön Geltendes von aussen in den Kopf hineinge-
bracht, sondern das persönliche Ideal, was innen in Jedem verborgen
lag, wird entwickelt.
Vielleicht hatte die griechische Kunst schon einen bedeutend
schwerern Stand, als sie seit Alexander die Fürsten der neuen grie-
chischen Reiche, seine Nachfolger (Diadochen) verherrlichen musste.
Hier galt es nun allerdings lebende Zeitgenossen, und zwar zum Theil
Menschen von abscheulichem oder verächtlichem Charakter; und diese
wollten überdies in einer ganz besondern Weise idealisirt sein, indem
sie sich oft als bestimmte Götter abbilden liessen. Die griechische
Sculptur that nun das mehr als Mögliche. Ohne von den bezeichnen-
den Zügen des Betreffenden wesentlich abzugehen, gab sie dieselben
mit einer eigenthümlichen Grösse und Offenheit wieder, wie sie etwa
in einzelnen guten Stunden konnten ausgesehen haben. Das Ver-
schmitzte, Kleinlich-Bösartige, das wir z. B. bei den spätern Ptole-
mäern vermuthen, wird hier gar nicht dargestellt, weil der Ausdruck
eines göttlich waltenden Herrschers das wesentliche Ziel war. Viel-
leicht die nächste Analogie in der ganzen Kunstgeschichte gewähren
eine Anzahl von Bildnissen Tizians, in welchen die Menschen des
XVI. Jahrhunderts auch so gross und so frei von allem Momentanen
und kleinlich Charakteristischen vor uns erscheinen, wie sie vielleicht
selten oder nie sich wirklich ausnahmen.
Die höchst prunkhaften und zum Theil colossalen Statuen, welche
in Antiochien, Alexandrien, Pergamus u. a. damaligen Residenzen er-
richtet wurden, sind freilich alle verloren und unser obiges Urtheil
ist auf eine Anzahl von Köpfen im Museum von Neapel beschränkt,
[515]Bildnisse Alexanders des Grossen.
welche vielleicht nur spätere Copien gleichzeitiger Bildnisse sind. (Der
marmorne Ptolemäus Soter im ersten Gang; die übrigen fünf Ptole-a
mäer nebst der zweifelhaften Berenice (Seite 455, c) bei den grossenb
Bronzen.) Es erscheint ewig lehrreich, wie hier die Unregelmässig-
keiten der Gesichtszüge ganz unverholen zugestanden und doch mit
einem hohen Ausdruck durchdrungen werden konnten. (Ob der wun-
derlich gelockte Frauenkopf wirklich den weibischen Ptolemäus Apion
darstellt, wollen wir nicht entscheiden; von der berühmten Kleopatra
ist unseres Wissens nur das sehr zweifelhafte Köpfchen im Philoso-c
phenzimmer des Museo capitolino vorhanden.)
Ein Räthsel ist und bleibt aber das Bild des Gründers aller Dia-
dochenherrlichkeit, Alexanders des Grossen selbst. Man weiss,
wie sehr er dafür besorgt war, dass seine Züge nur in hoher Auf-
fassung und meisterlicher Ausführung auf die Nachwelt kommen möch-
ten und wie Lysippos gleichsam ein Privilegium hiefür besass. Und
in der That zeigen die beiden berühmten Colossalköpfe des Museod
capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters) und der Uffizien in
Florenz (Halle des Hermaphroditen) einen vergöttlichten Alexander,
und zwar, wie man bei dem erstern annimmt, als Sonnengott. (We-
nigstens war er in einem der Lysippischen Werke, wovon dieses eine
Nachahmung sein möchte, so gebildet.) Es ist ein mächtig schönes
Haupt mit aufwärts wallenden Stirnlocken, aber woher dieser Zug
der Wehmuth? wir denken uns Alexander vielleicht wohl gerne so,
mit einem Vorgefühl des nahen Todes mitten in den Herrlichkeiten
des eroberten Asiens, allein für die griechische Kunst wäre solch eine
sentimentale Andeutung etwas auffallend. Noch viel deutlicher findet
sich dieser Ausdruck in dem florentinischen Kopfe (Uffizien, Hallee
des Hermaphroditen). Hier ist der Schmerz ungemein stark in den
aufwärtsgezogenen Augbraunen, in der Stirn, im Munde ausgedrückt;
der Sohn Philipps wird zu einem jugendlichen Laocoon. Die einfach
grandiose Arbeit übertrifft bei weitem die des capitolinischen Kopfes.
(Man benennt dieses ausserordentliche Werk wohl mit Unrecht als
„sterbenden Alexander“; der „leidende“ möchte richtiger sein; eine
genügende Erklärung giebt es nicht.)
Von der Reiterstatue, welche in Alexandrien dem Gründer zu
Ehren errichtet war, wissen wir nichts mehr; dagegen ist von einem
33*
[516]Antike Sculptur. Kaiserstatuen im Harnisch.
im Kampfgewühl zu Pferde streitenden Alexander — wahrscheinlich
einer sehr ausgezeichneten Gruppe — wenigstens eine kleine Erinne-
arung vorhanden in der sehr lebendig gedachten Bronzestatuette
des Museums von Neapel (grosse Bronzen; ein lediges Pferd, wel-
ches in der Nähe des Reiters aufgestellt ist, könnte der Arbeit nach
wohl dazu gehören und ebenfalls aus jener Gruppe wiederholt sein).
Ausser diesen Idealbildungen hat sich aber auch noch ein lebens-
treues Porträt erhalten, u. a. in einer (bezeichneten) Büste des Lou-
vre. Der Gypsabguss z. B. in der Académie de France bietet eine
anregende Vergleichung zunächst mit dem capitolinischen Kopfe dar.
Die Bronze in Neapel gleicht ihm in den Zügen mehr als jenen beiden
Idealköpfen.
Unter allen römischen Bildnissen kommen natürlich die der
Kaiser und ihrer Angehörigen vorzüglich häufig vor. Die Gelegen-
heiten, Statuen und Büsten der Herrscher aufzustellen, waren der ver-
schiedensten Art; die Foren und Basiliken der Städte mussten von
Rechtswegen damit versehen sein, die Gebäude jedes Kaisers enthiel-
ten gewiss die Bildnisse seiner ganzen Familie, und auch mancher
Privatmann mochte es gerathen finden, seinem Herrn ein Denkmal zu
setzen. Im III. Jahrhundert wurden bereits die Bilder der frühern
guten Kaiser, zumal das des Marc-Aurel, aus historischer und reli-
giöser Verehrung vervielfacht.
Unter den ganzen Statuen sind die geharnischten die häufig-
sten. Der Brustpanzer und die unten daran befestigten Schuppen sind,
oft überreich, mit getriebener Arbeit, Victorien, Löwenköpfen u. dgl.
geschmückt; von dem Kriegermantel (Paludamentum) erscheint ein
Bausch auf der linken Schulter; das Übrige zieht sich hinten abwärts
und kommt über dem linken, auch wohl über dem rechten Arm wie-
der zum Vorschein; die Rechte wird meist gesticulirend, auch etwa
mit einer Waffe restaurirt. Sehr oft, ja in der Regel, ist nur der
Rumpf alt oder ursprünglich; dem Kopfwechsel war gerade diese
bGattung am meisten unterworfen. (Der prächtig geharnischte L. Ve-
rus, im Vatican, Galeria delle Statue; eine Anzahl von den besten in
cder untern Halle des Palastes der Villa Albani; andere im Museum
[517]Togati. Reiterstatuen.
von Neapel, dritter Gang. Aus sehr gesunkener Zeit: Constantin d. Gr.a
in der Vorhalle der Kirche des Laterans, und, sammt seinem gleich-b
namigen Sohn, auf der Balustrade der grossen Capitolstreppe.)c
Mit der Toga liessen sich die Kaiser theils in gewöhnlicher Stel-
lung, theils als Opferer abbilden, wobei das Gewand über den Kopf
gezogen wurde. (Gute Beispiele: der erstern Art: der Claudius undd
vorzüglich der Titus im Braccio nuovo des Vaticans; auch noch der
Nerva ebenda; der Augustus in der innern Vorhalle der Uffizien zue
Florenz, mit aufgesetztem Kopf; weniger gut der Hadrian ebenda; —
der letztern Art: der sog. Genius des Augustus, in der Sala rotondaf
des Vaticans; der Caligula im Hauptsaal der Villa Borghese. Eing
junger Römer, welcher die Toga auf gewöhnliche Weise und auf der
Brust eine Bulla oder Amulet trägt, ist im Museum von Neapel, drit-h
ter Gang, vielleicht mit Unrecht unter die Kaiser und ihre Angehöri-
gen gerathen, da sein Kopf aufgesetzt ist.)
Zu den eigentlich historischen Darstellungen gehört auch noch die
einzige vollständig vorhandene Reiterstatue1) dieser Art: die des
Marc-Aurel auf dem Platze zwischen den capitolinischen Palästen,i
vortrefflich gedacht und von sehr würdiger Gewandung und Geberde,
nur durch das unförmliche Pferd (vielleicht Abbildung des kaiserli-
chen Streitpferdes) in Nachtheil gesetzt. (Der Kopf zu vergleichen mit
dem ebenfalls guten colossalen Bronzekopf im Hauptsaal der Villak
Ludovisi.) — Von der bei Statius besungenen Reiterstatue Domitians
giebt etwa der riesenhafte Marmorkopf im Hof des Conservatoren-l
palastes eine Idee, der uns jetzt nur noch als Beispiel für die Be-
rechnung des Colossalen auf die Ferne interessiren kann. (Ein anderer
nicht minder riesenhafter Imperatorenkopf im Giardino della Pigna desm
Vaticans.)
Neben diesen Porträtbildungen im engern Sinn versuchte die
Kunst, so lange sie noch lebendig war, auch ein erhöhtes Dasein, ein
übermenschliches Walten in den Kaisern auszudrücken. Vielleicht
schloss sie sich dabei an diejenigen Motive an, welche von den Künst-
[518]Antike Sculptur. Ideale Kaiserstatuen.
lern der Diadochenhöfe ausgebildet worden waren; vielleicht schuf sie
das Ihrige aus eigenen Kräften.
Es entstanden thronende Gestalten mit nacktem, ideal gebilde-
tem Oberleib, dessen leise Einwärtsbeugung eine majestätische und
völlig leichte Haltung des Hauptes vorbereiten hilft. Der eine Arm
wird durch ein hohes Scepter gestützt, das freilich selten richtig re-
staurirt ist. Das Gewand zeigt sich nur als Bausch über der linken
Schulter, zieht sich dann hinten herum und bedeckt, rechts wieder
hervorkommend, als mächtige Draperie die Kniee. Ein Fragment im
aMuseum von Neapel (Hof vor der Halle des farnesischen Stieres) zeigt,
wie die Füsse dieser meist sehr zertrümmerten Bilder1) für eine Auf-
stellung auf hoher Basis berechnet wurden; sie ruhen auf einem schma-
len, schräg vorgeschobenen Schemel.
Die schönsten Exemplare dieser Art sind noch in ihrem frag-
mentirten Zustande, die Fürsten des augusteischen Hauses, bekannt
bunter dem Namen der „Kaiserstatuen von Cervetri“, im Mu-
seum des Laterans. Namentlich zeigt die Gestalt des Claudius, dass
die römische Kunst auf diesem Gebiet grösserer Dinge fähig war, als
man ihr gewöhnlich zutraut. — Theilweise ebenfalls noch von hohem
cWerthe: die erste und besonders die zweite sitzende Statue des Ti-
dberius im Museo Chiaramonti; der Nerva (?) in der Sala rotonda
des Vaticans; letzterer sehr zusammengeflickt, aber von ganz beson-
ders mächtigem Gewandmotiv; — die beiden mit modernen (ganz will-
ekürlich gebildeten) Köpfen im Museum von Neapel (dritter Gang) etc.
Manche einzelne Kaiserköpfe in den römischen u. a. Sammlungen
zeigen nicht sowohl durch ihre Grösse als durch das eigenthümlich
Hohe der Behandlung, dass sie solchen halbidealen Bildwerken an-
gehörten.
Endlich wurden die Kaiser als Heroen oder Götter fast oder ganz
nackt und stehend abgebildet; die Hände sind so selten alt, dass
wir keine völlige Gewissheit darüber haben, ob die vorherrschende
Haltung wirklich die der jetzigen Restaurationen war: nämlich die
[519]Kaiser als Heroen. Kaiserinnen.
Rechte zum Sprechen erhoben oder einen Globus haltend, die Linke
das Schwert und einen Bausch des Gewandes fassend. Die werth-
vollste Statue dieser Art ist der berühmte colossale Pompejus (ima
Palast Spada zu Rom), wahrscheinlich dasselbe Bild, zu dessen
Füssen der ermordete Cäsar niedersank. Wir rechnen ihn der heroi-
schen Auffassung nach hieher, obschon er kein Kaiser war1). Was
folgt, ist grossentheils untergeordnet oder durch den Kopfwechsel weit
empfindlicher entstellt als die Geharnischten. Zum Besten gehören
ein paar Statuen des L. Verus (im Braccio nuovo des Vaticans, imb
dritten Gang des Museums von Neapel u. a. a. O.), abgesehen von
den unangenehmen Zügen. Von den grossen Bronzen dieser Art im
Museum von Neapel erhebt sich keine über das Mittelmässige, auchc
der Germanicus nicht; von den marmornen (im dritten Gange) sindd
ausser Verus noch mehrere von mittelguter Arbeit; der colossale Ale-
xander Severus aber (in der untern Vorhalle) schon äusserst leblos.e
Sehr ansprechend die Statue eines jungen Prinzen von ähnlichem Typus,f
im Museo Chiaramonti des Vaticans. — Geringere nackte Kaiserkin-
der: die Bronzestatue im hintern Saal der Villa Borghese; der Prinzg
im Verbindungsgang der Uffizien zu Florenz. — Im Allgemeinen wer-h
den die halbnackten Thronenden schon desshalb den Vorzug vor den
nackten Stehenden haben, weil das Auge bei jenen einen Porträtkopf
erwartet und erträgt, da sie wirklich nur erhöht aufgefasste Bildnisse
sein wollen, bei diesen dagegen sich auf einen heroischen Idealkopf
gefasst macht, statt dessen aber wohlbekannte Züge findet.
Die Kaiserinnen sind durch keinerlei besondern Schmuck von
den Statuen anderer römischer Damen unterschieden2). Das Preis-
würdigste wurde bei Anlass der weiblichen Gewandstatuen beiläufig
erwähnt; die Kaiserinnen als Göttinnen, z. B. häufig als Venus, zeigen
[520]Antike Sculptur. Kaiserköpfe.
denselben bedenklichen Contrast zwischen Wirklichem und Idealem,
wie die nackten Kaiserstatuen.
Wahrhaft unzählbar sind die Köpfe und Büsten römischer
Kaiser und ihrer Angehörigen. Wir können uns hier um so weniger
auf Näheres einlassen, als der Beschauer gewöhnlich schon durch ein
mitgebrachtes historisches Interesse auf das Bedeutende von selbst hin-
geführt wird. Einige Bemerkungen mögen indess am Platze sein.
Eine eigene grosse Sammlung von Kaiserbüsten ist in der Stanza
adegli imperatori des capitolinischen Museums aufgestellt. Aus
den bessern Jahrhunderten finden sich dort meist geringere Exemplare,
dafür ist die Kaiserreihe des III. Jahrhunderts dort repräsentirt wie sonst
nirgends, allerdings durch Beihülfe sehr gewagter Taufen. Die besten
bColossalköpfe in der Sala rotonda des Vaticans. Auch die grosse flo-
crentinische Kaisersammlung (Uffizien, erster und zweiter Gang)
enthält viele geringe und unsichere Köpfe (selbst moderne, wie Otho
und Nerva). Man wird beständig die bessern Büsten der übrigen Ga-
lerien mit zu Rathe ziehen müssen.
Vergebens sucht man zunächst in den öffentlichen Sammlungen
von Rom und Neapel ein vollkommen würdiges Bildniss des grossen
Cäsar; keines wiegt die Basaltbüste und den Kopf der Togafigur des
dBerliner Museums auf. Die Statue in der untern Halle des Conserva-
torenpalastes auf dem Capitol, auf welche man gewöhnlich verwiesen
wird, ist eine wahrhaft geringe Arbeit. Ein Kopf, der mich trotz
seiner sehr flüchtigen Ausführung immer von neuem anzog, steht im
eMuseo Chiaramonti des Vaticans; es ist Cäsar als Pontifex maximus,
die Toga über das Haupt gezogen, mit den ernsten, leidenden Zügen
seiner letzten Jahre. Zu den bessern Köpfen gehört auch die floren-
ftinische Marmorbüste (Uffizien, erster Gang, stark abgerieben und re-
staurirt); der in der Nähe befindliche Bronzekopf stellt eine andere
Person vor.
Der schönste Kopf des Augustus ist wohl unstreitig der bron-
zene in der vaticanischen Bibliothek. Büsten und Statuen von allen
hAltersstufen (von August als frühreifem Jüngling im Museo Chiara-
monti an) und allen Auffassungsweisen finden sich überall.
[521]Kaiserköpfe.
Das augusteische Haus, lauter normale und charaktervolle
Köpfe, blutsverwandt erscheinend trotz der vorherrschenden Verbindung
durch Adoptionen, ist überall stark bedacht. Die Köpfe des Tiberius sind
fast alle gut; von Caligula der feinste in der obern Galerie des capi-a
tolinischen Museums; auch der basaltene im Kaiserzimmer trefflich;b
Claudius bei weitem am besten in der genannten Statue des Laterans;
Nero fast durchgängig zweifelhaft: als Knabe in einem schönen Köpf-
chen von bösartigem Ausdruck (Museum von Neapel, dritter Gang);c
als Sieger des Gesanges in zwei halbcolossalen Köpfen (Vatican, Zim-d
mer der Büsten, und — wenn ich richtig errathe — im Museum vone
Neapel, Halle des Tiber, mit dem Namen Alexanders des Grossen).
Von Vitellius in Italien vielleicht kein Kopf von dem Werthe desje-
nigen in Berlin; ein guter im Dogenpalast zu Venedig (Sala de’f
Busti)1). Vespasian und Titus, wegen üblicher Verwechselung in
den Galerien hier nicht zu trennen: meisterlicher Colossalkopf im Mu-g
seum von Neapel (dritter Gang); gute Büste im Hauptsaal der Villah
Borghese. Trajan, dessen sonderbare Kopfbildung nirgends verhehlt
wird: am ansprechendsten in der vaticanischen Büste (Belvedere, Raumi
des Meleager). Hadrian: am häufigsten vorhanden und sehr oft gut.
Plotina und die ältere Faustina, Colossalköpfe in der Sala rotonda,k
interessant für die Behandlung des Lieblichen in diesem Massstab2).
Antoninus Pius: trefflich in der Colossalbüste der Villa Borghesel
(Hauptsaal), geringer in derjenigen des Museums von Neapel (dritterm
Gang) und in der sehr penibeln des Museo capitolino (grosser Saal).n
Eine auffallende Menge von Colossalköpfen u. A. der bisher Genann-
ten und Anderer im Garten der Villa Albani. Von Marc-Aurel undo
Lucius Verus eine bedeutende Anzahl Köpfe überall, wovon wir
das Beste nicht anzugeben im Stande sind. Von Commodus ein
wahrscheinlich echter, trefflicher, obwohl flüchtig behandelter Kopf imp
Museum von Neapel (dritter Gang). Pertinax, gute Colossalbüsteq
in der Sala rotonda des Vaticans. Septimius Severus, häufig als
[522]Antike Sculptur. Kaiserköpfe.
Statue, vielleicht nirgends von besonderm Werthe. Seine Gemahlin
Julia Domna, die letzte Römerin, von welcher uns die Kunst ein
awahrhaft schönes und geistvolles Bild hinterlassen hat: Büste in der
bobern Galerie des Museo capitolino; auch eine gute Colossalbüste in
der Sala rotonda des Vaticans. Caracalla, auffallend häufig und
gut, wahrscheinlich einem vorzüglichen Original zu Liebe wiederholt,
cvielleicht am feinsten durchgeführt in einem Kopf der Büstenzimmer
des Vaticans. Ein furchtbares Haupt, ein „Feind Gottes und der Men-
schen“, bei dessen Verworfenheit und falscher Genialität der Gedanke
erwachen muss: es ist Satan.
Bei diesem Kopfe steht die römische Kunst wie vor Entsetzen
still; sie hat von da an kaum mehr ein Bildniss von höherm Lebens-
gefühl geschaffen. Die Auffassung wird zusehends ärmlich und ein-
förmig, die Formen ledern und flau oder peinlich. Die Theilnahme
schwindet ausserdem durch die Unsicherheit der Bennungen, für welche
man auf die schwankenden Gesichtszüge ungeschickter Münzen ange-
dwiesen ist. Von der capitolinischen Büste Diocletians und von
eder neapolitanischen des Probus (Museum, 3. Gang) möchte man
wenigstens wünschen, dass sie echt wären. Die Köpfe des IV. Jahr-
hunderts sind zum Theil schon ganz puppenhaft, die drei capitolini-
fschen des Julianus Apostata nur durch ein mittelalterliches Zeug-
niss bewährt.
Neben diesem Vorrath von Herrscherbildnissen existirt noch ein
viel grösserer von „Incogniti“, Männern und Frauen, welchen man
durch Beilegung interessanter Namen, zumal aus der letzten Zeit
der Republik einen willkürlichen Werth beizulegen pflegt. Ohne hier-
auf weiter einzugehen, machen wir nur aufmerksam auf das Denkmal,
welches die Römer der Kaiserzeit hiemit ihren eigenen Personen und
ihrem Nationaltypus gesetzt haben. Die Büste, und vollends die Sta-
tue, hat für einen auf das Dauernde gerichteten Sinn den stärksten
Vorzug vor dem gemalten (oder daguerreotypirten!) Bilde, in welchem
die jetzige vielbeschäftigte Menschheit vor der Nachwelt aufzutreten
gedenkt. Freilich gehört Schädelbau und schwammloses Fleisch und
ein lebendiger Ausdruck dazu, der nur durch beständigen Verkehr mit
[523]Römische Porträtkunst.
Menschen, nicht mit Büchern und Geschäften allein sich dem Antlitz
allmälig aufprägt.
Wie in allen guten Zeiten der Kunst, so wusste auch bei den
Römern der Bildhauer nichts von künstlichem Versüssen und Inte-
ressantmachen derer, welche sich abbilden liessen. Es giebt eine grosse
Menge von Grabdenkmälern meist untergeordneten Werthes, welche
Mann, Weib und Kind in erhabenen Halbfiguren innerhalb einer Nische
darstellen. (Eine Auswahl im Vatican: Gal. lapidaria; ein sehr schö-a
nes im Zimmer der Büsten; eine ganze Anzahl im Hof des Palazzob
Mattei; in der Villa Borghese, Zimmer des Tyrtäus, drei ganze Figu-c
ren in Relief, eine Mutter mit zwei Söhnen darstellend; ebendort zeigt
die liegende Statue einer Jungfrau, dass auch die späte Kunst wah-
rer Schönheit ihr Recht anzuthun suchte; — eine Anzahl geringerer
Grabmonumente im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stie-d
res.) In diesen bescheidenen Denkmalern hat die Naivetät, womit
auch die hässlichen und unbedeutenden Züge, ja die weitabstehenden
Ohren wiedergegeben sind, etwas wahrhaft Rührendes und Gemüth-
liches. — Aber auch in den Büsten und Standbildern der besten
römischen Arbeit ist so wenig Geschmeicheltes, dass man der römi-
schen Kunst schon eine allzu herbe und nüchterne Darstellung des
Wirklichen vorgeworfen hat. Der Vergleich mit jenen halbidealen
griechischen Köpfen und Statuen von Fürsten, Dichtern und Philo-
sophen ist indess ein unbilliger, weil der römische Künstler nicht längst-
verstorbene grosse Männer, sondern den Ersten Besten porträtiren
musste; an seinen vergötterten Kaisern hat er bisweilen das irgend
Mögliche von höherer monumentaler Auffassung geleistet, und wenn
wir die Statuen eines Virgil, eines Horaz aus der Kaiserzeit besässen,
so würden wir darin vielleicht etwas ebenso Hohes ausgedrückt fin-
den als in den Aristides, Euripides, Demosthenes u. s. w., welche als
Muster von Idealbildnissen mit Recht gefeiert werden 1). Ihre theil-
weise Nacktheit und sehr frei gewählte Gewandung hätte sich der
römische Künstler zu analogen Zwecken auch aneignen können.
[524]Antike Sculptur. Togafiguren.
Überdiess besass er bei ganzen Statuen, wenigstens angesehener
Personen, auch einen Vortheil. Die würdigste Tracht, die je eines
ernsten Mannes Leib bedeckte ist immer die weite herrliche römi-
sche Toga mit ihrem doppelten Überschlag über die linke Schulter.
Der linke Arm kann frei darunter hervorsehen oder sich darin ver-
hüllen; der rechte bleibt nebst der rechten Schulter entweder ganz
frei zur edelsten Geberde, oder die Toga zieht sich noch oben längs
der Schulter hin, oder sie wird beim Opfer über das Haupt gezogen
und lässt dieses dann mit unbeschreiblicher Würde aus dem tiefen
Schatten heraustreten. Das linke Bein ist in der Regel das tragende,
das rechte das gebogene.
Als diese Gewandung in den Bereich der Kunst gezogen war,
liess man sie nicht mehr los. Tausende von Statuen wurden nach
diesem Motiv bis in die spätesten Zeiten geschaffen. An denjenigen
aus den bessern Jahrhunderten wird der Beschauer mit stets wachsen-
der Bewunderung die freie Art und Weise innewerden, mit welcher
die einzelnen Künstler das Gegebene behandelten. Er wird vielleicht
dabei mancher unserer jetzigen Porträtstatuen und ihrer Cavallerie-
mäntel gedenken, welche letztern nebst dem blossen Kopf die Ver-
muthung erregen, dass der Betreffende sich während einer Standrede
im Winter habe abbilden lassen.
Von dem sehr bedeutenden Vorrath dieser selbst im schlechtesten
Fall betrachtenswerthen Gestalten brauchen wir bloss eine zu er-
awähnen: den sitzenden sog. Marcellus im Philosophenzimmer des
capitolinischen Museums; jedenfalls das Bild eines ausgezeich-
neten Staatsmanns und Redners. Hier wirkt nicht bloss das schöne
und wunderbar behandelte Kleidungsstück, sondern der Charakter der
Stellung, welche sich in jeder Falte ausspricht. So sass nur Dieser
und kein Anderer! möchte man sagen.
Andere Togafiguren werden noch bei Gelegenheit erwähnt wer-
den. (Diejenigen von Kaisern s. S. 516.) Für den ersten Anlauf
bempfehlen wir den Togatus (aus dem Grabe der Servilier) am Anfang
cdes Museo Chiaramonti und den schönen greisen Opferer in der
Sala della Biga des Vaticans. (Vgl. S. 412, a.)
[525]Römische Porträtköpfe.
Welches nun immer die Ausstattung und Gewandung sei, es
bleibt eine Thatsache, dass die bessern römischen Bildnisse ganz rück-
sichtslos den Charakter und die Züge der Betreffenden, aber mit einem
hohen Lebensgefühl aussprechen.
Allerdings ist der Genuss dieser Werke nicht für Jedermann leicht
zugänglich. In den grossen italienischen Sammlungen stehen die Büsten
meist entweder so dicht und bunt durcheinander oder so unscheinbar
zwischen Statuen zerstreut, dass nur selten ein Beschauer ihnen die
gebührende Aufmerksamkeit zu schenken wagt. Köpfe von Göttern
und Göttinnen, von griechischen Philosophen und Dichtern, von rö-
mischen Kaisern und Privatleuten, zusammen wohl viele Tausende an
Zahl — welches Auge vermöchte diese ganze Heerschaar zu mustern
und durch Vergleichung das Beste und das Gute von dem Geringern
zu scheiden? welches Gedächtniss könnte sich diess Alles einprägen?
— Vom Streit über die Namengebung, welcher diess Gebiet (wie be-
merkt) unaufhörlich bedroht, muss vollends der Nicht-Archäologe auch
hier ganz absehen, wenn er nicht Zeit und Lust verlieren will.
Es bleibt ihm nichts übrig, als bei guter Stimmung und Musse
diese Köpfe einzeln, wie sie ihm gefallen, nach ihrem geistigen Aus-
druck und nach der Kunst des Bildhauers zu durchforschen. Isolirt
gesehen, gewinnen wenigstens die bessern davon ausserordentlich. Im
Thronsaal des Palazzo Corsini zu Rom steht auf einem Pfeiler dera
Kopf eines Römers, den mitten im Vatican nur Wenige beachten
würden, der aber hier mit seiner edeln Individualität, seinem Aus-
druck des Kummers alle Blicke auf sich zieht. An solch einem Bei-
spiel kann man inne werden, wie viel Treffliches anderswo dem Auge
entgeht, z. B. in dem langen Museo Chiaramonti, in den Büstenzim-b
mern und in der Galeria geografica des Vaticans, im Zimmer der Vasec
des Museo capitolino, wo die „Incogniti“ beisammen stehen, in dend
meisten Räumen der büstenreichen Villa Albani, in den verschiedenene
Abtheilungen des Museums von Neapel, in der Inschriftenhalle undf
Hermaphroditenhalle der Uffizien zu Florenz, im Hof des Pal. Riccardig
ebenda, u. a. a. O.
Es ist nun unsere Sache, den Leser auf eine Auswahl des Merk-
würdigsten unter den meist anonymen oder pseudonymen Römerköpfen
aufmerksam zu machen. Wir nehmen dabei nicht sowohl den Kunst-
[526]Antike Sculptur. Römische Porträtköpfe.
werth als das physiognomische Interesse zum Massstab, ungewiss ob
der Leser uns gerne auf diesen Pfaden folgen wird.
Im Vatican: Braccio nuovo: der sog. Kopf des Sulla; — Mus.
bChiaramonti: der sog. Marius, treffendes Bild eines etwas galligen Al-
ten; — der (wahrscheinlich richtig benannte) Cicero, N. 422, nicht N.
697; — und der sog. Ahenobarbus mit dem feinen und klugen Aus-
cdruck des fetten Angesichtes; — Büstenzimmer: einige interessante
dFrauenköpfe. — Im Museo capitolino: erstes unteres Zimmer:
ein Mann von Jahren (jetzt für Hadrian ausgegeben, aufgestellt auf
einem Hercules-Altar), wundervoll wahr in dem zweideutig Verbis-
esenen des Ausdruckes; — Zimmer des sterbenden Fechters: der beste
Kopf des Marcus Brutus, Mörders des Cäsar, von widerlichem, ob-
fwohl nicht geistlosem Ausdruck; — Zimmer des Fauns: der sog. Ce-
thegus, ein noch junger, vornehm abgelebter Spätrömer; — Philo-
gsophenzimmer: hier muss man wohl von den meisten Taufen mit
Römernamen absehen und sich einzig mit dem geistigen Inhalt be-
gnügen; Virgil als idealer, wahrscheinlich göttlicher Kopf gehört gar
nicht hieher; ein kahler, delicater sauertöpfischer Alter heisst Cato;
ein (auch sonst öfter vorkommender) trauernder, entbehrungsvoller
Kopf (squalidum), die Haare in der Stirn, wird überall Seneca ge-
tauft; der sog. Cicero ist ein ansehnlicher grosser Beamter mit klaren,
wohlwollenden Zügen; der sog. Pompejus ein leidenschaftlicher, sehr
vornehmer junger Herr, dessen Gleichen der Leser wohl schon öfter
begegnet sein wird. U. s. w. 1). Mitten unter diese sehr bunte Schaar
hat sich ein ganz schöner jugendlicher Heldenkopf (N. 59) verirrt,
mit einem leisen Anflug des Barbarentypus; wenn Jemand in ihm
den Germanen Arminius erkennen will, so wird ein alterthumskundi-
ger Freund, den ich hier nicht nennen darf, nichts dagegen einzu-
hwenden haben. — Im Palast der Conservatoren (Eckzimmer)
die vorgebliche Bronzebüste des alten L. Junius Brutus, ein höchst
charakteristischer Römerkopf.
Im Museum von Neapel: Grosse Bronzen: schönes Exemplar
des schon bezeichneten Seneca; Lepidus (wenig sicher, allein voll in-
[527]Römische Porträtköpfe und Statuen.
dividuellen Lebens); Scipio Africanus d. ä. (in allen Sammlungen, oft
mehrfach, vorhanden; weit das beste Exemplar, von den übrigen be-
trächtlich abweichend, im Besitz des Jesuitencollegiums zu Neapel),a
das wahre Urbild eines alten Römers; — Marmorwerke erster Gang:b
der vorgebliche Sulla, von vorn gesehen auffallend durch seine Ähn-
lichkeit mit Napoleon, dessen Stirn jedoch weder eine so edle Form
noch eine so bedeutend durchgebildete Modellirung hatte; ebenda die
Statuen der Familie Balbus aus Herculanum, in der Gewandung ge-
ring, in den Köpfen sehr ausgezeichnet, besonders die Mutter, deren
kluge, ruhige, hochbedeutende Züge eine ehemalige Sinnlichkeit nicht
verläugnen; — zweiter Gang: die Reiterstatuen der Balbus Vater undc
Sohn, in den Köpfen wiederum sehr bedeutend, ausserdem als einzig
erhaltene Consularstatuen zu Pferde merkwürdig durch die ungemeine
typische Einfachheit der Composition, wobei auch einige Nüchternheit
mit unterläuft; — Halle der berühmten Männer: mehrere gute Ano-d
nyme und Falschbenannte; — Halle des Tiberius: ebenso; das Bestee
der sog. Aratus, geistreich seitwärts emporblickend; ein liebenswür-
diges Frauenköpfchen mit verhülltem Kinn, fälschlich als Vestalin
bezeichnet.
In den Uffizien zu Florenz: innere Vorhalle: ein gutesf
Exemplar des sog. Seneca; — erster Gang: Marcus Agrippa, classi-g
sche Züge mit dem Ausdruck tiefer Verschlossenheit; — Halle derh
Inschriften: ein feiner durchgebildetes Exemplar desjenigen Kopfes,
welcher in der capitolinischen Sammlung Cicero heisst; der „Triumvir
Antonius“ eine flüchtige Arbeit, die aber etwas von derjenigen Art von
Grösse hat, welche wir jenem Manne zutrauen; ein anonymer Römer,
welcher mit Ausnahme des noch etwas behaarten Kopfes an jenen
grandiosen Scipiokopf der PP. Jesuiten in Neapel erinnert; — Halle
des Hermaphroditen: zwei tüchtige Köpfe von so zu sagen philiströ-i
sem Ausdruck; eine schöne Frau von demjenigen matronalen Typus,
welchen man insgemein der Livia zuschreibt, mit zahlreichen gerollten
Löckchen; — zweites Zimmer der Bronzen, sechster Schrank: einigek
sehr gute kleine Bronzeköpfchen und Statuetten, worunter die winzige
aber vortreffliche eines sitzenden Mannes in der Toga.
In der untern Halle des Palazzo Riccardi: ausser einerl
Anzahl von Idealköpfen (worunter ein schöner und ein geringerer
[528]Antike Sculptur. Masken.
Apoll, zwei Athleten, eine sog. Sappho) ein guter römischer Porträt-
kopf, verschrumpft und sauer blickend, in einem Nebengang rechts.
Im Camposanto zu Pisa: (bei XL) Marcus Agrippa, weni-
ger erhalten aber ebenso echt als der florentinische Kopf. (Ebenda
mehrere gute Götterköpfe. Der angebliche Brutus, bei IV, ist offen-
bar modern.)
Vergebens sucht man Auskunft über den Ursprung und ersten
Gebrauch der so häufigen und zum Theil so trefflichen marmornen
Masken. Wenn die Archäologie nichts dagegen hat, so wollen wir
einige harmlose Vermuthungen aufstellen, die neben jedem erwiesenen
Thatbestand in ihr Nichts zurückzutreten bereit sind.
In den heitern Tagen des alten Athens muss mit der beginnenden
Blüthe der Tragödie und der Komödie auch die Kunst, tragische und
komische Masken für die Bühne zu machen, eine beträchtliche Höhe
erreicht haben. Der Grieche ertrug bekanntlich auf dem Theater
lieber ein künstliches Gesicht und eine künstliche Leibeslänge (mit-
telst der Kothurne) als die persönliche Physiognomie irgend eines
Schauspielers; diese hätte ihm selbst bei der grössten Schönheit nie
die typisch-idealen Züge geboten, welche einmal von den tragischen
und komischen Charakteren unzertrennlich schienen. Welches Schau-
spielers Antlitz hätte für den gefesselten Prometheus und für seine
Peiniger Kratos und Bia ausgereicht? — Die Masken aber, wo man
sie auch aufbewahrte, müssen, selbst nur einfach an der Wand auf-
gehängt, ein bedeutendes, monumentales Aussehen gehabt haben, das
man bleibend festzuhalten versucht sein musste; Keinem jedoch kann
dieser Gedanke früher und eher gekommen sein, als dem Masken-
macher selbst, der ja ein bedeutender und gewiss in hohen Ehren
gehaltener Künstler war, — vielleicht zugleich Bildhauer in einer Zeit,
die noch so wenig die Kunstgattungen trennte. Ausser dem Theater
wurden eine Menge Masken gebraucht bei Aufzügen, Processionen und
Festlichkeiten aller Art; wie konnte man dergleichen besser ansagen
als durch das Aushängen von Masken an Schnüren oder Laubgewin-
den? — An irgend einem Gebäude, das mit solchen Bestimmungen
[529]Masken.
zusammenhing, am ehesten wohl an einem Theater möchte denn auch
die erste aus Stein gemeisselte Maske, zur Verewigung des festlichen
Eindruckes angebracht worden sein — wo und wie? können wir
schwer errathen; vielleicht als Akroterion (Eckzierde), bald vielleicht
auch in vielfacher Wiederholung innerhalb eines Frieses, als Metope
einer dorischen Halle. — Doch die Personen der Tragödie, Götter
und Menschen der heroischen Zeit, hatten schon eine so bedeutende,
rein ideale Stellung als Hauptgegenstände der Kunst, dass ihnen un-
ter dieser neuen Form nicht viel abzugewinnen war, und daher darf
man sich wohl das Vorherrschen der komischen Masken erklären.
Diese eigneten sich vollständig zur Dienstbarkeit unter der Architektur
und mussten sich denn auch im Verlauf der Zeit jeglichen Dienst ge-
fallen lassen.
Zu Wasserspeiern an Gebäuden und zu Brunnenmündungen
schickte sich zwar auch die barockste Bildung ihres Mundes nur
wenig; das erstere Amt blieb in der guten Zeit wenigstens den Lö-
wenköpfen vorbehalten; für das letztere schuf die Kunst eine beson-
dere Welt von Brunnenfiguren. Dagegen waren sie mit ihrer dä-
monischen Drolligkeit wie geschaffen zu Gluth- und Dampfspeiern in
warmen Bädern; in grossem Flachrelief ausgedehnt konnten sie auch
mit Augen, Nasenlöchern und Mund das ablaufende Wasser in Bädern
wie in Höfen unter freiem Himmel aufnehmen (als Impluvien). Viel-
leicht die meisten aber waren blosse freie Decoration an Gebäuden
verschiedener Art.
Man wird ihren Styl im Ganzen hochschätzen müssen. Sie sind
die einzigen Caricaturen, die der hohen Kunst angehören, die Gränz-
marken des Hässlichen im Gebiet des Schönen. Desshalb ist hier
selbst bei der stärksten Grimasse doch nichts Krankhaftes, Verküm-
mertes, Peinliches oder Verworfen-Bösartiges zu bemerken. Was dem
Ausdruck zu Grunde zu liegen scheint, ist die vielfach variirte An-
strengung des Schreiens, auf eine Reihe komischer Typen übertragen.
Meist auf die Ferne berechnet, ist ihre Arbeit flüchtig, derb, energisch;
in den neuern Sammlungen demgemäss hoch und fern, an Gesimsen
und Giebeln aufgestellt, entgehen sie dem Auge nur zu leicht.
Vielleicht die grösste Anzahl findet sich beisammen in der Villaa
Albani (untere Halle des Palastes, Vorhalle des Kaffehauses etc.);
B. Cicerone. 34
[530]Antike Sculptur. Masken. Medusa.
in Massstab und Arbeit meist so gleichartig, dass sie von einem und
ademselben Gebäude stammen könnten. — Andere im Vatican (be-
bsonders im Hof des Belvedere, auch im Appartamento Borgia).
Diese möchten alle als blosse Decoration gedient haben. Als
Dampfspeier sind zunächst vier fast vollständige Köpfe im Museum
cvon Neapel (Marmorwerke, zweiter Gang) zu nennen, ideal, nicht
carikirt, und noch von sehr guter Arbeit. Andere Dampfspeier da-
gegen zeigen den komischen Ausdruck des Herauspressens der Luft
daus dem Munde; so die rothmarmornen an der Treppe der Villa
eAlbani und in der Villa Ludovisi (Vorraum), beide im Profil, Flach-
relief.
Als Impluvium oder Wasserablauf diente die grandiose aber sehr
fverstümmelte Bocca della verità in der Vorhalle von S. Maria in
Cosmedin zu Rom; wahrscheinlich ein Oceanus. Ebenso eine treffliche
gPansmaske der Villa Albani (Nebenräume rechts). — Ein gutes Hoch-
hrelief, drei tragische Masken zusammengruppirt, in den Uffizien, zwei-
ter Gang. (Auf der Rückseite eine Satyrsmaske in Flachrelief.)
Endlich giebt es eine Gestalt des griechischen Mythus, welche
nur als Maske vorkömmt: das Tod und Entsetzen bringende, ver-
steinernde Gorgonenhaupt, die Medusa. Die ältere Kunst bildete
sie als eine Grimasse, die höchstens denjenigen Widerwillen hervor-
bringen kann, welchen etwa die Kriegsdrachen der Chinesen erregen
mögen. Später aber (durch Praxiteles?) kam derjenige Typus auf,
iden wir z. B. in den colossalen vaticanischen Medusenmasken
(aus hadrianischer Zeit, im Braccio nuovo) bewundern. Unter den
schlangenähnlichen Locken treten gewaltige, breitgebildete Köpfe her-
vor, schön und erbarmungslos, zugleich aber selbst von geheimem
Entsetzen durchbebt; nur so konnte diese Empfindung auch in dem
Beschauer erregt werden. Für die Behandlung des Dämonisch-
Schrecklichen in der griechischen Kunst die wichtigste Urkunde. —
kLeider findet man an der Treppe des Pal. Colonna in Rom von dem
berühmten porphyrnen Colossalrelief eines Medusenhauptes nur noch
lden bemalten Gypsabguss. — Medusa im Profil, Hauptsaal der Villa
Ludovisi.
Im Ganzen haben unter den Masken diejenigen der Komödie,
wie bemerkt, das grosse Übergewicht; sie herrschen auch wohl in
[531]Komische Schauspieler. Trophäen. Thiere.
den pompejanischen Malereien vor. Einzelne Statuen komischer
Schauspieler sind gleichsam als eine Weiterbildung der Masken
zu betrachten; sie stellen einen Moment einer bestimmten Rolle, z. B.
eines Davus, eines Maccus dar, und nicht den berühmten Komiker
N. N. in dieser und jener Rolle. (Die besten im obern Gang des Va-a
ticans, andere in der Villa Albani, Kaffehaus 1); manche als kleineb
Bronzefiguren in den betreffenden Sammlungen.) — Für die Malerei
waren ganze Theaterscenen und Proben ein nicht ungewöhnlicher Ge-
genstand, wie mehrere antike Gemälde und Mosaiken des Museums
von Neapel beweisen (u. a. die beiden zierlichen Mosaiken des Dio-c
medes, erster unterer Saal links). In Rom geben die einfachern Mo-
saiken am Boden der Sala delle Muse im Vatican einen ziemlich ge-d
nauen Begriff von dem Auftreten tragischer Schauspieler.
Von andern leblosen Gegenständen hat die römische Kunst bis-
weilen die Trophäen mit ganz besonderer Schönheit gebildet, sowohl
im Relief (Basis der Trajanssäule) als in runder Arbeit (Balustradee
des Capitols). Die plastische Gruppirung des Unbelebten hat vielleichtf
überhaupt keine höhern Muster aufzuweisen als diese.
Die Thierbildungen der alten Kunst zeigen eine reiche Scala
der Auffassung, vom Heroischen bis zum ganz Naturalistischen. In
den edlern und gewaltigeren Thiergattungen lebt eine ähnliche Hoheit
der Form wie in den Statuen von Göttern und Helden; in den ge-
ringern wird man mehr jene naivsten Züge des Lebens bewundern,
die das Thier in seinem Charakter zeigen. — Dieser ganze Kunstzweig
muss eine grosse Ausdehnung gehabt haben; von noch vorhandenen
Resten ist z. B. die grosse Sala degli Animali im Vatican erfüllt,g
und auch im Museo Chiaramonti findet sich Vieles, lauter römischeh
Arbeiten, die zum Luxus des Hauses, zum Schmuck der Brunnen und
Gärten gedient haben mögen. Den Vorzug behaupten natürlich die
grossen, monumentalen Thiergestalten.
34*
[532]Antike Sculptur. Thiere. Pferde.
Die Pferde der antiken Sculptur beweisen zunächst, dass die
damalige Pferdeschönheit eine andere war als die, welche die jetzigen
Kenner verlangen. Wo Mensch und Pferd beisammen sind, wie z. B.
auf den parthenonischen Reliefs, wird man das Thier schon im Ver-
hältniss kleiner gebildet finden, aus Gründen des Styles, nicht wegen
Kleinheit der Race. Sodann galt eine andere Bildung des Kopfes,
des Nackens, der Brust und der Croupe, namentlich aber ein gedrun-
generes Verhältniss der Beine für schön, als jetzt. Aus Mangel an
Specialkenntnissen kann der Verfasser hierauf nicht näher eingehen;
die Denkmäler selbst sind so bekannt, dass sie kaum der Aufzählung
bedürfen. Bei weitem das Schönste ist und bleibt wohl der eine par-
thenonische Pferdekopf, dessen überall verbreitete Abgüsse man ver-
gleichen möge; Alles was zum Ausdruck der Energie, ja des edelsten
Feuers dienen kann, ist scharf und wirksam hervorgehoben und in
die Hautfläche ein Leben und eine Bedeutung hineingezaubert, der-
gleichen bei einem sterblichen Thiere wohl nicht vorkömmt. — Als
griechische Arbeit galten bekanntlich lange Zeit die vielgewanderten
avier Bronzepferde über dem Portal von S. Marco in Venedig;
gegenwärtig hält man sie doch nur für römisch, etwa aus neronischer
Kunstepoche; jedenfalls gehören sie zu den besten und sind als ein-
ziges erhaltenes Viergespann (wahrscheinlich von einem Triumphbogen)
bunschätzbar zu nennen. — Die stark restaurirten Pferde der Colosse
von Monte Cavallo in Rom sind ohne Zweifel Nachahmungen
griechischer Vorbilder wie die Statuen, in ihrem jetzigen Zustand aber
nicht massgebend. (Der Kopf des einen sehr ausgezeichnet.) — Rö-
mische Pferde erscheinen im Ganzen, neben denjenigen des Phidias
und seiner Schule, roh und im Detail wenig oder nur naturalistisch
cbelebt, in der Bewegung aber bisweilen trefflich. — Im Museum von
Neapel verdienen die marmornen Pferde der beiden Balbi (nach mei-
nem Urtheil) unbedenklich den Vorzug vor dem (sehr zusammen-
dgeflickten) ehernen herculanensischen Pferde sowohl als vor dem
colossalen ehernen Pferdekopf aus dem Palast Colobrano (Abtheilung
der grossen Bronzen); von den ebenda befindlichen bronzenen Sta-
tuetten übertrifft das Pferd Alexanders und das freisprengende das-
ejenige der Amazone. — In Rom ist das Pferd Marc Aurels auf
dem Capitol gut gearbeitet und lebendig bewegt, an sich aber ein
[533]Löwen. Hunde.
widerliches Thier, ohne Zweifel einem Streitross des Kaisers getreu
nachgebildet. — In Florenz (Uffizien, innere Vorhalle) das bei dera
Niobidengruppe gefundene Pferd, mittelmässige Decorationsarbeit. —
Das 1849 im Trastevere gefundene eherne Pferd, welches vorläufigb
im Museo capitolino aufbewahrt wird, habe ich nicht gesehen.
Unter den Löwen hat der grösste von den vor dem Arsenalc
zu Venedig aufgestellten den Altersvorzug (er stammt bekanntlich
aus dem Piräus). Der liegende Löwe, auf der andern Seite der Thür,
soll auf dem Wege vom Piräus nach Athen seine Stelle gehabt haben.
Er scheint wenig jünger und doch durchgebildeter als der sitzende,
hat aber einen modernen Kopf und starke Verletzungen. (Die beiden
kleinern gering.) — Als der schönste gilt der schreitende Löwe in Re-d
lief, an der grossen Treppe des Palazzo Barberini zu Rom. — Ein
schreitender Löwe in vollständiger Figur, von guter römischer Arbeit,e
aber durch plumpe moderne Beine entstellt, befindet sich an der
Treppe des Museums von Neapel. — Der eine vor der Loggia de’f
Lanzi in Florenz ist wohl besser. (Der andere modern, von Flami-
nio Vacca.) — Von einer sehr bedeutenden Gruppe, welche den Sieg
des Löwen über das Pferd darstellte, ist diejenige im Hof des Con-g
servatorenpalastes auf dem Capitol ein treffliches, nur zu sehr be-
schädigtes Exemplar, diejenige im Vatican (Sala degli Animali) einh
schwacher Nachklang; auch die übrigen Löwen dieses Saales sind
nicht von Bedeutung. — An gewaltigem Ernst und an grandioser
Behandlung möchten die beiden grossen Granitlöwen des ägypti-i
schen Museums im Vatican wenigstens alle ruhenden Bildungen
dieser Gattung hinter sich lassen. Wo das momentane Leben des
Thieres Preis gegeben und seine Bedeutung als Symbol einer gött-
lichen Naturkraft hervorgehoben wird, wie im alten Ägypten, da
allein sind solche Charaktere möglich.
Von den Hunden wurde die grosse derbe Gattung der Mo-
lossen mit Vorliebe dargestellt. Nachahmungen eines Werkes dieser
Art sind die beiden am Eingang der Sala degli Animali des Vaticans,k
und die beiden in der innern Vorhalle der Uffizien, von ungleicherl
Güte der Ausführung, aber sämmtlich von grandiosem Ausdruck. (Sie
sind nicht als Pendants gearbeitet, wie schon die fast identische Wen-
dung beweist.) Sonst genossen die Windhunde am häufigsten das
[534]Antike Sculptur. Wölfin. Eber. Rinder etc.
aVorrecht einer plastischen Darstellung. Sehr schön und naiv (in der
Sala d. Anim.) die Gruppe zweier Windhunde, deren einer das Ohr
des andern spielend in den Mund nimmt. Anderswo (auch in Neapel)
einer der sich am Ohre kratzt.
Die bekannte capitolinische Wölfin (Eckzimmer des Conserva-
torenpalastes), vom Jahr d. St. 458, pflegt als etruskisches Werk
betrachtet zu werden. Die Haare heraldisch, der Leib noch ziemlich
leblos, die Beine kräftig und scharf. (Aus dem Mittelalter, in wel-
ches man sie aus nicht zu verachtenden Gründen hat verweisen
wollen, kann sie doch nicht wohl sein; als die italienische Kunst des
XIII. oder XIV. Jahrhunderts ähnliche Beine zu bilden vermochte,
bildete sie das Haar nicht mehr heraldisch. Die wichtigsten Ver-
gleichungen für diese noch schwebende Frage: der Löwe vor dem
Dom von Braunschweig; die Löwen des Niccolò Pisano unter den
Kanzeln des Battistero zu Pisa und des Domes von Siena etc.) —
cAnspringend und sehr lebendig: die Chimära von Arezzo in den Uf-
fizien (Bronzen, zweites Zimmer), mit etruskischer Inschrift; das Haar
in symmetrisch gesträubten Büschen.
Zum Allertrefflichsten gehört der florentinische Eber (Uf-
fizien, innere Vorhalle); er richtet sich majestätisch auf; seine Borsten
kleben buschweise zusammen vom Schweiss und von der Feuchtigkeit
seines Lagers und bilden zumal an der Brust einen prächtigen Aus-
edruck innerer Kraft. — Das Mutterschwein von Alba (Sala d. Anim.)
ist daneben ein sehr geringes Werk.
Von Rindern ist in riesiger Grösse der farnesische Stier (s. d.),
doch nur mit starken Restaurationen erhalten. Ausserdem enthält das
gMuseum von Neapel (grosse Bronzen) ein kleines bronzenes Rind, von
mittelguter Arbeit. Die Erinnerung an Myrons berühmte Kuh sucht
man, vielleicht vergebens, aus kleinen Bronzen verschiedener Galerien
zusammen.
Die beiden niedlichen Rehe des Museums von Neapel (grosse
iBronzen) stehen ziemlich vereinzelt. Der graumarmorne Hirsch im
lateranensischen Museum ist ebenfalls eine gute Arbeit.
Die Vögel sind für die Freisculptur in Marmor nur ausnahms-
weise ein geeigneter Gegenstand; indess ergab sich wenigstens für den
Adler mehr als eine Gelegenheit, die nicht zu umgehen war. Von
[535]Adler etc. Fabelthiere.
den sämmtlichen Darstellungen des Ganymed zeigt allerdings vielleicht
keine einzige den Adler mit vollkommenem Lebensgefühl durchgebil-
det, wenn es auch an guten Motiven nicht fehlt (S. 468, u. f.). Als Symbol
an römischen Denkmalen wurde wieder aus andern Gründen der Adler
nur decorativ behandelt. Irgend einmal aber hatte sich die Kunst
ernstlich des Königs der Vögel angenommen und ihn auf immer so
stylisirt, wie er bis heute plastisch pflegt gebildet zu werden, nämlich
mit beträchtlicher Verstärkung der untern Theile (eine Art starkbefie-
derter Knie) und mit grossartig umgebildetem Kopf. Eines der besten
Exemplare bleibt immer der Reliefadler in der Vorhalle von SS. Apo-a
stoli zu Rom.
Für den Begriff der quantitativen Ausdehnung, welche diese
Thiersculptur erreicht hatte, sorgt, wie gesagt, die Sala degli Ani-b
mali. Hier findet sich der Elephant wenigstens in verkleinertem Re-
lief, der Minotaurus, von einem Kameel der riesige Kopf, auch das
Haupt eines Esels (ohne besondern Humor), mehrere Krokodile, Pan-
ther, Leoparden (mit eingelegten Flecken); dann Gruppen des Kampfes
und der Beute, wie die von Löwe und Pferd (s. oben), Hund und
Hirsch, Panther und Ziege, Bär und Rind etc.; kleine Amphibien und
Seethiere, oft von farbigem Marmor; von Vögeln namentlich Pfauen
u. a. m. Manches hat den Charakter blosser Spielerei.
Ausserdem wird man in den Sammlungen kleiner Bronzen
(z. B. Museum von Neapel, drittes Zimmer, Uffizien in Florenz, zwei-c
tes Zimmer der betreffenden Abtheilung, sechster Schrank) eine grossed
Anzahl und zwar gerade der schönsten und lebensvollsten Thier-
motive vorfinden; am letztgenannten Ort u. a. einen trefflichen Stier
mit menschlichem Angesicht, von griechisch scheinender Arbeit. Auch
hier giebt sich die antike Kleinsculptur nicht als Fabrikantin artiger
Nippsachen, sondern als eine des Grössten fähige Kunst zu erken-
nen (S. 496, 497).
Eine Anzahl von Thieren konnte ihrer Natur nach bloss in der
Malerei und höchstens im Relief zu ihrem Rechte kommen. Diess
sind ausser den Fischen die sämmtlichen fabelhaften Wasser-
wesen, Seestiere, Seepanther, Seeböcke, Seegreife u. s. w., welche
den Zug der Tritone und Nereiden begleiten; die Tritone selbst sind,
wie oben (S. 484) bemerkt, aus einem menschlichen Oberleib mit dem
[536]Antike Sculptur. Delphine. Reliefs.
Untertheil eines Pferdes und einem geringelten Fischschwanz zusam-
mengesetzt. Es bleibt hier nur zu wiederholen, dass die Übergänge
aus dem einen Bestandtheil in den andern so meisterlich unbefangen
und die Verhältnisse der Bestandtheile zu einander so wohl abgewo-
gen sind, dass der Beschauer, weit entfernt etwas Monstruöses darin
zu finden, an das Dasein solcher Wesen zu glauben anfängt.
Der Delphin, sehr häufig als Brunnenthier, auch als Begleiter
der Venus dargestellt, ist unter den Händen der Kunst zum „Fisch
an sich“, zum allgemeinen Sinnbild der feuchten, bewegten Tiefe ge-
worden, und hat mit dem wirklichen Delphin nicht einmal eine flüch-
tige Ähnlichkeit 1). Dieser gehört zu den formlosesten Fischen; wer
ihn im Mittelmeer nicht zu sehen bekommen hat, kann sich hievon
az. B. in der Naturaliensammlung der Specola in Florenz überzeugen,
deren vortrefflich ausgestopfte Thiere für mehrere Punkte unseres
Capitels zur entscheidenden Vergleichung dienen mögen.
Wenn wir hier die wichtigern Reliefs in kurzer Zusammen-
stellung auf die Statuen folgen lassen, so geschieht diess nur des
beschränkten Raumes wegen. Abgesehen von seinem unschätzbaren
mythologischen Werthe hat das antike Relief das Höchste was die
Kunst je in diesem Zweige leisten kann, völlig erschöpft, sodass
alles Seitherige daneben nur eine bedingte Geltung hat. — Die höchste
Gattung, die Friese und Metopen griechischer Tempel, wie sie das
brittische Museum besitzt, darf man in Italien freilich nur in Gestalt
von Abgüssen suchen (zu Rom im Museum des Laterans, zu Florenz
in verschiedenen Räumen der Academie etc.), aber auch nicht über-
sehen; die römischen Friessculpturen sind daneben selbst im besten
Falle nur von untergeordnetem Werthe. Dagegen hat die Kunst-
liebhaberei der Römer eine beträchtliche Anzahl einzelner, meist klei-
nerer Werke aus Griechenland hergeschleppt oder von griechischen
[537]Innere Gesetze des Reliefs.
Künstlern in Rom und Italien arbeiten, auch wohl copiren lassen. Es
sind Tafeln, runde und viereckige Altäre und Piedestale, runde Tem-
pelbrunnen (röm. Name: Puteal), Basen von Dreifüssen, Marmorvasen
u. s. w. Von den im sog. Tempelstyl gearbeiteten, welche einen
nicht geringen Theil der Gesammtzahl ausmachen, haben wir oben
des Beispiels halber einige genannt; ungleich wichtiger sind immer
die Werke des entwickelten griechischen Styles.
Um die Entstehung dieser Darstellungsweise zu begreifen, wird
man sich einen architektonischen Rahmen hinzudenken müssen. Es
ist die Sculptur in ihrer Abhängigkeit von den Bau-
werken, die sie schmücken aber nicht beherrschen soll 1). An den
griechischen Tempeln nun rief der Aussenbau mit seinen starken,
scharfschattigen Formen das Hochrelief hervor, welches die mensch-
liche Gestalt bis zu drei Viertheilen heraustreten lässt; an der Innen-
seite der Halle dagegen und an der Cella fand das Basrelief in
dem gemeinsamen Halblicht seine Entstehung. Eine scharfe Scheidung
zwischen beiden darf man natürlich bei spätern Werken, die ohne
specielle Rücksicht auf bauliche Aufstellung entstanden sind, nicht
verlangen.
Ein weiteres architektonisches Gesetz, welches im Relief lebt,
ist die Beschränkung des darzustellenden Momentes auf wenige,
möglichst sprechende Figuren, welche durch Entfernung oder deut-
liche Contraste auseinander gehalten werden. Die Vertiefung des
Raumes wird nur sehr beschränkt angenommen, die Verschiebung der
Gestalten hintereinander nur mässig angewandt. Zur römischen Zeit
glaubte man das Relief durch masslose Aufschichtung von Figuren,
durch Annahme mehrerer Pläne hinter einander zu bereichern, wobei
jene Unzahl von Arbeiten entstand, die man nur betrachten mag so
lange nichts Griechisches daneben steht.
Die Bezeichnung des Örtlichen ist entweder eine kurz andeu-
tende, welche durch einen Pfosten ein Haus, durch einen Vorhang
ein Zimmer markirt, oder eine symbolische, welche das Wasser durch
eine Quellgottheit, den Berg durch einen Berggott persönlich macht.
Ausgeführte Darstellungen von Landschaften und Gebäuden, perspecti-
[538]Antike Sculptur. Reliefs.
visch geschoben, giebt das Relief (seltene Ausnahmen abgerechnet)
nicht vor dem XV. Jahrhundert. (Ghiberti’s zweite Bronzethür am
Battisterio von Florenz; die Scuola di S. Marco in Venedig, mit den
Sculpturen der Lombardi etc.)
In der Darstellung der Figuren fand die griechische Kunst nach
längerm Suchen zwischen Profil und Vorderansicht diejenige
schöne Mitte, welche bei der lebendigsten Profilbewegung doch den
Körper in seiner Fülle zu zeigen und namentlich den Oberleib auf das
Wohlthuendste zu entwickeln wusste. Die freistehende Giebelgruppe
wird die Lehrerin des Reliefs; ihre Fortschritte sind gemeinsam
Die schwierige Frage der Verkürzungen, welche vielleicht nicht
absolut lösbar ist, wurde auf sehr verschiedene Weise gelöst, bald
durch wirkliches Heraustreten der betreffenden Theile, bald durch ver-
stecktes Nachgeben. Starke Verstümmelungen verhindern oft jedes
unbedingt sichere Urtheil.
Das durchgehende Grundgesetz des Reliefs ist, wie man sieht,
die grösste Einfachheit. Die Mittel der Wirkung sind hier so be-
schränkt, dass das geringste Zuviel in Schmuck, Kleidung, Geräthe
u. s. w. den Blick verwirrt und das Ganze schwer und undeutlich
macht. — Wir wählen nun aus der Masse des Vorhandenen nur die-
jenigen Werke aus, welche diese höhern Bedingungen deutlich er-
füllt zeigen, nämlich die griechischen und die nahen und unverkenn-
baren, auch mehrfach vorkommenden Nachbildungen von griechischen.
Der Bequemlichkeit des Auffindens zu Liebe mögen sie nach den Ga-
lerien geordnet folgen; die Anordnung nach dem Styl oder nach den
Gegenständen würde in einer Kunstgeschichte den Vorzug verdienen.
Im Vatican: Museo Chiaramonti, am Anfang: ein sitzender
Apoll; gegen das Ende: wandelnde bacchische Frauen.
Belvedere, im Raum des Apoll: die zwei Tempeldienerinnen
mit herrlich wallenden Gewändern, einen widerspänstigen Opferstier
führend.
Galeria delle Statue: Mehreres Treffliche, u. a. zwei Reliefs von
griechischen Grabmälern. (Auch ein modernes Werk, vorgeblich von
Michel Angelo.) Köstliche Fragmente in die Piedestale mehrerer Sta-
tuen eingemauert.
[539]Reliefs.
Gabinetto delle Maschere: Der trunkene Bacchus; — ein Opfer,a
letzteres von schöner griechischer Arbeit. (In der anstossenden Loggiab
scoperta, welche man sich kann öffnen lassen, einige Fragmente von
Werth und ein ganz origineller Bacchuszug mit Centauren, die sich
gegen das Aufsitzen von Satyrn wehren.)
Sala delle Muse: Der Tanz der Kureten; — die Pflege des jun-c
gen Bacchus. — (Aus später römischer Zeit: Fries mit Kämpfen der
Centauren und Lapithen, ungeschickte Nachahmung griechischer Tem-
pelmetopen der Blüthezeit; statt der Triglyphen Bäume).
Oberer Gang: Zwei schöne, grossentheils restaurirte bacchisched
Vasen; an der einen tanzende Kureten und ein Satyr; an der andern
weinkelternde Satyrn und ein aufspielender Silen. U. A. m.
Grosser und nächstfolgender Saal des Appartamento Borgia: Dase
runde Puteal aus der Sammlung Giustiniani, mit der umständlichen
Darstellung eines Bacchanals, römische, vielleicht moderne Arbeit nach
guten Motiven; — Nymphe, ein Satyrkind tränkend; — vorgeblicher
Hippolyt mit Phädra (ein Grabrelief von griechischer Erfindung),
u. A. m.
Im Museo capitolino: Zimmer der Vase: Die Einnahme vonf
Ilion, Miniaturrelief in feinem Stucco 1), mit zarten griechischen In-
schriften; vielleicht als Geschenk für einen fleissigen Knaben oder zum
Memoriren für ein vornehmes Kind gearbeitet, ähnlich wie die Apo-
theose des Herakles in der Villa Albani (s. unten).
Obere Galerie: Treffliche Vase mit Bacchanten, in Form einesg
Eimers. — Runde Ara mit schreitenden Götterfiguren im Tempelstyl,
jetzt der grossen Vase (Seite 67, i) als Basis dienend.
Grosser Saal: Altar mit der Geschichte des Zeus (als Basish
des riesigen Herakleskindes); die erhaltenen Theile vom besten Relief-
styl, obwohl kaum griechisch.
Philosophenzimmer: Mehreres Gute, u. a. die Bestattung der Leichei
eines Helden. (Meleager? — dasselbe in grösserm Massstab im Hofk
des Palazzo Mattei, rechts, oben.)
Kaiserzimmer: Die Befreiung der Andromeda; — der schlafendel
Endymion (s. unten bei der Sammlung Spada).
[540]Antike Sculptur. Reliefs.
Erstes unteres Zimmer: Ara mit den Thaten des Hercules, je drei
auf einer Seite, römische Arbeit zum Theil nach alten griechischen
Motiven.
In der Villa Albani: Untere Halle des Palastes: der gestürzte
Kapaneus (?), spätrömisch nach einem trefflichen griechischen Urbild;
eine sehr verwitterte runde Ara mit den einfach schönen Gestalten
der verhüllten Horen, die einander am Zipfel des Schleiers fassen.
Treppe: Die schon (Seite 440, e) geschilderte Roma; — Artemis,
drei Niobiden verfolgend; — Philoktet (?).
Runder Saal: Die schöne Marmorschale mit dem Gefolge des
Bacchus im Hochrelief, dem Raum gemäss lauter liegende und leh-
nende Figuren von unbeschreiblicher Frische der Erfindung.
Zimmer des Äsop: Die Apotheose des Herakles, von feinem Stucco
mit Miniaturinschriften, wie das capitolinische Relief; — Satyr und
Bacchantin, öfter vorkommende Motive rasender bacchischer Be-
wegung, von grösster Schönheit.
Zimmer der Reliefs: Die Kämpfer, ein vom Pferde gesprun-
gener tödtet einen auf der Erde liegenden. Von allen Reliefs italie-
nischer Sammlungen ist dieses in Rom selbst ausgegrabene Werk
vielleicht das einzige, welches unmittelbar an Phidias und seine Schule
erinnert; mit allen Verstümmelungen übertrifft es an grandiosem Styl
und Lebensfülle bei Weitem Alles, was sonst von dieser Gattung in
Italien vorhanden ist. — Aphrodite auf einem Seepferd; — zwei sprin-
gende Satyrn; u. A. m.
Hauptsaal: Herakles bei den Hesperiden; — Dädalus und Icarus;
Ganymed den Adler tränkend, gute römische Arbeiten; u. A. m.
Im anstossenden Zimmer: Zethus, Antiope und Amphion,
s. d. Museum von Neapel, S. 541, h.
Nebenräume des Palastes zur Rechten: Artemis und eine weib-
liche Figur; — eine Familie, Mann, Frau und Sohn; — opfernde
Mutter mit drei Kindern; — Dädalus und Icarus (hier von ro-
them Marmor); — eine grosse Schale mit den Arbeiten des Herakles,
welche wie die dürftige Nachahmung etwa eines Tempelfrieses aus-
sehen; — zwei einzelne Figürchen, vielleicht Palästriten.
Im sog. Kaffehaus: Theseus, durch Ägeus als Sohn erkannt, spät-
römisch nach griechischer Erfindung.
[541]Reliefs.
In der Villa Borghese: Hauptsaal: Die beiden Reliefs mita
Pan und Satyrn.
Zimmer der Juno: Cassandra, spätrömisch nach bester griechi-b
scher Erfindung. Mehreres Treffliche.
Zimmer des Herakles: Schöne Vase, mit der Reliefdarstellungc
eines Tanzes nackter Kureten und verhüllter Frauen; Pan musicirt.
In der Villa Ludovisi: Hauptsaal: das Urtheil des Paris,d
grosses Relief nach griechischen Motiven.
Im Palast Spada zu Rom, zweiter unterer Saal: Acht grös-e
sere Reliefs, wozu noch die beiden im Kaiserzimmer des Museo
capitolino gehören; sämmtlich von bester römischer Arbeit und den
edelsten, lebendigsten Motiven, doch mehr malerisch als plastisch em-
pfunden und vielleicht Nachbildungen von Gemälden. Andeutungen
hievon: das starke Heraustreten einzelner Glieder, die Menge der Bei-
werke, auch die weit vertieft gedachten Hintergründe.
In der Villa Medici: eine Anzahl guter Relieffragmente nebstf
geringern, an der Hinterwand gegen den Garten.
Im Eingang zum Pal. Giustiniani: zwei gute Grabreliefs, sog.g
Todtenmahle.
Im Museum von Neapel: Nebenraum des dritten Ganges:h
Orpheus, Eurydice und Hermes, schöne griechische Arbeit,
stark verletzt; nicht der Ausführung, aber dem Inhalt nach identisch
mit jenem etwas geringern Relief der Villa Albani, wo die Namen
Zethus, Antiope und Amphion beigeschrieben sind, nach einem dritten
Exemplar im Louvre, welches sie in antiker aber lateinischer Schrift
enthält. Durch den Zweifel über den eigentlichen Inhalt verlieren
wir einigermassen das Interesse an diesem für die Reliefbehandlung
classischen Werke; ist aber wirklich das kurze Wiedersehen und der
letzte Abschied Eurydicens dargestellt, so giebt die ungemeine Mässi-
gung und leise Abstufung des Pathos in den drei Gestalten viel zu
denken. — Eine Nymphe, die einen zudringlichen Satyr abwehrt,
leider fast zur Hälfte neu; — mehrere griechische Grabreliefs, nicht
von den besten, doch als Repräsentanten dieser in italienischen Samm-
lungen seltenen Gattung zu schätzen, so das des Protarchos etc.; —
verkleinerte, römische Nachahmung der Basis eines griechischen Sie-
gesdenkmals (Tropäons) mit zwei Karyatiden und einer sehr nied-
[542]Antike Sculptur. Reliefs.
alichen, sitzenden Figur 1); — Zeus auf einem Thron mit Sphinxen; —
Orest in Delphi, römisch nach einem trefflichen Original; — eine An-
zahl von Marmorscheiben (disci) mit flüchtigen, aber zum Theil schön
gedachten flachen Reliefs; — Stück aus einem bacchischen Thiasos
mit den öfter vorkommenden Motiven der Bacchantin mit Tamburin
und eines Satyrs mit Flöten; der folgende Satyr meist ergänzt; —
sodann eines der herrlichsten bacchischen Reliefs, welche überhaupt
vorhanden sind: der bärtige Dionysos hält Einkehr bei einem
zechend auf dem Ruhebett gelagerten Liebespaar; ein Satyr stützt ihn,
ein anderer zieht ihm die Sandalen ab; draussen vor der Thür des
Hauses Silen und die übrigen Gefährten des Gottes; — endlich ein
kleines sehr liebenswürdiges Werk: der Ritt durch die Nacht
(Jüngling und Bacchantin mit Fackeln zu Pferde, ein Führer voran).
Halle des Jupiter: Helena wird von Aphrodite unter dem Schutz
der Peitho (Göttin der Überredung) bewogen, dem Paris zu folgen,
welcher mit Eros sprechend gegenübersteht; sehr schöne, wenn auch
nicht frühe griechische Arbeit; — Bacchus mit einem Theil seiner Be-
gleiter, griechisches Motiv von unbedeutender Ausführung.
Halle der Musen: Die berühmte Vase von Gaeta, mit dem Na-
men des Künstlers: Salpion von Athen; fast lauter auch sonst bekannte
Motive (Hermes, welcher der Leukothea das Bacchuskind übergiebt —
an ein Relief der Sala delle Muse im Vatican erinnernd; die lehnende
halbnackte Bacchantin — aus einem Relief der Villa Albani; zwei
Satyrn und die tanzende Bacchantin — aus dem eben erwähnten Re-
lief des dritten Ganges im Museum von Neapel; ausserdem Silen und
eine Bacchantin mit Thyrsus). Die Ausführung, obwohl trefflich, hat
doch etwas Conventionelles; die starken Verstümmelungen rühren aus
der Zeit her, da das Gefäss als Pflock für die Schiffseile diente. —
Herrliches bacchisches Hochrelief von kleinem Massstab; —
Flachrelief von sieben weiblichen Figuren.
[543]Reliefs.
Halle des Adonis: (Als Basis einer Venus) Puteal von tüchtigera
römischer Arbeit, mit weinbereitenden Satyrn.
Abtheilung der Terracotten, viertes Zimmer: Kleine Reliefs in ge-b
brannter Erde, gefunden zu Velletri, einen alt-volskischen Styl re-
präsentirend.
In den Uffizien zu Florenz: Verbindungsgang: Runde Basisc
mit der Vorbereitung zu Iphigeniens Opfer, flüchtige, etwa spätgrie-
chische Arbeit (bez. Kleomenes); — kleine dreiseitige Basis (über
einem prächtigen Dreifuss aufgestellt, zu welchem sie nicht gehört)
mit drei Gewandfiguren schönen griechischen Styles.
Erster Saal der Malerbildnisse: Die berühmte mediceisched
Vase mit dem Relief von Iphigeniens Opfer; stark restaurirt, die Ar-
beit der unberührten Theile ungefähr wie an der Vase von Gaeta;
die Composition hochbedeutend in wenigen Figuren concentrirt.
Halle der Inschriften: Das grosse Relief der drei Elemente, noche
von mittelguter römischer Arbeit.
Halle des Hermaphroditen: Reliefdarstellung eines Rundtempels,f
sachlich merkwürdig wegen des Gitterwerkes, welches die Säulen ver-
bindet; — drei Bacchantinnen mit Zicklein, Thyrsus etc., ein öfter
vorkommendes griechisches Motiv; — Dionysos in Delphi (?),
schöne, vielleicht griechische Arbeit; — kleinere Wiederholung des
vaticanischen Reliefs der beiden Tempeldienerinnen mit dem Stier (s.
Belvedere, Raum des Apoll); — Genius, den Donnerkeil Jupiters
schleppend, gut römisch; — römisches Opfer eines Feldherrn, haupt-
sächlich durch die unberührte Erhaltung interessant; — drei wan-
delnde bacchische Frauen, denjenigen im Museo Chiaramonti
entsprechend.
Im Camposanto zu Pisa: N. 56 lebensgrosses römisches Re-g
lief einer Wöchnerin und einer Amme mit dem Säugling, decorativ
gute Arbeit; — N. 52 verwitterte Marmorvase mit bacchischen Re-
liefs, von flüchtig conventioneller, aber noch spätgriechischer Aus-
führung und sehr schöner Erfindung.
Im Museo lapidario zu Verona: eine bedeutende Anzahlh
von Sculpturen, worunter mehrere gute Sepulcralreliefs.
Im Dogenpalast zu Venedig: Sala de’ rilievi: mehrere kleinei
Sepulcralreliefs von geringer Ausführung, aber zum Theil griechisch
[544]Antike Sculptur. Reliefs römischer Denkmäler.
ascheinender Erfindung; in demjenigen mit Attis und Cybele z. B. eine
sehr schöne Dienerin; — treffliches römisches Relief einer Seeschlacht
in reichfigurirten Schiffen; — Putten mit den Waffen des Mars, rö-
misch; — ausgezeichnete vierseitige Ara mit bacchischen Scenen
von nur flüchtiger römischer Arbeit, aber schön erfunden. — Camera
ba letto: drei Horen mit verschlungenen Händen eine Herme umschrei-
tend, vielleicht altgriechisch, in römischer Zeit als Fussgestell für eine
marmorne Cista benützt; — dreiseitiger Untersatz mit vortrefflichen
cbacchischen Figuren. — Corridojo: zwei Dreifussbasen mit dem be-
kannnten römischen Motiv waffenschleppender Genien. (Zwei andere
mit Hierodulen scheinen verdächtig.)
Nach diesen Schätzen zum Theil ersten Ranges folgen eine An-
zahl Arbeiten, welche wenigstens einen Vorzug, nämlich das feste
Datum, vor ihnen voraus haben: die Sculpturen der Kaiser-
bauten in Rom.
Schon überfüllt, doch noch von schöner und nobler Arbeit: die
dBildwerke des Titusbogens, namentlich die beiden Reliefs mit dem
Triumphzug wegen Judäa’s; in den Bogenfüllungen die schönsten
eschwebenden Victorien 1). — Am Forum des Nerva (oder Domitian)
Hochreliefs von tüchtiger, energischer Zeichnung, auf die Ferne be-
rechnet. — Aus Trajans und Hadrians Zeit: die sehr ausgezeich-
fneten ältern Bildwerke am Constantinsbogen, zumal die Kampf-
scenen, doch ebenfalls nicht mehr rein im Geiste des Reliefs gedacht;
(diejenigen des Bogens von Benevent sind dem Verfasser nur aus
gAbbildungen bekannt;) — die ungeheure Spirale der Trajanssäule,
durchweg trefflich gearbeitet und reich an einzeinen der besten Zeit
würdigen Motiven, doch als Gesammtaufgabe in hohem Grade geeig-
net, das nur an einer unvergleichlichen Mythologie grossgewachsene
Relief durch tödtlich trockene historische Erzählung gleichartiger Facta
hauf immer zu ermüden. — Vom Forum Trajans stammen ein paar herr-
liche Friesstücke (Genien in halber Figur mit Arabesken, sowie Greife
[545]Reliefs römischer Denkmäler.
und Gefässe) und ein gutes Relieffragment im grossen Saal des Appar-a
tamento Borgia (Vatican). Von einem Gebäude aus trajanischer Zeit:
vier Stücke einer Procession, in den Uffizien zu Florenz (äussereb
Vorhalle); abgesehen von der Überfüllung, welche sich in diesen Flach-
arbeiten besonders empfindlich macht, von ausserordentlicher Schön-
heit; vielleicht gehört das herrliche Hochrelief eines Stieropfers, wel-
ches dabei aufgestellt ist, in dieselbe Kunstepoche. — Aus der Zeit
Marc-Aurels: die schon beträchtlich geringern und überdiess schlech-c
ter erhaltenen Reliefs der Antoninssäule und die fleissigen, aber
etwas leblosen Sculpturen wahrscheinlich von einem Triumphbo-d
gen, jetzt an der Treppe und in der obern Halle des Conservato-
renpalastes auf dem Capitol eingemauert; weit das beste darunter ist
die Apotheose einer Kaiserinn, entweder der ältern oder der jüngern
Faustina 1). An der Basis des Denkmals des Antonius Pius, jetzt ime
Giardino della Pigna des Vaticans, ist die Apotheose des Kaisers
(rituell nach ältern Vorbildern) ebenfalls auffallend besser als die
Reiterschaaren zu beiden Seiten. — Am Bogen des Septimius Se-f
verus: Alles von abschreckender Überfüllung und Ungeschicklichkeit;
die Heereszüge im Zickzack angeordnet; — der gleichzeitige Bogeng
der Goldschmiede blosse Steinmetzenarbeit. — Am Constantinsbo-h
gen tritt in Allem, was nicht vom Bogen Trajans geraubt ist, der
offene Bankerott des Reliefs und der Sculptur überhaupt zu Tage;
puppenhafte Ungeschicklichkeit des Einzelnen und eine völlig leblose
Anordnung. Ebenso in den Porphyrsärgen der Helena undi
Constantia. (Vatican, Sala a croce greca.)
Überblickt man diesen traurigen Gang der Kunst im Ganzen, so
wird es recht klar, wie wenig Geschichtliches als solches dem Relief
darf zugemuthet werden. Man rechne einmal unter all den Thatsachen,
welche in diesen Siegesdenkmälern verherrlicht sind, diejenigen zu-
sammen, in welchen ein sinnlich wahrnehmbarer dramatischer Moment
durch die Hauptpersonen selbst dargestellt ist, und keine blosse Ce-
remonie, kein blosses Obercommando; man zähle die Scenen, welche
B. Cicerone. 35
[546]Antike Sculptur. Sarcophage.
sich einigermassen durch Abwechselung von Geschlecht, Alter und
Charakteren in dieser sonst auf so abgemessene Mittel beschränkten
Gattung annehmbar machen liessen; — und es werden ihrer nur we-
nige sein. Man vergleiche diese Bilder dacischer und parthischer
Kriege mit den Kampfschilderungen der Ilias, und man wird inne
werden, wie schön hier der Dichter seine einzelnen Momente isolirt
und gleichsam in hoher Ahnung für eine künftige Kunst vorbereitet
hat. Der siegende Imperator dagegen verlangte seine und seines
Heeres Thaten in möglichster Wirklichkeit vor sich zu sehen, und
unter solch einer lastenden Masse des äusserlich Gegebenen mussten
sich auch die keineswegs sparsam angebrachten symbolischen Zutha-
ten und Beziehungen gänzlich verlieren 1).
Eine besondere Gattung von erhobenen Arbeiten, diejenigen an
den wahrhaft unzähligen Sarcophagen, dürften wir ganz mit Still-
schweigen übergehen, wenn der absolute Kunstwerth einer Arbeit
allein entschiede. Diese Steinsärge sind nämlich fast ohne Ausnahme
Werke der Kaiserzeit, und zwar seit dem II. Jahrhundert n. Chr.,
indem erst damals die Leichenverbrennung ausser Gebrauch zu kom-
men anfing. Die Behandlung des Einzelnen ist nur an wenigen dieser
Denkmäler wirklich gut zu nennen, an vielen dagegen mittelmässig
und an der grossen Mehrzahl kümmerlich. Allein abgesehen von ihrer
doppelten religionsgeschichtlichen Bedeutung (indem sie erstens eine
Fülle griechischer Mythen und zweitens in diesen Mythen oft Be-
ziehungen auf die Unsterblichkeit enthalten), besitzen viele davon auch
einen hohen indirekten Kunstwerth. In diese engen Räume sind viel-
leicht Erinnerungen und Nachklänge aus griechischen Freigruppen,
Giebelgruppen und Tempelfriesen zusammengedrängt; ganz befremd-
lich blicken bisweilen die schönsten Gedanken griechischer Composi-
tion hinter der befangenen Ausführung hervor. Sodann gewinnen wir
fast nur hier (abgesehen von den griechischen Reliefs des brittischen
[547]Sarcophage.
Museums) einen Begriff von der fortlaufenden Erzählung1),
welche dem ausgedehntern Relief eigen ist, von der höchst unbefan-
genen Vereinigung mehrerer Momente zu einer Geschichte. Als Er-
gänzung muss man sich allerdings die Allbekanntheit der Gegenstände
hinzudenken; immerhin aber gehörte die Gleichgültigkeit des antiken
Menschen gegen alle gemeine Illusion und sein offenes Auge selbst
für den leisesten symbolischen Wink dazu, um an den vorausgesetz-
ten Verschiedenheiten von Zeit und Ort — nicht bloss auf einem und
demselben Bilde, sondern in einer und derselben vordern Fläche —
keinen Anstoss zu nehmen.
Wir lassen einige von denjenigen Sarcophagen, welche in den
angedeuteten Beziehungen vorzüglich bezeichnend sind, nach den Auf-
bewahrungsorten folgen.
Im Vatican: Belvedere, im Gemach des Laocoon: der Triumpha
des Bacchus als Siegers über Indien, eine der vollständigsten Dar-
stellungen dieser Art (S. 483). — Zwischen dem Laocoon und dem
Apoll: einer der besten Nereidensarcophage. Im Hof und inb
allen einzelnen Räumen des Belvedere Sarcophage aller Art, welche
die geläufigern Mythen vollständig umfassen mögen.
Im obern Gang: Niobidensarcophag, welcher ahnen lässt,c
wie wenig oder wie viel diese Reliefs sich nach den berühmten Sta-
tuengruppen richteten; man bemerke die Anwesenheit der Amme bei
den Töchtern und des Pädagogen bei den Söhnen; am Rande des
Deckels die schön gruppirten Leichen der Getödteten. — Bacchus der
die Ariadne findet; — Luna besucht den schlafenden Endymion; —
beide von bester Erfindung.
Im Museo capitolino: unterer Gang: ein (absichtlich sehrd
zerschundenes) Bacchanal mit schön bewegten Figuren; — die Ge-
schichte Meleagers, hier gut und verhältnissmässig früh.
Untere Zimmer: eine der schon (S. 490) genannten Schlachtene
von Griechen oder Römern und Barbaren, am Rand des Deckels
Leichen, Gefangene, trauernde Weiber, Trophäen; — der colossale
Sarcophag mit der Geschichte des Achill; angeblich das Grab des
35*
[548]Antike Sculptur. Sarcophage.
Alex. Severus, dessen anderweitig bekannte Züge indess der einen
auf dem Deckel liegenden Gestalt nicht entsprechen.
Zimmer der Vase: zwei Kindersärge, der eine mit dem schönsten
vorhandenen Relief der Endymionssage, der andere spät, aber
sachlich höchst merkwürdig durch die Darstellung der Schicksale der
Menschenseele. (Prometheus, Pallas, Nemesis etc.) — Ausserdem ein
guter Bacchuszug.
Obere Galerie: Geburt und Erziehung des Dionysos,
zum Theil von den allerbesten Motiven.
Zimmer des Fauns: Kampf zwischen Griechen und Amazonen,
am Deckel die Gefangenen, spätes, aber sehr gut erhaltenes Exem-
plar; — guter und früher Nereidenzug; — reicher und später Endy-
mionssarcophag.
Kaiserzimmer: der schon erwähnte Musensarcophag, nach-
weisbar zum Theil nach einer Sammlung von Musenstatuen gearbeitet,
was von andern Sarcophagen dieses Inhalts nicht immer gilt.
In der Villa Albani eine grosse Anzahl. Wir nennen nur die
wichtigsten, am Ende der Nebengalerie rechts: die Götter bringen
Peleus und Thetis Hochzeitsgeschenke, gute Arbeit nach reinen
und einfachen Motiven der Blüthezeit. — Tod der Alceste; — ein Me-
leagersarcophag, vielleicht der beste.
In der Villa Borghese: Vorhalle: eine der oben erwähnten
Schlachten zwischen Griechen oder Römern und Barbaren; — Abschied
und Tod eines Jägers.
Junozimmer: ein sehr später Musensarcophag, welcher jedoch die
Musen nach dem alten, feierlich-schönen Typus darstellt.
Herakleszimmer: grosser, in zwei Theile getrennter Sarcophag
mit den zwölf Arbeiten des Helden, in besondern, durch Säulchen
geschiedenen Abtheilungen.
Im Palazzo Corsini zu Rom: erster Saal: einer der schönsten
Nereidensarcophage, im Einzelnen vielleicht nicht ohne leben-
dige Nachklänge aus einer berühmten Gruppe des Skopas, in welcher
die Meergottheiten dargestellt waren, die den vergöttlichten Achill
nach Leuke, der Insel der Seligen führten. (Dieses Werk befand sich
zur Zeit des Plinius in Rom.) Solche Züge von Tritonen und Ne-
reiden offenbaren trotz des ernsten, fast wilden Ausdruckes der männ-
[549]Sarcophage.
lichen Gestalten (S. 484), in der Bewegung einen wahrhaft bacchischen
Charakter. An den vielleicht über hundert Sarcophagen dieses In-
haltes, und zwar selbst an den geringsten Exemplaren (mehrere ina
der Galeria lapidaria des Vaticans) wird man immer einzelne Motive
von ausserordentlicher Schönheit, namentlich in der Verbindung der
Gestalten finden.
Im Palazzo Farnese: grosser Saal: ein schöner Amazonen-b
kampf; — ein besonders reicher bacchischer Sarcophag, dessen
Vorderseite dem verdorbenen im untern Gang des Museo capitolino
ziemlich genau entspricht.
Im Palazzo Mattei: in den Höfen und der offenen Loggia:c
unter einer grossen Anzahl von Sarcophagplatten einige gute. — Ebensod
im Hof von Palazzo Giustiniani.
Im Museum von Neapel: Halle des Jupiter: guter Bacchus-e
zug, zum Theil von sehr burlesken Motiven; — eine Anzahl geringerer
Sarcophage. — Zweiter Gang: ein trefflicher, aber sehr zerstörterf
Amazonensarcophag, mit Reliefs auf allen vier Seiten; vielleicht
eines der frühsten Werke dieser Art.
Im Dom von Amalfi: ein Sarcophag mit dem Raub der Pro-g
serpina, als griechische Arbeit geltend.
In S. Chiara zu Neapel (links): ein Sarcophag mit der Ge-h
schichte der Alceste, aus guter römischer Zeit.
In S. Lorenzo fuori le mura bei Rom (rechts vom Portal):i
Sarcophag mit einer römischen Vermählung, merkwürdig durch Grösse
und Vollständigkeit.
In S. Vitale zu Ravenna: der schöne Sarcophag mit derk
Apotheose des Augustus, am Eingang zur Sacristei.
Im Dom von Cortona (links): ein schöner und früher Sar-l
cophag mit Centaurenkämpfen.
In den Uffizien zu Florenz: erster Gang: das Leben einesm
Römers, Horoscop, Erziehung, Vermählung, Opfer, Kinderzucht, Jagd-
und Kriegsleben, sachlich interessant; — Phaëtons Fall; — die Ent-
führung der Leukippiden, römische Arbeit nach einem grie-
chischen Original, einfach und dabei prächtig belebt; — acht Arbeiten
des Herakles auf Einer Fläche (ein ähnlicher, roherer, folgt weiter in
[550]Antike Sculptur. Sarcophage.
ademselben Gang, ein anderer steht im Garten Boboli); — eine grosse
Anzahl geringerer Sarcophage nach bekannten Motiven.
Im Camposanto zu Pisa: eine sehr grosse Anzahl Sarco-
phage aller Style, von den Pisanern von nah und fern zusammen-
geholt, um als Särge für die Ihrigen zu dienen, deren Namen oft
dareingemeisselt zu lesen sind. Von erstem Werthe ist wohl nichts
darunter; das Beste geben: II. Sarcophag mit einer Schlacht; —
V. ein altchristlicher Sarcophag mit dem guten Hirten, aus dem drit-
ten wenn nicht zweiten Jahrhundert; — VIII. gutes bacchisches
Fragment (mit Centauren); — XX. schöner starkverwitterter Bac-
chuszug; — XXI. Geschichte von Phädra und Hippolyt, gut spät-
römisch, mit der Asche der Gräfin Beatrix von Toscana, Mutter der
berühmten Mathildis; — XXIX. bacchischer Sarcophag mit der Grab-
inschrift Camurenus Myron; — XXXI. Sarcophag mit grossem Schlacht-
relief, etwa gleichzeitig mit der Basis der Antoninssäule im Gardino
della Pigna des Vaticans. — U. a. m. — Einige von diesen Särgen,
die schon vor der Erbauung des Camposanto in Pisa gewesen sein
müssen, dienten dem Niccolò Pisano zur Grundlage für seine (kurze)
Wiederbelebung des antiken Styles.
Im Dogenpalast zu Venedig: Sala de’ Rilievi: einer der
besten und merkwürdigsten Niobidensarcophage (S. 506, *).
Die Sammlungen von Gemmen und Münzen, an welchen Ita-
lien nach allen Plünderungen noch so reich ist, müssen wir trotz ihres
hohen künstlerischen Werthes gänzlich übergehen, weil ihre Zugäng-
lichkeit und die dadurch mit bedingte Theilnahme des Reisenden in
einem allzu ungleichen Verhältniss zu diesem Werthe steht. Doch
muss wenigstens im Allgemeinen mit Nachdruck auf die bestausge-
stellte Gemmensammlung hingewiesen werden: die neapolitanische
d(Museum, Zimmer der oggetti preziosi, bestentheils aus der farnesi-
schen Erbschaft). Die köstlichsten Schätze finden sich unter den sog.
Cameen (Steinen mit erhabenen Figuren von anderer, meist hellerer
[551]Gemmen und Münzen.
Farbenschicht als der Grund). Es sind Reliefmotive, allein nur die
ausgesuchtesten, und mit der höchsten Eleganz für den bedingten Stoff
und Raum durchgeführt. Hie und da finden sich auch beliebte Sta-
tuen in diesem kleinen Massstab abgebildet; so verdankt man z. B.
die richtige Restauration des Apollon Sauroktonos einer Gemme. Die
antike Kunst, welche hier ins Kleine hineingeht, erscheint dabei in
ihrer Art so gross als bei irgend einer ihrer Hervorbringungen; sie
hat die Gesetze dieser Gattung auf immer festgestellt und — man
möchte fast sagen — sie hat auch deren möglichst schöne Gegenstände
erschöpft 1).
In den gewöhnlichen (concaven) Siegelgemmen wird man eine
Fülle anmuthiger kleinerer Motive, auch scherzhafter und genrehafter
Art finden. — Zum Ankauf feilgebotener Antiken dieser Gattung ist
nur unter Beihülfe eines geübten Kenners zu rathen.
Von leicht käuflichen Münzen wird der Reisende fast nur römische
zu Gesicht bekommen. Kann er unter diesen sich eine Auswahl von
Kaisern und Anverwandten des augusteischen Hauses, nicht nach der
Seltenheit, sondern nach der Schönheit und guten Erhaltung, ver-
schaffen, so ist dieses ein Besitz, der auf immer Vergnügen gewährt.
— Mit griechischen Münzen kann man in Unteritalien, und selbst an
kleinen, abgelegenen Orten, arg getäuscht werden; das Schöne und
Echte darunter gehört aber anerkannter Massen zum Trefflichsten, was
es giebt.
[552]Sculptur des Mittelalters.
Als das Christenthum die antike Sculptur in seine Dienste nahm,
war sie bereits in tiefen Verfall gerathen; schon seit dem Ende des
II. Jahrhunderts war die Reproduction der frühern Typen zur todten
Wiederholung geworden und die ganze Detailbehandlung bedenklich
ausgeartet. Die Vorliebe für das Colossale, für kostbare und ausser-
ordentlich harte Steinarten lenkte die Mittel und das technische Ge-
schick von den höchsten Zwecken ab; der Verfall und die Umbildung
der heidnischen Religion that das Übrige. Die Sculptur der constan-
tinischen Zeit konnte jedenfalls keine christlichen Typen mehr schaf-
fen, welche den Vergleich mit irgend einem Götterbild der bessern
Zeit ausgehalten hätten.
Vielleicht im stillen Bewusstsein dieser Ohnmacht, vielleicht auch
aus Scheu vor der dem Heidenthum so theuern statuarischen Kunst
und aus Rücksicht auf das mosaische Gesetz wurde der kirchlichen
Sculptur die Anfertigung von Statuen fortan fast gänzlich erlassen.
aWerke wie die beiden (sehr geringen) Statuen des guten Hirten in
der vaticanischen Bibliothek (Ausbau gegen den Garten), wie die
beherne Statue des heil. Petrus aus dem V. Jahrhundert (in S. Peter)
gehören zu den grössten Seltenheiten; letztere ist offenbar mit aller
Anstrengung den sitzenden Togafiguren der heidnischen Zeit nach-
geahmt. — Von den noch bis ins V. Jahrhundert häufig vorkommen-
den weltlichen Ehrenstatuen hat sich fast nichts erhalten, und selbst
von den Regenten nach Constantin besitzt Italien nur noch die form-
lose eherne Colossalstatue des Kaisers Heraklius zu Barletta.
Auf diese Weise war von einer Entwicklung heiliger Typen, wie
das Heidenthum sie seinen Göttern gegeben, wenigstens auf plasti-
[553]Ihre neuen Bedingungen.
schem Gebiete keine Rede mehr. Überdiess würden sich die Gegen-
stände — zunächst Christus und die Apostel — lange nicht so zu
diesem Zwecke geeignet haben, wie die Heidengötter. Letztere waren
recht eigentlich mit der Kunst und durch sie zur vollen Gestalt er-
wachsen; ihre ganze Körperbildung sammt Gewand und Attributen
stand charakteristisch fest und umfasste den ganzen denkbaren Kreis
des Schönen, wie die Alten es verstanden. Die heiligen Personen des
Christenthums dagegen waren von vorn herein nicht mythologisch,
sondern geschichtlich und längst ohne alles Zuthun der Kunst Gegen-
stände des Glaubens, mit welchen sich nicht eben frei schalten und
walten liess; sie waren ferner nicht erwachsen aus sittlichen und
Naturkräften und boten also bei weitem nicht denselben Reichthum
der Charakteristik dar; endlich war ihre Bedeutung eine übersinnliche
und geistige und konnte desshalb überhaupt nie in der schönen Kunst-
form so rein und ohne Bruchtheil aufgehen wie die Bedeutung der
heidnischen Typen.
Die Sculptur half sich wie sie konnte und wie der neue Glaube
es verlangte. Statt der Gestalten, die sie aus den oben ange-
gebenen Gründen weder genügend in Betreff des Styles, noch würdig
in Betreff des Gegenstandes zu beseelen im Stande war, schuf sie
Geschichten; das Relief verdrängte die Freisculptur und wurde
zugleich seinerseits ein Anhängsel der Malerei, die jetzt mit ihm den-
selben Zweck und zugleich viel reichere Mittel hatte. Bald entscheidet
das blosse Belieben des kirchlichen Luxus über die Anwendung des
erstern oder der letztern. Die Kirche verlangt von der Kunst das
Viele; in ganzen Cyklen geschichtlicher Darstellungen oder wenig-
stens in ganzen zusammengehörenden Reihen heiliger Personen will
sie symbolisch ihr Höchstes verherrlichen; die beiden Künste, sammt
all ihren Nebengattungen, dienen ihr einstweilen bloss als Mittel zum
Zweck und müssen ihre innern Gesetze vollkommen Preis geben.
Der Styl, wie er sich unter solchen Umständen gestalten musste,
bietet dem Auge wenig dar. Allein das geschichtlich-poetische In-
teresse kann einen Ersatz schaffen. Höchst merkwürdig ist vor Allem
der Ernst und die Kraft, womit die Kirche ihre Bilderkreise vervoll-
ständigt und im Grossen wie im Kleinen wiederholt, sodass eine
Menge von Typen, nicht bloss für einzelne Personen sondern für
[554]Sculptur des Mittelalters. Sarcophage.
ganze Geschichten entstehen. Von grosser poetischer Wirkung ist so-
dann neben dem geschichtlich Biblischen das Symbolische, welches
sich in der Parallelisirung alttestamentlicher und neutestamentlicher
Vorgänge, in einer Anzahl eigenthümlicher Gestalten und namentlich
in Beziehungen aus der Offenbarung Johannis ausspricht. Man muss
nur immer das Ganze, wenigstens so weit es erhalten ist, ins Auge
fassen, denn nur als Ganzes will es sprechen und wirken. Allerdings
bezieht sich diess Alles mehr auf die Malerei, doch verlangen auch
die plastischen Überreste, dass man auf diesen Standpunkt eingehe.
Das Einzelne des Styles, wovon bei Anlass der Malerei umständ-
licher die Rede sein wird, ist hier mit zwei Worten zu schildern. Bis
in das VII. Jahrhundert dauert der antike plastische Styl in mehr
oder weniger deutlichen Nachklängen fort; dann erfolgt eine Thei-
lung; der eine Weg führt in barbarische Verwilderung der Form, der
andere in die byzantinische Regelmässigkeit. Diese schafft ein
bestimmtes System von Körperbildungen, Gewandungen, Bewegungen
und Ausdrucksweisen, lernt es auswendig und reproducirt es uner-
müdlich mit einer Sicherheit, welche fast an diejenige der alten ägyp-
tischen Kunst reicht. — Beide Wege berühren und kreuzen sich in
Italien bisweilen; hie und da wirken auch frühchristliche, bessere
Muster weit abwärts.
Von der antiken Kunst noch am nächsten berührt, ja als eine
wahre Fortsetzung derselben erscheinen die christlichen Sarcophage.
aDie bedeutendste Sammlung derselben befindet sich im Museo cristiano
bdes Vaticans; andere (z. B. der wichtige des Bassus) in der Crypta von
cS. Peter (den sog. Grotte vaticane), im Camposanto zu Pisa (S. 550, b),
in sehr vielen italienischen Kirchen (meist als Altaruntersätze), haupt-
dsächlich zu Ravenna (Dom, S. Apollinare in classe, S. Vitale etc.)
und ausserhalb Italiens besonders im Museum von Arles, einige wich-
etige auch im Louvre. (Derjenige von S. Francesco de’ Conventuali
zu Perugia, linkes Querschiff, enthält eines der besten Exemplare des im
IV. Jahrhunderts kunstüblichen Christus im Knabenalter; dasselbe gilt
fvon dem ebenfalls trefflichen in S. Francesco zu Ravenna (Altar der
rechten Seitentribuna.)
[555]Sarcophage und andere Steinsculptur.
Die ältern dieser Sarcophage zeigen ganz dieselbe fortlaufende
Erzählungsweise mit Vereinigung mehrerer dichtgedrängter und be-
wegter Scenen auf demselben Raum, wie die spätheidnischen Arbei-
ten. Der etwas stenographische Vortrag dieser Ereignisse wird selbst
dem bibelfesten Beschauer einigermassen zu schaffen machen; auch
die beständige Gegenüberstellung von Vorbildern aus dem alten und
Gegenbildern aus dem neuen Testament erleichtert das Erkennen nicht
immer, weil diese Bezüge zum Theil etwas gezwungen sind. Eine
beschreibende Aufzählung und Deutung würde hier sehr weit führen;
das Nothwendige in Betreff des Museo cristiano und der Grotten giebt
Platner in der „Beschreibung Roms“.
Bei abnehmendem Kunstvermögen gab man bald auch das fort-
laufende Relief Preis und theilte die einzelnen Vorgänge durch Säul-
chen ab. In dieser Form übernahm das Mittelalter den Sarcophag
und bildete derselben auch seine Reliquienschreine im Grossen und
im Kleinen nach.
Mehr und mehr schrumpft die Sculptur zu einer Kleinkunst
zusammen und beschränkt sich allmählig auf die Stoffe, mit welchen
sie einst in uralten Zeiten begonnen, auf Gold, Silber, Erz und Elfen-
bein. Und dabei machen ihr fast in allen Gattungen, die sie noch ver-
tritt, das Email, die Malerei und die eingelegte Flacharbeit die Stelle
streitig. Steinern bleiben bloss die Sarcophage und die wenigen Re-
liefs, welche auch die Byzantiner innen und aussen an ihren Kirchen
anzubringen pflegten. (Einige in und an S. Marco in Venedig.) Auch
erhielten wohl die Altarschranken (cancelli) und die Kanzeln biswei-
len einen flgürlichen Schmuck von Stein. (Sculpirte ehemalige Altar-a
schranken mit den Geschichten Simsons und Christi, aus dem XI. oder
XII. Jahrhundert, in S. Restituta am Dom zu Neapel, hinten links.)
Im Bewusstsein der eigenen Ungeschicklichkeit wandte man bisweilen
antike Sarcophage zu verschiedenem Kirchenschmuck an, trotz ihres
heidnischen Inhalts (S. 549, g bis l). (Ein altchristl. Sarcophag als Trägerb
der Kanzel in S. Ambrogio zu Mailand; an der Kanzel selbst der bron-
zene Adler und der Evangelist, etwa X. Jahrhundert; die übrigen
Figuren ziemlich barbarisch, XII. Jahrhundert.)
Vom übrigen Vorrath plastischer Arbeiten wollen wir nur einige
bezeichnende Beispiele für jede Gattung anführen.
[556]Sculptur des Mittelalters. Altäre. Throne.
Die kostbarern Altäre erhielten bis ins XII. Jahrhundert einen
Überzug auf allen vier Seiten oder doch auf der Vorderseite des Tisches,
womöglich von Goldblech, mit einer Reihe von Figuren oder von
ganzen Historien in getriebener Arbeit; die Einrahmungen wurden mit
Email, auch mit aufgenieteten antiken Gemmen verziert. Die einzige
vollständig erhaltene Bekleidung dieser Art, von einem Künstler Volf-
avinus, aus der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts, umgiebt den Hoch-
altar von S. Ambrogio in Mailand, welcher ausserdem durch die gleich-
zeitigen, bemalten, ziemlich sorgfältigen Steinsculpturen seines Giebels
merkwürdig ist. Als Bild des Kunstvermögens der carolingischen
Epoche ergiebt sich daraus eine sonderbare Mischung von classischen
Reminiscenzen, eigenthümlichem Ungeschick und byzantinischer Zier-
blichkeit. — Der Altarvorsatz (pala d’oro) von S. Marco zu Venedig, ein
Werk des X. Jahrhunderts aus Constantinopel, enthält bloss äusserst
saubere Emailgemälde auf zahlreichen Goldplatten; sein bronzener und
vergoldeter Deckel dagegen, eine gute venezianische Arbeit des XIV.
Jahrhunderts, zeigt in den Hochrelieffiguren der Apostel den ent-
cwickelten germanischen Styl. — Ein Altarvorsatz von Elfenbein mit
vielen Historien (XII. Jahrhundert) in der Sacristei des Domes von
Salerno. — Bei spärlichen Mitteln vertrat auch wohl Stucco, Vergol-
dung und Malerei das Relief und Email aus edlerm Stoffe. Ein Al-
dtarvorsatz dieser Art, datirt 1215, in der Acad zu Siena, erster Raum.
— Über das Bauliche der Altäre vgl. S. 79, 97 u. f.
Kleine Hausaltärchen, meist mit schliessbaren Seitenflügeln
e(als Triptychen), wurden vorzüglich aus Elfenbein verfertigt. Das
Museo cristiano des Vaticans enthält unter mehrern Beispielen aus
verschiedenen Jahrhunderten ein sehr ausgezeichnetes byzantinisches
Triptychon von der delicatesten Behandlung. Die Anwendung des Elfen-
beins zu kleinen Altären hat übrigens bekanntlich nie ganz aufgehört.
Bischöfliche Throne erhielten bisweilen eine ganze oder theil-
weise Bekleidung mit Elfenbeinplatten, auf welchen Figuren und ganze
fGeschichten eingeschnitten sind. Dieser Art ist der Thron des heil.
Maximian in der Sacristei des Domes von Ravenna, mit Reliefs von
verschiedenen Händen (wie es scheint) des IV. bis VI. Jahrhunderts;
das Beste die Einzelgestalten an der Vorderwand unten. Auch der
gThron des heil. Petrus, welcher in Bernini’s colossale Erzdecoration
[557]Diptychen. Bücherdeckel. Reliquiarien.
über dem hintern Altar von S. Peter in Rom eingeschlossen ist, dürfte
nach den Abbildungen zu urtheilen mit Elfenbeinarbeiten aus ver-
schiedenen Zeiten geschmückt sein. (Unter andern die Thaten des
Hercules und die himmlichen Zeichen.) Oft nahm man mit antiken
Steinsesseln vorlieb; auch von dem steinernen Wagen in der Salaa
della Biga (Vatican) hat das erhaltene antike Stück (mit den schönen
Ornamenten) als bischöflicher Thron in S. Marco zu Rom dienen
müssen.
Von kleinerm kirchlichen Prachtgeräth sind die sog. Diptychen
vorzüglich bemerkenswerth: zwei Elfenbeindeckel, der eine oder beide
mit Reliefs versehen, dem jeweiligen Verzeichniss der Katechumenen
oder dem der Geistlichen zum Einband dienend. Einige sind für die
Kirchen eigens gefertigt und demgemäss sculpirt, andere sind herge-
schenkte sog. Consulardiptychen, welche den Consul oder den Kaiser
darstellen, indem er das Signal zum Beginn der öffentlichen Spiele
giebt. (Mehrere im Domschatz von Monza: das schöne mit Cicerob
und einer Muse etwa aus dem IV. Jahrhundert; das eines Kaisers,
angeblich Hadrian, mit einer weiblichen Figur nicht viel später; das
zweier geputzter Consuln, die nachträglich zu Heiligen gemacht wor-
den, etwa aus dem VI. Jahrhundert. — Ein Diptychon des letzten Con-c
suls Anicetus in den Uffizien zu Florenz, II. Zimmer der Bronzen,
11. Schrank.)
Den Diptychen schliessen sich die übrigen elfenbeinernen Bücher-
deckel an, bei welchen man sich die Bücher als liegend, nicht als
in Reihen stehend denken muss. (Der untere Deckel wenig oder gar
nicht verziert.) Ein schöner und früher im Museo cristiano; andered
hauptsächlich in Bibliotheken. Häufiger kommen Bücherdeckel mit
getriebenen Figuren von vergoldeter Bronze und mit Emailzierra-
then vor.
Von Reliquienkasten wüsste ich kaum einen sculpirten zu
nennen, der mit den bessern nordischen Arbeiten dieser Art wetteifern
könnte. Das Email überwiegt vollständig zumal in den noch jetzt
sehr zahlreich vorkommenden kleinen Reliquienkästchen. — Ein Elfen-
beinkästchen mit den Halbfiguren der Apostel in zierlichstem byzantini-e
schem Flachrelief des X. bis XII. Jahrhunderts findet man in dem
genannten Raume der Uffizien, 14. Schrank. — Ebenda eine runde
[558]Sculptur des Mittelalters. Kirchengeräthe.
Hostienbüchse mit der Reliefdarstellung der Anbetung der Könige,
avielleicht aus dem VI. Jahrhundert. — Mehrere Reliquiarien ver-
schiedener Zeiten im Tesoro von S. Marco.
Kreuze, Diademe u. dgl. sind im ersten Jahrtausend sehr bar-
barisch und auf die blosse Kostbarkeit hin gebildet worden. (Bei-
bspiele im Domschatz von Monza; die eiserne Krone, VII. Jahrhun-
dert (?), macht kaum eine Ausnahme.)
Von den Kirchenschätzen Italiens sind die beiden genannten von
Monza 1) und von S. Marco in Venedig wohl die sehenswerthesten.
cIn den Domschätzen von Mailand und Neapel überwiegt auf eine trau-
rige Weise der schlechteste Silberguss aus den beiden letzten Jahr-
hunderten, welcher kaum einen andern Zweck verräth, als das vor-
handene Metall zu möglichst massiven Blöcken und damit möglichst
dwenig transportabel zu machen. Der Schatz von S. Peter gehört über-
haupt nicht zu den reichsten und enthält wenig Altes (dafür aber
einige gute Renaissanceleuchter, welche man dem Michelangelo und
dem Benv. Cellini zuschreibt). — Einzelne kirchliche Antiquaglien
der verschiedensten Style und Gattungen findet man gesammelt in Flo-
erenz (Uffizien, II. Zimmer der Bronzen, 14. Schrank und Eckschrank
links, wo sich u. a. die berühmte Pax des Maso Finiguerra befindet);
fin Neapel (Museum, Abtheilung der Terracotten, II. Saal), in Mailand
g(Sammlungen der Ambrosiana), in Brescia (Museo patrio) und ander-
wärts.
Der plastische Erzguss ist im frühern Mittelalter für Italien
nicht von derselben Wichtigkeit, wie für Deutschland. Die einzige
Anwendung des Erzes im Grossen, nämlich diejenige für Kirchen-
[559]Erzguss. — Erwachen des romanischen Styles.
pforten, wurde der Sculptur grossentheils entzogen, indem man die
heil. Figuren und Geschichten durch eingelegte Fäden und (für das
Nackte) Flächen von Silber oder Gold darstellte. (Thüren von S. Marcoa
in Venedig, an den Domen von Amalfi, Salerno etc., ehemals auchb
an S. Paul bei Rom.) Was daneben von Reliefs an gegossenen Thür-
flügeln vorkömmt (hintere Thür am Dom von Pisa, XII. Jahrhundert,c
von Bonannus etc.; Pforten von S. Zeno in Verona) lässt diese Ein-d
busse kaum bedauern 1). — Der schöne baumförmige Bronze-Cande-
laber im linken Querschiff des Domes von Mailand ist sammt seinene
zahlreichen Figürchen wohl erst aus dem XIII. Jahrhundert, dem
Zeitalter, da die Sculptur anderweitig wieder zu einem neuen Leben
erwacht war.
Die Hauptbedingung dieses Erwachens war offenbar die Rück-
kehr zur Steinsculptur, und diese konnte erst im Zusammenhang mit
einer neuen Entwicklung der kirchlichen Baukunst eintreten.
Der entscheidende Schritt geschah in Toscana und der Lombar-
dei, während des XI. und XII. Jahrhunderts, hauptsächlich mit der
Schöpfung eines neuen Fassaden- und Portalbaues, welcher die Sculp-
tur erst mässig und dann im Grossen in Anspruch nahm. Auch das
Innere der Kirchen, aus der bisherigen engen Pracht von Gold und
Mosaiken in das Grossräumige und Einfache übergehend, verlangte
von der Sculptur jetzt wieder marmorne Altäre, Kanzeln und Grab-
mäler, während zugleich das Mosaik dem Fresco allgemach die Stelle
räumte.
Die Aufgabe der Bildhauer war und blieb aber geraume Zeit noch
dieselbe wie früher: Ausdruck der kirchlichen Ideen durch das Viele,
durch ganze Systeme und Kreise von Gestalten und Historien. Es
handelte sich nun darum, ob sie in dauernder Abhängigkeit von der
Malerei verharren oder innerhalb der unvermeidlichen Schranken ihre
eigenen Gesetze nach Kräften entwickeln würde.
[560]Sculptur des Mittelalters. Romanischer Styl. Toscana.
Wie in der Architektur, so dürfen wir auch in der Bildnerei die
neuen Regungen als einen romanischen Styl bezeichnen, sowie
man die auf dem Römischen ruhenden Sprachen des Abendlandes
nach ihrer (gerade auch zu jener Zeit vollendeten und literarisch be-
thätigten) Umbildung als romanische Sprachen benennt.
Die Anfänge dieses romanischen Styles der italienischen Sculptur
waren freilich äusserst roh und ungeschickt, sodass gleichzeitige deut-
sche Arbeiten in der Regel einen beträchtlichen Vorzug behaupten
werden. Dafür haben sich die italienischen Künstler oft mit Namens-
unterschrift genannt und dadurch der Kunstgeschichte einen fortlau-
fenden urkundlichen Faden an die Hand gegeben, den sie in Deutsch-
land vermisst. Diese Namensnennung, bei der selbst materiellen Ge-
ringfügigkeit der meisten Werke doppelt auffallend, zeigt dass die
Steinsculptur mit der ganzen Wichtigkeit einer Neuerung auftrat.
Das Wichtigere ist in Kürze folgendes:
Taufbrunnen in S. Frediano zu Lucea 1151, mit unergründlichen
Darstellungen von fleissiger aber noch sehr befangener Arbeit; von
Robertus. Ein Werk, welches besser als jede Beschreibung zeigt,
wie der romanische Styl einen gewissen ornamentalen, ja kalligraphi-
schen Schwung in seine Gestalten, namentlich in die Gewänder bringt.
Die Oberschwellen der Portale an S. Andrea und S. Bartolom-
bmeo in Pistoja, dort 1166 von Gruamons, hier 1167 von Rudolfinus;
elend und gering, nur als Präcedentien der pisanischen Schule be-
merkenswerth.
Portalsculpturen an S. Salvatore zu Lucca, um 1180 von Bi-
duinus, welcher auch diejenigen an der Kirche von Casciano unweit
dPisa fertigte. Die eherne Pforte des Bonannus am Dom von Pisa
wurde schon erwähnt; sie fällt nebst den Sculpturen der Seitenpfosten
edes Ostportals am Baptisterium in dieselbe Zeit, welche schon viel
entwickelter sind.
Schon einen Schritt weiter geht das Relief der Oberschwelle an
S. Giovanni zu Lucca.
Die oberitalischen Sculpturen sind durchgängig um einen
bedeutenden Grad besser und lebendiger, auch diejenigen, welche um
ein halbes Jahrhundert älter sind, als die genannten toscanischen. Die
Nähe des damals kunstreichern Nordens ist nicht zu verkennen.
[561]Modena. Verona. Ferrara.
Am Dom von Modena: Aussen an der Fassade die Geschichtena
der ersten Menschen, im rechten Querschiff die Passion, von Nicolaus
und Guilelmus, seit 1099. Diese Arbeiten sind nebst den Portalsculp-
turen bei aller Rohheit merkwürdig als frühste Denkmale wahrhaft
romanischen Styles in Italien.
An der Fassade von S. Zeno in Verona (seit 1139) Sculpturenb
derselben Künstler, Nicolaus und Guilelmus, schon mit höher ent-
wickeltem Sinn für Anordnung im Raum und für Reliefbehandlung
überhaupt. (Bes. die Erschaffung der Thiere.) Der belehrende Ver-
gleich mit den Bronzeplatten der Thür, welche noch ganz barbarisch
sind, zeigt, dass diese von der Thür des ältern Baues entlehnt sein
müssen.
(Im Innern stehen an der Mauer des rechten Seitenschiffes diec
Statuen Christi und der zwölf Apostel, etwa vom Anfang des XIII.
Jahrhunderts, sorgfältige Arbeiten. Wie gebunden die Kunst sich da-
mals fühlte, wenn irgend ein höheres geistiges Verhältniss auszudrücken
war! um die ehrfürchtige Unterordnung der Apostel zu bezeichnen,
sind sie alle mit einsinkenden Knieen gebildet, am merklichsten die
beiden zunächst bei Christus. Es war ein weiter Weg von da bis
zu Rafaels Tapete: „pasce oves meas.“)
Die Sculpturen am Portal des Domes sind befangener als die and
S. Zeno, die Löwen ganz heraldisch. Im rechten Seitenschiff befindet
sich ein Weihbecken romanischen Styles, auf drei burlesken, nackten
Tragfiguren (die vierte fehlt). Das XV. Jahrhundert, welches diese
halbdämonischen Fratzen nicht mehr als solche verstand, glaubte sie
in Gestalt von Buckligen nachahmen zu müssen. Dieser Art ist der
ganz tüchtige Gobbo, welcher in S. Anastasia das Weihbecken linkse
mit so aufrichtiger Anstrengung trägt. (Derjenige rechts ein geringes
viel späteres Gegenstück.)
Das Taufbecken in S. Giovanni in Fonte (XII. Jahrhundert) zeigtf
in seinen Reliefs den saubern und sogar schwungreichen romanischen
Styl mit noch ziemlich ungeschickten Motiven verbunden. (Die ein-
zelnen Theile von verschiedenem Werthe.)
Von den Sculpturen an der Fassade des Domes von Ferrarag
gehören diejenigen des Mittelportals selbst noch der Gründungszeit
B. Cicerone. 36
[562]Romanische Sculptur. Parma.
(1135) und dem befangenern romanischen Styl an. (Die alten Origi-
nale der ziemlich täuschend erneuerten Tragfiguren auf Löwen findet
man in einem Hofe hinter dem Chor.) Schon freier regen sich die
aGestalten der sechs Monatsbilder an einem Anbau der Fassade rechts.
Endlich sind die obern Sculpturen über dem Mittelportal ein wahr-
haft bedeutendes Werk des germanischen Styles, etwa um 1300. (Die
buntere Halle der Universität enthält einige Fragmente des altchrist-
lichen und der spätern Style.)
Mit den Sculpturen am Baptisterium und im Dom von Parma ist
man in einiger Verlegenheit, weil zweierlei Style einem und demsel-
ben Künstler, Benedetto Antelami, zugeschrieben werden. —
Er nennt sich mit vollem Namen und mit dem Datum 1178 in dem Re-
lief einer Kreuzabnahme, welches sich jetzt in der dritten Capelle rechts
im Dom befindet; eine zierliche, aber noch sehr starre Arbeit, eher
byzantinisch als romanisch. Dann hat ein „Benedictus“ im Jahr 1196
ddie Sculpturen am Südportal des Battistero gefertigt, und laut diesen
wohl auch die der beiden übrigen Portale, von welchen dasjenige ge-
gen Süden durch sein fast mithreisches Aussehen die Liebhaber der
damaligen Mystik glücklich machen wird. Diese, nebst den Engeln
in den Nischen des Innern und den innern Thürreliefs können alle
noch wohl von der gleichen Hand sein und würden dann einen all-
mäligen Übergang des Antelami zur romanischen Art beweisen. —
Aber die schon ungleich lebendiger gebildeten Thiere am Sockel des
Gebäudes aussen und die zwölf Hochreliefs mit den Monatsbeschäfti-
gungen in einer obern Galerie des Innern zeigen einen so viel höhern
Grad künstlerischen Vermögens, dass sie einem Andern angehören müs-
sen und dieser wäre dann der bedeutendste Bildhauer Italiens vor oder
neben Nic. Pisano gewesen. Lebendig und selbst schön bewegt er-
innern diese Gestalten in ihrer plastisch trefflichen Behandlung des
Nackten unmittelbar an deutsche Arbeiten des beginnenden XIII. Jahr-
hunderts.
Wie wenig aber eine Schwalbe einen Sommer macht, zeigen die
beiden ungeschlachten Löwen vor dem Dom, deren Datum 1281 über
dem Hauptportal nebst dem nicht nennenswerthen Namen des Bild-
hauers zu lesen ist. Sie sind wieder ganz heraldisch und leblos.
[563]Sculptur um 1200. Niccolò Pisano.
In Rom sind aus dieser Zeit erhalten: Die geschnitzten hölzer-a
nen Pforten von S. Sabina; Streben nach lebendigster Bewegung in
äusserst befangenen Formen. (Pforte gegen das Kloster.)
In all diesen Werken kämpft das Verlangen nach deutlicher und
energischer Bezeichnung des Lebens mit einer mehr oder weniger
grossen Ungeschicklichkeit; auch in der Formenbildung zeigt sich noch
nicht das geringste Bedenken darüber, ob zum Ausdruck des Heiligen
solche Gestalten und solche (oft skurrile) Geberden auch wirklich hin-
reichten. Um das Jahr 1200 stand die deutsche Kunst wie in allen
Beziehungen so auch hierin hoch über der italienischen 1).
Auch die meisten Arbeiten von 1200—1250 gehen nicht weit
über dieses Niveau hinaus. Als Probe ist die Kanzel in S. Bartolom-b
meo zu Pistoja zu nennen, von Guido da Como 1250, mit leblos
zierlichen Reliefs. — Oder die meisten von den Sculpturen in derc
Vorhalle des Domes von Lucca. — Ungleich besser (aber vielleicht
erst vom Ende des Jahrhunderts, obwohl noch vollkommen romanisch):
die Reliefs mit dem Stammbaum und der Jugendgeschichte Christi, and
den Pfosten des Hauptportals am Dom von Genua. Das Lunetten-
relief mit dem Salvator und der Marter des heil. Laurentius ist viel
geringer und auch die steinerne Arca Johannes des Täufers in dessen
Altar im Dom erreicht jene Thürpfosten an Schwung, Feinheit und
Leben des Reliefs nicht.
In dieser Zeit trat nun ein grosser Künstler auf, Niccolò Pi-
sano, dessen Wirksamkeit allein schon genügte, um der Sculptur
eine ganz neue Stellung zu geben. Sein Styl ist eine verfrühte und
desshalb bald wieder erloschene Renaissance; von antiken Reliefs,
hauptsächlich Sarcophagen begeistert, erweckt Niccolò die gestorbene
Formenschönheit wieder vom Tode. Aus jenen Vorbildern combinirt
er mit ungemeinem Takt seine heiligen Geschichten so zusammen,
dass sie ein lebendiges Ganzes zu bilden scheinen, und ergänzt und
36*
[564]Sculpturen des Niccolò Pisano in Lucca und Pisa,
verschmelzt Alles durch einen Natursinn, der wahrscheinlich eben erst
durch den Anblick der Antike in ihm geweckt worden war. — Seine
Arbeiten erreichen wohl bei weitem das Bessere des Alterthums nicht
und können eher geschichtliche Curiosa von erstem Werthe als hohe
und eigenthümliche Schöpfungen heissen. Für die Folgezeit hatten
sie die grosse Bedeutung, dass durch sie die kindischen und abge-
storbenen Formen der Frühern beseitigt waren, und dass der Geist
des Jahrhunderts zwar nicht in antikem Gewande wie bei Niccolò
selbst, aber in einer durch diesen kurzen Übergang wesentlich geläu-
terten Gestalt weiter arbeiten konnte.
Niccolò’s frühstes bekanntes Werk ist das Relief der Kreuz-
aabnahme über der linken Thür der Vorhalle des Domes von Lucca
(1233). Abgesehen von den reinen Formen, welche mit den Arbeiten
seiner Zeitgenossen an und zwischen den andern Portalen befremdlich
contrastiren, offenbart sich der grosse Künstler durch eine höchst edle
und geschickte Composition, welche die Momente der Anstrengung
und des Seelenausdruckes vortrefflich vertheilt und damit ein ganz
ausgebildetes Liniengefühl verbindet.
Nach langer Zwischenzeit (1260) folgt die weltberühmte Kanzel
des Battistero zu Pisa. (Den Inhalt der Darstellungen s. in den
Reisehandbüchern.) Die Einwirkung der römischen Vorbilder beson-
ders kenntlich in einer Anzahl weiblicher Köpfe (Madonna als Juno
etc.), in der Behandlung der Haare, in der Darstellung des Nackten,
(wobei sich doch schon ein wesentlich neuer naturalistischer Zug ein-
mischt, s. die Fortitudo); auch in der Darstellung der Thiere, z. B.
der Pferdeköpfe bei der Anbetung der Könige, und der vier Löwen,
auf welchen die Säulen ruhen. Dagegen ist die Gewandung mehr
scharf und brüchig als bei den Alten. Im Ausdruck und in der Wahl
der Motive zeigt sich viel Geist und Leben, aber das hohe Mass des
Reliefs von Lucca fehlt gerade der Composition des Christus am Kreuz
auf empfindliche Weise.
An der berühmten Arca, dem Sarg des heil. Dominicus in des-
sen Kirche zu Bologna, gelten die Reliefs und die dazwischen be-
findlichen Statuetten des Sarcophages selbst als Werke des Niccolò.
In Betreff der beiden vordern Reliefs (Belebung des Knaben und Ver-
brennung der Bücher) wird man diess wohl zugeben können; die
[565]in Bologna und Siena.
Bildung des Einzelnen ist hier so vorzüglich und so sehr von antiken
Nachklängen beseelt, als an den Arbeiten in Toscana. Dagegen zeigen
die Reliefs der Schmalseiten und der Rückseite eine viel geringere
Arbeit; wenn sie auch unter Niccolò’s Aufsicht entstanden sein mö-
gen, von seiner Hand sind sie nicht. Die Zwischenstatuetten endlich
erscheinen schon als Werke des entwickelten pisanischen Styles und
könnten bei ihrer Vortrefflichkeit wohl von Giovanni herrühren.
(Im Camposanto zu Pisa wird dem Niccolò noch das unvollendetea
Relief einer Geburt Christi, N. XVIII, zugeschrieben.)
Den Übergang aus der Weise des Niccolò Pisano in die seines
Sohnes Giovanni macht die Kanzel im Dom von Siena, an welcherb
sie in der That Beide gearbeitet haben (1266? oder eher später?).
Das Antikisirende ist hier schon ein halb erlöschender Nachklang und
selbst in den ruhigen allegorischen Figuren nur noch stellenweise
kenntlich; der jüngere Meister des dramatischen Ausdruckes behält
das Feld. Die Löwen und Löwinnen, auf welchen die Säulen hier
und an den Pisaner Kanzeln ruhen, sind vielleicht die ersten, und
zwar durch antike Anregung ganz lebendig gewordenen Thierbilder des
Mittelalters; die architektonische Anordnung des Ganzen vorzüglich.
Andern Nachfolgern scheint die Weise Niccolò’s mehr imponirt
zu haben als dem eigenen Sohn desselben. So dem Verfertiger der
Kanzel von S. Giovanni fuoricivitas in Pistoja (1270), an welcherc
sich wieder einige direkte Nachahmungen antiker Sarcophagfiguren
finden 1). Das Werk als Ganzes ist ziemlich geistlos, zum Beweis
dass man ein N. Pisano sein musste, um damals mit der Antike etwas
Rechtes anzufangen.
Wo diese Zeit eigentlich hinauswollte, zeigt sich klar und voll-
ständig in den Malereien Giotto’s und seiner Schule, auf deren Be-
sprechung (s. unten) wir hier der Kürze halb verweisen. Indess hat
die Sculptur hier nicht nur, wie gewöhnlich, die zeitliche Priorität
vor der Malerei voraus, sondern sie offenbart auch ganz eigenthüm-
liche Züge, welche Erörterung verlangen.
[566]Germanische Sculptur. Giovanni Pisano.
Es hatte sich seit der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts im
Norden derjenige Styl gebildet, welchen man gegenwärtig wegen sei-
nes innern Zusammenhanges und gleichzeitigen Entstehens mit der
germanischen oder gothischen Baukunst den germanischen nennt.
Im Wesentlichen ist er eine Umbildung des bisherigen romanischen
nach strengern architektonischen Principien; die Sculptur wird von
der übermächtig gewordenen Baukunst in die Schule genommen und
auf ganz bestimmte Functionen, auf gegebene Räume angewiesen.
Eine germanische Statue ist so zu sagen unvollständig ohne die Ni-
sche, für welche sie gedacht ist. Sie hat mit ihrer geradlinigen Ein-
fassung zu contrastiren durch ausgeschwungene Stellung; sie hat mit
der Gliederung, der Schattenwirkung derselben zu wetteifern durch
kräftigen und selbst scharfen Faltenwurf, überhaupt durch bestimmte
Fassung ohne weiche Zerflossenheit. Was ihr von Schönheit und
Ausdruck gegeben werden kann, concentrirt sich im Angesicht. Eine
vollständige und allseitige Durchbildung war hiebei zwecklos, sogar
unmöglich; doch hinderte diess nicht das Entstehen einer Anzahl
Sculpturen vom höchsten relativen Werthe, wie z. B. diejenigen aus
dem XIII. Jahrhundert an der Liebfrauenkirche zu Trier, am Strass-
burger Münster, in der Vorhalle des Münsters zu Freiburg etc.
Von diesen Werken scheint nun der Sohn des Niccolò, Gio-
vanni Pisano, den wir schon nebst dem Vater als Architekten
kennen, angeregt worden zu sein, entweder durch einen Aufenthalt in
Deutschland oder durch herübergekommene deutsche Künstler 1).
Allein die italienische Baukunst machte der nordischen im Ganzen
gerade diejenigen Zierformen nicht nach, welche im Norden die Um-
bildung in den germanischen Sculpturstyl motivirt hatten; und so war
auch die Aneignung des letztern selbst eine zwar kenntliche, aber doch
freie. Das Vorbild hätte auch lange nicht ausgereicht; Giovanni’s
Hauptgattung war, wie wir sehen werden, das reiche und bewegte
Relief, das gerade im Norden nur ausnahmsweise zu einer solchen
Anwendung gelangte. Bald darauf ging es in der Malerei ähnlich;
[567]Giovanni Pisano.
auch sie erhielt im Süden ungleich weitere Räume und freiere Auf-
gaben als im Norden.
Auf der Grenze des neuen Styles stehen die biblischen Reliefs,
mit welchen die untern Theile der Fassade von Orvieto (seita
1290) bedeckt sind. Es ist noch die Schule Niccolò’s, doch schon
vorwiegend unter dem Einfluss Giovanni’s. Eine Anzahl ihm selbst
zugeschriebener Scenen zeigen zuerst in der italienischen Kunst eine
selbständige Composition im höhern Sinne mit kenntlichem Linien-
gefühl; diess wohl eher eine Frucht der Thätigkeit seines Vaters als
der nordischen Einwirkung. Aber schon zeigt sich auch der Cha-
rakteristiker und der Darsteller des dramatischen Ausdruckes um
jeden Preis, dem später auch das Heftige und Hastige zur Gewohn-
heit wird.
Schon etwas früher (um 1280) hatte er die untere Schale desb
grossen Brunnens in Perugia1) mit jener Masse von biblischen, al-
legorischen und parabolischen Relieffiguren geschmückt. Vortrefflich
lebendige Bewegungsmotive und glückliche Anordnung im Raum geben
ihnen einen höhern Werth als die noch etwas schwankende plastische
Behandlung.
Nur wenige sichere Werke sind aus Giovanni’s reifster Zeit vor-
handen. Als Architekt in ganz Italien beschäftigt, brachte er wohl
auch seine plastischen Grundsätze überall hin (was freilich eher zu
vermuthen als zu beweisen ist), behielt aber gewiss wenig Musse für
eigene Arbeiten.
Der Hochaltar im Dom von Arezzo ist in decorativer Be-c
ziehung ein merkwürdiges Denkmal der Ziellosigkeit, welche dem
Italienisch-Gothischen anhing, als es die Consequenzen seiner nordi-
schen Vorbilder verschmähte (S. 163); neben deutschen Altarwerken,
welche die Kirche selbst in leichter, idealer Durchsichtigkeit nach-
ahmen, könnte er auf keine Weise bestehen. In den Reliefs und
Statuetten aber, womit das Werk bekleidet ist, erscheint Giovanni
Pisano als Bildhauer auf seiner vollen Höhe. Es ist kaum möglich,
diese Geschichten der Ortsheiligen und der Maria, diese Halbfiguren
[568]Germanische Sculptur. Giov. Pisano.
von Propheten und Engeln, diese Apostelgestalten für die gegebe-
nen Räume geistvoller zu componiren.
Keine andere Schöpfung bezeichnet aber die Sinnesweise Gio-
vanni’s deutlicher als die Kanzel in S. Andrea zu Pistoja (1301),
ein kleines Werk, doch überquellend von geistigem Reichthum, der
die formale Überladung vergessen lässt. In den Reliefs ist die Klage
der Mütter von Bethlehem, die Gruppe der Frauen unter dem Kreuz
in ihrer Art unvergleichlich; von den Eckstatuetten geben die Si-
byllen, tief erregt von den Einflüsterungen der sie begleitenden Engel,
das Höhenmass des Ausdruckes, welcher dem grossen Meister zu Ge-
bote stand. Die anatomische Schärfe des Nackten zeigt allerdings
u. A., dass sein Ziel ein einseitiges war. — Immerhin möchte diese
Kanzel sein reifstes Werk und z. B. derjenigen im Dom von Siena,
welche ähnliche Motive unsicherer durchführt, weit vorzuziehen sein.
Es folgt das schon bei den Decorationsarbeiten erwähnte Grab-
bmal Benedicts XI. († 1304) in S. Domenico zu Perugia, mit der
edeln liegenden Statue des Verstorbenen; auch die den Vorhang
ziehenden Engel in ihrem lebendigen Schreiten sind vortrefflich; die
obern Statuetten schon mehr conventionell.
Das letzte grössere Werk (1311), die Kanzel im Dom von Pisa,
wurde später auseinandergenommen; die einzigen sichtbaren Stücke
findet man eingemauert theils noch an der Kanzel selbst (man beachte
auch die beiden Löwen), theils auf einer der obern Galerien des Do-
dmes. (Die sechs Reliefs über den Thronen im Chor, von welchen
man die beiden mittlern für Giovanni’s Werk halten könnte, sind von
spätern Künstlern der Schule.) Ein Übergang in das Gesuchte und
Manierirte ist hier im Ganzen nicht zu verkennen; die Eckfiguren
haben schon etwas gewaltsam Interessantes, worin auch die kenntliche
Verwandtschaft Giovanni’s mit Michelangelo liegt.
Noch in seiner Blüthezeit aber hat Giovanni in der Madonna
ezwischen zwei Engeln (Lunette der zweiten Südthür am Dom von
Florenz) den Typus der Himmelskönigin so festgestellt, wie er von
der ganzen Sculptur des germanischen Styles reproducirt werden konnte.
Es ist eine schöne und reiche Bildung, eine Fürstin, grandios einfach
gehalten, aber ohne irgend einen besondern Zug schwärmerischer In-
nigkeit. Sonst geht Giovanni, auch wo er ruhig bleibt, nicht auf
[569]Giovanni Pisano.
eigentliche Schönheit aus; im Nackten ist er Naturalist, in den Köpfen
mehr lebendig und (wo der Gegenstand es gestattet) jugendlich voll,
als holdselig. Immer aber sind die conventionellen byzantinischen, die
rohen romanischen Formen durch seinen Vater und durch ihn ent-
schieden beseitigt.
In Pisa selbst werden dem Giovanni noch mehrere Madonnen
zugeschrieben: diejenige auf dem Vordergiebel des Domes; die thro-a
nende Madonna mit Engeln in dem Baldachin über der einen Thürb
des Camposanto (für ihn zu leblos). (Vasari führt noch andere Ma-
donnen an.)
Einen nahen Anspruch auf seinen Namen möchten die Propheten-
figuren in den Füllungen zweier Beichtstühle zu S. Micchele in Borgoc
haben.
Wie weit die ihm beigelegten Arbeiten im Camposanto ihmd
angehören, ist schwer zu entscheiden. Am ehesten wohl die edle
Statuette des Petrus (bei II.), vielleicht auch die bedeutende Gruppe
(N. 47) einer Caritas, über den zusammengestellten Figuren der vier
Cardinaltugenden, so viel harte Manier auch darin sein mag; sie könnte
etwa für hohe, entfernte Aufstellung berechnet gewesen sein. (Die
Nackte von den untern Figuren verräth die Nachbildung eines Venus-
motives, in Giovanni’s Formen.) Auch bei dem Heiligen mit der
Wage (N. 136) über einer Basis mit den sieben freien Wissenschaften
(nebst der Philosophie als Königin) wird man am ehesten an Giovanni
denken dürfen. Vollends kann der barocke Hercules (N. 2) kaum von
einem andern sein als von dem Sohne Niccolò Pisano’s; Kopf und
Seitenprofil des Ganzen sind der Antike entnommen, die magere Bil-
dung durchaus naturalistisch.
Auch das Weihbecken mit den Statuen der vier Evangelisten ime
rechten Querschiff des Domes steht der Art Giovanni’s noch sehr nahe.
In Padua findet sich noch ein bezeichnetes Werk Giovanni’s:
„Joh’is magistri Nicoli“; nämlich das Grabmal des Errico Scrovegnof
hinter dem Altar in Madonna dell’ Arena (1321). Maria, im Gespräch
mit dem ganz bekleideten Kinde auf ihrem Arm, und die beiden En-
gel sind nicht bloss in der Art, sondern recht sehr in der Manier
des Meisters; die Statue des Verstorbenen dagegen ist als eines der
frühsten Werke welche seit Untergang der römischen Kunst den Na-
[570]Germanische Sculptur. Schule von Pisa.
men eines vollendeten Porträts verdienen, von grossem Interesse; im
Eifer des neugewonnenen Kunstvermögens hat Giovanni den Kopf und
die Hände so im Einzelnen charakterisirt, wie etwa Balth. Denner
zu thun pflegt.
Von seinen mit Namen genannten Schülern und Nachfolgern wird
das Sichere unten aufgezählt. Seine Schule als Ganzes aber giebt sich
in den zahlreichen Sculpturen des XIV. Jahrhunderts in und ausser-
ahalb Pisa kund. In Florenz gehören z. B. die Statuetten mehrerer
Gräber zu S. Croce wahrscheinlich hieher; die grosse plastische Werk-
statt war eben damals überhaupt Pisa und nicht Florenz, sodass
auch die geborenen Florentiner dort Lehre und Anregung empfangen
mochten.
In Pisa haben, wie es scheint, verschiedene Schüler noch bei
Giovanni’s Lebzeiten die vielen Statuetten an der Aussenseite der
bvon ihm erbauten S. Maria della Spina verfertigt, die denn auch
von sehr verschiedener Güte sind. Ganz trefflich und rein einige der
zwölf gegen den Christus in der Mitte gewendeten Apostel, auch
einiges am vordern Giebel.
Noch unter Giovanni’s Einfluss möchte auch die liegende Grab-
cstatue Heinrichs VII im Camposanto mit dem edel gewendeten
Haupt und dem ganz vorzüglich drapirten Kaisermantel gearbeitet
sein; die Apostel am Sarcophag zeigen unmittelbar den Styl seiner
Schule. (Die sitzende Statue desselben Kaisers am andern Ende des
Gebäudes ist nebst ihren Begleitern ein rohes Werk dieser Zeit.)
Die spätere Zeit der Schule giebt sich u. a. durch ein zierliches
Raffinement der Gewandung kund, wie diess z. B. an der schönen
d(verstümmelten) Madonna im Camposanto N. 179 zu bemerken ist,
auch an der Gruppe eines Apostels mit zwei Propheten N. 69 u. s. w.
Alles in Allem gerechnet, ist Giovanni der einflussreichste Künst-
ler seiner Zeit gewesen. Ohne ihn hätte es keinen Giotto gegeben
oder einen andern und befangenern. — Giotto verdankt ihm gewiss
mehr als seinem Lehrer Cimabue.
[571]Arnolfo. Sienesen. Cosmaten.
Von den Mitgenossen Giovanni’s, die wir uns hauptsächlich beim
Dom von Orvieto um ihn versammelt denken dürfen, ist der als Bau-
meister berühmte Florentiner Arnolfo del Cambio mit grösserer
Befangenheit auf den germanischen Sculpturstyl eingegangen. Am
Brunnen von Perugia beweisen es die Statuetten der mittlern Schale;a
sie stehen als fühlten sie Nischen um und über sich. Auch die Fi-
guren an den Tabernakeln von S. Paul und S. Cecilia in Rom habenb
bei würdiger Gemessenheit doch etwas Unfreies, das von Giovanni’s
Art weit abweicht.
Agostino und Angelo von Siena, die Erbauer der hintern
Fronte des dortigen Domes (S. 135) haben ausser ihrer Mitarbeit in
Orvieto nur ein Hauptwerk hinterlassen, von nur zweifelhaftem Werthe.
Die Sculptur ist schon seit der Trajanssäule immer in Verlegenheit
gewesen, wenn sie eine Übermasse von Thatsachen an einem und dem-
selben Denkmal verewigen sollte. So haben sich auch die Beiden we-
nig zu helfen gewusst, als sie 1330 das Mausoleum des politisch und
kriegerisch berühmten Bischofs Guido Tarlati im Dom von Arezzoc
(Seitenschiff links) arbeiteten. Die übliche Form — eine Nische mit
Sarcophag und Giebel — behielten sie vergrössert bei und erzählten
dem Beschauer in vier Reihen von je vier Reliefs übereinander die
Thaten des Helden. Da Vasari’s Aussage sich streng genommen nur
auf die Anordnung des Grabes im Ganzen bezieht, so möchte es wohl
zweifelhaft bleiben, dass Giotto zu diesen ziemlich ungeschickten Com-
positionen die einzelnen Zeichnungen geliefert habe. Viel besser sind
die zwischen den Reliefs angebrachten Statuetten.
Auch die letzten Cosmaten wurden sowohl decorativ als pla-
stisch vom Styl und vielleicht vom persönlichen Einfluss Giovanni’s
berührt und die oben erwähnten Prälatengräber in der Minerva und ind
S. Maria maggiore zu Rom (S. 166, b und c) möchten leicht zum Lie-e
benswürdigsten der ganzen Richtung gehören. Die stille Weihe, welche
über diesen nur aus wenigen aber schön geordneten Elementen be-
stehenden Denkmälern ruht, hat der ungleich vielseitigere Meister mit
seinem Reichthum nie erreicht. — (Die Statue Carls von Anjou, ehe-f
mals im untern Saal des Senatorenpalastes auf dem Capitol, wo sie
indess 1853 nicht mehr zu finden war, ist ein im Ganzen sehr un-
genügendes, aber als Porträt wichtiges Werk, von unbekannter Hand.)
[572]Germanische Sculptur. Giotto.
Von Giotto selbst, und zwar aus den letzten Jahren seines Le-
abens (1334—36) sind die sämmtlichen Reliefs an den beiden untern
Stockwerken des Campanile beim Dom von Florenz entworfen und
zum Theil selbst in Marmor ausgeführt (die übrigen von Andrea Pi-
sano und Spätern). Composition und plastischer Styl erregen hier
ein geringeres Interesse als der Inhalt, welcher eine Art von Ency-
clopädie alles profanen und heiligen Thuns der Menschen zu geben
sucht. Das Einzelne findet man u. a. in Försters Handbuch verzeich-
net. Bei Anlass der Malerei werden wir auf die Anschauungsweise
zurückkommen, welche dergleichen Aufzählungen in der damaligen
Kunst hervorrief (dergleichen auch der Brunnen von Perugia eine
liefert). Jede Kunstepoche braucht einen Gedankenkreis dieser Art,
an dem sich die Form entwickeln und äussern kann und der zugleich
an sich ein bedeutendes culturgeschichtliches Zeugniss ist. Manche
überschätzen ihn wohl auch und legen eine Tiefe hinein, die nicht
darin ist.
Bei diesem Anlass eine Bemerkung über den Unterschied der
christlichen und der antiken Symbolik überhaupt. Die christliche ist
nicht volksthümlichen Ursprunges, nicht mit der Religion und mit der
Kunst von selbst entstanden wie die antike, sondern durch Combina-
tion und Abstraction Gelehrter und Wissender aus den verschiedensten
Stellen der Bibel gewonnen. Schon desshalb hat sie nur eine bedingte
Gültigkeit in der Kunst erreicht. Nun kam aber noch aus der gelehrten
Theologie und Philosophie ein starkes Contingent abstracter allegorischer
Begriffe hinzu, welche ebenfalls von der Kunst eine sinnliche Belebung
verlangten. Schon im Alterthum kömmt Ähnliches vor, aber anspruch-
loser und weniger buchmässig. Wenn man aber inne wird, welchen
heiligen Ernst und welche Treue Giotto und die Seinigen diesem Ge-
dankenkreise widmeten, so bleibt kein Zweifel, dass sie davon über-
zeugt und beglückt waren. Die Gegenstände sind zeitlich bedingt,
wenn nur das Gefühl, welches die Künstler daran knüpfen, ein un-
endliches ist! —
Ihre plastischen Aufgaben waren allerdings viel einfacher als
diejenigen auf dem Gebiete der Malerei. Es ist die immer von Neuem
dargestellte Madonna zwischen anbetenden Engeln, meist in der Hal-
tung, die ihr Giovanni Pisano gegeben, ohne irgend ein Streben nach
[573]Andrea Pisano. Nino.
besonderm Pathos oder besonderer Verklärung, aber immer schön und
bedeutend, und in der Arbeit gewissenhaft; dieser Typus bildet die
feste Basis, ohne welche vielleicht die freisten, herrlichsten Madonnen
des XVI. Jahrhunderts nicht so vorhanden wären wie sie sind. So-
dann wurden biblische und auch legendarische Scenen im Relief be-
handelt, und auf diesem Gebiet einzelne Aufgaben so vollendet geist-
voll gelöst, wie vielleicht seither nie wieder.
Gerade der nächste, den wir hier zu erwähnen haben, Andrea
Pisano, übertrug das Darstellungsprincip Giotto’s, unter dessen
nächstem Einfluss er arbeitete, mit wahrhaft hohem Bewusstsein in
die bedingtern Formen der plastischen Kunst. Von ihm ist die ehernea
Südthür am Baptisterium zu Florenz (1330 oder wenig später) mit
den Geschichten Johannes des Täufers. Hier ist ein Fortschritt auch
über Giovanni hinaus; zwar wird dessen Detailbelebung schon des
kleinern Massstabes wegen nicht erreicht, allein die Grenzen des Re-
liefs sind hier viel richtiger erkannt und festgehalten. Es ist vielleicht
die reinste plastische Erzählung des ganzen germanischen Styles; An-
drea giebt das Seinige wunderbar in Wenigem, mit dem sichersten
Gefühl dessen was in dieser Gattung überhaupt zu geben war, wäh-
rend Giovanni mit seinem Reichthum sich überstürzt hatte. Die Heim-
suchung, die Enthauptung, die Überreichung des Hauptes (bloss zwei
Figuren), die Grabtragung, die Grablegung des Johannes sind Motive
von einfachster Schönheit. Die acht theologischen und moralischen
Tugenden in den untern Feldern können ebenfalls in ihrer Art einzig
heissen, vor allem die Figur der „Hoffnung“. — Die drei Propheten-b
statuen am Campanile (Südseite) sind in ihrer Art viel weniger be-
deutend.
Andrea’s Sohn, Nino Pisano, erscheint eigenthümlich getheilt.
Im Styl der Gewandung möchte er wohl durch Adel, Gemessenheit
und schöne Durchführung den Höhepunkt der pisanischen Schule be-
zeichnen; auch in den Stellungen seiner ruhigen Figuren hat er nichts
von dem Gesuchten, was z. B. den spätern Arbeiten Giovanni’s nach-
geht; dafür ist seine Bildung der Köpfe und Hände schon auffallend
realistisch. Auf dem Hauptaltar von S. Maria della Spina in Pisa istc
nicht nur der Petrus mit starken Adern der Hände, mit gerunzelter
Stirn, sondern auch die Madonna mit allerlei Zügen einer nicht mehr
[574]Germanische Sculptur. Pisa. Siena.
jungen Frau dargestellt; auf der andern Seite Johannes der Täufer.
a— Die gegenüberstehende Reliefmadonna des kleinern Altars (in der
Handlung des Säugens) zeigt eine etwas idealere Bildung. — In S.
bCaterina (Cap. rechts neben dem Chor) ein Engel Gabriel und eine
Madonna, ersterer eine der schönsten pisanischen Statuen, auch letz-
tere von trefflicher Arbeit aber einem nichts weniger als hohen Typus
(1370). An dem dortigen Erzbischofsgrab (links neben der Thür),
vom Jahr 1342, möchten doch wohl nur die untern Reliefs von Nino
sein; die obern Figuren sind zu ungeschickt.
Weniger eigenthümlich als Nino ist sein Bruder Tommaso Pi-
csano. Von ihm ist der Altar N. 33 im Camposanto und die kleine
Madonna N. 172, gute fleissige Arbeiten.
Den Ausgang der pisanischen Schule in die Art des XV. Jahr-
dhunderts, etwa in der Art des Quercia, bezeichnen ein paar Reliefs
in S. Sisto zu Pisa. (Sonstige pisanische Sculpturen s. S. 570.)
Die damaligen sienesischen Bildhauer, gleich Agostino und
Agnolo mehr von Giovanni Pisano’s Geist als von dem der gleich-
zeitigen Maler ihrer Stadt berührt, haben einige nicht unbedeutende
eWerke hinterlassen. Die Sculpturen an der Fassade des Domes, theils
von dem frühern Bau entlehnt, theils modern, geben keinen Massstab.
fIm Dom von Pistoja (rechts) ist das Grabmal des Rechtsgelehrten
Cino (1337) eine naive Arbeit des Sienesen Cinello; der Verstorbene
gist als Docent nebst Zuhörern dargestellt 1). Im Dom von Florenz
sieht man gegen Ende des rechten Seitenschiffes oben auf einem Aus-
bau schwebend ein Bischofsgrab von dem Sienesen Lino di Camaino,
mit gutem Relief, sonst merkwürdig durch die für diese Höhe mit
Recht sitzend, aber als sitzende Leiche gebildeten Bischofsstatue. —
Von Lino ist auch das mehr decorativ wichtige Grabmal des Bischofs
[575]Siena. Spätere Florentiner. Orcagna.
Aliotti im rechten Querschiff von S. Maria novella (die Reste seinesa
Altars im rechten Querschiff des Domes von Pisa habe ich nicht fin-
den können). — Ein ganz später Sieneser, der sich Ego Jacobus
magistri Petri de senis 1422 unterzeichnet, und den man nach Va-
sari’s (schwerlich richtiger) Annahme für Jacopo della Quercia (s.
unten) hält, schuf den Altar der Sacramentscapelle in S. Frediano zub
Lucca, Madonna zwischen vier Heiligen in gothischen Baldachinen,
deren Spitzen in Halbfiguren von Propheten auslaufen, anmuthvolle
germanische Figuren, deren späte Entstehung sich nur durch das über-
mässige Faltenwerk verräth. (Die Reliefs der Predella sind dann
wieder für Quercia zu frei und zu entwickelt; sie erinnern eher an
die Arbeiten eines Benedetto da Majano.)
Von Niccolò Aretino sind zwei unter den Statuen der Pa-c
triarchen am Campanile zu Florenz (Ostseite) und die Lunettengruppe
an der Misericordia zu Arezzo, mittelgute Arbeiten. Bei weitemd
origineller die sitzende Statue des Marcus im Dom zu Florenz (erstee
Chorcapelle links).
Im Innern des Bigallo zu Florenz (jetziger Archivraum) ist einef
Madonna zwischen zwei manierirten Engeln, von Alberto di Ar-
noldo (um 1360), ein mehr fleissiges als geistvolles Werk. (Die
kleine Madonna aussen am Gebäude wird dem Nic. Pisano beigelegt,
was auf sich beruhen mag. Die Füllfiguren der Architektur, Prophe-
ten und Sibyllen, sind ziemlich roh gegebene Schulmotive.)
Weit der bedeutendste der Schule in der zweiten Hälfte des XIV.
Jahrhunderts ist hier wie für die Malerei Andrea (di Cione, ge-
nannt) Orcagna (1329—89). Die Sculpturen seines berühmten und
überaus prächtigen Tabernakels in Orsanmicchele (1359) sind schong
sachlich wichtig als Inbegriff dessen, was sich von kirchlicher Sym-
bolik an Einem Kunstwerk zusammenstellen liess. Im plastischen
Styl ist Orcagna wie A. Pisano dem Giovanni Pisano durch Ruhe
und Gemessenheit überlegen; die Figuren stehen auch in einer höhern
Linienharmonie mit der Decoration; allein die Formenschönheit er-
scheint als eine etwas allgemeine und nicht ganz lebendige. (Das
Bedeutendste einige köstliche Füllfiguren an den Pfeilern und das
[576]Germanische Sculptur. Goldschmiedearbeit.
Relief der Rückseite.) — Nach meinem Dafürhalten haben die Relief-
amedaillons der Loggia de’ Lanzi (Tugenden 1) und Madonna, nach
1375) einen höhern und reinern Schwung; schon die verwitterten
bAussenstatuetten an den Fenstern von Orsanmicchele, wahrscheinlich
ebenfalls von Orcagna, sind denjenigen des Tabernakels zum Theil
mindestens gleich an Werthe. (Es stehen ähnliche auch innen am
Stabwerk der Fenster, allein so beleuchtet, dass man kaum ihr Da-
sein bemerkt.)
Von einem Nachahmer Orcagna’s (nicht von Andrea Pisano, wie
cman schon gemeint hat) ist der Taufstein im Baptisterium, dessen
figurenreiche Reliefs, lauter Taufen darstellend, des Formates wegen
sehr langgestreckte Gestalten zeigen. Dabei eine fleissige und nicht
geistlose Arbeit.
Von einem späten Trecentisten, Simone da Fiesole, mag die
dthronende Madonna in Orsanmicchele (Wandnische links) wenigstens
erwähnt werden, als Specimen dieser Art.
Prachtarbeiten wie der silbervergoldete Altar im Dom von Pistoja
(hintere Capelle rechts, gewöhnlich verdeckt) bilden in den Zeiten
einer blühenden Steinsculptur nicht mehr eine die Kunst bestimmende
Gattung, sondern hängen von dem Bildungsgrad der Steinsculptur ab
und kommen den Werken derselben nicht einmal durchgängig gleich,
weil der enge Raum und der kostbare Stoff den Künstler bindet.
Eine streng chronologische Besichtigung ist indess bei einem Werke,
an welchem das ganze XIV. und XV. Jahrhundert hindurch ciselirt
wurde, immer sehr lehrreich. (Das Beste enthält wohl die untere
Tafel rechts, von Leonardo di Ser Giovanni, 1366.) Der ehemalige
decorative Zusammenhang des Ganzen, als der Altar noch frei stand,
fbleibt zweifelhaft. — Den Silberaltar im Baptisterium zu Florenz, von
ähnlichem Werth, hat der Verfasser nicht gesehen.
Von einem späten Florentiner dieser Richtung, Andrea da Fie-
sole (der mit dem 100 Jahre jüngern Andrea Ferrucci nicht zu ver-
[577]Bologna und Ferrara.
wechseln ist) sind einige Denkmäler in Bologna zu beachten, meist
Professorengräber der oben (Seite 574, g) beschriebenen Gattung. So
eines des Juristen Saliceti (1403) im Klosterhof von S. Martino mag-a
giore; ein anderes des Bartolommeo Saliceti (1412) im Klosterhof vonb
S. Domenico; (die Eckstatuen und oben der zweite Apostel neben der
Madonna fehlen; das Relief der Zuhörer und die Putten an den Con-
solen unten sind gut und lebendig, die liegende Statue weniger).
Von ähnlichem Styl, doch schon mehr in der Art des XV. Jahr-
hunderts, das vortreffliche Grabmal des Juristen Antonio Bentivoglioc
im Chorumgang von S. Giacomo maggiore; von den Statuetten sind
zumal die der vier Tugenden lebendig und ausdrucksvoll.
Die sonstigen bolognesischen Sculpturen germanischen Styles sind
meist ebenfalls von Fremden gearbeitet. Unter den Urhebern der
ziemlich unbedeutenden Heiligenbrustbilder am Sockel von S. Petroniod
wird auch ein Deutscher, Hans Ferrabech genannt, welchem der
S. Paulus angehört. Von dem Venezianer Jacopo Lanfrani ist
das Denkmal des Taddeo Popoli in S. Domenico, Nebencapelle dese
linken Querschiffes, vom Jahr 1347, und dasjenige des Juristen Cal-f
derini, † 1348, im dortigen Klosterhof; beides befangene Arbeiten.
Sonst geben z. B. die Sculpturen am obern Theil des Dompor-g
tals zu Ferrara einen Massstab für dasjenige, was etwa um 1300
unabhängig von den Pisanern in diesen Gegenden erreicht wurde.
(Madonna; das Weltgericht als Fries; drüber im Giebel der Welt-
richter mit Heiligen und musicirenden Ältesten; weiter unten zu
beiden Seiten Abrahams Schooss und der Schlund der Hölle.) Bei
mancher Ungeschicklichkeit sind doch Köpfe und Gewandmotive fast
durchgängig energisch und in ihrer Weise schön, das Ganze völlig
aus Einem Guss.
Nächst Pisa ist wohl Venedig derjenige Punkt Italiens, wo die
Sculptur des germanischen Styles ihre wichtigste Werkstätte hatte.
Alle venezianische Malerei des XIV. Jahrhunderts, sowohl die noch
byzantinische als die halb giotteske, steht an innerer Bedeutung hinter
der gleichzeitigen Sculptur zurück. Die mangelnde Grossräumigkeit der
B. Cicerone. 37
[578]Germanische Sculptur. Venedig. Calendario.
Gebäude führte bei sonst reichen Mitteln von selbst auf einen Ersatz
durch plastischen Schmuck, und bei einem so durchgehenden Bedürf-
niss konnte sich auch eine Schule und eine Tradition entwickeln.
Eine gewisse Einwirkung von der pisanischen Schule her ist wohl
anicht zu läugnen. Man sieht am vordern Portal von S. Maria de’
Frari eine treffliche Madonnenstatue, welche von Niccolò Pisano
sein soll, der bekanntlich durch den Bau dieser Kirche zuerst den
germanischen Baustyl nach Venedig brachte (S. 137, c). Aus der pi-
sanischen Schule ist sie jedenfalls, und vielleicht existirt noch Ande-
res mehr von dieser Art 1). Ausserdem aber hat der Norden, wie auf
Giovanni Pisano, so auch auf die venezianischen Sculptoren einge-
wirkt, und zwar auf diese sehr unmittelbar. Man erkennt diesen Ein-
fluss in der eigenthümlichen Rundung der jugendlichen Köpfe, in der
grössern Strenge der Gewänder, in den ausgeschwungenen Stellungen
(vgl. Seite 566), welche bei den Pisanern ebenfalls, aber in einer an-
dern Nuance vorkommen. Das Wesentliche aber ist, dass dieser Styl
an einer ganzen Anzahl von Werken mit Geist und Leben gehand-
habt wurde.
Die geschichtlichen Anhaltspunkte sind nur spärlich vorhanden,
oder dem Verfasser nicht genügend bekannt. — Der erste notorische
Meister ist Filippo Calendario, welcher um 1350 den Dogen-
palast erbaute und mit Sculpturen versah. Es sind diess grössere
bRelieffiguren an den Ecken (Taufe Johannis, Sündenfall, Engel etc.),
und ganz besonders die figurirten Capitäle der untern Ordnung. Wenn
auch die geistvollsten und zierlichsten — unläugbar diejenigen zu-
nächst bei S. Marco — erst von spätern Meistern sein sollten; so ent-
halten doch auch die übrigen (gegen die Riva und die ersten gegen
die Piazzetta hin) eine Menge von originell gewendeten, ausdrucks-
vollen Figürchen (meist allegorischen Inhaltes). Die Hochreliefgruppe
„Salomo’s Urtheil“, an der Ecke gegen S. Marco, ist als Ganzes un-
geschickt, im Einzelnen aber sehr würdig und wohl nicht viel später
als Calendario 2).
[579]Venedig. Die Massegne.
In die letzten Jahrzehnde des XIV. Jahrhunderts fällt dann die
Thätigkeit der Brüder Jacobello und Pierpaolo delle Mas-
segne von Venedig. Von ihnen sind die vierzehn Statuen der Apo-a
stel mit Maria und S. Marcus, welche in S. Marco auf dem Geländer
stehen, das den Chor vom Querbau abschliesst; ebenso das Dogengrab
Antonio Venier im linken Querschiff von S. Giovanni e Paolo; ausserdemb
möchte ich ihnen das schöne Lunettenrelief über dem Eingang zum Vor-c
hof von S. Zaccaria (Madonna mit Johannes dem Täufer und S. Marcus)
und in der Taufcapelle von S. M. de’ Frari (sog. Cap. S. Pietro, links)d
die fünf Statuen an der Wand über dem Taufbecken, sowie die fünf
obern Halbfiguren des dortigen Altars zuschreiben. (Die fünf untern
ganzen Figuren sind etwa 60 Jahre neuer.) Vielleicht dürfen wir auch
die ehemalige Decke der Pala d’oro im Schatz von S. Marco hieher-e
rechnen; sie enthält (in vergoldeter getriebener Arbeit) die Gestalten
der Apostel 1). — Mit einer meist etwas gedrungenen Bildung wird man
in den genannten Werken eine ernste Anmuth, einen gediegenen Aus-
druck und jenen idealen Schwung der Gewandung verbunden finden,
den die Pisaner durch eine mehr zierliche Lebendigkeit ersetzen.
Den Mastro Bartolommeo, welcher den Übergang in den
Styl des XV. Jahrhunderts bezeichnet, versparen wir auf die fol-
gende Periode. — Von der grossen Menge anonymer Arbeiten germani-
schen Styles, welche bis in die ersten Jahrzehnde des XV. Jahrhun-
derts herabreichen, sind hauptsächlich diejenigen an S. Marco hervor-
zuheben.
Und zwar wird es hier wohl gethan sein, den ganzen ältern pla-
stischen Vorrath dieses wundersamen Gebäudes im Zusammenhang zu
37*
[580]Germanische Sculptur. Venedig.
besprechen. Ein grosses Stück der Geschichte der Sculptur lässt sich
hier mit Beispielen aus den verschiedensten Jahrhunderten belegen.
Zunächst sollen antike Bildwerke daran vorkommen. Es ist mög-
lich, dass unter den Kleinigkeiten, die an der Nordseite eingemauert
sind, sich etwas der Art befindet; dagegen sind die beiden Reliefs mit
Thaten des Hercules an der vordern Fassade wohl nichts anderes, als
sehr merkwürdige Versuche eines wohl noch mittelalterlichen Bild-
hauers (XIV. Jahrhundert?), griechische Reliefs nachzuahmen.
Altchristlich ist sodann der Architrav des äussersten untern Fas-
sadenfensters links; — er bezeichnet das äusserste plastische Unver-
mögen vielleicht des X. Jahrhunderts, das sich nur durch Zusammen-
setzung alter (und schlechter) Sarcophagbruchstücke zu helfen wusste,
um ein Stück biblischer Geschichte zusammenzubringen. Desselben
Styles ist wohl auch die Reliefplatte in der Capelle Zeno (rechts), so
wie einiges an der Nordseite der Kirche; der zum Dogengrab (Mo-
rosini) benützte Sarcophag in der Vorhalle zeigt diesen Styl gänzlich
barbarisirt.
Inzwischen griff Byzanz dem plastisch verwahrlosten Venedig
unter die Arme, durch übersandte oder von griechischen Bildhauern
an Ort und Stelle gearbeitete Reliefs (Seite 555) 1). Die Madonna in
cder Capelle Zeno (links) und die fast weggeküsste am ersten Pfeiler
des rechten Querschiffes gelten als Arbeiten aus Constantinopel; eine
Anzahl Reliefplatten mit Madonnen und einzelnen Heiligen in der
Kirche (an Pfeilern und Wänden vertheilt), dann die vier Reliefs zwi-
schen den fünf untern Hauptbogen der Fassade (Madonna, S. Deme-
trius, S. Georg und S. Michael) und diejenigen an den entsprechenden
Stellen der Nordseite sind eher venezianisch-byzantinisch, nur dass die
letztgenannten sich schon wieder mehr der abendländischen Weise
zuneigen.
[581]Sculpturen der Marcuskirche.
Neben der Thätigkeit der Byzantiner nämlich hatte sich auch der
ganz verkommene altchristliche Styl wieder aufgerafft; wir haben bereits
erwähnt, wie aus den Elementen des römischen Styles ein neuer ro-
manischer entstand, und dieser scheint nun in Venedig geraume Zeit
neben dem byzantinischen einhergegangen zu sein. Sein erstes Lebens-
zeichen sind die peinlich mit Geschichten bedeckten Säulen, welchea
den Tabernakel des Hochaltares tragen; vielleicht eine Reminiscenz
der Trajanssäule, nur nicht in der Spiralfolge, die z. B. S. Bernward
seinen Reliefs an der Säule auf dem Domplatz zu Hildesheim glaubte
geben zu müssen. (Ungefähr gleichzeitig, im XI. Jahrhundert.) An-
deres dagegen ist von ausgebildetem, zum Theil sehr gutem romani-
schem Styl, wie denn diese merkwürdige Kirche auch im Bereich
der Mosaiken neben vorherrschenden byzantinischen Compositionen
auch ein ausgedehntes Denkmal romanischer Malerei — die Mosaiken
in der Vorhalle — aufweist.
Diese romanischen Sculpturen finden sich an der Bogeneinfassungb
der mittlern Hauptthür (Tugenden, Sibyllen, Verrichtungen der Monate)
und an derjenigen des Portals der Nordseite (Propheten, Engel, Hei-
lige, nebst einer noch halbbyzantinischen Geburt Christi in dem birn-
förmigen Felde über der Thür). Auch die vier vergoldeten Engel
unter der Mittelkuppel und derjenige an dem einen Pult gehören hie-
her. — Einen Übergang in den germanischen Styl zeigt dann die Bogen-
einfassung der Nische über der mittlern Hauptthür (sitzende und leh-
nende Propheten, eine Menge von Gewerken und Verrichtungen, die
hiemit in den Schutz des heil. Marcus befohlen werden); auch die
vier Statuetten in der Capelle Zeno, dem Altar gegenüber, gehören
diesem Übergangsstyl, d. h. etwa der ersten Hälfte des XIII. Jahrhun-
derts an. Zwar ist hier nichts, was mit der plastischen Sicherheit und
Fülle eines Bened. Antelami (Seite 562) wetteifern könnte, allein als
belebte und sorgfältige Arbeiten verdienen zumal die letztgenannten
Bogeneinfassungen alle Beachtung.
Für den vollendeten germanischen Styl Italiens ist sodann die
Marcuskirche eines der wichtigsten Gebäude ausserhalb Toscana’s. Im
XIV. Jahrhundert erhielten die halbrunden obern Abschlüsse derc
Kirche ihre prächtige Bekleidung mit dem schwungreichen durchbro-
chenen Laubwerk, den Spitzthürmchen und einer Menge von Statuen
[582]Germanische Sculptur. Venedig. S. Marco.
aund Halbstatuen. Von den Figuren auf den mittlern Blumen der Ab-
schlüsse sind diejenigen an der Vorderseite modern, mit Ausnahme
der mittlern, eines sehr würdigen segnenden Christus; an der Süd-
und Nordseite scheinen sie sämmtlich gut germanisch. Ebenso die
Statuen in den Spitzthürmchen, welche nur etwas zu weit zurückste-
hen; treffliche Arbeiten, die sich dem Styl der Massegne nähern. Die
aus dem Laubwerk hervorspriessenden Halbfiguren von Propheten
und Sibyllen haben in ihrer Beweglichkeit eher etwas mit den Figür-
chen an Calendario’s Capitälen gemein; — ebenso auch die Bogen-
einfassung des obern Mittelfensters (Geschichten des alten Testamentes
und Heilige unter Baldachinen). Endlich gehen die trefflich belebten
Urnenträger unter den Spitzthürmchen als freie Stellvertreter der wasser-
speienden Thiere schon beinahe über die geistigen Grenzen des ger-
manischen Styles hinaus, und wenn irgend eine Kunde der Vermu-
thung zu Hülfe käme, so wären sie erst etwa in die Zeit des Mastro
Bartolommeo zu setzen.
Im Innern sind die schon erwähnten Apostel der Massegne das
Bedeutendste. — Ausserdem enthalten zwei Sacramentschränke rechts
und links neben dem Chor (im Durchgang zur Nebencapelle) ein paar
artige Figürchen von Propheten und Engeln mit Leuchtern. — Die Sta-
btuen über den Säulenstellungen am Eingang beider Nebencapellen des
Chores scheinen von einem ungeschicktern Zeitgenossen der Massegne
herzurühren. — Die Capelle S. Isidoro fand Verfasser dieses neuerlich
sammt dem daselbst befindlichen Alter unzugänglich. Der schöne Altar
cin der Capella de’ mascoli — Madonna mit zwei andächtigen in der
Arbeit höchst vollendeten Aposteln — ist wohl erst aus dem XV.
Jahrhundert, etwa von einem der alten Weise treugebliebenen Zeit-
genossen des Mastro Bartolommeo; die Madonna selbst kein pisanisches
Werk, wofür sie gehalten wird, sondern ebenfalls venezianisch.
Ausserhalb von S. Marco gebührt der Preis dem Relief einer
dMadonna mit zwei anbetenden Engeln, in der Lünette einer Thür am
linken Querschiff der Frari. Wendung und Gestalt, zumal des Kin-
des, sind von einer lebensvollen Schönheit, wie sie in diesem Styl
selten wieder so vorkömmt.
Eine Anzahl Grabmäler vorzüglich in S. Giovanni e Paolo vol-
lenden das Bild dieses Styles. Wir nennen das Dogengrab Morosini
[583]Lombardei. Genua. Neapel.
(† 1382) im Chor rechts, mit tüchtiger Bildnissfigur und befangenern
Statuetten; — das Dogengrab Corner, im Chor rechts (von dem Ur-
heber der S. 582, b genannten Statuen?); — die Grabstatue des Do-
gen Michele Steno im linken Seitenschiff, mit dem höhnischen Aus-
druck u. a. m.
Über die Stylnuancen in den germanischen Sculpturen des alten
Herzogthums Mailand fehlte mir die eigene Forschung. Es wäre ein
verdienstliches Werk unter den 4000 Statuen des Domes von Mailanda
die schönen und alten (deren nicht wenige sind) aufzusuchen und zu
bezeichnen. — Die berühmtesten Heiligengräber sind: das des S. Pe-
trus Martyr in S. Eustorgio zu Mailand, von Giovanni di Bal-b
duccio 1339, — und die ausserordentlich reiche Arca di S. Agostinoc
im Dom von Pavia, begonnen 1362, vielleicht von demselben Bonino
da Campiglione, welcher (S. 167, c) bei den Gräbern der Scali-
ger erwähnt wurde.
Genua ist an dieser Stelle unglaublich arm im Verhältniss zu
seiner schon damaligen Bedeutung. Mit Ausnahme von drei Figuren
über dem rechten Seitenportal von Madonna delle Vigne habe ich nurd
ein Werk zu erwähnen: ein Bischofsgrab im Dom, zunächst beim zwei-e
ten Seitenportal rechts, in der Höhe, mit dem Datum 1336. Der auf
vier Löwen ruhende Sarcophag hat ein fast pisanisch schönes Relief:
der Auferstandene, welcher von den Jüngern erkannt und angebetet
wird. Auch die Grabstatue und die vorhangziehenden Engel sind gut.
Die neapolitanische Kunstgeschichte beruft sich hauptsäch-
lich auf zwei Namen, Masuccio den ältern im XIII. und Masuccio den
Jüngern im XIV. Jahrhundert, welche auch als Architekten thätig
waren. Die Handbücher theilen jedem von beiden das Seinige zu;
wir haben es hier nur mit dem Schulstyl im Allgemeinen zu thun.
Wenn der Anschein nicht trügt, so hat auch hier Giovanni Pi-
sano eingewirkt, ist aber nicht ganz durchgedrungen. So weit diese
neapolitanische Sculptur von den gemeinsamen Tugenden des germa-
nischen Styles, der Würde der Stellung, dem reinen Fluss der Dra-
perien, dem Ernst und der Schönheit der Gesichtszüge mit bedingt ist,
[584]Germanische Sculptur. Neapel.
mag sie wohl Gefallen erregen; was ihr aber eigen, das ist eine ge-
wisse Plumpheit und Puppenhaftigkeit, eine monotone Wiederholung
derselben Motive, eine Gedankenlosigkeit, die neben den gleichzeitigen
toscanischen Sculpturen arg abstechen würde. Hievon machen weder
adie Gräber des Hauses Anjou in S. Chiara, noch die keck bemalten in
bder Capella Minutoli im Dom (hinten, rechts), noch diejenigen des
cHauses Durazzo im Chorumgang von S. Lorenzo, noch die in S. Do-
dmenico, eine Ausnahme. Es sind immer die gleichen allegorischen
Tugenden und Wissenschaften, die freistehend den Sarg tragen, immer
dieselben Relieffiguren am Sarg selber, die nämlichen vorhangziehen-
den Engel drüber u. s. w. Die Statuen der Verstorbenen selbst er-
scheinen meist etwas besser. — Eine Menge solcher Gräber in allen
ältern Kirchen, hie und da mit Farbenschmuck und Mosaiken. Ein
egrosses erzbischöfliches Grab vom Jahr 1405 in der letzten Capelle
des rechten Seitenschiffes im Dom.
Das Beste dieses Styles sind wohl die neun allegorischen Figu-
fren, welche je zu dreien gruppirt den Leuchter der Osterkerze in
S. Domenico maggiore tragen. Hier belebt sich Antlitz und Gestalt
bis zu freier Anmuth; die Behandlung ist derjenigen des Weihbeckens
in S. Giovanni Fuoricivitas zu Pistoja ähnlich, welches dem Giovanni
Pisano selbst zugeschrieben wird.
Aus dem Anfang des XV. Jahrhunderts kömmt hinzu das grosse
gprachtvolle Grabmal des Ladislas und seiner Schwester Johanna II,
von Andrea Ciccione, in S. Giovanni a Carbonara. Auch hier ist
alles Einzelne viel lebendiger und bedeutender als bei den Masuccj,
die Charaktere zumal in den kleinern Statuetten schärfer und energi-
scher, so dass sich der Übergang in den eigenthümlichen realistischen
Styl des XV. Jahrhunderts nicht verkennen lässt.
Die Portalsculpturen am Dom und an S. Giovanni Maggiore sind
bloss als decoratives Ganzes von Bedeutung.
Die Grabstatue Innocenz IV, im linken Querschiff des Domes,
mit ihrem höchst ausdrucksvollen, imposanten und feinen Priesterant-
litz ist wohl erst lange nach seinem Tode (1254), etwa zu Anfang
des XV. Jahrhunderts gearbeitet.
[585]Sculptur des XV. Jahrhunderts.
Mit dem XV. Jahrhundert erwacht in der Sculptur derselbe Trieb
wie in der Malerei (bei welcher umständlicher davon gehandelt wer-
den wird), die äussere Erscheinung der Dinge allseitig darzustellen,
der Realismus. Auch die Sculptur glaubt in dem Einzelnen, Vie-
len, Wirklichen eine neue Welt von Aufgaben und Anregungen ge-
funden zu haben. Es zeigt sich, dass das Bewusstsein der höhern
plastischen Gesetze, wie es sich in den Werken des XIV. Jahrhun-
derts offenbart, doch nur eine glückliche Ahnung gewesen war; jetzt
taucht es fast für hundert Jahre wieder unter, oder verdunkelt sich
doch beträchtlich. Die Einfachheit alles Äusserlichen (besonders der
Gewandung), welche hier für die ungestörte Wirkung der Linien so
wesentlich ist, weicht einer bunten und oft verwirrenden Ausdrucks-
weise und einem mühsam reichen Faltenwurf; Stellung und Anord-
nung werden dem Ausdruck des Charakters und des Momentes in
einer bisher unerhörten Weise unterthan, oft weit über die Grenzen
aller Plastik hinaus. Aber Ernst und Ehrlichkeit und ein nur theil-
weise verirrter, aber stets von Neuem andringender Schönheitssinn
hüten die Sculptur vor dem wüst Naturalistischen; ihre Charakter-
darstellung versöhnt sich gegen den Schluss des Jahrhunderts hin
wieder mehr und mehr mit dem Schönen; es ebnen sich die Wege
für Sansovino und Michelangelo.
Das Relief aber musste dem Realismus bleibend zum Opfer
fallen. Sollte es in Darstellung der Breite des Lebens mit der Ma-
lerei concurriren, so war kein anderer Ausweg: es wurde zum Ge-
mälde in Stein oder Erz. Bei mehrern Künstlern, zumal bei den Rob-
bia, schimmert das richtige Bewusstsein von dem, was das Relief soll,
[586]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Florenz.
deutlich durch; ja es fehlt durchgängig nicht an plastisch untadelhaften
Einzelmotiven; im Ganzen aber ist das Relief dieser Zeit eine Neben-
gattung der Malerei. Die Überfüllung spätrömischer Sarcophage mochte
wohl zur Entschuldigung dienen. Im Ganzen aber wird man erstau-
nen, in dieser Sculptur, deren decorative Einfassung lauter antikisi-
rende Renaissance ist, fast gar keinen plastischen Einfluss des
Alterthums zu entdecken. Mit Ausnahme etwa einzelner Puttenmo-
tive ist nur hie und da eine Figur von dort entlehnt; die Behandlung
aber, Zeichnung und Modellirung, ist kaum irgendwie vom Alterthum
berührt.
Die neuen und die in neuer Gestalt fortdauernden frühern Gat-
tungen der Denkmäler wurden schon bei Anlass der Decoration
(Seite 227, ff.) aufgezählt.
Die zeitliche Priorität in Betreff des neuen Styles könnte zwischen
dem Sienesen Jacopodella Quercia (1344— um 1424) und dem Flo-
rentiner Lorenzo Ghiberti (1378—1455) streitig sein 1). Allein der
letztere hat jedenfalls den ganzen Stylwechsel ebenso selbstständig
durchgemacht als Jener, und zwar als Führer der mächtigsten Schule;
er ist zugleich einer der grössten Bildhauer aller Zeiten.
Merkwürdig durchdringt sich in ihm der Geist des XIV. und der
des XV. Jahrh. mit einem schon darüber hinausgehenden Zug frei-
ster Schönheit, wie er im XVI. Jahrh. zur Blüthe kam. Die beiden
Idealismen, Giotto und Rafael, reichen sich über den Realismus hin-
weg die Hand, und dabei erscheint Ghiberti durchgängig voll des
höchsten Lebensgefühles, wie es selbst in Donatello nicht reichlicher
vorhanden ist. — Die Belege zu seinem Entwicklungsgang liegen haupt-
sächlich in den gegossenen Bronzereliefs, aus welchen seine meisten
Werke bestehen. Die Technik des Gusses gilt hier, beiläufig gesagt,
als eine vollendete.
Die frühern Arbeiten zeigen noch den Künstler des germanischen
Styles, und zwar den geistvollen Erweiterer desjenigen Principes, wel-
chem Andrea Pisano nachlebte. Ausser dem Relief mit Isaaks Opfer,
[587]Lorenzo Ghiberti.
welches mit derselben Darstellung von Brunellesco concurrirte unda
dieser an Geschick der Anordnung und an Schönheit des Einzelnen
beträchtlich überlegen ist (beide in den Uffizien, I. Zimmer der Bron-
zen), sind die Pforten der nördlichen Thür des Baptisteriums (1403b
bis 1427) aus dieser frühern Zeit. Sie stellen in vielen Feldern die
Geschichte Christi, unten die vier Evangelisten und die vier grossen
Kirchenlehrer (sitzend) dar. Als Reliefs, welche die höchsten Bedin-
gungen dieser Gattung nahezu erfüllen, stehen sie unstreitig höher als
die viel berühmtern Pforten der Ostthür; sie geben das Ausserordent-
liche mit viel Wenigerem; nirgends ist mit der blossen prägnanten
Andeutung, wie sie schon der kleine Massstab vorschrieb, Grösseres
geleistet; zugleich wird Andrea Pisano hier an Lebendigkeit der Form
und des Ausdruckes überholt. Die Räumlichkeit ist schon etwas um-
ständlicher als bei ihm, doch noch immer stenographisch. Der Blick
muss sich mit Liebe in diese meisterlichen kleinen Gruppen vertiefen,
um ihnen ihren ganzen Werth abzugewinnen; dann wird man viel-
leicht zugeben, dass Scenen wie hier die Erweckung des Lazarus, die
Taufe Christi, die Geburt, die Tempelreinigung, die Anbetung der
Könige, Christus als Knabe lehrend nicht mehr ihres Gleichen haben
und von den untern Figuren wenigstens der tiefsinnende Johannes
nicht.
Auch von den beiden von G. herrührenden Reliefs am Taufbrun-c
nen zu S. Giovanni in Siena (1417) ist Johannes vor Herodes, wie er
aus dem Verklagten zum Ankläger wird, eine dramatische Erzählung
ersten Werthes; die Taufe Christi entspricht im Ganzen der eben ge-
nannten. — An dem marmornen Sacramentschrank im Chor von S. Mariad
la nuova in Florenz ist das Bronzethürchen mit dem herrlich gedach-
ten Reliefbild des thronenden Christus ohne Zweifel ein frühes Werk
von Ghiberti.
Die östlichen Thüren des Baptisteriums, die sog. „Pforten des Pa-e
radieses“ (1428—42) enthalten in grössern Feldern die Geschichten
des alten Testamentes. Hier spricht das neue Jahrhundert; Ghiberti
glaubt, ihm sei dasselbe erlaubt wie (etwas später) Masaccio; er be-
freit das Relief wie dieser die Malerei von der bloss andeutenden,
durch Weniges das Ganze repräsentirenden Darstellungsweise und
übersieht dabei, dass diese Schranke in der Malerei eine freiwillige,
[588]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Ghiberti.
im Relief eine nothwendige gewesen war. Eine figurenreiche Assi-
stenz umgiebt und reflectirt jedes Ereigniss und hilft es vollziehen;
reich abgestufte landschaftliche und bauliche Hintergründe suchen den
Blick in die Ferne zu leiten. Aber neben diesem Verkennen des
Zieles der Gattung taucht die neu geborene Schönheit der Einzelform
mit einem ganz überwältigenden Reiz empor. Die befangene germa-
nische Bildung macht hier nicht einem ebenfalls (in seinen eigenen
Netzen) befangenen Realismus Platz, sondern einem neuen Idealismus.
Einige antike Anklänge, zumal in der Gewandung, lassen sich nicht
verkennen, aber es sind wenige; das Lebendig-Schönste ist G. völlig
eigen. Es wäre überflüssig Einzelnes besonders hervorzuheben; der
Reiz der Reliefs sowohl als der Statuetten in den Nischen spricht mäch-
tig genug zu jedem Auge.
Der eherne Reliquienschrein des heil. Zenobius (1439) unter dem
hintersten Altar des Domes enthält auf der Rückseite einen von schwe-
benden Engeln umgebenen Kranz, auf den drei übrigen Seiten die Wun-
der des Heiligen, in einer ähnlichen Darstellungsweise wie die der
letztgenannten Pforten. (Man übersehe die beiden Schmalseiten nicht,
bwelche vielleicht das Vorzüglichste sind.) — Die einfache und kleinere
Cassa di S. Giacinto in den Uffizien (I. Zimmer der Bronzen) zeigt
bloss an der Vorderseite schön bewegte Engel. — Auch die Grab-
cplatte des Lionardo Dati mit dessen grosser Flachrelieffigur im Mittel-
schiff von S. Maria novella ist hier schliesslich als trefflichste Arbeit
in dieser Gattung zu erwähnen.
Nur zwei ganze Statuen sind von Ghiberti vorhanden, die aber
dgenügen um ihn in seiner Grösse zu zeigen; beide an Orsanmicchele.
Die frühere, welche dem Styl der ersten Thür entspricht, ist Johannes
der Täufer (1414), ein Werk voll ungesuchter innerer Gewalt und
ergreifendem Charakter der Züge, in herben Formen. (Sehr bezeich-
nend für Ghiberti’s ideale Sinnesart ist die Bedeckung des bloss an-
gedeuteten Thierfelles mit einem Gewande.) Die jüngere ist S. Ste-
phanus, eine der zugleich reinsten und freisten Hervorbringungen der
ganzen christlichen Sculptur, streng in Behandlung und Linien und
doch von einer ganz unbefangenen Schönheit. Es giebt spätere Werke
von viel bedeutenderm Inhalt und geistigem Aufwand, aber wohl
keines mehr von diesem reinen Gleichgewicht. (Der Matthäus, früher
[589]Michelozzo. Die Robbia.
ebenfalls dem Ghiberti zugeschrieben, gilt jetzt als Werk des Bau-a
meisters Michelozzo; eine schöne, einfach resolute Arbeit, mit
würdigen Zügen, aber von rechts gesehen ungenügend und in der Dra-
perie zu allgemein. — Die drei christlichen Tugenden, unten an demb
Denkmal Johanns XXIII im Baptisterium, sind wohl sämmtlich von
Michelozzo; vorzüglich edel belebt die „Hoffnung“. In der innern
Sacristei daselbst befindet sich die silberne Johannesstatue desselbenc
Künstlers. Über der Thür der gegenüber vom Baptisterium liegenden
Canonica ist der naive kleine Johannes von ihm. Als Bildhauer ward
er Gehülfe Donatello’s.)
Ghiberti’s Richtung behielt den unmittelbaren Sieg nicht; wir
werden sehen, wie der entschiedene Naturalismus Donatello’s die
Meisten mit sich fortriss. Was aber später von Schönheit und echtem
Schwung der Form und des Gedankens zum Vorschein gekommen ist,
das deutet auf Ghiberti zurück und hat seinen Anhalt an den Robbia.
Denn neben ihm, den Erzgiesser, war ein Bildner in Thon auf-
getreten, wie die Welt keinen grössern gekannt hat, Luca della
Robbia (1399— nach 1480), welcher nebst seinem Neffen Andrea
(1435—1528), dessen Söhnen Giovanni und Girolamo und meh-
rern Verwandten und Mitgenossen eine Schule von mehr als einem
Jahrhundert und doch von einem durchaus gemeinsamen Charakter
bildet. Bis in die 1530er Jahre hinein wechselt der Styl derselben
nur in leisen Übergängen; sie macht wenige Concessionen an den
inzwischen so oft und stark geänderten Geschmack; von selbst ist
sie dem Schönsten jedes Jahrzehnds seelenverwandt; sie erlischt auf
der gleichmässigen Höhe ihres Könnens durch Mangel an Bestellun-
gen, indem sie mit dem emporgekommenen sog. grossartigen Styl
weder Verhältniss noch Bündniss schliessen kann. Hier liegt eine
erbliche Gesinnung zu Grunde, die wie ein Schutzgeist unsichtbar
über der Werkstatt gewaltet haben muss.
Das erste grosse Werk Luca’s gehört nicht dem Thon, sondern
der Marmorsculptur an; es ist der berühmte Fries, welcher ehe-e
mals die eine Orgelbalustrade im Dom schmückte und jetzt in zehn
Stücken in den Uffizien (Gang der toscan. Sculpt.) aufgestellt ist:
[590]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Robbia.
singende, musicirende und tanzende Knaben und Mädchen verschie-
denen Alters. Nirgends tritt uns das XV. Jahrhundert anmuthreicher
und naiver entgegen als hier; es ist keine schöne naive Stellung und
Geberde im Kinder- und Jugendleben, die nicht hier verewigt wäre.
Manche Motive sind auch plastisch von vollendeter Schönheit und
Strenge, der Ausdruck durchgängig überaus liebenswürdig 1).
Im Erzguss lieferte Luca die Thüren der Sacristei im Dom.
Bei grosser Schönheit des Einzelnen sind sie doch kein ganz harmo-
nisches Werk; die Anordnung im Raum, die Wiederholung ähnlicher
Motive (je ein sitzender Heiliger mit zwei Engeln etc.), der kleine
Massstab, wodurch der Ausdruck mehr in die Geberde als in die
Züge zu liegen kam — diess Alles stimmte nicht ganz zu Luca’s
Weise, und auch in dem Grad der Reliefbehandlung fehlt Ghiberti’s
untrügliche Sicherheit. (Ein Theil der Felder von Maso di Barto-
lommeo.)
Bei weitem die zahlreichsten Werke der Schule sind die Sculptu-
ren von gebranntem und glasirtem Thon, deren Florenz und
die Umgegend (nach starker Ausfuhr) noch immer unzählige besitzt;
meist Reliefs, doch auch ganze Statuen. Die Glasur, vorherrschend
weiss, bei den Reliefs mit hellschmalteblauem Grunde, ist von einer
merkwürdigen, wie man sagt, sehr schwer zu erreichenden Zartheit,
die auch der leisesten Modellirung beinahe vollkommen folgt. Anfangs
wohl aus technischem Unvermögen, in der Folge gewiss aus stylistischen
Grundsätzen, hielten sich die Robbia durchschnittlich ausser dem Weiss
an vier Farben: gelb, grün, blau, violett 2); erst in der spätern Zeit
der Schule gaben sie dem allgemeinen Drang der Zeit nach und
führten die Colorirung bisweilen nach dem Leben durch. Allein auch
hier noch hielten sie eine sehr bestimmte Grenze fest; alle bloss de-
corativen Figuren und Zuthaten blieben auf das bisherige Farben-
system beschränkt und auch in den Hauptfiguren will die Färbung,
[591]Die Robbia.
selbst des Nackten, noch keine Illusion hervorbringen, wie z. B.
Wachsbilder; die lebhaften Farben und reichen Details, welche den
plastischen Eindruck aufhöben, werden sorgfältig vermieden, sodass
der Sculptur und ihren hohen Gesetzen das vollste Vorrecht bleibt 1).
Es sind allerdings keine höchsten Aufgaben und Ziele, welche
diese Schule verfolgt hat; sie konnte auch nicht die Hauptstätte des
Fortschritts im Grossen sein. Allein was sie gab, so bedingt es sein
mochte — es war in seiner Art vollendet. Sie lehrt uns die Seele
des XV. Jahrh. von der schönsten Seite kennen; der Naturalismus
liegt wohl auch hier zu Grunde, aber er drückt sich mit einer Ein-
fachheit, Liebenswürdigkeit und Innigkeit aus, die ihn dem hohen
Styl nahe bringt und deren lange und gleichmässige Fortdauer gra-
dezu ein psychologisches Räthsel ist. Was als religiöser Ausdruck
berührt, ist nur der Ausdruck eines tief ruhigen einfachen Daseins,
ohne Sentimentalität oder Absicht auf Rührung. — Und, was man ja
nicht übersehen möge, jedes Werk ist ein neu geschaffenes Original-
werk, keines ein blosser Abguss. Hundertmal wurden die gleichen
Seelenkräfte in gleicher Weise angestrengt ohne dabei zu erlahmen.
— Bei der folgenden Aufzählung ist es uns unmöglich zu scheiden,
was Luca und was den Nachfolgern angehört; schon die vorhandenen
Angaben reichen dazu bei Weitem nicht aus. Wir geben nur das
Wichtigste.
Fürs Erste hat diese Schule das Verhältniss ihrer Gattung
zur Bauweise der Renaissance mit Freuden anerkannt und im
Einklang mit den grössten Baumeistern ganze grosse Gebäude ver-
ziert. — Von Andrea d. R. sind jene unvergleichlichen Medaillons
mit Wickelkindern an den Innocenti bei der Annunziata. Man mussa
sie alle, wonöthig mit dem Glas, geprüft haben, um von diesem un-
erschöpflichem Schatz der heitersten Anmuth einen Begriff zu erlangen.
— Ebenso sind von Andrea die Medaillons mit Heiligenfiguren an derb
Halle auf Piazza S. Maria novella; die Thürlunette am Ende der Halle
selbst (Zusammenkunft von S. Dominicus und S. Franz) ist vom Herr-
[592]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Robbia.
lichsten der ganzen Schule. — Aus mehrern Klostergängen, u. a. aus
der Certosa sind ganze grosse Reihenfolgen von Heiligenköpfen in
aMedaillons nach der Academie gebracht und in deren Hof eingemauert
worden; sie sind von sehr verschiedener Güte, die bessern darunter
aber sehr würdig und zum Theil von himmlischer wie weltlicher Ju-
bgendschönheit. — (Zwei einzelne Köpfe, ein lachendes Weib und ein
Bacchus, im Hof von Pal. Magnani.) An Orsanmicchele hat Luca
czwei von den Medaillons mit holdseligen Reliefs ausgefüllt (sitzende
Madonna und zwei Wappenengel). — In andern, hauptsächlich klei-
nern Bauten übernahm die Schule wenigstens die Cassettirung ein-
dzelner Wölbungen, kleiner Kuppeln (Cap. Pazzi bei S. Croce, wo
eauch Figürliches; Vorhalle des Domes von Pistoja etc.); auch die
fVerzierung des Frieses und der Pendentifs (Madonna delle Carceri in
Prato etc.); kleine Gewölbe wurden wohl ganz ihren Sculpturen ge-
gwidmet (die vier Tugenden und der heil. Geist, Cap. des Cardinals
von Portugal in der Kirche S. Miniato etc.). — Ein höchst eigenthüm-
liches Denkmal der ganzen Schule gewährt endlich der grosse Fries
hdes Hospitals del Ceppo zu Pistoja (seit 1525); die Werke der Barm-
herzigkeit, hier von Ordensleuten ausgeübt, in zum Theil vortrefflicher
dramatischer Erzählung durch figurenreiche Scenen. Hier vorzüglich
kann man die Mässigung in der Vielfarbigkeit, und zwar auf ver-
schiedenen Stufen erkennen; Consequenz der Färbung war ferner das
Verzichten auf allen landschaftlichen und sonstigen perspectivischen
Hintergrund, der ohne grosse Buntheit nicht wäre anzubringen ge-
wesen 1). Überhaupt ist diese in ihrer Art einzige Arbeit fast ebenso
wichtig durch das was die Künstler mit weisem Bedacht wegliessen
als durch das was sie gaben. Das italienische Relief ist rein von
sich aus hier dem griechischen näher gekommen als irgendwo mit
Hülfe römischer Vorbilder 2). (Das äusserste Relief rechts im Styl
beträchtlich moderner.)
[593]Die Robbia.
Sehr zahlreich sind sodann die Lunetten über Kirchen- und
Klosterportalen, welche bisweilen den besten Schmuck des Gebäudes
ausmachen. Von ganz kleinem Massstab bis zur Lebensgrösse fort-
schreitend, geben sie wohl das Bedeutendste von Einzelbildung, dessen
die Schule fähig war. Es sind die halben oder ganzen Figuren der
Madonna mit zwei oder mehrern Seitenheiligen, oder mit zwei an-
betenden Engeln, auch einzelne Ortsheilige mit Engeln u. A. m. —
eine sich immer wiederholende und in diesen Formen nie ermüdende
Gattung. Die Madonna ist bisweilen von einer Hoheit, die Heiligen
von einem tiefinnigen Ernst, die Engel von einer reizenden Holdselig-
keit, welche die meisten übrigen Sculpturen der Zeit in Vergessenheit
bringen können. Im Detail ist die Gewandung durchgängig das Ge-
ringere; die Bildung des Nackten dagegen, zumal der Hände, oft sehr
vorzüglich, freilich durch eine Haltung und Bewegung beseelt, welche
viel nachlässigere Arbeiten unvergänglich machen würde. — Ausser
Stande, sie dem Styl nach zu ordnen, nennen wir nur die wichtigern
Lunetten:
Ognissanti in Florenz: Krönung Mariä.a
S. Lucia de’ Magnoli: die Heilige mit zwei Engeln.b
Badia, Cap. in der Kirche links vom Eingang: eine ehemal. Thür-c
lunette, Mad. mit zwei Heiligen, aus den allerletzten Zeiten der Schule
(von einem gew. Baglioni?) und so schön als das Frühere.
Certosa, dritter Hof: S. Lorenz mit zwei Engeln.d
Innocenti, Eingang vom Hof in die Kirche: Verkündigung, mite
einem Halbkreis von Cherubim, eines der edelsten Hauptwerke.
Kirche Montalvo a Ripoli, Via della Scala: Mad. mit zwei Hei-f
ligen, ebenfalls von höchstem Werthe. (Im stets verschlossenen Innern
sollen noch zwei gute farbige Robbia sein.)
Dom: die Lunetten beider Sacristeithüren von Luca selbst, dieg
Himmelfahrt (1446) und die (viel bessere) Auferstehung; beide zeigen
ihn von der schwächern, nämlich von der dramatischen Seite.
S. Pierino (beim Mercato vecchio): Mad. mit zwei Engeln, sehrh
früh und von reiner Schönheit.
B. Cicerone. 38
[594]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Robbia.
Vorhalle der Academie: eine Auferstehung, trefflicher als die-
jenige im Dom; Mariä Himmelfahrt (Luca).
Dom von Prato: Madonna mit zwei Heiligen, einfach und von
schönstem Ausdruck.
Dom von Pistoja: Madonna mit Engeln.
(S. Frediano zu Lucca: Lunette beim Taufbrunnen, mit einer
Verkündigung, Cherubsköpfen und Putten; ein räthselhaftes Werk,
mit der vollen Technik der Robbia, aber ohne Seele und Schönheit,
als hätten sie die Arbeit eines Andern ausführen müssen.)
Auch ganze Altäre lieferte die Schule; entweder grosse Altar-
reliefs mit irgend einem heiligen Vorgang, oder reichgeschmückte Um-
gebungen der Nische für das Sacrament; der Kürze wegen rechnen
wir die figurirten Nischen hinzu, welche als sog. Tabernakel an
Strassen, auch wohl in Klosterhöfen angebracht sind.
Das Wichtigste möchten die drei Altäre in der Madonnencapelle
des Domes von Arezzo, und zwar unter diesen der Altar der Drei-
einigkeit geben; die Engel um den Gekreuzigten sind von überirdischer
Anmuth. (Von Andrea.)
In Florenz: S. Croce, Cap. de’ Medici am Ende des Ganges vor
der Sacristei: ausser mehrern kleinern Arbeiten der Altar, Mad. zwi-
schen mehrern Heiligen, die Stellungen befangen, der Ausdruck schön
und treuherzig.
In der Kirche, vorletzte Cap. des Querschiffes links: Mad. mit
Magdalena, Johannes und Engeln, als späte Arbeit wie die meisten
folgenden farbenreich; noch sehr schön.
An einem Hause Borgo S. Jacopo N. 1785: ein ehemal. Altar-
relief der Verkündigung, ebenfalls spät.
In der Kirche S. Girolamo, Via delle poverine, soll sich ein vor-
züglicher Altar befinden.
Misericordia (Domplatz): ein mittelguter Altar.
S. Onofrio: links ein Altar mit Christus als Gärtner.
Hinter dem Kloster rechts, auf der Strasse: ein grosser, durch
schmutzige Glasfenster kaum noch zu erkennender Prachttabernakel
vom J. 1522, beides farbenreiche Werke.
In Florenz selbst wird der Vorzug vor diesen allen dem Taber-
nnakel im linken Seitenschiff von SS. Apostoli gebühren, welcher eine
[595]Die Robbia.
ganze Hierarchie von verschiedenartig beschäftigten Engeln und Put-
ten, über die Massen liebliche Gestalten enthält. (Luca.) — Und ebenso
trefflich in seiner Art: der Sacristeibrunnen von S. Maria novella, mita
den guirlandentragenden Putten und einer in die Lunette gemalten
Landschaft; ein Prachtwerk, haarscharf innerhalb der Bedingungen
des Stoffes gehalten.
Neben diesen grössern Arbeiten existiren noch eine Menge von
kleinern Reliefs für die Andacht; man benützte den unzerstörbaren
Stoff statt der Malerei besonders gerne, wenn an Häusern, an Stras-
senecken oder sonst im Freien eine Madonna mit Kind, oder das Kind
anbetend, oder eine heilige Familie angebracht werden sollten. Dieses
Ursprunges sind wohl die meisten der jetzt im Hof der Academieb
eingemauerten Reliefs. Man glaubt, das Mögliche an vielartiger und
dabei stets frischer Auffassung dieses so eng begrenzten Gegenstandes
hier erschöpft zu sehen und besinnt sich, wie Andere auf einen solchen
Reichthum hin noch neu sein konnten.
Die ganzen Statuen waren für die späteren Robbia zwar tech-
nisch keine Sache der Unmöglichkeit, allein doch nichts Leichtes und
von Seiten des Styles keine starke Seite, da der Entwicklung der Körper-
formen im Grossen die Entschiedenheit fehlte. Die Robbia beschränk-
ten sich auch gerne auf Halbfiguren, deren man in Florenz noch eine
ziemliche Anzahl vorfindet. (Ganze fast lebensgrosse Statuen u. a. in
der Sacramentscapelle von S. Croce; eine sitzende Madonna in einemc
Nebenraum von S. Domenico, Via della Pergola.) Ihren schönend
ganzen Sinn offenbaren solche Statuen nur, wenn sie noch in ihrer
echten alten Nische mit farbigen, von Putten getragenen Fruchtkrän-
zen stehen; so der S. Petrus martyr im Gang vor der Sacristei vone
S. Croce; der heil. Romulus (1521) über dem Portal im Dom zuf
Fiesole u. s. w. Hier erst hat man das Heilige im Gewande der
Lebensfreude, welches ja der durchgehende Gedanke der ganzen
Schule ist.
Wir knüpfen wieder da an, von wo die Robbia ausgegangen.
Zwischen Ghiberti und Donatello steht der Baumeister Filippo Bru-
nellesco, der Erwecker der Renaissance (1375—1444). In dem
38*
[596]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Brunellesco. Donatello.
aAbrahamsrelief (Uffizien, erstes Zimmer d. Br.), welches er in Con-
currenz mit dem erstern schuf, ist die nackte Figur des Isaak durch
ihren strengen Naturalismus ein bedeutendes und frühes Denkmal
dieser Richtung. Viel gemässigter und edler spricht sich dieselbe in
bB.’s berühmtem Crucifix aus (S. Maria novella, nächste Cap. links
vom Chor); es ist eine zwar scharfe aber schöne Bildung, auch in
dem geistvollen Haupte. — Doch schon hatte der gewaltige Genosse
B.’s die Sculptur zu beherrschen angefangen.
Es kömmt in der Kunstgeschichte häufig vor, dass eine neue
Richtung ihre schärfsten Seiten, durch welche sie das Frühere am
Unerbittlichsten verneint, in einem Künstler concentrirt. So ganz nur
das Neue, nur das dem Bisherigen Widersprechende, ist aber selten
bei einem Stylumschwung mit derjenigen Einseitigkeit vertreten wor-
den, wie der Formengeist des XV. Jahrh. vertreten ist in Donatello
(1382 od. 87 — 1466).
Seine frühste grössere Arbeit, das grosse Relief der Verkündigung
cin S. Croce (nach dem fünften Altar rechts) zeigt noch eine flüchtige
Annäherung gegen die Antike hin; aber schon in den Engelkindern
auf dem Gesimse meldet sich die spätere Sinnesweise: sie halten sich
an einander, um nicht schwindlich zu werden — ein Zug wie er bei
keinem Frühern vorgekommen. Auch später noch klingt das Studium
antiker Sarcophage u. a. Sculpturen aus seinen Arbeiten heraus;
solche Stellen stechen aber befremdlich ab neben dem Übrigen.
Donatello war ein hochbegabter Naturalist und kannte in seiner
Kunst keine Schranken. Was da ist, schien ihm plastisch darstellbar
und Vieles schien ihm darstellungswürdig bloss weil es eben ist, weil
es Charakter hat. Diesem in seiner herbsten Schärfe, bisweilen
aber auch wo es der Gegenstand zuliess in seiner grossartigen Kraft
rücksichtslos zum Leben zu verhelfen, war für ihn die höchste Auf-
gabe. Der Schönheitssinn fehlte ihm nicht, aber er musste sich be-
ständig zurückdrängen lassen, sobald es sich um den Charakter han-
delte. Man musste damals die Stylgesetze neu errathen, und diess
geschah überhaupt nur partiell und zaghaft; wer sich aber einer sol-
chen Einseitigkeit überliess, dem musste Manches verborgen bleiben,
[597]Donatello. Statuen.
was andere vielleicht ungleich weniger begabte Zeitgenossen glücklich
zu Tage förderten. Als Gegengewicht legt Donatello beständig seine
Charakteristik in die Wagschale. Selbst die einfach normale Körper-
bildung muss daneben unaufhörlich zurücktreten, während er die Ein-
zelheiten der menschlichen Gestalt begierig aufgreift, um sie zur Be-
zeichnung des gewollten Ganzen zu verwenden.
Nur er war im Stande, die heil. Magdalena so darzustellen,a
wie sie im Baptisterium von Florenz dasteht; an der zum länglichen
Viereck abgemagerten Figur hängen die Haare wie ein zottiges Fell
herunter. Das Gegenstück dazu bilden die Statuen Johannes desb
Täufers; so die bronzene im Dom von Siena (Cap. S. Giovanni);
was das sehr umständlich behandelte Thierfell vom Körper übrig
lässt, besteht aus lauter Adern und Knochen; ungleich geringer die
marmorne in den Uffizien (Ende des 2. Ganges), welche vor lauterc
Charakter weder so stehen noch auch nur leben könnte. Ein dritter
mehr dem sienesischen entsprechender Johannes findet sich in den
Frari zu Venedig (2. Cap. links vom Chor); wenigstens ungesuchterd
in der Stellung. Zum Beweis, wie wenig ihm die Schönheit — aller-
dings unter den Bedingungen des XV. Jahrh. — fehlte, wenn er nur
wollte, dient der jugendliche bronzene David in den Uffizien (I. Zim-e
mer der Bronzen).
Eine etwas edlere Bildung zeigt der Crucifixus in S. Crocef
zu Florenz (Cap. Bardi, Ende d. l. Querschiffes), ein kunstgeschicht-
lich (als Muster Späterer) wichtiges Werk, geschaffen in Concurrenz
mit Brunellesco (S. 596, b). — (Das bronzene Crucifix sammt den dazu
gehörenden Statuen hinten im Chor des Santo zu Padua fand derg
Verf. wegen der Fasten verhüllt.)
In der Gewandung arbeitete Donatello ganz offenbar nach Mo-
delldraperien in einem meist schweren Stoff und ohne die Motive des
Mannequin’s sowohl als der Falten lange zu wählen. Wo er nicht
durch sonstige sehr bedeutende Züge entschädigt, erscheint er daher
in durchschnittlichem Nachtheil gegenüber den stylvollen Gewandfigu-
ren des XIV. Jahrh. und vollends Ghiberti’s. So z. B. in dem bronze-
nen S. Ludwig von Toulouse über dem mittlern Portal von S. Croce,h
dessen Kopf er absichtlich bornirt gebildet haben soll. Sonst sind
seine Heiligen in der Regel Porträtköpfe guter Freunde. Die Stellun-
[598]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Donatello. Statuen.
gen, oft von auffallender Steifbeinigkeit, mögen wohl auch bisweilen
einer persönlichen Bildung oder dem Modeschritt jener Zeit angehören
(über welchen sich höher gesinnte Künstler zu erheben wussten), bis-
weilen offenbar dem Mannequin. Zu den bessern und lebensvollern
aGewandstatuen gehören vor Allen die beiden an Orsanmicchele: Mar-
cus und Petrus; — viel manierirter, doch für die hohe Aufstellung wirk-
bsam drapirt: die vier Evangelisten, worunter der sog. Zuccone, am
Campanile (Westseite); ebendort Abraham und ein anderer Erzvater
c(Ostseite). — Im Dom werden ihm Apostel- und Prophetenstatuen sehr
verschiedener Art mit mehr oder weniger Sicherheit zugeschrieben.
In der ersten Nische rechts eine manierirt lebendig gewendete mit
Porträtzügen; in derjenigen links eine andere mit den Zügen Pog-
gios; in der zweiten rechts die des Ezechias, noch alterthümlich
befangen (schwerlich von ihm); in den Capellen des Chores die
sitzenden Statuen des Ev. Johannes und des Ev. Matthäus, beide
wieder ausgezeichnet. Sie stammen zum Theil von der durch Giotto
angefangenen, 1588 weggebrochenen Domfassade.
Ein Unicum ist die bronzene Judith mit Holofernes in der Loggia
de’ Lanzi. Das Lächerliche überwiegt hier dergestalt, dass man schwer
die nöthige Pietät findet, um die bedeutenden Schwierigkeiten einer der
frühsten profan-heroischen Freigruppen nach Verdienst zu würdigen.
Die bronzene Grabstatue Papst Johanns XXIII. im Baptisterium
ist ein vortreffliches, ungeschmeicheltes Charakterbild; die marmorne
Madonna in der Lunette drüber kalt und unlieblich; die Putten am
Sarcophag naiver.
Die vier Stuccofiguren an beiden Enden des Querschiffes von S.
Lorenzo (oben) erscheinen wie flüchtige Improvisationen für einen
Zweck des Augenblickes und dürften unbeschadet dem Ruhm Dona-
tello’s verschwinden.
Seiner Sinnesweise nach mussten ihm energische, heroische Ge-
gstalten am besten gelingen. In der That hat auch sein S. Georg in
einer der Nischen von Orsanmicchele durch leichte Entschiedenheit
des Kopfes und der Stellung, durch treffliche Gesammtumrisse und
einfache Behandlung den Vorzug vor seinen meisten übrigen Werken.
hDer marmorne David in den Uffizien (Ende des zweiten Ganges) sieht
nur wie eine befangenere Replik davon aus.
[599]Donatello. Reiterbild. Reliefs.
Die eherne Reiterstatue des venezian. Feldherrn Gattamelataa
vor dem Santo zu Padua, schon technisch ein grosses und neues
Wagestück für jene Zeit, war auch in der Darstellung eine Aufgabe,
auf welche Donatello gleichsam ein Vorrecht besass, weil ihr kein
Zeitgenosse so wäre gewachsen gewesen. In jenen Gegenden war man
von den Gräbern der Scaliger her (S. 167, b, c) an Reiterdenkmale
gewöhnt; aber erst D. belebt Ross und Mann vollständig und zwar
diessmal — wie man gestehen muss — ohne capriciöse Herbheit, in
einem beinahe grossartigen Sinne. (Für das Pferd dienten wohl eher
die Rosse von S. Marco als die Marc Aurelsstatue zum Muster? —
Im Pal. della Ragione steht ein grosses hölzernes Modell, welchesb
zwar diesem Pferde nicht ganz entspricht, doch aber eine Vorarbeit
dazu gewesen sein möchte.)
Was D. im Relief für bedeutend und für möglich und erlaubt
hielt, zeigen am vollständigsten die beiden Kanzeln in S. Lorenzo,c
welche von ihm und seinem Schüler Bertoldo verfertigt sind. In ihren
einzelnen Theilen sehr ungleich, selbst was den Massstab der Figuren
betrifft, durchaus unplastisch, gedrängt, im Einzelnen oft energisch-
hässlich, sind diese Darstellungen doch dramatisch sehr bedeutend.
Das Gedränge und die Sehnsucht um den in der Vorhölle erscheinen-
den Christus, die Begeisterung des Pfingstfestes, der Jammer und die
Hingebung um das Kreuz u. a. m. ist auf ungemein lebendige und
geistreiche Weise zur Anschauung gebracht, freilich zum Theil auf
Kosten der Grundgesetze aller Plastik; edel und gemässigt ist nur
etwa die Grablegung. (Am Obergesimse hat D. ausser Putten u. dgl.
sogar die quirinalischen Pferdebändiger in classischem Eifer ange-
bracht.) — In der Sacristei ist mit Ausnahme von Verocchio’s Sarco-d
phag alles Plastische von ihm, und zwar so glücklich zur Architektur
geordnet, dass man ein genaues persönliches Einverständniss mit Bru-
nellesco annehmen kann. In die Zwickel unter der Kuppel kamen
Rundbilder mit legendarischen Darstellungen, welche freilich mit ihrer
malerisch gedachten Räumlichkeit und ihrer zerstreuten Composition
ärmlich aussehen; hochbedeutend aber, ja auch plastisch vom Besten
sind die vier Rundbilder der Evangelisten in den Lunetten; sie sitzen
in tiefem Sinnen oder in Begeisterung vor Altären, auf welchen ihre
bücherhaltenden Thiere stehen. Über den beiden Pforten zu den
[600]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Donatello. Reliefs.
hintern Nebenräumen der Sacristei sind auf farbigem Grunde je zwei
fast lebensgrosse Heilige dargestellt. Diess Alles ist von Stucco und
so auch der ebenfalls D. zugeschriebene Kopf des heil. Laurentius
über der Thür zur Kirche; dazu kommen die beiden genannten Pforten
von Erz, welche in einzelnen Feldern je zwei Apostel oder Heilige
enthalten; flüchtige, aber sehr energische und bedeutend gebildete Fi-
gürchen, die schon weit in das XVI. Jahrh. hineinweisen. Der Mar-
morsarcophag unter dem Tisch der Sacristei mit den Putten ist wieder
nur von mittlerm Werth. — In nackten Kinderfiguren kommt über-
haupt D.’s ganze Einseitigkeit zum Vorschein; gerade das was ihn
agross macht, fand hier keine Stelle. Seine Kinder in der Sacristei
des Domes (an der Attica) sind in ihrer Hässlichkeit wenigstens naiv;
bdagegen hat der Kindertanz in den Uffizien (Gang der tosc. Sculptur)
etwas gespreizt Übertriebenes, was sich auch in den musicirenden
cund tanzenden Kindern an der Aussenkanzel des Domes von Prato,
obwohl bei weitem weniger, bemerklich macht. Neben Robbia wird
D. hier immer nicht bloss befangen, sondern unförmlich erscheinen,
dtrotz einzelner vortrefflicher Intentionen. (An dem Grabmal des Bi-
schofs Brancacci in S. Angelo a Nilo zu Neapel scheinen, beiläufig
gesagt, wenigstens die oben stehenden Putten von ihm.)
Die Reliefmedaillons im Hof des Pal. Riccardi (Fries über dem
Erdgeschoss) erscheinen wie Übersetzungen antiker Cameen und Münz-
reverse in den herben Styl des Meisters. — Zu den spätern Werken,
fwie die Kanzeln in S. Lorenzo, gehören die ehernen Reliefs am Vorsatz
des Hochaltars und des 3. Altars rechts im Santo zu Padua, beide-
male eine Pietà, mit Wundern des heil. Antonius zu beiden Seiten;
reiche Improvisationen mit einzelnen wunderbaren Zügen des Lebens;
wie z. B. die Gruppe der Reuigen, welche den Heiligen umgeben; die
der Fliehenden bei der Scene, wo er die Brust des verstorbenen Geiz-
halses aufschneidet. Im Chorumgang, und zwar über der hintern Thür
in der Chorwand, ist dann noch das Relief einer Grablegung, eine
späte und sehr ausdrucksvolle Arbeit des Meisters. (Geringer: die
vier Symbole der Evangelisten, in Bronzereliefs, am Eingang des
Chores.)
[601]Filarete. Nanni di Banco.
Donatello übte eine ungeheure und zum Theil gefährliche Wirkung
auf die ganze italienische Sculptur aus; er wurde in viel weitern Krei-
sen bekannt als Ghiberti, schon durch seinen wechselnden Aufenthalt.
Ohne den starken innern Zug nach dem Schönen, welcher die Kunst
immer von Neuem über den blossen Realismus und auch über das
oberflächliche Antikisiren emporhob, d. h. ohne den starken Geist des
XV. Jahrh. wäre Donatello’s Princip eine tödtliche Mode geworden.
Aber schon in seiner unmittelbarsten Nähe gab es Künstler, die
durch ihn nicht gänzlich unfrei wurden. Von seinem Bruder Simone
(dem Verfertiger des Gitters im Dom von Prato, S. 233, f) und von
Antonio Filarete wurden 1439—47 die ehernen Hauptpforten vona
S. Peter in Rom gegossen; die Hauptfiguren der grossen Vierecke sind
flau, wie von einem etwas verkommenen Meister der ältern Schule, und
wir dürfen darin speciell das Werk Filarete’s erkennen, — wenngleich
die viel bessere eherne Grabplatte Martins V vor der Confession desb
Laterans auch von diesem ist. Die Reliefs und Ornamente der Ein-
rahmungen dagegen zeigen wohl Simone’s Geist, und erstere sind bei
aller Flüchtigkeit trefflich naiv und von den Härten seines Bruders
ziemlich frei.
Noch auffallender ist diese (immer nur relative) Unabhängigkeit
bei Nanni di Banco1), von dem im florent. Dom (1. Chorcap. rechts)c
die sitzende Statue des Lucas, sowie an Orsanmicchele die Statuend
der HH. Eligius, Jacobus, Philippus und die Gruppe der vier Heiligen
herrühren. (Die letztern sind keinesweges zum Behuf ihrer Zusam-
menstellung in der Schulterbreite verkürzt 2), stehen auch gar nicht
unglücklich bei einander.) Bei ungleicher und meist donatellischer,
auch wohl etwas kraftloser Bildung machen sich hier einzelne sehr
schöne und freie Motive geltend, welche der Künstler wahrscheinlich
der Anregung Ghiberti’s verdankt. — Sonst aber überwiegt der Einfluss
Donatello’s.
[602]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Verocchio.
Zu seinen eifrigsten Nachfolgern gehört Andrea Verocchio
(1432—88); die Wirklichkeit des Lebens ohne höhere Auffassung geht
aihm bisweilen über den Kopf. In dem Grabrelief der Dame Torna-
buoni (Uffizien, Gang der toscanischen Sculptur) giebt er das ganz
reelle Elend eines Todes im Kindbett nebst dem Jammer der Um-
bgebung. Sein David (ebenda, I. Zimmer der Bronzen) ist gar nichts
als das Modell eines gewöhnlichen Knaben und steht sogar hinter dem
als Gegenstück aufgestellten bronzenen David des Donatello an Com-
position und Form weit zurück. (Merkwürdig ist im Kopf die Vor-
ahnung des bekannten lionardesken Ideals.) Ungleich besser und nai-
cver, zumal trefflich bewegt ist der kleine bronzene Genius auf dem
Brunnen im Hof des Pal. vecchio. Stellenweise bricht sich immer der
ideale Zug Bahn, welchen Ghiberti aus der germanischen Zeit her-
übergerettet und nach Massgabe seines Jahrhunderts geläutert hatte.
Sobald man sich durch den bei Verocchio ganz besonders umständli-
chen, knittrigen Faltenwurf nicht stören lässt, treten bisweilen Motive
dvon schönstem Gefühl hervor. So theilweise in der Bronzegruppe
des Christus mit S. Thomas am Orsanmicchele; die Bewegung des
Christus ist mächtig überzeugend, die beiden Köpfe fast grossartig
efrei und schön. — Die Madonna am Grab des Lionardo Aretino in
S. Croce zu Florenz ist beträchtlich lebloser; die übrigen Sculpturen
(Engel, Putten u. s. w.), welche mehr dem Styl Ghiberti’s als dem
des Donatello folgen, sollen von dem Erbauer des Grabes, Bernardo
Rosellino, selbst herrühren, dessen als Bildhauer berühmtern Bruder
Antonio wir bald werden zu nennen haben 1).
Verocchio fertigte auch das Grabmal des Bischofs Forteguerra
(1474), wovon im Dom von Pistoja links vom Eingang noch die wich-
tigern Theile — grosse Relieffiguren von Engeln, die den Erlöser um-
schweben — erhalten sind. Dieselbe herbe Schönheit, derselbe viel-
[603]Verocchio. Pollajuolo.
knittrige Faltenwurf wie in der Gruppe zu Florenz. (Vollendet von
dem damals noch jungen Lorenzetto, welchem die Figur der Caritas
angehört.)
Ausserhalb Toscana’s ist von Verocchio nur ein namhaftes Werk
vorhanden: die eherne Reiterstatue des Feldherrn Coleoni vora
S. Giovanni e Paolo zu Venedig. Sie wurde von Verocchio bloss
modellirt und von Aless. Leopardo gegossen, der auch das schöne
Piedestal entwarf (S. 252, k). In der Gestalt und Haltung des Reiters
ist Verocchio hier so herb individualistisch als irgend ein damaliger
florent. Porträtbildner; wir dürfen glauben, dass Coleoni sich zu Pferde
vollkommen so stämmig gespreizt ausnahm; aber auch das Bedeutende
des Kopfes und der Geberde — mag sie auch keine glücklichen Linien
bilden — ist mit grosser Sicherheit wiedergegeben. Das Pferd ist
merkwürdig gemischt; der Kopf nach antikem Vorbild, die Bewegung
wahrscheinlich nach dem Pferde Marc Aurels, das übrige Detail nach
emsigstem Naturstudium.
(Von diesem Coleoni und von Donatello’s Gattamelata sind dann
die hölzernen und vergoldeten Reiterstatuen in S. M. de Frari undb
S. Giovanni e Paolo zu Venedig abgeleitet. Es wurde mit der Zeitc
Sitte, dass die Republik ihre Generale auf diese Weise ehrte. Im Styl
ist keine davon besonders ausgezeichnet. Eine aus dem XVII. Jahrh.
— die späteste — offenbart schon das damals allverbreitete Streben nach
Affect durch heftigen Galopp über Kanonen und verwundete Feinde.)
Viel manierirter, aber in der Technik des Erzgusses eben so be-
deutend erscheint Antonio Pollajuolo (1431—1498), dessen Haupt-
arbeit das Grab Sixtus IV in der Sacramentscapelle von S. Peterd
ist. Die liegende Statue ist als hart realistisches Bildniss von grossem
historischem Werthe, die sehr unglücklich an den schiefen Flächen
des Paradebettes angebrachten Tugenden und Wissenschaften lassen
mit ihrem Schwanken zwischen Relief und Statuette und mit ihren
gesuchten Formen schon ahnen, auf welchen Pfaden die Sculptur
100 Jahre später wandeln würde. Das eherne Wanddenkmal Inno-e
cenz VIII (an einem Pfeiler des linken Seitenschiffes von S. Peter)
ist in Anordnung und Ausführung viel befangener als so manches
Bessere aus derselben Zeit (1492). Die ehernen Schrankthüren (zu
[604]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Rosellino.
aden Ketten Petri) in der Sacristei von S. Pietro in Vincoli zu Rom
plastisch unbedeutend, decorativ artig. Ein Relief der Kreuzigung in
bden Uffizien (I. Zimmer der Bronzen) erinnert in den schwungvoll
manierirten Formen an die paduanische Schule. — Eines der Reliefs
cam Taufbrunnen von S. Giovanni in Siena (Gastmahl des Herodes)
von Pietro Pollajuolo möchte an Reinheit des Styles alle Arbei-
ten seines Bruders übertreffen.
Mehr von Robbia als von Donatello inspirirt erscheint Antonio
Rosellino (geb. 1427), der ausserdem in der Delicatesse der Mar-
morbehandlung dem Mino da Fiesole (s. unten) verwandt erscheint.
Das Wenige, was von ihm vorhanden ist, verräth einen gemüthlichen
Florentiner, etwa von derjenigen Sinnesweise, welche unter den Ma-
lern dem Lorenzo di Credi eigen ist; die Madonna bildet er schön
mütterlich, florentinisch häuslich. Sein Hauptwerk, die von ihm er-
dbaute Grabcapelle des Cardinals von Portugal († 1459) in S. Miniato
(links) enthält dessen prächtiges Monument. Hier tritt das Decorative
merkwürdig neben dem Plastischen zurück; über dem Sarcophag mit
der sehr edeln Statue des Todten und zwei das Bahrtuch um sich
ziehenden Putten knieen auf einem Sims zwei schöne hütende Engel;
drüber von zwei in Relief gebildeten schwebenden Engeln getragen
das Rundrelief der Madonna; der Vorhang ist bloss als Einfassung
eder ganzen Nische behandelt. — Ganz ähnlich ist das Grabmal der Maria
d’Aragona in der Kirche Monte Oliveto zu Neapel angeordnet. (Cap.
Piccolomini, links vom Hauptportal; ebendaselbst das durchaus ma-
lerisch behandelte Altarrelief mit Christi Geburt und einem Engelreigen,
welches zwischen Antonio und Donatello streitig ist.) — Von ähnlichen
fGrabmälern stammen ohne Zweifel zwei herrliche Madonnenreliefs in
den Uffizien (Gang der tose. Sculpt., in dessen weiterer Fortsetzung
man wenigstens Eine trefflich naturalistische Büste A.’s findet, die des
Matteo Palmieri 1468.) Ebenda ein kleiner laufender Johannes, in
Donatello’s Art bis auf das holde Köpfchen 1).
[605]Settignano. Civitali.
Der als Decorator gerühmte Desiderio da Settignano (S. 234)
ist auch als Bildhauer in einzelnen Theilen seiner Werke so trefflich,
dass ihm das auffallend Geringere daran unmöglich zugeschrieben
werden kann. An dem Grabmal Marzuppini im linken Seiten-a
schiff von S. Croce sind ausser der höchst edel gelegten und behan-
delten Statue wohl nur die beiden kräftigen Engelknaben als Guir-
landenträger von ihm; an dem Tabernakel von S. Lorenzo (rechtesb
Querschiff) gehören ihm nur die drei obersten Engelkinder sicher an 1).
Ob der grosse Matteo Civitali von Lucca (1435—1501) ein
Schüler Desiderio’s war, weiss ich nicht anzugeben, ganz gewiss aber
geht er parallel mit dessen zunächst zu erwähnendem Schüler Mino
da Fiesole, mit welchem er manche Äusserlichkeiten gemein hat. Nur
war in Matteo viel weniger Manier, ein viel grösserer Schönheitssinn,
eine Gabe des Bedeutenden, wie wir sie unter den Malern etwa bei
D. Ghirlandajo antreffen. Die Härten und Ecken Donatello’s sind bei
ihm gänzlich überwunden; wie in der Decoration, so ist er in der
Sculptur einer der Einfachsten seiner Zeit.
In den Uffizien zu Florenz (Gang der tosc. Sculpt.) ist von ihmc
das Relief einer Fides, deren schöner und inniger Ausdruck wohl
auffordern mag zum Besuch der classischen Stätte von Matteo’s Wirk-
samkeit: des Domes von Lucca. Hier findet man in den beidend
anbetenden Engeln auf dem Altar der Sacramentscapelle (rechtes Quer-
schiff) Alles erfüllt, was jene Gestalt verhiess. Mit dem edelsten Styl,
den das XV. Jahrhundert seit Ghiberti aufweist, verbindet sich hier
der Ausdruck einer inbrünstigen Andacht und hohe jugendliche Schön-
heit. Das Grabmal des Petrus a Noceto (1472, ebenda), eine frühere
Arbeit, verräth in der Reliefmadonna und den Putten den Mitstreben-
den Mino’s, aber schon auf einer ungleich höhern Stufe der Ausbil-
dung und des Ausdruckes; auch die liegende Statue ist der ähnlichen
[606]Sculptur des XV Jahrhunderts. Civitali.
aArbeit Desiderio’s kaum nachzusetzen. An dem Grabmal Bertini (1479,
ebenda) zeigt die Büste einen geistvollern Naturalismus als der der
meisten Florentiner. Zunächst rechts vom Chor endlich steht der
prächtige S. Regulus-Altar (1484), ein Hauptwerk des Jahrhunderts
(die Predella ausgenommen, welche wohl von Mino sein könnte). Die
drei untern Statuen entsprechen dem Imposantesten der damaligen
Historienmalerei; die Engel mit Candelabern und die thronende Ma-
donna oben haben schon etwas von der freien Lieblichkeit eines An-
drea Sansovino. — Dagegen genügt der S. Sebastian am Tempietto
(linkes Seitenschiff) nicht ganz; es ist keine so vollkommene Bildung,
wie sie der Meister in dem bevorzugten Lucca hätte schaffen können.
Als Werk seines Alters dürfen wir die sechs Seitenstatuen der
bJohannescapelle im Dom von Genua betrachten: Jesajas, Elisabeth,
Eva, Habacuc, Zacharias, Adam. — Adam und Eva, leider mit Gyps-
draperien der berninischen Zeit verunziert, sind oder waren bedeu-
tende naturalistische Gestalten, Adam mit einem grandiosen Ausdrucke
flehenden Schmerzes; Eva absichtlich als „Mutter des Menschenge-
schlechtes“ reich und stark gebildet. Die übrigen sind theils etwas
müde, theils gesuchte Motive; im Zacharias sollte das Anhören einer
Offenbarung ausgedrückt werden, was aber bei der ungenügenden
Körperlichkeit und wunderlichen Tracht vollkommen missglückte; im
Jesajas und in der Elisabeth sind zwar einzelne sehr schöne Gewand-
motive, allein die Seele des S. Regulus fehlt; Habacuc ist eine miss-
geschaffene Genrefigur. Möglicherweise sind die vier Reliefhalbfiguren
der Evangelisten an den Pendentifs der Kuppel, die wieder deutlich
an Ghirlandajo erinnern, ebenfalls Werke Civitali’s.
Welches nun auch der absolute Werth dieser Sculpturen sei, in dem
von Antiken entblössten, vom florentinischen Kunstleben abgeschnit-
tenen Genua galten sie als das Höchste. Wenn auszumitteln wäre,
dass Matteo selber für längere Zeit hier wohnte, so möchte der halb-
crunde untere Theil des Reliefs auf dem 5. Altar rechts im Dom (eine
ehemalige Lunette) von einem genuesischen Schüler herrühren. Es
stellt die Madonna mit zwei Engeln vor, deren einer den kleinen
knieenden Johannes präsentirt; eine sehr gute Arbeit. — Später hat
Taddeo Carlone und seine ganze Schule an Matteo’s Statuen beständig
[607]Mino da Fiesole.
gelernt und sie sogar schlechtweg wiederholt (Statuen in S. Pietroa
in Banchi, in S. Siro, S. Annunziata u. s. w.).
Einer der weniger begabten aber zugleich wohl der fleissigste
aller dieser florentinischen Sculptoren nächst Donatello war Desiderio’s
Schüler, der eben erwähnte Mino da Fiesole (geboren nach 1400,
hauptsächlich thätig im dritten Viertel des XV. Jahrhunderts). Der
einseitige Naturalismus und die bekannten äusserlichen Manieren
dieser Kunstepoche werden bei ihm, wie theilweise schon bei Dona-
tello selbst, etwas Unvermeidliches; dabei ist seine Ausführung äusserst
sauber und genau und bisweilen durch die schönsten Ornamente
(Seite 235) verherrlicht. In einzelnen Fällen erhebt er (oder einer
seiner Mitarbeiter) sich zu einer grossen Anmuth; meist aber ist seinen
Gestalten, abgesehen von der nicht eben geschickten Anordnung im
Raum, eine gespreizte Stellung und eine geringe körperliche Bildung
eigen; seine Reliefs gehören zu den überladensten, mit flachen und
dabei unterhöhlten Figuren.
Seine Thätigkeit vertheilte sich auf Florenz und Rom. In Rom
scheint er eine bedeutende Werkstatt gehabt zu haben, wenigstens ist
in den zahllosen Grabmälern, Marmoraltären und Sacramentschränken,
womit sich damals die römischen Kirchen füllten, sein Styl nicht sel-
ten zu erkennen; Einiges ist auch bezeichnet oder durch Nachrichten
gesichert. Weit das Wichtigste sind die Sculpturen vom Grabmalb
Pauls II († 1471), jetzt an verschiedenen Stellen der Crypta von
S. Peter eingemauert; die allegorischen Frauen in Hochrelief sind
seine anmuthigsten Figuren, wenn auch von etwas gesuchtem Reichthum;
die grosse Lunette mit dem Weltgericht merkwürdig als Zeugniss des
flandrischen Einflusses auch auf die Sculptur der Italiener; die Grab-
statue nur durch das reiche Costüm interessant. — An dem Grabmal
des Bischofs Jacopo Picolomini († 1479) im Klosterhof von S. Agostinoc
ein ähnlich aufgefasstes kleineres Weltgericht. — Sicher von ihm:
das Grabmal des Jünglings Cecco Tornabuoni in der Minerva (linksd
vom Eingang); und der Wandtabernakel für das heil. Oel in der Sa-e
cristei von S. Maria in Trastevere. Die Werke seiner römischen Nach-
folger sind unten zu erwähnen.
[608]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Mino. Andrea Ferrucci.
In Toscana sind von ihm: im Dom von Fiesole (Querschiff rechts)
ein zierlicher Altar und das prachtvoll decorirte und darin classische
bGrabmal des Bischofs Salutati († 1466) mit guter Büste; — im Dom
cvon Prato die Kanzel; — im Dom von Volterra der Hauptaltar; —
din S. Ambrogio zu Florenz: der prächtige, aber im Einzelnen barocke
eAltar der Cap. del Miracolo; — in der Badia zu Florenz, dem
classischen Ort für Mino’s heimische Wirksamkeit: ein Rundrelief der
Madonna aussen über der Thür; im rechten Kreuzarm das Grab des
Bernardo Giugni († 1466), und im linken das noch prachtvollere des
Hugo von Andeburg vom Jahr 1481, endlich unweit von der Thür ein
Altarrelief mit drei Figuren; fast sämmtlich Arbeiten von bedeuten-
dem Rang in Beziehung auf Luxus und Zierlichkeit.
Von Freisculpturen sind einige Büsten das Beste: mehrere in den
fUffizien (verschlossener Raum hinter den Sculpturen der toscanischen
gSchule); diejenige der Isotta von Rimini im Camposanto zu Pisa,
N. XIX. — Von den kleinen Statuen Johannes d. T. und S. Sebastians
hin S. Maria sopra Minerva zu Rom (3. Cap. links), welche ihm ohne
Sicherheit zugeschrieben worden, ist die letztere beinahe zu gut für
iihn. — Wenn die Colossalstatuen des Petrus und Paulus, ehemals an
der Treppe vor S. Peter, jetzt im Gange nach der Sacristei, wirklich
von ihm (und nicht von einem gewissen Mino del Reame) sein sollten,
so würden sie eine ungemeine Befangenheit in der Freisculptur be-
weisen.
Von andern fiesolanischen Sculptoren, welche mit Mino in Ver-
bindung stehen mochten, ohne doch seine Schule zu bilden, ist An-
drea Ferrucci († 1522) der wichtigste. Die von ihm sculpirte Ni-
ksche über dem Taufstein des Domes von Pistoja zeigt in mehrern
Gestalten Anklänge an Mino’s Styl, aber in das Schöne und Veredelte;
der Seelenausdruck in der gesundern Art der umbrischen Malerschule,
zumal in dem grossen Hochrelief mit der Taufe Christi; die vier klei-
nern Reliefs mit der Geschichte des Täufers wenigstens trefflich com-
lponirt und schön ausgeführt. — In Florenz ist von Andrea das Bild-
nissdenkmal des Marsilius Ficinus im rechten Seitenschiff des Domes;
msodann das schöne Crucifix in S. Felicita (4. Cap. rechts), mit dem
nedeln reichgelockten Haupt; — der grosse S. Andreas im Dom (Ein-
gang zum linken Querschiff, rechts) hat schon etwas academisch Be-
[609]Benedetto da Majano.
fangenes. — Von A’s Schülern Silvio und Maso Boscoli von
Fiesole ist u. a. das Grabmal des Antonio Strozzi, im linken Seiten-a
schiff von S. Maria novella.
Ein freierer florent. Nachfolger Mino’s ist der Baumeister Bene-
detto da Majano (1444—98). Die wenigen erhaltenen Arbeiten
verrathen einen der grössten Bildhauer der Zeit. An Schönheitssinn
und Geschick ist er dem Mino weit überlegen und erscheint eher als
der Fortsetzer Ghiberti’s. Die Reliefs der Kanzel in S. Croce zei-b
gen höchst lebendig entwickelte Scenen mit den herrlichsten Motiven
(zum Theil auf der Dreiviertelansicht beruhend); die Statuetten in
den Nischen unten sind bei winzigem Massstab vom Köstlichsten
dieser Zeit. — In der Capelle Strozzi in S. Maria novella (rechtesc
Querschiff) ist das Grabmal hinter dem Altar von ihm; über dem Sar-
cophag das Rundrelief der Madonna, von Engeln umschwebt, träume-
risch süss und holdselig, wie etwa ein frühes Werk des Andrea San-
sovino könnte ausgesehen haben. In seinen Freisculpturen ist Benedetto
allerdings noch etwas befangen. Sein Johannes der Täufer in dend
Uffizien (Ende des zweiten Ganges) ist aber in dieser Befangenheit
sehr liebenswürdig durch den naiven Ausdruck; ebenso die Sta-
tue des S. Sebastian in einem Nebenraum des Kirchleins der Mise-e
ricordia (auf dem Domplatz). Die in demselben Raum (auf dem Altar)
befindliche Madonna deutet schon entschieden auf die Weise des XVI.
Jahrhunderts, auf Lorenzetto und Jac. Sansovino hin. Seine anmuth-
reiche Phantasie erräth das, wozu seine formelle Bildung wohl nicht
hingereicht hätte. — Das Denkmal Giotto’s (1490) im rechten Seiten-f
schiff des Domes, ein blosser Reliefmedaillon, ist wie andere Ehren-
denkmäler dieser Kirche ein Beweis dafür, wie wenig Prunk damals
von Staatswegen („cives posuere“) mit dem Andenken verstorbener
grosser Männer getrieben wurde; es lebten ihrer noch welche 1). Fast
B. Cicerone. 39
[610]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Agostino di Guccio.
agegenüber ist, ebenfalls von B.’s Hand, die Büste des Musikers Squar-
cialupi, eines Zeitgenossen, welchem der Künstler so wenig als dem
bPietro Mellini (Uffizien, Gang d. tosc. Sculpt.) die natürliche Hässlich-
keit erliess. Es wurden damals in Florenz fast so viele Büsten aus
Marmor, Thon und Kittmasse (und dann farbig) gebildet als Porträts
gemalt; in allen werden die unregelmässigen Züge nicht bloss frei
zugestanden, sondern als das Wesentliche und zwar bisweilen grandios
cbehandelt. Der genannte Gang in den Uffizien und seine meist
verschlossene Fortsetzung enthalten eine Anzahl davon, sämmtlich
marmorn.
Mit Unrecht wurde früher zum Hause der Robbia derjenige be-
deutende Künstler gerechnet, welcher 1461 die Fassade der Brüder-
dschaft von S. Bernardino in Perugia (neben S. Francesco) baute und
mit Sculpturen bedeckte, Agostino di Guccio aus Florenz 1). Diese
reiche und prächtige Arbeit, aus Terracotta, Kalkstein, weissem, röth-
lichem und schwarzem Marmor ist der Geschichte und der Glorie des
genannten Heiligen geweiht. Das Plastische ist ungleich; die vor-
züglichere Hand verräth sich hauptsächlich in den anmuthig schwe-
benden Engeln mit ihren feinfaltigen, rundgeschwungenen Gewändern,
sowie in einigen der kleinen erzählenden Reliefs. Offenbar stand der
Künstler zur Antike in einem viel nähern Verhältniss als die übrigen
Robbia, ja als die meisten Sculptoren seiner Zeit; man wird z. B. eine
Figur finden, die das bekannte Motiv einer bacchischen Tänzerin ge-
radezu wiederholt; auch ist seine Reliefbehandlung plastischer als die
der florentinischen Zeitgenossen insgemein, welche alle mehr von Do-
natello berührt erscheinen. An innerlichem Schönheitssinn und tieferm
Seelenausdruck ist Luca della Robbia auch ihm überlegen.
[611]Montelupo. Rovezzano. Rustici.
Um das Ende des XV. Jahrh. arbeitete Baccio da Montelupo
die Statue des Ev. Johannes an Orsanmicchele; ein gemässigter unda
geschickter Nachfolger Verocchio’s, doch nicht ohne gezwungene Ma-
nier. An einem der Dogenmonumente in den Frari zu Venedig (desb
Pesaro, 1503) wird ihm die Statue des Mars zugeschrieben.
In Benedetto da Rovezzano klingt noch einmal Ghiberti
nach. Seine Reliefs mit den Thaten des heil. Johann Gualbert in denc
Uffizien (Gang der tosc. Sculpt.), vom Jahr 1515, deuten noch wesent-
lich in das vergangene Jahrh. zurück; viel delicates Einzelnes, meh-
rere treffliche dramatische Momente (der Transport der Besessenen,
die Bannung des Teufels von dem kranken Mönch), aber auch Vieles
matt und gedankenlos. — Die Statue des Ev. Johannes im Domd
(Eingang zum Chor, rechts) ist eine fleissige aber äusserst geringe
Arbeit.
Beide letztgenannten überragt bei Weitem Giov. Franc. Ru-
stici, von welchem die Bronzegruppe der Predigt des Täufers übere
der Nordthür des Baptisteriums gearbeitet ist. Er war Schüler Ve-
rocchio’s und die Neider sagten dem Werke nach, dass ein anderer
berühmterer Schüler jenes, Lionardo da Vinci, daran geholfen
habe. Wie dem nun sei, es waltet in der Gruppe jener Geist des
Hochbedeutenden, welchen wir unter den Malern vorzüglich bei Luca
Signorelli wiederfinden. Die innere Aufregung ist in dem Täufer und
ganz besonders in den beiden zuhörenden Pharisäern mit ergrei-
fender Kraft, in letztern wie verhehlt doch unwillkürlich hervorbre-
chend ausgedrückt. Die Gewandung gehört noch mehr dem XV.
Jahrhundert an, während das Nackte schon der grandiosen und
freien Behandlung der höchsten Blüthezeit würdig erscheint. — Lio-
nardo’s eigene Sculpturwerke sind auf klägliche Weise zu Grunde
gegangen.
In Pisa spielt die Sculptur seit Anfang des XV. Jahrh. keine
Rolle mehr; ja man wird selten in der ganzen Kunstgeschichte ein
so völliges Aufhören einer blühenden und thätigen Schule so genau
mit dem politischen Sturz der betreffenden Stadt (1405) zusammen-
gehen sehen. Von einem guten Bildhauer, dessen Formen etwa an
39*
[612]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Siena. Quercia.
adie des Sandro Botticelli erinnern, sind die sieben Tugenden in Re-
lief neben dem Hauptaltar in S. Maria della Spina; möglicherweise
gehören die noch bessern drei Tugenden an dem Sarcophag des Erz-
bbischofes Ricci († 1418, aber das Grab aus späterer Zeit) im Campo
santo, bei N. 49, derselben Hand an, ebenso die Reliefstatuetten der
Caritas, Misericordia etc. ebenda, N. 90, 94 etc.
Den Ausgang ins XVI. Jahrh. belegen die ziemlich guten und
cfreien Sculpturen des Altars in S. Ranieri.
Die Sculptur von Siena seit dem Anfang des XV. Jahrh. ist
der gleichzeitigen sienesischen Malerei im Ganzen überlegen, ja sie
kann in Betreff der neuen Auffassungsweise sogar gegenüber der flo-
rentinischen Sculptur eine zeitliche Priorität in Anspruch nehmen.
Ihr wichtigster Meister, Jacopo della Quercia, ist wohl über-
haupt der frühste unter Jenen, welche den ausgelebten Styl, der einst
von Giovanni Pisano ausgegangen, gegen eine derbere, mehr natura-
listische Auffassung vertauschten. Von ihm sind zu Siena: zwei von
dden sechs Bronzereliefs am Taufbrunnen in S. Giovanni (Geburt und
Predigt des Täufers), noch im Styl des XIV. Jahrh., und die Sculptu-
eren der Fonte gaja auf dem grossen Platz (1419), sein vollständigstes
und anmuthigstes Werk im neuen Styl. An dem Grabmal der Ilaria
fdel Carretto († 1405) im linken Querschiff des Domes von Lucca ist
die liegende Statue noch mehr germanisch, der Sarcophag dagegen —
nackte Kinder (Putten), welche eine Fruchtschnur tragen — von einer
weichen und schönen Lebendigkeit, die den Vorgängern noch fremd
gist. (Die eine Seite von diesem Sarcophag befindet sich in den Uf-
fizien zu Florenz, Gang der tosk. Sculptur.) — Der Altar in der Sacra-
hmentscapelle zu S. Frediano in Lucca, datirt 1422, kann kaum von
Qu. sein, wenn dieser schon 1419 die Fonte gaja gearbeitet hatte;
freilich ist es schwer, neben ihm einen zweiten „Jacopo Sohn Pietro’s“
aus blosser Vermuthung anzunehmen, da auch sein Vater Pietro hiess;
vielleicht könnte das Werk früher von ihm gearbeitet und erst 1422
aus der Werkstatt gegeben worden sein. (Vgl. S. 575, b.) An der zwei-
iten Thür der Nordseite des Domes von Florenz ist von ihm (eher als
von Nanni di Banco) das Giebelrelief der Madonna della cintola, eine
[613]Quercia und Schüler in Bologna.
grosse feierlich bewegte Composition, im Detail etwas flauer als die
Fonte gaja.
Während in Toscana die grossen Florentiner ihn allmälig in den
Schatten stellten, gewann er durch seinen Aufenthalt in Bologna
einen, wie es scheint, weitgreifenden Einfluss auf die oberitalische
Sculptur. Hier sind die Sculpturen am Hauptportal von S. Petro-a
nio, begonnen 1429, vielleicht seine bedeutendste Arbeit überhaupt;
weniger die Statuen der Madonna und zweier Bischöfe in der Lunette,
als die Reliefhalbfiguren der Propheten und Sibyllen in der Schrägung
der Pforte und des Bogens. Die neue Kunstzeit spricht hier ver-
nehmlich aus den scharf individuellen Köpfen und aus dem Momen-
tanen der Bewegung. Die fünf Geschi chten aus der Kindheit Christi,
am Architrav passen nicht wohl zu Q.’s sonstigen Reliefs; die zehn
Reliefs mit den Geschichten der Genesis an den Pilastern der Thür
erregen ebenfalls einige Zweifel. Wenn sie aber von Quercia sind, so
würden sie eine so früh im XV. Jahrh. unerhörte Freiheit des Styles
bezeugen, während sie für das XVI. Jahrh. doch nur die Geltung von
manierirten und wenig durchgebildeten Arbeiten haben könnten.
Ein bolognesischer Schüler Quercia’s, Niccolò dell’ Arca (st.
1494), fertigte die grosse thönerne, ehemals vergoldete Reliefmadonnab
an der Fassade des Pal. Apostolico, die für die Zeit um 1460 kein
bedeutendes Werk ist. — Wichtiger war Niccolò’s Theilnahme an der
Arca in S. Domenico, von welcher er seinen Beinamen erhielt. Hierc
werden ihm mehrere der obern Statuetten und der knieende Engel
rechts vom Beschauer 1) zugeschrieben; für die übrigen Statuetten
(Niemand sagt genau welche) nennt man einen wohl fünfzig Jahre
jüngern Künstler, Girol. Cortellini. Genug dass es angenehme
und lebensvolle Figürchen sind, die vielleicht im Abguss eine weite
Verbreitung finden würden. (Der heil. Petronius und der Engel unten
links vom Beschauer sind anerkanntermassen von Michelangelo.) — Eine
sehr tüchtige Arbeit des Niccolò ist auch das bemalte Reiterrelief desd
Annibale Bentivoglio (1458) in der gleichnamigen Capelle zu S. Gia-
como maggiore (Chorumgang).
[614]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Schüler Quercia’s.
Den Einfluss von Quercia’s Styl wird man vielleicht ausserdem
erkennen an den Sculpturen der Fassade von Madonna di Galliera.
aDagegen zeigt er sich da nicht deutlich, wo man ihn erwarten sollte,
nämlich in den Propheten und Sibyllen (unten) an den Seitenfenstern
bvon S. Petronio, welche zum Theil gute Arbeiten verschiedener lom-
bardischer Meister des XV. Jahrh. sind 1).
Von Quercia’s sienesischen Schülern führte Urban von Cor-
tona, wie man glaubt nach des Meisters Entwürfen, die Statuen der
cHH. Ansanus und Victorius an den mittlern Pfeilern des Casino de’
Nobili in Siena aus, lebendige und resolute Gestalten, die an das Beste
von Verocchio erinnern; Ähnliches gilt von dem etwas spätern Ne-
droccio (Statuen in den beiden Seitennischen der runden Cap. S. Gio-
vanni im Dom). Vecchietta dagegen hat die naturalistische Härte
Donatello’s ohne dessen innere Gewalt; seine Bronzestatue des Er-
elösers, auf dem Hauptaltar der Hospitalkirche della Scala, ist wie ein
Andrea del Castagno in Erz; die Grabstatue des Soccino († 1467) in
fden Uffizien (I. Zimmer d. Br.) sieht einem von der Leiche genomme-
nen Abguss ähnlich, wenn auch die Falten nicht ohne Geschick geordnet
sind. Auch die übrigen Sienesen sind nach den in den Gängen der
gAcademie aufgestellten Fragmenten zu schliessen von keiner Bedeutung
(die Cozzarelli, u. A.), wenn nicht die mir unbekannten Sculpturen
in der Osservanza ihnen doch einen bessern Platz anweisen. — Spä-
ter folgt dann, ganz vereinzelt, der oben bei Anlass der Decoration
h(S. 239, e) erwähnte herrliche Altar in Fontegiusta.
Die römische Sculptur dieser Zeit ist eine fast ganz anonyme.
Doch steht wenigstens am Anfang des Jahrh. der Name des Paolo
Romano fest. In ihm regt sich, gleichzeitig mit Quercia, der be-
ginnende Realismus wenigstens in so weit, dass seine liegenden Grab-
statuen mit Geist und Freiheit individualisirt heissen können. (Grab-
[615]Sculpturen in Rom.
mäler des Card. Stefaneschi, st. 1417, im linken Querschiff von S. Mariaa
in Trastevere, — und des Comthurs Carafa im Priorato di Malta; —b
vielleicht schon dasjenige des Card. Adam, st. 1398, in S. Cecilia). —c
Von zweien Schülern Paolo’s, Niccolò della Guardia und Pier-
paolo da Todi das aus einer Anzahl erzählender u. a. Reliefs be-
stehende Denkmal Pius II (st. 1464), im Hauptschiff von S. Andread
della Valle; später als Gegenstück hinzugearbeitet das Denkmal
Pius III; beide ungünstig aufgestellt. — Von den sichern Arbeiten
des Filarete, A. Pollajuolo1) und Mino da Fiesole (s. oben)
war schon die Rede; sodann ist hier der Abschnitt über das Decorative
(S. 242) zu vergleichen.
Ausser dem was dort über den römischen Gräberluxus seit 1460
im Allgemeinen gesagt ist (vgl. auch S. 229), muss hier zugestanden
werden, dass der schönste Eindruck dieser römischen Sculpturen ein
collectiver ist. Sie geben zusammen, in ihrer edeln Marmorpracht,
das Gefühl eines endlosen Reichthums an Stoff und Kunst; die Gleich-
artigkeit ihres Inhaltes, der doch hundertfach variirt wird, erregt das
tröstliche Bewusstsein einer dauernden Kunstsitte, bei welcher das
Gute und Schöne so viel sicherer gedeiht, als bei der Verpflichtung,
stets „originell“ im neuern Sinne sein zu müssen. An den Grab-
mälern ist der Todte in einfache Beziehung gesetzt mit den höchsten
Tröstungen; ihn umstehen, in den Seitennischen, seine Schutzpatrone
und die symbolischen Gestalten der Tugenden; oben erscheint, zwi-
schen Engeln, die Gnadenmutter mit dem Kinde oder ein segnender
Gottvater — Elemente genug für die wahre Originalität, welche her-
gebrachte Typen gerne mit stets neuem Leben füllt, und dabei stets
neue künstlerische Gedanken zu Tage fördert, anstatt bei der
Poesie und andern ausserhalb der Kunst liegenden Grossmächten um
neue „Erfindungen“ anzuklopfen.
Ein ganzes Museum von Sculpturen findet sich in S. Maria dele
popolo; hundert andere Denkmäler sind durch alle ältern Kirchen
zerstreut. Wir nennen bloss das Bedeutendere.
[616]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Rom.
Der Art Mino’s stehen am nächsten: das Grabmal des Bartol.
Roverella († 1476) in S. Clemente (rechts), mit werthvollen Reliefs
von verschiedenen Händen, die trauernden Putten vorzüglich schön,
bdie Madonna vielleicht von Mino selbst; — das Grab des jungen Al-
bertoni († 1485) in S. M. del popolo (4. Cap. rechts), nahe verwandt
cmit dem S. 607, d erwähnten; — der Tabernakel der Nebencapelle links
din S. Gregorio; — die Gräber Capranica und de Coca in S. M. sopra
Minerva (hinten rechts), mit ausgemalten Nischen; — die Gräber de
eMella († 1467) und Rod. Sanctius († 1468) in der Halle hinter S. M.
di Monserrato. Geringerer Grabmäler, Tabernakel etc. zu geschweigen.
Parallel mit diesen Werken gehen diejenigen eines andern Mei-
sters oder einer andern Werkstatt, welcher wir das Beste verdanken.
Ohne den herrschenden Typus des decorativen Grabes und Altares zu
überschreiten, zeigen diese Arbeiten einen höhern Adel des Styles,
eine lebendigere Durchführung alles Äusserlichen und einen schönern,
oft ganz innigen Ausdruck, der doch nichts mit dem der umbrischen
fMaler gemein hat. Die frühsten: das Grabmal Lebretto († 1465)
gnächst dem Hauptportal von Araceli; — das des Alanus von Sabina
in S. Prassede (eine der Cap. rechts); — dann folgt das prachtvolle
hMonument des Pietro Riario († 1474) im Chor von SS. Apostoli, —
imit welchem das ungleich spätere des Gio. Batt. Savelli († 1498) im
Chor von Araceli eine bestimmte Stylähnlichkeit hat; — auch die Fi-
kguren der beiden Johannes in einem Vorgemach der Sacristei des
Laterans gehören hieher. — Den Höhepunkt dieses Styles bezeichnet
ldann der Altar Alexanders VI (1492, als er noch Cardinal Borgia
war) in der Sacristei von S. M. del popolo, mit den wunderschönen
mEngeln in den Bogenfüllungen; — und der kleine Altar des Guiler-
mus de Pereriis (1490) im Chorumgang von S. Lorenzo fuori le mura;
n— endlich eine einzelne Figur des heil. Jacobus d. ä. im Lateran (an
einem Wandpfeiler des rechten Seitenschiffes). — Es ist auffallend,
odass beim Dasein solcher Kräfte das Grabmal Sixtus IV in so (ver-
hältnissmässig) geringe Hände fallen konnte, wie die erhaltenen Reliefs
zeigen. (Crypta von S. Peter.)
Später findet sich auch der umbrische Gefühlsausdruck in einigen
pausgezeichneten Werken; so sind an der Hoftreppe des Nebenbaues
links an S. Maria maggiore Fragmente eines Altares eingemauert,
[617]Sculpturen in Rom.
welche köstliche Nischenfiguren und die besten, naivsten römischen
Putten des XV. Jahrh. enthalten; — etwas später (1510) entstand
das Grab eines Erzbischofs von Ragusa links vom Portal in S. Pietroa
in Montorio, von dem sonst wenig bekannten Bildhauer Gio. Ant.
Dosio, mit einer sehr schönen, frei peruginesk empfundenen Madonna.
Unter den liegenden Bildnisstatuen der Gräber ist diejenige desb
Pietro Mellini († 1483) in der gleichnamigen Capelle in S. M. del
popolo besonders bemerkenswerth durch die naturalistische Strenge,
womit Kopf und Hände individualisirt sind; — ähnlich die des Cor-c
dova († 1486) in der Halle hinter S. M. di Monserrato. Wen die
Grabstatue Alexanders VI († 1503) interessirt, findet dieses mittel-d
mässige, doch in den Zügen wahrscheinlich sehr getreue Werk in der
Crypta von S. Peter. (Die Gebeine liegen im Chor von S. M. di
Monserrato.) Die lieblichsten Mädchenköpfe an dem einen Grabe dere
Familie Ponzetti (1505 und 1509) in S. M. della Pace (Hauptschiff
links); zwei gute Greisenbüsten an dem Grabmal Bonsi, Vorhalle vonf
S. Gregorio. — Über der Treppe der Villa Albani die liebenswürdigg
naturalistische Büste einer angehenden Matrone (der Teodorina Cybò).
Noch zu den bessern Arbeiten gehörend, doch ohne tiefere Eigen-
thümlichkeit: in S. M. del Popolo: das prächtige Grabmal Lonatih
(Querschiff links); — das Grab des Cristoforo Rovere (nach 1479,
1. Cap. rechts); — des Giorgio Costa (1508, 4. Cap. rechts); — des
Pallavicini (1507, 1. Cap. links); des Rocca (1482, in der Sacristei);
— die letztern vier vielleicht von demselben Künstler, welcher in der
Minerva die Grabmäler Sopranzi (1495, letzte Cap. des rechten Seiten-i
schiffes) und Ferrix (1478, im ersten Klosterhof), ausserdem vielleicht
auch das Grab des Diego de Valdes (1506, in der Halle hinter S. M.k
di Monserrato) schuf. Alles Arbeiten von einer gewissen stereotypen
Eleganz, mit einzelnen trefflichen Bestandtheilen.
Die Masse der übrigen marmornen Grabmäler und Altäre lassen
sich meist einer der eben angegebenen Rubriken unterordnen; sie alle
zu nennen, fehlt uns der Raum. Es giebt darunter sehr kostbare,
welche nur wenig eigenthümliches Leben, und sehr einfache, welche
doch irgend einen ganz schönen Zug enthalten.
[618]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Genua.
In Genua drang der realistische Sculpturstyl nur sehr langsam
adurch. Man sieht im Dom auf dem 1. Altar rechts das Relief einer
Kreuzigung, von guter und fleissiger Arbeit etwa aus der Mitte des
Jahrh., und doch kaum von einem fernen Echo der florentinischen
bUmwälzung berührt. Ebenso ist (in der 1. Cap. links) das Grabmal
des 1461 verstorbenen Card. Giorgio Fiesco in der Anordnung sowohl
als in der recht schönen und ausdrucksvollen Behandlung fast noch
ein Werk des vorhergehenden Jahrhunderts. — Das Thürrelief mit der
cAnbetung der Könige, an dem Hause N. 111 Strada degli orefici, ist
vielleicht kaum früher und doch noch fast germanisch; hier nennens-
werth als das beste unter sehr vielen.
Am frühsten meldet sich der Realismus des XV. Jahrh. — vielleicht
selbständig, vielleicht auf eine Anregung hin, die von Quercia herstam-
men könnte — in den Ehrenstatuen verdienter Bürger. Wohl
ein Duzend derselben aus dieser Zeit stehen theils (nebst neuern) in den
dGängen und im Hauptsaal des Pal. S. Giorgio am Hafen, theils in den
efünf Aussennischen eines Palastes an Piazza Fontane amorose (N. 17,
er heisst Pal. Spinola), auch anderswo. Bei ungeschickter Gestalt und
Haltung, bei einer bisweilen rohen Draperie ist doch in den Köpfen,
auch wohl in den Händen der Ausdruck des individuellsten Lebens
hie und da vollkommen erreicht. (Auch für die Trachten von Werth.)
Ein kenntlicher florentinischer Einfluss ist vielleicht zuerst an den
ferzählenden Reliefs der Aussenseite und der grossen innern Lunetten
der Johannescapelle im Dom sichtbar; ungeschickte, selbst rohe Ar-
beiten, die man nicht einmal Mino da Fiesole, geschweige denn Matteo
Civitali zutrauen möchte, als dessen Arbeit wenigstens die Lunette links
gilt. Mit den notorischen Arbeiten Matteo’s (S. 606, b) schliesst dann
das Jahrhundert.
Woher für Venedig die Anregung zu dem neuen Styl kam, ist
schwer zu sagen. Derjenige bedeutende Künstler, welcher in den
ersten 4 Jahrzehnden des XV. Jahrh. die Reihe der Renaissancebild-
hauer eröffnet, Mastro Bartolommeo, wächst so allmälig in den
neuen Styl hinein, dass man annehmen darf, er sei selbständig durch
[619]Venedig. Mastro Bartolommeo.
den Zug der Zeit darauf gekommen, noch ehe die Antikensammlung
des (1394 gebornen) Malers Squarcione in Padua vorhanden war 1).
Sein frühstes Hauptwerk, in der entlegenen Kirche der Abbaziaa
(links vom Portal) ist eine grosse ehemalige Thürlunette; die „Mater
misericordiæ“, von jener reichen deutschen Lieblichkeit des Antlitzes,
die aus so manchem venezianischen Marmorkopf des XIV. Jahrh.
herausschaut, steht zwischen kleinern knieenden Mönchen, deren Ge-
berden und Bildnisszüge die tiefste Andacht ausdrücken; Engel halten
das Gewand der Jungfrau über ihnen ausgespannt; der übrige Raum
ist ausgefüllt durch Laubwerk mit den Halbfiguren von Propheten;
das Kind ist als Relief in die colossale Agraffe versetzt, welche den
Mantel der Maria zusammenhält — eine in diesem architektonischen
Styl und in dieser Zeit vollkommen glückliche Kühnheit 2). — Zu den
Seiten zwei Engelstatuen, decorativ und fast roh wie die Lunette auch,
aber von demselben tiefen Ausdruck. (An der Wand gegenüber drei
Statuen weiblicher Heiligen, schon dem spätern Styl B.’s näher.)
Wenn nun hier noch der germanische Styl, obwohl bereits ge-
mildert, vorherrscht, so zeigt die Portal-Lunette an der Scuola dib
S. Marco einen ganz ähnlichen Gegenstand entschieden in der neuen
Art gebildet. Wir sehen S. Marcus, eine würdige Gestalt, thronend
zwischen der knieenden Bruderschaft, deren Vorsteher ihm die linke
Hand küsst, während er mit der Rechten segnet. Der Styl der neuen
Zeit drückt sich ganz sprechend aus in einem jener neu gewonnenen
Reizmittel, die dem XIV. Jahrh. noch ganz fremd waren: S. Marcus
sitzt nach links und wendet sich nach rechts (vom Beschauer). — Die
Statuen neben und über der Lunette scheinen neuer und restaurirt.
Das wichtigste spätere Werk B.’s sind dann die Sculpturen an
der Porta della carta des Dogenpalastes (1439). Sowohl in denc
vier Tugenden als in den Engeln und Putten oben trifft er hier —
wahrscheinlich zufällig — ziemlich nahe mit Quercia zusammen. Mit
dem muthwilligen Herumklettern, ja schon mit der Darstellung dieser
nackten Kinder ist die Renaissance offen ausgesprochen; von den Tu-
[620]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Venedig. Rizzo.
genden giebt die Fortitudo ein herrliches Motiv, welches so ganz ver-
schieden von Ghiberti’s Art und doch parallel mit derselben die Frei-
heit des neuen Styles mit der Würde des germanischen verbindet 1).
a— (An dem Hauptfenster gegen die Riva hin, welches der Verf. Re-
paraturhalber verdeckt fand, will man in den Statuen ebenfalls B.’s
Styl erkennen. Ausserdem werden ihm die Apostel und der heil.
bChristoph an der Fassade von S. Maria dell’ Orto zugeschrieben;
letzterer wohl am ehesten mit Recht; die Apostel scheinen von ver-
schiedenen Händen zu sein 2).
Dem wachsenden Kunstbedürfniss der Republik scheinen diese
und andere einheimische Kräfte bald nicht mehr genügt zu haben.
Donatello erschien in Padua (S. 597 ff); Verocchio wurde für ein grosses
Denkmal in Anspruch genommen (S. 603, a). Auch andere Toscaner ar-
beiteten früher und später in Venedig, wie z. B. die sonst nicht be-
kannten Piero di Niccolò aus Florenz und Giovanni di Martino aus
eFiesole, welche das Dogengrab Mocenigo († 1423) im linken Seiten-
schiff von S. Giovanni e Paolo fertigten, offenbar unter Donatello’s
Einfluss (und kaum vor 1450); ein Werk das sich durch die Schön-
heit der Köpfe an den zahlreichen Statuetten auszeichnet.
Die paduanische Malerschule mit ihrem scharfen, fleissigen Mo-
delliren, ihren plastischen und antiquarischen Studien musste ihrer-
seits ebenfalls auf die Sculptur wirken; keine Malereien des damaligen
Italiens haben einen so ausgesprochenen plastischen Gehalt wie die
ihrigen, Verocchio etwa ausgenommen. — Wahrscheinlich empfing von
ihr aus der veronesische Bildhauer Antonio Rizzo seine Anregung.
dVon ihm sind (um 1471) die Statuen Adam und Eva im Dogenpalast
(unten gegenüber der Riesentreppe) gearbeitet; ersterer eine vorzüg-
[621]Die Bregni, Lombardi und Leopardo.
lich tüchtige Bildung, deren Naturalismus gemildert erscheint durch
die ergreifende Geberde und Miene des Schuldbewusstseins; bei Eva
ist derselbe schon störender.
Seit der Mitte des XV. Jahrh. erscheinen dann mehrere Bild-
hauerwerkstätten neben einander und in wechselseitiger Einwirkung
auf einander. Die wichtigsten derselben sind die der Bregni, der
Lombardi und des Leopardo.
Die Gesammtheit ihrer Productionen ist schon der Masse nach
sehr bedeutend; an innerm Gehalt bilden dieselben das wichtigste
Gegenstück zu den Werken der gleichzeitigen Toscaner. Es ist der
Realismus des XV. Jahrh. ohne Donatello, ohne die extremen Härten
aber auch ohne die entschiedene Kraft der Motive. Es mangelt nicht
an Bestimmtheit der Formen, zumal der Gewandung, wohl aber an
der unablässigen Beobachtung des bewegten Körpers; daher sind auch
der Attituden wenige, die sich um so häufiger wiederholen; die Be-
handlung des Nackten ist beträchtlich conventioneller als gleichzeitig
bei den Vivarini und bei Mantegna. Den Ersatz bildet ein sehr ent-
wickelter Sinn für schöne und anmuthige Formen und für höhern
Gefühlsausdruck; noch verhüllt und befangen bei Pietro Lombardo,
der in den Köpfen mannigfach die Härten eines Bart. Vivarini theilt;
gesteigert bis zum tiefsten und süssesten Reiz bei Leopardo.
Die Antike wirkt nur stellenweise direkt ein, dann aber so stark
wie vielleicht bei den damaligen Florentinern nirgends. Im Ganzen
ist allerdings eher die Malerei der paduanischen Schule als Führerin
dieser Sculptur zu betrachten. Mit ihr ist der Ausdruck vieler Köpfe,
die Behandlung der Falten und Brüche des Gewandes, auch die Stel-
lung vieler Figuren am nächsten verwandt. Auch an Cima, Carpaccio
und Giovanni Bellini wird man vielfach erinnert.
Angewiesen auf die zum Theil zweifelhaften und unbestimmten
Namengebungen, welche bis jetzt im Gange sind, können wir unmög-
lich die einzelnen Künstlercharaktere scharf von einander abgrenzen.
Unsere Aufzählung macht desshalb keinerlei systematische Ansprüche.
Die ältern Bregni, Antonio und Paolo, erscheinen noch wie
Schüler des Mastro Bartolommeo an dem Dogengrab Franc. Foscari
[622]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Venedig. Die Bregni.
a(† 1457) im Chor der Frari (rechts). Nicht nur ist die Decoration
noch gothisch wie bei Jenem, sondern sie gleichen ihm auch in der
tüchtigen, an Quercia erinnernden Lebensauffassung. — Gegenüber
steht das derselben Künstlerfamilie zugeschriebene Dogengrab Tron
(† 1472), in der Decoration schon vollkommene Renaissance, im Figür-
lichen sehr ungleich und jedenfalls von verschiedenen Händen; die
Dogenstatue insbesondere wird als Werk des Antonio namhaft ge-
macht. An den beiden Tugenden zu seinen Seiten haben wir die
ersten vollständigen Typen derjenigen fleissigen, zierlichen und an-
genehmen Gewandstatuen, welche sich in Venedig bis gegen das Jahr
1500 wiederholen; der Schildhalter links ist eine trefflich lebendig ge-
wendete Figur, wahrscheinlich von
Lorenzo Bregno, welcher die Hauptkraft der Schule wurde.
bVon ihm ist wahrscheinlich das Denkmal des Feldherrn Pesaro († 1503)
im rechten Querschiff derselben Kirche (über der Sacristeithür) mit
den Statuen des Verstorbenen, des Neptun und des Mars — letztere
freilich von Baccio da Montelupo, dessen florentinische Lebens-
derbheit den Venezianern überlegen erscheint. — An dem Vorbau im
cHof des Dogenpalastes möchte der Schildhalter neben Bandini’s Statue
des Herzogs von Urbino ebenfalls eine Arbeit Lorenzo’s sein. — In
dS. Giovanni e Paolo ist die Statue des Feldherrn Naldo (rechtes Quer-
schiff, über der Thür) vom Jahr 1510 ein ziemlich lebloses Werk.
Mit oder bald nach den Bregni traten die Lombardi auf,
vielleicht nicht bloss eine Familie, sondern eine Colonie lombardischer
Bildhauer, deren Styl, wie wir sehen werden, mit den besten gleich-
zeitigen Werken des übrigen Oberitaliens eine nahe Verwandtschaft
zeigt. Als Baumeister und Decoratoren werden ihrer fünf oder sechs
genannt (S. 214, Anm.); in der Sculptur kommt hauptsächlich Pietro
mit seinen Söhnen Antonio und Tullio in Betracht.
Was sie gemeinschaftlich hervorbrachten, wird sich jetzt kaum
mehr scheiden lassen. Pietro’s Namen, aber von späterer Hand, habe
eich nur an einer Statuette des heil. Hieronymus in S. Stefano (3. Altar
links) entdecken können; danach eine ganze grosse Anzahl von Wer-
ken näher bestimmen zu wollen, in welchen man die „Schule der
[623]Die Lombardi.
Lombardi“ oder die „Art der L.“ im Allgemeinen zu erkennen pflegt,
wäre ein gewagtes Unternehmen. Als allgemeines Schulgut sind der
Betrachtung besonders werth:
An der Scuola di S. Marco die obern Statuen zwischen und übera
den Rundgiebeln.
Im Dogenpalast an dem Vorbau gegenüber der Riesentreppe: dieb
Figuren auf den Spitzthürmchen, zum Theil auf kugelförmigen
von hübschen Putten gehaltenen Untersätzen; diese am besten von
der Sala del collegio aus sichtbaren Statuen sind zum Theil sehr
geistvoll und lebendig, besonders die Prudentia mit dem Spiegel.
An S. Maria de’ miracoli: die sämmtlichen Aussensculpturen;c
der Gottvater und die anbetenden Engel über und neben der halb-
runden Obermauer nur Decorationsarbeit, aber vorzüglich schön ge-
dacht; die Halbfiguren der Propheten und Heiligen in den Bogen-
füllungen der obern Pilasterordnung, ebenfalls trefflich ausdrucksvoll
und von meisterhafter Arbeit.
In der Capella Giustiniani zu S. Francesco della Vigna (linksd
neben dem Chor) verrathen von den Reliefhalbfiguren an den Wänden
die vier Evangelisten einen besonders geistvollen Künstler (Tul-
lio L.?); die übrigen scheinen von demjenigen noch etwas befangenern,
aber ernsten und tüchtigen Meister, welcher die Halbfiguren der Pro-e
pheten an den Chorschranken der Frari verfertigte. (Der Altar nebst
Predella und Vorsatz, sowie der Relieffries mit der Geschichte Christi
sind zierliche, aber geringe Arbeiten.)
In den Frari könnten die Statuen der Apostel und Heiligen überf
den Chorschranken am ehesten ein Werk dieser Schule sein. Ausser-
dem wird derselben dort das Grab des Jacopo Marcello († 1484) ver-
muthungsweise zugeschrieben (im rechten Querschiff, rechts).
In S. Stefano enthält ausser der genannten Arbeit die Sacristeig
zwei halbe und zwei ganze Heiligenfiguren des Pietro; letztere für
ihn vorzüglich charakteristische Werke.
In S. Giovanni e Paolo ist das Dogengrab Mocenigo († 1476)h
rechts vom Portal, eine gemeinschaftliche Arbeit des Pietro, An-
tonio und Tullio; ein Haupttypus der frühern Gräber dieser Art,
mit lauter Helden, die den Sarg tragen und in Seitennischen stehen,
mit Putten welche aus Engeln zu kriegerischen Pagen geworden sind,
[624]Sculptur d. XV. Jahrh. Venedig. Die Lombardi. Leopardo.
mit Trophäen und Herculesthaten in Relief; das Christliche beschränkt
sich auf ein oberes Flachrelief, die Frauen am Grabe, und auf kleine
Giebelstatuen des Erlösers und zweier Engel — von schönem Aus-
druck, während das Übrige von mittlerm Werthe, der Doge nur durch
seinen Porträtkopf ausgezeichnet ist. — Ebendaselbst im linken Sei-
atenschiff das Dogengrab Marcello († 1474); anonym aber ohne Zweifel
ebenfalls aus dieser Werkstatt, am ehesten von Pietro selbst, mit
vier in seiner Art hübschen Tugenden.
Die vergoldete Madonna an der Torre dell’ Orologio, welche
ebenfalls dieser Schule zugeschrieben wird, ist von gutem und mildem
Ausdruck, aber in der Anordnung nicht geschickt 1).
Pietro und Antonio arbeiteten endlich (1505—1515) die Mo-
cdelle der grossen Bronzearbeiten in der Capella Zeno zu S. Marco
gemeinschaftlich mit
Alessandro Leopardo, der ebenfalls das Haupt einer be-
trächtlichen eigenen Werkstatt war. Ihm wird vor Allem das schönste
dder Dogengräber beigelegt, dasjenige des Andrea Vendramin
(† 1478) links im Chor von S. Giovanni e Paolo. Verglichen mit den
Gräbern des P. Lombardo ist schon die Eintheilung besser, ohne jene
allzugleichartigen Wiederholungen; die untern Figuren — drei Genien
mit Leuchtern am Sarcophag, zwei Helden in Seitennischen und zwei
später beigefügte Figuren — haben die nöthige freie Luft über sich;
oben folgen nur Reliefs verschiedenen Grades und eine leichte Giebel-
verzierung, Sirenen welche einen Medaillon mit dem Christuskinde
halten; auch unten an dem herrlich verzierten Sockel sind die Engel
mit der Schrifttafel und die beiden Putten auf Meerwundern in Relief
gebildet. Dieser Sinn des Masses und der Abstufung bezeichnet hier
allein schon den grossen Künstler, ebenso die Behandlung des Ein-
zelnen. Zwar sind seine Motive zum Theil kaum entschiedener als
die der Lombardi; seine Helden stehen, seine Engel laufen nicht
freier und besser; nur in den Tugenden am Sarcophag fällt eine
edlere und freier abwechselnde Stellung auf, welche auf einem sehr
[625]Leopardo. Die Capella Zeno.
unmittelbaren Studium der Antike beruhen muss. Das Beste aber
hat L. nicht aus dieser Quelle; ich meine die wunderbare Süssigkeit
und Milde der reichgelockten jugendlichen Köpfe, die in dieser Zeit
gradezu nur bei Lionardo da Vinci ihres Gleichen findet. Und der
eine herrliche Putto, welcher auf seinem Seepferd so wohlgemuth über
die Wellen gleitet, ist auch wohl ebenso von Leopardo beseelt, wie die
Putten der Galatea es von Rafael sind.
Ausserdem sind notorisch von Leopardo die drei Flaggen-a
halter auf dem Marcusplatz, deren Figürliches dieselbe Benützung
antiker Vorbilder mit grossem natürlichem Schönheitssinn verbunden
offenbart 1).
Nach Massgabe dieser Werke hat man nun auszuscheiden, welche
Theile der Sculpturen in der Cap. Zeno zu S. Marco ihm gehören. Esb
handelt sich um eine der prachtvollsten Grabstätten des XVI. Jahr-
hunderts, diejenige des Cardinals Gio. Batt. Zeno. An dem Sarco-
phag selbst sind wohl die sechs zum Theil den Deckel haltenden
Tugenden von Leopardo; sie erscheinen allerdings freier, ihm mehr
gemäss, weniger durch die Antike befangen als diejenigen am Grab-
mal Vendramin. Die liegende Statue des Cardinals ist schwer zu
definiren. Auf dem Altar sind die Statuen des Petrus und des Täu-
fers Johannes wohl am ehesten von Pietro oder Antonio Lombardi,
herrliche Köpfe, welche die unvollkommene Stellung wohl gut machen;
ebenso das Relief des Thronhimmels (Gottvater mit Engeln). Die be-
B. Cicerone. 40
[626]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Lombardi.
rühmte Madonna della Scarpa dagegen, dieser reine Gedanke der gol-
denen Zeit Giov. Bellini’s, mag wiederum eher dem Leopardo ange-
hören. Vorzüglich schön ist das auf ihrem rechten Knie sitzende
Kind, welches sich eben zum Segnen anschickt.
Unter diesen gemischten Eindrücken scheinen Pietro Lom-
bardo’s Söhne Antonio und Tullio aufgewachsen zu sein. Von
Antonio werden meines Wissens nur zwei sichere Einzelarbeiten nam-
ahaft gemacht: die Statue des h. Thomas von Aquino über dem Grab-
mal Trevisan 1) im linken Seitenschiff der Frari, und in S. Antonio
zu Padua, Cap. del Santo, das neunte Relief, wovon unten. Er folgt
oder geht voran (im Styl) seinem berühmtern Bruder
Tullio. Von Leopardo und von dem Studium der Antike zu-
gleich berührt, hat er diese Einwirkungen mit der Lehre seines Vaters
in einen gewissen Einklang gebracht. Sein grosser Schönheitssinn hat
sich zwar in gewisse Manieren verfangen, da die innere Kraft dem-
selben nicht gleich stand. (Feine, wie gekämmte Falten, unnütze
Zierlichkeiten der Haare, conventionelle Stellungen etc.) An sicherer
Naivetät steht er dem Leopardo beträchtlich nach. Allein im günsti-
gen Fall hat er Werke hervorgebracht, welche nicht zu den grossar-
tigsten, wohl aber zu den ansprechendsten jener Zeit zu rechnen sind.
Zum Frühsten möchten diejenigen Arbeiten in S. Maria de’ mira-
coli gehören, welche ich ihm glaube zuschreiben zu müssen; es sind
die halben Figuren auf der Balustrade der Chortreppe — worunter
Maria und gegenüber der Engel Gabriel vielverheissend erscheinen
wie Jugendwerke Rafaels — und die Reliefscheiben an den meisten
cThürpfosten. Dann sind datirt vom J. 1484 die vier knieenden Engel,
welche das Taufbecken in S. Martino (links) tragen, schön gedacht,
mit andächtigen und anmuthigen Köpfen. Nicht viel später möchte
ddas grosse Relief in S. Giovanni Crisostomo (2. Altar links)
entstanden sein; Christus, von den Aposteln umgeben, legt die Hand
[627]Antonio und Tullio Lombardo.
auf eine gekrönte Frau; wahrscheinlich eine etwas ungewöhnliche
Darstellung der Krönung Mariä, womit auch die oben erscheinende
Glorie w ohl stimmen würde. In den Köpfen, zumal der Hauptper-
sonen, ist ei ne eigenthümliche classische Idealität erstrebt, die in der
damaligen Sculptur sonst kaum vorkömmt. — Von den untern Sculp-
turen der Scuola di S. Marco kommen die zwei ziemlich befange-a
nen Löwen weniger in Betracht als die zwei Thaten des heil. Marcus,
bei welchen dem Künstler nicht bloss römische, sondern griechische
Reliefs scheinen vorgelegen zu haben, wie besonders aus der Behand-
lung der hinten stehenden Personen erhellt. Womit dann die perspec-
tivisch gegebene Halle, die den Raum darstellt, wunderlich contrastirt.
— Ebenfalls noch früh: das Dogengrab Mocenigo († 1485) in S. Gio-b
vanni e Paolo, links vom Portal; hier ist von den allegorischen Sei-
tenfiguren die eine nach einem bekannten antiken Musenmotiv unmit-
telbar copirt; in den Sockelrelief sucht Tullio eher seine Manier mit
dem süssen Ausdruck Leopardo’s zu verbinden.
Von den spätern Arbeiten der beiden Brüder enthält die Capelle
des h. Antonius im Santo zu Padua das Wichtigste. Wir lernen
hier (im neunten Relief, wo der Heilige ein kleines Kind zum Sprechenc
bringt) den Antonio Lombardi als bedeutenden Componisten kennen;
von der Schönheit der Antike erscheint er auf unbefangnere Weise
durchdrungen und geleitet als Tullio. Letzterm gehören das sechsted
und das siebente Relief (wie der Heilige die Leiche eines Geizhalses
öffnet und statt des Herzens einen Stein findet; wie er das gebrochene
Bein eines Jünglings heilt); das erstere, bez. 1525, muss ein Werk
seines hohen Alters sein, und es ist das freiere, weichere von beiden;
denn das siebente hat bei bedeutenden Schönheiten auch noch alle
Unarten der frühern Werke Tullio’s.
Ein Zeitgenosse, vielleicht ebenfalls eher Lombarde als Venezianer,
Antonio Dentone, hält in den Bildnissfiguren an dem charakter-
vollen Naturalismus fest, während seine Idealfiguren theils eine mehr
allgemeine Formenbildung, theils ein Hinneigen zu dem übertriebenen
Ausdruck eines Mazzoni verrathen. So das Relief einer Pietà mite
Heiligen, in der Salute (Vorraum der Sacristei), wenn ihm dasselbe
40*
[628]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Venezianer.
amit Recht beigelegt wird. An dem Grabmal des Feldherrn Melchior
Trevisan († 1500) in den Frari (2. Cap., links vom Chor) ist die Por-
trätstatue eine der besten in jener herben Art, die beiden gepanzerten
Putten dagegen nur allgemeines Schulgut. Ebenso verhält es sich
bmit dem Denkmal des Vittor Capello (1480) im linken Querschiff von
S. Giovanni e Paolo; der knieende Ritter ist voll Wahrheit und In-
nigkeit, die heil. Helena, welche vor ihm steht, ziemlich unsicher in
cHaltung und Zügen. Die artige Halbfigur einer Heiligen in der Ab-
bazia (Capelle hinter der Sacristei) steht doch nur mit Pietro Lom-
bardo parallel.
Eine andere gute anonyme Arbeit, welche im Ausdruck an die
dGemälde des Cima da Conegliano erinnert, ist das Bronzerelief einer
Madonna mit Heiligen im rechten Seitenschiff von S. Stefano (bei der
Sacristeithür).
Dagegen erscheinen die Apostel an beiden Wänden des Chores
edaselbst, von einem gew. Vittor Camelo, nur als zaghafte Arbeiten
eines Schülers der Lombardi. — Von demselben Künstler aber enthält die
fAcademie zwei kleine bronzene Hochreliefs mit Scenen nackter Käm-
pfenden, etwa für ein Feldherrngrab bestimmt; überaus lebendig und
dabei für jene Zeit und Schule gar nicht überfüllt, sondern plastisch
componirt, im Ganzen von den besten damaligen Reliefs.
Den Pyrgoteles, welcher die Madonna in der Thürlunette von
S. Maria de’ miracoli gemacht hat, möchte man für einen begabten
Dilettanten halten, der glücklich einen schönen Kopf und ein interes-
sant scheinendes Motiv gefunden hat. (Das Kind fasst den Daumen
an der Hand der Mutter, auf welcher es sitzt.) Man glaubt, der Künst-
ler habe der bekannten griechischen Familie der Lascaris angehört.
In Padua hatte Donatello längere Zeit gearbeitet und sein Ein-
fluss überwiegt noch das ganze Jahrhundert hindurch, obwohl auch
die verschiedenen venezianischen Schulen daneben vertreten sind.
Einem seiner toscanischen Schüler, Giovanni von Pisa, gehört
hdas thönerne Altarrelief der Cap. SS. Jacopo e Cristoforo (Eremitani),
[629]Paduanische Nachfolger Donatello’s.
Madonna mit sechs Heiligen nebst Predella, Puttenfries u. a. Zu-
thaten. Neben die Sculpturen der Lombardi etc. gehalten, zeugt diess
Werk bei allen Härten doch deutlich für die siegreiche toscanische
Leichtigkeit, alle Lebensäusserungen sich eigen zu machen und dar-
zustellen.
Auch der Paduaner Vellano war D.’s Schüler und seine Bronze-
reliefs an den Chorwänden des Santo (1488) zeigen deutlicher als ir-a
gend ein toscanisches Schulwerk, wohin man gelangen konnte, wenn
man Donatello’s Freiheiten nachahmte ohne seinen Verstand und seine
allbelebende Darstellungsgabe zu besitzen. Es sind ganz kindlich auf-
geschichtete Historien in zahllosen, sorgfältigen Figürchen.
Dagegen lebte in Andrea Briosco genannt Riccio (Crispus,
von seinen gelockten Haaren) der echte Geist der grossen Zeit. Das
Figürliche an seinem berühmten ehernen Candelaber im Chor desb
Santo (Seite 254, l) ist zwar um so viel glücklicher, je mehr es sich
dem Decorativen nähert (Nereidenzüge, Centauren u. s. w.), aber auch
die überfüllten erzählenden Reliefs sind geistvoll und originell. In den
zwei Reliefs jener von Vellano begonnenen Reihe an den Chorwän-c
den, welche dem Riccio angehören, zeigt sich eine ungemeine Über-
legenheit. (David vor der Bundeslade; Judith und Holofernes, vom
Jahr 1507.) Der Styl des XV. Jahrh. ist wie überall, so auch hier,
dann am reizendsten, wenn er sich dem idealen Styl zu nähern
beginnt.
In derselben Art sind noch eine Anzahl anderer Sculpturen gear-
beitet, deren Urheber dem Verfasser nicht bekannt sind. — In S. Fran-
cesco sieht man (linkes Querschiff) ein grosses Bronzerelief der thro-d
nenden Jungfrau zwischen zwei heil. Mönchen, und (rechtes Querschiff)
das ebenfalls bronzene Grabrelief eines Professors, der hinter seinem
Schreibtisch, Bücher nachschlagend, abgebildet ist; zu beiden Seiten
Putten als Schildhalter, angenehme Werke, wenn auch ohne höheres
Leben. — In den Eremitani (rechts und links von der Thür) gewal-e
tige Tabernakel von Terracotta, bemalt, mit grossen Statuen und zahl-
reichen, auch decorativ nicht werthlosen Zuthaten, der eine (mit dem
Gemälde in der Mitte) datirt 1511. In beiden scheint der Styl Dona-
tello’s und derjenige der Lombardi gemischt.
[630]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Padua. Verona.
In der Academie von Venedig sind einige bedeutende Bronze-
reliefs aus Riccio’s Schule; das einzige, welches in der That so be-
zeichnet ist, eine Himmelfahrt Mariä mit den Jüngern am Grabe, ist
in dem kleinen Massstab erhaben gedacht, im Ausdruck tief und innig,
in Zeichnung und Composition Ghiberti vergleichbar, überhaupt eines
der Meisterwerke italienischer Sculptur; — vier andere, dem Riccio
selber zugeschrieben und von 1513 datirt, enthalten die Geschichte
der Kreuzerfindung; im Detail sind sie dem erstgenannten wohl ver-
wandt, aber viel überfüllter und in manchen Motiven sogar flau [und]
unrein; — dagegen ist die Thür eines Sacramenthäuschens, welche
ohne allen Grund dem Donatello zugeschrieben wird, wohl des Mei-
sters der Himmelfahrt Mariä würdig; unter einem Renaissanceportal
sieht man eine anmuthige Engelschaar; die mittlern halten ein Kreuz;
an der Basis zwei kleine Reliefs mit Passionsscenen. — Von dem
betwas spätern Medailleur Cavino, der die sog. Pataviner-Münzen
machte, befindet sich ebenda ein peinlich fleissiges Relief, S. Martin mit
dem Bettler.
Wie im übrigen Oberitalien der realistische Styl des XV. Jahr-
hunderts eindrang, ist der Verfasser nicht im Stande näher anzugeben.
Reisende Florentiner, auch wohl die Einwirkung Quercia’s von Bo-
logna her mögen Das vollendet haben, wozu der Antrieb schon in der
cZeit lag. Man sieht z. B. in S. Fermo zu Verona (links vom Haupt-
portal) das Familiengrab Brenzoni, angeblich von einem Florentiner
Giov. Russi, welches in einer schönrealistisch, doch nicht in Do-
natello’s Manier belebten Wandgruppe die Auferstehung darstellt; der
Sarcophag ist zum Grab Christi umgedeutet, vor welchem die schla-
fenden Wächter sehr gut und geschickt angebracht sind; ein Engel
hält den Grabstein, andere die Leuchter, Putten ziehen den Vorhang.
— Von diesem Geiste berührt mag dann ein Einheimischer das schon
d(S. 167, c) erwähnte Reiterdenkmal des Sarego (1432) im Chor von
S. Anastasia zu Verona geschaffen haben. Vor und hinter dem Feld-
herrn stehen — nicht mehr auf gothischen Consolen, sondern auf na-
turalistisch dargestellten Felsstufen — zwei geharnischte Knappen,
welche den Vorhang des Baldachins auf die Seite halten; der vor-
[631]Verona. Bergamo.
dere zieht die Mütze vor dem Herrn; auf dem Gipfel des Baldachins
ein Schildhalter. Diess ganze, durchaus profane Werk ist umgeben
von einer barock-gothischen Einrahmung; erst über dieser folgen —
in Fresco — Engel, Heilige und Legendenscenen. Auch alles Plasti-
sche ist bemalt.
Was sonst im Westen von Venedig bis ins Herzogthum Mailand
hinein von Sculpturen seit etwa 1450 vorkömmt, hat fast durchgän-
gig eine nahe Verwandtschaft mit dem Styl der Lombardi, deren Na-
men wir desshalb (S. 622) unbedenklich als Landesnamen in Anspruch
genommen haben. Es sind dieselben conventionellen Stellungen, Ge-
wandmotive, Kopfbildungen, nur nicht eben häufig mit der Präcision
eines Pietro Lombardo und noch seltener mit dem süssen Reiz eines
Leopardo durchgeführt.
In Verona trifft man auf eine Menge Giebelstatuen, hauptsäch-
lich über den Renaissancealtären der ältern Kirchen, welche diesen
allgemeinen Schultypus wiedergeben. So diejenigen im Dom, in S. Ana-a
stasia u. a. a. O.; auch die über dem Portal des bischöflichen Palastesb
(dat. 1502); die fünf berühmten Veronesen auf der Dachbalustrade desc
Palazzo del consiglio u. s. w. Das Bedeutendste enthalten ein paar
Altäre in S. Anastasia: der 4. links mit vier Statuen über einanderd
auf jeder Seite, von reinem und gutem Ausdruck; der S. Sebastian
keine geringe Bildung; — und der erste links, mit bemalten Sta-
tuen auf den Seiten und im Giebel, naturalistischer und befangener,
aber von bedeutendem Charakter und beseelt von Andacht; die drei
Hauptstatuen des Altares selbst wohl von anderer Hand.
Im Dom von Brescia (3. Altar, rechts) ist der Marmorschreine
des heil. Apollonius mit seinen Legendenreliefs und Statuetten ein
sehr sorgfältiges doch nicht gleichmässig belebtes Werk der Zeit
um 1500.
In Bergamo enthält die Capelle Coleoni bei S. Maria mag-f
giore ausser den reichen Fassadensculpturen das prächtige Grabmal
des Feldherrn Bartolommeo Coleoni selbst, theilweise von Antonio
Amadeo. Vier auf Löwen ruhende Säulen tragen eine Basis mit
Passionsreliefs, ganz von der fleissigen und saubern aber im Ausdruck
[632]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Bergamo.
bis zur gemeinen Grimasse übertriebenen Art, welche wir bei Maz-
zoni werden kennen lernen. Auf der Basis sitzen und stehen fünf
Heldenstatuen, die zum Bedeutendsten der ganzen oberitalischen Sculp-
tur gehören; das Äusserliche der Behandlung ist in der Art der Lom-
bardi, die Motive (des Sinnens) aber geistvoller und origineller als die
meisten Werke derselben. Geringer sind wiederum die obern Theile
die Reliefs am Sarcophag selbst und die Reiterstatue darüber, nebst
den Tugenden zu beiden Seiten, von verschiedenen Händen. — Ebenda
adas Denkmal der Medea, Coleoni’s Tochter, mit drei köstlichen alle-
gorischen Figuren. (Die beiden Engel, welche den Altartisch tragen,
bei leichter Anmuth doch ernst aufgefasst, mögen von einem treffli-
chen Lombarden zu Anfang des XVI. Jahrh. gefertigt sein.) — An der
bAussenseite der Capelle sind ein paar Putten oben und die Sockel-
reliefs mit den Geschichten der Genesis und den Thaten des Hercu-
les des herben und tüchtigen Styles wegen bemerkenswerth, die Denk-
mäler Cäsars und Trajans aber, welche als Aufsätze der Fenster dienen,
sowie die in Medaillons angebrachten Köpfe des Augustus und Ha-
drian geben wenigstens einen Begriff von der damaligen Vergötterung
des Alterthums.
Im Dom von Como lernt man zunächst den Vollender des Baues
selbst, Tommaso Rodari, auch als Bildhauer und Decorator ken-
cnen; sein Antheil an der nördlichen Seitenpforte 1) und der von ihm
dverfertigte erste Altar des rechten Seitenschiffes (datirt 1492, mit
Marmorreliefs) verrathen jedoch ein nur mittelmässiges Talent. Die
zahlreichen übrigen Sculpturen an und in diesem schönen Gebäude
sind zum Theil bedeutender. — Von mehr oder weniger befangenen lom-
bardischen Künstlern der Zeit um 1470—1500 rühren her: die meisten
eBildwerke an der Fassade, also die Statuen in den Nischen der Pi-
laster, über dem Hauptportal, in den Fenstergewandungen und weiter
oben, sowie die Reliefs der drei Portallunetten; ferner im Innern: die
Apostel an den Pfeilern des Hauptschiffes, mittelgute Arbeiten ganz
[633]Dom von Como.
in der Weise der Lombardi; die Gruppe einer Pietà auf dem 4. Altar
links; der Tabernakel ohne Altar am Anfang des rechten Seitenschiffes,
datirt 1482 u. a. m. — Von den Lombardi und von der Richtung Do-a
natello’s zugleich inspirirt erscheint dann der prächtige grosse Schnitz-
altar 1) des heil. Abondio (der 2. im rechten Seitenschiff.) Der Meister
desselben ist kein grosser Bildhauer, der die lombardische Sculptur
über die Schranken des XV. Jahrh. emporgehoben hätte; in seinen
Statuen und Reliefs sind Stellungen und Bildungen zum Theil ziem-
lich unfrei und unsicher; allein sein Naturalismus schwingt sich bis-
weilen zu einer ganz unbefangenen Schönheit auf, so in der würdigen
Gestalt des heil. Bischofs und in dem lionardesken Haupt der Ma-
donna. — Vielleicht dieselbe Hand verräth sich auch in den Denkmä-
lern des ältern und des jüngern Plinius an der Fassade (das eineb
datirt 1498), deren sitzende Statuen manierirt und doch nicht ohne
freie Schönheit sind; mit grosser Naivetät stellen die Reliefs den äl-
tern Plinius dar, wie er zum brennenden Vesuv geht, den jüngern wie
er Briefe schreibt, vor Trajan plaidirt etc.; die Putten mit Frucht-
kränzen u. s. w. zeigen dieselbe Verwandtschaft mit denjenigen der
paduanischen Malerschule, wie die der meisten genannten Decorations-
werke Oberitaliens.
Das Beste aus dem XV. Jahrh. sind wohl an diesem Gebäude
die Urnenträger unter dem Kranzgesimse der Strebepfeiler; einige,c
zumal an der Südseite, stehen an origineller Energie denjenigen von
S. Marco in Venedig gleich, während andere schon eine spätere und
allgemeinere Formenbildung zeigen. Auch die Prophetenstatuen an der
Südseite des Äussern sind besser als die der Nordseite. Von den
Statuen im Innern ist noch ein guter S. Sebastian im linken Quer-d
schiff, etwa um 1530 gearbeitet, nachzuholen; ebenda eine S. Agnes,
als Nachahmung einer antiken Gewandfigur; die übrigen Statuen im
linken Querschiff sind ziemlich flau, die Apostel im Chor modern.
[634]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Certosa von Pavia.
An der Fassade der Cathedrale von Lugano sind unten derbere
Reliefhalbfiguren von Propheten, in den Friesen dagegen Medaillons
mit Halbfiguren von Aposteln und Heiligen angebracht, letztere zum
Theil von demselben süssen und innigen Ausdruck, wie die entspre-
chenden Figuren an S. Maria de’ miracoli in Venedig, nur freier in
den Formen.
Über die Sculpturen endlich, welche die Fassade der berühmten
Certosa von Pavia bedecken und auch das Innere dieser unvergleich-
lichen Kirche verherrlichen, darf ich aus ziemlich alter Erinnerung
und aus wenig getreuen Abbildungen kein Urtheil wagen. Es wer-
den vom XV. bis zum XVII. Jahrh. gegen 30 Bildhauer und Deco-
ratoren bloss für die Fassade namhaft gemacht, worunter Antonio
Amadeo und Andrea Fusina für das XV., Giacomo della
Porta und Agostino Busti, genannt Bambaja, für das XVI.
Jahrh. die wichtigsten sind. (Am Prachtdenkmal des Giangaleazzo
Visconti arbeiteten besonders Amadeo und della Porta.) Die ganze
lombardische Sculptur hatte hier ihren Heerd und ihre Schule; von
hier könnten selbst die Lombardi ausgegangen sein. Der Verfasser
empfindet es als die grössten Mängel dieses Buches, dass er diese
Certosa und die Sculpturen von Loretto nicht so besprechen kann,
wie das Verhältniss zu allem Übrigen es verlangen würde 1).
Neben all diesen zum Theil sehr realistisch gesinnten Bildhauern
Oberitaliens tritt wenigstens Einer auf, der sie in dieser Richtung so
weit überholt, dass sie neben ihm noch als Idealisten erscheinen. Seit
dem Untergang des architektonisch bedingten germanischen Styles von
jeder Rücksicht entbunden, schafft die Kunst hier eine Anzahl von
Gruppen, welche als solche weder einem plastischen, noch auch einem
[635]Modena. Guido Mazzoni.
höhern malerischen Gesetz, sondern nur einem dramatischen folgen.
Der Bildner stellt seine bemalten zum Theil lebensgrossen Thonfiguren
wohl oder übel zu einem Moment zusammen. Ein gewisser Guido
Mazzoni in Modena erwarb sich und der Gattung einen sichern
Ruhm, da ihm auch die gemeinste, wenn nur populär ergreifende
Ausdrucksweise gelegen kam. Seine Gruppen bedürfen natürlich einer
geschlossenen Aufstellung in einer Nische, wie auf einem Theater;
nimmt man sie auseinander um sie frei aufzustellen (wie diess mit
einer von „Modanino“, d. h. wahrscheinlich von Mazzoni gearbeiteten,a
jetzt bronzirten Gruppe in Montoliveto zu Neapel, Cap. neben dem
rechten Querschiff, geschehen ist), so wirken die einzelnen Figuren nur
lächerlich. Sein Hauptwerk ist in S. Giovanni decollato zu Modena,b
der Leichnam Christi auf dem Schooss seiner Mutter, von den An-
gehörigen beweint; theilweise eine wahre Caricatur des Schmerzes, in
unwürdigen spiessbürgerlichen Figuren und dabei doch nicht ohne
wahre realistische Gestaltungskraft; der magere Leichnam ist gar nicht
gemein. Eine andere Gruppe, in der Crypta des Domes (Altar rechts)c
stellt die von zwei knieenden Heiligen verehrte Madonna dar; dane-
ben steht ein ganz abscheuliches weibliches Wesen, das nach der
Schürze und dem zerrissenen Ermel zu urtheilen ein Dienstmädchen
darstellen könnte; sie hält ein Süppchen für das Kind und bläst schie-
lend in den heissen Löffel. Dergleichen geht über allen Caravaggio
hinaus. — Wenn man aber inne wird, wie volksthümlich solche Werke
sind, so möchte man beinahe wünschen, dass einmal die wahre Sculptur
noch einen Versuch dieser Art wagen dürfte.
Schliesslich glaube ich dem Mazzoni die Gruppe in S. Maria dellad
Rosa zu Ferrara (neben der Thür, links, ihrer echten Nischenaufstel-
lung beraubt) zuschreiben zu müssen. Es ist wieder die Klage um
den todten Christus, welcher hier mit demjenigen in S. Giovanni zu
Modena völlig übereinstimmt; auch der furchtbar grimassirende Schmerz
sowohl als der plastische Styl der übrigen Figuren ist ganz dersel-
ben Art. Es ist Zeit, den Namen Alfonso Lombardi’s (welchen man
dem Werk aus blosser Vermuthung beilegt) von diesen zwar energi-
schen, aber unleidlichen Missbildungen zu trennen. — (Eine etwas ge-
mässigtere Gruppe ähnlichen Styles im Carmine zu Brescia, Ende dese
Seitenschiffes.)
[636]Sculptur des XV. Jahrhunderts. Neapel.
In diesen lombardischen Formenkreis gehört auch wohl der Chri-
astus am Kreuz, welcher in S. Giorgio maggiore zu Venedig (2. Altar
rechts) dem Michelozzo zugeschrieben wird. Aber kein Florentiner,
selbst nicht Donatello, hätte eine solche Schmerzensgrimasse gebildet.
Auch in dem marmorarmen Bologna begegnen wir diesen bemal-
bten Thongruppen als einem sehr alten Brauch. In S. Pietro (Gang
zur Unterkirche) ein frühromanischer Gekreuzigter mit Maria und
cJohannes; in einer der Nebenkirchen von S. Stefano (S. Trinità, 3.
Cap. rechts) eine Anbetung der Weisen, etwa XIV. Jahrh., mehrerer
sog. heiliger Gräber nicht zu erwähnen. — Mit Mazzoni verwandt, nur
weniger scharf und absurd: der etwas jüngere Vincenzo Onofri;
dvon ihm ein heil. Grab, rechts neben dem Chor von S. Petronio; und
edas farbige Relief im Chorumgang der Servi (1503), Madonna mit
S. Laurentius und S. Eustachius nebst zwei Engeln, eine bessere, gar
nicht seelenlose Arbeit; wie denn auch die Grabbüste des berühmten
fPhilologen Beroaldus in S. Martino maggiore (hinten, links) lebendig
und schön behandelt ist. Ausserdem gehört ihm das Grabmal des Bi-
gschofs Nacci in S. Petronio (am Pfeiler nach der 7. Capelle links).
Abgesehen von den florentinischen Arbeiten (der Altar mit Engel-
reliefs und das Grabmal von Rosellino in der Cap. Piccolomini in
Montoliveto; der Triumphbogen Giul. da Majano’s im Castell etc.)
geben die Sculpturen Neapels den Charakter der damaligen italieni-
schen Kunst nur beschränkt wieder. — Die ehernen Pforten des ge-
hnannten Triumphbogens, von Guglielmo Monaco aus Neapel —
überfüllte Schlachtreliefs mit einzelnen schönen Motiven — dürfen so
wenig als Filarete’s Pforten von S. Peter mit dem etwa gleichzeitigen
Ghiberti verglichen werden. — Über Reliefs und Statuetten gehen die
neapol. Bildhauer dieses Jahrh. überhaupt kaum hinaus. Zu den Aus-
inahmen gehört u. a. die naturalistisch gut gearbeitete knieende Statue
des Olivieri Carafa in der Crypta des Domes. Die paar tüchtigen
kBronzebüsten im Museum (Abtheilung der Terracotten, I. Zimmer)
scheinen wiederum florentinische Arbeit zu sein. Über die Gruppe
der Grablegung in Montoliveto (Capelle rechts, hinten), von „Moda-
nino“, vgl. was eben über Guido Mazzoni gesagt wurde (S. 635, a).
[637]Sculptur des XVI. Jahrhunderts.
Wenn die grossen Bildhauer des XVI. Jahrh. bei weitem nicht
die grossen Maler dieser Zeit aufwiegen, wenn sie nicht zu halten schei-
nen, was das XIV. und XV. Jahrh. in der Sculptur versprach, so
lag die Schuld lange nicht bloss an ihnen.
Die unsichtbaren Schranken, welche zunächst die kirchliche Sculp-
tur umgeben und ihr nie gestatten, das zu werden, was die griechi-
sche Tempelsculptur war, sind schon oben mehrfach angedeutet wor-
den. An ihre Seite trat jetzt allerdings eine profane und eine nur
halbkirchliche allegorische Sculptur, allein dieser fehlte die innere Noth-
wendigkeit, sie war und blieb ein ästhetisches Belieben der Gebildeten
jener Zeit, nicht eine nothwendige Äusserung eines allverbreiteten my-
thologischen Bewusstseins.
Dafür wird die Sculptur im XVI. Jahrh. eine freiere Kunst als
sie je gewesen war. Nehmen wir z. B. die Grabmäler als Massstab
des Verhaltens der beiden Künste an, so herrscht in der gothischen
Zeit die Architektur völlig vor; das Bildwerk scheint um des Bauge-
rüstes willen da zu sein. Zur Zeit der frühern Renaissance ist es
statt der Architektur schon eher nur die Decoration, welche als Ni-
sche, als Triumphbogen die Sculpturen einfasst; wohl ist sie um der
letztern willen vorhanden und dennoch gehört die Gesammtwirkung
noch wesentlich dem decorativen, nicht dem plastischen Gebiet an.
Dieser bisher immer noch mehr oder weniger bindende Zusammen-
hang mit der Architektur nimmt jetzt einen ganz andern Charakter
an; die beiden Künste brauchen einander fortwährend, allein die Sculp-
tur ist nicht mehr das Kind vom Hause, sondern sie scheint bei der
Architektur zur Miethe zu wohnen; man überlässt ihr Nischen und
Balustraden, damit mag sie anfangen, was sie will, wenn sie nur die
Baulinien nicht auffallend stört. Wo sie kann, richtet sie sogar das
Gebäude nach ihren Bedingungen ein. Ganze bisher mehr architek-
[638]Sculptur des XVI. Jahrhunderts.
tonische Partien, Altäre, Grabmäler u. s. w. werden ihr jetzt oft aus-
schliesslich überlassen.
Sie ist ferner freier in ihren Mitteln; die Lebensgrösse ihrer
Gestalten, im XV. Jahrh. eher Ausnahme als Regel, genügt jetzt nicht
mehr; das Halbcolossale wird das Normale und das ganz Riesenhafte
kommt nicht selten vor.
Sie ist endlich freier im Typus. Die biblischen Personen wer-
den noch einmal nach plastischen Bedürfnissen umstylisirt, und auch
die mythologischen nichts weniger als genau den entsprechenden an-
tiken Bildungen nachgeahmt. Die Allegorie geht vollends geradezu
in das Unbedingte und Schrankenlose.
Diese viele Freiheit musste nun aufgewogen werden durch die
freiwillige Beschränkung, welche der hohe plastische Styl sich selber
auferlegt, durch Grösse innerhalb der Gesetzlichkeit. Der Geist des
XV. Jahrh. in der Sculptur war vor allem auf das Wirkliche und
Lebendige gerichtet gewesen, das er bald liebenswürdig, bald unge-
stüm, oft mit hoher Ahnung der obersten Stylgesetze, oft roh und
fessellos zur Darstellung brachte. Dieses Wirkliche und Lebendige
sollte nun in ein Hohes und Schönes verklärt werden.
Hier trat das Alterthum noch einmal begeisternd und befreiend
ein. Ganz anders als zur Zeit Donatello’s und der alten Paduaner,
welche der Antike ihren decorativen Schein als Hülle für ihre eigenen
Gedanken abnahmen, erforschten jetzt einige Meister das Gesetzmäs-
sige der alten Plastik. Es war vielleicht ein kurzer Augenblick;
nur sehr wenige thaten es ernstlich; bald überwog äusserliche manie-
rirte Nachahmung nach den Werken dieser Meister selbst, wobei so-
wohl das Alterthum, als das bisher eifrig gepflegte Studium des Nack-
ten halb vergessen wurden; — nichtsdestoweniger blieben von der
empfangenen Anregung einige kenntliche Züge zurück: die Absicht
auf grossartige Behandlung des Nackten und die Vereinfachung der
Zuthaten, hauptsächlich der Gewandung. (Innerhalb der einfachen
Draperie hielten sich freilich die vielen und überflüssigen Faltenmo-
tive mit Hartnäckigkeit.) Sodann beginnt mit Andrea Sansovino, wie
wir sehen werden, die ebenfalls dem Alterthum entnommene bewusste
Handhabung des Gegensatzes der einzelnen Theile der Gestalt, das
Hervortreten der linken gegen die rechten, der obern gegen die untern
[639]Das Relief. Andrea Sansovino.
und umgekehrt für die entgegengesetzten Seiten. Dieser sog. Contra-
posto wird allerdings bei Manchen nur zu bald der einzige Gehalt des
Werkes. Endlich bleiben zahlreiche vereinzelte Aneignungen aus an-
tiken Werken nicht aus. Was uns in den manierirten Werken an-
stössig erscheint, ist nicht das Antikisiren an sich, womit man noch
immer ein Thorwaldsen sein kann, sondern die unechte Verquickung
desselben mit fremden Intentionen.
Am übelsten ging es dabei dem Relief. Die grosse Masse der
vorliegenden antiken Reliefs, nämlich die spätrömischen Sarcophage,
schienen jede Überladung zu rechtfertigen; schon das XV. Jáhrhun-
dert hatte die Sache so verstanden, war aber noch bedeutend weiter
gegangen als die spätesten Römer und hatte, wie wir sahen, Gemälde
mit reichem und tiefem Hintergrund in Marmor und Erz übersetzt.
Diesen ganzen Missbrauch behielt die Sculptur jetzt mit wenigen Aus-
nahmen bei, nur ohne die Naivetät des XV. Jahrh., in anspruchvol-
lern und bald ganz öden Formen. Wie das Relief erzählen muss,
welches seine nothwendigen Schranken sind, davon hatte schon etwa
von 1530 an Niemand mehr auch nur das leiseste Gefühl. Eine Masse
von Talent und von äussern Mitteln geht von da an für mehr als
volle 200 Jahre an einer ganz falschen Richtung verloren.
Der erste und wohl der edelste der Bildhauer, welche das XVI.
Jahrhundert vertreten, ist Andrea (Contucci da Monte) San-
sovino, geb. 1460 (?), st. 1529. Mit einer milden, schönen Empfin-
dungsweise begabt, die sich in ihrer Äusserung etwas an Lionardo da
Vinci anlehnt 1), wächst er halb unbewusst in die Freiheit des XVI.
Jahrh. hinein, sodass man zweifelhaft bleibt, ob die hohe Schönheit
der Form und der bei ihm zuerst streng durchgeführte Gegensatz der
Theile mehr seiner eigenen innern Ausbildung oder mehr dem Studium
der Antiken angehören.
Die beiden Prälatengräber (Basso und Sforza Visconti) im Chora
von S. Maria del popolo (1505 ff.) die herrlichsten, welche Rom
überhaupt enthält, folgen in der Anordnung noch dem Einrahmungs-
[640]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Andrea Sansovino.
system des XV. Jahrh. (Das bald darauf verlassen wurde, um jenen
grossen Freigruppen Platz zu machen, mit welchen dann so Wenige
etwas anzufangen wussten.) Die allegorischen Figuren stehen noch
halblebensgross in ihren Nischen; ihre Schönheit ist aber der genau-
sten Betrachtung werth. (Die Gewänder nicht im Verhältniss zum
Massstab und desshalb scheinbar schwer drapirt.) Ganz wunderbar
edel sind dann die beiden schlummernd liegenden Prälaten gebildet;
das auf den Arm gestützte Haupt motivirt die köstlichste Belebung
der ganzen Gestalt; dieser Schlaf ist gegenüber den frühern symme-
trisch ausgestreckten Grabstatuen vielleicht Naturalismus gegenüber
dem strengen Styl; allein er ist so gegeben, dass das Urtheil verstummt.
Auch die Madonnenreliefs in den Lunetten und vorzüglich die Engel
mit Leuchtern oben sind bewunderswerth.
In der Sacramentsnische von S. Spirito in Florenz (linkes Quer-
schiff) sind von Andrea wohl nur die Statuetten der beiden Apostel‘
die Engel mit den Candelabern, das Christuskind oben im gebroche-
nen Giebel und möglicher Weise die Reliefs der Predella. Diese
Figuren sind in Schönheit und Styl den eben genannten verwandt.
Der Rest (die Lunette mit der Krönung Mariä, die Rundreliefs mit der
Verkündigung, der Altarvorsatz mit einer Pietà) scheinen von irgend
einem Florentiner aus der Schule des Mino oder Rosellino zu sein 1).
In S. Agostino zu Rom (2. Cap. links) steht, leider im schlech-
testen Licht, die Gruppe der heil. Anna mit der Jungfrau Maria und
dem Kinde, Stiftung eines deutschen Protonotars, Johann Coricius,
vom Jahr 1512. Alles erwogen, ist es das anmuthigste Sculpturwerk
des Jahrhunderts, schön und frei in den Linien und Formen und vom
holdesten Ausdruck der Mütterlichkeit auf zweierlei Stufen.
Das Höchste aber möchte Andrea erreicht haben in der Gruppe
der Taufe Christi über dem Ostportal des Baptisteriums von
Florenz. (Den Engel, von Spinazzi, möge man ja wegdenken.) Wel-
cher Adel in dieser Gestalt des Christus! und welche Weihe in Aus-
druck und Bewegung! In dem Täufer wird man das grandiose Motiv
[641]Andrea Sansovino. Rafael. Lorenzetto.
der stärksten innern Erregung aus einem Relief von Ghiberti’s Nord-
thür in erhöhter Darstellung wiederfinden. (Nach 1500 gearbeitet.)
Über den Marmorumbau des heiligen Hauses in der Kirche vona
Loretto kann der Verf. nicht aus Anschauung berichten. Bramante
gilt als Erfinder der baulichen Anordnung; Andrea Sansovino leitete
den plastischen Schmuck und arbeitete selbst einen Theil der Reliefs;
die übrigen sind ausgeführt von Tribolo, Bandinelli, Rafael da Mon-
telupo, Franc. da Sangallo, Lancia, Girol. Lombardo und Mosca. Nach
zuverlässigen Urtheilen sollen die Sculpturen dieser Künstler im Gan-
zen mehr ihrem anderweitig bekannten, zum Theil schon beträchtlich
manierirten Styl folgen als dem Vorbilde Andrea’s.
In der Johannescapelle des Domes von Genua (links) sind dieb
Statuen des Täufers und der Madonna, (wahrscheinlich frühe) Ar-
beiten von ihm; erstere noch etwas herb, letztere aber ungemein schön
in Stellung und Motiv, das Kind naiv bewegt und wiederum mit einem
kenntlichen lionardesken Anklang. — Von kleinern Sachen möchte ich
dem Andrea einen Salvator zuschreiben, welcher in Araceli zu Romc
auf der Spitze eines Grabmals (Lud. Gratus, † 1531) links vom Haupt-
portal angebracht worden ist 1).
Diese an Zahl geringen Arbeiten repräsentiren uns in der Sculptur
fast einzig denjenigen Geist massvoller Schönheit, welchen in der
Malerei vorzüglich Rafael vertritt. Auch gleichen ihnen am meisten
diejenigen Sculpturwerke, welche Rafael selbst schuf oder unter
seiner Aufsicht hauptsächlich durch Lorenzetto ausführen liess.
Als eigenhändige (und jetzt wohl einzig vorhandene) Arbeit R.’s gilt
gegenwärtig die nackte Statue des Jonas in S. Maria del Popolod
(Cap. Chigi) zu Rom; eine keinesweges vollkommene körperliche
B. Cicerone. 41
[642]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Lorenzetto. Tribolo.
Bildung, aber in der Geberde von wunderbarem Ausdruck des wie-
dergewonnenen jugendlichen Lebens, das wie vom Schlaf erwacht.
(Der Fischrachen ist geschickt und bescheiden angegeben. Im Kopf
des Jonas eine Annäherung an die Züge des Antinous.) — Der Prophet
aElias gegenüber zeigt Lorenzetto’s stumpfere Ausführung; — ebenso die
bsehr schön gedachte Madonnenstatue auf demjenigen Altar im Pan-
theon, welcher Rafaels Grab hinter sich birgt. — Lorenzetto’s eigene
cErfindung möchte der S. Petrus am Eingang der Engelsbrücke sein.
— (In der Art Lorenzetto’s scheint auch die sitzende Madonna über
ddem Grabmal des Guidiccioni in S. Francesco zu Lucca gearbeitet,
deren Urheber ich nicht anzugeben weiss. Die schöne Intention in
dem Kopf der Madonna, in Bewegung und Gestalt des Kindes, das
sie am Schleier fasst, übertrifft die Ausführung.)
Der Zeit nach müsste schon hier Michelangelo genannt werden,
allein bei der historischen Stellung, die er gegenüber der ganzen
spätern Sculptur einnimmt, ist es nothwendig, zuerst diejenige An-
zahl von Künstlern zu besprechen, welche, obwohl meist jünger als
er, noch nicht oder noch wenig von seinem Styl berührt wurden. Sie
haben theils die Richtungen des XV. Jahrh., dessen Realismus und
bunten Reichthum aufgebraucht, theils auch sich der freien und hohen
Schönheit stellenweise genähert, meist aber sich der von der römi-
schen Malerschule ausgehenden Entartung nicht entziehen können.
Zunächst ein paar Florentiner. (Den Bandinelli versparen wir
auf die Michelangelisten, zu welchen er wider Willen gehört.) — Tri-
bolo (eigentlich Niccolò Pericoli, 1500—1565) war anfänglich Schüler
des unten zu nennenden Jacopo Sansovino, allein in einer Zeit, da
dieser noch seinem Lehrer Andrea im Styl näher stand als seiner
eigenen spätern Manier; zudem muss Tribolo von Anfang an auch
Andrea’s Werke gekannt haben und später, durch die Mitarbeit an
der Santa casa von Loretto nach dessen Entwürfen, von dem Styl
Andrea’s durchdrungen worden sein. Der Verf. hat es besonders an
dieser Stelle zu beklagen, dass ihm die Untersuchung der dortigen
Sculpturen nicht vergönnt war. Welch ein Meister Andrea Sansovino
auch im Relief gewesen sein muss und welchen Einfluss er auf die
Seinigen ausübte, lassen die Arbeiten dieses seines Schülers wenigstens
[643]Tribolo in Bologna.
ahnen. Tribolo bekam noch in jungen Jahren (um 1525) die Seiten-
thüren der Fassade von S. Petronio in Bologna zu verzieren. Vona
ihm sind an beiden die Propheten, Sibyllen und Engel in der Schrägung
der Pforte und des Bogens, sodann die sämmtlichen Pilasterreliefs an
der Thür rechts (Geschichten Josephs), und von denjenigen der Thür
links das erste, dritte und vierte des linken Pilasters (Geschichten des
Moses). In dem kleinen Massstab dieser zahlreichen Gegenstände ist
ein reiner und massvoller Styl entwickelt, wie er sonst sehr wenigen
Reliefs der damaligen Zeit innewohnt. Die Propheten und Sibyllen
verhehlen zwar schon in der Tracht und Körperbildung den Einfluss
der Sistina nicht; auch im Motiv selber macht er sich hie und da
kenntlich; aber es sind von den reinsten und reizendsten Einzelfiguren
der goldenen Zeit. Die erzählenden Reliefs, zwar etwas überfüllt,
doch weniger als das meiste Gleichzeitige, geben fast allein einen Be-
griff von den Liniengesetzen dieser Gattung, und sind reich an geist-
voll prägnanten einzelnen Zügen. (Joseph in den Brunnen gesenkt;
an den Midianiter verkauft; die Tödtung des Böckleins; das mit dessen
Blut gefärbte Kleid wird dem Jacob vorgewiesen etc.) An diesen in
Form und Gedanken trefflichen Arbeiten machte auch der etwas ältere
Genosse, Alfonso Lombardi, eine neue Schule durch 1).
Aus Tribolo’s späterer Zeit möchte das grosse Relief von Mariäb
Himmelfahrt (S. Petronio, 11. Cap. rechts), wenigstens dessen untere
Hälfte herrühren. Es zeigt, dass er den falschen Ansprüchen und
Manieren der Nachahmer Michelangelo’s auch später fern blieb.
Von einem trefflichen ungenannten Meister, der aber dem T.
offenbar sehr nahe stand, ist das 1526 errichtete Grab der Familiec
Cereoli in S. Petronio (innen links vom Hauptportal), und vielleicht
auch die Madonna in der 6. Cap. rechts (daselbst) gearbeitet. — Vond
Alf. Lombardi wird weiter die Rede sein.
Als Tribolo’s Hauptwerk zu Rom gilt das Grabmal Papst Ha-e
drians VI (st. 1523) im Chor von S. Maria dell’ anima (rechts), im
41*
[644]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Benvenuto Cellini.
Ganzen nicht von glücklicher Anordnung (diese von Peruzzi), und
auch im Einzelnen unplastisch überfüllt. Übrigens ist Tribolo’s An-
theil vielleicht auf die allegorischen Figuren zu beschränken; die
liegende Statue ist bestimmt und das meiste übrige vielleicht von
Michelangelo Sanese.
Die spätere Thätigkeit T.’s betraf zum Theil Decorationen des
Augenblickes, für welche er ein besonderes Talent besass; auch wurde
er eines der baulichen Factotum Cosimo’s I (S. 401, b). Was von seinen
(auch plastischen) Arbeiten in der Villa Castello unweit Florenz noch
erhalten ist, weiss ich nicht anzugeben.
In diese Reihe gehört auch Benvenuto Cellini (1500—1572),
der durch seine eigene Lebensbeschreibung eine grössere Bedeutung
gewonnen hat als durch seine Werke. Von seinem decorativen Ver-
dienst ist oben (S. 272) die Rede gewesen; hier handelt es sich um
seine Bildwerke. Von grösserm Umfang und selbständiger Bedeutung
aist bloss der eherne Perseus unter der Loggia de’ Lanzi in Florenz.
Benvenuto erscheint hier noch wesentlich als der Naturalist des XV.
Jahrh., als der geistige Sohn Donatello’s, allein das Motiv ist b ei aller
Wunderlichkeit (man sehe die Verschränkung der Medusenleiche)
doch nicht nur energisch, sondern auch in den Linien bedeutend, so-
dass man die Mängel der an sich sehr fleissigen Einzelbehandlu ng,
z. B. die Dürftigkeit des Rumpfes im Verhältniss zu den Extremitäten,
darob übersehen mag. Die Statuetten an der Basis sind dagegen
idealistisch manierirt in der schlechtesten Art der römischen Sch ule,
das Relief ebenso und dabei möglichst unplastisch. — In den Uffizien
b(I. Zimmer der Br.) findet man ausser zwei unter sich verschiedenen
Modellen zum Perseus, von welchen das wächserne den Vorzug ha ben
möchte, die colossale Bronzebüste Cosimo’s I, etwas gesucht in Schmuck
und Haltung, aber von vortrefflicher Arbeit. — Seine Restaurationen an-
ctiker Werke, wie z. B. an dem Ganymed in den Uffizien (Saal d.
Hermaphr.) sehen freilich sehr geziert aus 1).
[645]Sangallo. Danti. Begarelli.
Als Werk eines Ungenannten schliessen wir am besten hier den
Bacchus an, welcher jenseits Ponte vecchio in Florenz in einer Brun-a
nennische steht. Mit Schale und Traube in den Händen vorwärts
stürmend und überhaupt energisch belebt, ist er doch nur für den
Anblick von links berechnet und stösst ab durch vulgäre, gesucht
herculische Bildung. Man vergleiche ihn z. B. mit dem Bacchus Jac.
Sansovino’s der ein ähnliches Motiv viel schöner giebt.
Francesco da Sangallo (1498—1570) Sohn des Architekten
Giuliano, ist einer der weniger bedeutenden Nachfolger A. Sansovino’s.
Seine Altargruppe in Orsanmicchele zu Florenz, derselbe Gegenstandb
wie die seines Meisters in S. Agostino zu Rom, zeigt seine ganze
Inferiorität; die beiden sitzenden Frauen stossen das Kind auf ihren
Knieen hervor. — Porträtstatue des Paolo Giovio im Klosterhof vonc
S. Lorenzo. — Grabmal des Prälaten Angelo Marzi-Medici in derd
Annunziata, am Eingang der Rotunde. — Theilnahme an den Sculptu-
ren in Loretto.
Vincenzo Danti (1530—1567) erscheint in der Bronzegruppe
der Enthauptung des Täufers über der Südthür des Baptisteriumse
stylistisch halbirt. Einer schönen Inspiration aus den Werken San-
sovino’s gehört der knieende Johannes an; der Henker dagegen und
das zuschauende Weib sehen den Gedanken und Formen der römi-
schen Malerschule nur zu ähnlich. — Die Statue Papst Julius IIIf
beim Dom von Perugia gehört ebenfalls der letztern Art an.
In Oberitalien hält Ein Künstler den meisten bisher genann-
ten, mit Ausnahme Andrea Sansovino’s das Gleichgewicht: Antonio
Begarelli von Modena (st. 1555). Sein Vorgänger ist jener wun-
derliche Guido Mazzoni (S. 635), welcher durch seine grossen gri-
massirenden Thongruppen weniger eine neue Gattung geschaffen, als
eine missachtete Gattung gewissermassen zu Ehren gebracht hatte,
sodass sie für Modena eine anerkannte Specialität ausmachte. Den
1)
[646]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Oberitaliener.
Begarelli hob nicht eine Bekanntschaft mit dem Alterthum, sondern
eine nahe und unverkennbare Kunstbeziehung zu Coreggio, wobei
man nicht einmal genau sagen kann, welcher Theil der gebende war;
sodann die allgemeine Kunsthöhe der Zeit. Seine Einzelformen sind
so schön, frei und reich, als diejenigen A. Sansovino’s, denen sie nicht
gleichen. Allein diess ganze Vermögen steht im Dienste eines Geistes,
der gerade die höchsten Gesetze der Plastik so wenig anerkennt, als
Coreggio die der Malerei.
Allerdings muss man ihm sein Princip zugeben; er arbeitete seine
lebensgrossen Thongruppen nicht für freie Aufstellung, sondern für
ganz bestimmte Nischen und Capellen, d. h. als Bilder. An die
Stelle des streng geschlossenen Baues der Gruppe tritt eine rein ma-
lerische Anordnung für Einen Gesichtspunkt. Allein innerhalb dieser
Schranken hätte er wenigstens so streng bleiben müssen als die
strengere Malerei es muss; statt dessen überliess er sich bei einem
grossen Schönheitssinn doch sehr dem naturalistischen Schick und
Wurf, dem blossen Streben nach Lebendigkeit und Wirklichkeit. Sein
Gefühl selbst für bloss malerische Linien ist so wenig entwickelt als
dasjenige Coreggio’s. Seine Körperbildungen sind meist gering, die
Haltung, sobald sie nicht in einem bestimmten Moment aufgeht, unent-
schieden und unsicher, sodass er in den zur freien isolirten Aufstel-
lung bestimmten Statuen weniger genügt als Manche, die sonst tief
unter ihm stehen.
Sein vielleicht frühstes Werk in Modena ist die Gruppe der um
aden todten Christus Weinenden in S. Maria pomposa (Piazza S.
Agostino, 1. Altar rechts). Hier ist er noch am meisten von Mazzo-
ni’s Gruppe in S. Giovanni (S. 635, b) abhängig, sowohl in der Anord-
nung als in dem grimassirenden Ausdruck. — Vielleicht folgt zunächst
bdas grosse Hauptwerk in S. Francesco (Cap. links vom Chor): die
Kreuzabnahme. Vier Personen, symmetrisch auf zwei Leitern geord-
net, senken den Leichnam nieder; unten die ohnmächtige Maria, von
drei Frauen gehalten und umgeben; ein knieender und ein stehender
Heiliger zu beiden Seiten. (Johannes d. T., Hieronymus, Franciscus
und Antonius von Padua.) Dass gerade der Moment der physischen
Anstrengung symmetrisch dargestellt ist, wirkt nicht glücklich; dafür
ist die Gruppe der Frauen malerisch vortrefflich und im Ausdruck
[647]Antonio Begarelli.
des Jammers edel und ergreifend zugleich, die Köpfe grandios wie
sie nur in der Zeit der hohen Blüthe vorkommen. Die Frau zur
Linken der Madonna hat z. B. am ehesten in Rafaels Kreuztragung
ihres Gleichen. Der Künstler ist aber auch aller andern Mittel des
Ausdruckes völlig Herr; die Hände sind mit der grössten Leichtigkeit
schön und sprechend angeordnet 1), das Liegen der Maria, das Knieen
des Franciscus, das Überbeugen der hinten stehenden Frau zeigen
eine vollendete Meisterschaft. In der Gewandung aber verräth sich
das selbst malerisch Ungenügende dieses Naturalismus, der nicht er-
kennt, dass die Gewandung in der Kunst etwas anderes ist als im
Leben, nämlich ein werthvolles Verdeutlichungsmittel der Gestalt und
Bewegung, das zudem in der Plastik sehr bestimmten Gesetzen unter-
liegt. So drängt sich an dieser Stelle viel Müssiges und Unnützes
vor; schon beginnen Mantelenden und Schleier zu flattern, als wehte
von Neapel her bereits der berninische Scirocco hinein.
Doch ein ganz reifes und herrliches Werk kann diese Schatten-
seiten vergessen machen. In S. Pietro (Cap. rechts vom Chor) ista
wieder eine „Klage um den todten Christus“ nur von vier Figuren.
Nicodemus hebt den liegenden Leichnam etwas empor, Johannes hält
die davor knieende Mutter. Als Bild vollkommen, in der Behandlung
des Details einfach und grossartig, erreicht diese Gruppe jene reine
Höhe der vollendeten Meisterwerke des XVI. Jahrhunderts. — In der-
selben Kirche ist die Altargruppe des rechten Querschiffes (vier Hei-b
lige, oben in Wolken Madonna mit Engeln) von B. angefangen, von
seinem Neffen Lodovico vollendet; Einzelnes wie die Ekstase des
Petrus, die Schönheit des Kopfes der Maria und des Kindes ist auch
hier von grossem Werthe. — Dagegen zeigen die sechs lebensgrossenc
Statuen, welche frei im Hauptschiff stehen, die ganze Unfähigkeit des
Künstlers, eine ruhige Gestalt plastisch zu stellen. — Ebenso verhält
es sich mit den vier Statuen im obern Klostergang zu S. Giovannid
in Parma, welche in Detail diese sechs übertreffen und zu den Wer-
ken der besten Epoche gehören. Wie unentschieden ist Leib und
Haltung dieses Ev. Johannes, dieser Madonna! wie vergnüglich cha-
rakterisirt Begarelli die weiten hängenden Ermel des heil. Benedict!
[648]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Oberitaliener.
wie lässt er den Schleier der Madonna flattern! Aber auch welche
Schönheit in den Köpfen und in der Kindergestalt des Täufers Jo-
hannes, der seine Mutter begleitet!
Die späteste Zeit Begarelli’s glaube ich (abgesehen von jenem
Altar des Querbaues in S. Pietro) zu erkennen in der grossen Gruppe
avon S. Domenico zu Modena (Durchgang aus der Kirche in die
untere Halle des Academiegebäudes). Es ist die Scene von Martha
und Maria, letztere vor Christus knieend, erstere sammt zwei Mägden
rechts, zwei Jünger links. Unverkennbar wirkt hier der Geist der
römischen Malerschule auf den Künstler ein, wie schon die Draperien
beweisen; auch macht sich (z. B. in der Martha, die auch als Ein-
zelstatue gut ist) der Gegensatz der entsprechenden Theile des Körpers
auf bewusstere Weise geltend. Die Köpfe sind noch meist von naiver
Schönheit.
(Ein kleines Presepio B.’s im Dom, unter dem 4. Altar links, in
der Regel verschlossen, hat der Verf. nicht gesehen.)
Wahrscheinlich hat B. seine Gruppen nicht bemalt. Auch wo die
jetzige Beweissung abspringt, kömmt keine Farbe zum Vorschein 1).
Die meisten oberitalienischen Sculptoren der Zeit suchen, im Ge-
gensatz zu diesem entschlossenen Realisten, ihre heimische Befangen-
heit durch den von Florenz und Rom ausgehenden Idealismus auf-
zubessern. Welche von ihnen die Werke A. Sansovino’s und die
ebenfalls sehr einflussreichen Deckengemälde der sixtinischen Capelle
gekannt haben, ist im Einzelnen nicht immer leicht anzugeben; bei
mehrern sind diese Einwirkungen ganz deutlich nachweisbar; Michel-
angelo wirkte schon lange als Maler auf die Sculptur, ehe seine
plastischen Hauptwerke zu Stande kamen. — Von den 1520er Jahren
an muss dann namentlich die Anwesenheit des Tribolo in Bologna der
römisch-toscanischen Richtung den Sieg verschafft haben.
[649]Alfonso Lombardi.
Vielleicht der bedeutendste dieser Reihe nächst Begarelli war der
Ferrarese 1)Alfonso Lombardi (1487—1536), der hauptsächlich
in Bologna arbeitete. Auch er beginnt realistisch, sogar mit ähnlichen
Aufgaben wie Begarelli. Ein frühes Werk, worin er demselben sehr
nahe steht, sind die bemalten (und jetzt neu bemalten) Halbfigurena
Christi und der Apostel in den beiden Querarmen des Domes von
Ferrara. Der Künstler erscheint hier noch mehr naturalistisch ge-
bunden durch die Präcedentien seiner Schule; er verräth sich z. B.
als Schulgenossen eines Lorenzo Costa schon durch die grossen Hände,
und als tüchtigen Anfänger durch die zierliche und exacte Arbeit.
Allein die grosse lebendige Schönheit mehrerer Köpfe, wie z. B. des
Johannes, die bedeutende Geberde z. B. des Thomas, der sich in
seinen Mantel hüllt, zeigen welches Aufschwunges Alfonso bereits
fähig war. — Ähnliches gilt von der bemalten Thongruppe des vonb
seinen Angehörigen beweinten Christusleichnams, in der Crypta von
S. Pietro zu Bologna, mit vorzüglichen Köpfen 2). — Später, und zwar
zuletzt unter dem Einfluss Tribolo’s, nähert er sich demjenigen Mass
idealer Bildung, welches Andrea Sansovino dieser ganzen Schule vor-
gezeichnet hatte. Er wagte sich an Aufgaben wie z. B. der colossalec
sitzende Hercules (von Thon) im obern Vorsaal des Palazzo apostolico,
der in den Verhältnissen immer beträchtlich besser, in der Stellung
ungesuchter ist als Alles was Bandinelli und Ammanati hinterlassen
haben. (Stark restaurirt.) — Die grösste Zahl seiner Arbeiten finden
sich an S. Petronio: anscheinend noch lombardisch befangen: died
Statuen (englischer Gruss mit Gottvater, und Sündenfall) an der In-
nenseite des rechten und linken Seitenportals der Fassade; — freier
[650]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Oberitaliener.
aund sehr tüchtig: die Lunettengruppe der Auferstehung Christi, aussen
am linken Seitenportal (wenn Christus sich auf einen sitzenden Wäch-
ter zu stützen scheint, so hat der Künstler diess wohl nur gethan um
sich in einem reichern Linienproblem zu versuchen); — ferner drei
von den Reliefs der Geschichte Mosis am rechten Pilaster desselben
Portals, in offenbarem und glücklichem Wetteifer mit Tribolo (S. 643)
entworfen sowohl als ausgeführt. — Mehr malerisch als plastisch, aber
köstlich wie die besten jener Miniaturgeschichten der ferraresischen
bMalerschule erscheinen die drei Reliefs am Untersatz der berühmten
Arca in S. Domenico, eine der geistvollsten und delicatesten Ar-
beiten dieser Gattung.
Eine ungleiche, zum Theil sehr tüchtige Arbeit sind die Me-
ddaillonköpfe an Pal. Bolognini, N. 77. — Das Grabmal Ramazzotti in
S. Micchele in Bosco (rechts vom Hauptportal) ist eines der besten
jener oberitalischen Soldatengräber, welche den Geharnischten schlum-
mernd und über ihm die Madonna darstellen.
In Alfonso’s spätester Zeit entstand dann wahrscheinlich die über
elebensgrosse, figurenreiche Thongruppe im Oratorium bei S. Maria
della Vita (zugänglich auf Nachfrage in den links an die Kirche
stossenden Bureaux, eine Treppe hoch). Nicht ohne Mühe erkennt
man darin eine Darstellung des Todes Mariä; ringsum die Apostel,
vorn am Boden die nackte Figur eines Widersachers; ein eifriger
Apostel will eben ein schweres Buch auf ihn werfen, wird aber von
dem in der Mitte erscheinenden Christus zurückgehalten 1). Mit die-
sem wunderlichen Zug, der uns sonst bei keiner Darstellung dieser
Scene vorgekommen ist, bezahlt Alfonso seinen Tribut an die alt-
oberitalische Manier des heftigen, grellen Ausdruckes. Sonst ist die
Gruppe merkwürdig durch ihren Gegensatz zu denjenigen des Be-
garelli; sie macht Anspruch auf plastische, nicht bloss malerische An-
[651]Alfonso Lombardi. Da Grado.
ordnung und ihre Einzelformen sind durchaus mehr ideal und allgemein
(sowohl Köpfe als Gewandung).
Nun stehen aber noch 14 Büsten von Aposteln und Heiligen ima
Chor von S. Giovanni in Monte über dem Stuhlwerk; ungleich
schönere, innigere, lebensvollere Köpfe, die man der Vermuthung nach
ohne Anderes dem Begarelli zuschreiben würde, wenn nicht „Alfonso
und Niccolò (?) von Ferrara“ als Urheber bezeugt wären. Nach der
momentanen Lebendigkeit zu schliessen, möchten sie zu einer Gruppe
(Mariä Himmelfahrt? oder etwas Ähnliches) aus Alfonso’s bester mitt-
lerer Zeit gehört haben 1).
Eine Mitstrebende des A. Lombardi, ohne Zweifel zuletzt eben-
falls unter Tribolo’s Einfluss, war Properzia de’ Rossi (st. 1530).b
Von ihr sind u. a. die beiden Engel neben Tribolo’s Relief der Him-
melfahrt Mariä in S. Petronio (11. Cap. rechts).
Unter den übrigen Bildhauern Oberitaliens ist der schon als De-
corator genannte Gio. Franc. da Grado wegen der einfach guten
Feldherrngräber in der Steccata zu Parma rühmlich anzuführen. (Eck-c
capellen: hinten rechts: Grab des Guido da Coreggio; hinten links:
Grab des Sforzino Sforza 1526; vielleicht auch, vorn rechts, das des
Beltrando Rossi 1527.) Die Helden mögen auf ihren Sarcophagen
stehen, schlafen, oder wachend lehnen, immer sind sie schlicht und in
schöner Stellung gegeben; das Detail genügend, wenn auch nicht vor-
züglich belebt. Es ist die Art, in welcher auch wohl dem Giovanni
da Nola ein vorzüglicher Wurf gelang 2). — Von sonstigen Parmesa-
nern nennen sich drei Brüder Gonzata mit der Jahrzahl 1508 an
den vier Bronzestatuen von Aposteln über der hintern Balustrade desd
[652]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Jacopo Sansovino.
Domchors; magere, unsicher gestellte, aber im Detail sehr sorgfältige
aFiguren. (Der dahinter aufgestellte Marmortabernakel ist eine geringe
Arbeit des XV. Jahrh.). Mit Begarelli haben weder da Grado noch
die Gonzaten etwas gemein.
Ob der Marcus a Grate, welcher den geschundenen S. Bartholo-
bmäus im Chorumgang des Domes von Mailand fertigte, ein Sohn des
Gio. Francesco war, lassen wir dahingestellt. Der Kunstgeist der
zweiten Hälfte des Jahrh. kehrt uns in dieser steifen Bravourarbeit
seine widerlichste Seite zu.
Von einem der trefflichsten Lombarden der goldenen Zeit, Ago-
stino Busti, genannt Bambaja, weiss ich nur soviel zu sagen,
dass Fragmente seiner Hauptarbeit, des Denkmals des Feldherrn Ga-
cston de Foix, in der Ambrosiana und in der Brera zu Mailand auf-
bewahrt sein sollen.
Doch es ist Zeit, auf den bedeutendsten Schüler des Andrea
Sansovino zu kommen, auf Jacopo Tatti aus Florenz (1479—1570),
der von seiner nahen und vertrauten Beziehung zu dem grossen Mei-
ster insgemein Jacopo Sansovino genannt wird. Allerdings lernen
wir ihn fast nur durch Werke aus der zweiten Hälfte seines langen
Lebens kennen, da er als eine der ersten künstlerischen Grossmächte
Venedigs (S. 324) eine grosse Anzahl baulicher und plastischer Werke
schuf und eine beträchtliche Schule um sich hatte. Doch ist aus sei-
ner frühern römischen Zeit die sitzende Statue der Madonna mit dem
dKinde in S. Agostino zu Rom vorhanden (neben dem Hauptportal),
eine Arbeit, in welcher er sich dem Andrea etwa auf die Weise Lo-
renzetto’s nähert, mit regem Schönheitsgefühl noch ohne volles Lebens-
gefühl, wie der Vergleich mit der nahen Gruppe Andrea’s zeigen mag.
— Vollkommen lebendig und von sehr schöner Bildung, aber gesucht in
eder Stellung erscheint dann seine Statue des Apostels Jacobus d. ä.
im Dom von Florenz (Nische am Pfeiler links gegen die Kuppel). — Zu
fdiesen frühern Werken mag auch der heil. Antonius von Padua in
S. Petronio zu Bologna (9. Cap. rechts) zu rechnen sein, — endlich der
[653]Jacopo Sansovino.
köstliche Bacchus in den Uffizien (Ende des 2. Ganges). Ju-a
belnd schreitet er aus, die Schale hoch aufhebend und anlachend, in
der andern Hand eine Traube, an welcher ein kleiner Panisk nascht.
Der Bacchus des Michelangelo steht zur Vergleichung in der Nähe;
an lebendiger Durchbildung der Einzelform ist er dem Jacopo’s weit
überlegen; wer möchte aber nicht viel lieber die Arbeit Jacopo’s er-
dacht haben als die Michelangelo’s? — ich spreche von Unbethei-
ligten, denn die Künstler würden für letztern stimmen, weil sie mit
seinen Mitteln etwas Anderes anzufangen gedächten. (Der dritte
dortige Bacchus, eine kleinere Figur auf einem Fässchen stehend, istb
aus derselben Zeit, aber von keinem der Sansovino.)
In seinen venezianischen Arbeiten erscheint Jacopo sehr un-
gleich; Einzelnes ist unbegreiflich schwach, Anderes dagegen verräth
eine tüchtige selbständige Weiterbildung des vom Lehrer Überkom-
menen. Zwar neigt sich Jacopo bisweilen ebenso in das Allgemeine,
wie die meisten Nachfolger Andrea’s, der seine schöne subjective
Wärme auf Niemanden vererben konnte; allein Jacopo ist nur wenig
befangen von den Manieren der römischen Malerschule, auch nicht
wesentlich von der Einwirkung Michelangelo’s, die erst bei seinen
Schülern hie und da hervortritt; er war desshalb im Stande, nebst
seiner Schule in Venedig eine Art Nachblüthe der grossen Kunstzeit
aufrecht zu halten, die mit der Nachblüthe der Malerei (durch Paolo
Veronese, Tintoretto etc.) parallel geht und Jahrzehnde über seinen
Tod hinaus dauert.
Bei ihm wie bei den Schülern sind nicht die Linien, überhaupt
nicht das Bewusstsein der höhern plastischen Gesetze die starke Seite;
ihre Grösse liegt, wie bei den Malern, in einer gewissen freien Le-
bensfülle, welche über den Naturalismus des Details hinaus ist; sie
liegt in der Darstellung einer ruhigen, in sich selbst (ohne erzwungen
interessante Motive) bedeutenden Existenz. Ihre Arbeiten können von
sehr unstatuarischer Anlage und doch im Styl ergreifend sein; von
allen Zeitgenossen sind diese Venezianer am wenigsten conventionell
in der Ausführung und am wenigsten affectirt in der Anlage. Hierin
liegt wenigstens ein grosses negatives Verdienst Sansovino’s; er ist
der unbefangenste unter den Meistern der Zeit von 1530—70.
[654]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Jacopo Sansovino.
Für sein schönstes Werk in Venedig glaube ich die Statue der
aHoffnung am Dogengrab Venier († 1556) zu S. Salvatore halten
zu müssen (nach dem 2. Altar rechts). Die plastisch vortreffliche,
leichte Haltung, die nicht ideale, aber venezianische Schönheit des
Kopfes, der ruhig gefasste Ausdruck lässt gewisse Spielereien in Haar-
putz und Gewandung wohl vergessen. (Thorwaldsen ist bei einer der
allegorischen Statuen am Grabmal Pius VII auf ein ganz ähnliches
Motiv gerathen.) — Aber wie viel geringer ist das Gegenstück, die
Caritas, mit ihren hart manierirten Putten! (Das Lunettenrelief von
anderer Hand.)
Von mythologischen Gegenständen enthält die Loggia am Fuss
des Campanile di S. Marco das Beste (um 1540). Die Bronzestatuen
des Friedens, des Apoll, Mercur und der Pallas sind zwar, die erst-
genannte ausgenommen, im Motiv etwas gesucht, aber von schöner
Bildung, namentlich was die Köpfe (zumal des Mercur und der Pax)
betrifft. Ganz vorzüglich sind dann einzelne der kleinen Reliefdar-
stellungen am Sockel, die zu den so seltenen wahrhaft naiven Kunst-
werken mythologischen Inhaltes gehören. (Die obern Reliefs und die
Figuren in den Bogenfüllungen gelten als Schülerarbeit.)
Übrigens ist Jacopo auch sonst im Relief am glücklichsten wenn
es sich um einzeln eingerahmte Figuren handelt. Man findet hinten
cim Chor von S. Marco die berühmte kleine Bronzethür, welche
in die Sacristei führt, und welche den Meister zwanzig Jahre lang
beschäftigt haben soll; ihre beiden grössern Reliefs (Christi Tod und
Auferstehung) können bei vielem Geist doch im Styl z. B. nicht neben
Tribolo aufkommen, während die Einzelfiguren der Propheten in den
horizontalen und senkrechten Einfassungen völlig genügen und zum
Theil von hoher Vortrefflichkeit sind. (Was von der Bildnissähnlich-
keit der vortretenden Köpfe in den Ecken mit Tizian, Pietro Aretino
und S. selber gesagt wird, ist nicht ganz zuverlässig.) — Ebenso fehlt
des den sechs bronzenen Reliefs mit den Wundern des heil. Marcus
(rechts und links vom Eingang des Chores an der Brustwehr zweier
Balustraden) zwar nicht an geistvollem und energischem Ausdruck
der Thatsachen, wohl aber an dem wahren Mass, welches diese Gat-
etung beherrschen muss. — An dem Altar im Hintergrunde des Chores
ist das kleine Sacramentsthürchen mit dem von Engeln umschwebten
[655]Jacopo Sansovino.
Erlöser wiederum eine nicht alltägliche Composition; man wird aber
vielleicht die beiden einzelnen marmornen Engel auf den Seiten vor-
ziehen.
Derselbe Chor enthält auch noch die einzige Arbeit, in welchera
S. dem übermächtigen Einfluss Michelangelo’s einen kenntlichen Tribut
bezahlt hat, nämlich die sitzenden Bronzestatuetten der vier Evange-
listen auf dem Geländer zunächst vor dem Hochaltar. (Die vier
Kirchenlehrer sind von einem Spätern hinzugearbeitet.) Man wird
ohne Schwierigkeit den „Moses“ Michelangelo’s als ihr Vorbild er-
kennen, aber auch gestehen, dass sie von allen Nachahmungen die
freiste und eigenthümlichste sind.
Im Dogenpalast empfängt uns Sansovin mit den beiden Co-b
lossalstatuen des Mars und Neptun, von welchen die Riesentreppe
ihren Namen hat. Ihre unschöne Stellung, zumal beim Anblick von
vorn, fällt schneller in die Augen als ihre guten Eigenschaften, welche
erst demjenigen ganz klar werden, welcher sie in Gedanken mit den
gleichzeitigen Trivialitäten eines Bandinelli vergleicht. Sie sind vor
Allem noch anspruchlos und mit Überzeugung geschaffen, ohne ge-
waltsame Motive und erborgte Musculatur; es sind noch echte, un-
mittelbare Werke der Renaissance, eigene, wenn auch nicht voll-
kommene Idealtypen eines schöpfungsfähigen Künstlers, der selbst
mangelhafte Motive durch grossartige Behandlung zu heben wusste.
Ein anderes bedeutendes Werk ist die thönerne vergoldete Ma-c
donna im Innern der Loggia des Marcusthurmes; sie ermuthigt den
unten hingeschmiegten kleinen Johannes durch Streicheln seines Haa-
res, sich dem segnenden Christuskinde zu nähern. Verkleistert, be-
stäubt, verstümmelt und von jeher etwas manierirt in den Formen,
ist die Gruppe doch immer von einem liebenswürdigen Gedanken be-
lebt. — (Durchaus schlecht: die Madonna in der Capelle des Dogen-d
palastes.)
Als tüchtiges monumental aufgefasstes Porträt ist die ehernee
sitzende Statue des Gelehrten Thomas von Ravenna über dem Portal
von S. Giulian etwa mit Tintoretto in Parallele zu setzen.
In welche Periode endlich gehört der Johannes über dem Tauf-f
becken in den Frari (Cap. S. Pietro, links)? Unplastisch componirt,
[656]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
aber fleissig, naiv und vom zartesten Gemüthsausdruck sieht das Werk
aus, als hätte Sansovin es noch von Rom her mitgebracht.
Wen Sansovino von der ältern venezian. Schule noch in Thätig-
keit antraf, wissen wir nicht; es scheint eher, dass seine Anstellung
mit dem Auslöschen jener zusammenhing. Es mögen um 1530 auch
andere Schüler des ältern Andrea Sansovino in Venedig gelebt haben;
avon einem solchen sind wohl die drei Reliefs der Verkündigung, An-
betung der Hirten und Anbetung der Könige in der kleinen sechs-
eckigen Capelle bei S. Micchele. Bei einer nicht besonders ge-
schickten Anordnung (sodass man z. B. nicht an Tribolo denken kann)
sind sie vielleicht das Holdeste und Süsseste, was Venedig in Marmor
darbietet, von einem Reiz der Formen und einem Seelenausdruck in
Zügen und Geberden, der Entzücken erregt. — Gewiss war damals
auch Guglielmo Bergamasco noch in Thätigkeit, der 1530 eben
diese Capelle baute. Sollte er etwa der Urheber der drei Reliefs
bsein? die einzige bekannte Statue von ihm, eine heil. Magdalena auf
dem Altar der ersten Capelle rechts vom Chor in S. Giovanni e Paolo,
würde mit ihrer reichen und süssen Schönheit, selbst mit ihrem bau-
schigen und doch nicht unplastischen Gewande zu diesen Arbeiten
wohl passen. (Die übrigen Sculpturen des betreffenden Altars eine
zum Theil gute Schularbeit der Lombardi.)
Jedenfalls gewann Jacopo S. einen Einfluss, der alle Übrigen in
Schatten stellte und fast ausschliesslich um ihn eine Schule versam-
melte. Bei einem Bau von so grossem plastischem Reichthum wie
cdie Biblioteca ergab sich, scheint es, die Sache von selbst; aus-
drücklich werden Tommaso Lombardo (vielleicht ein Verwandter
der ältern Lombardi), Girolamo Lombardo, Danese Cataneo
und Alessandro Vittoria als ausführende Schüler genannt. Ich
glaube diejenigen Sculpturen, welche noch unter unmittelbarer Auf-
sicht und Theilnahme des Meisters zu Stande kamen, finden sich
hauptsächlich an der Schmalseite gegen die Riva und etwa an dem
ersten Drittel der Seite gegen die Piazzetta. Hier haben die Reliefs
in den Bogen, die Flussgötter in den Füllungen des untern, die
Göttinnen in denjenigen des obern Geschosses die schönste und kräf-
tigste Bildung. (Bei den Flussgöttern ist anzuerkennen, dass sie von
[657]Schüler Jacopo Sansovino’s. Campagna.
den entsprechenden bronzefarbenen Figuren in der Sistina fast ganz
unabhängig erscheinen.) Die beiden Karyatiden, welche die Thür tra-a
gen, sind von Vittoria. — Von den Reliefs in den Bogen sind auch
wieder die Felder mit einzelnen Figuren die glücklichsten.
Zwei frühe Schüler Sansovin’s scheinen Tiziano Minio von
Padua und Desiderio von Florenz gewesen zu sein, welche den
ehernen Deckel des Taufbeckens in S. Marco verfertigten. Die er-b
zählenden Reliefs sind in der Composition vom Besten der ganzen
Schule, den Meister selbst nicht ausgenommen. (Die Statue des Täu-
fers später, 1565, von Franc. Segala.) — Minio’s Statuen zweierc
heiligen Bischöfe hinter dem Hochaltar des Santo in Padua sind bei
ihrer jetzigen Aufstellung so viel als unsichtbar.
Unter allen Schülern aber ist Girolamo Campagna der be-
deutendste und überhaupt einer von den sehr wenigen Bildhauern,
welche noch nach der Mitte des XVI. Jahrh. eine naive Liebens-
würdigkeit beibehielten. — In S. Giuliano zu Venedig (Cap. links vomd
Chor) sieht man sein Hochrelief des todten Christus mit zwei Engeln;
die Linien sind nicht mustergültig, die Gewandung schon etwas ma-
nierirt, aber Ausdruck und Bildung sehr edel und schön. — In S.
Giorgio maggiore ist die bronzene Hochaltargruppe von ihm; diee
vier Evangelisten tragen halbknieend eine grosse Weltkugel, auf wel-
cher der Erlöser steht. Eher als Evangelisten hätten dämonische
Naturmächte, Engel u. dgl. für diese Stellung gepasst, auch kann die
lebendige Behandlung und die würdige Bildung der Köpfe nicht ganz
vergessen machen, dass es dem Künstler etwas zu sehr um plastisch
interessante Motive des Tragens zu thun war; aber der Salvator ist
einfach und ganz grossartig.
Seine einzeln stehenden Statuen muss man nie streng nach den
Linien, sondern nach dem Ausdruck und nach dem Lebensgefühl
beurtheilen, wie diess von den gleichzeitigen venez. Malern in noch
viel weiterm Sinne gilt. Seine Bronzestatuen des heil. Marcus undf
des heil. Franciscus, welche nach dem Gekreuzigten emporschauen
(auf dem Hochaltar des Redentore) sind innerhalb dieser Grenzen
vortrefflich, zumal der so schön und schmerzlich begeisterte Marcus;
in dem Gekreuzigten bemerkt man bei einer guten und gemässigten
B. Cicerone. 42
[658]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Venedig. Campagna.
(weder allzumagern noch hässlichen) Bildung eine etwas zu starke
Andeutung des schon eingetretenen Todes durch das Vorhängen der
alinken Schulter 1). — Neben dem Hochaltar von S. Tommaso: die
Statuen des Petrus und Thomas, mit würdigen Köpfen. — In S. Ma-
bria de’ miracoli, vor der Balustrade: S. Franz und S. Clara, ersterer
vielleicht ein frühes Jugendwerk.
Campagna’s Madonnenstatuen genügen weniger; ihre Haltung und
Kopfbildung erinnert zu sehr an Paolo Veronese, um ein hohes Da-
csein ausdrücken zu können. An derjenigen in S. Salvatore (2. Altar
rechts) sitzt das Kind hübsch leicht auf den Händen der Mutter, und
auch die beiden Putten, die sich unten an ihr Kleid halten, sind glück-
dlich hinzugeordnet; dagegen erscheint die in S. Giorgio maggiore
(2. Altar links) durchaus wie ein spätes und schwaches Werk. Eine
ehübsche aber wenig bezeugte Madonna in der Abbazia, Cap. hinter
fder Sacristei. In C.’s Vaterstadt Verona steht eine Madonna von ihm
an der Ecke des Obergeschosses der Casa de’ Mercanti.
Von dem Lieblingsgegenstand der venezian. Sculptur (wie der
Bacchus es bei den Florentinern war), dem heil. Sebastian, hat Cam-
gpagna am Hochaltar von S. Lorenzo wenigstens eine gute Darstellung
geliefert, mit dem Ausdruck des Schmerzes ohne Affectation.
Wie schön und tüchtig er sonstige Aktfiguren zu behandeln wusste,
hzeigt der colossale Atlant oder Cyclop im untern Gang der Zecca.
Das höchst affectirte Gegenstück des Tiziano Aspetti spricht lauter
zu Campagna’s Gunsten als Worte es könnten. — Im Dogenpalast stehen
iauf dem Kamin der Sala del Collegio seine hübschen und lebendigen
Statuetten des Mercur und Hercules. (Geringer die 3 Statuen über
kder einen Thür der Sala delle 4 porte.)
In der Scuola di S. Rocco ist bei der Statue des Heiligen (un-
tere Halle) das unerlässliche Vorzeigen der Schenkelwunde glücklich
als dasjenige Wendungsmotiv benützt, um welches die damalige Sculp-
tur so oft in Verlegenheit ist. Im obern Saal sind die Statuen neben
dem Altar — Johannes d. T. und wiederum ein S. Sebastian — von
geringerem Interesse als die beiden (unvollendeten) sitzenden Prophe-
[659]Campagna. Cataneo.
ten an den Ecken der Balustrade; hier wirkt Michelangelo ein, aber
noch nicht durch den Moses, sondern durch die Figuren der Sistina.
— Die beiden Bronzestatuen des Hochaltars in S. Stefano werdena
vielleicht mit Unrecht dem C. zugeschrieben; die beiden marmornen
Statuen in S. Giovanni e Paolo (hinten am Altartabernakel der Ca-b
pella del Rosario) sind offenbar im Missmuth über die ungünstige
Aufstellung geschaffen. Auch die h. Justina über dem Thorgiebel desc
Arsenals scheint ein geringeres Werk zu sein.
An Porträtstatuen ist von C. ein Jugendwerk, der Doge Loredand
auf dessen Grab im Chor von S. Giovanni e Paolo erhalten, und eine
treffliche Grabfigur seiner reifsten Zeit, der schlummernde Doge Ci-e
cogna († 1595) in der Jesuitenkirche links vom Chor.
Von wem ist endlich der schöne Christuskopf in S. Pantaleonef
(2. Cap. rechts)? Ich glaube, dass von den Spätern nur Campagna
fähig war, die edelste Inspiration eines Giov. Bellini und Tizian so in
sich aufzunehmen. Und eine Arbeit der zweiten Hälfte des XVI. Jahr-
hunderts wird die Büste doch sein.
Endlich möchte wohl die Annunziata (in zwei aus der Wand vor-g
tretenden Bronzefiguren) am Pal. del Consiglio zu Verona ein schö-
nes frühes Werk des Meisters sein, etwa aus der Zeit des Reliefs von
S. Giuliano; Gabriel gleicht den Engeln des letztern, und die Madonna,
obwohl zu Vermeidung der Profilsilhouette etwas sonderbar gewendet,
ist die schönste weibliche Figur, die C. gebildet haben mag.
Von Thomas von Lugano, bekannt unter dem Namen Tom-
maso Lombardo, sollen eine Anzahl von Statuen auf dem Dacheh
der Biblioteca gearbeitet sein. Der S. Hieronymus in S. Salvatorei
(2. Alt. links) giebt vielleicht als schwaches und spätes Werk keinen
sichern Anhaltspunkt. (Nach Andern von Jacopo Colonna.)
Danese Cattaneo scheint ausser J. Sansovino auch andere
Florentiner gekannt zu haben; wenigstens sind die Statuen am Dogen-k
grab Loredan (1572) bei einer gewissen äusserlichen Süssigkeit von
demselben unvenezianischen Geist der Lüge und Affectation beseelt,
der die unwahrern Arbeiten eines Ammanati beherrscht. (Die Por-
trätstatue, wie gesagt, von Campagna, und früher gearbeitet als der
42*
[660]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Venedig. Vittoria.
aRest; der Doge starb schon 1525.) — Weniger manierirt die Statuen
des ersten Altars rechts in S. Anastasia zu Verona.
Ammanati selbst war übrigens eine Zeitlang J. Sansovino’s Schü-
ler gewesen und hatte z. B. in Padua gearbeitet (wovon unten).
Am stärksten repräsentirt von allen Schülern ist Alessandro
Vittoria († 1605). Im günstigen Fall dem Campagna beinahe ge-
wachsen, hat er doch nirgends die Seele desselben. Er producirte
leicht und machte sich mit den Hauptmotiven keine grosse Mühe, wäh-
rend Campagna wenigstens gerne plastisch rein gestaltet hätte. Sein an-
bgenehmstes Werk ist wohl sein eigenes Grabmal in S. Zaccaria (Ende
des linken Seitenschiffes), eine vortreffliche Büste zwischen den Alle-
gorien der Scultura und Architettura, oben im Giebel eine Ruhmesgöt-
ctin, echt venezianische Figuren. Auch die Statue des Propheten über
der Hauptthür ist schön und würdig. — Sein bester bewegter Akt ist
dder S. Sebastian in S. Salvatore (3. Alt. links, als Gegenstück eines
egeringen S. Rochus), seine sorgfältigste Anatomiefigur der S. Hiero-
fnymus in den Frari (3. Alt. rechts). Auch S. Catharina und Daniel
auf dem Löwen, in S. Giulian, sind wenigstens resolut behandelt.
gGeringer und zum Theil sehr manierirt: die Arbeiten im Dogenpalast
h(Sala dell’anticollegio, Thürgiebel), an der Biblioteca (die zwei Karya-
itiden der Thür), in S. Giovanni e Paolo (Mehreres), in der Abbazia
k(zwei grosse Apostelstatuen), in S. Giorgio maggiore, in S. Francesco
della Vigna (2. Cap. links) u. a. a. O. Auch an dem sehr überfüllten
lGrabmal Contareno († 1553) im Santo zu Padua (am ersten Pfeiler
links) sind mehrere Figuren von ihm.
Ein leidlicher Nachahmer des Vittoria, Franc. Terilli, hat die
mStatuetten des Christus und Johannes über den beiden Weihbecken
des Redentore mit vielem Fleiss gearbeitet.
Tiziano Aspetti († 1607) steht wieder um eine grosse Stufe
niedriger und nähert sich den schlimmsten Manieren der florentini-
nschen Schule. Sein Moses und Paulus, grosse Erzbilder, verunzieren
Palladio’s Fassade von S. Francesco della Vigna, seine beiden Engel
[661]Aspetti. Dal Moro.
den Altar der ersten Cap. links. Sein schlechter Atlant in der Bib-a
lioteca wurde schon erwähnt; etwas besser sind die Tragfiguren des
Kamins in der Sala dell’ Anticollegio des Dogenpalastes. Im Santob
zu Padua ist mit Ausnahme des Christus auf dem Weihbecken lauterc
geringe Arbeit von A. in grosser Menge vorhanden.
Den Ausgang der Schule macht Giulio dal Moro, schwächli-
cher und gewissenhafter als Aspetti. Das Geniessbarste von ihm sind
wohl die Sculpturen der einen Thür der Sala delle quattro porte imd
Dogenpalast und die drei Altarstatuen in S. Stefano (Cap. rechts ime
Chor). Seine grossen Statuen des Laurentius und Hieronymus amf
Grabmal Priuli in S. Salvatore (nach dem ersten Altar links) sind
sehr manierirt, und ebenso die mehrfach vorkommenden Statuen des
Auferstandenen, wovon z. B. eine in derselben Kirche (nach dem er-
sten Altar rechts).
Es braucht kaum wiederholt zu werden, dass auch diese Schule,
wo ihr Ideales nicht genügt, den Blick durch eine Menge vortreffli-
cher Porträtbüsten entschädigt; sie holt damit ein, was das XV. Jahrh.
in Venedig mehr als in Florenz versäumt hatte. Die Auffassung ist
bisweilen so grossartig frei wie in den tizianischen Bildnissen. Künst-
lernamen werden dabei seltener genannt als bei den Statuen heiligen
oder allegorischen Inhaltes.
Mit dem XVII. Jahrh. tritt in der venezian. Sculptur dieselbe
vollkommene Erschlaffung ein, wie in der Malerei nach dem Absterben
der Bassano und Tintoretto. Was von da bis zum Eindringen des
berninischen Styles geschaffen wurde, ist kaum des Ansehens werth
und auch dieser letztere Styl hat von seinen achtbarern Schöpfungen
fast nichts in Venedig hinterlassen.
Zum Schluss muss hier im Zusammenhang von den neun gros-
sen Reliefs die Rede sein, welche die Wände der Antoniuscapelle img
Santo zu Padua bedecken. Die Aufgabe war eine der ungünstigsten,
die sich denken liessen: (mit Ausnahme des ersten Reliefs) lauter
Wunder, d. h. sinnliche Wirkungen aus einer plastisch unsichtbaren
[662]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Reliefs im Santo.
Ursache, nämlich dem Machtwort, dem Dasein, dem Gebet, höchstens
dem Gestus des Heiligen. Für die andächtige Menge, welche diese
Stätte besucht und die Stirn an die Rückseite des Heiligensarges zu
drücken pflegt, ist allerdings über diesen Causalzusammenhang kein
Zweifel vorhanden; sie verstand und versteht diese Reliefs, die für sie
geschaffen sind, vollkommen, würde aber vielleicht doch bemalte Thon-
gruppen in der Art Mazzoni’s (S. 635) noch sprechender finden, als
den idealen Styl, durch welchen die Künstler mit namenloser Anstren-
gung diese Historien veredelt haben.
Die allmählige Bestellung und Ausführung hat in geschichtlicher
Beziehung einiges Dunkle. Jedenfalls wollten die Besteller von allem
Anfang an nur Grosses und Bedeutendes. Wenn das erste Relief
a(die Aufnahme des Heiligen in den Orden), von Antonio Minelli,
in der That schon 1512 gearbeitet ist, so hätte man sich gleich zuerst
an einen vorzüglichen wahrscheinlich florentinischen Mitstrebenden des
ältern Andrea Sansovino gewandt; es ist eines der edelsten und ge-
niessbarsten der ganzen Reihe. Um dieselbe Zeit scheinen — mit
Übergehung des Riccio und seiner localen Schule — die Brüder An-
tonio und Tullio Lombardi, wahrscheinlich als alte und aner-
kannte Häupter der venezianischen Sculptur in Anspruch genommen
bworden zu sein; sie lieferten das sechste, siebente und neunte Relief
(vgl. S. 627, c, d) und gaben wahrscheinlich die architektonischen Hinter-
gründe mit Stadtansichten auch für alle übrigen an. (Diess ist zu ver-
muthen nach Tullio’s Relief an der Scuola di S. Marco.) Auf dem
sechsten steht die Jahrzahl 1525.
Darauf trat Jacopo Sansovino mit mehrern seiner Schüler
cein. Sein eigenes Relief, das vierte (Wiedererweckung der Selbst-
mörderin) ist auffallend manierirt; welche Epoche seines Lebens dafür
verantwortlich sein mag, ist schwer zu sagen; ein Schüler Andrea’s
hätte überhaupt nie solche Körper und Köpfe bilden dürfen, wie hier
dmehrere vorkommen. Dagegen ist Campagna im dritten Relief (Er-
weckung des todten Jünglings) auf seiner vollen Höhe; die nackte
Halbfigur höchst edel gebildet und entwickelt, die Linien des Ganzen
harmonisch, alles Einzelne sehr gediegen. — Einen andern schon mehr
emanierirten Schüler Jacopo S.’s erkennt man dann im zweiten Relief
(Ermordung der Frau), welches einem gew. Paolo Stella oder Giov.
[663]Reliefs im Santo. Neapel.
Maria Padovano beigelegt wird. — Das fünfte (Erweckung desa
jungen Parrasio) und das achte (das Wunder mit dem Glase) sindb
für Danese Cattaneo, dem sie von Einigen zugeschrieben werden,
wohl zu gut und zu wenig affectirt, wesshalb andere sonst wenig be-
kannte Namen (Paolo Peluca, Giov. Minio etc.) eher etwas für
sich haben möchten.
Alles zusammengenommen, ist die Reihenfolge durch eine grös-
sere Einheit des Styles, der Erzählungsweise und Detailbehandlung
verbunden, als man bei einer Hervorbringung so Vieler irgend erwar-
ten dürfte. Sie ist ein Denkmal der höchsten Anstrengung der neuern
Sculptur in der Gattung des erzählenden Reliefs, welches in der be-
sten dieser Tafeln so massvoll und rein zur Erscheinung kömmt, wie
in wenigen Denkmälern seit dem Zerfall der römischen Kunst. Das
übertriebene, grimassirende Pathos der alten Lombarden ist bis auf
vereinzelte Spuren (im 2., 5., selbst im 4.) überwunden durch eine
ideale und ganz lebendige Behandlung.
Neapel, dessen Schicksale gerade zu Anfang des XVI. Jahrh.
sehr bewegt waren, verdankt vielleicht seine wenigen ganz ausge-
zeichneten Sculpturen nicht inländischen Kräften. — Den stärksten
Sonnenblick der rafaelischen Zeit glaube ich hier zu erkennen in einem
bescheidenen Grabmal der Cap. Carafa in S. Domenico maggiorec
(zunächst rechts vom Hauptportal), mit dem Datum 1513. Über dem
Sarcophag, zu beiden Seiten eines Profilmedaillons des Verstorbenen,
sitzen zwei klagende Frauen, welche Andrea Sansovino’s würdig
wären. — Den schönen frühern Arbeiten Michelangelo’s nähert sichd
eine Statue der Madonna als Schützerin der Seelen im Fegfeuer, in
S. Giovanni a Carbonara.
Der einheimischen Schule, die um diese Zeit mit Giovanni da
Nola zu Kräften kam, haben wir oben (S. 247) einen wesentlich de-
corativen Werth zugewiesen. Giovanni selbst zeigt weder ein tiefes,
durchgehendes Lebensgefühl (so naturalistisch er sein kann) noch ein
durchgebildetes Bewusstsein von den Grenzen und Gesetzen seiner
Kunst, allein die allgemeine Höhe hebt auch ihn oft über das Ge-
[664]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Neapel.
wöhnliche und die Versuche in stets neuen Motiven geben seinen Grab-
mälern zumal einen originellen Anschein.
Als Denkmal der ganzen Schule kann die runde Cap. der Carac-
cioli di Vico in S. Giovannia a Carbonara gelten, voll von Sta-
tuen und Reliefs; von dem Spanier Plata ist die (vielleicht beste)
Figur des Galeazzo Caracciolo. — Ein anderes grosses Werk der
bSchule ist das Grabmal des berühmten Pietro di Toledo, hinten im
Chor von S. Giacomo degli Spagnuoli; als Ganzes dem Grab-
mal Franz I in S. Denis, und zwar nicht glücklich nachgebildet, in
der Ausführung reich und sorgfältig; der Statthalter und seine Ge-
mahlin knieen auf einem ungeheuern Sarcophag hinter Betpulten; auf
den Ecken des noch grössern, peinlich decorirten Untersatzes stehen
cvier allegorische Figuren. — Von den Grabmälern Giovanni’s in S. Se-
verino ist dasjenige eines sechsjährigen Knaben, Andrea Cicara, zu-
dnächst vor der Sacristei am schönsten gedacht; — die drei der vergif-
teten Brüder Sanseverino (1516, eine der frühsten Arbeiten) in der
Cap. rechts vom Chor wunderlich einförmig, indem die Dreie fast in
gleicher Stellung auf ihren Sarcophagen sitzen. — Als das beste Re-
elief des Meisters gilt eine Grablegung in S. Maria delle Grazie bei den
Incurabili (in einer Capelle links). — Schularbeiten in vielen Kirchen;
fz. B. in S. Domenico magg., 3. Cap. links, das für die damalige Alle-
gorik bezeichnende Grab eines gewissen Rota, der in Rom und Flo-
renz Beamter gewesen, und dem desshalb Arno und Tiber Lorbeer-
gkränze reichen müssen. — Die Altäre des Giovanni und seines Rivalen
Girolamo Santa Croce zu beiden Seiten der Thür in Monteoliveto sind
im Styl kaum zu unterscheiden. (Derjenige des letztern ist kenntlich
am S. Petrus.)
Durchgängig das Beste sind, wie in so manchen Schulen, wo das
Ideale nicht rein und ohne Affectation zu Tage dringen konnte, die
Bildnisse der Mausoleen, sowohl Büsten als Statuen. Neapel besitzt
daran einen reichen Schatz auch aus dieser Zeit; ein Marmorvolk
von Kriegern und Staatsmännern, wie vielleicht nur Venedig ein zwei-
tes aufweist.
Wir gelangen zu demjenigen grossen Genius, in dessen Hand Tod
und Leben der Sculptur gegeben war, zu Michel Angelo Buonar-
[665]Michelangelo.
roti (1474 — 1563). Er sagte von sich selbst, einmal er sei kein
Maler, ein anderes Mal die Baukunst sei nicht seine Sache, dagegen
bekannte er sich zu allen Zeiten als Bildhauer und nannte die Sculp-
tur (wenigstens im Vergleich mit der Malerei) die erste Kunst: „Es war
ihm nur dann wohl, wenn er den Meissel in den Händen hatte.“
Seine Anstrengungen, dieses fest erkannten Berufes Herr zu wer-
den, waren ungeheuer. Es ist keine blosse Phrase, wenn behauptet
wird, er habe zwölf Jahre auf das Studium der Anatomie verwandt;
seine Werke zeigen ein Ringen und Streben wie die keines Andern
nach immer grösserer schöpferischer Freiheit.
Der erste Anlauf, welchen Michelangelo nahm, war über alle
Massen herrlich. In den Räumen des Palazzo Buonarroti zua
Florenz (Via Ghibellina N. 7588), welche von dem jüngern, als Dich-
ter berühmten Michelangelo B. dem Andenken und den Reliquien des
grossen Oheims geweiht worden sind 1), wird ein Relief aufbewahrt,
welches dieser in seinem siebzehnten Jahr verfertigte: „Hercules im
Kampf gegen die Centauren“, d. h. ein Handgemenge nackter Figuren,
unter welchen auch Centauren vorkommen. Obwohl im Geiste des
überreichen römischen Reliefs gedacht, enthält es doch Motive von
griechischer Art und Lebendigkeit, Wendungen von Körpern, welche
den bedeutendsten momentanen Ausdruck mit der schönsten Form
verbinden; dass in dem Menschenknäul vor der mittlern Figur das
Mass überschritten wird, geschieht doch nicht auf Kosten der Deut-
lichkeit und lässt sich durch die Jugend des Künstlers entschuldigen.
Vielleicht noch früher ist das Flachrelief einer säugenden Madonnab
im Profil (ebendort) gearbeitet; eine der ersten Arbeiten, welche aus
dem Realismus des XV. Jahrh. ganz entschieden hinausgehen in den
rein idealen Styl.
Wie vollkommen liebenswürdig wusste Michelangelo damals zu
bilden! An der Arca di S. Domenico in der Kirche dieses Hei-c
ligen zu Bologna ist von ihm der eine knieende Engel mit dem
Candelaber (derjenige links vom Beschauer); ein so hold jugendliches
Köpfchen, wie es damals nur Lionardo da Vinci zu bilden im Stande
gewesen wäre. Den schweren Gewandstoff, der zu einer lebensgros-
[666]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
sen Figur richtig passen würde, und die unverhältnissmässigen Haar-
locken nimmt man hier dem Künstler so gerne als Unbesonnenheiten
aeines Anfängers hin. — (Auch die Statuette des heil. Bischofs Petro-
nius, eine von den vieren zunächst über dem Sarcophag, ist von ihm,
aber unmöglich aus derselben Zeit, wie schon das manierirte Gewand
zeigt.)
Das letzte Werk dieser frühen Periode (1499) des Meisters ist die
bGruppe der Pietà in S. Peter zu Rom (erste Capelle rechts; die
Aufstellung im kläglichsten Licht macht die Vergleichung der Gyps-
abgüsse nothwendig, deren ich aber keinen öffentlich aufgestellten
kenne). Dieser Gegenstand war bisher unzählige Male gemeisselt und
gemalt worden, oft mit sehr tiefem und innigem Ausdruck, nur liegt
insgemein der Leichnam Christi so auf den Knieen der Madonna, dass
das Auge sich abwenden möchte. Hier zuerst in der ganzen neuern
Sculptur kann wieder von einer Gruppe im höchsten Sinne die Rede
sein; der Leichnam ist überaus edel gelegt und bildet mit Gestalt und
Bewegung der ganz bekleideten Madonna das wunderbarste Ganze.
Die Formen sind anatomisch noch nicht ganz durchgebildet, die Köpfe
aber von einer reinen Schönheit, welche Michelangelo später nie wie-
der erreicht hat 1). — (Etwa aus derselben Zeit die Madonna in No-
tre Dame zu Brügge.)
Wie verhielt sich nun Michelangelo’s Geist, als er seiner reifen
Epoche und seiner grossen Stellung entgegenging, zu den Aufgaben,
welche seine Zeit ihm bot? Bei weitem die meisten waren kirchli-
cher Art, oder mussten doch zu einer kirchlichen Umgebung passen. Die
freie Altargruppe begann eben erst als Gattung zu gelten; man er-
innere sich der Capelle Zeno in S. Marco zu Venedig (1505) und ähn-
licher Arbeiten. Die Nischen der Kirchenfassaden füllten sich nur
sparsam mit Statuen, die der Pfeiler im Innern etwas häufiger. Was
[667]Michelangelo.
sonst übrig blieb, waren Grabmäler, deren Allegorien das einzige
ganz freie Element der damaligen Sculptur heissen konnten. Denn
grosse Sculpturwerke mythologischen Inhalts waren noch ein seltener
Luxus, der ausserhalb Florenz einstweilen kaum vorkam.
Michelangelo aber war stärker als je ein Künstler von dem Drange
bewegt, alle irgend denkbaren und mit den höhern Stylgesetzen ver-
einbaren Momente der lebendigen, vorzüglich der nackten Menschenge-
stalt aus sich heraus zu schaffen. Er ist in dieser Beziehung das ge-
rade Gegentheil der Alten, welche ihre Motive langsam reiften und ein
halbes Jahrtausend hindurch nachbildeten; er sucht stets neue Mög-
lichkeiten zu erschöpfen und kann desshalb der moderne Künstler in
vorzugsweisem Sinne heissen. Seine Phantasie ist nicht gehütet und
eingeschränkt durch einen altehrwürdigen Mythus; seine wenigen bibli-
schen Figuren gestaltet er rein nach künstlicher Inspiration und seine
Allegorien erfindet er mit erstaunlicher Keckheit. Das Lebensmotiv,
das ihn beschäftigt, hat oft mit dem geschichtlichen Charakter, den
es beseelen soll, gar keine innere Berührung — selbst in den Pro-
pheten und Sibyllen der Sistina nicht immer.
Und welcher Art ist das Leben, das er darstellt? Es sind in ihm
zwei streitende Geister; der eine möchte durch rastlose anatomische
Studien alle Ursachen und Äusserungen der menschlichen Form und
Bewegung ergründen und der Statue die vollkommenste Wirklichkeit
verleihen; der andere aber sucht das Übermenschliche auf und findet
es — nicht mehr in einem reinen und erhabenen Ausdruck des Ko-
pfes und der Geberde, wie einzelne frühere Künstler — sondern in
befremdlichen Stellungen und Bewegungen und in einer partiellen Aus-
bildung gewisser Körperformen in das Gewaltige. Manche seiner Ge-
stalten geben auf den ersten Eindruck nicht ein erhöhtes Menschliches,
sondern ein gedämpftes Ungeheures. Bei näherer Betrachtung sinkt
aber dieses Übernatürliche oft nur zum Unwahrscheinlichen und Bi-
zarren zusammen.
Sonach wird den Werken Michelangelo’s durchgängig eine Vor-
bedingung jedes erquickenden Eindrucks fehlen: die Unabsichtlichkeit.
Überall präsentirt sich das Motiv als solches, nicht als passend-
ster Ausdruck eines gegebenen Inhaltes. Letzteres ist vorzugsweise
der Fall bei Rafael, der den Sinn mit dem höchsten Interesse an der
[668]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
Sache und das Auge mit innigstem Wohlgefallen erfüllt, lange ehe
man nur an die Mittel denkt, durch welche er sein Ziel erreicht hat.
Aber die ungeheure Gestaltungskraft, welche in Michelangelo wal-
tete, giebt selbst seinen gesuchtesten und unwahrsten Schöpfungen
einen ewigen Werth. Seine Darstellungsmittel gehören alle dem höch-
sten Gebiet der Kunst an; da sucht man vergebens nach einzelnem
Niedlichem und Lieblichem, nach seelenruhiger Eleganz und buhleri-
schem Reiz; er giebt eine grandiose Flächenbehandlung als Detail und
grosse plastische Contraste, gewaltige Bewegungen als Motive. Seine
Gestalten kosten ihn einen viel zu heftigen innern Kampf, als dass er
damit gegen den Beschauer gefällig erscheinen möchte.
Damit hängt denn auch ihre unfertige Beschaffenheit eng zusam-
men. Er arbeitete gewiss selten ein Thonmodell von derjenigen Grösse
aus, welche das Marmorwerk haben sollte; der sog. Puntensetzer be-
kam bei ihm wenig zu thun; eigenhändig, im ersten Eifer, hieb er
selbst das Werk aus dem Rohen. Mehrmals hat er sich dabei noto-
risch „verhauen“, oder der Marmor zeigte Fehler und er liess dess-
halb die Arbeit unfertig liegen. Oft aber blieb sie auch wohl unvollendet,
weil jener innere Kampf zu Ende war und das Werk kein Interesse
mehr für den Künstler hatte. (Ob etwa auch ein Trotz gegen miss-
liebige Besteller mit unterlief, ist im einzelnen Falle schwer zu sagen.)
Wer nun von der Kunst vor Allem das sinnlich Schöne verlangt,
den wird dieser Prometheus mit seinen aus der Traumwelt der (oft
äussersten) Möglichkeiten gegriffenen Gestalten nie zufrieden stellen.
Eine holde Jugend, ein süsser Liebreiz konnte gar nicht das aus-
drücken helfen, was er ausdrücken wollte. Seine Ideale der Form
können nie die unsrigen werden; wer möchte z. B. bei seinen meisten
weiblichen Figuren wünschen, dass sie lebendig würden? (Die Aus-
nahmen, wie z. B. die Delphica in der sixtin. Capelle, gehören frei-
lich zum Herrlichsten.) Gewisse Theile und Verhältnisse bildet er
fast durchgängig nicht normal (die Länge des Oberleibes, der Hals,
die Stirn und die Augenknochen, das Kinn etc.), andere fast durch-
gängig herculisch (Nacken und Schultern). Das Befremdliche liegt
also nicht bloss in der Stellung, sondern auch in der Bildung selbst.
Der Beschauer darf und soll es ausscheiden von dem echt Gewaltigen.
[669]Der Bacchus. Der David.
Die Zeit des Künstlers freilich wurde von dem Guten und von
dem Bösen, das in ihm lag, ohne Unterschied ergriffen; er imponirte
ihr auf dämonische Weise. Über ihm vergass sie binnen 20 Jah-
ren Rafael vollständig. Die Künstler selber abstrahirten aus dem,
was bei Michelangelo die Äusserung eines innern Kampfes war, die
Theorie der Bravour und brauchten seine Mittel ohne seine Gedan-
ken, wovon unten ein Mehreres. Die Besteller, unter der Herrschaft
einer Bildung, welche ohnehin jede Allegorie guthiess, liessen sich
von Michelangelo das Unerhörte auf diesem Gebiete gefallen und be-
merkten nicht, dass er bloss Anlass zur Schöpfung bewegter Gestal-
ten suchte.
Die Reihe dieser freien, rein künstlerischen Gedanken beginnt
schon frühe (vor der Pietà) mit dem Bacchus in den Uffiziena
(Ende des 2. Ganges). Mit dem antiken Dionysos-Ideal, wie wir es
jetzt, nach den seither ausgegrabenen Resten und den tiefen Forschungen
der Archäologie kennen, darf man diesen Bacchus nicht vergleichen
ohne Ungerechtigkeit; er ist hervorgebracht unter der Voraussetzung,
einen trunkenen Jüngling darstellen zu müssen, daher mit einem bur-
lesken Anflug, mit starren Augen, lallendem Mund, vortretendem Bauche.
Vielleicht die erste Statue der neuern Kunst, welche mit der Absicht
auf vollkommene Durchbildung eines nackten Körpers geschaffen wor-
den ist! ohne Zweifel das Resultat der fleissigsten Naturstudien, und
doch abgesehen vom Gegenstand schon durch die bizarre Stellung
gründlich ungeniessbar, zumal von links her gesehen.
Auf den ersten Blick gefällt der colossale David vor dem Pa-b
lazzo vecchio in Florenz (1501—1503) vielleicht noch weniger. Allein
der Künstler war auf einen Marmorblock angewiesen, aus welchem
schon ein früherer Bildhauer irgend Etwas zu meisseln begonnen hatte;
sodann beging er einen Fehler, den der Beschauer in Gedanken wieder
gut machen kann, er glaubte nämlich David ganz jung darstellen zu
müssen und nahm einen Knaben zum Modell, dessen Formen er colos-
sal bildete. (Was hauptsächlich bei der Seitenansicht bemerklich wird.)
Nun lassen sich aber nur erwachsene Personen passend vergrössern
(S. 444, Anm.), wenigstens bei isolirter Aufstellung, denn in Gesell-
schaft anderer Colosse kann auch das colossale Kind seine berech-
tigte Stelle finden. Durch ein Verkleinerungsglas gesehen gewinnt der
[670]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
David ungemein an Schönheit und Leben, allerdings mit Ausnahme
des Kopfes, der in einer ganz andern Stimmung hinzugearbeitet scheint.
Wenn in dieser Statue noch eine gewisse Modellbefangenheit nicht
zu verkennen ist, so finden wir Michelangelo einige Jahre später auf
der Höhe seines künstlerischen Könnens in dem nach 1504 entworfe-
nen, in der nächstfolgenden Zeit stückweise ausgeführten Grabdenk-
amal Papst Julius II für die Peterskirche. Die sehr flüchtige Ori-
ginalzeichnung, die von dem Werke doch vielleicht nicht das defini-
tiv angenommene Project wiedergiebt, ist in der florentinischen Samm-
lung der Handzeichnungen aufbewahrt. Ein hoher Bau in länglichem
Viereck sollte an seinen Wänden nackte gefesselte Gestalten (die von
Julius wiedererworbenen Provinzen und die durch seinen Tod in
Knechtschaft gedachten Künste) und auf seinen Vorsprüngen jeden-
falls die sitzenden Statuen des Moses und Paulus enthalten, anderer
Zuthaten nicht zu gedenken. Die Symbolik war eine willkürliche, ja
eine zweideutige; wer hätte z. B. Moses und Paulus für Allegorien
des thätigen und des beschaulichen Lebens genommen? und doch
waren sie so gemeint. Aber als plastisch-architektonisches Ganzes
gedacht wäre das Grabmal doch immer eines der ersten Werke der
Welt geworden.
Erst dreissig Jahre später, unter Paul III kam dasjenige Denk-
bmal zu Stande, welches jetzt in S. Pietro in Vincoli steht. Es
ist kein Freibau, sondern nur noch ein barocker Wandbau daraus ge-
worden; die obern Figuren sind von den Schülern nach dem Entwurf
des Meisters hinzugearbeitet und zwar nicht glücklich; in dem armen
Papst, der sich zwischen zwei Pfeilern strecken muss so gut es geht,
ist auch die Anordnung unverzeihlich. Unten aber stehen die für das
ursprüngliche Project in der frühern Zeit eigenhändig gearbeiteten
Statuen des Moses, nebst Rahel und Lea, letztere wiederum als Sym-
bole des beschaulichen und des thätigen Lebens, nach einer schon in
der Theologie des Mittelalters vorkommenden, an sich absurden Typik.
— Moses scheint in dem Moment dargestellt, da er die Verehrung
des goldenen Kalbes erblickt und aufspringen will. Es lebt in seiner
Gestalt die Vorbereitung zu einer gewaltigen Bewegung, wie man sie
von der physischen Macht, mit der er ausgestattet ist, nur mit Zittern
erwarten mag. Seine Arme und Hände sind von einer insofern wirk-
[671]Grabmal Julius II.
lich übermenschlichen Bildung, als sie das charakteristische Leben
dieser Theile auf eine Weise gesteigert sehen lassen, die in der Wirk-
lichkeit nicht so vorkömmt. Alles bloss Künstlerische wird an dieser
Figur als vollkommen anerkannt, die plastischen Gegensätze der Theile,
die Behandlung alles Einzelnen. Aber der Kopf will weder nach der
Schädelform noch nach der Physiognomie genügen und mit dem herr-
lich behandelten Bart, dem die alte Kunst nichts Ähnliches an die
Seite zu stellen hat, werden doch gar zu viele Umstände gemacht
der berühmte linke Arm hat im Grunde nichts anderes zu thun, als
diesen Bart an den Leib zu drücken. — Rahel, das beschauliche
Leben, ist im Motiv ganz sinnlos; sie hat so eben auf dem Schemel
nach rechts gebetet und wendet sich plötzlich, noch immer betend,
nach links; zudem scheint ihr linker Arm schon oben verhauen. Das
Detail sonst trefflich. — Lea, das thätige Leben, mit dem Spiegel
in der Hand, zeigt in der Draperie unnütze und bizarre Motive und
unschöne Verhältnisse der untern Theile. Die Köpfe haben wohl etwas
Grandios-Neutrales, Unpersönliches, welches die Seele wie ein Klang
aus der ältern griechischen Kunst berührt, aber auch eine gewisse
Kälte.
Ausser diesen drei Statuen hat Michelangelo offenbar in sehr
verschiedenen Zeiten eine Anzahl von nackten Figuren gemeisselt,
welche theils zum Grabmal Julius II wirklich gehören sollten, theils
wenigstens damit in Verbindung gebracht werden. Das trefflichste
sind die beiden „Sclaven“ im Louvre, die offenbar Stücke aus der
Reihe jener Gefesselten sind. Weniger lässt sich dies verbürgen bei
den vier (nur theilweise aus dem Rohen gearbeiteten und beträcht-a
lich grössern) Statuen in einer Grotte des Gartens Boboli zu Flo-
renz (vom Eingang links); es sind höchst lebensvolle Acte des Leh-
nens und Tragens; die beiden vordern freilich kaum erst kenntlich
Dann eine Gruppe, betitelt „der Sieg“, im grossen Saale des Palazzob
vecchio; ein Sieger auf einem (unvollendeten) Besiegten knieend,
und das während des Kampfes nach hinten gestreifte Gewand wieder
hervorziehend, mit einer Wendung und Bewegung, die freilich hie-
durch nur nothdürftig motivirt wird. (Spätere Zeit?)
Wir kehren wieder in seine frühere römische Epoche zurück und
nennen zunächst den Christus im Querschiff von S. Maria soprac
[672]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
Minerva zu Rom (um 1527). Es ist eines seiner liebenswürdigsten
Werke; Kreuz und Rohr sind zu der nackten Gestalt und ihrer Be-
wegung edel und geschickt geordnet, der Oberleib eines der schönsten
Motive der neuern Kunst; der sanfte Ausdruck und die Bildung des
Kopfes mag so wenig dem Höchsten genügen als irgend ein Christus,
und doch wird man diesen milden Blick des „Siegers über den Tod“
auf die Gemeinde der Gläubigen schön und tief gefühlt nennen müssen.
aEbenfalls wohl aus dieser Zeit: die nur aus dem Rohen gehauene und
in diesem Zustand sehr viel versprechende Statue eines Jünglings, in
den Uffizien (zweiter Gang), wahrscheinlich Apoll, der mit der Linken
über die Schulter greift, um einen Pfeil aus dem Köcher zu holen. —
Dessgleichen, wenigstens aus der ersten Hälfte von Michelangelo’s
bLeben: das runde Relief in den Uffizien (Gang der tosc. Sculptur),
Madonna mit dem auf ihr Buch lehnenden Kinde, hinten der kleine
Johannes; wundervoll in diesen Raum componirt und, soweit die Ar-
beit vollendet ist, edel und leicht belebt.
Die Arbeiten des vorgerückten Alters möchten etwa mit dem
ctodten Adonis der Uffizien (zweiter Gang) zu beginnen sein. Der
Künstler hat Alles gethan, um die Statue plastisch interessant zu ma-
chen; der Körper beginnt auf der rechten Seite liegend und wendet
sich nachher mehr nach links; unter den gekreuzten Füssen lagert der
Eber, dessen Zahn dem Jüngling die (sehr grelle) Schenkelwunde bei-
gebracht hat. Aber der Kopf gehört zu den manierirtesten und der
Leib ist von keiner schönen Bildung.
Um das Jahr 1529 soll dann die Arbeit an den Statuen der welt-
dberühmten mediceischen Capelle (oder Sagrestia nuova) bei
S. Lorenzo ihren Anfang genommen haben. Selten hat ein Künstler
freier über Ort und Aufstellung verfügen können (vgl. S. 329, c). Die
Denkmäler wirken desshalb in diesem Raum ganz vorzüglich, schon
wenn man sie nur als Ergänzung und Resultat der Architektur be-
trachtet. Um die Figuren gross erscheinen zu lassen, hat der Künstler
sie in eine aus kleinen Gliedern gebildete bauliche Decoration einge-
rahmt, deren Detail freilich nicht zu rühmen ist. Die Aufgabe selbst
enthielt eine starke Aufforderung zu allgemeinen Allegorien; es han-
[673]Die mediceischen Grabmäler.
delte sich um die Gräber zweier ziemlich nichtswürdigen mediceischen
Sprösslinge, für welche Michelangelo am allerwenigsten sich begei-
stern konnte. Unter den Nischen mit den sitzenden Statuen derselben
brachte er die Sarcophage an und auf deren rund abschüssigen Deckel
die weltberühmten Figuren des Tages und der Nacht (bei Giuliano
Medici-Nemours), der Morgen- und der Abenddämmerung (bei Lorenzo
Medici, Herzog von Urbino). Kein Mensch hat je ergründen können,
was sie hier (abgesehen von ihrer künstlerischen Wirkung) bedeuten
sollen, wenn man sich nicht mit der ganz blassen Allegorie auf das
Hinschwinden der Zeit zufrieden geben will. Vielleicht hätte Cle-
mens VII als Besteller lieber ein paar trauernde Tugenden am Grab
seiner Verwandten Wache halten lassen — der Künstler aber suchte
geflissentlich das Allgemeinste und Neutralste auf. Wie dem sei, diese
Allegorien sind nicht einmal bezeichnend gebildet, was denn auch, mit
Ausnahme der Nacht, eine reine Unmöglichkeit gewesen wäre. Die
Nacht ist wenigstens ein nacktes, schlafendes Weib; man darf abera
fragen: ob wohl jemals ein Mensch in dieser Stellung habe schlafen kön-
nen? sie und ihr Gefährte, der Tag, lehnen nämlich mit dem rechten
Ellbogen über den linken Schenkel. Sie ist die ausgeführteste nackte
weibliche Idealfigur 1) Michelangelo’s; der Tag, mit unvollendetem
Kopf, kann vielleicht als sein vorzüglichstes Specimen herculischer
Bildung gelten. Als Motive aber sind gewiss die beiden Däm-b
merungen edler und glücklicher, namentlich der Mann sehr schön
und lebendig gewendet; das Weib (die sog. Aurora) ebenfalls mehr
ungesucht grossartig als die Nacht, wunderbar in den Linien, auch
mit einem viel schönern und lebendigern Kopf, der indess noch immer
etwas Maskenhaftes behält.
In diesen vier Statuen hat der Meister seine kühnsten Gedan-
ken über Grenzen und Zweck seiner Kunst geoffenbart; er hat frei
von allen sachlichen Beziehungen, nicht gebunden durch irgend eine
von aussen verlangte Charakteristik, den Gegenstand und seine Aus-
führung geschaffen. Das plastische Princip, das ihn leitete, ist der
bis auf das Äusserste durchgeführte Gegensatz der sich entsprechen-
B. Cicerone. 43
[674]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
den Körpertheile, auf Kosten der Ruhe und selbst der Wahrschein-
lichkeit. Mit seiner Stylbestimmtheit gehandhabt, brachte dieses Prin-
cip das grossartige Unicum hervor, welches wir hier vor uns sehen.
Für die Nachfolger war es die gerade Bahn zum Verderben.
Die Statue des Julian ist nicht ganz ungezwungen; wohin wen-
det er seinen langen Hals und seine falschen Augen? Ganz vortreff-
lich ist aber die Partie der Hände, des Feldherrnstabes und der Kniee.
bLorenzo, bekannt unter dem Namen il pensiero, unvergleichlich ge-
heimnissvoll durch die Beschattung des Gesichtes mit Helm, Hand
und Tuch, hat doch in der Stellung seines rechten Armes etwas Un-
freies. Die Arbeit ist von grösstem Werthe. — Auch mit diesen bei-
den Statuen that Michelangelo keinen Schritt in das Historisch-Cha-
rakteristische, das seiner Seele widerstrebt haben muss; sie sind
vielmehr in seinen Styl vollkommen eingetaucht und können als eben
so frei gewählte Motive gelten, wie alles Übrige.
Der kaum aus dem rohen gearbeiteten Madonna lag ursprüng-
lich wohl ein ausserordentlich schöner plastischer Gedanke zu Grunde;
es fehlte vielleicht nicht viel, so wäre sie die einzig treffliche ganz
frei sitzende Madonna geworden (indem fast alle andern nur auf
den Anblick von vorn berechnet sind). Allein durch einen Fehler
des Marmors oder ein „Verhauen“ des Künstlers kam der rechte Arm
nicht so zu Stande, wie er beabsichtigt gewesen sein muss und wurde
dann hinten so angegeben, wie man ihn jetzt sieht. Vermuthlich
hatte dann das Übrige mit zu leiden und wurde desshalb nur andeu-
tungsweise und dürftig vollendet. Ein unruhigeres Kind hat freilich
die ganze Kunst nicht gebildet, als dieser kleine Christus ist; auf dem
linken Knie der Mutter vorwärts sitzend, wendet er sich sehr künst-
lich rückwärts um, greift mit seinem linken Ärmchen an die linke
Schulter der Mutter und sucht mit dem rechten ihre Brust.
(Die zwei HH. Cosmas und Damian sind Schülerarbeiten vielleicht
nach ganz kleinen Modellen des Meisters.)
Aus der spätern Zeit ist wohl auch die angefangene Apostelstatue
eim Hof der Academie in Florenz; sie zeigt auf das Merkwür-
digste, wie Michelangelo arbeitete; ungeduldig möchte er das (gequält
grossartige) Lebensmotiv, das für ihn fertig im Marmorblocke steckt,
[675]Letzte Arbeiten.
daraus befreien; aber irgend ein Umstand kommt dazwischen und die
Arbeit bleibt liegen 1).
Endlich sorgte Michelangelo eigenhändig für sein Grabmal; esa
sollte wieder eine Pietà sein. Damals begann er wahrscheinlich das-
jenige Werk, welches jetzt im Hof des Palazzo Rondanini zu Rom
(am Corso) steht, und das am besten unbesichtigt bleibt. Wie konnte
er, nachdem der Block schon so verdorben war, wie man ihn sieht,
doch noch diese Gestalten herauszwingen wollen, auf Kosten der-
jenigen Körperverhältnisse, die Niemand besser kannte als Er? Leider
ist wohl jeder Meisselschlag von ihm.
Später arbeitete er — der Sage nach aus einem Capitäl des Frie-b
denstempels, das ihm Papst Paul III geschenkt — diejenige Gruppe,
welche jetzt im Dom von Florenz, unter der Kuppel, aufgestellt
ist. Er hat den Werth einer monolithen Arbeit überschätzt und dem
Marmor, welcher nicht reichte, das Unmögliche zugemuthet, um Fi-
guren herauszubringen, die sich der Lebensgrösse wenigstens nähern.
Es ist ein höchst unerquickliches Werk, von der rechten Seite ge-
sehen unklar, durch die Gestalt des Nicodemus zusammengedrückt.
Die Stellung der Leiche dürfte mit jener ersten Pietà in S. Peter nicht
von ferne verglichen werden.
Eine ganz späte Arbeit soll auch die angefangene Büste desc
Brutus in den Uffizien (Halle d. Hermaphr.) sein, angeblich nach
einer antiken Gemme, wahrscheinlich aber ein frei geschaffenes Cha-
rakterbild und ein Gegenstand, der dem trotzigen Sinne des Meisters
nahe lag. Physiognomisch abstossend und dabei grandios behandelt.
— Das eigene Bildniss Michelangelo’s, ein schöner Bronzekopf, imd
Conservatorenpalast des Capitols (5. Zimmer) gilt als seine Arbeit.
Zahllose kleine Modelle seiner Hand sind zerstreut und zu Grunde
gegangen; was von der Art in italienischen Sammlungen vorkömmt
verdient insgemein wenig Zutrauen. (Der Christuskopf in S. Agnesee
bei Rom, in einer Cap. rechts, ist jedenfalls nicht von ihm ausgeführt;
— das Relief einer Pietà in der Kirche des Albergo de’ poveri zuf
43*
[676]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
aGenua zweifelhaft; — über eine Gruppe der Pietà in S. Rosalia zu
Palestrina ist mir nichts Näheres bekannt; — die Statue Gregors d.
bGr. in einer der Capellen neben S. Gregorio in Rom, von Cordieri
vollendet, hat wohl am ehesten Anspruch auf Erfindung und Theil-
nahme des Meisters; — als Jugendarbeit wird ihm der kleine nackte
cChristus am Grabmal Bandini im linken Seitenschiff des Domes von
Siena beharrlich zugeschrieben etc. etc.)
Der Beschauer wird merkwürdig gestimmt gegen einen Künstler,
dessen Grösse ihm durchgängig imponirt und dessen Empfindungs-
weise doch so gänzlich von der seinigen abweicht. Die frucht-
bringendste Seite, von welcher aus man Michelangelo betrachten kann,
bleibt doch wohl die historische. Er war ein grossartiges Schick-
sal für die Kunst; in seinen Werken und ihrem Erfolg liegen we-
sentliche Aufschlüsse über das Wesen des modernen Geistes offen
ausgesprochen. Die Signatur der drei letzten Jahrhunderte, die
Subjectivität, tritt hier in Gestalt eines absolut schrankenlosen
Schaffens auf. Und zwar nicht unfreiwillig und unbewusst wie sonst
in so vielen grossen Geistesregungen des XVI. Jahrh., sondern mit
gewaltiger Absicht. Es scheint als ob Michelangelo von der die Welt
postulirenden und schaffenden Kunst beinahe so systematisch gedacht
habe, wie einzelne Philosophien von dem weltschaffenden Ich.
Er hinterliess die Sculptur erschüttert und umgestaltet. Keiner
seiner Kunstgenossen hatte so fest gestanden, dass er nicht durch
Michelangelo desorientirt worden wäre — in welcher Weise haben
wir schon angedeutet. Aber die äussere Stellung der Sculptur hatte
sich durch ihn ungemein gehoben; man wollte jetzt wenigstens von
ihr das Grosse und Bedeutende und traute ihr Alles zu.
Die Gehülfen des Meisters haben, seit sie das waren, kaum mehr
einen eigenthümlichen Werth. Wir nennen zuerst Giov. Angelo
Montorsoli (1498—1563), der den Michelangelo schon von dessen
frühern Werken, zumal von der Sistina an begleitet und nachahmt,
dabei aber auch Einwirkungen von Andrea Sansovino und von den
[677]Montorsoli.
Lombarden her verräth, und diess Alles mit einer gewissen decora-
tiven Seelenruhe zu einem nicht unangenehmen Ganzen verschmelzt.
Von der Mitarbeit in der mediceischen Capelle an, wo er den heil.a
Cosmas ausarbeitete, wird er ausschliesslich Michelangelist.
Von Andrea Doria nach Genua berufen 1), musste er als Archi-
tekt und Bildhauer das sein, was Perin del Vaga als Maler; die in
den Künsten durch politische Leiden arg zurückgekommene Stadt
bedurfte auswärtiger Kräfte. Die Kirche S. Matteo, das Familien-b
heiligthum der Doria, ist ein ganzes Museum seiner Sculpturen 2).
Manches davon zeigt, dass er sich half wie er konnte; in den sitzen-
den Relieffiguren der beiden Kanzeln, in den vier Evangelisten der
Chorwände ist mehr als eine Reminiscenz aus der Sistina zu be-
merken; von den Freisculpturen hinten im Chor ist die Pietà, was
die Lage des Leichnams betrifft, nach derjenigen Michelangelo’s in
S. Peter copirt, was zu der peruginesken Madonna nicht recht passt;
die vier übrigen Statuen (Propheten) haben beinahe die Art des
Guglielmo della Porta und der damaligen Lombarden. Die reiche
Stucchirung der Kuppel und des Chores (von Gehülfen ausgeführt),
die beiden Altäre des Querschiffes (mit den vielleicht von andern
Händen gefertigten Reliefs über den Altären), die Reliefs von Tritonen
und gefangenen Türken unter den Kanzeln und das Denkmal des
Andrea Doria in der Crypta (welches der Verf. nicht sah) vollenden
diesen in seiner Art einzigen plastischen Schmuck, dessen Gleichen
selten Einem Künstler anvertraut worden ist. Montorsoli hatte bei
seiner mässigen Begabung ganz Recht, dass er sich nicht durch das
gleichzeitige glänzende Beispiel der mediceischen Capelle irre machen
liess. Auf diese Weise hat die Nachwelt etwas Geniessbares erhalten.
Eine späte Arbeit M.’s ist dann der 1561 vollendete Hauptaltarc
in den Servi zu Bologna. Die drei Statuen der Nischen, der Auf-
erstandene mit Maria und Johannes zeigen noch eine schöne sanso-
[678]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Montorsoli.
vinische Inspiration; die (ungeschickter Weise viel grösser gebildeten)
Statuen über den beiden Seitenthüren und unten an den Seiten des
Altares, sowie die sämmtlichen Sculpturen der Rückseite mehr das
Öde und Allgemeine der römischen Schule. — Nicht sehr viel früher
aarbeitete M. die Statuen des Moses und Paulus in der Capella de’
Pittori bei der Annunziata in Florenz. (Die ebendort befindlichen
sitzenden Statuen sind von Verschiedenen nach den gemalten Pro-
pheten der sixtinischen Capelle in Thon modellirt; ein Zeugniss mehr
für den Einfluss der letztern auf die ganze Sculptur, welche noch
heute daraus Belehrung schöpfen kann.)
Das Grabmal Sannazaro’s in S. Maria del Parto zu Neapel,
woran die sitzenden Statuen des Apoll und der Minerva (in David
und Judith travestirt) von M.’s Hand sind (der Rest von Santacroce)
bekenne ich nicht gesehen zu haben.
Ein anderer Schüler Michelangelo’s, Rafaelle da Montelupo,
carbeitete nach des Meisters Modellen in der mediceischen Capelle den
dheil. Damian und oben am Grabmal Julius II die Statuen des Propheten
und der Sibylle (S. 670, b). Von seinen unabhängigen Werken ist die
etüchtige und einfache Grabstatue des Cardinals Rossi (in der Vorhalle
von S. Felicita in Florenz) zu nennen.
Guglielmo della Porta († 1577) könnte nach seiner frühern
und spätern Thätigkeit auf zwei verschiedene Stellen dieser Übersicht
vertheilt werden, wenn nicht auf der spätern Zeit, da er den Michel-
angelo nachahmte, der beträchtlich stärkere Accent läge. Seine frü-
hern Sachen, die den lombardischen Styl am Anfang des XVI. Jahrh.
repräsentiren, mit einem kleinen Anklang an A. Sansovino, sind be-
sonders zahlreich in Genua vorhanden. Sehr unerquicklich: die
fPropheten in Relief an den Säulenbasen des Tabernakels der Jo-
hannescapelle im Dom; — höchst fleissig, überladen und von gesuchter
gBelebung in Draperie und Fleisch: die sieben Statuen am Altar des
linken Querschiffes ebenda; nur die mittlere, ein sitzender Christus,
hmit höherer Weihe; — fast roh: die Gruppe Christi und des heil.
Thomas, an der Vorhalle von S. Tommaso. — Später, unter dem sehr
nahen Einfluss Michelangelo’s, entstand das berühmte Grabmal
[679]Della Porta. Clementi.
Pauls III im Chor von S. Peter. Die gewonnene Stylfreiheit ista
vortrefflich benützt in der sitzenden Bronzestatue des Papstes, welche
Guglielmo’s volles Eigenthum ist; lebenswahr und doch heroisch er-
höht. Die beiden auf dem Sarcophag lehnenden Frauen, angeordnet
wie die vier Tageszeiten auf den Gräbern von S. Lorenzo, sind diesen
an Bedeutung der plastischen Linien nicht zu vergleichen, allein
Guglielmo übertraf den Meister wenigstens von der einen Seite, wo
ihm leicht beizukommen war, von Seiten der sinnlichen Schönheit.
Seine „Gerechtigkeit“ ist zwar darob etwas lüstern und absichtlich
ausgefallen; die betagte „Klugheit“ hat mehr von Michelangelo. —
Im grossen Saal des Pal. Farnese findet man zwei ähnliche Statuen,b
welche wie erste, weniger gerathene Proben derselben Aufgabe aus-
sehen, jedoch zu demselben Grabmal gehörten und erst bei dessen
Versetzung an die jetzige Stelle davon weggenommen wurden. — Von
Guglielmo’s Bruder Giacomo sind die Grabmäler der Cap. Aldo-c
brandini in der Minerva (die 6. rechts) wenigstens entworfen; in der
Ausführung erinnern sie an Guglielmo.
Unter den Lombarden, welche von Michelangelo die Richtung
ihres Styles empfingen, ist nächst Gugl. della Porta ein gewisser
Prospero Clementi nicht unbedeutend, welcher hauptsächlich in
seiner Vaterstadt Reggio um die Mitte des Jahrh. thätig war. Im
Dom daselbst (Cap. rechts vom Chor) ist das Grabmal des Bischofsd
Ugo Rangoni sein Hauptwerk; sowohl die sitzende Statue als die
beiden Putten am Sarcophag und die zwei kleinen Reliefs (Tugenden)
an der Basis verrathen den Einfluss Michelangelo’s, ja schon den des
della Porta, allein es ist ein solider Rest von Naivetät übrig ge-
blieben, der weder arge Manier noch falsches Pathos aufkommen
lässt. Dann möchte ich dem Clementi, an dem absurd (als colossales
Stundenglas) gebildeten Grabdenkmal des Ch. Sforziano, gleich links vom
Eingang, die drei vorzüglich schönen Statuetten des Auferstandenen
und zweier Tugenden zuschreiben. Sie verbinden die Art der rö-
mischen Schule mit einer noch fast sansovinischen Milde und Mässi-
gung. (Viel geringer und wohl von anderer Hand das Grab Maleguzzi,
1583, gegenüber.) — Am Palazzo Ducale zu Modena, beim Portal, diee
[680]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Bandinelli.
Statuen des Lepidus und des Hercules, letztere ungeschlacht muscu-
alös. — In der Crypta des Domes von Parma ist von Clementi ein
Grab vom Jahr 1542 mit zwei sitzenden Tugenden (hinten, rechts).
b— In S. Domenico zu Bologna (Durchgang zur linken Seitenthür) am
Grabmal Volta die Statue des heil. Kriegers Proculus, einfach und
tüchtig.
Das Grab des Meisters, vom Jahr 1588, im Dom von Reggio
(1. Cap. links) ist mit seiner schönen Büste geschmückt. — Den Aus-
lauf seiner Schule bezeichnen die Statuen im Querschiff und an der
Fassade daselbst.
Wenn man sich jedoch in Kürze überzeugen will, welche zwin-
gende Gewalt Michelangelo als Bildhauer über sein Jahrhundert und
das folgende ausübte, so genügt schon ein Blick auf die florentinische
Sculptur nach ihm. Sie ist besonders belehrend, weil die mediceischen
Grossherzoge auch die profane, mythologische und monumentale Seite
der Kunst mehr pflegten, als diess sonst irgendwo in Italien geschah,
ohne dass doch die kirchlichen Aufgaben desshalb aufgehört hätten.
Wir haben bis hieher einen florentinischen Künstler verspart, der
als Michelangelo’s unedler Nebenbuhler auftrat und doch in seinen
meisten Werken ihn gerade von der bedenklichen Seite nachahmte:
Baccio Bandinelli (1487—1559). Er ist ein sonderbares Gemisch
aus angeborenem Talent, Reminiscenzen der ältern Schule und einer
falschen Genialität, die bis ins Gewissenlose und Rohe geht. — Das
dBeste, wo er ganz ausreichte, sind die Relieffiguren von Aposteln,
Propheten etc. an den achtseitigen Chorschranken unter der Kuppel
des Domes; hier sind einige Figuren sehr schön gedacht und stehen
trefflich im Raum; alle sind einfach behandelt. — Dagegen zeigt die be-
ekannte Gruppe des Hercules und Cacus auf Piazza del Granduca,
was er an Michelangelo bewundern musste und wie er ihn miss-
verstand. Er glaubte ihm die mächtigen Formen absehen zu können
und machte ihm auch die Contraste nach, so gut er konnte; aber
ohne alles Liniengefühl und ohne eine Spur dramatischen Gedankens,
wozu doch der Gegenstand genugsame Mittel an die Hand gab; es
[681]Bandinelli und Schule.
ist eines der gleichgültigsten Sculpturwerke auf der Welt. — Adam unda
Eva im grossen Saal des Pal. Vecchio, datirt 1551, sind wenigstens
einfache Akte, Adam sogar wieder mehr naturalistisch. Die Bildniss-
statuen ebendaselbst haben in den Köpfen etwas von der grandiosen
Fassung, welche auch den gemalten Porträts der sonst schon manie-
rirten Zeit eigen ist, sind aber im Körpermotiv meist gering. (Die
Gruppe der Krönung Carls V offenbar von zwei verschiedenen Künst-
lern.) — Die Basis auf dem Platze vor S. Lorenzo, mit einem für jeneb
Zeit plastischen Relief, trägt jetzt die ihr längst bestimmte sitzende
Statue des Giovanni Medici, von welcher dasselbe Urtheil gilt. — Ein
Bacchus 1) im Pal. Pitti (Vestibul des ersten Stockes) ist im Gedankenc
die geringste unter den Bacchusstatuen der damaligen Künstler. — Die
beiden Gruppen des todten Christus mit Johannes (in S. Croce, Cap.d
Baroncelli) und mit Nicodemus (Annunziata, rechtes Querschiff 2) vone
ganz leeren Formen und von der schlechtesten Composition; der Haupt-
umriss ein rechtwinkliches Dreieck auf der längern Kathete liegend.
Ganz kümmerlich ist der sitzende Gottvater (im ersten Klosterhof vonf
S. Croce) ausgefallen; als das Beste erscheint die nach Michelangelo
copirte Hand mit dem Buch. — Etwas besser der Petrus im Domg
(Eingang zum Chor, links). — Ganz mittelmässig: die Nebenfiguren
an den Grabmälern Leo’s X und Clemens VII im Chor der Minervah
zu Rom; die ebenfalls unbedeutenden sitzenden Porträtstatuen sind
von Raf. da Montelupo und Nanni di Baccio Bigio, einem andern
kümmerlichen Rivalen Michelangelo’s, ausgeführt.
Baccio’s Schüler Giovanni dall’ Opera hatte Antheil an den
Reliefs im Dom und fertigte die Altarreliefs in der Cap. Gaddi ini
S. Maria novella (Querschiff links, hinten), welche die darzustellende
Thatsache durch tüchtig präsentirte Nebenfiguren in Vergessenheit
bringen. — An dem von Vasari componirten Grabmal Michelangelo’s ink
S. Croce ist die Figur der Baukunst von ihm; eine recht gute Arbeit.
(Die Sculptur von Cioli, die Malerei, mit der Statuette in der Hand,
von Lorenzi). Das ganze Denkmal ist, beiläufig gesagt, eines der
wenigen, wo die Allegorie völlig in ihrem Rechte ist und deutlich von
[682]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Ammanati.
selber spricht, indem sie ein notorisches Verhältniss ausdrückt. Die
Allegorien z. B. gerade der meisten übrigen Monumente von S. Croce
sind entweder nur durch einen weiten Verstandesumweg zu erkennen
oder ganz müssig.
Weiter zehrt von Michelangelo der als Baumeister so bedeutende
Bartol. Ammanati (1511—92, anfangs Schüler des Jacopo San-
asovino), von welchem der Brunnen auf Piazza del Granduca herrührt.
Der grosse Neptun ist ein sehr unglücklicher Akt, ohne Sinn und
Handlung, die Tritonen welche ihm als Tronco dienen undeutlich; das
Postament würde man ohne die (für diese Last doch gar zu kleinen)
Seepferde nicht für ein Räderschiff halten. Von den unten herum
sitzenden Bronzefiguren sind die mit möglichster Absicht auf leichtes
Schweben gestalteten Satyrn und Pane allein erträglich, übrigens zum
Theil den Kranzträgern an der Decke der sixtin. Capelle nachgebildet;
bhier sind ihre Attituden müssig. — (Ganz gering die Gypsstatuen im
cBaptisterium). — Im linken Querschiff von S. Pietro in Montorio zu
Rom sind die Grabmäler zweier Verwandten des Papstes Julius III
sammt den beiden Nischenfiguren der Religion und Gerechtigkeit von
Amm.; zwischen der manierirten Nachahmung des Michelangelo schim-
mern doch einige schönere Züge durch. — Ebenso verhält es sich mit
ddem Mausoleum der Verwandten Gregors XIII im Campo santo zu
Pisa. — Einige frühere Arbeiten A.’s finden sich in Padua. So der
eGigant im Hof des Pal. Aremberg. Das Grabmal des Juristen Man-
ftova Benavides in den Eremitani (links) ist im Styl der allegorischen
Figuren ganz der prahlerischen Absicht würdig, mit welcher es gesetzt
wurde. (Unten Wissenschaft und Ermüdung, zu beiden Seiten des
Professors Ehre und Ruhm, oben drei Genien, deren mittlerer die Un-
sterblichkeit bedeutet. Alles bei Lebzeiten.)
Unläugbar höher steht der in Florenz vollauf beschäftigte Flamän-
der Giovanni da Bologna (1524—1608). Das Gesetz des Con-
trastes, das bei Michelangelo oft so quälerisch durchgeführt wird, muss
sich bei ihm mit einer Formenschönheit vertragen, die allerdings keine
[683]Giovanni da Bologna.
gar tiefe Wurzel hat und sich meist mit Allgemeinheiten begnügt.
Daneben aber hat Giovanni einen sehr entwickelten Sinn für bedeu-
tende, hochwirksame Gesammtumrisse; seine Statuen und vorzüglich
seine Gruppen stehen prächtig in der freien Luft und bleiben, so
kühn sie auch hinausgreifen, doch immer statisch möglich und wahr-
scheinlich; er will nicht, wie Bernini bisweilen, das Unglaubliche dar-
stellen. Der eigentliche, meist sehr energische Inhalt berührt uns trotz
aller Bravour der Linien und des Baues innerlich weniger, schon weil
die Formenbildung eine zu allgemeine ist und das Lebensgefühl sich
doch nur auf das Motiv beschränkt.
An dem schön gedachten Brunnen auf dem grossen Platz zu Bo-a
logna (1564) soll zwar der Entwurf des Ganzen von dem Maler
Tommaso Laureti und nur das Plastische von Giovanni herrühren.
Allein es scheint, als hätte letzterer schon beim Entwurf sein Wort
mitgeredet. Man bemerkt schon ganz seine Art, durch Einziehung
nach unten, durch kühne luftige Stellung der Figuren zu wirken; das
Verhältniss des Ornamentes zum Figürlichen verräth den vollendeten
Decorator. Vom Einzelnen sind die Putten mit den Delphinen aus-
gezeichnet gut bewegt, und der Neptun, bei ziemlich allgemeiner
herculischer Bildung, doch in den Linien effectreich.
Am vollkommensten befriedigt die colossale Gruppe des Oceanusb
und der drei grossen Stromgötter auf dem Brunnen der Insel im
Garten Boboli, eine möblirende Prachtdecoration ersten Ranges,
scheinbar leicht schwebend durch das Einziehen der die Urnen um-
schlingenden Beine der Flussgötter an den schlanken Pfeiler in der
Mitte der Schale. — Die weltberühmte Gruppe des Raubes der Sa-c
binerinnen (Loggia de’ Lanzi), deutlich und interessant für alle
Gesichtspunkte, ebenfalls kühn und doch sicher auf dünner, mehrmals
eingezogener Unterpartie sich emporgipfelnd; die Einzelbildung aber
von störender Willkür. — Hercules und Nessus, ebenda, als Gruppe gutd
gebaut und dramatisch lebendig, aber in den Formen gleichgültig.
— Die nicht minder berühmte Gruppe „virtù e vizio“ im grossen Saale
des Pal. vecchio ist ein Gegenstück zu Michelangelo’s „Sieg“, und
eine zugestandene Allegorie, während bei letzterm die Allegorie nicht
mehr näher bekannt und jedenfalls nur ein Vorwand gewesen ist.
Ein merkwürdiger Beleg dafür, wie wenig diese Gattung von Ge-
[684]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Giovanni da Bologna.
genständen eine gesunde Mythologie ersetzen kann, zumal wenn der
Meister das Ziel seiner Kunst nur in äusserer That, nur in kühner
Bewegung und starken Linien zu finden im Stande ist. Wie zu er-
warten stand, hat die Tugend das Laster durch irgend welche Mittel
gebändigt und kniet ihm nun auf dem Rücken. — Von der Colossal-
astatue des Apennin in Pratolino kann der Verf. nicht aus eigener
Anschauung berichten. Der „Überfluss“ (Copia), auf der höchsten
Terrasse des Gartens Boboli, ist ein höchst manierirtes Werk, übri-
gens von G. da Bol. nur begonnen.
Die sechs kleinern Bronzestatuen von Göttern und Göttinnen in
den Uffizien (I. Zimmer d. Br.) scheinen nur um des Balancirens, um
der künstlichen Wendung willen vorhanden zu sein; dagegen ist der
durch die Luft springend gedachte Mercur (mit dem einen Fuss auf
einem — ehernen — Windstoss ruhend) eine ganz vortreffliche Ar-
beit, die an schöner, lebensvoller Bildung alles Übrige von Gio. da
Bol. weit übertrifft und von allen Bronzen des XVI. Jahrh. der Antike
am nächsten kömmt.
Von kirchlichen Aufgaben sind die Statuen des Altares links vom
Chor des Domes zu Lucca ungefähr das Beste. — Der bronzene Lucas
dan Orsanmicchele steht dagegen hinter allen Statuen dieser Kirche
durch falsche Bravour und Mangel an Ernst zurück.
Wie durchgängig in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrh. die Bild-
nisse das geniessbarste sind (weil frei von dem falschen Ideal und
dem Pathos der historischen und symbolischen Aufgaben), so auch
ehier. An der Reiterstatue Cosimo’s I auf der Piazza del Gran-
duca wird man zwar das Pferd manierirt finden, aber ganz meister-
haft edel und leicht ist die Haltung des Fürsten, zumal die Wendung
des Kopfes; es war die Zeit des nobeln Reitens! Der Styl des Ein-
zelnen ist ernst und vortrefflich. — Die ungleich geringere Reiterfigur
fFerdinands I auf Piazza dell’ Annunziata ist ein Werk aus dem Grei-
senalter des Künstlers. — Was nach seinen Entwürfen von Franca-
villa in dieser Art ausgeführt würde, ist rohe Decoration, so die
gmarmorne Statue Cosimo’s I auf Piazza de’ Cavalieri in Pisa, und die
hFerdinands I am Lungarno daselbst. Der Grossherzog hebt die ge-
sunkene Pisa mit ihren beiden Putten nicht empor, sondern hindert
sie nur an weiterm Sinken.
[685]Giovanni da Bologna. Fratzen.
In der Behandlung des Reliefs theilte Giovanni die malerischen
Vorurtheile seiner Zeit, war aber innerhalb derselben sehr ungleich.
Auf derselben Piazza del Granduca ist beisammen sein bestes, die ina
den Motiven für ihn vorzüglich reine, wenn auch unplastische Basis
des Sabinerinnenraubes, und vielleicht sein allerschlechtestes, die Basis
des Cosimo I. — Als Bilder beurtheilt werden die Reliefs an der Haupt-b
thür des Domes von Pisa und diejenigen in der hintersten Capellec
der Annunziata zu Florenz (der Gruftcapelle des Meisters) zum Theil
geistvoll und trefflich erzählt erscheinen, wenn auch in manierirten
Formen; als Reliefs sind sie styllos, so gemässigt sie neben spätern
Arbeiten sein mögen. Das schon im XV. Jahrh. vorkommende Aus-
wärtsbeugen des Oberkörpers der Figuren, der Untensicht und der
Überfüllung zu Liebe, ist in der Annunziata besonders auffallend. Bei
den Pisanerthüren war das Vorbild Ghiberti’s (auch in decorativer
Beziehung) noch zu übermächtig.
Giovanni ist besonders interessant in einzelnen decorativen Sculptur-
sachen. Seit dem Absterben der echten Renaissanceverzierung war ein
Ersatz des Vegetabilischen und Architektonischen durch Masken,
Fratzen, Monstra etc. eingetreten, und diese hat Keiner so treff-
lich gebildet als er. Die wasserspeienden Ungeheuer an dem Bassind
um die Insel des Gartens Boboli, der kleine bronzene Teufel als Fackel-e
halter an einer Ecke zwischen Pal. Strozzi und dem Mercato vecchio
geben genugsames Zeugniss von seinem schwungvollen Humor in die-
sen zum Theil geflissentlich manierirten Formen. Sein Schüler Pietro
Tacca, von welchem sonst auch die tüchtige bronzene Reiterstatuef
Ferdinands I am Hafen von Livorno herrührt, schuf in jenem Fratzen-
styl die ebenfalls trefflichen bronzenen Brunnenfiguren auf Piazza dell’g
Annunziata zu Florenz. In diesem Geist sind auch die beiden sog.
Harpyjen am Portal von Pal. Fenzi (Via S. Gallo, 5966) von Cur-h
radi gearbeitet. Die römische Schule, Bernini nicht ausgenommen,
offenbart keine scherzhafte Seite dieser Art. Als sehr glückliche de-
corative Gesammtcomposition mag bei diesem Anlass auch die Fontaine
zunächst über dem Hof des Pal. Pitti, von Susini, genannt werden.i
(Von welchem auch das eherne Crucifix im Chor von SS. Micchele ek
Gaetano herrührt; ein blosser Akt.) — Tüchtige Wappeneinfassungen
dieser Zeit sind wohl in Florenz häufiger als anderswo.
[686]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Landini. Francavilla.
Von Taddeo Landini, einem florentinischen Zeitgenossen des
aGiov. da Bologna, rührt unter den Statuen der vier Jahreszeiten am
Ponte della Trinità „der Winter“ her; eine tüchtige Arbeit, aber recht
bezeichnend für die müssige Gliederschaustellung jener Schule; wenn
den Alten so friert, warum nimmt er seinen Mantel nicht besser um?
b— Allein derselbe Künstler schuf auch die Fontana delle Tar-
tarughe in Rom (1585), welche ohne Frage das liebenswürdigste
plastische Werk dieser ganzen Richtung ist. Nirgends wohl ist das
Architektonische so glücklich in leichten lebenden Figuren ausge-
drückt, als hier in den vier sitzenden Jünglingen, welche die Schild-
kröten an den Rand der obern Schale (wie um sie zu tränken) em-
porheben, und dabei eine ganz durchsichtige Gruppe bilden. Was
man von einer zu Grunde liegenden Zeichnung Rafaels sagt, ist nicht
erwiesen, eher könnte von einer Angabe des Baumeisters Giacomo
della Porta die Rede sein, wenn nicht gerade die florentinische, von
Giovanni da Bol. ausgehende Inspiration sich so deutlich kundgäbe.
cAls bescheidene Parallele vergl. man die Lampe im Dom von Pisa
mit den vier stützenden Genien, welche echt florentinisch gedacht ist.
Ein anderer Nachfolger und Landsmann des Bologna, Pietro
Francavilla aus Cambray, fertigte u. a. die Statuen in der Cap.
dNiccolini in S. Croce (am Ende des linken Querschiffs), manierirt und
doch nicht ohne einen gewissen oberflächlichen Reiz. Mittelgut die
esechs Statuen im Dom von Genua, Cap. rechts vom Chor. Was er
nach den Angaben des Meisters ausführte (Statuen in der erwähnten
fGrabcap. der Annunziata etc.) ist meist schlechte Arbeit und selbst
durch die Motive des Meisters nur selten interessant; eine Ausnahme
gzum Bessern machen einige der sechs Statuen in der Cap. S. Antonino
zu S. Marco. (Die Reliefs und die bronzenen Engel, alles höchst
manierirt, von Partigiani.) Vgl. S. 684, g und h.
Weiter gehört hieher Gio. Batt. Caccini, der seit 1600 die
hBalustrade und den Tabernakel unter der Kuppel von S. Spirito er-
baute und eigenhändig mit den Statuen der Engel und der vier Hei-
ligen versah; letztere, beträchtlich besser, repräsentiren das kecke
Linienprincip des Gio. Bologna in nicht unedler Weise. Anderes im
iChor der Annunziata u. a. a. O. Von ihm ist auch die schöne Chri-
kstusbüste an der Ecke des jetzigen Hôtel d’York (1588). Er war da-
[687]Spätere Florentiner.
mals 28 Jahre alt und erhielt dafür 100 Ducati, wie ein Chronist
bemerkt.
Die Reliefs der Schule entsprechen insgemein dem Schlechtesten
des Giovanni; sie wären schon als Bilder gering und sind mit ihrer
zerstreuten Composition und ihren manierirten Formen als plastische
Arbeiten kaum anzusehen. (Tacca’s Relief am Altar von S. Stefanoa
e Cecilia; Nigetti’s Silberreliefs am Altar der Madonnencapelle inb
der Annunziata, u. dgl. m.) Man kann nichts Stylloseres finden, als
die Nischenreliefs an den beiden Enden des Querschiffes im Dom vonc
Pisa; die Freigruppen drüber sind wieder beträchtlich besser, Werke
eines gewissen Francesco Mosca (ebenfalls eines Florentiners um
1600), von dessen oben (S. 244, h) genanntem Vater Simone sich
Mehreres, u. a. eine Anbetung der Könige, in der Madonnencapelled
des Domes von Orvieto befindet. — Von dem etwas ältern Vincenzo
del Rossi aus Fiesole sind die schwülstigen Sculpturen der ganzene
zweiten Capelle rechts in S. Maria della Pace zu Rom; Simone
Mosca arbeitete hier die Ornamente.
Die wahre Sinnesweise der Schule zeigt sich weniger in den
kirchlichen als in den profanen Werken, an welchen Florenz für
diese Zeit ungleich reicher ist als irgend eine andere Stadt. Selbst
das höchst Colossale, für welches man hier von jeher Geschmack ge-
habt, ist nicht bloss durch den „Apennin“, sondern auch durch den
(lächerlichen) Polyphem im Garten des Pal. Stiozzi-Ridolfi vertreten.f
Sonst sind es fast lauter Gruppen des Kampfes, zu welchen der an-
tike „Hercules mit Antäus“ (S. 501, b) die stärkste Anregung mag ge-
geben haben. Der genannte Vincenzo del Rossi versah den gros-
sen Saal des Pal. Vecchio mit einer ganzen Reihe von Herculeskämpfen,g
welche hier nebeneinander trotz aller Bravour und Leidenschaft den
Eindruck der vollkommensten Langenweile hervorbringen. Desselben
Rossi Liebesgruppe „Paris und Helena“, im Hintergrund jener Grotteh
des Gartens Boboli, wo sich die vier Atlanten Michelangelo’s befin-
den, ist als Arbeit nicht verächtlich, aber im Motiv gemein 1). Wie
[688]Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Spätere Römer.
aweit man in der Allegorie ging, beweisen die Statuen des Novelli,
Pieratti u. A. in der Grotte hinten am grossen Hofe des Pal. Pitti,
„die Gesetzgebung, der Eifer, die Herrschaft, die Milde“; Moses:
dessen Eigenschaften diess sein sollen, steht (von Porphyr gemeisselt)
in der Mitte. — Wie weit man aber vom wirklichen Alterthum trotz
aller classischen Gegenstände entfernt war, zeigen die beiden lächer-
blichen Statuen des Jupiter und Janus von Francavilla, welche in
der untern Halle des Pal. Brignole zu Genua stehen. (Derjenige Pal.
dieses Namens, welcher dem rothen gegenüber an der Str. nuova
steht.) Nach den grossen Köpfen, kümmerlichen Leibern, forcirten
Gewändern und prahlerisch michelangelesken Händen zu urtheilen
glaubt man einen echten Bandinelli vor sich zu haben.
Neben diesen etwas hohlen und müssigen Schaustellungen, die
immerhin ihre Stelle in Nischen oder im Freien wirksam ausfüllen,
meldet sich — ausser jenen decorativen Fratzen — bald auch eine
eigentliche Genresculptur, von halb pastoralem, halb possenhaftem
cCharakter; Figuren von Jaques Callot als Statuen ausgeführt u. dgl.
(Garten Boboli etc.) Die künstlerische Nichtigkeit dieser Productionen
verbietet uns jede nähere Betrachtung. Sie haben übrigens eine Nach-
folge gefunden, welche noch jetzt nicht erloschen ist und in Mailand
ganze Ateliers beschäftigt. (Chargen, auch in moderner Tracht, auf
Gartenmauern etc.)
In Rom macht sich in den ersten Jahrzehnden nach Michelan-
gelo’s Tode nicht eine schwülstige Ausbeutung seiner Ideen, sondern
eher eine tiefe Ermattung geltend. Ausser den paar Florentinern sind
es vereinzelte, wenig namhafte Meister, welche die Altargruppen und
die Grabstatuen dieser Zeit fertigten. So Giov. Batt. della Porta,
dvon welchem in S. Pudentiana (hinten links) die Gruppe der Schlüs-
selverleihung gearbeitet ist; — Giov. Batt. Cotignola, von wel-
echem sich derselbe Gegenstand sehr ähnlich behandelt findet in S. Ago-
stino (4. Cap. rechts); — die beiden Casignola, von welchen die
fthronende Statue Pauls IV über dessen Sarcophag in der Minerva
(Cap. Caraffa) gearbeitet ist, mit tüchtig individuellem Kopfe, sonst
gesucht und ungeschickt. Die Papstgräber sind überhaupt um diese
Zeit ein interessanter Gradmesser für die kirchliche Intention sowohl
[689]Spätere Römer und Genuesen.
als für das künstlerische Können. Mit dem Grabe Pauls III hört die
grosse Freicomposition von einer Porträtstatue und zweien oder meh-
rern allegorischen Figuren für längere Zeit auf; die thatenreichen
Päpste der Gegenreformation müssen wieder in einer Detailerzählung
gefeiert werden, welche wie zur Zeit der Renaissance (S. 615, d etc.) nur
durch eine Zusammenstellung vieler Reliefs zu erreichen ist; grosse
Architekturen geben den Rahmen dazu her; eine mittlere Nische ent-
hält das sitzende oder knieende Standbild des Papstes. Dieser Art
sind die riesigen Denkmäler Pius V und Sixtus V, Clemens VIII unda
Pauls V in den beiden Prachtcapellen von S. M. maggiore; die Ten-b
denz, welche hier wieder über die Kunst die Oberhand hat, brachte
es bis zur saubern, sorgfältigen Darstellung des Vielen; in künstleri-
scher Beziehung sind diese kostbaren Werke so nichtig, dass wir die
Urheber gar nicht zu nennen brauchen. (Einiges Gute am Grabmal
Pius V.) Ein vorzugsweise erzählendes Grabmal von etwas besserer
Art ist dasjenige Gregors XI, 1574 von Olivieri verfertigt, inc
S. Francesca romana, dagegen zeigt dasjenige eines Herzogs von
Cleve im Chor der Anima, von dem Niederländer Egidio di Ri-d
viere, wiederum nichts als eine gewisse Meisselgeschicklichkeit. —
Mit dem Denkmal Urbans VIII von Bernini kehrt dann jene Frei-
composition wieder, aber in einem andern Sinne umgestaltet.
Die parallel stehende genuesische Sculptur der Zeit von etwa
1560—1630 hängt wie oben (S. 606, c) bemerkt, noch theilweise von
den Vorbildern des Civitali, auch von ältern Lombarden ab, doch
unter starker indirekter Einwirkung Michelangelo’s. (Zwei Künst-
lerfamilien, des Namens Carlone; ihre Sachen in S. Ambrogio,e
S. Annunziata, S. Siro, S. Pietro in Banchi und überall; zugleich dief
Thätigkeit Francavillas, S. 688, b). Ob irgend etwas selbständig Bedeu-
tendes vorkömmt, weiss ich nicht zu entscheiden, bezweifle es aber.
Luca Cambiaso, der sich auch einmal in der Sculptur versuchte,
hat in seiner Fides (Dom, Cap. links vom Chor) das gerade nichtg
erreicht, was seine Bilder so anziehend macht, deren beste zur Ver-
gleichung daneben stehen.
B. Cicerone. 44
[690]Barocksculptur.
Bis gegen das Jahr 1630 hin hatte die Sculptur die Lebenskräfte
desjenigen Styles, der mit Andrea Sansovino begonnen, vollständig
aufgezehrt. Sie hatte versucht, in wahrhaft plastischem Sinne zu bil-
den; aus den todten Manieren der römischen Malerschule hatten sich
einzelne Bessere von Zeit zu Zeit immer zu einem reinern und wah-
reren Darstellungsprincip hindurchgekämpft; die eigentliche Grundlage
der Plastik, die abgeschlossene Darstellung der menschlichen Gestalt
nach bestimmten Gesetzen des Gleichgewichtes und der Gegensätze,
schien gesichert. Zu einem reinen und überzeugenden Eindruck
aber hatte diese Kunst es im letzten halben Jahrhundert (etwa 1580
bis 1630) doch nicht mehr gebracht. Theils ist des Trübenden zu
viel darin (die genannten römischen Manieren, die alten und neuen
naturalistischen Einwirkungen, die verlockenden Kühnheiten des Mi-
chelangelo, die Principlosigkeit der Gewandung), theils fehlt es an
durchgreifenden Künstlerindividualitäten, an wirklichen frischen Kräften,
indem sich damals die Besten alle der Malerei zuwandten. Wesshalb
thaten sie diess? Weil der Kunstgeist der Zeit sich überhaupt nur
in der Malerei mit ganzer Fülle ausprechen konnte.
Einige Decennien hindurch hat nun die Malerei einen neuen, die
Sculptur noch den alten Styl. Endlich entschliesst sie sich, der Malerei
(deren Vorgängerin sie sonst ist) nachzufolgen, deren Auffassungsweise
ganz zu der ihrigen zu machen. Das Relief ist schon seit dem XV. Jahrh.
ein Anhängsel der Malerei; die Freisculptur war durch die grössten
Anstrengungen der Meister der goldenen Zeit vor diesem Schicksal
einstweilen bewahrt worden; jetzt unterlag auch sie. — Welches der
Geist dieser Malerei war, der fortan auch in den Sculpturen lebt, wird
unten im Zusammenhang zu schildern sein. In der Malerei können
wir ihm seine Grösse und Berechtigung zugestehen; in der Sculptur
gehen die wichtigsten Grundgesetze der Gattung darob verloren und
es entsteht kein grösseres, namentlich kein ideales Werk mehr, das
nicht einen schweren Widersinn enthielte. Nicht ohne Schmerz sehen
wir ganz ungeheure Mittel und einzelne sehr grosse Talente auf die
Sculptur verwendet, welche die folgenden anderthalb Jahrhunderte
hindurch (1630—1780) über Italien und von da aus über die ganze Welt
herrschte. Ihr Sieg war schnell und unwiderstehlich, wie überall, wo in
der Kunstgeschichte etwas Entschiedenes das Unentschiedene beseitigt.
[691]Die Meister derselben.
Übergehen dürften wir sie aber hier doch nicht. Ihre subjectiven
Kräfte waren — im Gegensatz zur vorhergehenden Periode — unge-
mein gross, ihre Thätigkeit von der Art, dass sie mehr Denkmäler
in Italien hinterlassen hat als die Gesammtsumme alles Frühern, das
Alterthum mitgerechnet, ausmacht. Sie hat ferner einen sehr bestimm-
ten decorativen Werth im Verhältniss zur Baukunst und zur Anord-
nung grosser Ensembles, und endlich giebt sie gewisse Sachen so
ganz vortrefflich, dass man ihr auch für den Rest einige Nachsicht
gönnt. (Vgl. den Abschnitt über die Barockarchitektur; S. 366 u. ff.)
Der Mann des Schicksals war bekanntlich Lorenzo Bernini
von Neapel (1598—1680), der als Baumeister und Bildhauer, als Günst-
ling Urbans VIII. und vieler folgenden Päpste einer fürstlichen Stel-
lung genoss und in seinen spätern Jahren ohne Frage als der grösste
Künstler seiner Zeit galt. Er überschattet denn auch alle Folgenden
dergestalt, dass es überflüssig ist, ihren Stylnuancen näher nachzu-
gehen; wo sie bedeutend sind, da sind sie es innerhalb seines Styles. —
Nur ein paar Zeitgenossen, die noch Anklänge der frühern Schule
auf bedeutsame Weise mit der berninischen Richtung vereinigen, sind
hier vorläufig zu nennen: Alessandro Algardi (1598—1654) und
der Niederländer Franz Duquesnoy (1594—1644). Ferner ist schon
hier auf das starke französische Contingent in diesem Heerlager auf-
merksam zu machen, auf die Legros, Monnot, Teudon, Houtton u. s. w.,
vor Allem auf Pierre Puget (1622—1694), von dem man wohl
sagen könnte, er sei berninischer als Bernini selbst gewesen. Wie
Ludwig XIV in Person, ebenso waren auch die französischen Künst-
ler für den „erlauchten“ Meister eingenommen; auffallend ist trotz-
dem, dass sie in Italien selbst so stark beschäftigt wurden und um
1700 in Rom beinahe das Übergewicht hatten. Wir wollen nun ver-
suchen, die Grundzüge der ganzen Darstellungsweise festzustellen. Bei
diesem Anlass können die besonders wichtigen oder belehrenden Werke
mit Namen angeführt werden.
Die zwingende Gewalt, welche die Sculptur mit sich fortriss, war
der seit etwa 1580 siegreich durchgedrungene Styl der Malerei, wel-
44*
[692]Barocksculptur. Porträtbildungen.
cher auf den Manierismus der Zeit von 1530 an gefolgt war. Der-
selbe zeigt zwei Haupteigenschaften, welche sich durchdringen und
gegenseitig bedingen: 1) den Naturalismus der Formen und
der Auffassung des Geschehenden, edler in der bolognesischen,
gemeiner in der neapolitanischen Schule ausgeprägt; 2) die Anwen-
dung des Affectes um jeden Preis. Die Maler verfahren naturali-
stisch, um eindringlich zu sein und am Affect erfreut sie wiederum
nur die möglichst wirkliche Ausdrucksweise. Dieses Wirkliche, weil
es zugleich so wirksam war, eignete sich jetzt auch die Sculptur
an. Ihr Verhältniss zur Antike war fortan kein innigeres als z. B.
dasjenige, welches wir bei Guido und Guercin finden, die Entlehnung
einzelner weniger Formen. Bernini persönlich empfand den Werth
der Antiken recht gut und erkannte z. B. in dem verstümmelten Pas-
quino die goldene Zeit der griechischen Kunst, allein als Künstler
drängte er nach einer ganz andern Seite hin.
Es versteht sich nun von selbst, dass er und seine Schule
diejenigen Aufgaben am besten löste, bei welchen der Naturalismus
im (wenn auch nicht unbedingten) Rechte ist. Hieher gehört das
Porträt. Schon in den vorhergehenden Perioden eines echten und halb-
falschen Idealismus war die Büste durchgängig gut, ja bald die beste
Leistung dieser Kunst gewesen, und diess Verhältniss dauerte nun in
glänzender Weise fort. Die Gräber von Rom, Neapel, Florenz, Ve-
nedig enthalten viele Hunderte von ganz vortrefflichen Büsten dieser
Art, welche den Porträts von Van Dyck bis Rigaud als würdige Pa-
rallele zur Seite stehen. Sie geben die Charaktere nicht idealisirt, aber
in freier, grossartiger Weise wieder, wie es nur eine mit den grös-
sten idealen Aufgaben vertraute Sculptur kann. Wir dürfen um die-
ses Reichthums willen den Kunstfreund seiner eigenen Entdeckungs-
agabe überlassen. Im Santo zu Padua, in S. Domenico zu Neapel, im
bLateran und in der Minerva zu Rom wird er sein Genüge finden. In
cder Halle hinter S. M. di Monserrato suche man die Grabbüste eines
spanischen Juristen Petrus Montoya († 1630), eine edle leidende Phy-
siognomie von trefflichster Behandlung.
Ausserdem genügt der Naturalismus noch am ehesten in der Dar-
stellung des Kindes (zumal des italienischen), in dessen Wesen alle
mögliche Schönheit nur unbewusst als Natur vorhanden ist, und dessen
[693]Kinder. Idealköpfe. Charakterköpfe.
Affecte so einfach sind, dass man sie nicht wohl durch Pathos ver-
derben kann (was einzelne Künstler dennoch versucht haben). Al-
gardi und Duquesnoy genossen zu ihrer Zeit einen gerechten
Ruhm für ihre oft ganz naiven und schönen Kinderfiguren. (Von
letzterm ein paar Köpfe an den Grabmälern der zwei hintersten Pfei-a
ler in S. Maria dell’ Anima zu Rom.) Von ihren Nachfolgern lässt
sich nicht mehr so viel Gutes sagen; die Putten wurden in so be-
sinnungsloser Masse decorativ verbraucht, dass die Kunst es damit
allmählig leicht nahm. Und doch wird man selbst unter den von
Stucco zu Tausenden improvisirten Figuren dieser Art sehr viele wahre
und schöne Motive finden, die nur unter der manierirten und sorglo-
sen Einzelbildung zu Grunde gehen.
Selbst einzelne Idealköpfe der Schule haben einen Werth, der
sie doch immer mit guten bolognesischen Gemälden in eine Reihe stellt.
Das XVII. Jahrhundert hatte wohl im Ganzen einen andern Begriff
von Schönheit als wir und legte namentlich den Accent des Leibreizes
auf eine andere Stelle, wovon Mehreres bei Anlass der Malerei; allein
desshalb werden wir doch z. B. gewissen Köpfen Algardi’s (z. B.
im rechten Querschiff von S. Carlo zu Genua), oder der Statue derb
Mathildis von Bernini (in S. Peter) eine dauernde Schönheit nichtc
ganz abstreiten dürfen. Hie und da ist die Einwirkung der (damals
noch in Rom befindlichen und vielstudirten) Niobetöchter nicht zu ver-
kennen. Anderes ist mehr national-italienisch. Selbst ohne höhern
geistigen Adel nehmen sich doch manche Madonnenköpfe, frei behandelt
und zwanglos gestellt wie sie sind, recht gut aus. So z. B. mehrere
Assunten des Filippo Parodi auf genuesischen Hochaltären. Im
Ganzen ist freilich die ideale Form etwas geistesleer.
Die sog. Charakterköpfe folgen ganz der Art der damaligen
Maler, und zwar nicht der bessern. Bernini selber steht dem Pietro
da Cortona viel näher als etwa dem Guercino; seine männlichen Indi-
viduen sind von jenem gemein-heroischen Ausdruck, der in der Ma-
lerei erst seit der Epoche der gänzlichen Verflachung (1650) herr-
schend wurde. An seinem Constantin (unten an der Scala regia imd
Vatican) hat man den mittlern Durchschnitt dessen, was er für einen
würdigen Typus des Mannes und des Pferdes hielt; sein Pluto (Villae
Ludovisi) ist in der Kopfbildung ein Excess der cortonistischen Richtung.
[694]Barocksculptur. Behandlung des Nackten.
Auch seine Behandlung der menschlichen Gestalt im all-
gemeinen ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der Stellung.
Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett, das allen
wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur vollends
awiderlich wird. Die Art, wie Pluto’s Finger in das Fleisch der Pro-
serpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere Wirkung
berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und
bDaphne (Villa Borghese, oberer Saal) ist bei aller Charakterlosigkeit
doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben, dem
Geschmack ihrer Besteller zu Liebe, nach dieser Richtung hin auf
jede Weise raffinirt.
Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahleri-
sche Musculatur, die sich mit derjenigen Michelangelo’s zu wett-
eifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elasti-
scher Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht.
Diess kömmt zum Theil wieder von der unglücklichen Politur her
(Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst ausgeführten Statuen
cder grossen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der
so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behand-
lung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe
dihm wahrhaft gemäss war, wie z. B. der Triton der Piazza Bar-
berini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnediess weg-
fiel, da genügt Bernini völlig. Er hat vielleicht überhaupt nichts Bes-
seres geschaffen als diese halbburleske Decorationsfigur, welche mit
Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie
so oft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen
Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich,
welche im idealen Alles verderben.
Andere Bildhauer waren auch in der Musculatur wahrer und na-
turalistischer, in der Epidermis mürber, aber desshalb nicht viel erquick-
licher. Eine grosse Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B.
ePuget’s S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der
Heilige muss sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Uner-
hörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die mei-
sten Berninesken waren zu sehr blosse Decoratoren, um sich auf eine
so ernstliche Virtuosität einzulassen.
[695]Gewandung. Amtstrachten.
Die Gewandung ist vollends eine wahrhaft traurige Seite dieses
Styles. Es bleibt ein Räthsel, dass Bernini zu Rom, in der täglichen
Gegenwart der schönsten Gewandstatuen des Alterthums sich so ver-
irrte. Allerdings konnten ihm Togafiguren und Musen nicht unbe-
dingt zum Vorbild dienen, weil er lauter bewegte, affectvolle Motive
bearbeitete, die im Alterthum fast nur durch nackte Figuren reprä-
sentirt sind; allein auch seine Aufgaben zugegeben, hätte er die Ge-
wandung anders stylisiren müssen. Er componirt diese nämlich ganz
nach malerischen Massen, und giebt ihren hohen, plastischen Werth
als Verdeutlichung des Körpermotives völlig Preis.
In Porträtstatuen, wo der Affect wegfiel und die Amtstracht
eine bestimmte Charakteristik der Stoffe verlangte, hat dieser Styl
Treffliches aufzuweisen. Seit Bernini’s Papststatuen (Denkmäler Ur-a
bans VIII und Alexanders VII in S. Peter) legte sich die Sculpturb
mit einem wahren Stolz darauf, den schwerbrüchigen Purpur des ge-
stickten Palliums, die feinfaltige Alba, die Glanzstoffe der Ermel, der
Tunica etc. in ihren Contrasten darzustellen. Von den Statuen Papst
Urbans ist diejenige am Grabe (im Chor von S. Peter) durch beson-
ders niedliche Einzelpartien dieser Art, durchbrochene Manschetten und
Säume etc., diejenige im grossen Saal des Conservatorenpalastes da-c
gegen durch kecke Effectberechnung auf die Ferne merkwürdig. Auch
die Cardinalstracht wurde bisweilen gut und würdig behandelt (La-d
teran, Cap. Corsini). Fürsten, Krieger und Staatsmänner sind wenig-
stens im Durchschnitt besser als Engel und Heilige, wo sie nicht durch
antike (und dann schlecht ideale) Tracht und heftige Bewegungen in
Nachtheil gerathen wie z. B. die meisten Reiterstatuen. Von den letz-
tern, soweit sie dem berninischen Styl angehören, reicht keine an den
grossen Kurfürsten auf der langen Brücke in Berlin. (Von Schlüter.)
Francesco Mocchi († 1646), der etwa die Grenzscheide zwischen deme
bisherigen und dem berninischen Styl bezeichnet, hat in Ross und
Reiter die äusserste Affectation hineinzulegen gewusst. (Bronzedenk-
mäler des Alessandro und des Ranuccio Farnese [auf] dem grossen
Platz in Piacenza.) — An Grabmälern in den Kirchen findet man zahl-
reiche Halbfiguren, in welchen das lange Haar, der Kragen, die Amts-
tracht bisweilen mit dem ausdrucksvollen Kopf ein schönes Ganzes
ausmachen.
[696]Barocksculptur. Idealtracht. Künsteleien.
Die ideale Tracht aber verschlingt den Körper in ihren wei-
ten fliegenden Massen und flatternden Enden, von welchen das Auge
recht gut weiss, dass sie factisch centnerschwer sind. Die Politur,
womit Bernini und viele seiner Nachfolger das ideale Gewand, zumal
himmlischer Personen, glaubten auszeichnen zu müssen, verderbt das-
selbe vollends. Es gewinnt ein Ansehen, als wäre es — man erlaube
die Vergleichung — mit dem Löffel in Mandelgallert gegraben. Thon-
figuren sind desshalb oft leidlicher als marmorne.
Bisweilen wurde aber auch auf ganz besondere Art mit der Ge-
wandung gekünstelt. Eine der unvermeidlichen Sehenswürdigkeiten
Neapels sind die drei von allen Neapolitanern (und auch von vielen
aFremden) auf das höchste bewunderten Statuen in der Capelle der
Sangri, Duchi di S. Severo; sämmtlich um die Mitte des vorigen
Jahrh. gearbeitet. Von San Martino ist der ganz verhüllte todte
Christus, eine Gestalt, welche zwar kein höheres Interesse hat, als
das Durchscheinen möglichst vieler Körperformen durch ein feines Lin-
nen, doch wird der Beschauer weiter nicht gestört. Von Corradini
ist die ganz verhüllte sog. Pudicitia, mit welcher es schon viel miss-
licher aussieht; ein Weib von ziemlich gemeinen Formen, die sich
vermöge der künstlichen Durchsichtigkeit der Hülle weit widriger auf-
drängen, als wenn die Person wirklich nackt gebildet wäre1). Von
dem Genuesen Queirolo aber ist die Gruppe „il disinganno, die Ent-
täuschung“; ein Mann (Porträt des Raimondo di Sangro) macht sich
aus einem grossmächtigen Stricknetze frei mit Hülfe eines höchst ab-
geschmackt herbeischwebenden Genius. Welche Marter an diesen
Arbeiten auch die meisselgewandteste Virtuosenhand ausstehen musste,
weiss nur ein Bildhauer ganz zu würdigen. Und bei all der Illusion
ist der geistige Gehalt null, die Formengebung gering und selbst elend.
Die Capelle ist noch mit andern Arbeiten dieser Zeit angefüllt. Wer
von da unmittelbar zur Incoronata geht, kann mit doppeltem Erstaunen
sich überzeugen, mit wie Wenigem das Höchste sich zur Erscheinung
bringen lässt.
[697]Der Affect.
Übrigens sind dieses seltene Ausnahmen. Der Barockstyl liebt
viel zu sehr das Massenhafte und in seinem Sinn glänzende Improvi-
siren, um sich häufig eine solche Mühe zu machen.
Welches war nun der Affect, dem zu Liebe Bernini die ewi-
gen Gesetze der Drapirung so bereitwillig preisgab? Bei Anlass der
Malerei wird davon umständlicher gehandelt werden; denn bei dieser
ging ja die Sculptur jezt in die Schule. Genug, dass nunmehr ein
falsches dramatisches Leben in die Sculptur fährt, dass sie mit der
Darstellung des blossen Seins nicht mehr zufrieden ist und um jeden
Preis ein Thun darstellen will; nur so glaubt sie etwas zu bedeu-
ten. Die heftige Bewegung wird, je weniger tiefere, innere Nothwen-
digkeit sie hat, desto absichtlicher in dem Gewande explicirt. Ging
man aber so weit, so war auch die plastische Composition überhaupt
nicht mehr zu retten. Die so schwer errungene Einsicht in die for-
malen Bedingungen, unter welchen allein die Statue schön sein kann,
das Bewusstsein des architektonischen Gesetzes, welches diese stoff-
gebundene Gattung allein beschützt und beseelt — diess ging für an-
derthalb Jahrhunderte verloren.
Schon für alle Einzelstatuen (geschweige denn für Gruppen) wird
nun irgend ein Moment angenommen, der ihre Bewegung begründen
soll. Bisweilen gab es freie Themata, welche aus keinem andern
Grunde gewählt wurden. So Bernini’s schleudernder David (Villaa
Borghese), welcher die grösste äussere Spannung einer gemeinen ju-
gendlichen Natur ausdrückt. Aber welcher Moment sollte in die zahl-
losen Kirchenstatuen, in all die Engel und Heiligen gelegt werden, die
auf Balustraden, in Fassadennischen, in Nebennischen der Altäre
u. a. a. O. zu stehen kamen? Die Aufgabe war keine geringe! Ber-
nini hatte z. B. mittelbar oder unmittelbar für die 162 Heiligen zub
sorgen, welche auf den Colonnaden vor S. Peter stehen, und ähnliche,
wenn auch minder ausgedehnte Reihenfolgen kamen bei der Aus-
zierung von Gebäuden nicht selten in Arbeit.
Die Sculptur ging nun auch hier der Malerei getreulich nach und
nahm ihr den ekstatisch gesteigerten, durch Geberden versinn-
lichten Gefühlsausdruck ab. Derselbe ist an sich gar wohl dar-
[698]Barocksculptur. Ekstasen.
stellbar und könnte mit grosser Schönheit und Reinheit gegeben wer-
den. Allein wenn er zur Regel wird und bald den einzigen Inhalt
und Gehalt auszumachen droht, so ist er der Sculptur gefährlicher als
der Malerei, welche letztere durch Farbe und Umgebung viel mehr
Abwechselung und neue Motivirung hineinbringen und das Auge be-
ständig von Neuem täuschen kann.
Mit einer Art von resoluter Verzweiflung geht die Sculptur an
ihr Tagewerk. Sie sucht mit aller Anstrengung nach Nebengedanken;
sie giebt dem Heiligen einen Putto bei, mit welchem er Conversation
machen kann; sie lässt den Apostel heftig in seinem vorgestützten
aBuche blättern (lehrreiche Apostelreihe von Monnot, Le Gros u. A. in
bden Pfeilernischen des Laterans); Mocchi’s S. Veronica (in S. Peter)
cläuft eilig mit ihrem Schweisstuch; Bernini’s Engel auf Ponte S. An-
gelo cokettiren ganz zärtlich mit den Marterinstrumenten (der mit der
Kreuzinschrift von B. eigenhändig ausgeführt); u. dgl. m. — Im Allge-
meinen aber sind und bleiben es einige wenige Motive, welche sich
besonders häufig nur versteckt wiederholen. Da macht sich z. B. ein
dinspirirtes Auffahren, wie aus einem Traum, bemerklich (Bernini’s
eStatuen in S. M. del popolo, Cap. Chigi; in der Capella del voto des
Domes von Siena etc.); ein eifriges Betheuern und Schwören (Bernini’s
fLongin in S. Peter, auch mehrere der Ordensstifter in den Nischen
gder Hauptpfeiler daselbst; unter diesen ist der S. Ignatius Loyola, von
Giuseppe Rusconi, durch tiefern Ausdruck und gediegenere Aus-
hführung ausgezeichnet; ganz unverzeihlich schlecht der Beato Alessan-
dro Sauli von Puget, in S. M. di Carignano zu Genua, u. a. m.) Es
ist noch ein Glück für den Künstler, wenn er seinen Heiligen als be-
geisterten Prediger darstellen kann. (S. Peter.) Sonst findet sich
namentlich ein schwärmerisches Hinsinken oder Hinknieen, theils mit
igesenktem Haupt (Legros, S. Aloys Gonzaga, im rechten Querschiff
von S. Ignazio zu Rom), theils mit einem solchen Blick nach oben,
dass man wenig mehr als Kinnbacken und Nasenspitze bemerkt. (Eine
kHauptstatue dieser Gattung, der silberne S. Ignatius von Legros, im
linken Querschiff al Gesù, ist nur noch durch eine kupferversilberte
lNachbildung vertreten.) Der S. Andreas des Duquesnoy, in S. Peter,
welcher es beim blossen sehnsüchtigen Blick und Handgestus bewen-
[699]Martyrien. Attribute.
den lässt, ist ohnediess auch durch Mässigung der Form ein besseres
Werk.
Höchst widrig ist denn die Vermischung dieses ekstatischen Aus-
druckes mit einem je nach Umständen grässlichen körperlichen
Leiden. Die grosse Lieblingsaufgabe, S. Sebastian, welcher nackt
und dennoch ein Heiliger ist, wurde jetzt von Puget (Kirche Carig-a
nano zu Genua, s. oben) in einer Weise gelöst, welche des rücksichts-
losen Naturalismus jener Zeit ganz würdig war. Hatten bisher Maler
und Bildhauer das körperliche Leiden des Heiligen entweder wegge-
lassen (indem sie den bloss Gebundenen, noch nicht Durchschossenen
abbildeten), oder doch würdig dargestellt, so windet sich hier S. Se-
bastian wie ein Wurm vor Schmerzen. Das Stärkste aber bietet
(ebenda) ein anderer Franzose, Claude David, in seinem S. Bartholo-b
mäus; man sieht den nackten, bejahrten Athleten an einen Baumstamm
gebunden, halb kniend, halb aufspringend mit schon halbgeschundener
Brust; ein heranschwebender Engel zieht das hängende Stück Haut
an sich und macht den Beschauer in naseweiser Art auf das Leiden
des Heiligen aufmerksam.
Also lauter sehnsüchtige Devotion und Passivität, mit Güte oder
Gewalt in das Momentane und Dramatische übersetzt — diess ist der
Inhalt der kirchlichen Einzelstatuen. Ein weiteres pikant gemeintes
Interesse verlieh ihnen z. B. Bernini gern durch allzugrosse Bil-
dung im Verhältniss zur Kleinheit der Nische (die erwähnten Sta-c
tuen im Dom von Siena); die Ausgleichung liegt in gebückter, son-
derbar sprungbereiter Stellung u. dgl. Zu diesem gezwungen Momen-
tanen, vermeintlich Dramatischen gehört ganz consequent auch die
Bildung der Attribute in demselben Verhältniss zur wirklichen Grösse
wie die Figuren. Das frühere Mittelalter hatte dem heil. Laurentius
nur ein kleines Röstlein, der heil. Catharina ein Rädlein in die Hand
gegeben; jetzt weiss man von einer solchen andeutenden, symbolischen
Darstellungsweise nichts mehr; da es sich um eine Situation handelt,
an deren Gegenwärtigkeit der Beschauer glauben soll, muss Lauren-
tius einen mannslangen Rost, Catharina ein Wagenrad mitbekommen;
soviel gehört nothwendig mit zur Illusion.
Indess giebt es ein paar Heiligenfiguren, in welchen statt der so
oft unechten Ekstase eine ruhige, sogar innig andächtige Stimmung
[700]Barocksculptur. Werke von reinerm Ausdruck.
ausgedrückt ist So in der vielleicht besten Statue des XVII. Jahrh.,
ader H. Susanna des Duquesnoy in S. M. di Loretto zu Rom;
sie deutet mit der Linken auf die Palme, welche sie in der Rechten
hält und blickt sanft nieder. Ohne den bessern Antiken irgendwie
ebenbürtig zu sein, hätte dieses Werk doch genügen sollen, um alle
Zeitgenossen auf ihren Irrwegen zu beschämen. Oder Houttons
bheiliger Bruno (S. M. degli Angeli in Rom, Eingang ins Haupt-
schiff); hier ist im Gegensatz zu dem sonst üblichen unwahren Auf-
fahren jene demüthige, innige Carthäuser-Devotion ganz einfach dar-
gestellt, welche gleichzeitig durch die Maler Stanzioni und Le Sueur
ceinen unvergänglich schönen Ausdruck fand. Bernini’s heil. Bibiana
(in der gleichnamigen stets verschlossenen Kirche) soll wenigstens
einen Anflug von ähnlichem einfachem Ernst haben.
Sodann giebt es eine Anzahl Martyrien ohne Pathos, in
welchen nicht mehr das Leiden, sondern der ruhige Augenblick des
Todes dargestellt ist. Was man auch von solchen Gegenständen —
namentlich wenn sie plastisch, ohne irgend ein sachliches Gegengewicht
vorgetragen werden — denken möge, immerhin sind die hieher ge-
hörenden liegenden Statuen Bernini’s zu seinen besten Werken zu
dzählen. So die selige Lodovica Albertoni (in S. Francesco a ripa zu
Rom, hinten links), und der nach seinem Modell von Giorgini aus-
egeführte S. Sebastian (in S. Sebastiano, links). Endlich in S. Cecilia
fzu Rom (unter dem Hochaltar) die schöne, in der Art ihres Liegens
rührende heil. Cäcilia des Stefano Maderna. Mehrere ähnliche Sta-
tuen in andern Kirchen.
Von der Bildung einzelner Gestalten gehen wir über zu den
Gruppen, deren mehrere bereits beiläufig genannt worden sind.
Eine Kunstepoche, welche so grossen Werth auf das Momentane und
Dramatische legte und in allen Künsten so sehr auf Pomp und Pracht
ausging, musste eine entschiedene Vorliebe für grosse Marmorgruppen
haben. Da ihr aber die höhern Liniengesetze gleichgültig waren neben
dem Ausdruck der Wirklichkeit und des Momentes, so mussten in
der Regel verfehlte Werke zum Vorschein kommen.
[701]Profane Gruppen. Brunnengruppen. Grabgruppen.
In den Profangruppen wird das Capitel der mythischen Ent-
führungsscenen umständlich behandelt; Bernini gab schon in seiner
frühen Gruppe „Apoll und Daphne“ (S. 694, b) dasjenige Übermass desa
Momentanen, womit jene Zeit glücklich zu machen war; ausserdem ge-
hört sein Pluto (S. 694, a) hieher. Mit der Zeit geriethen solche Sujets
in die Hände von Garten-Steinmetzen, und fielen dann bisweilen so
lächerlich aus, dass man das Anstössige völlig vergisst. Irgend etwas
von dem plastischen Ernste des Sabinerinnenraubes von Giov. Bologna
wird man im XVII. und XVIII. Jahrh. vergebens suchen.
Von den Brunnengruppen ist zum Theil schon die Rede ge-
wesen (S. 396 u. f.). In derjenigen auf Piazza Navona (S. 694, c) strebtb
Bernini nach dem Ausdruck elementarischer Naturgewalten in Michel-
angelo’s Sinne, allein statt eines blossen gewaltigen Seins kann er
auch hier sein Pathos nicht unterdrücken, ein Nachtheil, welchen die
einfach tüchtige Detailarbeit nicht wieder gut machen kann. Hier
lernt man Giov. Bologna’s Brunnen im Garten Boboli (S. 683, b) schätzen,
welcher einen streng architektonischen Sinn in plastischen Gestalten
ausdrückt und keines irrationellen Elementes bedarf, wie in Bernini’s
Werk der mit unsäglicher Schlauheit arrangirte Naturfels ist.
Ebenso muss man die Prachtgräber dieser Zeit mit ihrer Art
von Gruppenbildung kennen, um Michelangelo’s Gräber in der Sa-
cristei von S. Lorenzo ganz zu würdigen. Bernini selber begann die
neue Reihe mit dem Grabmal Urbans VIII im Chor von S. Peter,c
und endete mit demjenigen Alexanders VII (über einer Thür seitwärts
vom linken Querschiff); der Typus des erstgenannten herrscht dann
weiter in den Grabmälern Leo’s XI (von Algardi), Innocenz XI (von
Monnot), Gregors XIII (erst lange nach dessen Tode errichtet, 1723,
von Camillo Rusconi, das beste der Reihe), und Benedicts XIV (von
Pietro Bracci), wozu noch dasjenige Benedicts XIII in der Minervad
(ebenfalls von Bracci) und dasjenige Clemens XII im Lateran (Cap.e
Corsini) zu rechnen sind.
Durchgängig das Beste oder Leidlichste sind natürlich die über
den Särgen thronenden, stehenden oder knienden Porträtstatuen
der Päpste, zumal bei Bernini selbst. Im Übrigen aber wird die
Nische, in welcher der Sarcophag steht, nur als eine Art Schaubühne
behandelt, auf welcher Etwas vorgehen muss. Noch Gugl. della Porta
[702]Barocksculptur. Grabmäler.
hatte seine „Klugheit“ und „Gerechtigkeit“ ruhig auf dem Sarcophag
Pauls III lagern lassen, allerdings nicht mehr so unbekümmert um
den Beschauer wie Michelangelo’s Tag, Nacht und Dämmerungen 1).
Seit Bernini aber müssen die zwei allegorischen Frauen eine dra-
matische Scene aufführen; ihre Stelle ist desshalb nicht mehr auf
dem Sarcophag, sondern zu beiden Seiten, wo sie stehend oder sitzend
(und dann auffahrend) ihrem Affect freien Lauf lassen können. Der
Inhalt dieses Affectes soll meist Trauer und Jammer, Bewunderung,
verehrende Ekstase um den Verstorbenen sein, was denn jeder Bild-
hauer auf seine Weise zu variiren sucht. — Die kirchliche Decenz
verlangte jetzt eine vollständige Bekleidung, sodass an diesen Gräbern
von S. Peter die ausgesuchtesten damaligen Draperiemotive zu finden
sind. Die Bravour im Nackten entschädigte sich durch beigegebene
Putten. Daneben bringt schon Bernini — wenn ich nicht irre, zum
erstenmal seit dem Mittelalter — die scheussliche Allegorie des Todes
ain Gestalt eines Skelettes vor; am Grabmal Urbans VIII schreibt
dasselbe auf einen marmornen Zettel die Grabschrift zu Ende; am
Monument Alexanders VII hebt es die colossale Draperie von gelb
und braun geflecktem Marmor empor, unter welcher sich die Thür
befindet. Leider fand gerade diese „Idee“ sehr eifrige Nachbeter.
Bei Anlass dieses Extremes ist von den Allegorien Einiges zu
sagen, weil sie gerade für die Sepulcralsculptur als wesentlichste Ge-
dankenquelle betrachtet wurden; auch an Altären spielen sie oft die
erste Rolle. Die Prachtgräber und Altäre Italiens sind eben so voll
von verzweifelten Versuchen, dieses Element interessant zu machen,
wie eine gewisse Gattung der damaligen Poesie. Über die Stelle der
Allegorie in der Kunst überhaupt haben wir hier nicht zu entschei-
den. Ihre Unentbehrlichkeit in allen nicht-polytheistischen Zeitaltern
und die Möglichkeit schöner und erhabener Behandlung zugegeben,
fragt es sich nur, wesshalb sie uns bei den Berninesken so ganz be-
sonders ungeniessbar erscheint?
Diese Gedankenwesen, geboren von der Abstraction, haben eben
ein zartes Leben. Selber Prädicate, sind sie wesentlich prädicatlos
[703]Allegorien der Grabmäler und Altäre.
und vollends thatlos. Der Künstler darf sie zwar als Individuen dar-
stellen, welche dasjenige empfinden was sie vorstellen, allein er muss
diese Empfindung nur wie einen Klang durch die ruhige Gestalt hin-
durchtönen lassen. Statt dessen zieht die Barocksculptur sie unbe-
denklich in das momentane Thun und in einen Affect hinein, der sich
durch die heftigsten Bewegungen und Geberden zu äussern pflegt.
Nun ist es schon an und für sich nichts Schönes um Idealfiguren
dieses Styles, wenn sie aber auffahren, springen, einander an den
Kleidern zerren, auf einander losschlagen, so wirkt diess unfehlbar
lächerlich. Alles Handeln und zumal alles gemeinschaftliche Handeln
ist den allegorischen Gestalten untersagt; die Kunst muss sich zu-
frieden geben, wenn sie ihnen nur ein wahres Sein verleihen kann.
Gleichzeitig mit Bernini dichtete Calderon seine Autos sagramen-
tales, wo fast lauter allegorische Personen handeln und welche doch
den Leser (um nicht zu viel zu sagen) ergreifen. Aber der Leser
steht dabei unter der Rückwirkung desjenigen starken spanischen
Glaubens und derjenigen alten Gewöhnung an die Allegorie, welche
schon dem grossen Dichter entgegenkam und ihm die zweifellose
Sicherheit gab, deren er in dieser Gattung bedurfte und die uns für
den Augenblick völlig mitreisst, während wir bei den Berninesken das
ästhetische Belieben, die Wählerei recht wohl ahnen. Sodann sind
es Dramen, d. h. Reihen fortschreitender Handlungen, nicht einzelne
in den Marmor gebannte Momente. Endlich steht es der Phantasie
des Lesers frei, die allegorischen Personen des Dichters mit der edel-
sten Form zu bekleiden, während die Sculptur dem Beschauer auf-
dringt was sie vorräthig hat. — Übrigens empfindet man bei Rubens
bisweilen eine ähnliche, zum Glauben zwingende Gewalt der Allegorie
wie bei Calderon.
Welcher Art die Handlungen der allegorischen Gruppen bisweilen
sind, ist am glorreichsten zu belegen mit den Gruppen von Legrosa
und Teudon links und rechts von dem Ignatiusaltar im Gesù zu Rom:
die Religion stürzt die Ketzerei, und der Glaube stürzt die Abgötterei;
die besiegte Partei ist jedesmal durch zwei Personen repräsentirt.
Was an dieser Stelle erlaubt war, galt dann weit und breit als clas-
sisch und fand Nachahmer in Menge. Einem besonders komischen
Übelstand unterliegen dabei die weiblichen Allegorien des
[704]Barocksculptur. Allegorien.
Bösen. Aus Neigung zum Begreiflichen bildete man sie als häss-
liche Weiber, und zwar, wie sich bei den Berninesken von selbst
versteht, in Affect und Bewegung, im Niederstürzen, Fliehen u. s. w.
aAuf dem figurenreichen Hochaltar der Salute in Venedig (von Justus
de Curt) sieht man neben der Madonna u. a. eine fliehende „Zwie-
tracht“, von einem Engel mit einer Fackel verfolgt, das hässlichste
alte Weib in bauschig flatterndem Gewand. Nicht umsonst hatte schon
der alte Giotto (Padua, Fresken der Arena) die Laster in männlicher
Gestalt dargestellt. — Und dann kann überhaupt nur ein reiner Styl
wahrhaft grossartige Allegorien des Bösen schaffen.
Allein auch die ruhigern, einzeln stehenden Allegorien unterliegen
zunächst der manierirten Bildung alles Idealen. Unter zahllosen Bei-
bspielen heben wir die Statuen im Chor von S. M. Maddalena de Pazzi
in Florenz hervor, weil sie mit besonderm Luxus gearbeitet sind:
Montani’s Religion und Unschuld, und Spinazzi’s Reue und Glaube;
der letztere eine von den beliebten verschleierten Figuren in der Art
der oben (S. 696, a) genannten. Während sich aber hier wenigstens die
Bedeutung der einzelnen Figuren, wenn auch mit Mühe, errathen
lässt, tritt in vielen andern Fällen ein absurder vermeintlicher Tiefsinn
dazwischen, der mit weit hergeholten pedantischen Anspielungen im
Geschmack der damaligen Erudition die Allegorien vollends unkennt-
lich macht und sich damit zu brüsten scheint, dass eben nicht der
Erste Beste erkenne, wovon die Rede sei. Man suche z. B. aus den
cacht lächerlich manierirten Statuen klug zu werden, mit welchen Mi-
chele Ongaro die kostbare Capelle Vendramin in S. Pietro di Castello
zu Venedig verziert hat! (Ende d. l. Querschiffes.) Mit allen Attri-
buten wird man die Bezüge des XVII. Jahrh. erst recht nicht errathen.
— Ein anderer Missbrauch, der alle Theilnahme für diese allegorischen
Gebilde von vorn herein stört, ist die oben (S. 385 u. f.) gerügte Ver-
schwendung derselben für decorative Zwecke, zumal in einer
ganz ungehörigen Stärke des Reliefs, welche beinahe der Freisculptur
gleich kömmt. Denselben Schwindel, welchen man im Namen der
Bogenfüllungstugenden empfindet, fühlt man dann auch für die eigentli-
chen Statuen, die auf den Gesimsen von Altartabernakeln stehen, oder
vollends für jene Fides, Caritas u. s. w., welche nebst Putten und
Engeln auf den gebrochenen Giebelschnecken der Altäre in Pozzo’s
[705]Grabmäler als Wandsculpturen.
Geschmack (S. 390) höchst gefährlich balancirend sitzen. (Ein Bei-
spiel von vielen in S. Petronio zu Bologna, 2. Cap. links.) Was unsa
besorgt macht, ist der Naturalismus ihrer Darstellung und die seil-
tänzerische Prätension auf ein wirkliches Verhältniss zu dem Raume
wo sie sich befinden, d. h. auf ein wirkliches Sitzen, Stehen, Lehnen
an einer halsbrechenden Stelle. Für eine Statue des XIV. Jahrh.,
mit ihrem einfachen idealen Styl, ist dem Auge niemals bange, so hoch
und dünn auch das Spitzthürmchen sein mag, auf welchem sie steht.
Doch wir müssen noch einmal zu den Grabmälern zurückkehren.
Die Nachtreter haben Bernini weit überboten sowohl in der plastischen
als in der poetischen Rücksichtslosigkeit. Als sie einmal, wie bei
Anlass der Altargruppen weiter zu erörtern ist, die Gattungen der
Freisculptur und des Hochreliefs zu einer Zwitterstufe, der Wand-
sculptur (sit venia verbo) vermengt hatten, war schlechterdings
Alles möglich. Bei der totalen Verwilderung des Styles rivalisirte
man jetzt fast nur noch in „Ideen“, d. h. in Einfällen und, wer
seine Geschicklichkeit zeigen wollte, in naturalistischem Detail. Hier
halten weinende Putten ein Bildnissmedaillon; dort beugt sich ein
Prälat über sein Betpult hervor; ein verhülltes Gerippe öffnet den
Sarg; abwärts purzelnde Laster werden von einer Inschrifttafel er-
drückt, über welcher oben ein fader Posaunenengel mit einem Me-
daillon schwebt; für alle Arten von Raumabstufung müssen marmorne
Wolken herhalten, die aus der Wand hervorquellen, oder es flattern
grosse marmorne Draperien rings herum, für deren Brüche und Bau-
schen die Motivirung erst zu errathen ist. Statt aller Denkmäler
dieser Art nennen wir nur das der Maria Sobieska im linken Seiten-b
schiff von S. Peter, als eines der prächtigsten und sorgfältigsten (von
Pietro Bracci). — In Florenz ist die unter Foggini’s Leitung decorirtec
(1692 vollendete) Cap. Feroni in der Annunziata (die zweite links)
ein wahres Prachtstück berninesker Allegorie und Formenbildung.
Als Grabcapelle des (in Amsterdam als Kaufmann reich gewordenen,
später in Florenz als Senator festgehaltenen) Francesco Feroni hätte
sie nur Eines Sarcophages bedurft; der Symmetrie zu Liebe wurden
es zweie; auf dem einen sitzen die Treue (mit dem grossen bronzenen
B. Cicerone. 45
[706]Barocksculptur. Dogengräber.
Bildnissmedaillon) und die Schifffahrt, auf dem andern die Abundantia
maritima und der „Gedanke“, ein nackter Alter mit Büchern; über
den Särgen stehen dort S. Franciscus, hier S. Dominicus; unter dem
Kuppelrand schweben Engel, in der Kuppel Putten. Und über diess
Alles ist doch Ein Styl ausgegossen und der Beschauer lässt sich
wenigstens einen Augenblick täuschen als gehöre es zusammen. (Das
aAltarbild von Carlo Lotti.)
In Venedig behielten die Dogengräber von der vorhergehenden
Epoche her die Form grosser Wandarchitekturen von zwei Ordnungen
bei, nur dass dieselben in noch viel colossalerm Massstab ausgeführt
wurden. Das Figürliche concentrirt sich hier nicht zu einer allego-
rischen Sarcophaggruppe, sondern vertheilt sich in einzeln aufgestellte
Statuen vor und zwischen den Säulen, in Reliefs an den Postamenten
u. s. w. Ganze Kirchenwände (am liebsten die Frontwand) werden
von diesen zum Theil ganz abscheulichen Decorationen in Beschlag
genommen. Unverzeihlich bleibt es zumal, dass die Besteller, was sie
an der Architektur ausgaben, an den armen Schluckern sparten, welche
die Sculpturen in Verding nahmen, sodass die elendesten Arbeiten des
berninischen Styles sich gerade in den venezianischen Kirchen finden
bmüssen. Eine Ausnahme macht etwa das Mausoleum Valier im rech-
ten Seitenschiff von S. Giovanni e Paolo, wofür man wenigstens einen
der bessern Berninesken, Baratta, nebst andern Geringern in Anspruch
nahm. (Unter den obern Statuen u. a. eine Dogaressa in vollem Co-
stüm um 1700.) — Wie weit das Verlangen geht, überall recht be-
greiflich und wirklich zu sein, zeigt auf erheiternde Weise das im
clinken Seitenschiff der Frari befindliche Grabmal eines Dogen Pesaro
(† 1669). Vier Mohren tragen als Atlanten das Hauptgesimse; ihre
Stellung schien nicht genügend um sie als Besiegte und Galeotten
darzustellen; der Künstler, ein gewisser Barthel, gab ihnen zerrissene
Hosen von weissem Marmor, durch deren Lücken die schwarzmarmor-
nen Kniee hervorgucken; er hatte aber auch genug Mitleid für sie
und Nachsicht für den Beschauer, um zwischen ihren Nacken und den
Sims dicke Kissen zu schieben; das Tragen thäte ihnen sonst zu wehe.
Von den Altargruppen sind zuerst die frei stehenden zu
betrachten. Die beste welche mir vorgekommen ist, befindet sich in
[707]Freistehende Altargruppen. Wolken.
der Crypta unter der Capella Corsini im Lateran zu Rom; esa
ist eine Pietà von Bernini. (? Sie fehlt im Verzeichniss seiner Werke
bei Dominici.) Die delicate Behandlung des Marmors macht sich in
einigen Künsteleien absichtlich bemerkbar, sonst ist an der Gruppe
nur die durchaus malerische (und in diesem Sinne gute) Composition
zu tadeln; im Übrigen ist es ein ziemlich reines Werk von schönem,
innerlichem Ausdruck ohne alles falsche Pathos; im Gedankenwerth
den besten Darstellungen dieses Gegenstandes aus der Schule der
Caracci wohl gleichzustellen. Wie Bernini am gehörigen Ort seinen
Styl zu bändigen und zu veredeln wusste, zeigt auch der Christus-b
leichnam in der Crypta des Domes von Capua.
Allein diess waren Werke für geschlossene Räume mit beson-
derer Bestimmung. Was sollte auf die Hochaltäre der Kirchen zu
stehen kommen? Nicht Jeder war so naiv wie Algardi, der für den
Hauptaltar von S. Paolo zu Bologna eine Enthauptung Johannis inc
zwei colossalen Figuren arbeitete; statt des Martyriums sucht man
vielmehr durchgängig eine Glorie an diese feierlichste Stelle der
Kirche zu bringen. Die höchste Glorie, welche die Kunst ihren Ge-
stalten hätte verleihen können, eine grossartige, echt ideale Bildung
mit reinem und erhabenem Ausdruck — diese zu schaffen war das
Jahrhundert nicht mehr angethan; der Inhalt des Altarwerkes musste
ein anderer sein. Vor Allem musste der pathetische und ekstatische
Ausdruck, welchen man die ganze Kirche hindurch in allen Nischen-
figuren und Nebenstatuen der Seitenaltäre auf hundert Weisen variirt
hatte, in der Altarsculptur consequenter Weise seinen Höhepunkt er-
reichen, indem man die Ekstase zu einer Verklärung zu steigern suchte.
Hier beginnt die Nothwendigkeit der Zuthaten; die betreffende Haupt-
figur, die man am liebsten ganz frei schweben liesse, schmachtet sehn-
süchtig auf Wolken empor, welche dann weiter zur Anbringung von
Engeln und Putten benützt werden. Als aber einmal die Marmorwolke
als Ausdruck eines überirdischen Raumes und Daseins anerkannt war,
wurde Alles möglich. Es ist ergötzlich, den Wolkenstudien der da-
maligen Sculptoren nachzuforschen; in ihrem redlichen Naturalismus
scheinen sie — allerdings irriger Weise — nach dem Qualm von bren-
nendem feuchtem Maisstroh u. dgl. modellirt zu haben. Die Altäre
italienischer Kirchen sind nun sehr reich an kostbaren Schwebegrup-
45*
[708]Barocksculptur. Freistehende Altargruppen.
pen 1) dieser Art. Es ist hauptsächlich die von Engeln gen Himmel
getragene Assunta, wie sie etwa Guido Reni aufgefasst hatte, mit ge-
kreuzten oder ausgestreckten Armen und im letztern Fall sogar oft
eher declamatorisch als ekstatisch. Oder der Kirchenheilige in einer
aEngelglorie. In Genua z. B. kam es so weit, dass fast kein Haupt-
altar mehr ohne eine solche Gruppe blieb. Man sieht dergleichen von
Puget auf dem Hauptaltar der Kirche des Albergo de’ Poveri, von
Domenico und Filippo Parodi und Andern auf den Altären von S.
bMaria di Castello, S. Pancrazio, S. Carlo etc. Das Auge hält sie von
Weitem für Phantasieornamente und kann sie erst in der Nähe ent-
ziffern. Die halbe Illusion, welche sie erreichen, steht im widerlich-
sten Missverhältniss zu der ganzen Illusion, nach welcher die Decken-
fresken streben; oft bilden sie eine dunkle Silhouette gegen einen
lichten Chor; ausserdem steht ihre Proportion in gar keiner Beziehung
zu den Proportionen aller andern Bildwerke der Kirche; sie hätten
eigentlich höchst colossal gebildet werden müssen. Danken wir gleich-
wohl dem Himmel, dass diess nicht geschehen ist. — Eine unterste
cStufe der Ausartung bezeichnet nach dieser Seite Ticciati’s Altar-
gruppe im Baptisterium von Florenz (1732). Von den für schwebend
geltenden Engeln trägt der eine die Wolke, auf welcher Johannes
d. T. kniet; der andere stützt sie mit dem Rücken; ein Stück Wolke
quillt bis über den Sockel herunter. Auf gemeinere Weise liess sich
das Übersinnliche nicht versinnlichen, selbst abgesehen von der süss-
lich unwahren Formenbildung. — Auf dem Hochaltar der Jesuiten-
dkirche zu Venedig sieht man Christus und Gottvater sehr künstlich
balancirend auf der von Engeln mit sehr wirklicher Anstrengung ge-
tragenen Weltkugel sitzen; es wäre nun gar zu einfach gewesen, die
Engel auf dem Boden stehen zu lassen — sie schweben auf Marmor-
wolken.
Bei solchen Excessen mussten die Klügern auf den Gedanken
kommen, dass es besser wäre, die freistehende Gruppe ganz aufzu-
[709]Altargruppen als Wandsculpturen.
geben, als ihre Gesetze noch länger mit Füssen zu treten. Und nun
wird endlich das rein malerische Princip zugestanden in vielen Altar-
gruppen, welche nicht mehr frei hinter dem Altar stehen, sondern in
einer Nische dergestalt angebracht sind, dass sie ohne dieselbe nicht
denkbar wären. Sie sind nämlich ganz als Gemälde componirt, selbst
ohne Zusammenhang der Figuren, mit Preisgebung aller plastischen
Gesetze. Von den Wänden der Nische aus schweben z. B. Wolken
in verschiedenen Distanzen her, auf welchen zerstreut Madonna, Engel,a
S. Augustin und S. Monica in Ekstase sitzen, kauern, knieen u. s. w.
(Altar des rechten Querschiffes in S. Maria della consolazione in Ge-
nua, von Schiaffino um 1718.) Aus den hundert andern Gruppen
dieser Wandsculptur heben wir nur noch zwei in Rom befindliche
besonders hervor: die Wohlthätigkeit des heil. Augustin (Altar desb
linken Querschiffes in S. Agostino), von dem Malteser Melchiorre Gafa,
wegen der fleissigen Arbeit und eines Restes von Naivetät — und die
berühmte Verzückung der heil. Teresa (im linken Querschiffc
von S. M. della Vittoria), von Bernini. In hysterischer Ohnmacht,
mit gebrochenem Blick, auf einer Wolkenmasse liegend streckt die
Heilige ihre Glieder von sich, während ein lüsterner Engel mit dem
Pfeil (d. h. dem Sinnbild der göttlichen Liebe) auf sie zielt. Hier
vergisst man freilich alle blossen Stylfragen über der empörenden De-
gradation des Übernatürlichen.
Da überall die Absicht auf Illusion mitspielt, so scheut sich auch
die Sculptur so wenig als die decorirende Malerei (S. 389), ihre Ge-
stalten bei Gelegenheit weit aus dem Rahmen heraustreten zu lassen,
überhaupt keine architektonische Einfassung mehr anzuerkennen. Es
genügt, auf Bernini’s „Catedra“ (hinten im Chor von S. Peter) zud
verweisen, welche unten als Freigruppe der vier Kirchenlehrer an-
fängt, um oben als Wanddecoration um ein Ovalfenster (Engelschaaren
zwischen Wolken und Strahlen vertheilt) zu schliessen. Es ist das
rohste Werk des Meisters, eine blosse Decoration und Improvisation;
er hätte wenigstens nicht zum Vergleich mit der danebenstehenden so-
lidern Arbeit seiner eigenen frühern Zeit, dem Denkmal Urbans VIII,
so unvorsichtig auffordern sollen.
[710]Barocksculptur. Farbige Bemalung.
Endlich erkennt der Naturalismus der berninischen Plastik seine
eigenen Consequenzen offen an. Wenn einmal die Darstellung eines
möglichst aufregenden Wirklichen das höchste Ziel des Bildhauers sein
soll, so gebe er die letzten academischen Vorurtheile über Linien,
über Gruppenbildung u. dgl. auf und arbeite ganz auf dieses Wirk-
liche hin, d. h. er füge die Farbe hinzu! Schon das Mittelalter,
dann die realistischen florentinischen Bildner des XV. Jahrh., die
Robbia, vorzüglich Guido Mazzoni, waren hierin ziemlich weit ge-
gangen; überdiess wird das bemalte Bildwerk eine Verständlichkeit
für sich haben und einer Popularität geniessen, um welche man es
zu wenig beneidet.
Und es entstanden wieder zahllose bemalte Heiligenfiguren von
Holz, Stucco und Stein. Wer sich von Bildhauern irgend etwas
dünkte, wollte allerdings mit dieser Gattung nichts zu thun haben;
die academische Kunst schloss kein Verhältniss mehr mit ihr; sie
mied die Verwandtschaft und Concurrenz mit jenen periodisch neu
drapirten Wachspuppen, welche z. B. in Glaskasten auf den Altären
neapolitanischer Kirchen prangen. Allein bisweilen verspinnt sich
doch ein schönes Talent in die bemalte Sculptur und leistet darin
Vorzügliches. In Genua lebte um das Jahr 1700 ein Künstler dieser
Art, Maragliano, dessen Arbeiten ungleich erfreulicher sind als
die meisten Papstgräber in S. Peter. Man überliess ihm meist eine
ganze, etwa besonders von oben beleuchtete Nische über dem Altar,
in welcher er seine Figuren ohne den Anspruch auf eine plastische
Gruppe, vielmehr bloss malerisch ordnete. Mit der Farbe hatte er
auch dazu das Recht, während jene Sculptoren in Marmor, die ihre
Nischengruppen ähnlich bildeten, ein wüstes Zwitterwesen hervor-
brachten. — Gegen das unheimlich Illusionäre der Wachsbilder schützte
ihn die plastische und in seinem Sinn ideale Gewandung. Sein Ma-
terial ist, wie ich glaube, bloss Holz (bei grössern Figuren von zu-
sammengenieteten Blöcken), ohne Nachhülfe mit Stucco.
Diese Arbeiten sind gleichsam eine höhere Gattung der Präsepien,
welche in Italien noch gegenwärtig um die Zeit des Dreikönigstages
in den Kirchen (im Kleinen auch in Privathäusern) aufgestellt wer-
den; nur hier mehr künstlerisch abgeschlossen und mit einem bedeu-
tenden Talent, mit Fleiss und Liebe durchgeführt. Maragliano ist
[711]Maragliano. Das Relief.
bisweilen wahr, schön und ausdrucksvoll, wie ich mich nicht erinnere
irgend einen seiner Fachgenossen gefunden zu haben. Seine Gattung
passte hauptsächlich gut für Capuzinerkirchen, die den reichern
Schmuck schon durch die vorgeschriebenen hölzernen Rahmen, Git-
ter etc. ausschliessen. Seine besten Altargruppen zu Genua: S. An-a
nunziata, Querschiff links; — S. Stefano, im Anbau; — S. Maria dellab
Pace: im Chor eine grosse Assunta mit S. Franz und S. Bernardin,c
in der 2. Cap. rechts S. Franz der die Wundmale erhält, ausserdem
linkes Querschiff und 2. Cap. links; (in der 3. Cap. rechts eine Gruppe
desselben Styles von Pasquale Navone); — in Madonna delle Vigne,d
Cap. links neben dem Chor: ein Crucifix und die in ihrer Art vor-
trefflichen Statuen der Maria und des Johannes; — Capuzinerkirche,e
Querschiff rechts. — U. a. a. O.
Nicht umsonst kam z. B. Legros in der Statue des heil. Stanislasf
Kostka (in einer Kapelle des Noviziates S. Andrea zu Rom) auf die
(allerdings fehlgegriffene) Zusammensetzung aus verschiedenen Mar-
morarten zurück. Wie, wenn man einmal zur Probe versuchte, ber-
ninische Sculpturen zu bemalen? ob sie nicht gewinnen würden?
Die Gattung starb auch später nie ganz aus; für kleine Genre-
figuren von Wachsmasse und von Thon wird sie vollends immer fort-
dauern. Es ist bekannt, welche trefflichen Arbeiten in diesem Fache
Mexico liefert (Costümbilder und heilige Gegenstände); aber auch
Sicilien hat bis auf unsere Zeit wahre Künstler dieser Art, wie Ma-
tera und B. Palermo gehabt.
Was kann das Relief in dieser Periode bedeuten? Schon seit
dem XV. Jahrh. seines einzig wahren Stylprincipes beraubt und zum
Gemälde in Marmor oder Erz herabgesetzt, muss es jetzt, mit der
manierirt-naturalistischen Auffassung und Formbehandlung der Ber-
ninesken, doppelt im Nachtheil sein. Überdiess kann man fragen,
was eigentlich noch Relief heissen dürfe, seitdem die Gruppensculptur
zu einer Wand- und Nischendecoration geworden? seitdem ganze
Capellenwände mit Scenen von stark ausgeladenen lebensgrossen
Stuccofiguren bedeckt werden? Man nennt z. B. Algardi’s Attila (S.g
Peter, Cap. Leo’s des Grossen) „das grösste Relief der neuern Kunst“;
[712]Barocksculptur. Relief.
es sollte eher eine Wandgruppe heissen. Übrigens ist Algardi,
beiläufig gesagt, immer eines Blickes werth, weil er das Detail
gewissenhafter behandelt und einen Rest naiven Schönheitssinnes
übrig hat.
Nächst ihm ist der Bolognese Giuseppe Mazza insoweit einer
der Bessern im Relief, als die bolognesische Malerschule in der Com-
position die meisten übrigen Maler überragt. Ausser zahlreichen Ar-
abeiten in den Kirchen seiner Vaterstadt hat er in S. Giovanni e Paolo
zu Venedig (letzte Cap. des rechten Seitenschiffes) in sechs grossen
Bronzereliefs das Leben des heil. Dominicus geschildert; nimmt man
die obern zwei Drittheile mit den Glorien weg, so bleiben ganz tüch-
tige Compositionen übrig, zumal die mit dem Tode des Heiligen.
Dagegen giebt es von Mazza Arbeiten in mehrern Kirchen seiner
Vaterstadt, die nicht besser sind als Anderes aus dieser Zeit.
Für Florenz sind am ehesten zu nennen die drei grossen Altar-
breliefs des Foggini in der Cap. Corsini im Carmine (Querschiff links).
Süssliche Engelchen schieben die Wolken, auf welchen der verhim-
melte Heilige kniet; in dem Schlachtrelief sprengen die Besiegten
links aus dem Rahmen heraus; überall bemerkt man Reminiscenzen
aus Gemälden. Und dabei sind es doch von den tüchtigsten Arbeiten
cder ganzen Richtung. — In Rom gewährt S. Peter (ausser dem ge-
nannten Relief Algardi’s) noch in einer Anzahl kleinerer Sarcophag-
reliefs an den Grabmälern und in Bernini’s Relief über dem Haupt-
portal eine Übersicht derjenigen Geschmacksvariationen, welche dann
für die übrige Welt massgebend wurden. — Die Reliefs über den
dApostelstatuen im Lateran sind von Algardi und seinen Zeitgenossen
entworfen.
Um die Mitte des XVIII. Jahrh. beginnt der Styl sich etwas zu
bessern; während die Auffassung im Ganzen noch dieselbe bleibt,
hören die schlimmsten Excesse des Naturalismus und der davon ab-
geleiteten Manier allmälig auf. Das Raffiniren auf Illusion, welches
noch kurz vorher (S. 696, a) seine Triumphe über die besiegte Schwie-
rigkeit gefeiert, macht einer ruhigern Eleganz Platz. Von diesen Zeit-
genossen eines Rafael Mengs sind natürlich nur wenige zu einigem
[713]Ausgang des Barockstyls.
Namen gelangt, weil ihnen die wahre Originalität fehlte. (In Genua
sind mir mehrere Arbeiten des Niccolò Traverso z. B. im Chora
des Angelo Custode aufgefallen.)
Das grosse Verdienst Canova’s lag darin, dass er nicht bloss
im Einzelnen anders stylisirte als die Vorgänger, sondern die ganze
Aufgabe neu im Sinne der ewigen Gesetze seiner Kunst aufzufassen
suchte. Sein Denkmal Clemens XIV (im linken Seitenschiff von SS.b
Apostoli zu Rom) war eine Revolution nicht bloss für die Sculptur.
Wie man immer vom absoluten Werth seiner Arbeiten denken möge,
kunsthistorisch ist er der Markstein einer neuen Welt.
[[714]][[715]]
MALEREI.
Nur ärmliche Trümmer sind uns von der antiken Malerei
übrig geblieben, doch immer genug um uns ahnen zu lassen, was
Griechen und Römer auf diesem Gebiete wollten und konnten. Einige
bekannte Geschichten von Parrhasios, Zeuxis und andern grossen
Meistern führen leicht auf den Gedanken, dass die Illusion das höchste
Ziel der griechischen Maler gewesen. Nichts kann aber irriger sein.
Ihnen genügte es vielmehr, wenn der Gegenstand oder das Ereigniss
möglichst deutlich mit möglichst wenigen Mitteln dargestellt wurde.
Sie haben weder in der Composition, noch in der Durchführung, noch
in der Farbe dasjenige System erstrebt, welches der neuern Malerei
zur Grundlage dient, allein was sie leisteten, muss dennoch ein Höch-
stes in seiner Art gewesen sein.
Eine Vorschule der griechischen Malerei gewähren uns gewisser
Massen die zahlreichen Gefässe, welche hauptsächlich in den Grä-
bern Attica’s, Siciliens, Unteritaliens und Etruriens gefunden worden
sind und noch fortwährend gefunden werden. Die bedeutendste Samm-
lung derselben, welche es wohl überhaupt giebt, ist diejenige im Mu-a
seum von Neapel. Ungleich geringer, doch unter den italienischen
noch sehr ausgezeichnet erscheint die vaticanische Vasensammlung,b
welche mit dem Museo etrusco und mit der vatican. Bibliothek ver-
bunden ist. Ähnlich verhält es sich mit der florentinischen (in denc
Uffizien; verschlossener Gang gegen Ponte vecchio hin).
Dieser ganze unübersehbare Vorrath gehört, wie man jetzt allge-
mein anerkennt, bei Weitem grösstentheils griechischen Thonmalern
an, mochten dieselben auch z. B. in Etrurien angesiedelt sein und für
[716]Antike Malerei.
Etrusker arbeiten. Die Gebräuche, Trachten und Mythen, welche sie
darstellen, sind fast ausschliesslich griechisch. Der Zeit nach mögen
sie meist in das VI.—III. Jahrh. v. Chr. fallen; zur Zeit der Römer-
herrschaft über Italien wurde nicht mehr in diesem Styl gearbeitet
und Pompeji liefert z. B. keine Vasen der Art mehr.
Zum täglichen Gebrauch für Küche, Tisch und Waschung haben
wohl nur die Wenigsten gedient. Ihre Bedeutung ist eine festliche,
man erhielt sie als Kampfpreis, als Hochzeitgeschenk u. s. w.; hatte
man sie das Leben hindurch als Schmuck in der Wohnung vor sich
gehabt, so erhielt sie der Todte zur Begleitung mit in das Grab.
Viele aber, und zwar von den wichtigsten, wurden wohl ausschliess-
lich für den Gräberluxus des alten Italiens gefertigt. Rings um die
Leiche herum pflegen sie in den Gruftkammern gefunden zu werden,
leider fast durchgängig in einer Menge von Scherben, die sich nicht
immer glücklich zusammensetzen lassen.
Es sind Gefässe jeder Gattung und Gestalt, von der riesigen Am-
phore bis zum kleinsten Näpfchen. Da sie aber nicht zu gemeinem
Gebrauche benützt wurden, konnte man an jeder Form — Amphore,
Urne, Topf, Schale, Trinkhorn u. s. w. — das Schöne und Bedeu-
tende nach Belieben hervortreten lassen.
Mit höchstem Wohlgefallen verweilt das Auge schon bei den
Formen und Profilen, welche der Töpfer dem Gefäss gab. Die strenge
plastische Durchführung, welche wir an den marmornen Prachtvasen
fanden, wäre hier nicht an der Stelle gewesen; was aber von einfach
schöner Form mit dem Drehrad vereinbar ist, das wurde angewandt.
Freilich sind die von freier Hand gearbeiteten Henkel oft ganz be-
sonders schön und lebendig.
Die aufgemalten Ornamente tragen ebenfalls nicht wenig zur Be-
lebung des Gefässes bei, indem sie gerade für ihre Stelle und Func-
tion bezeichnend gebildet sind.
Den untern Auslauf der Henkel schmücken oft ganze Büschel
von Palmetten (d. h. immer ein oval gespitztes Blatt von geschwunge-
nen kleinen Seitenblättern begleitet), in welchen gleichsam die über-
schüssige Elasticität sich ausströmt. Am obern Rande der Vase, als
Sinnbild des darin Enthaltenen, zieht sich wellenförmiges Blumwerk
hin; den Hals umgeben strengere Palmetten oder auch bloss senk-
[717]Vasen.
rechte Rinnen, die sich dann mit der Ausbauchung des Gefässes in
reichern Schmuck verwandeln. Die Bänder zwischen, unter und über
den figürlichen Darstellungen bestehen theils wieder aus wellenförmi-
gen Blumen, theils aus Mäandern, theils auch aus Reihen von Muscheln
u. dgl. Die untere Zusammenziehung der Vase wird etwa durch spitz
auslaufendes Blattwerk noch mehr verdeutlicht. Der Fuss ist, wie
billig, schmucklos.
Diess sind scheinbar nur Nebensachen, allein sie zeigen, dass es
sich um eine Vase und nicht um ein beliebiges Prunkstück handelt, was
man bei den kostbarsten Porcellanvasen von Sèvres oft vergessen muss.
Man sollte denken, die Thonmaler hätten sich es wenigstens bei
diesen Zierrathen bequem gemacht und durch Schablonen gemalt.
Allein der erste Blick wird zeigen, dass die leichteste, sicherste Hand
Alles frei hingezaubert hat, wesshalb es denn auch nicht an einzelnen
krummen Linien u. dgl. fehlt.
Ebenso ist es mit den Figuren. Der Maler konnte sie zum Theil
als Gemeingut der griechischen Kunst auswendig, zum Theil erfand
und componirte er sie für die besondere Darstellung. Grosse Künst-
ler gaben sich mit dieser Gattung gar nicht ab; es ist ein mittlerer
und selbst geringer Durchschnitt des unendlichen griechischen Kunst-
vermögens, der sich hier zu erkennen giebt. Und doch selbst bei
diesen so äusserst beschränkten Mitteln, diesen zwei, höchstens drei
Farben so viel Bewundernswerthes!
Wir scheiden zunächst eine ältere Gattung, diejenige mit schwar-
zen Figuren auf rothem Grunde aus. Ihr Styl ist bei grosser
Zierlichkeit noch ein befangener und entspricht mehr oder weniger
dem ältern griechischen Sculpturstyl (S. 414 u. ff.).
Die Vasen der reifern (und was Apulien betrifft, auch wohl der
sinkenden) Kunst sind die, welche (ausgesparte) röthliche Figu-
ren auf (aufgemaltem) schwarzem Grunde zeigen. Mit diesen,
auch an Zahl überwiegenden haben wir es hauptsächlich zu thun.
Die Darstellungen, welche sie in einer, zwei, bis drei Reihen von
Figuren, an den Schalen auf der Unterseite rings um den Fuss, auch
innen in der Mitte enthalten, sind zum Theil der Gegenstand einer
sehr ausgedehnten gelehrten Forschung. Die seltensten Mythen, die
kein Relief und kein pompejanisches Gemälde darstellt, kommen hier
[718]Antike Malerei. Vasen.
vor. Uns sind jedoch nur einige Andeutungen über die künstlerische
Behandlung vergönnt.
Im Ganzen folgt dieser Styl dem griechischen Reliefstyl. Es ist
eine ähnliche perspectivische Entwicklung der Gestalt, ein ähnliches
Princip der Schneidungen, eine ähnliche Erzählungsweise. Die Fi-
guren sind meist auseinander gehalten, ihre Haltung und Geberde
möglichst sprechend. Bei bekleideten Gestalten wurden erst die Glie-
der in raschem Umriss hingezeichnet, dann das Gewand darüber an-
gegeben und zwar von den Falten gerade so viel, als dazu diente,
die Gestalt selbst und zugleich den Gang des Gewandes zu verdeut-
lichen. Die Köpfe sind ohne irgend welche Absicht auf besondern
Ausdruck oder besondere Schönheit sehr allgemein behandelt. Die
Angabe des Raumes musste bei dem gemeinsamen schwarzen Grunde
eine möglichst einfache, symbolische sein. Ein Stern bedeutet hier
schon die Nacht, ein kleiner Vorhang das Zimmer, ein paar Muscheln
oder Delphine die See, eine krumme Reihe von Punkten das unebene
Erdreich, eine Säule mit Gefäss die Ringschule u. s. w. Auch alles
Geräthe, wie z. B. Wagen, Tische u. dgl. ist bloss stenographisch an-
gedeutet, um den Blick für das Wesentliche frei zu halten.
Den höchsten künstlerischen Genuss gewähren in der Regel we-
niger die figurenreichen mythischen Compositionen, als vielmehr eine
Anzahl einzelner und oft wiederkehrender Figuren, welche eben
wegen ihres anerkannten Werthes immer von Neuem frei wiederholt
wurden. Der Beschauer wird sie in jeder bedeutendern Sammlung
bald herausfinden; wir wollen nur auf einiges Wenige aufmerksam
amachen, was sich z. B. bei einem Gang durch das Museum von Neapel
darbietet.
Aufgestützt sitzende Männer. — Tanzende Satyrn. — Jünglinge
der Ringschule, nackt oder in Mäntel gehüllt und aufgestützt. — Schwe-
bende geflügelte Genien. — Herrliche springende Bacchanten. — Ein
Sprechender, nackt, den einen Fuss auf einem Felsstück. — Sitzende
Frauen mit nacktem Oberleib ‚den einen Fuss hinter dem andern, oft von
grosser Schönheit. — Schwebende Siegesgöttinnen. — Verhüllte Tän-
zerinnen. — Mänaden. — Die Toilette einer Frau oder Braut, welche
sitzend den Schleier überzieht oder ablegt; unter den Dienerinnen,
welche Schmuck und Körbchen etc. bringen, bisweilen eine sehr schöne
[719]Wandmalereien. In Rom.
nackte in kauernder Stellung. — Eine Sprechende, bekleidet, gebückt
stehend, den einen Fuss auf einen Stein gestützt, mit der Rechten ge-
sticulirend. — Eine verhüllt sitzende trauernde Frau. — Schmausende
beider Geschlechter. — Die Pferde, ohne alle Genauigkeit, aber im-
mer voll Lebens; ein ruhigstehendes und ein dahersprengendes Vier-
gespann, in hunderten von Wiederholungen. — Ein trefflich bewegter,
schwebender Reiter.
Solche und andere einzelne Gedanken der griechischen Kunst,
welche diese anspruchlosen Denkmäler in Fülle gewähren, würden
allein schon genügen, um dem Geiste jenes Volkes eine ewige Be-
wunderung zu sichern.
Neben diesem Reichthum kann man nur mit Schmerzen Desjeni-
gen gedenken, was uns verloren ist. Von Polygnot und der alten
athenischen Schule, von Zeuxis, Parrhasios und den übrigen Joniern,
von Pausias und Euphranor, auch von dem grossen Apelles, ja von
hundert griechischen Malern, welche noch dem Plinius und Quinti-
lian bekannt waren, ist uns keine Linie, kein Pinselstrich, sondern der
blosse Name übrig. Vergebens bemüht man sich, aus Andeutungen der
Schriftsteller ein Bild der Style dieser Künstler herzustellen, und miss-
lich bleibt es immer, aus den vorhandenen pompejanischen und andern
Malereien Motive nach bestimmten alten Meistern herausrathen zu
wollen.
Im Allgemeinen aber ist so viel sicher, dass das Beste, was wir
von antiken Malereien besitzen, in der Erfindung weit vorzüglicher ist,
als insgemein in der Ausführung. Jene grossen alten Maler leben theil-
weise noch, nur anonym und schattenhaft in Copien fort; es rettete
sie jener Grundzug alles antiken Kunsttreibens: die Wiederholung des
anerkannt Trefflichen.
Diess gilt zunächst von denjenigen Überresten, welche zu Rom
in einem nach dem Garten hinausgebauten Gemach der vaticanischen
Bibliothek aufbewahrt werden. Sowohl die sog. aldobrandinische
Hochzeit — ein Werk, welches auch nach der Entdeckung Pom-
peji’s seinen hohen, ja einzigen Werth behält — als die fünf Bilder
mythischer Frauen deuten auf Originale der besten Zeit zurück.
[720]Antike Malerei. Pompejanisches.
a(Was sonst zu Rom in den Titusthermen, einzelnen Sammlungen, in
bden Columbarien der Via latina und der Villa Pamfili u. a. a. O. vor-
handen ist, erscheint theils sehr verdorben, theils von geringem Be-
lang. Was von antiken Malereien ausser Rom vorkömmt, ist meist
von Pompeji hergebracht.)
Bei weitem die wichtigsten Stätten für das Studium der antiken
Malerei sind die verschütteten Orte am Vesuv und das Museum
cvon Neapel. (Unteres Stockwerk, drei Säle links, mehr der anti-
ken Decoration, und zwei Säle und ein Vorraum rechts, mehr der
eigentlichen Malerei gewidmet, doch keineswegs ausschliesslich (Seite
58 u. ff.); die Aufstellung kläglich, die Besichtigung mühevoll.)
Aus einer frühern Periode der griechischen Malerei finden sich
dhier (Vorraum rechts) einige Wandmalereien, welche in unteritali-
schen Grabkammern gefunden worden sind, Reiter, Tänze von Frauen etc.
darstellend. Statt eines durchgeführten Colorites, einer plastischen Mo-
dellirung, herrscht noch die einfache, illuminirte Umrisszeichnung, diese
aber ist lebendig und zum Theil edel, dem Geist des ältern Griechen-
thums entsprechend. In der Behandlung des Profils erkennt man wie-
der die Art des griechischen Reliefs, welches den Oberleib so zu
wenden weiss, dass er sich in seiner ganzen Wohlgestalt zeigt. (Zu
vergleichen mit den treuen Nachbildungen etruskischer Gruftgemälde
efrühern und spätern Styles, im Museo etrusco des Vaticans.)
Die pompejanischen Malereien und Mosaiken dagegen zeigen
allerdings die antike Kunst gewissermassen auf einem Höhepunkte,
nur mit folgenden beiden Einschränkungen, die man wohl beachten
möge: es ist erstens die Malerei einer nicht bedeutenden Provincial-
stadt aus römischer Zeit; zweitens handelt es sich bloss um Wand-
decorationen, welche in der Ausführung nothwendig einem andern
Princip folgen als die Tafelbilder. Letztere waren gewiss in allem
was Illusion, Verkürzung, Beleuchtung, Reflexe etc. angeht, feiner
durchgebildet, wenigstens diejenigen aus der Blüthezeit. Die Mosai-
ken sind vollends in den Mitteln der Darstellung um so viel beschränk-
ter, als man damals nur mit Steinen, noch nicht mit Glaspasten ar-
beitete.
[721]Grössere Compositionen.
Den Vorrath im Ganzen betrachtet, wird man, wie gesagt, an-
nehmen können, dass das Beste durchgängig griechischen Originalen
nachgebildet sei, welche der Küntsler auswendig lernte und mehr oder
weniger frei reproducirte. Von Durchzeichnen und Schabloniren war
wohl keine Rede; wer das Einzelne so meisterlich keck hinzumalen
wusste, bedurfte auch für die ganze Gestalt der eigentlichen Krücken
nicht. Die Malereien von erweislich römischer Composition (z. B. die
Scenen des pompejanischen Stadtlebens, im Durchgang vom ersten ina
den zweiten der Säle rechts, und die beiden Isisfeste, zweiter Saal,b
Fensterwand) stehen, auch wenn die geringe Ausführung bloss zu-
fällig sein sollte, jedenfalls in der Erfindung tief unter dem Übrigen.
Nehmen wir die grössern Bilder mythologischen Inhaltes (be-
sonders im genannten zweiten Saal rechts) als massgebend an, so er-c
giebt sich für die Behandlung etwa Folgendes. Das Einzelne ist nir-
gends bis zur völligen Wirklichkeit durchgeführt, das Wesentliche
aber mit grosser Energie in Wenigem gegeben. Auch in den Köpfen
ist neben bedeutenden Zügen viel nur Allgemeines, was indess auf die
Rechnung des Ausführenden, auch wohl auf die seiner Technik kom-
men mag. Die letztere ist bekanntlich, was das Chemische betrifft, noch
ein Geheimniss; der Auftrag erscheint fast durchgängig sehr frei und
furchtlos. Der Raum richtet sich durchgängig nicht nach der äussern
Wirklichkeit, sondern nach dem höhern Bedürfniss der Composition; die
Angabe des architektonischen oder landschaftlichen Hintergrundes er-
hebt sich in der Regel nicht weit über eine blosse Andeutung (Iphi-
geniens Opfer, daselbst); die perspectivische Vertiefung wird willkür-
lich so gedacht, dass die entferntern Figuren wie auf einem erhöhten
Plan erscheinen (Erkennung Achill’s, daselbst). Das Licht fällt con-
sequent von einer Seite herein. Die künstliche Gruppenbildung der
neuern Malerei mit ihren Übergängen in den Formen und ihren Con-
trasten in den Lichtmassen fehlt noch völlig; vorwiegend macht sich
das Streben geltend, die Gestalten möglichst vollständig sprechen zu
lassen und desshalb auseinander zu halten. Figurenreiche Gruppen
aber, wo sie vorkommen, erscheinen hoch übereinander geschichtet
(der Dichter, welcher den Schauspielern sein Drama einlernt, daselbst).
Im Ganzen wird man in diesen und den übrigen grössern Composi-
tionen immer grosse Ungleichheiten finden. Es giebt einige, in wel-
B. Cicerone. 46
[722]Antike Malerei. Pompejanisches.
achen das Treffliche vorwiegt, so im I. Saal rechts: die Strafe der Dirce,
bzwei Göttinnen mit Eroten etc.; II. Saal, ausser den genannten: The-
seus als Retter der athenischen Kinder, der Musikunterricht des jungen
Satyrs, Medea, Bacchus und Ariadne, Perseus und Andromeda, Chi-
ron und Achill, Herakles mit dem Centauren, Achill und Briseis, Mars
und Venus etc. Allein neben dem Allerbesten, neben einzelnen Mo-
tiven, die nur von den Grössten geschaffen sein können, finden sich
auffallend schwache Füllgedanken. Man kann sich der Vermuthung
nicht erwehren, als habe man zusammengedrängte oder auch zerpflückte
Excerpte aus vorzüglichen Compositionen vor sich. — In Pompeji sind
cvon grossen Bildern noch an Ort und Stelle: Diana und Actäon (in
dder Casa di Atteone), die Vorbereitung eines Heros zum Bade (Casa
di Meleagro u. a. m.)
Von diesem Urtheil macht allerdings eine glänzende Ausnahme
die sog. Alexanderschlacht, das schönste Mosaik des Alterthums.
(Gefunden in der Casa del fauno zu Pompeji, jetzt am Boden der
eHalle der Flora im Museum zu Neapel.) Es stellt eine Schlacht von
Griechen oder Römern gegen Kelten vor. Ich habe nichts gegen den
überquellenden Enthusiasmus, womit neuerlich dieses Werk besprochen
wird, nur möge man es dann wenigstens richtig deuten und nicht z. B.
den Mann auf dem Wagen beharrlich für den Barbarenkönig halten,
während doch die ganze Composition sich auf den gestürzten und vom
Feind durchbohrten Reiter in königlichem Prachtcostüm bezieht. —
Der grösste Werth dieses in seiner Art einzigen Gemäldes besteht
nicht in einer tadellosen Zeichnung oder in der Ausdrucksweise des
Einzelnen, sondern in der ergreifenden Darstellung eines bedeutenden
Momentes mit möglichst geringen Mitteln. Durch die Wendung des
Wagens und der Pferde und durch einige sprechende Stellungen und
Geberden ist auf der rechten Seite ein Bild der Rathlosigkeit und Be-
stürzung gegeben, welches nicht deutlicher und nur in äusserlichem
Sinne vollständiger sein könnte. In den Siegern, soweit die linke
Seite erhalten ist, drückt sich das unaufhaltsame Vordringen mit der
grössten Gewissheit aus. Ob das Ganze für die Ausführung in Mo-
saik componirt oder eher einem Wandgemälde nachgebildet ist, bleibt
zu entscheiden.
[723]Genre. Kleinere mythologische Bilder.
Sonst möchten im Allgemeinen die meist kleinen Genrescenen
den Vorzug vor den heroischen und grössern haben. Pompeji hat
einige kostbare Prachtstücke geliefert, wie die beiden feinen Mosaiken
mit dem Künstlernamen Dioscorides, die beliebten Theaterproben dar-a
stellend (I. Saal links). Man wird denselben indess einige flüchtige
Malereien vorziehen müssen. Weniges möchte an stillem Zauber der
Gruppe von drei sich unterhaltenden Frauen (mit einer Säule und Ge-
büsch im Hintergrunde) gleichkommen (II. Saal rechts); auf dieserb
Bahn war Rafael, als er die zweite Reihe der Geschichten der Psy-
che entwarf. Von zaghafter Dilettantenhand scheinen einige rothbraune
Zeichnungen auf Marmorplatten (ebenda) herzurühren; darunter ver-
räth hauptsächlich das Genrebild der knöchelspielenden Mädchen ein
herrliches Original. Gegenüber wird man ein kleines, unscheinbares
Bildchen nur mit Mühe finden; es ist die so schön gedachte Scene:
„Wer kauft Liebesgötter?“ — Die schmausenden und ruhenden Lie-
bespaare (ebenda) weisen ebenfalls auf einen schönen griechischen
Gedanken zurück.
Auch mehrere unter den kleinern mythologischen Bildern, welche
die Mittelfelder an den Wänden gewöhnlicher pompejanischer Häuser
bildeten (und zum Theil noch an Ort und Stelle bilden) möchten bis-
weilen als harmonisches Ganzes einen besondern und abgeschlossenen
Werth haben. So das beste der Narcissbilder, auch das kleine mitc
Bacchus und Ariadne (I. Saal rechts); mehrere bacchische Scenen
(II. Saal rechts); Venus als Fischerin (mehrmals) u. s. w. Das ver-
dorbene Bildchen „Hylas und die Nymphen“ (Fensterwand des II. Saales
rechts) zeigt ein sehr glückliches Motiv. Einen Faun, der eine Nym-
phe bewältigt und auf den Rücken gelegt hat und sie küsst, nebst
einigen andern vorzüglichen Scenen, die nicht anstössiger sind als
Manches, was hier ausgestellt ist, wird man in den Abbildungen auf-
suchen müssen, wenn sie nicht etwa doch in unsichtbarem Dunkel
oben an irgend einer Wand hängen.
Den unmittelbarsten und ungestörtesten Eindruck griechischen
Geistes machen aber (nach meinem Gefühl) überhaupt nicht die voll-
ständigen Gemälde, sondern jene zahlreichen decorativ angewandten
einzelnen Figuren und Gruppen, welche theils auf einfarbigem
Grunde stehen, theils zur Belebung der gemalten Architektur (Seite
46*
[724]Antike Malerei. Pompejanisches.
60 ff.), der Capellchen, Pavillons, Balustraden u. s. w. dienen. Die
besten derselben können nur in der Zeit der höchsten griechischen
Kunstblüthe erfunden worden und dann Jahrhunderte hindurch von
Hand zu Hand gegangen sein, bis sie unter anderm auch in der kleinen
Stadt am Vesuv ihre Anwendung fanden. Die Maler lernten sie ohne
Zweifel am besten auswendig und reproducirten sie am unbefangen-
sten. Unsere jetzige Decoration macht einen so häufigen Gebrauch
davon, dass der Beschauer eine Menge alter Bekannter antrifft, viel-
leicht allerdings mit Erstaunen über das unscheinbare, anspruchlose
Ausschen und den kleinen Massstab der Originale.
Das Wichtigste findet sich in den genannten Sälen rechts.
aSchon der Vorraum enthält eine Anzahl tanzend schwebender Sa-
tyrn, in den Cassetten aus einem Gewölbe, sowie auch schöne
schwebende Genien oder Amorine. (Eine andere Reihe von Amori-
nen, mit den Attributen der Götter, sämmtlich wundervoll in runder
Einfassung componirt, habe ich vergebens überall gesucht und muss
bdaher auf die Abbildungen verweisen.) Im ersten Saal: (Wand links)
die Niobiden in Goldfarbe, je drei am Fuss weisser Dreifüsse auf
rothem Grund, unabhängig von den bekannten florentin. Statuen; —
(Eingangswand) ein kleines Fragment, die Halbfigur eines Flötenblä-
sers und seiner Gefährtin; — (Fensterwand) Tritone, Nereiden, Meer-
wunder etc.; — (Hinterwand) Victoria und ein Genius mit darüber
schwebenden Gottheiten, vielleicht von guter römischer Erfindung. —
In den Durchgängen zum II. Saal: Bacchus; — eine schöne Prie-
sterin mit Opfergeräth; — Demeter mit Scepter und Korb; — Jüng-
ling, der das Schwert und über sich den Schild hält; — ein Medu-
senhaupt auf gelbem Grund; — eine schwebende Gewandfigur mit
cOpferschale. — Im II. Saal: (Eingangswand) die berühmten sog.
Tänzerinnen, auf schwarzem Grunde; es sind schwebende Figuren
ohne weitere Beziehung, von hinreissender Schönheit der Geberde und
dem leichtesten Ausdruck des Schwebens in Stellung und Gewandung
zugleich; — der den Schreibgriffel an die Lippen Drückende, Halb-
figur in Rund (mehrmals vorhanden); — Zeus und Nike, auf rothem
Grunde; — (Wand links) Bacchanten, Silene etc. in runder Einfas-
sung; — sitzende Götterfiguren auf rothem Grunde; — (Hinterwand)
die herrlichen schwebenden Centauren auf schwarzem Grunde, worun-
[725]Einzelmotive. Veduten von Bauten.
ter die Centaurin, die mit dem jungen Satyr Cymbeln spielt, und der
gebundene Centaur, dem die wilde Bacchantin den Fuss in den Rücken
stemmt, letzteres Bild vielleicht einer der schönsten Gedanken aus
dem ganzen Alterthum; — die nicht minder berühmte Reihe tanzen-
der Satyrn, kleine Figürchen auf schwarzem Grunde; — (als Con-
trast mag die in der Nähe befindliche Sammlung von Amorinen römi-
scher Erfindung dienen, welche in allen möglichen prosaischen Ver-
richtungen, selbst als Schuhmacher dargestellt sind); — das sitzende
Mädchen mit aufgestütztem Kinn, auf schwarzem Grunde; — Jüng-
ling sitzend mit gekreuzten Füssen (eines der vorzüglichsten Motive und
mehrmals vorhanden); — Nereiden auf Seepferden und Seepanthern,
die selben fütternd; — schöne schwebende Bacchantin mit Thyrsus
und Schale, auf schwarzem Grunde; — (Fensterwand) das bessere
Exemplar der Medusa u. A. m. Die hier gegebene Auswahl soll nur
auf Einiges vom Besten aufmerksam machen; wer länger in diesen
Räumen verweilt, wird noch manches andere liebgewinnen. Man lege
sich nur immer die Frage vor: Liess sich die betreffende Figur über-
haupt schöner denken, deutlicher ausdrücken, anmuthiger stellen? —
und in der Regel wird man das Höchste erreicht finden, wenn auch
in flüchtiger Ausführung.
Einer besondern Aufmerksamkeit sind die landschaftlichen
und architektonischen Ansichten werth, deren eine grosse
Anzahl vorhanden ist, sowohl hier als in Pompeji selbst, wo man auch
noch erkennt, welche Stelle dieselben in der Wanddecoration einnah-
men (S. 60, 61, a). Die architektonischen gewähren ein schätzbares Ab-
bild nicht nur damaliger Bauten überhaupt, sondern ganz speciell der-
jenigen, welche der Küste von Cumä bis Sorrent zur Römerzeit ihren
Charakter verliehen; allerdings in phantastischer Steigerung, sodass
wir nicht bloss das wirklich Vorhandene, sondern auch das, was man
gern gebaut hätte, dargestellt sehen. Die in das Meer hinausragen-
den Villen, die prächtigsten Landhäuser mit Hallen umgeben, auch
Tempel und Paläste, namentlich aber die schmuckreichsten Hafenbau-
ten breiten sich unter uns mit hoch angenommener Perspective voll-
ständig aus. Diese Ansichten haben den Ausdruck baulichen Reich-
thums zum wesentlichen Gehalt.
[726]Antike Malerei. Pompejanische Landschaften.
Anders verhält es sich mit den Landschaften. Auch sie vereinigen
viele Gegenstände mit hoch genommener Perspective unter einem
hohen Horizont und geben von dem Liniensystem der modernen Land-
schaft noch keine Ahnung. Manche sind nichts als bunte Zusammen-
stellungen wohlgefälliger oder auffallender Gegenstände: Kapellchen,
Lusthäuschen, Teiche mit Hallen, Denkmäler mit Trophäen, Hermen,
halbrunde Mauern, Brücken u. s. w. auf ländlich unebenem Grunde
mit Bäumen untermischt; die Darstellungen von Gärten mit symme-
trischen Lauben und Fontainen gehören sogar wesentlich noch in das
Gebiet der Architekturbilder. In den bessern Landschaften dagegen
ist ganz offenbar ein idyllischer Charakter, eine eigenthümliche Stim-
mung erstrebt, die nur einstweilen der mächtigern Mittel entbehrt sich
auszusprechen. Um ein kleines einsames Heiligthum der Nymphen
oder der paphischen Göttin sieht man Hirten und Heerden, oder ein
ländliches Opfer, von Ölbäumen überschattet; auch Gestalten des grie-
chischen Mythus beleben bisweilen die Felslandschaft. (Dieser letztern
Art sind u. a. die Scenen aus der Odyssee, welche vor einigen Jah-
aren in Rom gefunden wurden und von denen zwei im Museo capito-
lino, erstes unteres Zimmer, aufgestellt sind.) Der Eindruck ist dem-
jenigen analog, welchen die bukolischen Dichter hinterlassen, und es
wäre nicht undenkbar, dass von ihnen auch der Maler sich anre-
gen liess.
Die Dienstbarkeit dieser ganzen Gattung unter den sonstigen de-
corativen Zwecken spricht sich u. a. oft in der Unterordnung unter
eine bestimmte Wandfarbe aus. Manche Landschaften sind nämlich
braun in braun, grün in grün, auch wohl zu keckem Contrast grün-
weisslich auf rother Wand gemalt. — Von einer eingehenden Cha-
rakteristik des landschaftlichen Details, etwa des Baumschlags, ist
noch nicht die Rede; nur der Ölbaum behauptet seiner auffallenden
Bildung wegen ein gewisses Vorrecht. — Auch wo Guirlanden und
Buschwerk als Bestandtheil von Decorationen vorkommen, ist bei einer
energischen Wirkung doch nur das Nothwendigste von der besondern
Gestalt des Laubes angedeutet.
[727]Malerei des Mittelalters. Catacombenbilder.
Die Geschichte der christlichen Malerei beginnt mit den Gemälden
der Catacomben, welche theilweise bis ins III. Jahrhundert hinauf-
reichen. Allein bei der gegenwärtigen Lage der Sachen findet man
sich wesentlich auf zum Theil alte und sehr freie Abbildungen be-
schränkt, wenn man sich den Gesammtcharakter dieser Gattung klar
machen will. Vieles ist nämlich durch den Zutritt der Luft und des
Fackeldampfes erloschen und unsichtbar geworden und existirt nur
in den Sammelwerken fort; Anderes ist überhaupt nicht mehr zu-
gänglich (durch Vermauerung) oder nur mit Schwierigkeiten. In dem
einzigen Arme der Catacomben Roms, welcher Jedermann gezeigta
wird (mit dem Eingang in S. Sebastiano) sind kaum noch einige
dürftige Reste von Arabesken zu erkennen; diejenigen bei S. Agnese,b
welche in den letzten Jahren eine wichtige Ausbeute sollen geliefert
haben, werden nur auf besondere Verwendung geöffnet. Zu einigem
Ersatz dienen die ganz anders angelegten grossen unterirdischenc
Räume bei S. Gennaro de’ Poveri in Neapel; hier sieht man noch
beträchtliche Überreste von altchristlichen und auch heidnischen Ma-
lereien und Arabesken, doch nichts von derjenigen künstlerischen und
religionsgeschichtlichen Bedeutung, welche einzelnen nicht mehr sicht-
baren Catacombenbildern Roms innewohnte. Zudem überwiegt in
Neapel nicht das Altchristliche, sondern die (schon byzantisirenden)
Heiligenfiguren etwa vom VII. Jahrh. abwärts.
Auf den Styl von Kunstwerken, deren Besseres der Reisende nur
im seltensten Fall zu Gesicht bekömmt, dürfen wir uns hier natürlich
nicht einlassen. Genug, dass derselbe in Figuren und Arabesken eine
mehr und mehr ins Starre und Formlose gehende Ausartung des an-
[728]Malerei des Mittelalters. Mosaiken.
tiken Styles ist. Die Auffassung und Wahl der Gegenstände ist aller-
dings hochwichtig und charakteristisch für das ganze frühere Ver-
hältniss des Christenthums zur Kunst; einen nicht geringen Ersatz
bieten namentlich die altchristlichen Sarcophage (S. 554), obschon sie
anicht denselben Ideenkreis darstellen; auch die figurirten Böden von
Trinkgläsern (bes. im Museo Cristiano des Vaticans) mögen das Bild
der ältesten christlichen Kunstübung vervollständigen helfen.
Eine fast ununterbrochene, documentirte Reihe von christlichen
Malereien gewähren jedenfalls erst die Mosaiken der Kirchen. Wir
müssen die Voraussetzungen, unter welchen sie zu betrachten sind,
kurz erörtern.
Die Kunst ist hier auf jede Weise gebundener als je seither.
Nicht bloss ein kirchlicher Luxus, sondern die stärkste Absicht auf
monumentale Wirkung und ewige Dauer nöthigt sie, in einem Ma-
terial zu arbeiten, welches jede Theilnahme des Künstlers an der
Ausführung vollkommen ausschliesst und denselben auf die Fertigung
des Cartons und auf die Wahl der farbigen Glaspasten beschränkt.
Sodann verlangt und gestattet die kirchliche Aufgabe hier streng nur
soviel als zum kirchlichen Zwecke dient, dieses aber soll in der im-
posantesten Gestalt ans Licht treten; nur der Gegenstand herrscht,
ohne räumliche Umgebung ausser was durchaus zur Verdeutlichung
unentbehrlich ist; ohne den Reiz der sinnlichen Schönheit, denn die
Kirche wirkt mit einem ganz andern Ausdruck auf die Phantasie;
ohne Rücksicht auf die künstlerischen Gesetze des Contrastes in Be-
wegungen, Formen und Farben u. s. w., denn die Kirche hat ein
ganz anderes Gefühl der Harmonie in Bereitschaft als das, welches
aus schönen formellen Contrasten hervorgeht. Ja der Künstler darf
nicht mehr erfinden; er hat nur zu redigiren, was die Kirche für ihn
erfunden hat. Eine Zeitlang behauptet die Kunst hiebei noch einen
Rest der vom Alterthum her ererbten Freudigkeit und schafft inner-
halb der strengen Beschränkungen noch einzelnes Grosse und Le-
bendige. Allein allmälig dankt man ihr es nicht mehr und sie zieht
sich endlich in die mechanische Wiederholung zurück.
Diese Wiederholung eines Auswendiggelernten ist dann der durch-
gehende Charakter des sog. byzantinischen Styles. In Constan-
[729]Mosaiken. Der byzantinische Styl.
tinopel nämlich, wo sich mit der Zeit die meiste und prachtvollste
Kunstübung der christlichen Welt concentrirte, bildete sich etwa seit
Justinian eine gewisse Anordnung der darzustellenden Scenen, eine
bestimmte Bildung der einzelnen Gestalten nach Bedeutung und Rang,
eine ganz besondere Behandlung alles Einzelnen zum System aus.
Dieses System lernte dann Jeder auswendig soweit seine angeborene
Fertigkeit es gestattete, und reproducirte es, meist ohne der Natur
auch nur einen Blick zu gönnen. Daher findet man z. B. so viele
fast identische Madonnen dieses Styles; daher gleichen sich die ver-
schiedenen Darstellungen derselben Scene fast ganz, und die einzelnen
heiligen Gestalten desselben Inhaltes durchaus. — Es ist ein Räthsel
um dieses fast gänzliche Ersterben der Subjectivität 1), zu Gunsten
eines bis in alles Detail durchgeführten gleichartigen Typus, und
man muss schon die Kunst alter, stillestehender Culturvölker (der
Ägypter, Chinesen etc.) zur Vergleichung herbeiziehen, um zu be-
greifen, wie das ganze Gebiet der Form einem durchgehenden ge-
heiligten Recht unterthan werden konnte. — Die Grundlage des by-
zantinischen Systems bilden allerdings antike Reminiscenzen, aber in
kaum mehr kenntlicher Erstarrung. Der Ausdruck der Heiligkeit
wird durchgehends in der Morosität gesucht, da der Kunst der Weg
abgeschnitten ist, durch freie Hoheit der Form den Gedanken an das
Überirdische zu wecken; selbst die Madonna wird mürrisch, obschon
die kleinen Lippen und die schmale Nase einen gewissen Anspruch
auf Lieblichkeit zu machen scheinen; in männlichen Köpfen tritt oft
noch eine ganz fatale Tücke hinzu. Die Gewandung, in einer be-
stimmten Anzahl von Motiven gehandhabt, hat eine bestimmte Art
feiner, starrer Falten und Brüche; wo der Typus es verlangt, ist sie
nichts als eine Fläche von Ornamenten, Gold und Juwelen; sonst
dient das Gold in Tafelbildern durchgängig und in Mosaiken oft zur
Darstellung der aufgehöhten Lichter. Die Bewegungen und Stellungen
werden immer todter und haben bereits in Arbeiten des XI. Jahrh.,
[730]Malerei des Mittelalters. Mosaiken.
awie die ältern Mosaiken von S. Marco, kaum noch einen flüchtigen
Anschein von Leben.
Dieses Formensystem gewann nun einen grossen Einfluss auch
in Italien. Nicht nur waren viele und wichtige Gegenden und Städte,
worunter z. B. Rom, das ganze erste Jahrtausend hindurch in einer
wenigstens halben und scheinbaren Abhängigkeit vom griechischen
Kaiserreich geblieben, sondern die byzantinische Kunst hatte bestimmte
Eigenschaften, die ihr zeitweise die Herrschaft über die ganze italie-
nische sicherten. Schon die kirchliche Empfindungsart war eine ähn-
liche hier wie dort; erst um die Mitte des XI. Jahrh. entschied sich
der kirchliche Bruch zwischen Rom und Byzanz für immer. Somit
war zunächst kein wesentliches Hinderniss vorhanden. Dann musste
das gestörte und verarmte italienische Culturleben von dem (wenig-
stens in der Hauptstadt) ungestörten byzantinischen überflügelt werden,
auch wenn letzteres nur die Tradition der künstlerischen Technik vor-
ausgehabt hätte. Diese aber war in jener Zeit ein entscheidendes
Element; die Kirche, die nur durch Prachtstoffe und möglichst reiche
Behandlung derselben wirken zu können glaubte, fand ihre Rechnung
besser bei den aus Constantinopel kommenden Künstlern und Kunst-
werken, deren Art und Bedingungen man kannte, als bei den ein-
heimischen. Und so ist vom VII. bis zum XIII. Jahrh. der italienische
Maler entweder seiner eigenen Verwilderung bei kleinern Aufgaben
überlassen, oder er hilft den Byzantinern bei der Ausführung dessen
was sie vorschreiben. In einzelnen Städten, wie Venedig, siedeln
sich ganze Colonien von Griechen um eine Kirche herum als Mosai-
cisten an, selbst für ein Jahrhundert und drüber. Es war ein er-
habener Augenblick im italienischen Leben, als man sie verabschiedete,
weil wieder eine einheimische Formenbildung erwacht war, weil man
das Heilige wieder aus eigenen Kräften zu gestalten vermochte. Zer-
streute byzantinische Einflüsse hielten sich indess noch lange (in Ve-
nedig, Unteritalien etc.) und sind noch zur Stunde nicht gänzlich aus-
gestorben, weil die byzant. Stylisirung sich mit den heiligen Typen
im Volksbewusstsein zu eng verschwistert hatte.
Die italienischen Mosaiken zerfallen in zwei ziemlich scharf ge-
schiedene Classen: die altchristlichen, bis zum VII. Jahrh., in welchen
noch die antike Auffassung, mehr oder weniger absterbend, zu erken-
[731]Altchristliche Mosaiken.
nen ist, — und die unter dem Einfluss der Byzantiner vom VII. Jahrh.
an entstandenen. Dieser Einfluss ist mehr oder weniger mächtig; es
herrscht ein grosser Unterschied zwischen dem was herübergekom-
mene Griechen in Person gearbeitet haben, und dem was ihnen etwa
obenhin nachgemacht wird, aber Jahrhunderte hindurch erscheint keine
einzige Figur der Kirchenmosaiken von dem byzantinischen Styl gänz-
lich unberührt.
Die altchristlichen haben einen zwiefachen hohen historischen
Werth. Sie zeigen, wie sich die biblischen Gestalten, hauptsächlich des
neuen Testamentes in den Gedanken jener Zeit spiegelten. Bei dem
Typus Christi mag eine alte Tradition mitgewirkt haben, doch nicht so
bestimmend wie man wohl annimmt. Die Tracht Christi, seiner An-
gehörigen und Apostel ist eine ideale, im Ganzen aus der römischen
Kunst übernommene. Die übrigen Personen werden durch eine oft
prächtige Standestracht charakterisirt. In den Köpfen war ohne Zwei-
fel ein Ideal beabsichtigt (wenn auch kein sinnlich schönes), allein
die physische Durchschnittsbildung war so sehr gesunken, dass fast
lauter eigenthümlich hässliche Gesichter zu Stande kamen. — Zweitens
schafft hier (weniger die Kunst als) die Kirche ein System religiöser
Ausdrucksweisen und Gedankenreihen, welche ein geschichtliches Denk-
mal ersten Ranges ausmachen. Und zwar ist es meist die Ecclesia
triumphans, welche sich ausspricht; nicht das Erdenwallen Christi und
der Heiligen, sondern ihre apocalyptische Verherrlichung ist das Haupt-
thema. Raumlos, im Unendlichen, daher auf blauem Grunde, häufiger
(und später durchgängig) auf Goldgrund existiren diese Gestalten; der
ihnen beigegebene Erdboden ist entweder eine schlichte Fläche oder
durch Blumen, durch Zugabe des Jordanflusses, der Paradiesesströme
etc. symbolisch geschmückt. Die Bewegungen sind mässig und feier-
lich; es ist mehr ein Sein als ein Thun. — Um den Gedankenkreis
zu würdigen, der sich hier entwickelt, muss man die Anschauung jener
Zeit entweder theilen oder sich hineinversetzen. Die einfache Gegen-
überstellung z. B. von Propheten und Aposteln gilt hier schon als
Parallele von Verheissung und Erfüllung; eine einfache schreitende
Bewegung, ein Kniebeugen genügt als Symbol der Huldigung; das
[732]Malerei des Mittelalters. Mosaiken des V. Jahrh.
Aufheben der Arme bedeutet Reden, Beten und Machtäusserung, je
nach den Umständen; der Geist des Jahrtausends kömmt Allem so
sehr entgegen, dass er die äusserlichste Andeutung an vollwichtige
Zahlung nimmt und ihr bereitwillig nachdichtet, ohne irgend einen
physiognomischen Ausdruck des Augenblickes, irgend eine äussere
Verdeutlichung zu verlangen. Die Kunst ist, wie wir oben sagten,
nie gebundener gewesen; die Zeitgenossen haben ihr aber auch nie
so viel zu- und vorgegeben.
Es würde sehr weit führen, wenn wir diesen Bilderkreis hier
schildern wollten; für die römischen Mosaiken giebt Platners Be-
schreibung Roms den Inhalt genau; die ravennatischen haben aller-
dings Vieles, das in Rom nicht vorkommt, doch kann man auch hier
den Inhalt errathen. — Unsere Aufzählung umfasst nur die bedeu-
tendern Arbeiten.
Nächst den Mosaiken von S. Costanza bei Rom, aus constan-
tinischer Zeit, welche oben (S. 65, a) noch bei Anlass der antiken
aOrnamentik genannt wurden, sind diejenigen des orthodoxen Bapti-
steriums in Ravenna das frühste Hauptwerk (vor 430), ja das
einzige in welchem noch die volle decorative Pracht (Einfassungen,
Zierfiguren, Abwechselung von Stuccorelief und Mosaik) spätrömischer
Arbeiten sich mit einer noch immer bedeutenden und belebten Zeich-
nung verbindet; zugleich eines der prachtvollsten Farben-Ensemble’s
der ganzen Kunst.
Die biblischen Geschichten, welche in S. Maria maggiore zu
Rom an den Obermauern des Mittelschiffes und am Triumphbogen
(S. 74) angebracht sind (vor 450, manche stark umgearbeitet oder
ganz modern), können als Specimen der damals üblichen Bilderbibel
gelten.
In der Grabcapelle der Galla Placidia zu Ravenna sind die herr-
lichen farbigen Ornamente auf dunkelblauem Grunde bedeutender als
das Figürliche. (Gegen 450.)
Aus derselben Zeit (432—440?) stammt das schon oben (S. 89, a)
erwähnte Mosaikornament in der Vorhalle des lateranensischen Bapti-
steriums.
Unter Leo dem Grossen (440—462) entstanden die vordern Mo-
saiken des Triumphbogens in S. Paul bei Rom, welche wahrschein-
[733]Mosaiken des VI. Jahrhunderts.
lich gegenwärtig (aus Fragmenten und Abbildungen restaurirt) wieder
enthüllt sein werden. Sie sind das frühste erweisliche Prototyp jener
in der Folge üblich gewordenen Darstellung der 24 Ältesten (aus der
Apocalypse); auch das riesige Brustbild Christi in der Mitte war eines
der wichtigsten der altchristlichen Kunst. Die Mosaiken der Tribunaa
scheinen im XIII. Jahrh. nach einem Vorbilde des V. Jahrh. gear-
beitet; sie enthalten wie fast alle Tribunenmosaiken, den thronenden
Christus mit mehrern Heiligen, worunter der Kirchenheilige, auch
wohl die Stifter. Anderswo wird Christus auch auf einem Hügel oder
auf Wolken stehend (nicht nach neuerer Art schwebend) dargestellt.
Letzteres z. B. in dem schönsten Mosaik Roms, demjenigen vonb
SS. Cosma e Damiano am Forum (526—530). Stark restaurirt,
zumal in der Partie links, gewährt dieses grandiose Werk in bereits
etwas erstarrenden Formen den Eindruck einer der letzten freien In-
spirationen altchristlicher Kunst. Die Ausführung ist noch glänzend
und sorgfältig.
In Ravenna sind die Mosaiken des Baptisteriums der Arianerc
(oder S. Maria in Cosmedin, um 550?) eine blosse Nachahmung des
Kuppelbildes im andern Baptisterium. — Aus derselben Zeit (gegen
547) stammen diejenigen der Chornische in S. Vitale, welche u. a.d
die glänzenden Ceremonienbilder mit dem Kirchgang Justinians und
Theodora’s enthalten; Werke deren sachliche Merkwürdigkeit den
Kunstgehalt weit übertrifft; an den Wänden zunächst davor die blu-
tigen und unblutigen Opfer des alten Bundes (Abels Opfer, Abrahams
Bewirthung der drei Männer, Isaaks Opfer, Melchisedeks Empfang);
Geschichten des Moses; Propheten. — An Masse das bedeutendste
Mosaikwerk des italischen Festlandes mit Ausnahme der Marcuskirche:
die beiden grossen Friese mit Processionen von Heiligen in S. Apol-e
linare nuovo, an den Obermauern des Mittelschiffes (553—566).
Von den Städten Ravenna und Classis (der alten Hafenstadt Raven-
na’s), aus welchen sie hervorschreiten, ist die erstere repräsentirt
durch jene hochmerkwürdige Darstellung des damaligen, jetzt bis auf
einen geringen Rest (S. 56, *; 92, d) verschwundenen Palastes der
ostgothischen Könige. — Wahrscheinlich noch aus dem VI. Jahrh.:f
die Mosaiken der Capelle des erzbischöflichen Palastes.
[734]Malerei des Mittelalters. Mosaiken des VI. und VII. Jahrh.
Im Dom von Triest enthält die Seitentribune links unten im
Halbrund ein paar gute Apostelfiguren in der Art der eben genann-
ten. (Die Madonna in der Halbkuppel und die sämmtlichen Mosaiken
der Seitentribune rechts gehören schon dem vorgerückten byzantini-
schen Styl an.)
In Mailand enthält die Cap. S. Aquilino, ein achteckiger Anbau
von S. Lorenzo, zwei Nischen-Halbkuppeln mit Mosaiken, welche
Christus zwischen den Aposteln und die auf Abrahams Opfer warten-
den Hirten (?) vorstellen, leidliche Werke des VI. oder noch des
V. Jahrh.
Streitig ist der Ursprung des Mosaiks in S. Pudenziana zu Rom,
welches in unbekannter Zeit nach einem Original etwa des IV. Jahrh.
gearbeitet sein muss und noch in seiner starken Überarbeitung immer-
hin eine Composition der constantinischen Zeit repräsentiren mag. —
dDie Tribuna in S. Teodoro zu Rom (VII. Jahrh.) zeigt eine theilweise
Wiederholung des Mosaiks von SS. Cosma e Damiano. — Die Mo-
esaiken in der hintern Kirche von S. Lorenzo fuori (578—590), über
dem Triumphbogen, sind in jüngster Zeit so viel als neu gemacht
worden.
Der Übergang in das Byzantinische war begreiflicher Weise ein
allmäliger; das Erstarren in den bisherigen Typen war eben der By-
zantinismus.
In Ravenna bezeichnet diesen Übergang das grosse, sachlich sehr
fmerkwürdige Mosaik der Tribuna von S. Apollinare in Classe
(671—677); ausser der Wiederholung der alttestamentlichen Opfer
(aus S. Vitale) findet sich auch hier ein kaiserliches Ceremonienbild.
Die Bogenfüllungen über den Säulen des Mittelschiffes sind mit der
vollständigsten Sammlung altchristlicher Embleme, theils in altem Mo-
saik, theils in moderner Copie (?) geschmückt; die Reihe von Bild-
nissen der Erzbischöfe, welche als Fries darüber hingehen, ist fast das
einzige (wenigstens in Copie erhaltene) Beispiel jener Porträtfolgen
frühmittelalterlicher Kirchen 1).
[735]Mosaiken des VII. bis IX. Jahrhunderts.
In Rom gehören hieher die Tribunenmosaiken in S. Agnese fuoria
(625—638), und in einer der Nebencapellen des lateranischen Bapti-
steriums, dem sog. Oratorio di S. Venanzio (640—642). Letztere Ar-b
beit zeigt schon deutlich, dass der letzte Gluthfunke von Freiheit, von
Theilnahme und Freude des Künstlers am eigenen Werk erloschen
ist. Kein Wunder, dass derselbe bereits das nicht mehr versteht,
was er wiederholt. — Einzelne kleinere Reste: in der kleinen Tribunac
von S. Stefano rotondo (642—649); — auf einem der Altäre links in
S. Pietro in Vincoli (S. Sebastian als Votivbild der Pest von 680,d
hier noch bekleidet und als Greis gebildet) u. a. m.
Ein letztes, obwohl erfolgloses Aufraffen gegen den Byzantinis-
mus kann man etwa in den (stark restaurirten) Chormosaiken von S.e
Ambrogio in Mailand (832) anerkennen, obwohl auch hier die
Inschriften zum Theil griechisch sind. Die Gesichtszüge sind schon
in rohen Umrissen, die Gewänder in einem schroffen Changeant (von
weiss, grün und roth) gegeben, die Vertheilung der an Grösse sehr
ungleichen Gestalten im Raum schon ganz ungeschickt, und doch ist
noch viel mehr Leben darin, als in den gleichzeitigen römischen
Arbeiten 1).
Diese versinken nämlich, vom Beginn des IX. Jahrh. an, in eine
ganz barbarische Rohheit, welche kulturgeschichtlich nicht ganz leicht
zu erklären ist; die byzantinische Kunst nämlich, deren Auffassungs-
weise hier vollkommen durchgedrungen erscheint, tritt uns sonst über-
all mit einer viel zierlicheren Ausführung entgegen als gerade hier.
Das sachlich merkwürdigste dieser Mosaiken, dasjenige aus dem
Triclinium Leo’s III (um 800), ist bei seiner Übertragung an die Ca-f
[736]Malerei des Mittelalters. Mosaiken des IX. Jahrh.
pelle Sancta Sanctorum (oder Scala sancta) einer ganz neuen,
wenn auch genau dem alten Zustand nachgeahmten Zusammensetzung
unterlegen. (Die beiden Belehnungen zu den Seiten der Halbkuppel:
Christus giebt dem heil. Sylvester die Schlüssel, dem grossen Con-
stantin eine Fahne; S. Petrus giebt Leo III eine Stola, Carl dem Gr.
eine Fahne; die Porträts der letztern haben noch einen Schimmer von
Authenticität, sind aber übel gerathen.) — In den nächsten Pontificaten
wird von Mosaik zu Mosaik die Arbeit roher und lebloser bis zu un-
glaublicher Missgestalt. — Man findet sie in und über den Tribunen
avon SS. Nereo ed Achilleo, — S. Maria della navicella (817—824),
b— S. Cecilia, — und S. Prassede; die drei letztern Bauten aus der
Zeit Paschalis I (817—824); S. Prassede hat auch noch den mosai-
cirten Triumphbogen mit der merkwürdigen Darstellung des himmli-
schen Jerusalems und die kleine Capelle (rechts) „orto del paradiso“,
deren Inneres völlig mosaicirt ist. — Schon reine Caricaturen: in der
cHalbkuppel der Tribuna von S. Marco (827—844). — (Das Mosaik
din S. Francesca romana, angeblich 858—867, würde eher ins XI. oder
XII. Jahrh. passen.)
In Venedig, wo ein stärkerer Verkehr mit Byzanz und ein
grösserer Reichthum herrschte als im damaligen Rom, offenbart auch
die Mosaikarbeit nicht bloss die Auffassung, sondern auch die zier-
eliche und saubere Ausführung der Byzantiner. Die Marcuskirche
mit ihren mindestens 40,000 Quadratfuss Mosaiken ist bei Weitem das
reichste occidentalische Denkmal dieser Gattung.
Sachlich merkwürdig: die stehend gewordenen, rituellen Darstel-
lungen der heiligen Geschichte im byzantinischen Sinn (hauptsächlich
an den Tonnengewölben und mehrern Wandflächen des Innern); —
die Sammlung von zahlreichen einzelnen byzantinischen Heiligen
(hauptsächlich an den Pfeilern und in den Bogenleibungen); — die
legendarische Erzählungsweise (in der Cap. Zeno, mit der Geschichte
des Marcus, und in einer der fünf halbrunden Wandnischen der Fas-
sade, mit der Geschichte der Leiche desselben; hier u. a. die S. 115
erwähnte Abbildung der Kirche; eine andere Geschichte des heil.
Leichnams im rechten Querschiff, Wand rechts); — die Taufen der
Apostel und die nach besondern Geschäften charakterisirten Engel
verschiedenen Ranges (Flachkuppeln der Taufcapelle); — endlich in
[737]Mosaiken von S. Marco.
den Hauptkuppeln der Kirche: das Pfingstfest, wobei die Anwesenden
der fremden Nationen nach Tracht und Aussehen charakterisirt sind
(vordere Kuppel); — Christus mit vier Erzengeln, umgeben von Ma-
ria und den Aposteln, ringsum die einzige vollständige Mosaikreihe
christlicher Tugenden (mittlere Kuppel); — die Wunder der Apostel
etc. (Kuppel links).
Dem Styl nach sind es Arbeiten sehr verschiedener Zeit; der Über-
sicht zu Gefallen mögen sie hier, wie oben S. 579 ff. die Sculpturen
im Zusammenhang genannt werden. Den streng byzantinischen völliga
erstorbenen Styl repräsentiren die Mosaiken der sämmtlichen Kuppeln
(XI. und XII. Jahrh.) mit Ausnahme derjenigen rechts; als das äl-
teste, noch dem X. Jahrh. angehörende Stück gilt der Christus zwi-
schen Maria und Johannes, innen über der innern Thür. — Einen
wieder etwas gemilderten und belebten byzantinischen Styl zeigen mit
zierlichster Ausführung verbunden: die erwähnten Mosaiken der Cap.
Zeno, auch jene eine Wandnische der Fassade, u. m. a. Theile. —
Bedeutungsvoller Gegensatz hiezu: die Mosaiken der Vorhalle, so-b
wohl vor den drei Thüren als auf der linken Seite der Kirche, wichtige
Werke des abendländisch-romanischen Styles etwa aus dem XIII. Jahrh.
(mit Ausnahme einiger offenbar moderner Zuthaten), die Geschichten
von der Weltschöpfung bis auf Moses, in ganz naiv-lebendiger Er-
zählung. — Wiederum mehr byzantinisch, obwohl erst vom Ende des
XIII. und aus dem XIV. Jahrh.: die genannten u. a. Mosaiken der
Taufcapelle. — Ungeschickt giottesk: diejenigen der Capella S. Isi-c
doro beim linken Querschiff (um 1350). — Um 1430 diejenigen in der
Capella de’ mascoli, von Michiel Giambono, d. h. doch wohl nurd
die linke Hälfte des Tonnengewölbes; die rechte verräth eine viel
vorzüglichere (vielleicht nicht-venezianische) Hand vom Ende des XV.
Jahrh. — Durch die ganze Kirche zerstreut: Compositionen der Vi-e
varini, des Tizian, auch viel Späterer. (Die Kuppel rechts; das Pa-
radies am vordern Tonnengewölbe; die meisten Halbrunde der Fassade
etc.) — Ein geistiges Ganzes, mit strengen Bezügen, mit poetisch-
dogmatischer Entwicklung bieten diese Mosaiken nicht dar, auch wenn
man nur die ältesten zusammennimmt. Selbst die Umgebung des Hoch-
altars hat von jenem System alttestamentlicher Beziehungen auf das
B. Cicerone. 47
[738]Malerei des Mittelalters. Byzantinischer Styl.
Messopfer, die wir im Chor von S. Vitale fanden, nur das Opfer
Kains und Abels aufzuweisen.
Von der ganz byzantinischen, ja hauptsächlich von Griechen geüb-
ten Mosaikmalerei des Normannenreiches kenne ich auf dem italischen
aFestland ausser einigen unbedeutenden Einzelfiguren nur die Mosaiken
der einen Seitentribuna im Dom von Salerno (nach 1080); S. Marcus
mit vier Heiligen. Bei weitem massenhafter tritt dieser Kunstzweig
in den Kirchen Palermo’s und der Umgegend, hauptsächlich im Dom
von Monreale auf.
Alles in Allem genommen geben gerade diese sorgfältigen spät-
byzantinischen Mosaiken Venedigs und Unteritaliens ein merkwürdiges
Zeugniss für diejenigen Bedingungen, welche die Kirche Gregors VII
an die Kunst stellte. Die Körperlichkeit Christi und der Heiligen ist
zur blossen Andeutung eingeschrumpft, aber diese Andeutung wird
mit dem grössten Aufwand des Stoffes und mit der emsigsten Sauber-
keit zur Darstellung gebracht. Es soll dem Heiligen die möglichste
Ehre geschehen; ihm aber Persönlichkeit oder gar Schönheit zu geben
wäre überflüssig, da es auch ohne dieses stark genug auf die An-
dacht wirkt.
Wahrhaft unzählig sind noch jetzt in Italien die Tafelbilder
byzantinischen Styles, hauptsächlich die Madonnen. Die wenigsten
freilich stammen aus dem ersten Jahrtausend; weit das Meiste sind
Copien nach besonders wunderkräftigen Madonnenbildern und theils
erst gegen Ende des Mittelalters, theils auch in ganz neuer Zeit ver-
fertigt; ausserdem ist zu erwägen, dass es noch hin und wieder grie-
chische Gemeinden in Italien giebt, bei welchen die byzantinische
Darstellungsweise rituell geblieben ist. — Die eigenthümlichen Lack-
farben, die grünen Fleischschatten, das aufgehöhte Gold der Schraf-
firungen machen diese Malereien sehr kenntlich. Ich weiss nicht näher
anzugeben, ob man im Typus der Madonna verschiedene Abarten un-
terscheidet; schwerlich wird man denselben auf so alte Grundlagen
zurückführen können, wie diess beim Christustypus gelungen ist. Die
sog. schwarze Mutter Gottes ist kein eigener Typus, sondern aus miss-
verstandener Wiederholung altersgebräunter Madonnen entsprungen.
[739]Tafelbilder. Email. Stickerei.
Das Bild in S. Maria maggiore (Cap. Pauls V) war einst (IX. Jahrh.a
gewiss hell gemalt; neuere Copien aber, zumal wenn sie noch von
sich aus nachdunkeln, werden die Vorstellung der tiefsten braunen
Hautfarbe erwecken.
Einige besonders instructive byzantinische Tafelbilder finden sich
in der Gemäldesammlung beim Museo cristiano des Vaticans, welcheb
von dem verstorbenen Msgr. Laureani angelegt worden ist und ausser-
dem eine grosse Menge zum Theil werthvoller kleiner Bilder aus
Giotto’s Schule und aus dem Anfang des XV. Jahrh. enthält. Da
Rom gerade für diese Perioden nur wenig Monumentales aufzuweisen
hat, so nimmt man eine solche Ergänzung gerne an. — Daselbst u. a.
der Tod des heil. Ephrem, im XI. Jahrh. gemalt von dem Griechen
Emanuel Tzanfurnari. — Viele byzant. Tafelbilder auch im Museum vonc
Neapel.
Schliesslich sind noch zwei Kunstwerke zu nennen, von welchen
das eine gewiss, das andere wahrscheinlich in Constantinopel selbst
gefertigt wurde. Die Altartafel (Pala d’oro, S. 556, b) im Schatzd
von S. Marco 1) zu Venedig (bestellt 976?) zeigt auf ihren seit dem
XIV. Jahrh. neu zusammengesetzten Goldplättchen eine ziemliche
Anzahl Figuren und ganze Scenen in Email; der Styl ist ungefähr
derselbe wie in den zuletzt genannten Mosaiken, die Ausführung
prächtig delicat; in Ermanglung der Farbennuancen, welche dem da-
maligen Email nicht zu Gebote standen, sind Lichter und Gewand-
falten durch die feinsten Gold-Schraffirungen ausgedrückt. — Sodann
sicht man im Schatz von S. Peter zu Rom die sog. Dalmaticae
Carls des Grossen, d. h. ein Diaconenkleid wahrscheinlich des
XII. Jahrh., welches wenigstens spätern Kaisern bei der Krönung
diente. Auf dunkelblauer Seide sind in Gold, Silber und einigen
Farben figurenreiche Darstellungen gestickt, vorn Christus in einer
Glorie mit Engeln und Heiligen, hinten die Verklärung auf Tabor,
47*
[740]Malerei des romanischen Styles.
auf den Ermeln Christus als Spender der Sacramente. Ein merk-
würdiger Überrest aus der Zeit, da nicht bloss die Kirche, sondern
auch der Officiant ganz Symbol, ganz Programm unter der Hülle
möglichst kostbarer Stoffe sein musste.
Wie in der Architektur und Sculptur, so beginnt auch in der
Malerei mit dem zweiten Jahrtausend eine neue Lebensregung, die
sich nach einiger Zeit zu einem Styl gestaltet, welchen wir auch hier
den romanischen nennen können. (Vgl. S. 99, 559.) Auch hier
findet eine Umbildung des längst missverständlich wiederholten Spät-
antiken im Geist der neuen Zeit statt.
Neben dem in Italien herrschend gewordenen Byzantinismus hatte
immer eine verwilderte alteinheimische Kunstübung fortexistirt, haupt-
sächlich wohl für die Ausschmückung geringerer Kirchen, welche
weder Mosaiken noch griechische Künstler bezahlen konnten. Von
dieser Kunstübung, welche man im Gegensatz gegen die byzantinische
etwa als eine altlangobardische benennen mag, geht nun die Neuerung
aus. Das frühste namhafte Denkmal sind die Wandmalereien meist
alegendarischen Inhaltes in dem vermeintlichen Bacchustempel (S. Ur-
bano, vgl. S. 29, e) bei Rom, angeblich vom Jahr 1011. Das Haupt-
kennzeichen des neuen Styles, die lebhafte Bewegung und die gleich-
sam mit Anstrengung sprechende Geberde, ist hier schon deutlich
vorhanden. Trotz aller Ärmlichkeit der Ausführung erwacht doch die
Theilnahme des Beschauers; die Kunst improvisirt wieder einmal nach
den langen Jahrhunderten des Wiederholens und Combinirens. Na-
türlich mischt sich angelerntes Byzantinisches auch in diese harmlos
erzählende Wandmalerei, und ein paar spätere Arbeiten (die Fresken
bder Vorhalle von S. Lorenzo fuori, — und diejenigen der Capelle S.
cSilvestro am Vorhof von SS. Quattro coronati, beide vom Anfang des
XIII. Jahrh.) unterliegen sogar wieder einer mehr byzantisirenden
Manier. Allein der neue Antrieb war inzwischen schon genug er-
starkt, um auch in die monumentale Mosaikmalerei einzudringen. In
[741]Fresken und Mosaiken von Rom.
S. Maria in Trastevere enthält die Halbkuppel der Tribuna unda
die umgebende Wand das erste Hauptwerk des romanischen Styles
in Italien (1139—1153); bei aller Roheit der Formen begrüsst man
doch gerne die neuen Motive, ja das beginnende individuelle Leben;
Christus und Maria zusammen thronend, sein Arm auf ihrer Schulter
— diess ist auch im Gedanken unbyzantinisch. (Aus ders. Zeit: oben
an der Fassade die Jungfrau mit acht Märtyrinnen und zwei andern
heil. Frauen; — aus dem Anfang des XIV. Jahrh. und zwar von
Pietro Cavallini: die Einzelbilder aus der Geschichte Christi imb
untern Theil der Tribuna.) — Auch das Chormosaik von S. Clementec
(vor 1150) ist im Figürlichen schon ganz romanisch; das Rankenwerk
in der Halbkuppel ahmt jenes prächtige lateranensische Ornament
(S. 89, a) nur in andern Farben und mit Zuthat vieler kleiner Fi-
guren nach.
Allein aus geschichtlichen Ursachen oder weil der rechte Künstler
noch nicht gekommen war, blieb diese neue römische Richtung einst-
weilen ohne bedeutende Folge. Den einzigen Kunstaufschwung wel-
cher einigermassen für die Zeit Innocenz III und seiner nächsten
Nachfolger in Anspruch genommen werden kann, haben wir oben
(S. 97, 98) in den bessern Cosmatenbauten erkannt. Die Malerei
schreitet durchaus nicht vorwärts. Rückfälle in den Byzantinismus
zeigen sich z. B. in der Detailausführung des grossen Nischenmosaiksd
in S. Paul (seit 1216), welches als eine neue Redaction des im V.
Jahrh. dort angebrachten erscheint 1); — ebenso in jenen soeben
S. 740, b, c, genannten Wandmalereien. — Die Mosaiken zweier kleinen
Nischen in S. Costanza (1254—1261) sind so roh und geringfügig,e
dass auf ihren Styl nicht viel ankömmt. — An dem Mosaik der Fas-
sade des Domes von Spoleto, welches 1207 von einem Maler Sol-f
sernus verfertigt wurde, verbindet sich wenigstens der byzantinische
Styl mit einer gewissen Freiheit und Würde, zumal in den Geberden
der Maria und des Johannes; Christus hat die jugendliche Bildung
wieder erlangt, welche bei den Byzantinern einer Greisenfigur hatte
weichen müssen.
[742]Malerei des romanischen Styles. Parma.
Je nach den Gegenden hatte der Kampf der beiden Style einen
ganz verschiedenen Verlauf. In Venedig tritt der romanische, wie
wir sahen, glänzend auf in den Mosaiken der Vorhalle der Marcus-
kirche, doch nur um ebenfalls byzantinischen Rückfällen Platz zu
amachen. In Parma enthält das Baptisterium in seinen sämmt-
lichen Fresken (mit Ausnahme der untern, welche unbedeutend giottesk
sind) eine der wichtigsten Urkunden des romanischen Styles; von ver-
schiedenen Händen der ersten Hälfte des XIII. Jahrh. ausgeführt,
zeigen sie besonders in den erzählenden Theilen, am Rand der Kup-
pel, das Eilige und Bewegte, die leidenschaftliche Geberde, welche
jenem noch keines physiognomischen Ausdruckes fähigen Styl damals
eigen ist. — Einzelne meist ruhige Heiligenfiguren in Fresco, ver-
bschieden gemischt aus beiden Stylen, findet man an der Fassade des
Domes von Reggio (XII. oder XIII. Jahrh.), — an den Wänden von
cS. Zeno in Verona (XII. Jahrh., hinter halb abgefallenen Malereien des
dXIV. Jahrh. hervorschauend), — in der Vorhalle von S. Ambrogio
zu Mailand (aus verschiedenen Zeiten), u. a. a. O.
Bevor von Toscana die Rede ist, fassen wir noch einmal diese
Kunstzustände ins Auge wie sie vermuthlich sich entwickelten. Ein
jugendlicher Styl, der Vieles zu erzählen hätte, des Ausdruckes aber
nur in beschränktester Weise mächtig ist, taucht neben dem rituell
geheiligten Styl auf. Er ist noch nicht auf das Schöne und Holdselige
gerichtet, aber er empfindet auch keine Verpflichtung auf das Morose
und Ascetische; fast absichtslos gestaltet er seine Figuren jugendlich.
Ebensowenig ist für ihn ein Grund vorhanden, in der bekannten Auf-
einanderfolge byzantinischer Stellungen und Gewandmotive, in den
bestimmten Typen heiliger Geschichten u. s. w. eine absonderliche
Heiligkeit anzuerkennen; er giebt Alles nach seinen eigenen Antrieben
und schafft dabei von sich aus naturgemässere Stellungen, rund-
fliessende Gewandung, neue hastige Züge des Lebens. Man lässt ihn
an dieser und jener Kirchenwand mit seinen paar Leimfarben ge-
währen. Aber die Mosaicisten, welche ihre Technik und den byzan-
tinischen Styl für unzertrennlich halten mochten, müssen es eines
Tages erleben, dass der neue Styl sich einer der römischen Patriar-
[743]Toscana. Guido da Siena.
chalkirchen bemächtigt und ebenfalls in Mosaik zu arbeiten anfängt.
Von da an scheint ein wahrer Kampf begonnen zu haben; die by-
zantinisch Gesinnten behaupten theils mit aller Macht ihren Schlen-
drian, theils nehmen sie den neuen Styl in die Lehre, vermischen ihn
mit dem ihrigen, suchen ihm seine wahre kecke Physiognomie zu
nehmen. In den genannten Werken von Parma und Venedig taucht
er ungebändigt wieder empor, allein daneben behauptet sich auch der
Byzantinismus, sowohl in seiner schroffen Gestalt als auch mit ein-
zelnen Concessionen; sein völliger Sturz tritt erst durch die Schule
Giotto’s ein. Was ihn so lange aufrecht hielt war wesentlich seine
Verbindung mit der vornehmsten, heiligsten Gattung der Malerei, mit
dem Mosaik. Erst als dieses selber zwar nicht seine Fortdauer aber
doch seine Herrschaft unwiederbringlich einbüsste, als ganz Italien
sich an Fresken zu begeistern im Stande war, — da erstarb auch der
byzantinische Styl.
In Toscana besass er gerade zu Anfang des XIII. Jahrh., als die
höhere Blüthe des Landes (Pisa ausgenommen) erst begann, das un-
läugbare Übergewicht. Das Verdienst der toscanischen Maler der
nächstfolgenden Zeit, mit welchen man einst nach Vasari’s Vorgang
die Kunstgeschichten zu beginnen pflegte, bestand auch nicht sowohl
in einem sofortigen Umsturz dieses Styles, als in einer neuen Belebung
desselben; innerhalb der byzantinischen Gesammtauffassung wird das
Einzelne freier, lebendiger und schöner, bis endlich die Hülle völlig
gesprengt ist.
Diess gilt zunächst von Guido da Siena. Auch in seiner Va-
terstadt herrschte noch der Byzantinismus, wie die ältesten Werke
der dortigen Academie beweisen. (Mit Ausnahme etwa des oben
S. 556, d erwähnten Altarvorsatzes vom Jahr 1215, welcher eine rohea
romanische Arbeit ist.) Allein Guido’s grosse Madonna vom Jahr 1221b
in S. Domenico (2. Cap. links vom Chor) zeigt innerhalb der rituellen
byzant. Anlage nicht nur einen Anfang von Lieblichkeit, sondern auch,
namentlich in der Stellung des Kindes, ein Gefühl für Linien und eine
lebendige Zeichnung. Die Madonna des Diotisalvi in der Con-c
cezione (oder ai Servi, rechts), volle 60 Jahre jünger, ist nicht nur
[744]Malerei des romanischen Styles. Giunta. Florentiner.
von derjenigen Guido’s abhängig, sondern ein Rückschritt ins Rohe
und Starre.
Von einem Zeitgenossen Guido’s, von Giunta Pisano, ist bei-
nahe unnütz zu sprechen, da die ihm zugeschriebenen Fresken in der
aOberkirche von Assisi leider so viel als erloschen sind. Es war
darunter jene phantastische Scene des Simon Magus, der von den
Dämonen in der Luft herumgezerrt wird; einzelne byzantinische Minia-
turen enthalten Ähnliches, hier aber war, alten Abbildungen zufolge,
den Dämonen zum erstenmal Leidenschaft und rechte momentane Ge-
walt gegeben. (1848 sah ich von diesem Fresco nur noch einen mat-
bten Schimmer.) Die 5 Halbfiguren von Heiligen in der Academie zu
cPisa tragen Giunta’s Namen kaum mit Recht; der Crucifixus in S. Ra-
nieri ebenda ist kaum sichtbar. Eine kenntliche Parallele zu dem
Streben des grossen Bildhauers Niccolò Pisano (S. 563) bieten die
erhaltenen pisanischen Malereien nicht dar.
In Florenz war die Ausschmückung des Baptisteriums die
Hauptaufgabe für die erste Hälfte des XIII. Jahrh. und noch für Jahr-
dzehnde weiter. Die Chornische, seit 1225 von einem Mönch Jaco-
bus mosaicirt, enthält eine vorzüglich bedeutende Neuerung; kniende
Figuren auf korinthischen Capitälen sind als Träger des Mittelbildes
angewandt, einer der frühsten rein künstlerischen Gedanken, denn
wenn diese Träger auch einen symbolischen Sinn haben mögen, so
functioniren sie doch hauptsächlich der bessern Raumvertheilung zu
Liebe, von der die byzantinische Kunst, im ausschliesslichen Dienst
der Tendenz, gar keine Notiz genommen hatte; sie sind die Urväter
eder Trag- und Füllfiguren der Sistina. Im Kuppelraum selbst ist der
grosse Christus von dem Florentiner Andrea Tafi (1213—1294)
innerhalb der byzant. Umrisse eine sehr bedeutende, neu und würdig
belebte Gestalt. Die concentrischen Streifen mit biblischen Geschich-
ten und Engelchören, welche den Rest der Kuppel einnehmen, ver-
rathen vier bis fünf verschiedene Hände; einiges ist rein byzantinisch
und darf wohl am ehesten dem Griechen Apollonius zugeschrieben
werden, welcher aus Venedig herübergekommen war; anderes ist rein
romanisch und erinnert an das Bapt. von Parma; wieder anderes ist
von gemischtem Styl. Ausserdem lernt hier die Mosaikmalerei der
Architektur dienen an Friesen, Balustraden u. a. Bautheilen.
[745]Cimabue.
In die Zeit der Crisis, welche sich an diesem Denkmal verewigt,
fiel nun die Jugend des Florentiners Cimabue (1240? bis nach 1300).
Von einem durchgehenden Gegensatz gegen die Byzantiner ist gerade
bei ihm am wenigsten die Rede; noch in seinem letzten grossen Werk,a
dem Christus zwischen Maria und Johannes d. T. in der Halbkuppel
des Domchores von Pisa, fügte er sich fast ganz der gewohnten Auf-
fassung. Allein innerhalb dieser Schranken fängt Schönheit und Leben
sich zu regen an. Seine zwei grossen Madonnenbilder machten
Epoche in der christlichen Kunst. Das eine, jetzt in der Academieb
zu Florenz, erreicht zwar in der freien und geschickten Schiebung der
Hauptfiguren nicht einmal den Guido von Siena, aber es zeigt haupt-
sächlich in den Köpfen der Engel, dass der Meister von den Ursachen
und Elementen menschlicher Anmuth schon ein klares Bewusstsein
hatte. Das andere, in S. Maria novella (Cap. Ruccellai, am rechtenc
Querschiff) ist ungleich vorzüglicher und unbefangener; hier erwacht
bereits ein eigentlicher Natursinn, der sich mit conventioneller Be-
zeichnung eines abgeschlossenen Kreises von Dingen nie mehr zu-
frieden geben wird. — Aber sein ganzes Können offenbarte C. erst
in den Fresken der Oberkirche S. Francesco zu Assisi. Leider sindd
dieselben sehr zerstört, so dass jedes einzelne Bild eine besondere
Anstrengung der Phantasie verlangt. Der erste und letzte genauere
Berichterstatter (Carl Witte, im Kunstblatt 1821, Nr. 40—46) muss
sie noch in besserm Zustande gesehen haben. Er unterscheidet: 1) Ano-
nyme Malereien byzantinischen Styles (welchem sie indess nach sei-
ner Schilderung schwerlich entsprechen) über der Galerie in beiden
Armen des Querschiffes. 2) Die oben erwähnten Arbeiten des Giunta
Pisano, Geschichten der Jungfrau und der Apostel im Chor und Quer-
schiff, nebst einer Kreuzigung im südlichen Arme des letztern. (Alles
kenntlich an dem durchgängig schwarz gewordenen Bleiweiss.) 3) Eine
ebenfalls sonst dem Giunta beigelegte, aber eher dem Cimabue gehö-
rende Kreuzigung im nördlichen Arme. 4) Von den Kreuzgewölben
des Langhauses enthält das dritte vom Portal an gerechnet noch die
oben (S. 130, a) erwähnte Malerei Cimabue’s, deren decorative An-
ordnung (Rundbilder Christi, der Maria und zweier Heiligen, auf Engel
vom Victorientypus gestützt, mit Festons eingefasst, die aus Gefässen
hervorwachsen, welche von nackten Genien getragen werden) bereits
[746]Malerei des romanischen Styles. Cimabue.
weit über jenen ersten Versuch des Jacobus (S. 744, d) hinausgeht. Das
erste Kreuzgewölbe vom Portal an, mit den vier Kirchenvätern, die
ihren Schreibern dictiren, schien mir (1848) so erneut, dass ich keinen
alten Maler hätte dafür verantwortlich machen mögen; doch kam
dem Obengenannten auch 1821 die Farbe hier „vorzüglich frisch er-
halten“ vor; der Tradition nach ebenfalls von Cimabue. Im mittlern
Kreuzgewölbe über dem Altar sind von demselben die vier Evange-
listen gemalt, jeder sitzend schreibend, gegen eine thurmreiche Stadt
geneigt, noch ziemlich ungeschickt byzantinisirend. (So lauten meine
allerdings nicht an Ort und Stelle gemachten Notizen von 1848;
der Obengenannte will diese Figuren schon 1821 nicht mehr vor-
gefunden haben.) 5) Die obern Wandbilder des ganzen Langhauses
mit sechszehn Geschichten des alten und sechszehn des neuen Testa-
mentes, ehemals die Hauptleistung Cimabue’s. Aus dem jetzt fast
vollendeten Ruin derselben schaut noch hie und da ein energisches,
selbst grossartiges Motiv hervor, das uns ahnen lässt, wie der Mei-
ster hier sich von den byzantinischen Compositionstypen fast völlig
frei gemacht, wie er die Momente neu und lebendig entwickelt, die
Gruppirung zur bedeutungsvollen Mitwirkung herbei gezogen habe;
das Detail als solches ist noch nicht individuell belebt, die Köpfe noch
aohne den Ausdruck des Augenblickes. 6) Die untern Wandbilder des
Langhauses mit den Geschichten des heil. Franz, Werke verschie-
dener Giottesken des XIV. Jahrh., mit einem byzantinischen Nach-
klang; wahrscheinlich unter dem Einfluss von Giotto’s Compositionen
desselben Inhaltes (an den Sacristeischränken von S. Croce in Flo-
renz, jetzt in der dortigen Academie) entstanden; von Rumohr dem
Parri Spinello zugeschrieben.
Die Umgebung Cimabue’s war in der Anerkennung des Neuen,
bwelches er repräsentirte, getheilter Ansicht. Der unbekannte Ver-
fertiger des Tribunenmosaiks von S. Miniato bei Florenz (1297?) zeigt
sich als verstockten Byzantiner; das Erwachen des Natursinns be-
schränkt sich auf die Thierfiguren, welche den grünen Wiesenboden
cseines Bildes bevölkern. — Dagegen verräth Gaddo Gaddis Lu-
nette mit Mariä Krönung innen über dem Hauptportal des Domes trotz
der vollen byzantinischen Prachttechnik den tiefen Eindruck, welchen
Cimabue’s Madonnen hervorgebracht hatten. — Schon mehr gegen
[747]Duccio. Römer.
Giotto’s Art neigen die Mosaiken der Querschifftribunen im Dom vona
Pisa. (Verkündigung und Madonna mit Engeln.)
Um dieselbe Zeit offenbart auch die Schule von Siena ihre künf-
tige Richtung.
Gleichzeitig mit Diotisalvi trat hier Duccio auf, von welchem
das grosse Altarwerk (1310—1311) herrührt, dass jetzt getrennt imb
Dom (an beiden Enden des Querschiffes) aufgestellt ist; links die Ma-
donna mit Engeln und Heiligen, rechts die Geschichten Christi auf
vielen kleinern Feldern 1). Wenn die Hervorbringung des Einzel-
schönen das höchste Ziel der Malerei wäre, so hätte Duccio das XIII.
und das XIV. Jahrhundert, selbst Orcagna nicht ausgenommen, über-
holt. Es muss ihn sehr beglückt haben, als er vor seinen erstaunten
Zeitgenossen die Schönheit des menschlichen Angesichtes und die ab-
gewogene Anmuth holder Bewegungen und Stellungen aus eigenen
Mitteln (nicht nach antiken Vorbildern wie Niccolò Pisano) wiederzu-
geben vermochte. Seine Technik aber ist noch die der Byzantiner und
in den geschichtlichen Compositionen hat er, genau betrachtet, mehr
die üblichen Motive derselben mit seinem Styl vom Tode auferweckt
als neue geschaffen. — Wie viel oder wenig er ausser diesem Altar-
werk schuf, immerhin hat er für ein Jahrhundert der Schule seiner
Vaterstadt den Ton angegeben.
In Rom zeigt sich um diese Zeit ein ganz bedeutender und eigen-
thümlicher Aufschwung, der uns ahnen lässt, dass die Kunstgeschichte
eine wesentlich andere Wendung würde genommen haben ohne die
Katastrophe, welche den päpstlichen Stuhl für 70 Jahre an die Rhone
versetzte. Zwischen 1287 und 1292 fertigte der Mönch Jacobus
Toriti die grossen Mosaiken der Altartribunen im Lateran und inc
S. Maria maggiore. Das erstere ist noch einförmig und zerstreut in
der Anordnung, aber im Ausdruck der begeisterten Anbetung schon
[748]Malerei des romanischen Styles. Rom. Neapel.
aganz hedeutend. Das Letztere ist eine der grössten vorgiottesken
Leistungen, vorzüglich was die Gruppe im blauen, goldgestirnten
Mittelrund betrifft; während Christus die Maria krönt, hebt sie, an-
betend und zugleich bescheiden abwehrend, die Hände auf. Zu der
schönen, schwungvollen Formenbildung kommt dann noch, hauptsäch-
lich in den an Cimabue erinnernden Engeln, ein wahrhaft holder Aus-
druck, und in der Anordnung des Ganzen jene seit Cimabue wieder
völlig erweckte hohe decorative Fülle und Freiheit. — Auch an den
boben (S. 166, b und c) genannten beiden Grabmälern von dem Cos-
maten Johannes sind die bescheidenen Mosaiken ebenfalls würdig
und anmuthig in gleichem Grade. — Die erzählenden Mosaiken der
calten Fassade von S. Maria maggiore (bequem sichtbar in der obern
Loggia der neuern), gegen 1300 von Philippus Rusuti verfertigt,
sind zwar nicht sehr geistreich erfunden, aber wiederum merkwürdig
durch die freie, hier an Pompejanisches erinnernde Vertheilung in
eine bauliche Decoration.
Während in diesen römischen Arbeiten der Byzantinismus schon
nahezu überwunden erscheint, herrscht er aber in Neapel noch
dweiter. Das schöne Mosaik einer Madonna mit zwei Heiligen in
S. Restituta (eine der Cap. links) zeigt diesen Styl (um 1300) in einer
ähnlichen edeln Weise belebt wie etwa bei Cimabue. — Von einem
Zeitgenossen des letztern, Tommaso degli Stefani (1230—1310),
ewar eine Capelle des Domes (Cap. Minutoli, am rechten Querschiff)
ausgemalt; alte und neue Übermalungen haben jedoch dem Werke
seinen Charakter völlig genommen.
Diejenige erste grosse Blüthe der italienischen Malerei, welche
mit der germanischen Gesammtkunst parallel geht und welche wir
auch in diesem Gebiete als germanischen Styl bezeichnen, hat
vor der Malerei des Nordens schon einen beträchtlichen äussern Vor-
theil voraus; sie ist nicht eine blosse Dienerin der Architektur, son-
dern besitzt ein unabhängiges Leben und erhält Wandflächen zur
[749]Germanischer Styl.
Verfügung, die ihr im Norden wenigstens in Hauptkirchen nicht ge-
gönnt wurden und mit welchen wesentlich auf sie gerechnet war. Die
Malerei als Gattung zieht den grössten Genius des Jahrhunderts an
sich, Giotto. Die Stellung, welche sie gegenüber den übrigen Kün-
sten schon im XIII. Jahrh. behauptet, wird durch Seine Leistungen
glänzend erweitert; das Vorurtheil zu Gunsten monumentaler Bilder-
kreise in Fresco, welches Er und die Seinigen so sehr verstärkten,
bildet für alle Folgezeit den festen Boden, ohne welchen auch Rafael
und Michelangelo nicht die Aufgaben angetroffen hätten, in welchen
sie sich am grössten erwiesen.
Giotto lebte 1276—1336. Von seinen wichtigsten Schülern und
nähern Nachfolgern, meist Florentinern, sind zu nennen: Taddeo
Gaddi (geb. um 1300, st. 1352); Giottino (eigentlich Tommaso di
Stefano, 1324—1356); Giovanni da Melano (d. h. Mailand); An-
drea Orcagna (richtiger Arcagnolo, eigentlich Andrea di Cione,
1329—1389); dessen Bruder (?) Bernardo; ferner Angelo Gaddi
(st. nach 1394): Spinello von Arezzo (st. nach 1408); Antonio
Veneziano; Francesco da Volterra (beide gegen Ende des
XIV. Jahrhunderts im Camposanto zu Pisa thätig); Niccolò di
Pietro u. a. — Einstweilen nehmen wir auch denjenigen Maler mit
hinzu, welcher im Camposanto Symone da Siena heisst, sowie
auch die Sienesen Ambrogio und Pietro di Lorenzo, welchen
wir in ihrer Heimathschule wieder begegnen werden.
Wir zählen nun die wichtigsten Werke nach den Orten auf, je-
desmal mit Angabe derjenigen Meister, welchen sie die Tradition zu-
schreibt. Wo es wesentlich ist, die Controversen über diese Benen-
nungen zu kennen, möge diess in Kürze angedeutet werden. Auch
einige der wichtigern Altarbilder sind dabei mit zu nennen.
padua.
Die Capelle S. Maria dell’ Arena; das Innere ganz mit dena
Fresken Giotto’s bedeckt. (Seit 1303, also sein frühstes grosses
Werk.) Das Leben der Jungfrau und die Geschichte Christi in vie-
len Bildern; am Sockel grau in grau die allegorischen Figuren der
Tugenden und Laster; an der Vorderwand das Weltgericht. (Bestes
Licht: Morgens.)
[750]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
florenz.
S. Croce. Im Chor: Angelo Gaddi, Geschichten des wah-
ren Kreuzes.
In den zehn Capellen zu beiden Seiten des Chores:
1. Cap. rechts (kleinere Cap. Bardi): Geschichten des heil. Fran-
ciscus, durch Bianchi’s Kühnheit und Pietät in den letzten Jahren dem
Giotto zurückgegeben, dessen Werk sie ursprünglich waren. Auf
dem Altar, stets verdeckt, die dem Cimabue zugeschriebene Ge-
stalt des heil. Franciscus.
2. Cap. rechts (Cap. Peruzzi): rechts die Auferstehung eines Hei-
ligen, wahrscheinlich von Giotto, links die Überreichung des Haup-
tes Johannis d. T., vielleicht von einem zaghaftern Schüler.
5. Cap. rechts: halb erloschene Darstellung vom Kampfe S. Mi-
chaels und des himmlischen Heeres mit dem Drachen, grossartig ge-
dacht; der Urheber unbekannt.
4. Cap. links (Cap. Baldi): Bernardo Gaddi, Marter der HH.
Stephanus und Laurentius.
5. Cap. links (Cap. S. Silvestro): Giottino, rechts drei Wun-
der des heil. Sylvester; links Grabnischen mit den nicht unbedeuten-
den Fresken eines Weltgerichts und einer Grablegung.
Am Ende des rechten Querschiffes: die grosse Cap. Baroncelli:
Altarbild von Giotto; Fresken mit dem Leben der Maria von Tad-
deo Gaddi, von demselben die Figuren am Gewölbe. (Die Mad.
della cintola an der Wand rechts ist von Bastiano Mainardi.)
Die Malereien Taddeo’s sind von den wichtigsten der Schule, deren
Gruppirungs- und Gewandungsmotive hier ganz besonders schön und
furchtlos gehandhabt sind.
In der rechts anstossenden Cap. del Sagramento: am Gewölbe
die Evangelisten und die Kirchenlehrer, von Gherardo Starnina
und Taddeo Gaddi.
Im Gange vor der Sacristei: u. a. ein ausgeschnittenes Crucifix,
angeblich von Giotto.
In der Cap. Medici am Ende dieses Ganges: eine Anzahl Altar-
bilder des XIV. Jahrhunderts.
In der Sacristei: an der Wand rechts die Scenen der Passion,
dem Niccolò di Pietro, von Andern dem Angelo Gaddi zuge-
[751]Fresken in Florenz.
schrieben; die untern meist von einem energischen, aber etwas ver-
wilderten Giottesken; oben sehr schön die kieenden Jünger und Engel
um den Auferstandenen. — In der Altarcapelle der Sacristei: das Le-a
ben der Magdalena und das der Maria, nebst den Gewölbemalereien
und dem Altarbild, dat. 1379, aus der Schule der Gaddi. (Von
Andern zu kühn dem Taddeo zugeschrieben.)
In dem ehemaligen Refectorium des anstossenden Klosters (jetztb
zur Teppichfabrik eingerichtet, zugänglich vom Platze aus, rechts von
der Klosterpforte): ein grosses, im Ganzen wohl erhaltenes Abend-
mahl von Giotto. Eines der reinsten und gewaltigsten Werke des
XIV. Jahrhunderts, bei dessen Anblick ich mich immer vergebens
gefragt habe, wesshalb man es so beharrlich dem Giotto abspreche,
ohne doch einen andern Meister dafür nennen zu können. Darüber:
Der Stammbaum der Franciscaner und einige Scenen aus der Legende
des heil. Franz, von geringern Händen.
(Fast alle diese Fresken haben Morgens das beste Licht.)
S. Maria novella. Cap. Strozzi, am Ende des linken Quer-c
schiffes: das Weltgericht (hinten), das Paradies (links) und das Altar-
bild (1357) von Andrea Orcagna; die Hölle (rechts) von dessen
Bruder Bernardo. Das Paradies bezeichnend als die höchste Grenze
des Holdseligen und Schönen in der Gesichtsbildung, welche die Schule
erreicht hat.
Chiostro verde: Die ältern Theile der grün in grün gemalten Ge-d
schichten der Genesis. (Die spätern von Paolo Uccello.)
Anstossend an diesen Kreuzgang: Die berühmte Capella deglie
Spagnuoli, ausgemalt nach 1322 bis nach 1355, laut Vasari von Tad-
deo Gaddi und Symon von Siena, welchen man sie gegen-
wärtig aus Gründen abspricht. (Dass indess wenigstens die Köpfe
der Tugenden und Wissenschaften von einem trefflichen alten Siene-
ser sind, lehrt der erste Blick.) Ein Hauptdenkmal der Schule, in
Beziehung auf die Zusammenstellung des Ganzen, auf den Reichthum
der Composition in den biblischen Scenen und auf die Allegorik in
den beiden grossen Seitenbildern, dem „Triumph des heil. Thomas
von Aquino“ und der „streitenden und triumphirenden Kirche“. (Be-
stes Licht: 10—12 Uhr.)
Ausser geringern Überresten in verschiedenen Räumen des Klo-
[752]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
asters: im sog. alten Refectorium eine thronende Madonna mit vier
Heiligen, mehr sienesisch als florentinisch, und:
In einem kleinen gewölbten Gemach der Farmacia rohe Passions-
fresken des Spinello Aretino.
S. Miniato al monte. Ausser mehrern geringern Überbleib-
seln an den Wänden der Kirche:
Die von Spinello mit den Geschichten des heil. Benedict aus-
gemalte Sacristei.
S. Felicita, Anbauten hinten rechts: in einem alten Capitelsaal
der Gekreuzigte mit den Seinigen, in einem nahen Gang eine Annun-
ziata; letztere beinahe Orcagna’s würdig.
Ognissanti. Cap. am Ende des linken Querschiffes: ein sehr
verdorbenes Altarbild aus mehrern Tafeln bestehend, von Giovanni
da Melano, in der Durchbildung des Einzelnen den meisten Wer-
ken der Schule überlegen.
In der Sacristei: Fresco eines Ungenannten, der Gekreuzigte mit
Engeln, Heiligen und Mönchen.
S. Ambrogio. Zweiter Altar rechts: Säugende Madonna mit
zwei Heiligen, von Angelo Gaddi (?).
Dritter Altar recht: Kreuzabnahme, von Giottino.
Bigallo. Im Zimmer des Cassiers: Fresken von dreierlei Hän-
den, darunter eine Misericordia von Giottino (?); das naive Bild
der Waisenkinder ist von einem zurückgebliebenen Giottesken des XV.
Jahrh., Pietro Chelini.
Dom. Die Apostel und Heiligen unter den meisten Fenstern des
ganzen Capellenkranzes, ebenfalls von einem der spätesten Giottes-
ken, Lorenzo Bicci. — An einem der vordern Pfeiler das schöne,
spätgiotteske Bild des heil. Zenobius.
S. Maria la nuova. Aussen neben der Thür die beiden Cere-
monienbilder des genannten Bicci, stark erneuert.
Orsanmicchele. Im Tabernakel Orcagna’s das sehr schöne
Gnadenbild des Ugolino da Siena, mehr florentinisch als sienesisch.
(Erste Hälfte des XIV. Jahrh.)
Pal. del Podestà. In der Dispensa, der ehemaligen Capelle:
Reste der Fresken Giotto’s, Scenen aus der Legende der heil. Mag-
[753]Fresken in Florenz und Pisa.
dalena, Johannis d. T., Weltgericht, Paradies, Alles kaum mehr
kenntlich.
Einzelne Reste von Fresken, auch Staffeleibilder, in verschiedenena
Kirchen; mehrere der letztern in der Certosa (ältere Seitenkirche).
pisa.
Das Camposanto. Von der Capelle an der östlichen Schmal-b
seite an gerechnet folgen aufeinander:
Buffalmaco: Passion, Auferstehung und Himmelfahrt, sehr über-
malt. (Der Künstler, der sich stellenweise als einen der allergeist-
vollsten Giottesken zeigt, mag einstweilen den Namen beibehalten, den
man ihm wegen mangelnder urkundlicher Documente über seine Exi-
stenz streitig macht.)
Südwand. Andrea Orcagna: Triumph des Todes und Welt-c
gericht.
Bernardo Orcagna (?): Die Hölle.
Ambrogio und Pietro Lorenzetti (auch di Lorenzo, miss-
verständlich auch Laurati) von Siena: Das Leben der Einsiedler in
der Thebais.
„Symon von Siena“ (d. h. irgend ein florentinisch und sie-
nesisch gebildeter Meister des XIV. Jahrh.): die drei obern Bilder der
Geschichten des heil. Ranieri. Einzelne Engel- und Frauenköpfe ganz
sienesisch; vielleicht auch das Ungeschick in der Anordnung.
Antonio Veneziano: Die drei untern Bilder.
Spinello Aretino: drei Bilder mit den Geschichten der HH.
Ephesus und Potitus.
Francesco da Volterra (ehemals dem Giotto beigelegt): die
vorzüglich geistvollen Geschichten Hiobs.
Nordwand. Pietro di Puccio (ehemals dem Buffalmaco zuge-d
schrieben, jedenfalls nicht von dem obenerwähnten Maler der Passions-
bilder): Gott als Welterhalter, und die Geschichten der Genesis bis
zum Opfer des Noah; sowie auch die Krönung Mariä über dem Ein-
gang einer Capelle dieser Seite. (Die übrigen Geschichten des alten
Testamentes, von Benozzo Gozzoli, sind unten zu erwähnen.)
In S. Francesco: das Gewölbe des Chores, mit den je zu zweiene
gegeneinander schwebenden Heiligen, von Taddeo Gaddi.
B. Cicerone. 48
[754]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
Im Capitelsaal die sehr zerstörten, ausgezeichneten Passionsscenen
des Nic. di Pietro (1392); an der Decke Halbfiguren in Medaillons.
In S. Caterina, Alt. links, eine Glorie des heil. Thomas, von
einem gewissen Traini.
Im Carmine (oder wenn mich meine Notizen täuschen sollten,
in S. Martino) Fresken des XIV. Jahrh. in einer Nebencapelle rechts
und über dem Orgellettner.
Alte Bilder in S. Ranieri, in der Sammlung der Academie und in
Privathänden.
pistoja.
In S. Francesco al Prato ist das Gewölbe der Sacristei mit
vier Heiligen zwischen guten Gurtverzierungen bemalt, etwa in der
Art des Niccolò di Pietro.
Der anstossende Capitelsaal enthält Fresken von verschiedenen
Händen, u. a. von Puccio Capanna; das Gewölbe ganz der Ver-
herrlichung des heil. Franciscus gewidmet; an der Hauptwand Chri-
stus am Kreuz, welches in Baumzweige mit Heiligenfiguren ausgeht etc.
prato.
Im Dom gleich links die Capella della cintola, ausgemalt von
Angelo Gaddi 1365 mit dem Leben der Maria und der Geschichte
des Gürtels. Hauptwerk der Schule.
Cap. links neben dem Chor: rohe Legenden des XIV. Jahrh.
Cap. rechts neben dem Chor: Leben der Maria und Geschichten
S. Stephans, unbedeutende Werke des XV. Jahrh.; übermalt.
In S. Francesco: der ehemalige Capitelsaal, ausgemalt von
Niccolò di Pietro, Passion und Legenden des Matthäus und An-
tonius von Padua.
arezzo.
Im Dom: eine Nische des rechten Seitenschiffes, ausgemalt von
Spinello, aber sehr übermalt. (Der Crucifixus mit Heiligen.)
Bei S. Agostino, in einer ehemaligen Capelle, oben an der
Mauer: Madonna von Spinello, zu einer Verkündigung gehörend.
In S. Domenico: sehr übermalte Fresken des Parri Spinello,
Sohn des obigen, neben der Thür; der Gekreuzigte mit Heiligen, und
zwei Apostel, beide Gemälde umgeben von Martyrien in kleinern Figuren.
[755]Fresken in Arezzo, Siena und Assisi.
Im vordern Klosterhof von S. Bernardo: die Geschichten diesesa
Heiligen, einfarbig, an die ältere Hand des Chiostro verde bei S. M.
novella erinnerd; dem Uccello zugeschrieben.
Was in andern Städten Toscana’s vorhanden sein mag, ist nach
Allem zu urtheilen nicht bedeutend. Von SIENA, welches seinen be-
sondern Styl entwickelte, wird weiter die Rede sein; vorläufig sind
hier zu nennen:
Spinello’s Fresken, im Pal. pubblico, Sala di Balia; Geschich-b
ten des Kaisers Friedrich Barbarossa und des Papstes Alexander III.
Der Einritt des Papstes, welchem der Kaiser den Zügel führt, ist
eines der besten Ceremonienbilder aus Giotto’s Schule; für einige der
übrigen Scenen ist weniger gut zu stehen; der Rest erscheint vol-
lends als das Werk eines untergeordneten Malers.
In der Academie zu Siena ein paar kleine Tafeln Spinello’s,c
u. a. ein Tod der Maria, welche den Giottesken als Componist in seiner
ganzen Überlegenheit, verglichen mit den Sienesen, erscheinen lassen.
assisi.
S. Francesco. Die Oberkirche vgl. Seite 745, d.
Die Unterkirche. An dem Hauptgewölbe über dem Grabe died
Allegorien von Armuth, Keuschheit und Gehorsam, nebst der Ver-
klärung des heil. Franciscus. Hauptwerke von Giotto. (S. unten.)
Im südlichen Querschiff Reste einer grossen und sehr reichen
Kreuzigung (angeblich von Pietro Cavallini, der sich aber in den
oben S. 741, b genannten Mosaiken noch als einen zu befangenen By-
zantiner erweist, um der Urheber dieses Werkes sein zu können); ferner
Kreuzabnahme, Grablegung und S. Franz die Wundmale empfangend
(angeblich von Giotto); am Tonnengewölbe kleine Passionsbilder
(vielleicht von Puccio Capanna).
Im nördlichen Querschiff Fresken des XV. Jahrh. und eine ältere,
geringere Kreuzigung. Die Bilder aus der Geschichte Christi am
Tonnengewölbe angeblich von Giovanni da Melano.
In der Cap. del sagramento und in der derjenigen des Card. Al-
bornoz handwerksmässige Fresken des XIV. Jahrh.; die der letztern
dem Buffalmaco zugeschrieben.
48*
[756]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
In der Cap. des heil. Martinus die Geschichten dieses Heiligen,
in zehn Bildern, angeblich von Puccio Capanna.
Über der Kanzel: Krönung Mariä, von Giottino, welchem noch
mehreres Einzelne angehört 1).
In S. Chiara: an den vier Feldern des Kreuzgewölbes je zwei
heil. Frauen unter Baldachinen, von Engeln umgeben; von Giottino.
rom.
In S. Peter, an der Innenseite der Fassade: die Navicella, ur-
sprünglich eine Composition Giotto’s, allein durch mehrmalige Er-
neuerung, ja ganz neue Zusammensetzung des Mosaikes in moderne
Formenbildung übersetzt.
In der Stanza capitolare der Sacristei: Auseinander genommene
Tafeln eines Altarwerkes von Giotto.
Im Vatican die schon (S. 739, b) genannte Sammlung älterer
Bilder beim Museo cristiano.
Im Lateran: an einem der ersten Pfeiler des äussersten Neben-
schiffes rechts: gerettetes Frescofragment Giotto’s: Bonifaz VIII
die Indulgenzbulle des Jubiläums von 1300 verkündend, mit zwei Be-
gleitern.
neapel.
Kirchlein dell’ Incoronata (nicht weit von der Fontana Medina):
das Kreuzgewölbe über der Empore links vom Eingang ausgemalt
von Giotto; seine Urheberschaft wird bestritten wegen mehrerer als
Porträts gedeuteter Köpfe, welche allerdings ein chronologisches Hin-
derniss sein würden; allein diese Deutungen sind auch nicht sicher,
so dass es bei Giotto sein Bewenden haben mag. In sieben Gewölbe-
[757]Fresken in Rom und Neapel.
feldern Darstellung der sieben Sacramente in ihrer Ausübung, im
achten (wie es scheint) eine Allegorie Christi und der Kirche. Haupt-
werk für die Erzählungsweise in wenigen tiefgegriffenen Zügen, und
für die höchste, sprechendste Deutlichkeit der Darstellung. Wohl er-
halten und bequem zu besichtigen. (Am Besten Vormittags.) In der-
selben Kirche noch verschiedene Überreste des XIV. Jahrh., so in der
Cap. links vom Chor am Gewölbe; die Fresken an den Wänden der-
selben Cap. XV. Jahrhundert.
In S. Chiara das Gnadenbild an einem Pfeiler links, von Giotto,a
der einzige Rest seiner umfangreichen Fresken.
Es wird vielleicht als ein unberechtigter Versuch erscheinen, wenn
wir nach dieser kurzen Aufzählung eine Gesammtcharakteristik der
ganzen Schule versuchen, statt den einzelnen Meistern ihre persön-
lichen Eigenthümlichkeiten nachzuweisen. Allein abgesehen von dem
Gebot der Kürze wüssten wir in der That nicht anders zu verfahren
bei Künstlern die gar keine Eigenthümlichkeit als die ihrer Schule
repräsentiren wollen. Der Einzelne war hier gar nicht so frei; die
Schule musste ihren Bilder- und Gedankenkreis in der gegebenen
Form ganz und voll durchleben, hundert Jahre lang, ohne irgend be-
deutende Fortschritte oder Änderungen in den Darstellungsmitteln, um
dann vor dem Geist des XV. Jahrh., der die Individualitäten erlöste,
total zusammenzubrechen. Als Ganzes imponirt sie auch erst in vol-
lem Masse, und zwar so, dass man sie den grössten Denkmälern
unseres Jahrtausends beizählen muss.
Allerdings spricht sie nicht zu dem zerstreuten oder übersättigten
Auge; der Gedanke muss ihr entgegenkommen. Es ist dabei gar
keine besondere „Kennerschaft“ nothwendig, sondern nur etwas Ar-
beit. Nehmen wir z. B. das erste Werk der Schule, das dem Be-
sucher der Uffizien zu Florenz in die Augen fällt, es ist Giotto’sb
Gethsemane. (Im ersten Gange, in der Nähe der Thür.) Unfreund-
lich, scheinbar ohne Lichteffekt, Individualisirung und Ausdruck der
Seele, schreckt das Bild Tausende von Besuchern ohne Weiteres ab.
Auch wenn man es mit der Loupe untersucht, wird es nicht schöner.
Vielleicht aber besinnt sich Jemand auf andere Darstellungen des-
[758]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
selben Gegenstandes, wo die drei schlafenden Jünger zwar nach allen
Gesetzen der verfeinerten Kunst geordnet, colorirt und beleuchtet,
aber eben nur drei Schläfer in idealer Draperie sind. Giotto deutete
an, dass sie unter dem Beten eingeschlafen seien. Und solcher un-
sterblich grossen Züge enthalten die Werke seiner Schule viele, aber
nur wer sie sucht, wird sie finden. — Wir wollen vom Einzelnen
anfangen.
Giotto’s grosses Verdienst lag nicht in einem Streben nach idealer
Schönheit, worin die Sienesen (S. 747, b) den Vorrang hatten, oder nach
Durchführung bis ins Wirkliche, bis in die Täuschung, worin ihn der
Geringste der Modernen übertreffen kann, und worin schon der Bild-
hauer Giovanni Pisano trotz seiner beschränkten Gattung viel weiter
gegangen war. Das Einzelne ist nur gerade so weit durchgebildet
als zum Ausdruck des Ganzen nothwendig ist. Daher noch keinerlei
Bezeichnung der Stoffe aus welchen die Dinge bestehen, kein Unter-
schied der Behandlung in Gewändern, Architektur, Fleisch u. s. w.
Selbst das Colorit befolgt eher eine gewisse conventionelle Scala
aals die Wirklichkeit. (Rothe, gelbe und bläuliche Pferde abwechselnd,
z. B. bei Spinello im Camposanto in Pisa; die braunrothe Luft in
der Geschichte Hiobs, bei der Audienz des Satans, ebenda.) Im Ganzen
ist die Färbung eine lichte, wie sie das Fresco verlangt, mit noch
hellern Tönen für die Lichtpartien; von der tiefen, eher dumpfen als
durchsichtigen byzantinischen Tonweise ging man mit Recht ab. (Die
bdelicateste Ausführung des Fresco überhaupt bei Antonio Veneziano,
Camposanto.) Die Bildung der menschlichen Gestalt erscheint
so weit vervollkommnet als zum freien Ausdruck der geistigen und
leiblichen Bewegung dienlich ist, letztere aber wird noch nicht dar-
gestellt weil oder wenn sie schön und anmuthig ist, sondern weil der
cGegenstand sie verlangt. (Die bedeutendste Menge nackter Figuren,
in der Hölle des Bernardo Orcagna, Camposanto, lässt einen Natura-
lismus erkennen, dessen Ursprung bei Giovanni Pisano zu suchen
dsein möchte. Ähnlich, doch unfreier, die Geschichte der ersten Men-
schen, von Pietro di Puccio, ebenda.) Der Typus der Köpfe ist
wohl bei den einzelnen Malern und innerhalb ihrer Bilder nach den
Gegenständen ein verschiedener, allein doch ungleich mehr derselbe
als bei Spätern, welche durch Contraste und psychologische Abstufung
[759]Colorit. Formenbildung. Gewandung. Raum.
wirkten. Giotto selbst hat einen durchgehenden kenntlichen Typus bei
Männern und Frauen, nicht unangenehm, aber ohne Reiz. (Ein Nor-
malbild für seine Art der Formengebung und des Ausdruckes ist die
grosse Madonna in der florent. Academie, vorzüglich in Betreff dera
Profilköpfe der Engel. Ausserdem das Bild in S. Croce. Er indivi-b
dualisirt fast am Meisten in seiner frühsten Hauptarbeit, den Freskenc
der Arena.) Bei beiden Gaddi kehrt das starke Kinn fast regelmässig
wieder (Cap. Baroncelli in S. Croce, Incoronata in Neapel etc.; sonstd
ist für Taddeo’s Formenbildung im Detail hauptsächlich die grosse
herrliche Grablegung in der florent. Academie zu vergleichen). Andreae
Orcagna geht zuerst auf eigentliche Holdseligkeit aus (Cap. Strozzi inf
S. Maria novella), aber durchaus nicht immer, wie denn in dem Welt-
gericht des Camposanto eine mehr derbe, entschiedene Bildung vor-g
herrscht. Das Individualisiren ist bald leiser, bald nachdrücklicher;
vielleicht am absichtlichsten bei Ant. Veneziano. Spinello, welcher
überhaupt oft roh zeichnet und an den Stellen, auf welchen kein Ac-
cent liegt, sich auch bis in die äusserste Flauheit gehen lässt, hat in
seinen Köpfen am wenigsten Einnehmendes. — Der Sinn für Schön-
heit, für Melodie, könnte man sagen, concentrirt sich hauptsächlich in
der Gewandung, welche bei den heiligen Personen eine wesentlich
ideale ist, so wie das Mittelalter sie aus der altchristlichen Tradition
übernommen hatte. Sie ist nicht nur der deutliche und nothwendige
Ausdruck der Haltung und Bewegung, sondern sie hat noch ihre be-
sondere, oft unübertreffliche Linienschönheit, die den Ausdruck des
Würdigen und Heiligen wesentlich erhöht. (Giotto’s Abendmahl imh
ehemal. Refectorium zu S. Croce möchte wohl das vollkommenste
enthalten.)
Der Raum ist durchgängig ideal gedacht, und nicht etwa wegen
„Kindheit der Kunst“ (die ja hier die grössten Aufgaben löst) un-
perspectivisch gegeben. Die Maler wussten recht wohl, dass unter so
kleinbogigen Kirchenhallen, zwischen so niedrigen Stadtmauern, Pfor-
ten, Bäumen, auf einem so steilen Erdboden etc. keine solchen Men-
schen sich bewegen könnten, wie die ihrigen sind. Allein sie gaben
was zur Verdeutlichung des Vorganges diente und dieses anspruchlos
und schön (der Dom von Florenz als Symbol einer Kirche, Cap. d.i
Spagnuoli bei S. Maria novella), meist in Linien die mit der Ein-
[760]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
rahmung des ganzen Gemäldes zusammenstimmten; auch z. B. die
aPflanzen und Bäume in gerader Reihe (Cap. d. Spagn.; Trionfo della
bmorte im Camposanto); die Felsen abgestuft zu Erzweckung ver-
schiedener Pläne, und schroff geschärft zur Trennung verschiedener
Ereignisse. (In dem letztgenannten Bilde. Merkwürdig contrastirt da-
selbst der unverkürzte, raumlos dargestellte Teppich unter der Gruppe
im Garten mit dem schon naturwahr dargestellten Fussboden unter
der Reitergruppe.) — Aber noch in einem andern Sinn ist das Raum-
gefühl ein ideales. Der Raum ist nämlich bei Giotto dazu vorhanden,
um möglichst mit reichem Leben ausgefüllt zu werden, nicht um selber
malerisch mitzuwirken; er gilt durchaus nur als Schauplatz. Wie
schon bei Giovanni Pisano, so wird eben hier jeder Vorgang in
einer möglichst grossen Anzahl von Figuren entwickelt oder gespiegelt,
neben welchen die Nebensachen schon räumlich nicht aufkommen kön-
nen. Die Schule hat so viel vom Besten vorräthig, dass sie mit ihrem
Reichthum nicht wohin weiss und des Untergeordneten nicht zu be-
dürfen glaubt. Endlich lebt sie in einem innigen Verhältniss zur Ar-
chitektur, die ihr dafür eine ganz andere Freiheit, zumal grössere
Flächen gewährt als im Norden. Bei der Verzierung der Gewölbe-
rippen, bei ihrer Einrahmung mit Ornamenten und Halbfiguren arbeiten
Maler und Baumeister so zusammen, dass sie Eine Person scheinen.
— In den Gewölbemalereien ist, beiläufig gesagt, noch von keiner
cArt illusionärer Verkürzung die Rede. (Incoronata in Neapel; Giotto
füllt die zusammenlaufenden Winkel seiner acht Dreieckfelder hier
jedesmal mit einem schwebenden Engel aus, dessen Goldgewand herr-
lich zu dem dunkelblauen Grunde stimmt.)
Auf diesen Voraussetzungen beruht nun die ganz neue Auffas-
sung der Charaktere und der Thatsachen, welche das grosse
Verdienst der Schule ausmacht. In der Intention ist sie nicht heiliger,
erhabener als die Byzantiner auch waren, die ja gern in ihren Mu-
miengestalten das Übersinnliche und Ewige ausgesprochen hätten.
Allein sie bringt diese Intention dem Beschauer unendlich näher, in-
dem sie dieselbe mit einem durchaus neugeschaffenen, lebendigen Aus-
druck bekleidet. Schon ihren Einzelgestalten, etwa den Evangelisten
din den vier Kappen eines Gewölbes (z. B. Madonnencapelle im Dom
von Prato etc. etc.) genügt jetzt nicht mehr symmetrische Stellung,
[761]Raumdarstellung. Auffassung der Thatsachen.
Buch und Attribut; der hohe Charakter des Darzustellenden drückt
sich in der lebensvollen und würdigen Wendung der Gestalt und des
Hauptes, in den bedeutenden Zügen, in der freien und doch so feier-
lich wallenden Gewandung aus. Wie soll man z. B. den Johannes
grösser fassen als diese Schule zu thun pflegt, — ein hochbejahrter
Greis, in tiefem Sinnen vor sich hinblickend, indem sein Adler scheu
zu ihm emporsieht?
Ehe von den grössern Compositionen die Rede ist, muss zu-
gestanden werden, dass die Motive des Einzelnen und des Ganzen in
dieser Schule sich gerade so wiederholen wie in der antiken Kunst.
(Man vergleiche z. B. die drei Leben der Maria in der Cap. Baroncellia
zu S. Croce, im Chor der Sacristei ebenda, und in der Madonnen-b
capelle des Domes von Prato.) Die Maler sind desshalb keine Pla-c
giatoren und Einer von ihnen hat auch den Andern gewiss nicht dafür
gehalten; es war gemeinsames Schulgut, das Jeder nach Kräften re-
producirte, nicht knechtisch, sondern lebendig und mit freien Zuthaten.
Kirchen und Klöster verlangten die ihnen bekannte und keine andere
Erzählungsweise der Passion, des Lebens der Maria, der Geschichten
des heil. Franciscus etc. Sie verlangten von dem Künstler noch nicht
seine geniale Subjectivität, sondern die Sache; es kam auf das Deut-
liche und Schöne, nicht auf das Eigenthümliche an. Daneben aber
blieb, wie wir bald sehen werden, noch ein reiches und grosses Feld
für freie Aufgaben im Sinne jenes Jahrhunderts offen.
Wie viel von jenem Gemeingut hat Giotto selber geschaffen?
Die Frage wäre für Jemanden, der alle Werke der Schule nach ein-
ander mit Musse untersuchen könnte, nicht unlösbar; wir haben
darauf zu verzichten. So viel ist gewiss, dass ein Strom von Erfindung
und Neuschöpfung von ihm ausgegangen sein muss. Vielleicht hat kein
anderer Maler seine Kunst so gänzlich umgestaltet und neu orientirt
hinterlassen als er.
Sein Jugendwerk, die Fresken in Madonna dell’ Arena zud
Padua, sind für ihn und die ganze neue Geschichtsdarstellung der
Schule in besonderm Grade bezeichnend. Jeder Thatsache ist ihre
bedeutendste Seite abgewonnen um auf diese die Darstellung zu bauen.
Wir wählen nur einige irdische, zum Theil alltägliche Vorgänge; ihr
Werth liegt in dem was sich von selbst zu verstehen scheint, bei
[762]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
seinen byzantinischen Vorgängern aber sich noch nicht von selbst ver-
stand und nicht vorhanden ist.
Die tief in sich versunkene Trauer: Joachim bei den Hirten; er
kommt zu ihnen gewandelt wie im Traum. — Der liebevolle Empfang:
Joachims Heimkehr zur Anna, welche seinen Kopf ganz anmuthig mit
beiden Händen fasst und ihn küsst. — Das Harren mit tiefster Er-
regung: die vor dem Altar knieenden Freier der heil. Jungfrau, theils
in flehendem Gebet, theils in der höchsten Spannung, die würdevollste
Gruppe ohne allen äusserlichen Affect. — Das stumme Fragen und
Errathen: die wundervolle Gruppe der Heimsuchung. — Die getheilte
Handlung der mittlern Figur in der Auferweckung des Lazarus; noch
streckt der Dargestellte die rechte Hand gegen Christus, dem er sich
unmittelbar vorher flehend zugewandt haben wird; jetzt mit der Ge-
berde der höchsten Aufregung wendet er sich gegen Lazarus. — Der
geheime Auftrag: die Unterhandlung des Judas mit dem Priester,
dessen beide Hände (wie bei Giotto so oft) zu sprechen scheinen. —
Der Hohn: in der Gruppe der Verspottung besonders meisterhaft der
sich heuchlerisch gebückt Nahende. — Die hohe Mässigung alles Pa-
thetischen: in der Gruppe unter dem Kreuz lehnt Maria, zwar ohn-
mächtig aber noch stehend, in den Armen der Ihrigen; was diese
bekümmert ist nicht (wie bei den Malern des XVII. Jahrh.) die Ohn-
macht an sich, sondern der gewaltige Schmerz. — Ein Dialog in Ge-
berden: die Soldaten mit Christi Mantel; man glaubt ihre Worte zu
vernehmen. — Die Klage um den todten Christus ist ohne irgend
einen Zug der Grimasse 1) gegeben; der Leichnam ist gleichsam ganz
in Liebe und Schmerz eingehüllt; Schultern und Rücken liegen auf
den Knien der ihn umarmenden Mutter; eine heilige Frau stützt sein
Haupt, eine hebt seine rechte, eine seine linke Hand empor; Magda-
lena, die Büsserin, auf der Erde sitzend, hält und beschaut die Füsse.
— Ein einziges Mal hat Giotto in diesem wunderbaren Bilderkreis
über das Ziel geschossen: bei Mariä Himmelfahrt stürzen die Apostel
zur Erde nicht sowohl aus Andacht, als getroffen von den Strahlen,
die von ihrer Glorie ausgehen. Sonst überall sind die Causalitäten
[763]Giotto’s Erzählungsweise. Die Assistenz.
höher und geistiger gegriffen als bei Vielen der Grössten unter allen
die nach ihm kamen.
Was hier an einem monumentalen Werke ersten Ranges gross
erscheint, ist es nicht minder an den kleinen, fast skizzenhaften Ge-a
schichten Christi in der Acad. von Florenz. (Sie stammen nebst den
als Parallele behandelten Geschichten des heil. Franciscus von den
Sacristeischränken von S. Croce her; von den ehemals 26 fehlen 6.)
Auch hier wird man die prägnanteste Erzählung in den geistvollsten
Zügen antreffen. (Zu vergleichen mit der Pforte des Andrea Pisano,
S. 573, a.)
Mit der Intention, diese unsterblichen Gedanken zu finden, muss
der Beschauer an Giotto’s Schöpfungen herantreten. Die Schule hat sie
von ihm ererbt und weiter verwerthet. Wo sie aber mit einer so glor-
reichen Unmittelbarkeit zu uns reden wie z. B. in den eben genannten
Werken und in dem Abendmahl des Refectoriums von S. Croce, da
fühlen wir uns in Gegenwart des Meisters selbst.
Die Anwesenden, welche ausser den Handelnden die ein-
zelnen Scenen beleben, sind keine müssigen Füllfiguren, wie sie die
spätere Kunst oft aus rein malerischer Absicht, um das Auge zu
vergnügen hinzugethan hat, sondern immer wesentliche Mittel der Ver-
deutlichung, Reflexe, ohne welche die Handlung weniger sprechend
wäre. Man sehe in der Cap. Peruzzi zu S. Croce die Auferstehungb
eines Heiligen (von Giotto?); hier wird das Wunder erst wirklich
durch das mit voller dramatischer Grösse gegebene Verhalten der
entsetzten und erstaunten Zuschauer. Gegenüber, in der Geschichte
des Täufers, erhält die Scene, wo sein Haupt gebracht wird, ihre
ganze Gewalt erst durch die beiden Zuschauer, die sich voll innern
Grauens aneinanderschliessen. — Hundert anderer Beispiele zu ge-
schweigen.
Bisweilen treten auch einzelne Figuren und Gruppen aus der
Handlung heraus, indem sie nur dazu bestimmt sind, eine Örtlichkeit
oder Existenz zu versinnlichen; im Grunde sind es reine Genrefigu-
ren. So der Fischer in Giotto’s Navicella (Vorhalle von S. Peter),c
obschon man diesen auch als symbolisches Gegenbild zu dem rechts
stehenden Christus auffassen kann; eine ganze Fischerscene bei An-d
tonio Veneziano (Camposanto, Gesch. des heil. Ranieri) u. dgl. m.
[764]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
aJa das Camposanto enthält in dem „Leben der Einsiedler“ von dem
Sienesen Pietro di Lorenzo oder Lorenzetti eine grosse chronikartige
Zusammenstellung einzelner Züge, von welchen man gerade die besten,
am glücklichsten gerundeten als Genre bezeichnen kann; es sind die
Motive des Ruhens, sitzenden Arbeitens, ruhigen Redens, Fischens etc.
Diesen war der sienesische Existenzmaler viel besser gewachsen, als
denjenigen, in welchen es auf erhöhten momentanen Ausdruck ankam.
Die Scenen des höhern Pathos überschreiten bisweilen das wahre
Mass, wie namentlich einzelne Passionsbilder zeigen. Die räthselhafte
bComposition welche im Camposanto dem Buffalmaco beigelegt wird,
enthält zwischen herrlichen Gruppen von Anwesenden die carikirt
schmerzliche Gruppe der ohnmächtig sinkenden Maria und ihrer Be-
gleiterinnen; um das entsetzliche Ende des bösen Schächers zu ver-
sinnlichen, hat der Maler unter dessen Kreuz einen Mann abgebildet,
der händeringend von dannen eilt. (Die würdigste und an schönen
cZügen reichste giotteske Kreuzigung möchte diejenige in der Cap. d.
Spagnuoli sein; einer der bedeutendsten Passionscyclen überhaupt
dwar der im Capitelsaal von S. Francesco zu Pisa.)
Sonst tritt die innere Erregung oft bewundernswürdig wahr und
eschön zu Tage. Man sehe (Camposanto, bei Franc. da Volterra) die
Geberde edeln Vorwurfes, mit welcher Hiob zu Gott spricht, indem
er auf die verlornen Heerden hinweist; oder (bei Symone) die Innig-
keit, mit welcher S. Ranieri sein Gelübde bei dem heiligen Mönch
ablegt. Das Gewaltigste im Affect hat wohl Orcagna geleistet in der
fGruppe der Krüppel und Bettler (Trionfo della morte, Camposanto),
welche vergebens nach dem erlösenden Tode schreien; ihre parallele
Geberde mit den verstümmelten Armen wirkt hier, verbunden mit dem
Ausdruck ihrer Züge, hochbedeutend. Es ist einer der Fälle, da auch
das Widrige vollkommen kunstberechtigt erscheint. Nur so erhielt
die Gruppe im Garten ihren deutlichen Sinn als Gegensatz; sie ist,
beiläufig gesagt, das ausgeführteste weltliche Existenzbild des germa-
nischen Styles, eine Ausführung dessen, was die Miniaturen unserer
Minnesingerhandschriften nur erst als Andeutung geben; doch schon
mit einem deutlichen Anklang an Boccaz. In der Gruppe der Reiter
ist der tiefe Schauder vor den drei Leichen unübertrefflich schön dar-
gestellt in dem behutsamen Herannahen, Überbeugen, Sichzurück-
[765]Das höhere Pathos.
halten; zugleich malerisch eine vorzügliche Composition. — An ein-
fachern Aufgaben zeigt z. B. in der Sacristei von S. Miniato bei Florenza
Spinello seine herbe Grösse. Es sind die oft gemalten Geschichten des
heil. Benedict, hier auf ihren einfachsten Ausdruck zurückgeführt.
Macht und ruhige Autorität liessen sich kaum treffender darstellen,
als hier in Geberde und Gestalt des heiligen Abtes durchweg ge-
schieht; auch die Verführung und die Busse des jungen Mönches, die
Demüthigung des Gothenkönigs, die Gruppe der Mönche um den vom
Teufel in Besitz genommenen Stein gehören zu den geistvollsten Ge-
danken der florent. Schule. Vieles Andere ist dagegen flüchtig gedacht
und roh gegeben. (Überdiess beträchtlich übermalt.)
Je nach der Aufgabe erschöpfen diese Maler bisweilen das Mög-
liche in edler und geistvoller Äusserung der Seelenbewegung.
Ich glaube nicht, dass die Scene des Auferstandenen der seine Wund-
male zeigt, jemals wieder so vollkommen gedacht worden ist als in
der nur stückweise erhaltenen Gruppe des Buffalmaco (Camposanto).b
Statt des einen Thomas sind es mehrere Jünger, die den Auferstan-
denen wieder erkennen und seine Wunden verehrend, anbetend, voll
zärtlicher Theilnahme betrachten; zugleich bilden sie eine der schönst-
geordneten Gruppen der Schule. (Man vergleiche damit Guercino’sc
trefflich gemaltes und dabei so roh empfundenes Bild in der vatican.
Galerie.) Auch in der zunächst folgenden Himmelfahrt hat die stärkste
Übermalung die schönen alten Gedanken nicht gänzlich zerstören kön-
nen: noch sind die Apostel kenntlich getheilt zwischen Augenblendung,
Erstaunen, Betheurung und hingebender Anbetung. Wenn man aber
wissen will, mit wie wenigem sich ein grosser, für jene Zeit erschüt-
ternder Eindruck hervorbringen liess, so betrachte man in der Inco-d
ronata zu Neapel das „Sacrament der Busse“; fast entsetzt wendet
sich der Priester von der beichtenden Frau ab, während die Büsser
verhüllt und gebückt von dannen ziehen. Überhaupt ist die Incoronata
in dieser Beziehung durchgängig eines der wichtigsten Denkmäler.
Die Darstellung des Himmlischen, Heiligen, Übersinn-
lichen hat noch ganz dieselbe Grundlage wie zur byzantinischen
Zeit; in symmetrischer Gruppirung und Haltung, ganz ernst und ruhig
ragt es in die irdischen Vorgänge herab, als etwas sich von selbst
Verstehendes, dem noch der volle, auch apokalyptische Glaube ent-
[766]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
gegenkömmt; bei der idealen Betrachtungsweise des Raumes findet es
auch äusserlich von selbst seine Stelle. (Erst das XV. Jahrh. fing
an, den Himmel durch Wolkenschichten räumlich zu erklären, und
erst Coreggio giebt den Wolken jenen bestimmten cubischen Inhalt
und Consistenzgrad, welcher sie zur ganz örtlich berechenbaren Unter-
bringung von Engeln und Heiligen geeignet macht.) Es sind die seit
der altchristlichen Zeit kunstüblichen Gedanken, die in jeder, selbst in
verschrumpft byzantinischer Form imponiren, hier aber in schöner
Verjüngung auftreten. Das was so lange Jahrhunderte blosse Andeu-
tung gewesen war, gewinnt endlich eine erhabene Wirklichkeit, so-
weit eine solche überhaupt im Sinne des Jahrhunderts lag.
Hier muss vorläufig von den Weltgerichtsbildern die Rede
asein. Es hatten schon lange, auch im Orient solche existirt, ehe Or-
cagna das seinige malte (Camposanto). Allein bei ihm erst ist der
Richter nicht bloss eine Function, sondern ein persönlicher Charakter,
dem die Wendung und die berühmte Geberde ein imposantes Leben
verleihen. Der damalige Glaube wies bereits der Madonna eine für-
bittende Theilnahme beim Weltgerichte an; der Maler gab ihr den-
selben mandelförmigen Heiligenschein (Mandorla) wie Christus; ihre
Unterordnung wird nur dadurch angedeutet, dass ihre Stellung der
seinigen fast parallel folgt. Die Apostel sind keine blossen Anwesen-
den mehr, sondern sie nehmen den stärksten innern Antheil; wir sehen
sie trauernd, erschrocken auf den Richter hinblickend, niedergeschlagen
in sich gekehrt, auch mit einander redend. Sogar einer der Engel-
herolde kauert furchtsam auf einer Wolke, den Mund mit der Hand
verdeckend. Höchst energisch vollziehen dann unten fünf Erzengel
das Geschäft des Seelenscheidens; in den beiden, welche die Herüber-
strebenden in die Hölle zurückdrängen, ist die herbste Wirkung beab-
sichtigt und erreicht.
Auch blosse Glorien sind bei dieser Schule immer höchst beach-
tenswerth. Die ererbte Symmetrie in der Haltung der Hauptfigur und
der Engelschaaren wird mehr oder weniger beibehalten, aber mit gran-
diosem Leben durchdrungen. Man kann nichts Eigenthümlicheres sehen,
bals (Camposanto, Gesch. des Hiob) die Erscheinung Gottes in ovaler
Glorie mit 6 Engeln über einer Landschaft mit grünem Meer, gelber
Erde und rothem Himmel; Satan tritt auf einem Fels in Gottes Nähe.
[767]Das Übersinnliche. Glorien. Symbolik.
Kein Effect des Lichtes und des Raumes könnte den echten, gross-
artigen Charakter dieser Theophanie irgend erhöhen.
Oder (ebenda) Mariä Himmelfahrt, von Symone: drei Engel aufa
jeder Seite, und zwei stärkere, männliche Engel unten tragen und
halten den Rand der Mandorla, in welcher die Jungfrau ihrem Sohn
entgegenschwebt. Glaubt man ihr nicht viel eher, dass sie wirklich
schwebe und ein überirdisches Dasein habe als jenen zahlreichen Ma-
donnen der letzten Jahrhunderte auf den mit zerstreuten Engeln be-
säeten Wolkenhaufen, mit Lichteffect und Untensicht? — Das Schweben
wird aber überdiess in der Schule Giotto’s nicht selten so anmuthig
und feierlich dargestellt, dass man die vollendete Kunstepoche vor
sich zu haben glaubt. Es sind in Orcagna’s Weltgericht zwei Engel,b
die bis auf Rafael schwerlich mehr ihres Gleichen haben.
Ausser den biblischen und legendarischen Stoffen erging sich aber
die Schule noch in freien, grossen symbolisch-allegorischen
Bildern und Bilderkreisen. Sie hing dabei, wie oben bei Anlass der
Sculptur (S. 572) angedeutet wurde, von einer gelehrt literarischen
und poetischen Bildung ab, welche der stärkere Theil und durch einen
Genius wie Dante repräsentirt war. Schon bei dem grossen Dichter
aber darf man sich wohl fragen, ob er durch seine Symbolik oder
trotz derselben gross ist. Dieselbe war nicht durch und mit Dichtung
und Kunst entstanden wie im Alterthum, sondern Dichtung und Kunst
mussten sich ihr bequemen. Bei Dante freilich liegt Alles untrennbar
durch und in einander; er ist ebensosehr Gelehrter und Theolog als
Dichter. Der Künstler dagegen war hier auf etwas ausser seiner
Sphäre liegendes angewiesen, er musste dienen, und that es mit hei-
ligem Ernst. Wir aber sind nicht verpflichtet, die Empfindungsweise
einer zwar strebenden, aber doch nicht harmonischen Zeit und noch
viel weniger ihre zu einer wunderlichen Encyclopädie geordneten
Bildungselemente zur Norm für uns selber zu machen; vielmehr muss
hier neben dem Ewigen, das jene Kunst schuf und dem wir ganz
folgen können, auch das Vergängliche und Befangene anerkannt werden.
Die Allegorie ist zunächst die Darstellung eines abstracten
Begriffes in menschlicher Gestalt. Um kenntlich zu sein, muss sie in
Charakter und Attributen diesem Begriff möglichst zu entsprechen
suchen; nicht immer kann man durch eine Beischrift nachhelfen. Ich
[768]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
bekenne, dass mich von allen giottesken Allegorien eine einzige wahr-
ahaft ergreift, die Gestalt des Todes im Trionfo della morte Orcagna’s;
sie ist eben keine blosse Allegorie, sondern eine dämonische Macht.
bDie Tugenden und Laster, wie sie z. B. Giotto in der Arena (untere
Felder) angebracht hat, sind für uns doch nur culturgeschichtlich in-
teressante Versuche, das Allgemeine zu veranschaulichen; in unserer
Empfindungsweise finden sie keine Stelle. Wer in Italien allmälig
z. B. einige hundert Darstellungen der vier Cardinaltugenden aus allen
Epochen der christlichen Kunst durchgesehen hat, wird sich vielleicht
mit mir darüber wundern, dass so Weniges davon im Gedächtniss
haften bleibt, während historische Gestalten sich demselben fest ein-
prägen. Der Grund ist wohl kein anderer, als dass jene nicht durch
unsere Seele, sondern nur an unseren Augen vorübergegangen sind.
Die drei christlichen Tugenden, Glaube, Liebe, Hoffnung, prägen sich
schon viel fester ein, weil sie nicht wesentlich durch äussere Attri-
bute, sondern durch gesteigerten Seelenausdruck charakterisirt zu wer-
den pflegen und uns daher zum Nachempfinden auffordern. Die Künste
cund Wissenschaften, in der Cap. d. Spagnuoli bei S. Maria novella in
grosser vollständiger Reihe vorgetragen und von ihren Repräsentanten
begleitet, würden uns ohne die sienesisch süssen Köpfe gleichgültig
dlassen; Giotto in seinen Reliefs am Campanile, welche ein Jahrzehnd
neuer sein können als diese Gemälde, ersetzte nicht umsonst die alle-
gorische Figur durch das Bild der entsprechenden Thätigkeit. — Und
woher stammte im Grunde die Anregung zu dieser durch das ganze
(auch byzantinische) Mittelalter gehenden Lust am Allegorisiren? Sie
war ursprünglich das Residuum der antiken Mythologie, welche mit
dem Christenthum ihre wahre Bedeutung eingebüsst hatte. Ihr Ahn
heisst Marcianus Capella und lebte im V. Jahrhundert. Die Kunst
wird die Allegorie nie ganz entbehren können und konnte es schon
im Alterthum nicht, allein sie wird in ihren Blüthezeiten einen nur
mässigen Gebrauch davon machen und keinen geheimthuenden Haupt-
accent darauf legen. (Vgl. S. 702 ff.)
Hauptsächlich aber wird sie derartige Gestalten abgesondert dar-
stellen und nicht in historische Scenen hineinversetzen. (Vgl. Rafael:
eDecke der Camera della Segnatura, und Saal Constantins.) Giotto
war kühner: er liess sich, ohne Zweifel durch Dante, verführen, in
[769]Allegorien. S. Francesco zu Assisi.
der Unterkirche von Assisi u. a. eine wirkliche Vermählungsceremoniea
des heil. Franciscus und einer Figur welche die Armuth darstellt ab-
zuschildern; beim Dichter bleibt der Vorgang Symbol und der Leser
wird darüber keinen Augenblick getäuscht; beim Maler wird es eben
doch eine Trauung, und wenn er noch so viele Winke und Beziehun-
gen ringsum aufhäuft, wenn auch Christus dem heil. Franz die Armuth
zuführt und es dabei geschehen lässt, dass zwei Buben sie misshan-
deln, wenn auch ihr Linnenkleid in Fetzen geht u. dgl. m. Die Ver-
pflichtung zur Armuth als eine Vermählung mit ihr zu bezeichnen, ist
eine Metapher, und auf eine solche darf man gar nie ein Kunstwerk
bauen, weil sie als Metapher, d. h. „Übertragung auf eine neue fin-
girte Wirklichkeit“ im Bilde ein nothwendig falsches Resultat giebt.
Wenn spätere Künstler z. B. die mit der Zeit an den Tag gekommene
Wahrheit darstellen wollten, so kam dabei ein absurdes Bild zu Stande
wie folgt: ein nackter geflügelter Greis mit Stundenglas und Hippe
deckt ein verhülltes Weib auf! — Sobald man eben die allegorischen
Figuren in sinnliche Thätigkeit versetzen muss, ist ohne die Metapher
beinahe gar nichts auszurichten und mit ihr nur Widersinniges. Auch
die übrigen Allegorien des Mittelgewölbes der Unterkirche von Assisi
sind an sich so barock als die des XVII. Jahrhunderts. Da verscheucht
die Busse mit einer Geissel die profane Liebe und stürzt die Unrei-
nigkeit über den Fels hinab. Die Keuschheit sitzt wohlverwahrt in
einem Thurm; die Reinigkeit wascht nackte Leute und die Stärke
reicht das Trockentuch dar. Der Gehorsam, von der zweiköpfigen
Klugheit und der Demuth begleitet, legt einem Mönch ein Joch auf;
einer der anwesenden Engel verjagt einen Centauren, womit der Ei-
gensinn, d. h. die phantastische Caprice, gemeint ist. Ohne den tiefen
Ernst Giotto’s, der auch hier nur das Nothwendige und dieses so
deutlich als möglich, — ohne alle versüssende Coketterie — ausdrückt,
würden diese Scenen profan und langweilig wirken 1).
Die Kunst empfand das Ungenügende aller Allegorik auch recht
wohl. Als Ergänzung schuf sie z. B. jene meist dem Alterthum ent-
nommenen Repräsentanten der allgemeinen Begriffe, und gesellte sie
B. Cicerone. 49
[770]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
aden Allegorien einzeln bei, wovon die genannte Cap. d. Spagnuoli das
vollständigste Beispiel liefert. (Auch Dante macht von dieser Reprä-
sentation bekanntlich den stärksten Gebrauch.) Solche Figuren, na-
mentlich wenn sie nicht besser stylisirt sind als bei Taddeo di Bartolo
b(Vorraum der Cap. des Pal. pubblico in Siena), bleiben doch blosse
Curiosität; sie geben den Massstab des naiven historischen Wissens
jener Zeit, die nach Valerius Maximus und andern Quellen dieser Art
neue Ideale proclamirt.
Ungleich wichtiger und selbständiger als dieses buchgeborene alle-
gorische Element ist in Giotto’s Schule das symbolische. Es giebt
hohe, gewaltige Gedanken, die sich durch keinen bloss historischen
Vorgang versinnlichen lassen und doch gerade von der Kunst ihre
höchste Belebung verlangen. Das betreffende Kunstwerk wird um so
ergreifender sein, je weniger Allegorie, je mehr lebendiges, deutliches
Geschehen es enthält. Die künstlerische Symbolik spricht theils Grup-
pen- und Kategorienweise, theils durch allbekannte historische Cha-
raktere. Das Grösste was von dieser Art vorhanden ist, trägt am
Wenigsten den Stempel der blossen subjectiven Erfindung; es sind
vielmehr grosse Zeitgedanken, die sich fast mit Gewalt der Kunst
aufdrängen.
Zu diesen Gegenständen gehört schon das ganze Jenseits, obwohl
nicht unbeschränkt. Soweit das Evangelium und die Apokalypse in
ihren Weissagungen gehen, hat die Kunst noch einen Boden, der mit
dem Historischen von gleichem Range ist. Erst mit den einzelnen
Motiven, die hierüber hinausgehen, beginnt die freie Symbolik. Das
Weltgericht in seinen drei Abtheilungen: Gericht, Paradies und
Hölle, hat in dieser Schule drei mehr oder weniger vollständige Dar-
cstellungen erhalten: die (sehr zerstörte) Giotto’s 1) an der Vorderwand
dder Arena zu Padua, und die der beiden Orcagna in S. Maria novella
e(Cap. Strozzi) und im Camposanto (der unterste Theil von dem schlech-
[771]Symbolik. Weltgerichtsbilder.
ten Übermaler wesentlich verändert). Die Hölle ist an beiden letztern
Orten mit offenbarem Anschluss an Dante nach Schichten oder Bulgen
eingetheilt, in welche die einzelnen Sünderclassen nach Verdienst ein-
geordnet sind. Ich überlasse es einem Jeden, über Dante’s Unter-
nehmen, über diess eigenmächtige Einsperren der ganzen Vor- und
Mitwelt in die verschiedenen Behälter seiner drei grossen Räume zu
denken wie er will; nur möge man sich im Stillen fragen: wo hätte
er dich wohl hingethan? Es ist nicht schwer, diejenigen verschiedenen
Höllenbulgen im Gedicht nachzuweisen, wohin z. B. die meisten jetzigen
Anbeter des Dichters selbst zu sitzen kämen. Aus dem Gedichte
spricht nur zu oft der Geist der unerbittlichen, unauslöschlichen Zwie-
tracht, welcher das Unglück Italiens verschuldet hat. Auch in dem
symbolischen Inhalt überhaupt, so schwer und künstlich er verarbeitet
ist, liegt, wie gesagt, nur der culturgeschichtliche, nicht der poetische
Werth der Divina Commedia. Der letztere beruht wesentlich auf der
hohen, plastischen Darstellungsweise der einzelnen Motive, auf dem
gleichmässig grandiosen Styl, wodurch Dante der Vater der neuern
abendländischen Poesie wurde.
Die Malerei konnte sich von dieser Seite seines Wesens nur
einen Theil aneignen; das Schön-Episodische fiel in den Höllenbildern
weg, und es blieb nur die Gruppirung nackter Körper nach Abthei-
lungen als künstlerisch dankbares Element übrig. In dem Bilde des
Camposanto ist denn auch die eine Gruppe der zusammengekauerten,a
die aneinander nagen, von vorzüglicher Bedeutung. Das Bild in
S. Maria novella dagegen, welches Vollständigkeit des Höllencyclusb
bezweckt und desshalb nur kleine Figuren enthält, ist künstlerisch so
viel als nichtig.
Das Weltgericht selber bleibt von Dante frei, wie sich von selbst
versteht. Die Kunst des XIV. Jahrh. zeigt sich hier in ihrer Be-
schränkung gross; sie verzichtete im Wesentlichen darauf, das Raum-
lose räumlich, das Passive körperlich und dramatisch interessant zu
machen; in regelmässigen Schichten von Köpfen drückte sie diesseits
Jubel und Seligkeit, jenseits Jammer und Verdammniss collectiv aus;
nur mässig aber bedeutend gewählt sind ihre Episoden; in dem Bilde
des Camposanto ist z. B. ein Zug der echtesten Symbolik die Gruppec
der von Teufelshänden gepackten Frauen, welche die Andern (nicht
49*
[772]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
unwillkürlich, sondern) als Genossinnen und Mitschuldige mit sich
reissen; oder die aufs Höchste gesteigerte Inbrunst des auf einer
Wolke am Rand einer Reihe knieenden Johannes d. T.; es ist rich-
tig und schön gedacht, dass der Vorläufer Christi an diesem höchsten
Akt seiner Macht gerade diesen Antheil habe. Von der himmlischen
Gruppe ist schon die Rede gewesen. — In S. Maria novella kommt
aeine besondere Darstellung des Paradieses hinzu, welche durch die
süssere Schönheit ihrer Köpfe vor den mehr sinnlich energischen des
Bildes im Camposanto einen gewissen Vorzug hat. Der Unterschied
des seligen Daseins gegenüber dem gewaltigen Act des Gerichtes ist
dadurch ausgedrückt, dass die Köpfe nicht wie hier im Profil gegen
Christus, sondern in ganzer Ansicht gegen den Beschauer gerichtet
sind. Mit so leisen Mitteln muss diese Kunst wirken.
Die Teufel, wo sie vorkommen (ausser den genannten Bildern
bz. B. besonders reichlich in der Cap. d. Spagnuoli, wo Christus im
Limbus erscheint), sind reine Caricaturen und Satan selbst am Mei-
sten. Vor lauter Teufelhaftigkeit haben sie gar nichts Dämonisches.
Von den übrigen symbolischen Compositionen der Schule ist der
cTrionfo della morte weit die bedeutendste. Sie bedarf weiterer Er-
läuterungen gar nicht, weil hier der symbolische Gedanke rein im
Bilde aufgeht. Die Gegensätze sprechen in Gestalt von Gruppen sich
klar genug gegeneinander aus. Orcagna war auch als Künstler dem
ganzen reichen Gedanken völlig gewachsen.
Diess gilt von dem grossen symbolischen Fresco des Ambrogio
dLorenzetti im Pal. pubblico zu Siena, mit der Darstellung der Folgen
des guten und des tyrannischen Regimentes, lange nicht im gleichen
Masse; doch ist die buchmässige Allegorie wenigstens mit Zügen ech-
ter und schöner Symbolik gemischt. (Im Oct. 1853 war die betref-
fende Sala delle Balestre nicht zugänglich.)
Dagegen fehlte es den Malern der Capella d. Spagnuoli bei
S. Maria novella nicht an der Gestaltungskraft auch für das Bedeu-
tendste. Ausser jener grossen allegorischen Darstellung (linke Wand)
wo S. Thomas von Aquino in der Mitte aller Wissenschaften und
Künste thront, schufen sie an der rechten Wand ein symbolisches
Bild: die Bestimmung und Macht der Kirche auf Erden. (Das Ein-
zelne ist in den Handbüchern nachzusehen.) Ein überreiches, sorg-
[773]Symbolik. Ihre Unfreiheit.
fältig und schön durchgeführtes Werk, aber vollkommen aus der Buch-
phantasie, nicht aus der Künstlerphantasie entstanden, wesshalb es
denn auch eines Buches zur Erklärung bedarf. Wie anders deutlich
und ergreifend spricht der Trionfo della morte. Wie anders gross-
artig hätte sich auch das Bild der Kirche symbolisch geben lassen!
Freilich im Kloster von S. Maria novella hätte sich auch ein Orcagna
einem gegebenen dominicanischen Programm aus guten Gründen ohne
Widerrede gefügt.
Diese theologisirende Phantasie hat noch mehr als einmal der
Kunst den echten Gestaltungstrieb verleidet. Man sehe bei Pietro di
Puccio (Camposanto) Gott als Schöpfer und Herrn der Welt darge-a
stellt. Es ist eine riesige Figur die einen ungeheuern Schild mit den
concentrischen Himmelssphären vor den Leib hält; unten schauen die
Füsse hervor. Somit ist freilich jeder Gedanke an eine Immanenz
Gottes in der Welt beseitigt 1).
Oder die Glorie des heil. Thomas von Aquino, auf einem Altarb
links in S. Caterina zu Pisa, von einem gewissen Francesco Traini
(an sich ein geringes Bild). Hier sollte die geistige Einwirkung,
welche der Heilige von verschiedenen Seiten empfangen und auf die
Gläubigen ausgeübt, symbolisch dargestellt werden. Der Maler (oder
sein Rathgeber) machte diess auf die leichteste Weise mit goldenen
Strahlen ab. Von dem oben angebrachten Christus geht je ein Strahl
auf jeden der sechs Apostel und drei auf den in der Mitte thronen-
den S. Thomas; von jedem Apostel und von den weiter unten stehen-
[774]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
den Heiden Plato und Aristoteles geht je ein Strahl auf den Kopf des
Thomas; von dem Buch des Thomas (der Summa) gehen viele Strahlen
auf die unten versammelten Geistlichen; mitten auf der Erde liegt ein
widerlegter Ketzer. Das Wesentliche in dieser ganzen Darstellung
liess sich schon mit dem blossen Lineal hervorbringen.
An einem Traini und seiner Eigenthümlichkeit ging nun nicht
eben viel verloren, aber bei Andern darf man es wohl bedauern, dass
die Theologie ihnen Gedankengänge vorschrieb, während sie aus
eigenen Kräften die gegebenen Grundideen höher verherrlicht haben
würden.
Glücklicher Weise war Giotto selbst freier gewesen, als er in
aeiner Abtheilung des oben genannten Gewölbes der Unterkirche von
Assisi die Glorie des heil. Franciscus malte: der Heilige als Verklär-
ter, im goldgewebten Diaconengewand, mit einer Kreuzfahne, um-
schwebt von Engelchören. Diess ist echte, deutlich sprechende Sym-
bolik. Die S. 772, e erwähnte Glorie des heil. Thomas von Aquino
dagegen musste mit Allegorien vermischt werden, weil der Triumph
des gelehrten Heiligen über alle einzelnen Wissenschaften und Kün-
ste zur Anschauung kommen sollte.
Die Schule Giotto’s ergeht sich nur in Fresco und nur in der
bewegten Handlung mit voller Freiheit und Grösse. Ihre Altarwerke,
welche fast durchaus nur ruhige Andachtsbilder sind, geben einen
sehr beschränkten Begriff von ihrem Wesen, sind aber für die Beur-
theilung ihres technischen Vermögens (und Wollens) von Wich-
tigkeit.
Die kunstgeschichtlich bedeutendsten derselben wurden bereits
oben genannt. Ausserdem enthält fast jede ältere Kirche Toscana’s
irgend ein Stück, und dann bilden die aus vielen Kirchen und Klö-
bstern vereinigten in der Academie zu Florenz eine ganze grosse Samm-
lung (hauptsächlich in der Sala delle Esposizioni) 1). Wer Zeit und
Lust hat, mag sie allmählig nach Manieren und einzelnen Meistern
sondern; hier nur einige allgemeine Bemerkungen.
[775]Altarwerke.
Es handelt sich fast immer um eine thronende Madonna mit En-
geln und Heiligen; ausserdem kommt am ehesten die Krönung der
Maria durch Christus vor 1). Die Heiligen stehen theils einzeln, theils
hintereinander geschichtet seitwärts; in der Regel durch eigene Ein-
fassungen, Säulchen etc. getrennt. Die Richtung ist meist die der
Dreiviertelansicht, damit die Gestalt ebensosehr dem andächtigen Be-
schauer als der Jungfrau zugewandt sei; nur die vor ihr Knieenden
sind ganz im Profil dargestellt. Seitenblicke zum Behuf der Abwech-
selung kommen noch nicht vor. Die Stellung meist ruhig; nur etwa
Johannes d. T. mit erhobenem Arm, als Prediger, oder um auf das
Kind hinzuweisen. Maria durchgängig von schlichtem Ausdruck, ohne
irgend einen Zug besonders gesteigerten Gefühles; beim Kinde der
Anfang eines harmlosen Vergnügens, ohne welches in der That kein
gesundes Kind still sitzt, etwa das Spiel mit einem Hänfling. Die
Färbung im Ganzen licht, wie sie die Tempera verlangt. Die durch-
gehende Grundlage bilden roth, blau und gold. (Die Kreise von Che-
rubsköpfen ganz blau und ganz roth.) In der Gewandung sind die
gewirkt gedachten Prachtmuster ungleichmässiger angewandt als bei
den Sienesen, dafür tritt der würdige und schöne Wurf viel mehr als
Hauptzweck hervor. Man kann es verfolgen, wie die Kunst an den
verhältnissmässig wenigen Hauptmotiven mit Anstrengung weiterbil-
det: es ist der Mantel der thronenden Madonna, derjenige der auf
dem einen Knie liegenden Figuren, der mit der einen Hand aufge-
fasste Mantel der Stehenden, die strammfallende Kutte der h. Mönche,
die schwer gestickte Dalmatica der Diaconen u. s. w. Für die Köpfe
spricht die Schule hier ihre Absicht deutlicher aus, als in den meisten
Fresken. Wenn ich mich nicht täusche, so tritt viel speciell Floren-
tinisches im Oval und in der Bildung der Nase und des Mundes zu
Tage. Das momentan Beseelte darf man hier überhaupt noch nicht
erwarten.
Die Altarstaffeln (Predellen) wiederholen so ziemlich in ihren
Geschichten die Compositionen der Fresken; sie sind also eine Ver-
[776]Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
kleinerung des Grossen. In der nordischen Kunst sind so oft umge-
kehrt die grössern Bilder eine Vergrösserung des im Kleinen als Mi-
niatur Gedachten.
Zur Beurtheilung dieser Tafelmalerei der Nachfolger Giotto’s und
der Sienesen ist es nothwendig, sich das Ganze der Altarwerke zu
vergegenwärtigen, die man jetzt in Galerien, Kirchen und Sacristeien
meist in ihre einzelnen Theile zersplittert antrifft, — in der Regel weil
sie bei irgend einem Umbau der Kirche zu dem Barockstyl der neuen
Altäre als in die Breite gehendes Ganzes nicht passen wollten. Ganz
erhaltene Beispiele mit möglichst reicher Ausstattung sind sehr selten;
aeines findet sich z. B. in der Academie zu Florenz (Saal der Ausstel-
blung); ein noch vollständigeres in S. Domenico zu Cortona, an der
linken Wand. Dieses Altarwerk eines nicht gerade bedeutenden Meisters,
Lorenzo di Niccolò, hat noch ausser dem Hauptbilde (Krönung Mariä)
alle seine Nebenbilder, Fries- und Giebelfüllungen, Oberbilder, Untersatz-
bilder (Predellen) und an den Flächen der Seitenthürmchen die sämmt-
lichen Täfelchen mit Einzelheiligen; auch alles Architektonische —
üblicher Weise die Nachahmung eines Kirchenbaues — ist wohl er-
halten. Hier lernt man erst erkennen, für welchen Raum und für
welchen Theil eines Gesammtwerkes z. B. Fiesole jene jetzt in alle
Welt zerstreuten Tafeln gemalt hat. Dass ein Altar dieser Art, mit
einer solchen Menge von Einzeltheilen, einen ruhig-grossen Eindruck
machen solle, darf man weder erwarten noch verlangen.
Endlich sind in Toscana aus dem XIII. und XIV. Jahrh. eine
Menge gemalter Crucifixe, oft von colossaler Grösse erhalten. Sie
hingen früher, nach dem Gebrauch der katholischen Welt, frei und
hoch über dem Hauptaltar, mussten aber in der Barockzeit jenen be-
kannten, pomphaften Architekturen mit Gemälden weichen und er-
hielten ihre Stelle z. B. über dem Hauptportal, neuerlich auch in
cSammlungen. (Mehrere in der Acad. zu Siena.) Man wird im Gan-
zen finden, dass sie je älter, desto unwürdiger sind, mit weitausge-
bogenem, grünlich gefärbtem Leibe. Erst Giotto stellte etwas darin
[777]Altarwerke. Crucifixe. Schule von Siena.
dar, was dem Sieg über den Tod ähnlich sieht; wenn auch der Cru-
cifixus im Gang zur Sacristei von S. Croce in Florenz schwerlicha
von ihm sein mag, so wäre doch ein solches Werk ohne seinen Ein-
fluss nicht vorhanden. (Zwei andere in der Sacristei selbst.) — Anb
den vier Enden der Bretter insgemein die vier Evangelisten, oder
rechts und links Sonne und Mond als Personen, die ihr Haupt ver-
hüllen; die Senkung des Hauptes Christi meist ganz naiv durch
schräge Richtung des obern Brettes verdeutlicht.
Die Schule von Siena, welche im XIII. Jahrh. mit Guido und
Duccio (S. 743, 347) so bedeutende Elemente der Schönheit entwickelt
hatte, besass im XIV. Jahrh. keinen Künstler, der Giotto’s Einfluss
entweder die Spitze geboten, oder denselben auf fruchtbringende
Weise mit der einheimischen Richtung verschmolzen hätte. Sie theilte
schon die florentinische Liebe für grosse Bilderkreise in Fresco nicht
in besonderm Grade; ihr vorzüglichster Meister zu Giotto’s Zeit, Si-
mone di Martino, scheint sich nirgends über das ruhige Andachts-
bild erhoben zu haben. Freilich sind seine Madonnen durch ihre
Pracht und miniaturartige Feinheit, durch den Schwung der Gewän-
der und die eigenthümliche Schönheit der Züge wahre Juwelen der
mittelalterlichen Kunst; doch giebt ihnen die conventionelle Bildung
des Auges und des Mundes, die bei Duccio noch nicht merklich auf-
fällt, immer etwas Befremdliches. (Die unzweifelhaften sind sehr sel-
ten 1) und meist ausserhalb Italiens; von ihm und Lippo Memmi diec
grosse Verkündigung in Florenz, erster Gang der Uffizien, datirt 1333;
unangenehm durch die Geberde der Madonna.) — Simone’s grosses Frescod
im Pal. pubblico zu Siena (Sala del Consiglio), die Madonna umge-
ben von vielen Heiligen, deren einige den Baldachin über ihr tragen,
ist so symmetrisch und regungslos, als irgend ein Altarbild, im Ein-
[778]Malerei des germanischen Styles. Schule von Siena.
zelnen aber von einer Schönheit, nach welcher die Florentiner nicht
einmal gestrebt hätten. Von seinem Schüler Lippo Memmi besitzt
aSiena wenigstens noch ein sicheres Madonnenbild in der Kirche della
Concezione oder ai Servi (im rechten Querschiff, über der Thür zum
bSacristeigang); das grosse Altarwerk in der Academie (erster Raum)
gehört ihm nur nach Vermuthung. Sonst giebt die Sammlung der
Academie von Siena (erster bis dritter Raum) eine Übersicht der dor-
tigen Malerei des XIV. Jahrh., die im Ganzen einen merkwürdigen
Stillstand beurkundet, eine ungesunde Befangenheit in der einmal an-
genommen Gesichtsbildung und in einzelnen byzantinischen Manieren
(aufgesetzte helle Lichter, Prachtmuster der Gewänder und der Gründe,
grüne, vielleicht nur durch Verderbniss einer Mineralfarbe so gewor-
dene Fleischschatten u. s. w.)
Die einzelnen Künstlercharaktere müssen dem Studium an Ort
und Stelle überlassen bleiben, da wir es nicht mit den Zurückgeblie-
benen, sondern mit den Vorwärtsstrebenden zu thun haben. Unver-
meidlich drang von Florenz und von dem übrigen Italien aus die all-
verbreitete, zum Gemeingut der Nation gewordene Erzählungsweise
Giotto’s auch nach Siena; Ambrogio Lorenzetti malte in der
cSala delle balestre des Palazzo pubblico auch jene grosse symbolische
Composition in giottesker Art, die Folgen des guten und des schlech-
ten Regimentes; mit seinem Bruder Pietro schuf er sogar im Campo-
santo zu Pisa jenes grosse, an guten Einzelheiten so reiche Fresco
der Einsiedler in der Thebais; allein hier wie in den Tafelbildern der
Schule macht das historisch Erzählende in Composition und Zeich-
nung doch einen wesentlich secundären Eindruck. Die chronicalisch
dkindlichen, braun in braun gemalten Kriegsbilder in der Sala del con-
siglio, welche man dem Ambrogio vielleicht mit Unrecht zuschreibt,
mögen ganz ausser Rechnung bleiben; ihr sachliches Interesse ist
indess nicht gering. Von dem Besten dieser Reihe, Berna da
Siena, enthält die Vaterstadt gerade nichts Nennenswerthes; die
estark übermalten Fresken am Tabernakel des Lateran’s in Rom schei-
nen ehemals sehr anmuthig gewesen zu sein; auch seine Arbeiten in
fder Cathedrale von S. Gimignano werden gerühmt. Immer wird man
bei dieser Schule die reinen Andachtsbilder vorziehen; so giebt z. B.
gein Altarwerk von Pietro Lorenzetti (Acad., erster Raum) wenigstens
[779]Schule von Siena.
das Hochfeierliche, die Pracht der Goldmuster, die symmetrisch schwe-
benden Engelschwärme u. dgl. in früher Vollständigkeit.
Das Ende dieser halb von Giotto’s Geist. berührten Malweise
verzieht sich mit Bartolo da Siena und seinen Schülern Taddeo
di Bartolo und Domenico di Bartolo bis weit in das XV. Jahrh.
hinein. Ihre Andachtsbilder (Acad.) zehren von der Inspiration desa
Pietro Lorenzetti u. A., wenn sie auch scheinbar reicher sind; Tad-
deo’s Fresken in der obern Capelle des Pal. pubblico sind nicht besserb
als giotteskes Mittelgut; diejenigen vor dem Gitter (grosse Männer
des Alterthums, Planetengottheiten u. s. w.) nicht einmal dieses. Mit
Domenico bricht der Styl um und der Realismus des XV. Jahrhun-
derts dringt ein, doch einstweilen nur stellenweise, sodass sich im
Ganzen noch die alte Auffassung und sehr viel von der alten Detail-
bildung behauptet. Die Meister dieses wunderlichen Zwitterstyles
(Acad., dritter Raum), ein Giovanni di Paolo, Pietro di Giovanni, Sanoc
di Pietro, Pietro di Domenico sind neben ihren Zeitgenossen aus an-
dern Schulen nicht der Rede werth. Wie es sich mit denjenigen
Sienesen verhielt, die sich entschiedener der neuen Auffassung in die
Arme warfen, wie Matteo di Giovanni u. a., wird unten kurz berührt
werden.
Das stolze Siena, das um das Jahr 1300 zur Anführerschaft in
der italienischen Malerei berufen schien, sollte erst zwei Jahrhunderte
später denjenigen Augenblick erleben, da seine Maler, abgeschlossen
und wenig gekannt, das Panier der wahren Kunst höher empor hiel-
ten als irgend eine Schule Italiens mit Ausnahme der venezianischen.
Ist nun der Maler, welcher im Camposanto zu Pisa, oder der-
jenige, welcher in der Cap. degli Spagnuoli zu Florenz Symon von
Siena heisst, identisch mit Simone di Martino? Namengebungen sind
überhaupt nicht die Aufgabe dieses Buches. An Simone di Martino
erinnern die Allegorien der Wissenschaften in der Cap. d. Spagn. we-
nigstens im Ausdruck der Köpfe ziemlich direct (S. 751, e); dagegen
möchten die Sachen im Camposanto von einem Spätern herrühren,
welcher beiden Schulen zugleich angehörte.
[780]Malerei des germanischen Styles. Bologna.
Ugolino da Siena ist, dem oben (S. 752, 1) genannten Madon-
nenbild zufolge, in seinem Styl eher ein Florentiner. Das berühmte
asilberne Reliquiarium, mit zwölf Emailbildern, die Geschichte des
Fronleichnamsfestes enthaltend (Santo Corporale), im Dom von Or-
vieto, für welches ein Ugolino Vieri (1338) genannt wird, kenne ich nur
baus Abbildungen; — die Chorfresken desselben Domes, von Ugolino di
Prete Ilario, habe ich nur flüchtig gesehen; sie scheinen wiederum
eher florentinisch als sienesisch. Ob die drei Maler identisch sind,
weiss ich nicht zu ermitteln.
Nach der Aufzählung dessen, was durch Giotto selbst und unter
seinem nähern, zum Theil unmittelbaren Einfluss zu Stande kam, ge-
hen wir über zur Betrachtung der entferntern Wellenschläge, durch
welche Er die damalige italienische Kunst bis weit hinaus bewegt.
Sehr wahrscheinlich waren zu seiner Zeit mehrere Localschulen auf
einer ähnlichen Bahn wie die seinige; die Zeit, die Ihn reifte, wirkte
auch auf sie; allein nur um so unvermeidlicher mussten sie dann unter
seine Botmässigkeit gerathen, hier mehr dort weniger. Er hatte von
Padua bis Neapel und westlich bis Avignon an so vielen Orten grosse
Denkmäler hinterlassen, dass man seine Neuerung überall kannte und
sich danach achten konnte; rechnet man noch die Werke seiner Schule
hinzu, so war in ganz Italien keine künstlerische Potenz mehr vor-
handen, die sich dieser Masse des Grossen und Neuen gänzlich hätte
erwehren können. Scheinbar selbständig blieben nur die Unfähigen.
Unter den Oberitalienern mussten die Bolognésen der ganzen
Einwirkung von der florentinischen Schule aus am unfehlbarsten aus-
gesetzt sein. Aber ihre malerische Thätigkeit und Fähigkeit ist im
XIV. Jahrh. erstaunlich lahm und geringfügig. Der älteste von ihnen,
Vitale, ein Zeitgenosse Giotto’s ist wenigstens in einem Bilde der
cPinacoteca zu Bologna (1320, thronende Maria mit zwei Engeln) süss
und holdselig auf sienesische Weise, sodass man an Duccio erinnert
wird. Die Übrigen, halbgiottesken, sind in ihren Tafelbildern meist
so gering, dass in Florenz von ihnen nicht die Rede sein würde.
[781]Bologna. Die Mezzaratta.
Und dieselbe Behandlungsweise, dieselbe Talentlosigkeit bleibt das
Merkmal der Schule bis über die Mitte des XV. Jahrh. hinaus. Von
diesen Madonnen- und Crucifixmalern werden hauptsächlich genannt:
Lippo di Dalmasio. Servi, eine der hintersten Cap. des Chor-a
umganges: Mad. mit SS. Cosmas und Damian; in derselben Kirche
noch mehrere alte Madonnen von verschiedenen Händen.
Simone da Bologna. In der vierten jener sieben Kirchen zub
S. Stefano (S. Pietro e Paolo) rechts neben dem Chor: ein Crucifi-
xus; — in der siebenten (S. Trinità) an einem Pfeiler: S. Ursula mit
ihren Gefährten. (In der ersten dieser Kirchen, beiläufig gesagt, Fres-
ken der Kreuztragung — links im Chor, und der Kreuzigung — auf
dem Hochaltar, von einem auch der Herkunft nach unbekannten Ma-
ler des XV. Jahrh. — In einem Gang an der siebenten Kirche: An-
zahl kleiner altbolognes. Bilder.) — In S. Giacomo maggiore, drittec
Cap. des Chorumganges rechts: Simone’s bester Crucifixus, datirt 1370.
Einzelnes in der Pinacoteca.d
Jacobus Pauli (den man in Bologna beharrlich mit dem unten
zu nennenden Giacomo d’Avanzo identificirt). Mehreres in der Pina-e
coteca; — an dem grossen Altar in S. Giac. magg., dritte Cap. desf
Chorumgangs, rechts, ist von ihm die Krönung Mariä.
Die einzige Kirche, in der eine grössere Reihe von Fresken der
Schule erhalten ist, liegt vor Porta Castiglione auf dem Wege zur
Villa Aldini; es ist die Mad. della Mezzaratta. Hier sieht man, ge-g
genwärtig gewissenhaft gereinigt und zugänglich gemacht, Malereien
von Vitale (das Presepio), Jacobus (wahrscheinlich Jac. Pauli,
u. a. der Teich von Bethesda und die Geschichte Josephs), Simone
(der Kranke, welcher durch das Dach hereingelassen wird) Christo-
foro oder Lorenzo (Geschichten des Moses) etc. etc. Der Durch-
schnitt ist beträchtlich besser als in den Tafelbildern.
In S. Petronio enthält die 4. Cap. links unbedeutende Wandfres-h
ken (etwa um 1400), dem Buffalmaco oder gar dem Vitale zugeschrie-
ben; beides chronologisch unmöglich. Der Maler hat z. B. in seinem
Weltgericht schon begreiflicher und wirklicher sein wollen als Or-
cagna; seine Heiligen sitzen auf zwölf Reihen Bänken zu beiden Seiten
Christi, gleichsam ein Concil bildend. (Neuerlich dem Simone beige-
legt.) — Die beiden Fresken in der ersten Capelle links sind gering,i
[782]Malerei des germanischen Styles. Oberitalien.
ebenso was sonst noch aus dieser Zeit in der Kirche vorhan-
den ist.
Wie man in Bologna noch 1452 — 1462 malen durfte, zeigen in
ader Pinacoteca die Bilder des Petrus de Lianoris, des Mic-
chele Mattei und der seligen Nonne Caterina Vigri. (Von
bMattei auch ein besseres Altarwerk in der Academie zu Venedig.)
In Modena ist mir weder von Thomas noch von Barnabas,
den beiden nach dieser Stadt benannten Malern, etwas zu Gesichte
gekommen.
In Parma sind die Fresken jener Zeit im Dom ziemlich unbe-
deutend. (Vierte Cap., rechts; — fünfte Cap., links; — Nebenräume
der Crypta.) — Das Baptisterium Seite 742, a.
In Ferrara enthält S. Domenico (fünfte Cap., links) eine der
schönern Madonnen des XIV. Jahrh., unabhängig von Giotto.
In Ravenna bietet das Gewölbe einer Nebencapelle von S. Gio-
vanni Evangelista gute und fleissige, spätgiotteske Malereien. (Evan-
gelisten und Kirchenlehrer.)
Weit die wichtigste Stätte der oberitalischen Malerei ist in die-
ser Zeit Padua, wo Giotto’s grosses Werk (s. oben) den Sinn für
monumentale Kunst geweckt haben muss. Die lange dauernde Aus-
schmückung des Santo und die Kunstliebe des Fürstenhauses der
Carrara kamen ganz wesentlich dem Fresco zu Gute. Vermuthlich
ist lange nicht Alles erhalten 1); von Giusto Padovano z. B. lässt
sich nichts Beglaubigtes nachweisen. Die chronologisch sichere Reihe
fbeginnt erst 1376 mit der Capelle S. Felice im Santo (rechts, gegen-
über der Cap. des h. Antonius), ausgemalt von den beiden Verone-
sen [Giacomo?] d’Avanzo und Aldighiero da Zevio. Die sie-
ben ersten Bilder aus der Legende des h. Jacobus, dem Letztgenann-
ten zugeschrieben, verrathen schon eine eigenthümliche und geistvolle
Aufnahme der Stylprincipien Giotto’s. Es ist einer der besten Erzäh-
ler, Zeichner und Maler dieser Zeit. Die übrigen Bilder der Legende
und die grosse Kreuzigung an der Hinterwand sind Werke d’Avan-
zo’s. Dieser, als der erste Individualistiker, thut einen grossen Schritt
[783]Padua. Aldighiero und d’Avanzo.
über Giotto und seine Schule hinaus. Er führt den physiognomischen
Ausdruck seiner einzelnen Gestalten nach Charakter und Moment bis
ins Äusserste durch, so dass der Rhythmus der Composition bereits
daneben zurücktreten muss. — Im Jahr 1377 begannen die beiden
Meister die Ausmalung der Cap. San Giorgio auf dem Platze vora
dem Santo. (Bestes Licht: um Mittag. Die Entdeckung dieser Fres-
ken verdankt man Ernst Förster.) Der Antheil Aldighiero’s ist hier
nicht näher auszumitteln; jedenfalls kann das Ganze als d’Avanzo’s
Werk gelten. In 21 grossen Bildern sind hier die Jugendgeschichten
Christi, die Kreuzigung, die Krönung Mariä, und die Legenden des
h. Georg, der h. Lucia und der h. Catharina dargestellt. Die Com-
position zeigt durchweg die Vorzüge, welche sie bei den besten Giot-
tesken entwickelt; ausser der sprechenden Deutlichkeit des Momentes
ist auch die Gruppenbildung an sich schön, hauptsächlich aber ist
hier in hunderten von Figuren der Charakter des Individuums und
der des Augenblickes auf der ganzen grossen Scala vom Höchsten
bis zum Niedrigsten wirklich gemacht, und zwar ohne Caricatur,
noch innerhalb des Typus jenes Jahrhunderts. In der Schönheit ein-
zelner Köpfe ist d’Avanzo sogar den meisten Giottesken überlegen.
Endlich geht er über diese hinaus durch seine ungleich genauere
Modellirung, durch Abstufung der Töne 1), ja (im letzten Bilde der
h. Lucia) durch bedeutende Versuche zur Illusion. (Richtigere Bau-
perspective, Verjüngung der entferntern Gestalten, und selbst Luft-
perspective.)
Dieses grosse Beispiel blieb einstweilen in Padua selbst ohne
Folge. Die sehr umfangreichen Unternehmungen in Fresco, welche
die nächstfolgende Zeit hervorbrachte, gehören im Ganzen zu den
schwachen und selbst zu den schwächsten Arbeiten des von Giotto
abgeleiteten Styles. Die Fresken des Baptisteriums beim Dom, vonb
den beiden Paduanern Giovanni und Antonio (1380), sind nur
als sehr vollständiger und bequem zu betrachtender Cyclus der für
diese Stelle geeigneten heiligen Gestalten und Scenen von Werthe.
(Zumal im Vergleich mit den Mosaiken des orthodoxen Baptisteriums
von Ravenna ergiebt sich auf merkwürdige Weise der Zuwachs der
[784]Malerei des germanischen Styles. Oberitalien.
kirchlichen Bilderwelt seit 1000 Jahren.) Von denselben Malern: die
aFresken der Capelle S. Luca im Santo (die nächste nach der Anto-
niuscapelle), vom Jahr 1382, mit den Geschichten der Apostel Phi-
lippus und Jacobus d. J., ebenfalls roh, doch mit einzelnen glückli-
chern und lebendigern Motiven. — Erst aus dem XV. Jahrh.: die
bFresken des ungeheuern Saales im Palazzo della ragione, von Giov.
Miretto (nach 1420), ein Riesenunternehmen von beinahe 400 ein-
zelnen Bildern, welche den Einfluss der Gestirne und Jahreszeiten
auf das (in wahren Genrebildern geschilderte) Menschenleben dar-
stellen, voll unergründlicher Bezüge aller Art, aber in den malerischen
Motiven entweder ungeschickt und kraftlos oder blosse Reminiscenz
von Besserm. (Ehemals galt der Zauberer Pietro von Abano als Er-
cfinder, Giotto als der Maler.) — Auch die Fresken im Chor der Ere-
mitani, nach Zeit und Styl diesen verwandt (früher einem Maler des
XIV. Jahrh., Guariento, zugeschrieben) sind nur sachlich merkwürdig,
besonders wegen der einfarbigen astrologischen Nebendarstellungen.
Über die Malereien paduanischer Grabmäler vgl. S. 165.
In Verona ist von Aldighiero und d’Avanzo nichts vorhanden.
dDem oben (S. 296, a) genannten anmuthigen Stefano da Zevio
werden die Fresken über einer Seitenthür von S. Eufemia und in
einer Aussennische von S. Fermo zugeschrieben. (Der Verf. hat sie
1854 übersehen und weiss nicht ob sie noch vorhanden sind.) — Die
einnere Portallunette von S. Fermo enthält eine gute Kreuzigung; die
Mauer um die Kanzel eine Anzahl (dem Stefano zugeschriebene)
Köpfe von Heiligen und Propheten. — An einzelnen Heiligenfiguren
fist S. Zeno (S. 742, c) ziemlich reich. — Das Meiste ergiebt S. Ana-
gstasia; die Portallunette mit S. Zeno und S. Dominicus, welche die
Bürger und die Mönche des Klosters der Dreieinigkeit empfehlen,
unbedeutend im Styl, aber rührend durch die ehrliche Intention; —
sodann in der 2. Cap. rechts vom Chor ein ganz tüchtiges Empfeh-
lungsbild (der Familie Cavalli) neben Geringerem; — in der 1. Cap.
r. v. Chor zwei Nischengräber mit guten thronenden Madonnen etc.
In Mailand ist wenig oder nichts erhalten. Die Fresken der
hhintern Capelle in S. Giovanni a Carbonara zu Neapel (mit dem Grabe
[785]Späte Paduaner. Mailänder. Marchesaner.
des Caracciolo) sind zum Theil von einem Mailänder, Leonardo de
Bissuccio (nach 1433), wesentlich noch in giotteskem Styl.
Was sonst noch durch die Lombardie und in Piemont zerstreut
sein mag, ist entweder dem Styl nach unbedeutend oder dem Verf.
nicht bekannt. In Genua scheint damals kaum eine Malerei existirt
zu haben. Die paar alten Bilder vom Anfang des XV. Jahrh. in S.a
Maria di Castello (1. und 3. Cap. links) machen es begreiflich, dass
man für die Verzierung des anstossenden Klosters 1451 einen Deut-
schen, Justus de Allamagna, in Anspruch nahm.
Für die Gegenden von Bologna bis Ancona muss ich auf die
Handbücher verweisen. Nur Ein Künstler, dessen Werke und Ein-
wirkung weit über seine Heimath hinausreichen, ist zu nennen: Gen-
tile da Fabriano. (St. 1450. — Von seinem vermuthlichen Lehrer
oder Vorgänger Alegretto di Nuzio findet man ein gutes Altar-b
bild im Museo cristiano des Vaticans.) Das einzige erhaltene Haupt-
werk Gentile’s, die Anbetung der Könige in der Academie zu Florenzc
(1423), zeigt uns einen Ausweg aus der Darstellungsweise Giotto’s,
welcher neben dem XV. Jahrh. gleichsam vorbeiführt. Statt sich dem
Charakteristischen, Wirklichen, Individuellen schrankenlos hinzugeben,
geht Gentile’s reine Jünglingsphantasie in das Schöne und Holdselige
und schafft eine bis zum Wunderbaren (auch durch äussere Mittel
der Pracht, z. B. Goldaufhöhung) gesteigerte Wirklichkeit. Es giebt
wenige Bilder, bei deren Entstehung sich die Darstellung einer idea-
len Welt für den Künstler so ganz von selbst verstand; wenige, die
einen so übermächtigen Duft von Poesie um sich verbreiten. Ausser
diesem Bilde und einer herrlichen Krönung Mariä, welche sich nebstd
vier einzelnen Figuren von Heiligen in der Brera zu Mailand befindet,
sind die wenigen in Italien vorhandenen Arbeiten entweder an ab-
gelegenen Orten, oder im Dunkel aufgehängt (Seitenflügel eines Al-e
tares im Chor von S. Niccolò zu Florenz), oder zweifelhaft (Krönungf
Mariä in der Academie von Pisa). Eine kleine, unzweifelhaft echteg
Madonna mit Engeln, im Pal. Colonna zu Rom.
B. Cicerone. 50
[786]Malerei des germanischen Styles. Venedig.
Die Kunstübung Venedigs, mit wenigen Ausnahmen (wie die
Mosaiken in der Cap. S. Isidoro und der Cap. de’ mascoli in S. Marco,
S. 737, c. u. d.) auf Altartafeln beschränkt, empfand von Giotto’s Einfluss
am wenigsten. Die Prachtausstattung, die tiefen Lackfarben, auch die
grünlichen Schatten im Fleische und der Farbenauftrag erinnern noch
direct an die lange Herrschaft der Byzantiner; in der Süssigkeit ein-
zelner Köpfe scheint auch ein sienesischer Anklang zu liegen. (Altar-
awerke von Nic. Semitecolo und Lor. Veneziano, 1357 oder
b1367 in der Academie; von Niccolò di Pietro 1394 im Pal. Manfrin.)
Gegen die Mitte des XV. Jahrh. gehen aus einer Werkstatt von
Murano jene prächtigen Altarwerke hervor, an welchen schon die
gothische Einfassung (S. 213), wo sie erhalten ist, die Absicht auf
den höchsten Glanz des Reichthums darthut. Sie sind bezeichnet:
Johannes und Antonius von Murano; Johannes aber heisst
mehrmals Alamannus und war ohne Zweifel ein Deutscher; Antonius
gehörte zu der später berühmten Künstlerfamilie der Vivarini.
cDrei Altarwerke, mit den Daten 1443 und 1444 finden sich in S.
Zaccaria zu Venedig (2. Nebencap. [rechts]), eine figurenreiche Krönung
dMariä mit dem (neu aufgemalten) Datum 1440 in der Academie ebenda,
eein ähnliches Bild in S. Pantaleon (Cap. links vom Chor), endlich
fwiederum in der Academie ein grosses Gemälde vom Jahr 1446:
Maria thronend zwischen den vier Kirchenlehrern. Einen kenntlichen
deutschen Einfluss offenbart nur etwa diese schöne, stille Maria; in
der weichen Carnation liegt eher eine Hinweisung auf Gentile da Fa-
briano, welcher sich längere Zeit in Venedig aufhielt. Gegenüber den
Staffeleibildern der alten Florentiner ist namentlich die tiefe, durch-
sichtige Farbe zu beachten; es ist der Übergang vom byzantinischen
Colorit zu demjenigen des Giov. Bellini. Die Gewandung hat noch
das Feierliche des germanischen Styles; in der ganzen, individuali-
sirenden Auffassung aber meldet sich schon der Einfluss des XV.
gJahrh., welcher endlich in dem grossen Altarwerk der Pinacoteca
von Bologna, von Antonio und Bartolommeo da Murano
(d. h. Vivarini), 1450, bereits harte und düstere Charakterköpfe
hervorbringt. (Dasselbe weicht auch in der glanzlosern Farbe von
obigen Werken ab, gleicht ihnen aber in der miniaturartigen Sorgfalt.)
[787]Neapel. Fra Giovanni da Fiesole.
Was in Neapel ausser den schon genannten Werken aus dieser
Zeit vorhanden ist, hat nur den Werth kunsthistorischer Belege. Von
Mastro Simone, einem Zeitgenossen Giotto’s, ist in S. Lorenzoa
(Querschiff links) ein von Engeln umschwebter S. Antonius von Pa-
dua und (7. Cap. rechts) der heil. Ludwig von Toulouse, welcher
seinem Bruder Robert die Krone reicht. — In S. Domenico maggiore:b
2. Cap. r. mittelgute und sehr übermalte Fresken mit der Legende der
h. Magdalena; — 6. Cap. r. (del Crocefisso) ausser Zingaro’s Kreuz-
tragung u. a. eine säugende Madonna; — 7. Cap. r. eine andere, in
einer Grabnische; — in der hintern Capelle gegen Strada della Tri-
nità zwei alte Bilder (von Stefanone?). — Von dem in Neapel
sehr gerühmten Colantonio del Fiore, der schon 1374 thätig
war und bis 1444 gelebt haben soll, ist nur ein einziges Werk ge-
niessbar aufgestellt, die Glorie des S. Antonius abbas, hinten im Chorc
von S. Antonio. Wer den weiten Weg (bis vor Porta Capuana) nicht
scheut, wird ein Bild finden, das man in Florenz kaum eines Blickes
würdigen möchte. Die Thürlunette an S. Angelo a Nilo, von dem-d
selben Meister ausgemalt, ist vor Staub nicht mehr kenntlich.
Für die Geschichte des Madonnentypus: die Mad. della rosa, ine
einer Cap. der linken Seite des Domes von Capua; streng germanisch
und vielleicht noch aus dem XIII. Jahrh.; die übrigen neap. Madon-
nen jener Zeit noch byzantinisch.
Ehe wir zu dem Styl des XV. Jahrh. übergehen, muss von einem
florentinischen Meister die Rede sein, in dessen Werken die Richtung
Giotto’s, ja der germanische Styl überhaupt noch einmal zu einer
herrlichen Erscheinung aufflammt, ja gleichsam den höchsten und letz-
ten Gipfel erreicht, von dem seligen (Beato) Fra Giovanni An-
gelico da Fiesole (1387—1455).
Zu dem Element der Schönheit, welches Orcagna in die Schule
gebracht, fügt dieser in seiner Art einzige Meister den Ausdruck
überirdischer Reinheit und Innigkeit. Eine ganze grosse ideale Seite
des Mittelalters blüht in seinen Werken voll und herrlich aus; wie
das Reich des Himmels, der Engel, Heiligen und Seligen im from-
men Gemüthe der damaligen Menschheit sich spiegelte, wissen wir
50*
[788]Malerei des germanischen Styles. Fiesole.
am genausten und vollständigsten durch ihn, sodass seinen Gemälden
jedenfalls der Werth religionsgeschichtlicher Urkunden ersten Ranges
gesichert ist. Wen Fiesole unbedingt anwidert, der möchte auch zur
antiken Kunst kein wahres Verhältniss haben; man kann sich die
fromme Befangenheit des Mönches gestehen und doch in der himm-
lischen Schönheit vieles Einzelnen und in der stets frischen und be-
glückenden Überzeugung die ihm zur Seite stand, eine Erscheinung
der höchsten Art erkennen, die im ganzen Gebiet der Kunstgeschichte
nicht mehr ihres Gleichen hat. In der dramatischen Erzählung ist
Fiesole immer einer der tüchtigsten Nachfolger Giotto’s; da er von
Hause aus ein grosser Künstler war, so bemühte er sich sein Leben
lang um eine möglichst gleichmässige Beseelung Alles dessen, was er
schuf; bei näherer Betrachtung wird man finden, dass er einer der
ersten ist, welcher den Köpfen durchgängig das Allgemeine benimmt
und sie auf die zarteste Weise persönlich belebt; nur stand seiner
Gemüthsart der Ausdruck der Leidenschaft und des Bösen nicht zu
Gebote, und seine Verlegenheit wirkt dann (im streng ästhetischen
Sinne) komisch.
Wie seine Bildung ursprünglich die eines Miniators war, so geben
auch seine kleinern, miniaturartig ausgeführten Tafeln beinahe den
ganzen Künstler wieder. Obenan stehen die Glorien, wie z. B. das
aprächtige Bild in den Uffizien (tosc. Sch.), auch die Umgebung des
Erlösers und der Empfang der Seligen in den Weltgerichtsbildern
b(das schönste in Pal. Corsini zu Rom, ein anderes in der Acad. zu
cFlorenz, Saal d. kl. B.), während die Seite der Verdammten auf keine
Weise zu genügen pflegt. Von den heiligen Geschichten haben nach
meinem Gefühl diejenigen den Vorzug, welchen altübliche Motive der
florentinischen Schule zu Grunde liegen, also wesentlich die oftgemal-
ten des neuen Testamentes; in den Legenden macht sich die eigene
Erfindung oft frisch und schön, oft aber auch befangen ihre Bahn.
d(Leben Christi in 35 Bildchen, Acad. v. Florenz, Saal d. kl. B., wo
esich noch mehreres von F. befindet; — Uffizien, tosc. Sch.; — 3 Bild-
fchen in einem Wandschrank der Sacristei von S. Maria novella in
gFlorenz; — Kirche del Gesù zu Cortona: zwei Predellen mit dem Leben
der Maria und den Wundern des heil. Dominicus; — vatican. Galerie
hdie Wunder des heil. Nicolaus von Bari, aus der letzten Zeit und sehr
[789]Staffeleibilder. Fresken in S. Marco.
ausgezeichnet; — zwei dazu gehörende Stücke und ausserdem diea
wundervolle Verkündigung in der Sacristei von S. Domenico zu Pe-
rugia, nebst geringern; — u. a. a. O.)
Die grössern Staffeleibilder genügen viel weniger. (Statt aller
das grosse Altarwerk in den Uffizien, 1. Gang, mit doppelt bemaltenb
Seitenflügeln, an welchem die klein ausgeführten Engel rings um die
lebensgrosse Madonna bei weitem das Beste sind.) Es scheint als
habe der Maler eine fromme Befangenheit bei Hauptbildern für Altäre
nicht überwinden können, während er in den Predellen, Giebelbildern,
Seitenfigürchen u. s. w. sich so frei und schön bewegte; auch wirkt
die überfleissige Ausführung bei der noch ungenügenden allgemeinen
Körperkenntniss nicht günstig. Die grosse Kreuzabnahme in der Aca-c
demie zu Florenz (Hauptsaal) erscheint befangen, vielleicht gerade
durch die Masse von Ausdruck, die darin zusammengedrängt ist; die
Leiche ist gut modellirt, ihr Herabsenken glücklich gegeben, das Bild
überhaupt das Beste unter den Grossen. Auch das Altarwerk in S.d
Domenico zu Cortona (hinten, rechts) gehört zu den Bessern.
Die bezeichneten Mängel fielen weg bei der Frescomalerei,
welche eine gewisse Mässigung in den Darstellungsmitteln unvermeid-
lich machte und den Künstler nicht durch den Gedanken, ein Cultus-
bild malen zu müssen, ängstigte.
Einen wahrhaft einzigen Eindruck machen vor Allem die Ma-
lereien, womit Fiesole seinen langjährigen Wohnsitz, nämlich das
Dominicanerkloster S. Marco zu Florenz ausschmückte. Hier iste
er zu Hause, hier darf er seine Ideen frisch wie ihn der Geist treibt
in den ärmlichen Klostergängen, in den kleinen Zellen besonders
werther Ordensgenossen verwirklichen; darum glaubt man auch ge-
rade in den Fresken der Zellen die Inspiration deutlicher zu fühlen
als in den Altarbildern des Meisters. Mir wurden sieben Zellen,
sämmtlich im obern Stockwerk, geöffnet, und ich glaube sagen zu
dürfen, dass die sämmtlichen Wandgemälde derselben, wenn auch in
befangener Form, die höchste mögliche Lösung der betreffenden Auf-
gaben zwar nicht erreichen, aber doch berühren. (Christus in der
Vorhölle; — eine Bergpredigt; — die Versuchung in der Wüste; —
Christus am Kreuz mit den Seinigen und mit dem weinenden S. Do-
minicus; — noch ein Gekreuzigter mit den Seinigen; — die Marien
[790]Malerei des germanischen Styles. Fiesole.
am Grabe; — Mariä Krönung; — und die Anbetung der Könige,
eine späte und reiche Arbeit, die vielleicht einen Wetteifer mit Ma-
saccio verräth.) Der überquellende Reichthum an den schönsten und
naivsten Köpfen ist gepaart mit einem Geist und einer Tiefe in der
Auffassung der Thatsachen, wie sie nur den grössten Meistern eigen
aist. — Die Fresken in den Gängen (der Gekreuzigte mit S. Dominicus,
sehr dem Bild im vordern Kreuzgang entsprechend, — der englische
Gruss, — und eine thronende Madonna) sind gegenwärtig, da das
Kloster theilweise als Caserne dient, mit Brettern bedeckt.
Wie Fiesole für eine schon mehr öffentliche Andacht malte, zeigt
bsich an den Fresken des vordern Kreuzganges zu ebener Erde. Es
sind fünf spitzbogige Lunetten mit Halbfiguren (worunter Christus
mit zwei Ordensheiligen besonders schön ist); ferner Christus am
Kreuz mit dem heil. Dominicus, lebensgross; endlich das berühmte
cFrescobild des anstossenden Capitelsaales: der Gekreuzigte mit den
beiden Schächern, seinen Angehörigen und den heiligen Cosmas, Da-
mianus, Laurentius, Marcus, Johannes d. T., Dominicus, Ambrosius,
Augustinus, Hieronymus, Franciscus, Benedict, Bernhard, Bernardino
von Siena, Romuald, Petrus Martyr und Thomas von Aquino. Es ist
eine schmerzliche Klage der ganzen Kirche, welche hier in ihren
grossen Lehrern und Ordensstiftern am Fuss des Kreuzes versammelt
ist. So lange es eine Malerei giebt, wird man diese Gestalten wegen
der unerreichten Intensivität des Ausdruckes bewundern; Contraste
der Hingebung, des Schmerzes, der Verzückung und des ruhigen in-
nerlichen Erwägens (in S. Benedict, der die Schaar der übrigen Or-
densstifter wie ein Vater überschaut) werden wohl nirgends mehr
wie hier als Ganzes zusammenwirken.
Es ist eine bedeutende Thatsache jener unvergesslichen Jahr-
hunderte der Kunstgeschichte, dass mehrere der grössten Künstler ihr
Bestes und Meistes in späten Lebensjahren, wenigstens erst nach dem
fünfzigsten Jahre gaben. Lionardo war nahe an diesem Alter, als er
sein Abendmahl in Mailand schuf; Giovanni Bellini’s herrlichste Bilder
stammen aus seinen achtziger Jahren; Tizian und Michelangelo haben
als Greise noch das Staunenswürdigste hervorgebracht. Es existirt
aus dem XVI. Jahrh. ein vielverbreiteter kleiner Stich, welcher einen
alten Mann in einem Räderstuhl für Kinder darstellt, mit der Bei-
[791]Fresken in S. Marco, in Orvieto, im Vatican.
schrift: anchora imparo, noch immerfort lerne ich. Und diess war
keine Phrase. Die unverwüstliche Lebenskraft dieser Männer war
wirklich mit einer eben so dauernden Aneignungsgabe verbunden.
Diess war auch bei Fiesole einigermassen der Fall. Dasjenige
worin er so vorzüglich gross ist, die friedensreiche, tiefe Seligkeit
heiliger Gestalten, findet sich eben in seinen spätesten Arbeiten
mit einer unbeschreiblichen Kraft und Fülle ausgedrückt, zum grossen
Unterschied von Perugino, welcher gerade hierin mit den Jahren lahm
und äusserlich wurde. Man betrachte Fiesole’s Pyramidalgruppe dera
Propheten am Gewölbe der Madonnenkapelle des Domes von Or-
vieto und frage sich, ob irgend ein Kunstwerk der Erde, Rafael nicht
ausgenommen, die stille selige Anbetung so wiedergebe? (Den Welt-
richter, an der Hinterwand, hat er freilich von Orcagna entlehnt, ohne
diesen zu erreichen.) Noch später, nach seinem sechszigsten Jahre
(1447), malte er im Vatican die Capelle Nicolaus V, — und dieb
vier Evangelisten am Gewölbe und einer oder der andere von den
Kirchenlehrern, wie z. B. S. Bonaventura erscheinen jenen himmli-
schen Gestalten noch ganz ebenbürtig. Aber nicht bloss was ihm
eigen war, bildete er mit gesteigerter Kraft weiter, sondern auch ge-
gen die Fortschritte anderer Zeitgenossen schloss er sich durchaus
nicht ab, wie man wohl glauben könnte. Die Geschichten der Hei-
ligen Stephanus und Laurentius in der letztgenannten Capelle bewei-
sen, dass der alternde Mann noch mit aller Anstrengung so viel von
dem, was inzwischen Masaccio u. A. gewonnen, einzuholen suchte als
seiner Richtung gemäss war. Die anmuthige Erzählungsweise dieser
Fresken zeigt Züge des wirklichen Lebens und ist mit einer äussern
Wahrheit der Farbe verbunden wie sich diess von keinem frühern
Werke des Meisters so behaupten lässt. Die heftigen Bewegungen,
ja schon die starken Schritte pflegen ihm noch immer zu misslingen,
dafür wird man aber auf das Beste entschädigt z. B. durch jene
junge Frau, welche der Predigt des heil. Stephanus mit ungestörter
Andacht zuhört und ihr unruhiges Kind nur mit der Hand fasst um
es stille zu machen. Man durchgehe dieses Werk Scene um Scene,
und man wird einen Schatz von schönen, geistvollen Bezügen dieser
Art darin finden. Abgesehen davon ist es als fast rein erhaltenes
Ganzes aus der Zeit der grossen Vorblüthe unschätzbar.
[792]Malerei des germanischen Styles. Don Lorenzo.
Fiesole ruht begraben zu Rom in S. Maria sopra Minerva. Viel-
leicht wollte man ihm eine Ehre anthun, als man in unsern Tagen
die Wölbungen dieser Kirche in seiner Manier bemalte. Es sind auch
wieder Apostel und Kirchenlehrer auf blauem goldgestirntem Grunde.
Allein er hätte sie nicht gebilligt und auch für den guten Willen
gedankt.
Ein Zeit- und Standesgenosse Fiesole’s, der Camaldulenser Don
Lorenzo, blieb in derselben Richtung beim ersten Anlauf stehen.
Es ist zu glauben, dass ihn seine wenigen Werke sehr viel Fleiss
bund Besinnens gekostet haben. Bei der Verkündigung in S. Trinità
zu Florenz (4. Cap. rechts) ist er dafür belohnt worden; die stille
Anmuth und der tiefe Charakter der beiden glücklich gestellten Fi-
guren hat dem Bilde eine Art typischer Geltung verschafft und zu
czahlreichen Copien angeregt. Die Anbetung der Könige (in den Uf-
fizien) ist ebenfalls vortrefflich angeordnet, und dabei merkwürdig als
eines der letzten Gemälde, in welchen die Gewandung des germani-
schen Styles noch in ihrem vollen Schwung gehandhabt ist. (Das
dHauptwerk, eine Krönung Mariä, in der Badia von Cerreto, unweit
Certaldo.)
[793]Malerei des XV. Jahrhunderts.
In den ersten Jahrzehnden des XV. Jahrh. kam ein neuer Geist
über die abendländische Malerei. Im Dienst der Kirche verharrend,
entwickelte sie doch fortan Principien, die zu der rein kirchlichen
Aufgabe in keiner Beziehung mehr standen. Das Kunstwerk giebt
zunächst mehr als die Kirche verlangt; ausser den religiösen Be-
ziehungen gewährt es jetzt ein Abbild der wirklichen Welt; der
Künstler vertieft sich in die Erforschung und Darstellung des äussern
Scheines der Dinge und gewinnt der menschlichen Gestalt sowohl als
der räumlichen Umgebung allmälig alle ihre Erscheinungsweisen ab.
(Realismus.) An die Stelle der allgemeinen Gesichtstypen treten
Individualitäten; das bisherige System des Ausdruckes, der Geberden
und Gewandungen wird durch eine unendlich reiche Lebenswahrheit
ersetzt, die für jeden einzelnen Fall eine besondere Sprache redet
oder zu reden sucht. Die Schönheit, bisher als höchstes Attribut
des Heiligen erstrebt und auch oft gefunden, weicht jetzt der all-
bezeichnenden Deutlichkeit, welche der erste Gedanke der neuen Kunst
ist; wo sie aber sich dennoch Bahn macht, ist es eine neugeborene
sinnliche Schönheit, die ihren Antheil am Irdischen und Wirklichen
unverkürzt haben muss, weil sie sonst in der neuen Kunstwelt gar
keine Stelle fände.
In diesem Sinne giebt jetzt das Kunstwerk weniger als die
Kirche verlangt oder verlangen könnte. Der religiöse Gehalt nimmt
eine ausschliessliche Herrschaft in Anspruch, wenn er gedeihen soll.
Und diess aus einem einfachen Grunde, den man sich nur nicht immer
klar eingesteht; dieser Gehalt ist nämlich wesentlich negativer Art
und besteht im Fernhalten alles dessen, was an profane Lebensbe-
[794]Malerei des XV. Jahrhunderts.
ziehungen erinnert; zieht man diese geflissentlich und principiell in
die Kunst hinein, wie damals geschah, so wird das Bild nicht mehr
fromm erscheinen. Man rechne nur der Kunst nach, wie wenige
Mittel sie hat, um direct auf die Andacht zu wirken; sie kann hohe
Ruhe und Milde, sie kann Hingebung und Sehnsucht, Demuth und
Trauer in Köpfen und Geberden schildern — lauter Elemente die ohne-
hin dem allgemein Menschlichen angehören und nicht auf die christ-
liche Gefühlswelt beschränkt sind, die aber allerdings im christlichen
Gemüth eine christliche Andacht wecken, so lange dasselbe nicht ge-
stört wird durch Zuthaten, so lange ihm von den neutralen, jenes Aus-
druckes nicht fähigen Theilen der Menschengestalt und von der äussern
Umgebung nur das Nothwendige mitgegeben wird. Sehr wesentlich
ist hiebei jene allgemeine Feierlichkeit der Gewandung, welche schon
durch ihren Contrast mit der Zeittracht, durch ihre Stofflosigkeit (die
weder Sammt noch Seide unterscheiden will) und noch mehr durch
eine geheimnissvolle Ideenassociation die wir nicht weiter verfolgen
können, den Eindruck des mehr als Zeitlichen und Irdischen ver-
stärken hilft.
Jetzt beginnt dagegen ein begeistertes Studium des Nackten und
der menschlichen Gestalt und Bewegung überhaupt; auch im Wurf
der Gewänder will man den einzelnen Menschen und den gegebenen
Moment charakterisiren; die einzelnen Stoffe werden dargestellt, in
Staffeleibildern sogar mit unerreichbarem Raffinement; die möglichst
reiche Abwechselung der Charaktere und die malerischen Contraste
der handelnden Personen werden zum wesentlichen Princip, sodass
abgesehen vom kirchlichen sogar der dramatische Eindruck unter der
Überfülle leidet. Endlich bildet sich ein ganz neues Raumgefühl aus;
wenn die Maler des XIV. Jahrh. die gegebenen Mauerflächen so viel
als möglich mit menschlichen Gestalten ausfüllten, so entwickelt sich
jetzt die Thatsache, das „Geschehen“, bequem in weiten Räumen, so
dass Nähe und Entfernung, Vor- und Rückwärtstreten als wesentliche
Mittel der Verdeutlichung dienen können; — wenn das XIV. Jahrh.
die Örtlichkeiten nur andeutete soweit sie zum Verständniss unent-
behrlich waren, so wird jetzt eine wirkliche Landschaft und eine
wirkliche Architektur mehr oder weniger perspectivisch abgeschildert.
[795]Einfluss der Flandrer.
Bei diesem Interesse für die Einzelerscheinung konnte die Tren-
nung der Malerei in verschiedene Gattungen nicht lange ausbleiben;
bald nimmt die profane, hauptsächlich mythologische, allegorische und
antik-geschichtliche Malerei einen wichtigen Platz ein.
Im Norden wird dieser grosse Übergang bezeichnet durch den
unsterblichen Johann van Eyck, der sein einsam strahlendes Licht
weit über das ganze Jahrhundert, über die ganze deutsche, franzö-
sische und spanische Kunst wirft. Er weitete das Gebiet der Malerei
dergestalt aus, dass seine Nachfolger nicht nachkommen konnten und
sich mit einem viel engern Formenkreis begnügten. Erst beinahe
hundert Jahre nach ihm war im Norden das Porträt, das Genrebild
und die Landschaft wieder auf dem Punkte wo Er sie gelassen und
bildeten sich dann aus eigenen Kräften weiter. Die menschliche Ge-
stalt hat geradezu kein Einziger der nächsten Generationen nördlich
von den Alpen, auch seine besten flandrischen Schüler nicht, auch
nur annähernd so verstanden und so lebendig behandelt wie Er; es
muss auf ihnen gelegen haben wie eine Lähmung; als Dürer, Messys
und Holbein zu spät erschienen, mussten sie erst eine Last abge-
storbener Formen, die Frucht des XV. Jahrh., beseitigen.
Die Kunst des Südens nahm bei Zeiten aus den weitverbreiteten
Werken des grossen Flandrers Dasjenige an was ihr gemäss war;
keine italienische Schule (mit Ausnahme einzelner Meister von Neapel)
ist von ihm in den Hauptsachen bedingt, aber auch keine blieb von
seinem Einfluss ganz unberührt. Die Behandlung der Gewandstoffe
und Schmucksachen, namentlich aber der Landschaft zeigt vielfach
flandrische Art; als viel wichtiger noch galt die eingestandener Massen
von den Flandrern erlernte „Ölmalerei“, d. h. die neue Behandlung
der Farben und Firnisse, welche eine bisher ungeahnte Durchsichtig-
keit und Tiefe des Tons und eine beneidenswerthe Dauerhaftigkeit
möglich machte.
Häufig rechnet man auch den Einfluss antiker Sculpturen zu
den wesentlichen Fördernissen, welche die italienische Malerei vor
der nordischen voraus gehabt habe. Allein der Augenschein lehrt,
dass jeder Fortschritt mit einer unendlichen Anstrengung, welche im
Norden fehlte, der Natur abgerungen wurde. Entscheidend zeigt sich
diess in der paduanischen Schule, welche sich am Meisten und fast
[796]Malerei des XV. Jahrhunderts. Das Fresco.
allein von allen mit der Antike abgab und doch, wie wir sehen werden,
eigentlich kaum mehr als das Ornamentistische aus derselben ent-
lehnte. Es konnte gar nicht im Geist einer mit so unermesslichen
Kräften vorwärtsstrebenden Kunst liegen, sich irgend ein Ideal von
aussen anzueignen; sie musste von selbst auf das Schöne kommen,
das ihr eigen werden sollte.
Als Gabe des Himmels besass sie von vorn herein den Takt, die
äussere Wirklichkeit nicht in alles Detail hinein, sondern nur soweit
zu verfolgen, dass die höhere poetische Wahrheit nicht darunter litt.
Wo sie an Detail zu reich ist, sind es nicht kümmerliche Zufällig-
keiten des äussern Lebens, sondern Schmuck und Zierrath an Ge-
bäuden und Gewändern, die den Überschuss ausmachen. Der Ein-
druck ist daher kein ängstlicher, sondern ein festlicher. Wenige geben
das Bedeutende ganz gross und edel; viele verfangen sich in der
Phantasterei, welche dem XV. Jahrh. überhaupt anhängt, allein die
allgemeine Höhe der Formbildung giebt ihren Einfällen eine geniess-
bare und selbst erfreuliche Gestalt.
Alle diese Fortschritte wären, wie einst diejenigen der Schule
Giotto’s, bei einer Beschränkung auf das Andachtsbild und Tafelbild
unmöglich gewesen. Abermals ist es Florenz, von wo das neue Licht
einer grossartigen Historienmalerei ausstrahlt, die mit ihren Fres-
ken1) die Wände der Kirchen, Kreuzgänge und Stadthäuser über-
zieht. Keine andere Schule kann von ferne neben diesem Verdienst
aufkommen; die lombardische blieb in dem engen Ideenkreise der
Gnadenbilder und Passionsbilder befangen; die venezianische schloss
kein wahres Verhältniss zum Fresco und beschränkte sich lange auf
Altarbilder und Mosaiken; rechnet man den grossen Andrea Mantegna
hinzu, so ging er auch in den Wandmalereien (zu deren Schaden)
über das reine Fresco hinaus, dessen höchst solide Handhabung gerade
[797]Die neue Auffassung.
ein Hauptverdienst der Florentiner ist. Rom zehrte fast ganz von
auswärtigen Künstlern; Perugia empfing seine Inspiration zuerst von
Florenz und Siena und leistete auf seinem Höhepunkt gerade für das
Dramatisch-Historische wenig; Neapel kommt nicht in Betracht. —
Toscana allein bietet eine grosse, monumentale Geschichtsmalerei dar,
in gesunder, ununterbrochner Weiterbildung, mit fortlaufender Seiten-
wirkung auf das Tafelbild, welches sonst wohl vorzeitig in verfeinerter
Niedlichkeit untergesunken wäre.
Die Gegenstände waren, mit Ausnahme der hinzukommenden Pro-
fanmalerei, die alten: das ruhig symmetrische Gnadenbild, die Ge-
schichten der Bibel und die Legenden der Heiligen; endlich das häus-
liche Andachtsbild. Allein sie sind alle umgestaltet. Von den einzelnen
Personen behält Christus im Mannesalter am meisten von dem bis-
herigen Typus; der Gekreuzigte erhält eine bisweilen sehr edel durchge-
bildete Gestalt und einen Ausdruck, den z. B. die Schulen des XVII.
Jahrh. vergebens an Tiefe zu überbieten suchten. Die grösste Ver-
änderung geht mit der Madonna vor; wohl bleibt sie in einzelnen
feierlichen Darstellungen die Himmelskönigin, sonst aber wird sie zur
sorglichen oder stillfröhlichen Mutter, und vertauscht sogar die alt-
übliche Idealtracht mit Mieder und Häubchen des Italiens der Renais-
sance; das Bild der häuslichen Scene vollendet sich, indem der le-
bendig und selbst unruhig gewordene Christusknabe den längst er-
sehnten Gespielen erhält an dem kleinen Johannes. In dieser irdisch
umgedeuteten Existenz findet denn auch der Pflegevater Joseph erst
seine rechte Stelle; ein häuslicher und doch nicht kleinbürgerlicher
Ton und Klang beginnt all die früher so feierlichen Scenen zu durch-
dringen: die Verkündigung, die Visitation, die Anbetung der Hirten,
die Geburt der Maria, die des Johannes u. s. w. Gewiss wurde dem
Beschauer das Ereigniss jetzt viel mehr nahe gelegt und vergegen-
wärtigt; ob die Andacht dabei gewann oder verlor, ist eine andere
Frage. — Auch der Himmel füllt sich mit sprechend individuellen Kö-
pfen und Gestalten an, zu beginnen vom Gottvater in pelzverbrämtem
Rocke; alle Seligen und Engel dienen jetzt nicht mehr unpersönlich
der grossen symmetrischen Glorie des Ganzen, sondern jede Figur ist
interessant für sich. Von den erwachsenen Engeln (die oft eine sehr
florentinische Tracht erhalten) scheiden sich nunmehr die Schaaren
[798]Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner.
kleiner, nackter Flügelkinder (Putten) aus, welche als Gefährten des
Christuskindes, als Sänger und Musikanten und als stets dienliche
Füll- und Zierfiguren die Kunstwerke jener Zeit beleben.
Die höchste Freude der Kunst war es, wenn sie der Natur wie-
der eine sprechende Bewegung, einen lebensvollen Moment mehr, und
zwar auf schöne Weise abgewann; sie suchte gerade dasjenige, wel-
chem die Nordländer aus dem Wege gingen. Einstweilen erfährt man
noch wenig von anatomischer Erforschung der Menschengestalt; aber
ein rastlos beharrliches Anschauen des täglichen Verkehrs klärte die
Künstler auf über das Warum? jeder Bewegung und jedes Ausdrucks;
das Studium des Nackten und der Perspective, die man aus dem
Nichts schaffen musste, that das Übrige.
So erwuchs eine Malerei, welche sich nicht mehr auf Intentionen
und Andeutungen zu beschränken brauchte, sondern der Darstellung
jeder Thatsache, jedes sinnlichen oder geistigen Vorganges gewach-
sen war.
In Florenz knüpft sich die grosse Neuerung an den Namen des
Masaccio (1404—1443). Unter der Einwirkung des Ghiberti, Do-
natello und Brunellesco, welche in der Sculptur das neue Princip ver-
traten, führte er dasselbe in die Malerei ein, wo es seine wahren Siege
erkämpfen sollte. Eine Jugendarbeit, die er in Rom übernahm, die
aFresken in S. Clemente (Cap. vom Seiteneingang rechts; Passion, und
Legende der heil. Catharina), zeigen in ihrer starken Übermalung nur
Anklänge dessen, was Masaccio über die Nachfolger Giotto’s empor-
hebt; in einigen der besser erhaltenen Köpfe regt sich wenigstens ein
persönlicheres Leben. — Der ganze Meister offenbart sich erst im Car-
bmine zu Florenz (Cap. Brancacci, am Ende des rechten Quer-
schiffes), wo er die von Masolino da Panicale begonnene Freskenreihe
weiter zu führen hatte. Wie Masolino’s Eva (im Sündenfall) eine der
ersten, ganz schönen nackten Frauengestalten der modernen Kunst ist,
so sind Masaccio’s Täuflinge (in der Taufe Petri) die ersten völlig
belebten männlichen Acte; schon vollkommen ist die Linienführung
zweier nackten und bewegten Gestalten (in der Vertreibung aus dem
Paradiese) gehandhabt. Auch in den übrigen Bildern strömt eine bisher
[799]Masaccio und Masolino.
ungeahnte Fülle der freisten und edelsten Charakteristik auf einmal in
die Kunst herein. Hatten schon Giotto und seine Schule ihre dramati-
schen Scenen gerne mit einer zahlreichen, theilnehmenden Zuschauer-
schaft bereichert, so führt nun Masaccio das damalige Florenz als mit-
handelnd oder zuschauend mitten in den Hergang (Erweckung des
Königssohnes, wovon Einiges dem Filippino Lippi angehört); er trennt
und verbindet die Scenen, Gruppen und Personen nicht mehr nach
architektonischen, sondern nach malerischen Gesetzen binnen einer
naturwahren Räumlichkeit (Findung des Groschens im Munde des
Fisches; die Heilung der Krüppel; das Almosen). Und über dem
grossen malerischen Sieg vergass Masaccio das Höchste nicht; seine
Hauptperson, der Apostel Petrus, ist durchgängig mit einer Würde
und Macht ausgestattet und auf eine Weise gestellt und bewegt, wie
diess nur dem grössten Historienmaler möglich war. Vollends gehört
nur einem solchen die Einfachheit der ganzen Behandlung an; alle
Nachfolger bis auf Lionardo gefallen sich im Besitz der grossen neuen
Kunstmittel; Masaccio allein hält zurück und erreicht so den Eindruck
eines harmonischen Ganzen. Mit wie Wenigem hat er z. B. die Ge-
wänder geschaffen, in denen sich der höchste Styl und der lebendig-
ste Wurf verbinden. Die Schwierigkeiten der Modellirung und Ver-
kürzung sucht er nicht auf; wo sie aber liegen, überwindet er sie.
(Bestes Licht: Nachmittags vier Uhr.)
Das einfach grossartige Bild der heil. Anna mit Maria und dema
Kinde, in der Academie zu Florenz, zeigt noch recht den aus einer
idealen Richtung hervorgegangen Realisten. Dagegen spricht der als
M.’s Vater geltende Greisenkopf in den Uffizien dieselbe Wonne desb
ersten vollkommenen Individualisirens aus, welche einen Johann van
Eyck beseelt haben muss. M.’s eigenes Porträt (?, ebenda, bei denc
Malerbildnissen) erscheint wie eine höchst geistreiche Frescoprobe.
Die Lunetten im Kirchlein S. Martino (der Brüderschaft de’ Buo-d
nuomini) zu Florenz gelten mit Recht als Werk eines trefflichen
Schülers von M.; sie geben eine edle Lebensfülle noch ohne das Ba-
rocke und Überladene späterer Florentiner des XV. Jahrh. Als Ju-
gendwerk des Filippino Lippi kann ich sie nicht betrachten, da kein
Anklang an seinen Lehrer Sandro darin zu erkennen ist.
[800]Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner.
Was Masaccio erworben das wird bei Fra Filippo Lippi
(1412—1469) im Dienste eines minder hohen und strengen Geistes,
einer reichen und fröhlichen Phantasie weiter angewandt. Er lässt
sich gehen, aber nicht in Trägheit, sondern in kecken Versuchen des-
sen, was wohl seiner Kunst erlaubt sein möchte. Wie ohne alle
Scheu noch Rückhalt offenbart er in den Bildnissen, womit er seine
Scenen ausstattet, das tiefste Wesen Derer, die er meinte! mit wel-
chem Gefühl wird er — zuerst von Allen — die Jugend sinnlich-
lieblich, ja schalkhaft bis über die Gebühr, dargestellt haben! Er ist
der Erste, welcher sich an der Breite des Lebens, auch an dessen
zufälligen Erscheinungen, von Herzen freute.
Sein grosses Frescowerk, die Geschichten des Täufers Johannes
aund des heil. Stephanus im Chor des Domes von Prato (bestes
Licht: 10—12 Uhr) würde schon durch Technik und Colorit Epoche
gemacht haben. Nicht alle Scenen sind hoch aufgefasst; der Künst-
ler hat zu viel Neues in allen möglichen Beziehungen zu sagen, als
dass nicht der tiefere Gehalt unter den oft herrlichen rein malerischen
Gedanken leiden müsste. Schöner zumal als bei irgend einem Vor-
gänger spricht sich Stellung und Bewegung in den nobeln und leben-
digen Gewändern aus, deren mehrere (z. B. in der „Trauer um die
Leiche des Stephanus“) bis auf die Zeit Rafaels kaum mehr ihres
Gleichen haben möchten. In den vier Evangelisten am Kreuzgewölbe
wich Filippo von der symmetrischen Stellung ab; man wird z. B. Fie-
sole’s Evangelisten am Gewölbe der Capelle Nicolaus V immer vor-
ziehen.
Gegen Ende seines Lebens malte Filippo die Chornische des Do-
mes von Spoleto aus. Diese Krönung Mariä ist eines der frühesten
ganz frei angeordneten Halbkuppelgemälde; doch klingt die symme-
trische Strenge der Frühern noch sehr wohlthuend nach. Maria und
Christus an Ernst den Giottesken nicht gleich; Ersatz durch den le-
bendigen Ausdruck der Nebengruppen. Von den drei untern Bildern
der Tod der Maria hochbedeutend, aber durch ganz andere Mittel
als bei den Giottesken. (An beiden grossen Frescowerken half Fra
Diamante.)
In den Tafelbildern überwiegt die Freude am Schön-Wirklichen;
eine kräftige und schalkhafte Jugend; die Madonna florentinisch häuslich;
[801]Lippo Lippi. Sandro.
das Christuskind durchgängig sehr schön gebildet. In Prato: im Refecto-a
rium von S. Domenico: eine Geburt Christi mit S. Michael und S. Tho-
mas Aq.; — im Pal. del Commune: Madonna della Cintola und eineb
Predella, in einem dunkeln Raum aufgestellt. — Zu Florenz, in der
Academie: herrliche Madonna mit vier Heiligen, alle unter einer Ar-c
chitektur, für die Gewandung sein schönstes Tafelbild; — ebenda: die
grosse Krönung Mariä, spät, wie sein eigenes Greisenbildniss und die
gedämpfte, aber ganz klare Farbe beweist; als überfüllt wirkend, weil
der Gegenstand — eine Glorie — in einen irdisch greifbaren Raum
übertragen ist; dabei reich an wesentlich neuem Leben; — dazu die
schöne Predella. — Uffizien: zwei Engel heben der Madonna das nachd
ihr verlangende Kind entgegen; sie zögert betend. — Pal. Pitti: grossese
Rundbild der sitzenden Madonna (Kniestück); hinten die Wochenstube
der Elisabeth und die Visitation; ein Thema, das recht dazu einlud, die
früher durch Goldstäbe zu Einzelscenen getrennten Vorgänge zu Einem
Bilde zu verschmelzen, den Hausaltar zum häuslichen Gemälde um-
zubilden. — Pal. Corsini: Mehreres. — Im linken Querschiff vonf
S. Spirito, vierter Alt., eine Trinität mit S. Catharina und S. Magdalenag
(angeblich peruginische Schule); — in S. Lucia de’ magnoli, ersterh
Alt. links, eine Verkündigung; — im linken Querschiff von S. Lorenzo,i
Cap. links, eine Verkündigung; — in S. Micchele zu Lucca, rechts,k
Madonna mit vier Heiligen; — in der Academie zu Pisa: Madonnal
mit zwei Engeln und vier. Heiligen etc.
Sandro Botticelli (1447—1515), Filippo’s Schüler, ist im
Verhältniss zu dem, was er gewollt hat, nirgends ganz durchgebildet.
Er liebte, das Leben und den Affect in einer selbst stürmischen Be-
wegung auszudrücken und malte eine oft ungeschickte Hast. Er
strebte nach einem Schönheitsideal und blieb bei einem stets wieder-
kehrenden, von Weitem kenntlichen Kopftypus stehen, den er hie und
da äusserst liebenswürdig, oft aber ganz roh und leblos reproducirt.
(Es ist nicht der Kopf der bella Simonetta, wenn das Profilbild im
Pal. Pitti, Sala di Prometeo, dieses Mädchen wirklich vorstellt.) Unterm
den Florentinern ist S. einer der frühsten, welche der mythologischen
und allegorischen Profanmalerei im Sinne der Renaissance eine dauernde
Hingebung bewiesen haben.
B. Cicerone. 51
[802]Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner.
Sein schönstes Werk: das eine der beiden Rundbilder (Madonnen
mit Engeln) in den Uffizien, mit wundervollen Engelköpfen, ein Juwel
an Ausführung; ebenda sein bestcomponirtes Historienbild, eine An-
betung der Könige, in den edeln Gewandmotiven dem Besten seines
Lehrers nahe stehend, eine merkwürdige Parallele zu flandrischen Bil-
dern desselben Inhaltes; dann zwei kleine Geschichten der Judith und
die bekannte, so oft gemalte Allegorie des Apelles von der Verläum-
dung, Gegenstände zu deren heroischem und idealem Gehalt der hier
wunderlich manierirte Realismus nicht ausreichte; — endlich aber die
auf einer Muschel über die Fluth schwebende Venus; hiefür studirte
Sandro und brachte nicht bloss einen ganz schönen Act, sondern auch
einen höchst angenehmen, mährchenhaften Eindruck hervor, der sich
bdem mythologischen unvermerkt substituirt. — In der Academie: (Sala
delle Esposizioni) der Venusgarten oder wie man das Bild benennen
will; in den Formen der nackten Figuren wiederum realistisch un-
rein; — sodann (im grossen Saal) eine grosse Krönung Mariä mit
vier Heiligen, zum Theil gering, bunt und selbst roh; — viel werth-
voller die Madonna mit vier Engeln und sechs Heiligen, eines jener
grossen Prachtbilder, in welchen das XV. Jahrh. das Himmlische in
eine irdisch-wirkliche, aber noch immer feierliche und würdevolle Hof-
haltung umdeutet; die Engel heben nicht nur den Vorhang auf, son-
dern sie hängen ihn auch sorgsam an die Pfosten der Architektur.
cEiniges im Pal. Pitti, Pal. Corsini u. a. a. O. — In Ognissanti, rechts,
dder S. Augustin, Gegenstück zu Ghirlandajo’s Hieronymus.
Filippino Lippi (1460—1505) Filippo’s Sohn und Sandro’s
Schüler, den er an Geist, Phantasie und Schönheitssinn beträchtlich
übertrifft. Wie er aus Sandro hervorwächst, zeigt am besten die
egrosse thronende Madonna mit vier Heiligen in den Uffizien (1485). —
Ebenda: eine figurenreiche Anbetung der Könige, allerdings neben der
vielleicht gleichzeitigen des Lionardo im Nachtheil, auch nicht ohne
die Schattenseiten der spätern Werke Filippino’s (bunte Überfüllung,
schwere wulstige Gewandung), aber im Ausdruck des scheuen Heran-
nahens, der anbetenden Huldigung ungemein schön. (Der kleine
S. Hieronymus in der Nische sitzend, ebenda, als „Filippo L.“ be-
fnannt, ist eher von Filippino.) — Sein bestes Tafelbild, in der Badia,
Cap. links von der Thür, S. Bernhard, den die Madonna mit Engeln
[803]Sandro. Filippino Lippi.
besucht, ein Werk voll naiver Schönheit, ist allerdings noch aus frü-
her Zeit; die Kreuzabnahme in der Academie dagegen, wozu Peruginoa
die untere Gruppe gemalt hat, — sowie die Madonna mit Heiligen inb
S. Domenico zu Bologna (kleine Cap. zunächst rechts vom Chor), da-
tirt 1501, gehören zu den spätern Werken, in welchen man bei vie-
lem Schönen doch den gleichmässigen Schwung vermisst. — Ein paar
Breitbilder mit vielen kleinen Figuren, wie dasjenige mit der todten
Lucretia (Pal. Pitti) und die mit der Geschichte der Esther (Pal. To-c
rigiani in Florenz) sind Belege für die Art mehrerer damaliger Flo-d
rentiner, die profane Historie als figurenreiche Theaterscene zu styli-
siren. — Das prächtige Bild in S. Spirito (vom Langhaus kommend dere
fünfte Altar des rechten Querschiffes) wird auch F.’s Schüler Raffaellin
del Garbo zugeschrieben; es ist eine Madonna mit Heiligen und Dona-
toren unter einer Halle mit köstlicher Aussicht auf eine Stadt; die
Köpfe zum Theil wehmüthig holdselig wie in den schönsten Bildern
des Lorenzo di Credi.
Von F.’s Fresken sind die wahrscheinlich frühsten, im Carmine zuf
Florenz (S. 798, b) die vorzüglichsten, eine würdige und stylgemässe
Fortsetzung der Arbeit Masaccio’s. Die Gruppe des vom Tode erweckten
Königssohnes, Petrus und Paulus vor dem Proconsul, Petri Befreiung.
Aber auch in den Wunderthaten der Apostel Johannes und Philippus,
womit er die Capella Strozzi in S. M. novella (die erste vomg
Chore rechts) ausschmückte, kann ich nichts weniger als ein Sinken
seines künstlerischen Vermögens erkennen; er erzählt hier nur mehr in
seiner Weise, als einer der grössten Dramatiker des XV. Jahrh., aller-
dings mit sehr merklichen Unarten z. B. schwerbauschigen, weitflat-
ternden Gewändern, conventionellen Köpfen, die aber durch anderes
Einzelnes von grösster Schönheit aufgewogen werden. Entschieden
geringer sind die Fresken in der Minerva zu Rom (Cap. Carafa), woh
er freilich eine Aufgabe lösen musste, die nicht mehr ins XV. Jahr-
hundert gehörte: die Glorie des heil. Thomas, als allegorisches Ce-
remonienbild.
Parallel mit Sandro und Pilippino geht Cosimo Rosselli, des-
sen einziges zu Florenz vorhandenes Fresco (1456) in S. Ambrogio
51*
[804]Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner.
a(Capelle links vom Chor) eine Procession mit einem wunderthätigen
Kelche dargestellt. Schöne lebendige Köpfe, überfüllte und nicht sehr
bwürdige Anordnung. — In der Vorhalle der Annunziata zu Florenz
die Einkleidung des S. Filippo Benizzi. — In S. M. Maddalena de’
cPazzi (zweite Cap., links) gehört ihm wahrscheinlich die sonst dem
Fiesole zugeschriebene Krönung Mariä. Im Ganzen lebte Cosimo von
den Inspirationen Anderer, was in dieser Zeit der befreiten Subjecti-
vität nicht mehr so erlaubt war, wie 100 Jahre früher.
Des Rosselli Schüler war Piero di Cosimo, welcher zwar bis
1521 lebte und später wesentlich von Lionardo bedingt wurde, der
Auffassung nach jedoch noch dem XV. Jahrh. angehört. Sein bestes
dBild, die Conceptio mit sechs Heiligen (Uffizien) ist von ausserordent-
licher Gediegenheit der Composition und der Charaktere, ein wahres
Kernbild der Schule. Von den vier mythologischen Breitbildern (vgl.
S. 803, b) ebenda enthält das späteste, Perseus und Andromeda, ganz
reizende Einzelheiten.
Paolo Uccello (geb. um 1400, st. nach 1469) ist hier einzu-
schieben als Vorläufer Benozzo’s. Die von ihm oder einem Andern in
edem abgestandenen giottesken Styl begonnenen Malereien des Chios-
tro verde bei S. M. novella vollendete er mit ein paar Scenen (Sünd-
fluth, Opfer des Noah), welche den schon sehr ausgebildeten Realis-
mus auf der Bahn der perspectivischen Entdeckung zeigen. — Das grau
fin grau gemalte Reiterbild des Feldherrn Hawkwood (Acutus) im Dom
von Florenz ist wie das von Castagno gemalte Gegenstück (der Feld-
herr Marucci) stark restaurirt, aber edler aufgefasst als das letztere,
welches doch nur einen steifbeinigen Kriegsknecht auf einem Acker-
gpferd vorstellt. — Ausserdem von U. eine schon ganz lebendige Reiter-
schlacht in den Uffizien.
Benozzo Gozzoli (geb. 1424, st. nach 1484) zeigt sich als
hSchüler Fiesole’s in denjenigen Theilen des Gewölbes der Madonnen-
capelle im Dom von Orvieto, welche ihm angehören. (Seine Fresken
iin Montefalco (1450) und S. Gimignano (1465) kenne ich nicht.) In
kder Capelle des Pal. Riccardi zu Florenz malte er (bei Lampen-
licht) den Zug der heil. drei Könige, welcher sich über drei Wände
[805]C. Rosselli. Uccello. Gozzoli. D. Ghirlandajo.
ausdehnt. (Leidliches Reflexlicht: um zwei Uhr.) Im Camposantoa
zu Pisa aber gehört ihm fast die ganze Nordwand (23 Gemälde) mit
den Geschichten des alten Testamentes, gemalt 1469—1485. — Be-
nozzo kostet mit vollen Zügen die Freude an den blossen schönen
Lebensmotiven als solchen; sein wesentliches Ziel ist, ruhende, tra-
gende, gebückte, laufende, stürzende Gestalten, oft von grosser jugend-
licher Schönheit, mit ganzer momentaner Kraft darzustellen; dagegen
bleibt ihm der Hergang an sich ziemlich gleichgültig. Der Beschauer
empfindet jene Freude an dem neugebornen Geschlecht von Lebens-
bildern mit und verlangt neben der endlos reichen Bescheerung nichts
weiter. Die schon erwähnte Ausstattung mit Architekturen, Gärten,
Landschaften ist fabelhaft prächtig; auch hier ist Benozzo ein begei-
sterter Entdecker neuer Sphären des Darstellbaren. — Seine Staffelei-
bilder geben keinen Begriff von seiner Bedeutung. — (Mehrere in derb
Acad. zu Pisa, u. a. der Entwurf zur Königin von Saba.) 1)
Alessio Baldovinetti, von welchem in der Vorhalle der
Annunziata zu Florenz die Geburt Christi gemalt ist, ein sorgsamer,c
nicht eben geistloser Realist, wird hauptsächlich genannt als Leh-
rer des
Domenico Ghirlandajo (1449—1498), des grössten dieser
Reihe. Er gebietet dem sich schon in seinen eigenen Consequenzen
verlierenden Realismus Einhalt, im Namen des ewigen Bestandtheiles
der Kunst. Auch ihn reizt die Schönheit der lebendigen Erscheinung
und er ist ihrer Reproduction vollkommen mächtig, allein er ordnet
sie dem grossen, ernsten Charakter der heil. Gestalten, der höhern
Bedeutung des dargestellten Augenblickes unter. Die in schönen treff-
lich vertheilten Gruppen versammelten Bildnissfiguren, welche den
Ereignissen beiwohnen, nehmen an der würdigen und grossen Auf-
fassung des Ganzen Theil. Von allen Vorgängern scheint Filippo
Lippi, hauptsächlich die Malereien im Dom von Prato, den grössten
[806]Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner.
Eindruck auf D. gemacht zu haben; obwohl er denselben an leichtem
und edelm Wurf der Gewänder, und ihn und andere in der Stoffdar-
stellung und Farbenharmonie nicht erreicht hat, so ist er dafür in an-
derm Betracht Allen überlegen, äusserlich auch in den Linien der Com-
position, sowie in der Frescotechnik.
In Ognissanti sieht man (links) sein Fresco des S. Hieronymus
(1480), wo er in der Schilderung der Örtlichkeit und der Nebensachen
beinmal der flandrischen Weise nachgiebt. — Im Refectorium von
S. Marco ein Abendmahl, dessen Anordnung noch die alterthümliche,
cgiotteske ist. — Vom Jahr 1485 die Fresken der Cap. Sassetti in
S. Trinità (die hinterste im rechten Querschiff), die Legende des heil.
Franciscus darstellend, schon ein reifes Meisterwerk (bestes Licht:
d9 Uhr.) — Endlich die Fresken im Chor von S. Maria novella1)
(1490) mit dem Leben der Maria, des Täufers u. a. Heiligen. Nicht
ein bedeutender dramatischer Inhalt ist hier das Ergreifende, sondern
das würdige, hochbedeutende Dasein, von welchem wir wissen, dass
es die Verklärung der damaligen florentinischen Wirklichkeit ist. Diese
anmuthigen, edel-kräftigen Existenzen erheben uns um so viel mehr,
als sie uns real nahe treten 2).
Unter den Staffeleibildern in Florenz sind zu nennen die Anbe-
etung der Könige hinten im Chor der Findelhauskirche (Innocenti);
fdann, in der Academie, die Madonna mit den sechs Heiligen und die
herrliche Anbetung der Hirten (1485), in holdseliger Bildung, schöner
und glücklicher Anordnung ein Hauptwerk jener Zeit. — Einzelnes
gin den Uffizien und im Pal. Corsini. — In der Sacristei des Domes
hvon Lucca eine (frühe) Madonna mit vier Heiligen.
Von Domenico’s Brüdern Davide und Benedetto sind keine
namhaften selbständigen Arbeiten vorhanden; von seinem Schwager
iBastiano Mainardi (S. 750, b) Fresken in S. Gimignano. Von sei-
knem Schüler Francesco Granacci u. a. in der Academie eine
lHimmelfahrt Mariä mit vier Heiligen, in den Uffizien eine den Gürtel
[807]Dom. Ghirlandajo. Castagno. Verocchio. L. di Credi.
dem S. Thomas herabreichende Madonna, gute Bilder ohne höhere
Eigenthümlichkeit.
Neben diesen grossen Bestrebungen, im Realismus ein höheres und
schöneres Dasein darzustellen, trat auch ein übertreibendes Charakte-
risiren auf. Andrea del Castagno’s Bilder (Mitte des XV. Jahrh.)
sind gemalte Donatello’s, nur haltungsloser, zum Theil wüst renom-
mistisch. (Academie; S. Croce, nach dem 5. Alt. r., Frescofigurena
des h. Franz und Johannes d. T.; Dom, vgl. S. 804, f.) — Antonio
Pollajuolo vereinigt eine ähnliche Schärfe wenigstens mit präch-
tiger Ausführung. (Uffizien; die Bilder aus der Cap. S. Sebastianob
sollen sich jetzt im Pal. Pucci befinden.) — Auch Andrea Veroc-c
chio, der Lehrer Lionardo’s, ist in dem fast einzigen noch vorhande-
nen Bilde, der Taufe Christi (in der Academie) auf wahrhaft küm-d
merliche Formen und Charaktere gerathen; nur vollendet er diese
auf das Fleissigste; sein Modelliren ist Gewissenssache und sucht alle
Geheimnisse der Anatomie sowohl als des Helldunkels zu ergründen;
auffallender Weise ist die Gewandung daneben ziemlich leblos ge-
blieben. Der von Lionardo hineingemalte Engel zeigt einen süssern
Kopftypus, der übrigens auch dem Verocchio als Erzgiesser (Seite
602, b) nicht fremd war.
Von V.’s Schülern ist schon hier Lorenzo di Credi zu be-
handeln (1454—1513), obschon er in der Folge unter den Einfluss
seines grössern Mitschülers gerieth. Sein emsiges Streben nach Er-
gründung des perspectivischen Scheines der Dinge war doch von dem
Lehrer geweckt worden. Jedes seiner Bilder sucht diese Aufgabe
auf neue Weise zu lösen; er versucht es mit dem hellsten Licht und
mit bloss hingehauchten Übergängen wie mit den tiefsten Schatten.
Seine männlichen Charaktere haben, z. B. in dem schönen Bilde der
Madonna mit zwei Heiligen (Dom von Pistoja, Cap. neben dem Chore
links), das nervös Verkümmerte jener Taufe Christi des Verocchio;f
etwas gemildert auch das ähnliche Bild, welches im Museum von
Neapel Ghirlandajo heisst. Dafür offenbart sich in seinen Madonnen,
bisweilen (nicht immer!) auch im Bambino, der zarteste Schönheits-
sinn, so dass dieselben allerwärts zu den Schätzen gehören. (Acad.
[808]Malerei des XV. Jahrhunderts. Toscaner.
av. Florenz; Uffizien; Galerie Borghese in Rom, u. a. a. O.) Seine
beinzige grosse Composition, eine Anbetung des Kindes (Acad.
v. Florenz), zeigt auf merkwürdige Weise, wie auch ein weniger be-
gabter aber beharrlicher Künstler in jener Zeit das Herrlichste leisten
konnte, indem sein Sinn für Anmuth der Formen und des Ausdruckes
noch nicht durch feststehende Theorien und Vorbilder irre gemacht
wurde, sodass er sein Eigenstes geben konnte und musste; — indem
jene Zeit noch nicht im Bewegt-Pathetischen rivalisirte, an welchem
die nur bedingt Begabten untergehen; — indem endlich der realistische
Grundtrieb der Zeit vor dem Langweiligen, d. h. Allgemeinen und
Conventionellen schützt. In dem genannten Bilde ist zwar schon etwas
von jenem überschüssigen Gefühl, welches in der peruginischen Schule
eine so grosse Rolle spielt (s. den Jüngling mit dem Lamme), allein
man vergisst dieses und den nicht ganz unbefangenen Bau der Gruppe
ob der zauberhaften Schönheit der meisten Gestalten. — Die kleinen
cBilder mit biblischen Scenen in den Uffizien geben keinen Begriff von
Lorenzo’s Kunstvermögen. (Ist etwa von ihm die Madonna mit zwei
dHeiligen, in S. Spirito, auf einem der 4 Altäre ganz hinten? Angeblich
„Manier Sandro’s“.)
Ausserhalb dieser Reihe steht der grosse Luca da Cortona,
eigentlich Signorelli (1439—1521). Er war der Schüler des Piero
della Francesca (von welchem bei der paduanischen Schule die Rede
sein wird) nahm aber stärkere florentinische Eindrücke in sich auf.
— Dem Ghirlandajo ebenbürtig in der grossartigen Auffassung des
Geschehens und der Existenzen, wählt er doch seine Einzelformen
weniger und ist stellenweise des Derbsten fähig; andererseits zeigt
sich bei ihm zuerst die Begeisterung für das Nackte als eine wesent-
lich bestimmende Rücksicht für die Darstellung, selbst für die Wahl
der Gegenstände. In diesem Sinne ist er der nächste Vorläufer des
Michelangelo.
Seine Fresken im Kloster Monte Oliveto (südlich von Siena),
Scenen aus der Geschichte des heil. Benedict, hat Verf. dieses nicht
fgesehen. Sein Hauptwerk sind jedenfalls die Fresken in der Madon-
nencapelle des Domes von Orvieto (seit 1499), welche mit den-
[809]Luca Signorelli.
jenigen des Fiesole (S. 791, a) und Benozzo (S. 804, h) zusammen einen
Cyclus der „letzten Dinge“ ausmachen: der Antichrist, die Auferstehung
der Todten, die Hölle und das Paradies; unten als Brustwehrverzierung
die Dichter des (classischen wie biblischen) Jenseits in Rundbildern,
umgeben von zahlreichen allegorischen, mythologischen und decorativen
einfarbigen Malereien (S. 278, i). Weit entfernt, die angemessensten
oder die sachlich ergreifendsten Darstellungen dieses Inhalts zu sein,
haben namentlich „Paradies“ und „Hölle“ den hohen geschichtlichen
Werth, dass sie die erste ganz grossartige Äusserung des Jubels über
die Bezwingung der nackten Form sind. Letztere wird uns hier nicht
in reiner Idealität, wohl aber in grosser jugendlich-heroischer Kraft-
fülle, in höchst energischer Modellirung und Farbe vorgeführt.
Unter seinen Tafelbildern das herrlichste ist dasjenige im Doma
von Perugia (Nebencap. des rechten Querschiffes), die thronende Ma-
donna mit 4 Heiligen und einem lautenspielenden Engel; an Ort und
Stelle ein wahrer Trost für das von Perugino’s süssen Ekstasen über-
sättigte Auge. — Die Bilder in Cortona hingen 1853 alle so, dass ich
zum Besuch der Bergstadt nur unter der Voraussetzung, sie seien
seitdem besser aufgestellt worden, rathen kann. Leider befindet sich
darunter (mit 2 andern Bildern, im Chor des Domes) auch die be-b
rühmte Einsetzung des Abendmahls; mit einem kühnen Schritt wandte
sich Luca von der üblichen Darstellungsweise ab, räumte den Tisch
weg und liess Christus durch die prächtig bewegte Gruppe der Jünger
einherschreiten. — Im Gesù, gegenüber vom Dom, eine (späte) An-c
betung der Hirten; Anderes a. a. O. — In S. Domenico zu Sienad
möchte eine vorgeblich von dem wüsten Manieristen Matteo di Gio-
vanni begonnene Anbetung des Kindes (letzter Alt. im Schiff r.) we-
sentlich eine liebenswürdige Jugendarbeit Luca’s sein. — In der Aca-
demie zu Siena: die Rettung aus dem Brande von Troja, und: dere
Loskauf von Gefangenen, letzteres wiederum eine bedeutende Com-
position nackter Figuren. — In Florenz enthält die Academie ein buntesf
grosses manierirtes Bild seines Alters, Madonna mit 2 Erzengeln und
2 Heiligen; — Pal. Corsini Mehreres; — die Uffizien endlich zweig
merkwürdige Rundbilder: eine heil. Familie, welche die ernste, prunk-h
lose, männliche Art des Meisters ganz in sich darstellt; — und eine
Madonna, im Hintergrund nackte Hirten, über dem Rund einfarbige
[810]Malerei des XV. Jahrhunderts. Toscaner.
Reliefbilder — Nacktes und Plastik! auch hier beginnt ein neues Jahr-
ahundert. Selbst der tüchtige Greisenkopf in der Galerie Torigiani
bzeigt Aktfiguren im Hintergrunde. — Die Geisselung, in der Brera zu
Mailand, scheint ein frühes Bild zu sein. — Ein schlecht beleuchtetes
cFresco der Madonna mit 2 Cisterciensern, in der Sacristei von S. Ber-
nardo zu Arezzo gehört dem L. schwerlich.
Ein grosses Gesammtdenkmal der toscanischen Malerei des XV.
Jahrh. bieten die zehn Fresken aus dem Leben Mosis und Christi an
dden Wänden der Capella Sistina des Vaticans dar. Sixtus IV
(1471 — 1484) liess sie durch die schon oben genannten Maler aus-
führen: durch Sandro Botticelli, Cosimo Rosselli, Domenico Ghirlan-
dajo und Luca Signorelli, zu welchen noch Pietro Perugino hinzu-
kömmt. (Drei Bilder des letztern, an der Altarwand, mussten später
dem jüngsten Gericht weichen; die beiden an der Thürwand sind von
späten und geringen Künstlern.)
Diese Arbeiten sind von bedeutendem Werthe und verdienen eine
genauere Besichtigung als ihnen gewöhnlich zu Theil wird 1). Sie
gehören, was Sandro, Cosimo und Pietro betrifft, zu den besten Wer-
ken dieser Künstler. Pietro regt sich hier noch mit einer florentini-
schen Lebendigkeit, die ihm später nicht mehr eigen ist; der Sturz
der Rotte Korah ist Sandro’s bedeutendste Composition; in den dem
Luca Signorelli zugeschriebenen sind wenigstens einige Motive von
wundervoller Lebendigkeit, die nur sein Werk sein können. Aber die
figurenreiche Erzählungsweise jenes Jahrhunderts, die sich hier in
breitem Format ergeht, drückt mehr als einmal das wesentliche Factum
dergestalt zusammen, dass das Auge sich ganz an die lebensvollen
Einzelheiten, an die angenehme Fülle hält, z. B. an die landschaft-
lichen und baulichen Hintergründe. Hier, in der Nähe der Propheten
und Sibyllen, in der Nähe der Stanzen und Tapeten wird man inne,
[811]Capella Sistina. Schule von Padua.
warum ein Rafael und ein Michelangelo kommen mussten und wie
sehr diese in lauter Leben und Charakter sich selbst verlierende Kunst
es nöthig hatte, wieder auf das Höchste zurückgewiesen zu werden.
Und doch ist auch dieses Höchste hier stellenweise anzutreffen.
In Ghirlandajo’s „Berufung des Petrus und Andreas zum Apostelamt“
ist dem Ereigniss die ergreifendste und feierlichste Seite abgewonnen
und zur Hauptsache gemacht; es ist wie eine Vorahnung von Rafaels
„Fischzug Petri“ und „Pasce oves meas!“ —
Die Pracht der Ausstattung, welche in diesen Gemälden herrscht,
entspricht ganz dem Sinne Sixtus IV, der die Vergoldung und das
Leuchten der Farben über die Massen liebte.
Inzwischen war in Oberitalien die Schule von Padua unab-
hängig von den Florentinern und auf einem eigenthümlichen Umwege
zum Realismus durchgedrungen. Ihr Gründer, Francesco Squar-
cione (1394—1474), hatte in Italien und Griechenland antike Sta-
tuen, Reliefs, Ornamentstücke etc. gesammelt, nach welchen in seiner
Werkstatt studirt wurde, emsig, aber ganz einseitig. Von irgend
einem Eingehen auf das Lebensprincip der antiken Sculptur, welches
auch für die Malerei belehrend und theilweise massgebend hätte sein
können, war nicht die Rede. Man schätzte an ihr nicht die Verein-
fachung der Erscheinung, auch nicht die dadurch erreichte Idealität,
sondern den Reichthum der Detailbildung, vermöge dessen vielleicht
spätere, raffinirte Sculpturen gerade die meiste Verehrung genossen.
Diese Bestimmtheit der Lebensformen, die sich hier vorfand, im Ge-
mälde wiederzugeben, war nun das Ziel der Schule; daher ihre pla-
stische Schärfe und Härte. Sodann entlehnte die sehr ornament-
liebende Schule eine Menge decorative Elemente von den genannten
und andern Resten des Alterthums, namentlich römischen Gebäuden.
Zugleich aber war auch der realistische Trieb des Jahrhunderts
gerade hier sehr stark, und mischte sich auf eine ganz wunderliche
Weise mit dem Studium der Antiken. Er gab die Seele, letzteres
nur einen Theil der Äusserungsweise her. Vorzüglich in der Gewan-
[812]Malerei des XV. Jahrhunderts. Paduaner.
dung bemerkt man das Aufeinandertreffen der beiden Richtungen;
Wurf und Haltung wollen etwas Antikes vorstellen, welches aber
durch facettenartige Glanzlichter, tiefe Schatten und übergenaue Aus-
führung der Einzelmotive wirklich gemacht werden soll. — Ausserdem
sind die tiefen, saftigen Farben, das sehr entwickelte Helldunkel und
die scharfe und kräftige Modellirung durchgehende Verdienste der
Schule.
Von Squarcione selbst ist nur ein sicheres Bild vorhanden,
aeine Madonna mit einem betenden weissen Mönche, im Pal. Manfrin
zu Venedig (1447). Wenn die „Sibylle mit Augustus“, in der Pina-
bcoteca zu Verona auch von ihm sein soll, so wäre sie wohl ein un-
geschicktes Bild seines Alters. — Von einem seiner nächsten Schüler,
cMarco Zoppo, im Pal. Manfrin eine Madonna hinter einer Brust-
wehr stehend, mit musicirenden Putten.
Squarcione’s Einfluss reichte zunächst bis nach Toscana hinein
durch den schon als Lehrer Signorelli’s erwähnten Piero della
dFrancesca aus Borgo San Sepolcro. Seine Fresken im Chor von
S. Francesco zu Arezzo (bestes Licht: gegen Abend), die Geschichten
Constantins und des wahren Kreuzes darstellend, zeigen in ihren er-
haltenen Theilen eine so energische Charakteristik, eine solche Be-
wegung und ein so leuchtendes Colorit, dass man den Mangel an
höherer Auffassung der Thatsachen völlig vergisst. (Rumohr’s ab-
eschätziges Urtheil ist mir ein Räthsel.) — Eine Magdalena, neben der
Sacristeithür des Domes von Arezzo, ist noch in der Übermalung
ftrefflich. — (Ein kleiner S. Hieronymus in einer Landschaft, Acad. von
Venedig, ist sehr verletzt.)
Auf Ferrara wirkte Squarcione zunächst durch Cosimo Tura.
gIn dem dortigen Palazzo Schifa-noja ist der grosse obere Saal in den
1470er Jahren von ihm (theilweise, ja vielleicht grösserntheils von
Piero della Francesca?) ausgemalt. Eines der wichtigsten cul-
turgeschichtlichen Denkmale jener Zeit! es ist das Leben eines kleinen
italienischen Gewaltherrschers, Borso von Este, Herzogs von Ferrara,
[813]Squarcione. Piero della Francesca. Ferraresen.
in derjenigen Weise verklärt, welche dem Sinn des Jahrhunderts zu-
sagte. Eine untere Bilderreihe stellt lauter Handlungen Borso’s dar,
auch sehr unwichtige, in prächtiger baulicher und städtischer Sce-
nerie, in reichen Trachten. Eine zweite Reihe enthält die Zeichen
des Thierkreises mit unergründlichen allegorischen Nebenfiguren auf
blauem Grunde, eine dritte Götter und Allegorien auf Triumphwagen,
von symbolischen Thieren gezogen, nebst Scenen aus dem Menschen-
leben, welche allerlei Künste und Verrichtungen darstellen. Das Ganze
ist wieder eine von jenen astrologisch-sinnbildlichen Encyclopädien
(wie die des Miretto in Padua, S. 784, b), in deren Geheimniss zu sein
das Glück der damaligen Gebildeten war. (Die meist brillante Aus-
führung bis hoch hinauf so miniaturartig fein, dass man eines Roll-
gerüstes zur Besichtigung bedarf. Die Hälfte verloren.) — Von Tura
im Chor des Domes von Ferrara eine Verkündigung und ein S. Georg,a
mit sehr schönen jugendlichen Köpfen; — in S. Girolamo (1. Cap. 1.)b
ein stehender S. Hieronymus.
Auch Stefano da Ferrara war Squarcione’s Schüler. An Ort
und Stelle sieht man späte Werke, in welchen er mit Garofalo u. A.
zu wetteifern scheint (Ateneo: Madonna mit 2 Heiligen; 12 Apostel-c
köpfe). Frühere Arbeiten der energischen paduanischen Weise: zweid
Madonnen mit Heiligen, in der Brera zu Mailand.
Auch die übrigen Ferraresen des XV. Jahrh. sind sämmtlich mehr
oder weniger von Padua abhängig. Wie alle alten Lombarden kön-
nen sie sich mit den Florentinern schon desshalb nicht messen, weil
die bewegte Darstellung des Geschehens ihre Sache nicht war, sodass
sich z. B. selbst ihr Raumgefühl nur unvollkommen entwickelte. Aber
der Ernst ihres Realismus, die Bestimmtheit ihrer Formen, die treff-
liche Modellirung und das Helldunkel das sie selbst in Tempera-
bildern erreichen, geben ihren Werken einen bleibenden Werth.
So Francesco Cossa. Seine Madonna mit S. Petronius unde
S. Johannes d. Ev. (in der Pinacoteca von Bologna, 1474) ist in den
Köpfen bäurisch reizlos, und doch um jener Vorzüge willen ein treff-
liches Werk. — Seine grosse Marter S. Sebastians (in S. Petroniof
ebenda, 5. Cap. 1.) zeigt dieselben Tugenden mit gemässigten, selbst
würdigen und schönen Charakteren. Der italienische Realismus taucht
[814]Malerei des XV. Jahrhunderts. Ferraresen.
nur für Augenblicke tief unter; immer von Neuem schmiegt er sich
dann der Schönheit an.
Lorenzo Costa (1460—1535), dessen Hauptwerke sich sämmt-
lich in Bologna befinden, gerieth hier in einen merkwürdigen Aus-
tausch mit Francesco Francia, dessen Schüler er sich schlechtweg,
aber doch nur mit halbem Rechte nennt. Er brachte in dieses Ver-
hältniss einen ganz wohlgefesteten Realismus und eine viel grössere
Kenntniss mit als Francia damals besass; er beugte sich vor dem
Schönheitssinn und dem Seelenausdruck des letztern, behielt aber ge-
hörigen Orts eine gesundere Empfindungsweise vor diesem voraus. —
aIn S. Petronio ist das Altarbild der 7. Cap. 1., thronende Madonna
mit vier Heiligen und einer herrlichen Lunette von musicirenden En-
geln, jedem Francia gleichzustellen. Ebenda, 5. Cap. 1., die 12 Apo-
stel, Gestalten ohne Grossartigkeit, mit gewaltigen, aber gut gezeich-
neten Händen und Füssen, dabei sehr ernst ergriffen. — Hinten im
bChor von S. Giovanni in monte: Mariä Krönung mit sechs Heiligen,
welche hier, wie in der Schule von Bologna-Ferrara überhaupt, grup-
pirt und nicht bloss wie bei den Peruginern in einer Reihe aufgestellt
sind. — Ebenda, 7. Cap. r., noch ein Hauptbild, thronende Madonna
mit köstlich naiven Musikengeln und Heiligen. Das Bild im Chor ist
zugleich eins der ausgezeichnetsten Specimina für die Behandlung der
Landschaft, in welcher Costa zuerst eine Ahnung von gesetzmässigen,
mit den Figuren in Harmonie stehenden Linien und eine bedeutende
Meisterschaft der Töne entwickelt. Es sind meist schöne Thaleinsen-
kungen mit reicher Vegetation und Aussichten in eine sanfte, nicht
cphantastische Ferne. — An den Fresken, welche ihm in S. Cecilia
angehören (s. unten, das 4. Bild 1. und d. 4. r.) ist vielleicht die Land-
dschaft gradezu das Beste. — Die Fresken in der Cap. Bentivoglio zu
S. Giacomo maggiore erscheinen theils völlig übermalt, theils befangen
durch das Sujet, welches über Costa’s Kräfte ging (die beiden uner-
gründlich allegorischen Trionfi), theils ungern gemalt (die Madonna
mit der hässlichen, barock costumirten Familie Bentivoglio). — Die
eHimmelfahrt Mariä in S. Martino (5. Alt. 1.) mag zwischen Costa und
irgend einem Peruginer streitig bleiben. — In Ferrara soll sich (ausser
feinem nicht bedeutenden Bild im Ateneo) ein berühmtes Werk in der
Kirche alle Esposte befinden. — Von seinem Schüler Ercole Grandi
[815]Lorenzo Costa u. a. Andrea Mantegna.
z. B. mehrere einzelne Figuren in der Sacristei von S. Maria in Vado;a
ein S. Sebastian mit 2 andern Heiligen und der Stifterfamilie in S.b
Paolo, rechts neben dem Chor.
Von Costa und Francia zugleich ist der schwächliche Domenico
Panetti abhängig. In Ferrara: Ateneo: eine Heimsuchung, und einc
S. Andreas; — Sacristei von S. M. in Vado: die Fahrt der heiligend
Familie über den Nil, ein gemüthliches Frescobild; — Chor von S.e
Andrea: alte Altar- oder Orgelflügel mit dem englischen Gruss und
2 Heiligen, schon in Garofalo’s Art. — Ganz in Francia’s Nachahmung
versenkt erscheint Micchele Cortellini: in S. Andrea, 3. Cap. r.,f
eine thronende Madonna mit 4 Heiligen (1506 1). — Von Costa’s be-
deutendstem Schüler, Mazzolino, wird beim XVI. Jahrh. die Rede sein.
Der bedeutendste Träger derjenigen Kunstentwicklung, welche
von Padua ausging, ist jedenfalls der grosse Paduaner Andrea Man-
tegna (1430—1506). (Vgl. S. 279, c; 297, a.)
Sein wichtigstes Werk sind die Malereien aus den Legenden des
heil. Jacobus und des heil. Christoph in der Capelle dieser Heiligen
in den Eremitani zu Padua. (Ausgeführt mit Hülfe des Bono,g
Ansuino und Pizzolo.) Es ist nicht die höhere Auffassung der Mo-
mente, wodurch er hier die Florentiner übertrifft; das Flehen des Ja-
cobus um Aufnahme ist nicht eben würdig; bei der Taufe des Her-
mogenes erscheinen die meisten Anwesenden sehr zerstreut; das
Schleppen der St. Christophsleiche ist eine der blossen Verkürzung
zu Gefallen gemalte Goliathscene. Aber an Lebendigkeit des Ge-
schehens und an vollkommener Wahrheit der Charaktere hat kaum
ein Florentiner Ähnliches aufzuweisen. Man betrachte z. B. das wirre
Durcheinanderrennen der Widersacher des heil. Jacobus, wo er die
Dämonen gegen sie aufruft; oder wie in dem „Gang zum Richtplatz“
das blosse Innehalten des Zuges ausgedrückt ist; oder die Gruppe der
auf S. Christoph Zielenden; oder die der bekehrten Kriegsknechte.
[816]Malerei des XV. Jahrhunderts. Mantegna.
Um der höchst genauen, selbst scharfen Ausführung willen begnügte
sich M. (wie überhaupt die paduanische Schule, z. B. die Maler des
Pal. Schifa-noja) nicht mit dem Fresco, sondern versuchte von Bild
zu Bild andere Malarten. Reichthum der entferntern Gruppen, der
baulichen und landschaftlichen Hintergründe, der mit Faltenwerk,
Glanzlichtern, Reflexen u. s. w. überladenen Gewandung. — Ganz neu
und dem M. eigen erscheint die mehr oder weniger durchgeführte Per-
spective, das Festhalten eines Augenpunktes. Er ist neben Melozzo
der einzige Oberitaliener dieser Zeit, welcher ein durchgebildetes
Raumgefühl besitzt. Mehrere der schon genannten Florentiner müs-
sen, wenn auch nur mittelbar, von ihm gelernt haben. — Im Ganzen
erinnert er viel an Benozzo, nur erscheint dieser neben ihm wie ein
anmuthiger Improvisator neben einem Kunstdichter.
(Andere Fresken in Mantua, Castello di corte, Stanza di Man-
tegna; Scenen aus dem Leben des Lodovico Gonzaga.)
Unter seinen Staffeleibildern ist die stark restaurirte Gestalt der
bheil. Eufemia im Museum von Neapel (1454) das frühste und viel-
leicht grossartigste Programm der ihm erreichbaren Idealschönheit.
In kleinern Bildern geht seine Ausführung in eine prächtige Miniatur
cüber. Das dreitheilige Altärchen in den Uffizien (Tribuna) und eine
kleine Madonna in Felslandschaft (dies. Sammlung) sind in diesem
Betracht wahre Juwelen, obwohl die Charaktere nirgends gross und
mit Ausnahme des Madonnenkopfes kaum angenehm sind. — Von
dgrössern Altarbildern ist nur dasjenige auf dem Hochaltar von S. Zeno
zu Verona (Madonna mit Heiligen) in Italien geblieben; ein Haupt-
werk für das ganze Empfinden und Können der Schule. — In der
eBrera zu Mailand u. a. das grosse Temperabild eines heil. Bernardin
mit Engeln (1460?) auch als decoratives Prachtstück merkwürdig. —
In Scenen des Affektes ist Mantegna bisweilen derb und unschön,
fwie z. B. die Pietà in der vaticanischen Galerie, ein sehr energisches
und vielleicht echtes Bild 1), zeigt.
Manches führt dann entschieden mit Unrecht seinen Namen. Drei
gkleine phantastische Legendenbilder im Pal. Doria zu Rom möchten
heher von einem Ferraresen sein; — vier Miniaturbilder im Pal. Adorno
[817]Andrea Mantegna. Melozzo da Forli. Vicentiner.
zu Genua sind wenigstens höchst bezeichnende Beispiele für die anti-
kisirende und allegorische Richtung seiner Schule, welche hier in
einen angenehmen Rococo ausmündet: der Triumph der Judith; der
Triumph über Jugurtha; Amor von den Nymphen gefesselt; Amor
gefangen weggeführt.
Einer lebte in dieser Zeit, der in der Darstellung des perspecti-
vischen Scheines der Dinge noch über Mantegna hinaus ging: Me-
lozzo da Forli, Schüler vielleicht des Squarcione, jedenfalls des
P. della Francesca. Man sieht in Rom über der Treppe des Quirinals einena
Gottvater von Engeln umschwebt, in der Stanza capitolare der Sacri-b
stei von S. Peter ein paar Bruchstücke von Engelfiguren; — es sind
arme Fragmente eines wunderherrlichen Ganzen, nämlich der in Fresco
gemalten, im vorigen Jahrhundert zerstörten Halbkuppel des Chores
von SS. Apostoli. Die verkürzte Untensicht, damals wohl als grosse
Neuerung bestaunt, wurde seit Coreggio tausendmal von Künstlern
dritten Ranges überboten und berührt uns jetzt nur historisch; Me-
lozzo’s viel grössere Seite ist, dass er zu einer völlig freien, edel sinn-
lichen Jugendschönheit durchgedrungen war und sie mit begeisterter
Leichtigkeit (vielleicht einst in hundert Gestalten!) vorgebracht hatte.
— Das Frescobild in der vaticanischen Galerie, eine Audienz Six-c
tus IV, in strengerm paduanischem Styl gemalt, ist bei aller Trefflich-
keit doch schwer mit jenen Resten aus SS. Apostoli zu reimen.
Die Maler von Vicenza und Verona 1450—1500 sind ebenfalls
wesentlich paduanisch gebildet, wenn auch bei Einigen sich ein (mässi-
ger) Einfluss des Giov. Bellini zeigt; auf Farbenpracht und Charak-
teristik der Venezianer gehen sie nur wenig ein.
Für Vicenza ist der mürrische, aber ehrliche und gründliche
Bartolommeo Montagna zu nennen. — Drei Bilder in der dor-d
tigen Pinacoteca; in S. Corona das Fresco links neben der Thür; —e
im Dom vielleicht die Malereien der vierten Capelle links; — ebenda,f
fünfte Capelle rechts, zwei Apostel und vielleicht auch die Anbetung
des Kindes. — Grössere Altarbilder in der Acad. zu Venedig und ing
B. Cicerone. 52
[818]Malerei des XV. Jahrhunderts. Oberitalien.
ader Brera zu Mailand. — Treffliche Fresken von ihm (nicht von Franc.
bMorone, wie S. 280, a irrig angegeben ist) in SS. Nazaro e Celso zu
Verona, Cap. di S. Biagio, 1493; — vier Bilder im Chor derselben
Kirche.
Von vicentinischen Zeitgenossen: Bilder in der Pinacoteca und
dgute Fresken in S. Lorenzo, Cap. links neben dem Chor.
In Verona ist Einiges von Pisanello († 1451) erhalten, der
gleichzeitig und sogar unabhängig neben Squarcione den Styl des XV.
eJahrh. beginnen half. (Ruinirtes Fresco einer Verkündigung in S. Fermo,
Wand über dem Chor.) — Die Übrigen stehen alle unter Mantegna’s
fEinfluss. — Anonyme Fresken in S. Anastasia, Capellen rechts und
links vom Chor. — Francesco Buonsignori, ein Geistesverwand-
gter des Montagna: Madonnen mit Heiligen in der Pinacoteca zu Ve-
hrona (1488) und in S. Fermo, Cap. neben dem linken Querschiff (1484).
Bilder von Girol. Benaglio (1487) und Giov. Franceschini
i(1498) in der Pinacoteca; das des letztern ein schönes Werk in der
Art Bellini’s.
Von Liberale da Verona Bilder in mehrern Kirchen 1), Fres-
kken in S. Anastasia, z. B. über dem 3. Alt. rechts; ein grosser S. Se-
lbastian in der Brera zu Mailand, hart und scharf, ein vortreffliches
Actbild im paduanischen Sinne. — Von Girol. da’ Libri u. a. in
mS. M. in Organo, rechts vom Portal, eine schöne Madonna mit Heili-
ngen unter Lorbeern; — in der Pinac. eine herrliche Anbetung des
(kühn gezeichneten) Kindes mit Heiligen; und eine thronende Ma-
donna mit Heiligen. — Franc. Morone nähert sich in zwei schönen
oBildern der Pinac., einem verklärten mit Maria und Johannes d. T.
auf Wolken stehenden Christus und einem Gekreuzigten (1498), dem
Giov. Bellini am Meisten; — in den edeln Fresken der Sacristei von
pS. M. in Organo (Halbfiguren von Heiligen, und in einem Mittelfeld
der Decke: der verkürzt schwebende Salvator mit Heiligen) erscheint
er als ein ausgebildeter Meister des XVI. Jahrhunderts.
[819]Veroneser. Mailänder.
Je weiter man nach Westen dringt, desto mehr schwindet die
paduanische Kenntniss der Lebensformen und die Lust an deren schar-
fer Bezeichnung, hört auch wohl z. B. bei einigen piemontesischen
Malern ganz auf.
Schon der Brescianer Vincenzo Foppa d. ä. erreicht in seinem
Frescobild der Marter S. Sebastian’s (Brera zu Mailand) die Durch-a
bildung selbst der Veroneser nicht mehr. — Die Fresken des ältern
Vincenzo Civerchio und des Bernardino Buttinone in S.
Pietro in gessate zu Mailand (von jenen die Antoniuscap., von diesemb
die Ambrosiuscap.) sind dem Verfasser nicht bekannt. — Von Bra-
mantino dem ältern, der eine tüchtige paduanische Schule hatte, ist
gerade in Mailand nichts von Belang; von Bramantino dem jüngern
nicht vieles: eine Madonna von reicher und voller Bildung, mit zweic
Engeln (in der Brera); eine Lunette über der Thür von S. Sepolcro;d
dann die Gewölbefresken der Brunocapelle in der Certosa von Pavia.e
Bernardo Zenale’s grosse Madonna mit Kirchenvätern und Do-
natoren (Brera), bei einigen Härten doch ein treffliches Bild, stehtf
schon unter Lionardo’s Einfluss.
Der vielbeschäftigte Borgognone (eigentlich Ambrogio Fossano,
st. nach 1522; vgl. S. 201, f), thut in einzelnen kleinen Frescoscenen
bedeutende Würfe (Malereien hinten in S. Ambrogio: Christus unterg
den Schriftgelehrten, der Auferstandene mit Engeln, Pietà, Alles über-
malt); — bei grossen Aufgaben aber (Chornische von S. Simpliciano)h
nimmt sich die Übertragung der Gedanken des XIV. Jahrh. in ziem-
lich leblose Formen des XV. ganz matt aus. Eine grosse Himmelfahrt
Mariä (Brera) erinnert an abgestandene Peruginer. Einzelne Madonnen,i
mit Engeln, die hie und da vorkommen, haben dagegen eine höchst
liebenswürdige Gemüthlichkeit. — Bedeutende Fresken in der Certosak
von Pavia. — (Allerlei Malereien dieser alten Schule, auch in der
Art Borgognone’s, in Madonna delle grazie bei Locarno, Tessin.)l
Von einer Anzahl anderer lombardischer Maler, welche den Styl
des XV. Jahrh. mehr oder weniger beibehielten bis über 1530 hinaus,
finden sich die meisten Werke in Provincialstädten, welche Verfasser
dieses nicht besucht hat: so von Foppa d. j., Civerchio d. j., An-
drea da Milano, Girol. Giovenone, dem Piemontesen Macrino
d’Alba u. A. Am meisten Interesse sollen die Bilder der beiden
52*
[820]Malerei des XV. Jahrhunderts. Oberitalien.
aältern Piazza, Albertino und Martino, in den Kirchen von Lodi
und der Umgegend darbieten.
Pierfrancesco Sacchi aus Pavia arbeitete hauptsächlich in
Genua. Mit seinem einfachen, hie und da peruginischen Gemüthsaus-
druck, seiner flandrisch reichen Ausführung bis in das kleinste De-
tail hinein, und mit den prächtigen landschaftlichen Hintergründen
macht er einen Eindruck, der ausser Verhältniss zu seiner eigentli-
bchen Begabung steht. S. Maria di Castello, 3. Alt. rechts, drei Hei-
clige in einer Landschaft; — S. Teodoro, im Chor links, dito; — in
dS. Pancrazio, zu beiden Seiten des Eingangs ein segnender Salvator
zwischen zwei Heiligen, „in Sacchi’s Manier“ (d. h. wohl von ihm), und:
S. Petrus und Paulus, von Teramo Piaggia, der hier völlig als Sac-
chi’s Nachahmer erscheint (anderswo dagegen sich der römischen
Schule nähert). — Von einem andern Genuesen um 1500, Lodovico
eBrea, mehr unter niederländischem Einfluss: die Bilder der 3. Cap.
links und des 5. Alt. rechts in S. Maria di Castello. — Bei dem ältern
Semino (Antonio) mischen sich Eindrücke von Sacchi, Brea und
fPerin del Vaga. Sein Hauptbild, die Marter des heil. Andreas in
S. Ambrogio (4. Alt. links) ist befangen, ungeschickt, sehr fleissig und
nicht ohne einzelne schöne Züge.
In Modena ist mir von Coreggio’s Lehrer Francesco Bianchi-
Ferrari zu meinem Bedauern nichts vorgekommen. — Von den alten
gLocalmalern in der herzogl. Galerie ist Bartol. Bonasia (todter
Christus, im Sarg stehend, mit Maria und Johannes, 1485) durch seine
kräftige Färbung, Marco Meloni (thronende Madonna mit zwei
Heiligen, 1504) durch den Ausdruck in der Art des Francia interes-
sant. Auch Bernardino Losco von Carpi (thronende Mad. mit
zwei Heil., 1515) ist einer der bessern alten Lombarden; der sogen.
„Gherardo di Harlem“ dagegen (grosse, figurenreiche Kreuzigung)
einer der harten alten (westlombardischen?) Meister.
In Parma hatte Coreggio leichtes Spiel gegen Vorgänger wie
Jacobus de Lusciniis, Cristofano Caselli, gen. Temperello,
hLodovico da Parma und Alessandro Araldi. Bilder dersel-
ben in der dortigen Galerie; von letzterm auch kleine Scenen al
[821]Genua. Modena. Parma. Venedig.
fresco in dem bei Anlass der Decoration genannten Raum zu S. Paoloa
(S. 281, a) und eine Madonna mit zwei Heiligen in S. Giovanni, ersteb
Cap. rechts. — Von der Künstlerfamilie der Mazzola, welche sich
später ganz zu Coreggio schlug, lebten damals Pierilario, von wel-
chem in der Galerie eine thronende Mad. mit drei Heiligen, und derc
namhaftere Filippo M., der unter allen von Padua aus angeregten
Künstlern einer der härtesten und anmuthlosesten, dabei aber kein
geringer Zeichner ist. Grablegung u. A. im Museum von Neapel; dasd
Altarbild im Baptisterium zu Parma; eine Bekehrung Pauli in dere
Galerie. — Vielleicht das angenehmste Bild dieser Schule ist namen-
los: eine thronende Madonna mit drei singenden Engeln und zweif
Heiligen, in der Steccata (vordere Eckcapelle links).
In Venedig unterscheiden wir während der zweiten Hälfte des
XV. Jahrh. zwei Generationen von Malern.
Die erste ist von Padua aus unmittelbar abhängig; die Stylprin-
cipien der Muranesen bilden sich danach völlig um. Wir haben be-
reits (S. 786, g) neben Johannes und Antonius von Murano den Barto-
lommeo Vivarini genannt. Dieser ist in seinen besondern Werken
ein wahrer Paduaner; in der prächtigen und genauen Ausführung
nähert er sich oft Mantegna, bleibt aber in der Farbe kälter. Die
Charaktere seiner Altarbilder sind immer ernst, bisweilen höchst wür-
dig, bisweilen fast grimmig, selten anmuthig; die decorative Ausstat-
tung ist, wie bei diesen paduanisch gebildeten Venezianern überhaupt,
ganz besonders reich. (Thronbauten, Fruchtschnüre, Laubhecken, Luxus
von Putten etc.) Thronende Madonna mit vier stehenden und vierg
als Halbfiguren schwebenden Heiligen etc. (1465) im Museum von
Neapel; — in Venedig: Altarwerke in der Academie (1464); — inh
S. Giovanni e Paolo, 2. Alt. rechts (mit directen Reminiscenzen nachi
Mantegna, vielleicht grössern Theils von dem bald zu erwähnenden
Luigi Vivarini); ebenda im rechten Querschiff ein thronender S. Augu-
stin (1473); — in S. Giovanni in Bragora eine thronende Madonnak
mit Seitentafeln (neben der ersten Cap. links, dat. 1478); — in den
Frari ein späteres, milderes Altarwerk (Querschiff rechts, datirt 1482)l
und ein vielleicht ganz später thronender S. Marcus mit Engeln und
[822]Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig.
aHeiligen (Querschiff links); — ein geringeres Werk in S. M. For-
mosa (2. Alt., rechts).
Die Härte und Strenge Bartolommeo’s mildert sich, nicht ohne den
Einfluss Bellini’s, zu einer bisweilen ganz edeln Anmuth und Fülle
bei seinem jüngern Bruder oder Verwandten Luigi Vivarini. Meh-
breres in der Academie; — eine Auferstehung in S. Giovanni in Bra-
cgora (Eingang des Chores links, dat. 1498); — zwei einzelne Heilige
din S. Giov. Crisostomo (beim 2. Alt., links). — Das herrliche grosse
eAltarblatt in der Frari (3. Cap. links vom Chor), der zwischen andern
Heiligen thronende S. Ambrosius, wurde erst von Basaiti (s. unten)
vollendet und gehört schon wesentlich der folgenden Generation an. —
fDagegen ist eine Madonna mit zwei heil. Barfüssern im Museum von
Neapel ein frühes Bild (1485).
Carlo Crivelli’s Werke sind fast nur in der Brera zu Mai-
land zu suchen. Hart und streng, wie Bartolommeo, prunksüchtig
über die Massen, doch nicht ohne Geschmack, in einzelnen Charak-
teren noch dem Johannes Alamannus verwandt, dringt er wenigstens
in einer thronenden Madonna (1482) zu grosser Anmuth hindurch. —
hVon ihm vielleicht der heil. Papst Marcus in S. Marco zu Rom (Cap.
rechts vom Chor).
Von Fra Antonio da Negroponte ein schönes Altarbild in
iS. Francesco della vigna zu Venedig, rechtes Querschiff; — ein frag-
liches Bild in der Sacristei ebenda.
Die zweite Generation beginnt mit Gentile Bellini (1421 bis
1501) und Giovanni Bellini (1426—1516), den Söhnen des Gia-
como B., welcher bei Squarcione und Gentile da Fabriano gelernt
hatte. — Die Jugend und das mittlere Alter der beiden Brüder scheint
in abhängigen Stellungen dahingegangen zu sein; von Gentile ist nur
Weniges vorhanden, die zahlreichen authentischen Werke Giovanni’s
aber beginnen erst mit seinem 60sten Lebensjahre. Von seinen zahl-
reichen Schülern nennen wir nur die folgenden: Pierfrancesco Bissolo,
Piermaria Pennacchi, Martino da Udine, Girol. di Santa Croce
(meist in Padua thätig), Vincenzo Catena, Andrea Previtali,
Giambattista Cima da Conegliano u. A. Neben Giov. Bellini’s
[823]Die Vivarini. Die Bellini. Historienmalerei.
Schule, doch auf verschiedene Weise von ihr abhängig: Marco Ba-
saiti, Vittore Carpaccio, Giov. Mansueti, Lazzaro Sebastiani,
Boccacino von Cremona, Marco Marziale u. a.
Die Grösse dieser Schule ist sammt ihrer Einseitigkeit in allen Ein-
zelnen so gleichartig (wenn auch mit grossen Verschiedenheiten) aus-
geprägt, dass auch die Besprechung eine gemeinsame sein darf. Noch
einmal in diesem Jahrhundert der sonst entfesselten Subjectivität ord-
net sich hier der Einzelne den allgültigen Typen unter. Offenbar sind
es die Besteller, welche die Schule im Grossen bestimmen.
Vor Allem gab sich die Schule mit der erzählenden Malerei fast
gar nicht ab und wo sie es that, steht sie mit aller Farbengluth und
Einzelwahrheit doch im Gedanken neben den Florentinern unendlich
zurück. Selbst in der grossen „Predigt des heil. Marcus in Alexan-a
drien“ des Gentile Bellini (Mailand, Brera) handelt es sich um
gleichgültig zusammengestellte Figuren von einer gewissen puppen-
haften Nettigkeit; ebenso in seinem „Mirakel des heil. Kreuzes“ undb
in der „Procession“ mit dieser Reliquie (Acad. von Venedig). An der
Fortsetzung dieser Reliquiengeschichte hat dann auch Carpaccio (nebst
seinen Schülern Mansueti und Sebastiani) gearbeitet, welcher über-
haupt hier der fast alleinige Erzähler ist; in derselben Sammlung sindc
von ihm auch acht grosse, figurenreiche Historien der heil. Ursula;
in der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni zwei Reihen kleinerer Ge-d
schichten der HH. Georg und Hieronymus. Wenn naive Einzelzüge,
malerisch bequeme Vertheilung im (baulich und landschaftlich schönen)
Raum, lebendige und selbst jugendlich reizende Köpfe, endlich eine
oft erstaunliche Leuchtkraft der Farbe zusammen schon ein Historien-
bild ausmachten, so hätte C. sein Ziel erreicht. Das Interessanteste
an jenen Reliquienbildern bleibt die bunte Schilderung des mittelalter-
lichen Venedig. — In den Uffizien: Mansueti’s Christus unter dene
Schriftgelehrten. — Viele historische Bilder gingen freilich bei den
Bränden des Dogenpalastes unter 1). Fresken oder gar Freskencyclen
kommen nicht vor.
[824]Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig.
Die biblischen Ereignisse, welche diese Venezianer malen, sind
meist ausgesucht ruhige Scenen, deren Wesentliches sich schon im
Halbfigurenbild geben liess. Nicht umsonst hat z. B. das Mahl in Em-
maus hier so grosse Gunst genossen, wovon unten.
In dieser Schule bildet sich zuerst das venezianische Colorit
aus. Möglich, dass sie dabei dem Antonello da Messina, einem
Schüler der van Eyck, Einiges verdankte, der sich längere Zeit in
Venedig aufhielt. (In Italien kenne ich von ihm kein sicheres Bild
aals das Porträt eines schwarzlockigen Mannes im Pelzkleid, in den
bUffizien. Ein anderes, in der Galerie Manfrin, hängt für die Prüfung
zu hoch.) Jedenfalls hatten schon die Muranesen (S. 786) den Grund
gelegt. Ohne sich irgendwo in raffinirte Detailpracht zu verlieren,
findet nun die Schule die Geheimnisse der Harmonie und der Über-
gänge sowohl als der möglichst schönen Erscheinung der einzelnen
Farbe. In letzterer Beziehung erstrebte sie durchaus nicht eine illu-
sionsmässige Stoffbezeichnung; in den Gewändern giebt sie glühende
Transparenz, im Nackten aber jenes unbeschreiblich weiche und edle
Leben der Oberfläche, welches theils durch die sicherste, nicht in
schwarzen Schatten, sondern in lauter farbigen Tönen sprechende Mo-
dellirung, theils durch Geheimnisse der Lasirung hervorgebracht wurde
und zwar auf hundert verschiedene Weisen 1). Neben diesen Lei-
stungen erscheint alles Paduanische wie eine längst überwundene
Vorstufe. Der Grösste der Schule, Giov. Bellini, ist es auch im C o-
lorit und im Vortrag; andere behalten einige Schärfen (Carpaccio,
selbst Cima) oder neigen sich dem weichen Zerfliessen zu. (Bellini
selbst geht bisweilen auf duftige Leichtigkeit aus.)
[825]Colorit. Charaktere. Giov. Bellini.
An Fülle von Lebensmotiven erreicht diese Schule die Florenti-
ner natürlich lange nicht, allein ihre Gestalten sind doch in der Regel
leicht, selbst edel gestellt und bewegt. Der heil. Sebastian als ste-
hende Aufgabe hielt die Zeichnung des Nackten in einer bedeutenden
Höhe. Die Gewandung gehorcht zwar mehr den Gesetzen des Far-
benganzen als einem höhern Liniengefühl; immerhin bleibt sie freier
von kleinlichen Motiven und Überladung als z. B. bei Filippino Lippi.
Die Hauptsache sind aber dem Venezianer die Charaktere. Nicht
zu scharfen und dadurch effectreichen Contrasten, sondern als Töne
eines und desselben Accordes stellte er sie zusammen; nicht überir-
disches Sehnen, nicht jäher Schmerz, sondern der Ausdruck ruhigen
Glückes sollte sie beseelen; dieser, in energischen und wohlgebilde-
ten Gestalten ausgesprochen, ist es, welcher den Sinn des Beschauers
mit jenem innigen Wohlgefallen erfüllt, das keine andere Schule der
Welt auf dieselbe Weise erweckt. Der Typus dieses Menschenge-
schlechtes steht der Wirklichkeit noch so nahe, dass man es für mög-
lich hält, solche Charaktere anzutreffen und mit ihnen zu leben. Ra-
fael verspricht dergleichen nicht; abgesehen von der idealen Form
stehen uns seine Gestalten auch durch hohe Beziehungen und Actio-
nen ferner.
Giov. Bellini wird zwar von den meisten Genannten irgend ein-
mal zur günstigen Stunde auch in den Charakteren erreicht, bleibt aber
doch bei weitem der Grösste. Wahrscheinlich gehört ihm schon (für
Venedig) die neue Anordnung der Altarwerke an: statt der Theilung
in Tafeln rücken die einzelnen Heiligen zu einer Gruppe um die thro-
nende Madonna, zu einer „santa conversazione“ zusammen, die von
einer offenen oder mit einer Mosaiknische geschlossenen Halle (vgl.
S. 261, Anm. 2) schön architektonisch eingefasst wird; zudem baut
er auch seine Gruppe fast mit derselben strengen, schön aufgehobenen
Symmetrie wie Fra Bartolommeo. Drei grosse Altarbilder ersten Ranges
sind noch von ihm in Venedig vorhanden: in S. Giovanni e Paoloa
(erster Alt. rechts), in S. Zaccaria (zweiter Alt. links, vom Jahr 1505),b
und in der Academie. Das Beisammensein der heil. Gestalten, ohnec
Affect, ja ohne bestimmte Andacht, macht doch einen übermenschlichen
Eindruck durch den Zusammenklang der glückseligen Existenz so vie-
ler freier und schöner Charaktere. Die wunderbaren Engel an den
[826]Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig.
Stufen des Thrones mit ihrem Gesang, Lauten- und Geigenspiel sind
nur ein äusseres Symbol dieses wahrhaft musikalischen Gesammtin-
haltes. Da dieser Inhalt sich schon im Halbfigurenbild geltend machen
konnte, so entstanden hunderte auch von solchen, hauptsächlich für
die Privatandacht.
Aber nicht nur in der Anordnung der Charaktere zum Bilde,
sondern auch in der Auffassung der Einzelnen ist Giov. Bellini das
Vorbild aller andern, ihr Befreier geworden. Die Scala auf welcher
er sich bewegt, ist bei weitem die grösste. Er konnte burlesk sein
abei der Darstellung der classischen Götterwelt; das unschätzbare sog.
Bacchanal in der Sammlung Camuccini parodirt das Göttergelage zur
„Festa“ italienischer Bauern 1). (Wo er der Allegorik seiner Zeit in
die Hände fiel, ist er, beiläufig gesagt, so absurd als irgend Einer;
bfünf kleine höchst saubere Bildchen in der Acad. von Venedig, etwa
zu vergleichen mit Pinturicchio’s Allegorien im Pal. Torigiani zu Flo-
renz.) In den religiösen Bildern dagegen herrscht eine gleichmässige
cWürde und Milde. Das Bild in S. Giov. e Paolo zeigt in den weib-
lichen Heiligen ein herrliches Geschlecht reifer Jungfrauen, die noch
an Mantegna’s heil. Eufemia erinnern. Die Engel am Throne sind
hier wie überall eifrig an ihre Musik hingegeben und völlig naiv,
was sie z. B. bei Francia und Perugino nicht immer sind. Sein spätes
dBild, in S. Giovanni Crisostomo, 1. Alt. r. (1513), enthält von seinen
ebesten männlichen Charakteren. (Seine schönsten nackten Bildungen
in dem grossen Altarblatt der Academie.) In der Madonna zeigt sich
bei ihm ein Fortschritt aus einem strengen und wenig beseelten Typus
f(z. B. das eine Bild in der Brera zu Mailand, mehrere in Venedig)
zu einem grossartig schönen, doch noch immer ernsten und auch im
Costüm idealen. Dieser vielleicht zum erstenmal vollendet reif in der
gMad. von 1487 (in der Academie) und in dem herrlichen Bilde in der
hSacristei der Frari (1488 2), dann in mehrern Werken der Academie,
ider Gal. Manfrin, der Sacristei des Redentore (zwei Bilder, davon
[827]Giov. Bellini’s Altarbilder. Sein Christus.
eines ein Juwel!), der Galerie von Modena, der Pinac. von Vicenza,a
der Brera von Mailand (bez. 1510) u. a. a. O. Wo Heilige anwesendb
sind, wird man im Ganzen die weiblichen vorzüglicher finden.
Von der höchsten Bedeutung ist aber bei B. durchgängig die
Gestalt Christi, welche durch ihn auch bei der folgenden venez.
Generation eine so hohe Auffassung beibehalten hat. Schon sein
Christuskind ist nicht bloss wohlgebildet, sondern so erhaben und
bedeutungsvoll in der Bewegung und Stellung als diess möglich war
ohne den Ausdruck der Kindlichkeit aufzuheben. In dem Bild in S.
Giov. e Paolo gewinnt die gar nicht ideale Madonna eine überirdischec
Weihe durch ihr Sitzen und durch das ruhige Stehen des segnenden
Kindes. Auch in dem Altarblatt der Academie ist das Kind ernstd
und grandios und contrastirt sehr bedeutsam mit den Musikengeln 1).
— Dann wagte B. den erwachsenen segnenden Christus als einzelnee
Figur vor einem landschaftlichen oder Teppichgrund hinzustellen, mit
der würdigen Männlichkeit, demjenigen Typus des Hauptes, welchen
man in einzelnen Bildnissen Giorgione’s und Tizians nachklingend
findet. (Galerie von Parma.) — Und nun folgt „Christus in Em-
maus“ (S. Salvatore zu Venedig, Cap. links vom Chor), eines derf
ersten Bilder von Italien 2); vielleicht der erhabenste Christuskopf der
modernen Kunst, nur Lionardo ausgenommen (derselbe Gegenstand,g
Gal. Manfrin, wahrscheinlich von einem Schüler). — Endlich scheint
der Meister eine höchste Steigerung, eine Verklärung auf Tabor, im
Sinne getragen zu haben. Das Bild dieses Inhaltes im Museum vonh
Neapel, mit dem ehrlichsten Streben nach tiefer Auffassung des Ge-
genstandes gemalt, war ein vielleicht früher Versuch dieser Art (eine
Nachahmung in S. M. mater Domini zu Venedig, 1. Alt. links). Isti
nun vielleicht die Skizze eines etwas aufwärtsblickenden Christus-
kopfes, in der Academie, der Keim einer nicht zu Stande gekommenenk
[828]Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig.
aTransfiguration? — (Eine schöne Taufe Christi, in S. Corona zu Vi-
cenza, 5. Alt. 1.)
Die obengenannten Schüler und Zeitgenossen sind nun in der
Regel um so viel trefflicher, je mehr sie sich dem Giov. Bellini nähern.
Im Ganzen hat hier Cima den Vorzug. Seine Taufe Christi in S.
bGiovanni in Bragora (Chor hinten) ist in dem Adel des Christus-
kopfes, in der Schönheit der Engel und in der weihevollen Geberde
des Täufers unvergleichlich; — auch Constantin und Helena (ebenda,
am Eingang des Chores, rechts) sind von schönem Ausdruck. In der
cAbbazia (Cap. hinter d. Sacristei) Tobias mit dem Engel; im Carmine
d(2. Alt. r.) die wundervolle Anbetung der Hirten und Heiligen. Seine
Madonna ist reiz- und lebloser als die des Lehrers; dafür sind die
sie umstehenden Heiligen, zumal die Greise, von geistvoller Schönheit.
eTreffliche Bilder dieser Art: Pinac. zu Vicenza; Brera (und Ambro-
fsiana?) zu Mailand; Galerie zu Parma etc. — Die Mad. mit Heiligen
gin Lebensgrösse dagegen, in der Academie von Venedig, zeigt neben
dem Meisterwerke Bellini’s eine erstaunliche Befangenheit der An-
ordnung, theilweise auch der Einzelbildung. Ebenda S. Thomas, das
Wundmal Christi berührend.
Ein sonst wenig bekannter Giovanni Buonconsigli, zufolge
heinem frühern Bild in der Pinac. zu Vicenza (Kreuzabnahme in schö-
ner Landschaft), ein tüchtiger Modellirer im paduanischen Sinne,
schloss sich später ganz an Bellini’s Weise an, blieb aber bei uned-
ilern Charakteren stehen. (Venedig, S. Spirito, 3. Alt. r., Christus mit
k2 Heiligen; — S. Giacomo dall’ orio, rechts von der Hauptthür, die
HH. Laurentius, Sebastian und Rochus; beides prächtige Farbenbilder,
die Hallen mit Goldmosaik.)
Carpaccio ist in seinen kleinern Figuren allerliebst lebendig,
doch erreichen seine Köpfe an Schönheit diejenigen Cima’s nicht.
Ausser den genannten Bildern, welche im Colorit die glühendern sind,
lnenne ich: das Hauptaltarbild in S. Vitale (1514), eine lebhafte Con-
versation von Heiligen, welche theils unten, theils über einer Balu-
mstrade erscheinen; — das Bild mit 3 Heiligen in S. Giov. in Bragora
n(nach der 1. Cap. r.); — die Krönung Mariä in S. Giov. e. Paolo
[829]Nachfolger Bellini’s. Ihre Charaktere.
(links, beim Eingang in die Sacristei); — den Tod Mariä (1508) ima
Ateneo zu Ferrara; in diesen beiden Werken kommt er dem Cima
am nächsten. — Seine grosse Darstellung im Tempel (1510) und dieb
Apotheose der heil. Ursula, beide in der Acad. von Venedig, zeigen
freilich dass auch bei ihm die Mittel zur völligen Belebung solcher
Formen nicht ausreichten. In der „Darstellung“ ist das Kind in Bel-
lini’s Art aufgefasst.
Von Lazzaro Sebastiani ist in S. Donato zu Murano (überc
d. Seitenthür r.) eine ganz schön belebte Scene der Madonna mit zwei
Heiligen, welche anbetende Engel und einen Donator herbeibringen.
Von Andrea Previtali im Pal. Manfrin eine Madonna mitd
beiden Kindern im Freien (1510).
Catena’s Hauptwerk, in S. M. mater Domini (2. Alt. r.), solltee
eine Marter der heil. Christina vorstellen, welche mit einem Mühlstein
am Hals ertränkt wurde. Man sehe wie der brave alte Venezianer
dieses umgeht und denke dabei einen Augenblick an die affectvollen
Martyrien des XVII. Jahrh. — Die Köpfe höchst lieblich.
Basaiti ist in Zeichnung, Farbe und Charakteren meist flüch-
tiger als Cima und Carpaccio; sein männlicher Typus wiederholt sich;
das Ganze ist aber meist lebendiger. Seine Berufung der Apostel Ja-f
cobus und Philippus (Academie) ist immerhin ein geistreiches und
entschlossenes Bild (1510); — der thronende Petrus mit 4 Heiligeng
in S. Pietro di castello (3. Alt. r.) war einst trefflich, der S. Georg
ebenda (Ende d. l. Seitenschiffes) dagegen von jeher schwach. — Aber
bisweilen erhebt sich der Meister zu hohen Leistungen. In der Him-h
melfahrt Mariä (SS. Pietro e Paolo zu Murano, links, nahe der Sa-
cristeithür, verdorben, doch nicht unrettbar) schilderte er die schönstei
Ekstase; — sein S. Sebastian (Salute, Vorraum der Sacristei) ist nur
um eines Schrittes Weite von Tizian entfernt; die von Luigi Vivarinik
begonnene Glorie des heil. Ambrosius aber (S. 822 e, Frari, 3. Cap. 1.
vom Chor) hat offenbar Er erst zu dem Wunderwerke gemacht, das
sich fast allein mit jenen 3 Hauptbildern des Giov. Bellini messen
kann. Das lauterste Gold venezianischer Charakteristik.
Von Pennacchi sind die dem Untergang nahen Halbfiguren in
den Cassetten des Tonnengewölbes von S. M. de’ miracoli und diel
[830]Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig. Siena.
vielleicht schon untergegangenen Deckenmalereien in den Angeli zu
Murano, 34 Felder im Ganzen. (Die Kirche war 1854 unzugänglich.)
Marco Marziale, ein wenig bekannter Schüler Bellini’s, hat
mit einer ganz liebenswürdigen Gewissenhaftigkeit und mit der genre-
ahaften Art etwa des Carpaccio auch ein Emmaus gemalt (1506, Aca-
demie). Gehört vielleicht ihm die vom Jahr 1500 datirte vortreffliche
bFusswaschung, welche im Pal. Manfrin Perugino heisst? oder eher
dem Lombarden Gaudenzio Vinci?
Endlich Boccaccino da Cremona, in einem spätern Bilde
c(thronende Mad. mit 4 Heiligen, in S. Giulian, 1. Alt. 1.) am meisten
dem Cima verwandt, verräth früher, in einem höchst vollendeten und
dkostbaren Bilde der Academie, eher den Schüler des L. Vivarini. Es
ist eine im Freien sitzende Madonna mit 4 Heiligen; eines der frühsten
und schönsten Beispiele desjenigen Typus der Santa conversazione
mit knieenden und sitzenden ganzen Figuren in landschaftlicher Um-
gebung, welcher später von Palma und Tizian mit Vorliebe aufge-
enommen wurde. — Eine Madonna mit Heiligen, in der Brera, ist
wiederum spät (1532).
Ausser diesen grossen Werkstätten der Kunst in Florenz und
Oberitalien kömmt im XV. Jahrh. keine Schule mehr vor, in welcher
die Freude an der charakteristisch belebten Gestalt und an dem
Reichthum menschlicher Bildungen sich ganz frei und grossartig ge-
äussert hätte. Die von Florenz und Padua ausgegangenen Inspira-
tionen zogen zwar alle Schulen mit sich, aber es fehlte an deren
Grundlage: an den tiefen und angestrengten Formstudien.
So glaubte z. B. die Schule von Siena, von Domenico di
Bartolo an, die neue Darstellungsweise ohne diese Prämissen mit-
machen zu können, ahmte aber nur die florentinischen Äusserlichkeiten
auf solch bodenlosem Grunde mit der unvermeidlichen Übertreibung
fnach. Domenico’s Fresken in einem Saal des Hospitals della Scala zu
Siena (Stiftungsgeschichten und Werke der Barmherzigkeit), sind zwar
frei von ganz rohem Ungeschick, allein nur durch Costüms und Bau-
[831]Siena. Schule von Umbrien.
lichkeiten interessant. Von den Übrigen sind die welche noch halb
an der alten Weise festhielten, oben (S. 779) genannt worden. Unter
den entschiednern Realisten ist Vecchietta („Lorenzo di Pietro“)
als Maler ganz ungeniessbar (S. 241, 614), Francesco di Giorgio
(Academie zu Siena: Anbetung des Kindes, und Krönung Mariä) viel-a
leicht der am meisten durchgebildete, Matteo di Giovanni (M. da
Siena) aber unstreitig der widerlichste. Die drei Redactionen seines
„Kindermordes“ (S. Agostino, Nebencap. rechts, 1482, — Concezioneb
oder Servi, rechts, 1491, — und: Museum von Neapel, mit verfälsch-c
tem Datum) sind einer der lächerlichsten Excesse des XV. Jahrh.;
Matteo erscheint als der italienische Michel Wolgemuth. (Anderes in
der Acad. und in S. Domenico, 2. Cap. 1. vom Chor.) Ein Christusd
in einer Engelglorie, unten viele Heilige in reicher Landschaft (1491,e
Acad.), von Benvenuto di Giovanni, ist wenigstens ohne die
Affectation von dessen Mitschüler Matteo gemalt.
Von Fungai, Pacchiarotto etc. wird beim XVI. Jahrhundert die
Rede sein.
Weiter nach Süden thront das steile Perugia über dem Tiber-
thal, Assisi und Spello schweben an Bergabhängen, Foligno liegt in
der Ebene, Spoleto schaut nieder auf das Thal des Clitumnus. In
diesen Gegenden stand die umbrische Schule auf; ihre Thätigkeit
reichte östlich auch in die Bergstädte des Hochapennins und jenseits
desselben in die Mark Ancona hinein.
In dieser Heimath des heil. Franciscus scheint sich ein stärkerer
Zug der Andacht als anderswo in dem profanen Italien der Renais-
sance erhalten zu haben. Wenn derselbe nun in der Malerei jenen
unerhört intensiven Ausdruck fand, so kommt dabei auch sehr in
Betracht die von den eigentlichen Herden der Renaissance entfernte
Lage, die Vertheilung der Kräfte auf verschiedene Orte (sodass vor
Pietro Alles den Charakter von Localmalerei hat), die mehr ländliche,
einfache Sinnesweise der Besteller, mochten es nun Bewohner jener
steilen Wein- und Ölstädtchen oder abgelegener Klöster sein, endlich
der Einfluss Siena’s, dessen letzte Idealisten, wie Taddeo di Bartolo
(S. 779) selbst in Perugia arbeiteten. Wo man den neuen florenti-
nischen Styl haben konnte, nahm man Anfangs selbst mit befangenen
[832]Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien.
und harten Äusserungen desselben vorlieb, wie die Legendenfresken
ades Bened. Bonfigli in einem obern Raum des Pal. del Commune
zu Perugia (seit 1454) beweisen, Compositionen, deren eigenthüm-
lichster Werth in den sehr gut dargestellten Baulichkeiten besteht.
b(Vom Dems. in S. Pietro, hinten links, eine Pietà; in S. Domenico,
S. Bernardino, u. a. a. O. in Perugia mehreres.) — Aber eine deutlichere
Vorahnung des spätern Schulgenius liegt doch eher in den harmlosen Ma-
lereien, welche an einzelnen Häusern der genannten Städte, besonders zu
Assisi, auch in und an kleinern Kirchen u. s. w. insgemein die Mutter
Gottes und die Schutzheiligen verherrlichen. So ist z. B. das Kirch-
clein S. Antonio in Assisi (an der Strasse, die von S. Francesco nach
der Piazza führt, rechts) aussen und innen von verschiedenen Händen
bemalt; Einiges ist sienesisch holdselig, Anderes sind Versuche in
florentinischem Sinn; zwei Heilige im Bilde der Hinterwand haben
auch schon etwas Verzücktes; sonst herrscht eher Das vor, was wir
Gemüthlichkeit zu nennen pflegen.
Auch Fiorenzo di Lorenzo geht über diese Linie noch nicht
dhinaus. (In der Sacristei von S. Francesco de’ conventuali zu Peru-
gia: Petrus, Paulus und eine Madonnenlunette.)
Erst Niccolò Alunno von Foligno schlägt denjenigen Ton
an, welcher dann bei Perugino so mächtig weiterklingt: es ist der
Seelenausdruck bis zur schwärmerischen, ekstatischen Hingebung, in
Köpfen von zartester, reinster Jugendschönheit. Niccolò’s Bildung
war eine ziemlich geringe, seine Malerei bisweilen roh, seine Anord-
nung unbehülflich, — allein noch heute dringt bisweilen ein Maler
mit eben so beschränkten äussern Mitteln; durch den blossen Aus-
druck zu einer hohen; wenn auch nur provincialen Geltung durch.
eVon seinen zugänglichern Werken (z. B. im Pal. Colonna zu Rom,
fin der Brera zu Mailand, wo sich eine bedeutende Madonna mit En-
geln vom Jahr 1465 befindet) ist wohl das wichtigste, eine Ver-
kündigung mit Gott-Vater und einer frommen Gemeinde, in S. Maria
nuova zu Perugia (Querschiff links); wunderbare Bildung der Köpfe
des Gabriel und der Madonna; die Andacht der Engel völlig naiv.
g— In Foligno: S. Maria infra portas: verdorbene Fresken; — S. Nic-
hcolò: Altarbild von mehrern Tafeln, eines der bestausgeführten; auch
eine Krönung Mariä mit 2 knieenden Heiligen. — Im Dom von As-
[833]Nic. Alunno. Pietro Perugino.
sisi: geringe Fragmente eines Altarwerkes, in die Wand eingelassen.
— Die übrigen Gemälde in Diruta, S. Severino, Gualdo, Nocera, unda
la Bastia unweit Assisi. — Im Ganzen wendet Alunno jene hohe
Steigerung des Ausdruckes noch sehr mässig an und gleicht sogar im
einzelnen Fall eher den Paduanern.
Pietro Perugino (de castello plebis, wie er sich selbst von sei-
ner Vaterstadt Città della pieve nennt, eigentlich Vanucci, 1446—1524)
ist in seiner frühern Zeit wesentlich ein Florentiner. Wie weit Alunno
oder Piero della Francesca oder in Florenz Verocchio und L. di Credi
einzeln auf ihn eingewirkt, kommt wenig in Betracht; die Hauptsache
war der Eindruck der dortigen Kunstwelt als Ganzes, der ihn völlig
bestimmte. Dieser ersten Periode gehören seine Fresken in der sixti-b
nischen Capelle, Christi Taufe und die Verleihung des Amtes der
Schlüssel (S. 810, d) an, vielleicht auch die Anbetung der Könige in
S. Maria nuova zu Perugia (links vom Bilde Alunno’s), Werke welchec
bei grosser Tüchtigkeit und Schönheit doch kaum einen Zug von Dem
haben, was seine spätern Bilder beseelt. — Aus der schönsten Mitte
seines Lebens stammt dann die Anbetung des Christuskindes in derd
Gemäldesammlung der Villa Albani (1491) und das Frescobild im Ca-
pitelsaal von S. M. Maddalena de’ Pazzi zu Florenz (nur mit erz-e
bischöflicher Erlaubniss zugänglich). — Schon vor 1495 liess sich dann
Pietro fest in Perugia nieder und eröffnete seine Schule. Von da an
beginnt erst jene grosse Reihe von Gemälden, in welchen er den
Ausdruck der Andacht, der Hingebung, des heiligen Schmerzes in die
tiefsten Tiefen zu verfolgen scheint.
Wie vieles in seinen Werken soll man ihm nun als baare Münze
abnehmen? — Er kam in Perugia offenbar nur einer bereits herr-
schenden Gefühlsrichtung entgegen, die er mit einem ganz andern,
durch die gedankenloseste Wiederholung nicht zu tödtenden Schön-
heitssinn und mit weit grössern Kunstmitteln zur Darstellung brachte
als seine Vorgänger. Als die Leute sich an seinem Ausdruck gar
nicht ersättigen konnten, als er inne wurde, was man ausschliesslich
an ihm bewunderte, gab er das was er sonst wusste und konnte
Preis, vor allem das unablässige florentinische Lebensstudium. Be-
B. Cicerone. 53
[834]Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien.
wegte, contrastreiche Gegenstände überliess er dem Pinturicchio, statt
sich durch dieselben frisch zu halten. Zu den verzückten Köpfen,
welche die Leute von ihm begehrten, gehörten Leiber und Stellungen
die in der That nur wie Zugaben aussehen, und die der Beschauer
sehr bald auswendig lernt, weil schon der Maler sie auswendig wusste.
(Derselbe Pietro zeichnete, sobald er wollte, z. B. seine nackten
Figuren trefflich.) Er entzückte seine Leute ferner durch grelle Bunt-
farbigkeit und spielend reich ornamentirte Gewandung. (Die Leucht-
kraft des Colorites und die so fein gestimmten Einzelpartien in manchen
Bildern zeigen wiederum was er konnte, sobald er wollte.) Er stellt
seine Heiligen unten ohne Weiteres nebeneinander — während alle
andern Schulen sie gruppiren — und ordnet seine Glorien, Krönungen
und Himmelfahrten oben nach einem Schema. (Wogegen das Detail,
sobald er wollte, das feinste Liniengefühl verräth.) Im Wurf der
Gewandung erhebt er sich selten mehr über das Todt-Conventionelle.
(In das Sistina sieht man was er früher konnte und wollte.)
Unter allen Künstlern, welche ihr Pfund vergruben und zu Hand-
werkern herabgesunken sind, ist das Beispiel Pietro’s vielleicht das
grösste und kläglichste. Freilich, was man von ihm verlangte, das
lieferte er sauber, solid, vollständig, auch in der späten Zeit, da die
Kräfte nachliessen, und da keine neue Auffassung mehr von ihm zu
fordern war.
Was nun die Köpfe betrifft, so ist vor Allem anzuerkennen, dass
Perugino aus der gährenden florentinischen Kunstwelt gerade die schön-
sten Anregungen in sich aufnahm. Es muss einen göttlichen Augen-
blick in seinem Leben gegeben haben, da er zum erstenmal die hol-
deste Form mit dem Ausdruck der süssesten Schwärmerei, der Sehn-
sucht, der tiefsten Andacht erfüllte. Der Augenblick kehrte biswei-
len wieder; noch in spätern Bildern werden einzelne Köpfe auf ein-
mal ergreifend wahr, mitten unter andern, welche einen ähnlichen
Ausdruck nur mit den gewohnten stereotypen Mitteln wiedergeben.
Um hierüber ins Klare zu kommen, muss man einige seiner Köpfe
genau nach Typus und Ausdruck analysiren und sich fragen, wie diess
eigenthümliche Oval, diese schwermüthig blickenden Taubenaugen,
diese kleinen schon beinah vom Weinen zuckenden Lippen hervorge-
bracht sind, und ob sie an der betreffenden Stelle irgend eine Noth-
[835]Pietro Perugino.
wendigkeit oder Berechtigung haben? — Bisweilen überzeugt er; in
den meisten Fällen aber macht er uns eine ganz zweck- und ziellose
Rührung vor1). — Warum ist diess bei Fiesole anders? weil eine
starke persönliche Überzeugung dazwischentritt, die ihn nöthigt, den
höchsten Ausdruck immer so stark zu wiederholen, als er es irgend
vermag. — Warum ist bei den Robbia der Ausdruck immer frisch
und liebenswürdig? weil sie den Affect bei Seite lassen und im Be-
reich einer schönen Stimmung bleiben. — Was nähert den Perugino
einem Carlo Dolci? dass Beide einen wesentlich subjectiven, momen-
tanen, also nur für einmal gültigen Ausdruck perpetuiren.
Wir nennen nur die wichtigern seiner spätern Bilder.
In der vatican. Galerie: Die Madonna mit den vier Heiligen, viel-a
leicht noch aus der schönen mittlern Zeit; die Auferstehung, grossen-
theils von Rafael ausgeführt.
Im Dom von Spello, links: eine (bezeichnete) Pietà; der Ausdruckb
zumal im Johannes rein und schön hingehaucht.
In Perugia: Die Fresken in den beiden Räumen des sog. Cam-c
bio, um 1500 von P. mit Hülfe des Ingegno gemalt, bei grosser Schön-
heit und Sorgfalt der Behandlung ein durchaus bezeichnendes Werk
für P.’s Ansicht von Geschmack der Peruginer; Nebeneinanderstellung
isolirter Gestalten auf derselben Linie, Gleichartigkeit des Charakters
53*
[836]Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien.
bei antiken Helden, Gesetzgebern und Propheten, Mangel der wahren
aThatkraft und Ersatz durch Sentimentalität. — In S. Agostino sind
die acht Täfelchen mit Brustbildern von Heiligen (in der Sacristei)
bnaiver als die übrigen Bilder. — In S. Pietro enthält die Sacristei
wieder eine Reihe Täfelchen mit Halbfiguren, zu welcher einst auch
die drei in der vatican. Galerie gehörten; in der Kirche mehrere Co-
pien Sassoferrato’s nach ähnlichen Halbfiguren. — Zahlreiche, meist
cschwache Bilder in vielen Kirchen, sowie in der Academie, wo auch
ddie ganze Schule vertreten ist. — In S. Severo hat P. nach Rafaels
Tode, im Jahr 1521, den Muth gehabt, unterhalb von dessen Fresco-
ebild Heilige auf die Mauer zu malen. — Das Frescobild einer Anbetung
der Hirten in einer innern Capelle von S. Francesco del monte soll
fein schönes Werk sein; ebenso dasjenige der Anbetung der Könige
in S. Maria de’ bianchi in dem nahen Città della pieve.
In Florenz enthält der Pal. Pitti die berühmte Grablegung (1495),
eine Sammlung von passiven Stimmungsköpfen, deren Wirkung bei
der Abwesenheit anderer Contraste sich aufhebt; der Kopf Christi
höchst unwürdig; das Ganze mehr durch die gleichmässige Vollendung
als durch wahre Tiefe ausgezeichnet; — ebenda: Madonna das Kind
anbetend, eins der wahrhaft empfundenen Bilder, leider sehr übermalt.
h— Uffizien: thronende Madonna mit 2 Heiligen, 1493, schon conventio-
inell; — zwei Bildnisse. — Academie: Grosse Himmelfahrt Mariä,
unten 4 Heilige, vom Jahr 1500, in engster Beziehung mit den Fres-
ken des Cambio, theilweise conventionell, in einzelnen Köpfen aber
von grösster Herrlichkeit; — ebenda: Gethsemane (früh?); die übri-
gen Bilder, auch die untere Gruppe in Filippino’s Kreuzabnahme spät
und zum Theil ganz fad.
In der Pinacothek von Bologna: Madonna schwebend über vier
Heiligen, Prachtbild vom Rang der eben genannten Himmelfahrt.
Von den Gehülfen Pietro’s wird Ingegno mit besonderm Nach-
druck genannt. Allein die zugänglichern Arbeiten, die man ihm bei-
llegt, sind streitig, so die treffliche Frescomadonna in der Capelle des
Conservatorenpalastes auf dem Capitol, mit dem mässigen Ausdruck
[837]Perugino. Ingegno. Pinturiechio.
in der Art Alunno’s. Bei diesem Anlass einige frühe anonyme Fres-
ken der umbrischen Schule zu Rom: in SS. Vito e Modesto (1483);a
— S. Cosimato in Trastevere etc.b
Sodann Pinturicchio (1454—1513). Er stand schon früh mit
Pietro in Verbindung (z. B. als Gehülfe bei den Arbeiten in der Si-
stina) und ist und bleibt in der Folge derjenige Maler der Schule,
welcher vorzugsweise grosse Frescohistorien in Verding empfängt.
Anfänglich von der florentinischen Darstellungsweise wenigstens an-
geweht, nimmt er dann auch die peruginische Seelenmalerei äusser-
lich in sich auf. Ein gründliches Studium hat er nie gemacht; er holt
seine Motive zusammen, wo er sie findet, wiederholt sie bis zum
zehnten Mal und braucht oft die Nachhülfe Anderer. Zugestandener-
massen ein Geschäftsmann und Entrepreneur, gewiss mit geringem
Gewinn, geniesst er uns gegenüber die günstige Stellung, dass man
wenig von ihm erwartet und dann durch Züge köstlicher Naivetät,
durch einzelne schöne Charakterköpfe und merkwürdige Trachten über-
rascht und durch die harmlose Art, wie er seine Geschichten als Staf-
fage einer prächtigen Örtlichkeit (Gebäude, bunte Landschaften in flan-
drischer Art) vorbringt, vergnügt wird. (Die reiche decorative Aus-
stattung, S. 278.) Auch er giebt was man damals, und zwar in der
Umgebung der Päpste, billigte und haben wollte.
Unter Innocenz VIII und Alexander VI malten er und Andere die
Lunetten und Gewölbe in fünf Sälen des Appartamento Borgia (Vatican)c
aus. Es sind Propheten, Sibyllen, Apostel, thronende Wissenschaften
mit Begleitern, Legenden verschiedener Heiligen, endlich Geschichten
des n. T.; das Meiste ohne irgend besondern Aufwand von Gedanken.
Auch die Fresken in S. M. del popolo (Cap. 1, 3 und 4 rechts, Ge-d
wölbe des Chores) bieten nur allgemeines Schulgut. Die Reste in
S. Pietro in Montorio und in S. Onofrio (untere Malereien der Chor-e
nische) scheinen von noch geringern peruginischen Händen zu sein;
eher gehören dem P. die vier Evangelisten am Gewölbe der Sacristeif
von S. Cecilia. — Mit viel grösserer Theilnahme sind in Ara Celig
(1. Cap. rechts) die Wunder und die Glorie des heil. Bernardin ge-
malt; hier strebt der Meister, wenn auch mit unzulänglichen Kräften,
nach florentinischer Belebung. — In der Chornische von S. Croce in
[838]Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien.
aGerusalemme sind die Geschichten des wahren Kreuzes an der
unrechten Stelle und in unrichtigem Ton erzählt, zudem schwer über-
malt; der segnende Salvator dagegen ein wahrhaft herrlicher Gedanke,
bder dem P. eigen sein könnte. — Im Jahr 1501 malte er eine ganze
Capelle (links) im Dom zu Spello aus: die Verkündigung, die Anbe-
tung der Hirten und Pilger, und Christus unter den Schriftgelehrten;
am Gewölbe Sibyllen. Hier, in einem Landstädtchen, liess er sich
ganz unbefangen gehen und gab, mitten unter vielem Conventionellen
und Handwerklichen, ein paar höchst liebenswürdige Züge, wie z. B.
das andächtige Herannahen der Hirten und Pilger, Joseph und Meria
im Tempel etc. Reiche, hohe Hintergründe; aufgesetzter Goldschmuck.
c— In dem Jahr 1502—1503 malte er mit Hülfe Mehrerer die Libreria
(d. h. den Aufbewahrungsort der Chorbücher) im Dom von Siena
aus. (Bestes Licht: Nachmittags.) Von der frühern Annahme: dass
Rafael ihm dazu alle Entwürfe, ja die Cartons geliefert oder gar selbst
Hand angelegt habe, ist man völlig zurückgekommen. (Von den sehr
schönen Zeichnungen zu zweien dieser Compositionen, der Landung
in Libyen und dem Empfang der Eleonora von Portugal, habe ich
dnur die erstere, in der Sammlung der Handzeichnungen der Uffizien,
egesehen; die andere findet sich in Casa Baldeschi zu Perugia. Auch
jene halte ich nicht für Rafaels Werk und glaube überhaupt nicht,
dass ein Entwurf, so sehr er an Trefflichkeit das ausgeführte Werk
überragen möge, desshalb nothwendig von einem andern Künstler sein
müsse.) Es ist in diesen Scenen aus dem Leben des Aeneas Sylvius
(Pius II) nichts so gut und nichts so schlecht, dass es nicht je nach
Stunde und Stimmung von Pinturicchio selbst erfunden und gemalt
sein könnte; die Ausführung an sich ist von grosser und gleichmässi-
ger Sorgfalt. — Hohe geschichtliche Auffassung, dramatische Stei-
gerung der Momente — grossentheils Ceremonienbilder — muss man
nicht erwarten, vielmehr sich damit begnügen, dass die lebensfähigen
Charaktere und Gestalten hier zahlreicher sind, als sonst bei P. —
Das Leben des Papstes ist dem glücklichen Maler unter den Händen
zur anmuthigen Fabel, zur Novelle geworden, alles in Trachten und
Zügen seiner Zeit, nicht der um 50 Jahre zurückliegenden. Kaum Pius
selbst hat Bildnissähnlichkeit; Friedrich III ist „der Kaiser“, wie er
[839]Pinturicchio. Spagna.
in jedem Mährchen vorkommen könnte. Diese Art von Unbefangen-
heit war ein wesentlicher Vortheil für jene Maler1).
Staffeleibilder von P. im Museum von Neapel (Himmelfahrt Mariä),a
Academie von Perugia (treffliches Altarwerk), Pal. Borghese in Romb
(chronikartige Geschichten Josephs) u. a. a. O. Etwa auch die Dar-c
stellung im Tempel, in S. Agostino zu Arezzo (links)? ein schönes undd
tüchtiges Bild.
Unter den eigentlichen Schülern des Pietro war nächst Rafael
Giovanni lo Spagna der ausgezeichnetste. Seine Madonna mit
Schutzheiligen, im Stadthause von Spoleto, ist einer der allerreinstene
und jugendlichsten Klänge aus der ganzen Schule. — Bilder in zwei
Kirchen des seitwärts von der Strasse nach Foligno gelegenen Städt-
chens Trevi (Mad. delle lagrime und S. Martino); — eine Madonnaf
mit Heiligen in der Unterkirche S. Francesco zu Assisi (Cap. der heil.g
Magdalena? vgl. S. 756, Anm.); — Fresken in der Kirche S. Jacopo
zwischen Spoleto und Foligno, zum Theil aus seiner späten, manie-h
rirten Zeit; — dagegen ein frühes Bild (wenn es von ihm ist): die
Krönung Mariä im Chor der Zoccolantenkirche von Narni (wenigei
Schritte von der nach Terni führenden Strasse); die erhöhte Stimmung
der Gestalten, zumal der noch florentinisch schönen Madonna ist noch
fern von aller Ekstase. — Im Pal. Colonna zu Rom wird ein tüchti-k
ger S. Hieronymus in der Wüste dem S. beigelegt.
Die übrigen Schüler Giannicola, Tiberio d’Assisi, Adone
Doni, die Alfani, Eusebio di S. Giorgio etc. möge man in den
Kirchen von Perugia und der Umgegend aufsuchen. (Vom letztge-
nannten zwei gute und eigenthümliche Fresken — Verkündigung undl
Wundmale des heil. Franz — im Kreuzgang des Capuzinerklöster-
chens S. Damiano bei Assisi.) Sie sind in einzelnen guten Arbeiten
[840]Malerei des XV. Jahrhunderts. Marchesaner.
origineller und aufrichtiger als der Meister in seinen spätern Durch-
schnittsleistungen, meist aber ziemlich schwach, und als die letzten
von ihnen das Stylprincip der römischen Schule mit ihrer mangelhaf-
ten Formenbildung vereinigen wollten, fielen sie in klägliche Manier.
Über die Künstler der Mark Ancona und des Herzogthums Ur-
bino ist der Verfasser ausser Stande, aus eigener Anschauung etwas
Zusammenhängendes zu berichten. Die einzige Sammlung, welche
eine (doch nur sehr unvollkommene) Übersicht gewährt, ist die der
aBrera zu Mailand. Der paduanische Schulstyl herrscht z. B. in einer
Madonna mit vielen andern Figuren, vom Frate Carnevale (st. nach
1474) noch mit ziemlicher Härte. Von Giovanni Santi, dem Vater
Rafaels, den man durchaus in Urbino und der Umgegend aufsuchen
muss, findet sich hier bloss eine unbedeutende Verkündigung; —
von Marco Palmezzano aus Forli, einem strengen Nachfolger Man-
tegna’s, eine Geburt Christi (1492), eine Madonna mit vier Heiligen
(1493) und eine Krönung der Maria (wozu noch, in den Uffizien, das
bspäte Bild des Gekreuzigten in einer bedeutenden Felslandschaft, 1537,
kömmt); — von Girol. Genga, der in der Folge Schüler Perugino’s
wurde, eine ganz bedeutende Versammlung von sitzenden Heiligen mit
einer Glorie darüber, auf dem dunkeln Grunde etc.
Wir kehren durch die genannten Gegenden noch einmal nach
Bologna zurück, um des Francesco Francia (geb. um 1450,
st. 1517) willen, dessen Empfindungsweise wesentlich mit derjenigen
des Perugino verwandt oder geradezu von derselben angeregt ist. In
der Malerei ursprünglich Schüler des Zoppo di Squarcione (S. 812, c),
hatte er bis tief in sein Mannesalter vorzugsweise der Goldschmiedekunst
obgelegen, auch wohl Baurisse entworfen (S. 208, g). Dann möchte
er zwischen 1480 und 90, am ehesten in Florenz, Perugino kennen
gelernt haben, in der besten Zeit des letztern, vielleicht als derselbe
jenes Fresco in S. M. M. de’ Pazzi (S. 833, e) malte. (Wohlbemerkt,
lauter Hypothesen.) Und so ist denn auch sein frühstes bekanntes
Bild, die thronende Madonna mit sechs Heiligen und einem lauten-
[841]Bologna. Franc. Francia und Schule.
spielenden Engel, vom Jahre 1490 (Pinacoteca von Bologna) das ama
meisten perugineske von allen seinen Werken; herrlich gemalt und
von derjenigen Innigkeit des zum Theil ekstatischen Ausdruckes,
welche dem Pietro selber nur in seiner besten mittlern Zeit eigen ist.
Auch eine Verkündigung mit zwei Heiligen (ebenda) gehört wohl in
diese Epoche. (Die thronende Madonna zwischen zwei Hallen mit vier
Heiligen, sowie die Anbetung des Kindes mit Heiligen und Donatoren,
ebenda, sind wohl spätere Bilder.) Auch später noch scheint er be-
ständig auf Perugino hingeblickt zu haben.
Durch seine Verbindung mit Lorenzo Costa aber (S. 814)
kam ein merkwürdig gemischter Styl zum Vorschein, welchen sich
auch seine Schüler, darunter Giulio, sein Vetter und Giacomo, sein
Sohn, sowie Amico Aspertini, aneigneten. Der gesunde, biswei-
len selbst derbe Realismus, welchen hauptsächlich Costa vertrat und
welcher auch in Francia selber von Hause aus vorhanden war, steht
in einem beständigen Conflict mit der umbrischen Sentimentalität.
Diese, auf kräftige, herbere Bildungen übergetragen, nimmt jenen wun-
derlichen Ausdruck des „Gekränktseins“ an. Hauptsächlich die weib-
lichen Heiligen und die Madonnen scheinen nunmehr dem Beschauer
einen Vorwurf darüber zu machen, dass er die Unbescheidenheit hat,
sie anzusehen. Doch geht Francia nicht bis in das verhimmelte
Schmachten hinauf. Überhaupt bleibt in ihm viel mehr Frisches, selbst
Ritterliches als in dem spätern Perugino; er zeichnete sorgsamer und
stellte nicht bloss seine Figuren freier und weniger conventionell, son-
dern wusste sie auch lebendig zu gruppiren, obwohl sein Liniengefühl
ziemlich unentwickelt blieb. Die Gewandung ist vollends bei ihm
fast immer lebendig und für jede Gestalt neu empfunden. Als alter
Ostlombarde hat er Freude nicht an dem bloss ornamentalen Reich-
thum, sondern an der reellen Erscheinung und Modellirung der Trach-
ten, Rüstungen, Ornate etc. Er konnte und wollte in diesen Din-
gen nicht mehr hinter Mantegna zurückgehen. Freilich ist die Er-
zählung, das Geschehen überhaupt, nicht seine starke Seite.
Sein allerschönstes Werk in Bologna ist wohl das Altarblatt inb
der Cap. Bentivoglio zu S. Giacomo maggiore. Von den Engeln,
welche die Madonna umgeben, sind die ihr nächsten höchst liebens-
würdig, unter den Heiligen aber ist der S. Sebastian eine der voll-
[842]Malerei des XV. Jahrhunderts. Bologna.
kommensten Gestalten des XV. Jahrh. — Andere bedeutende Bilder:
aDie thronende Madonna mit Heiligen in S. Martino (erste Cap. links),
wobei die Landschaft ganz nach ferraresischer (und zwar nach Cos-
ta’s) Art angebracht und behandelt ist. — Das Altarbild in der grossen
bCap. links in SS. Vitale ed Agricola, köstliche musicirende und schwe-
bende Engel um ein altes Madonnenbild; (die Fresken rechts von
Giacomo Francia, links von Bagnacavallo, aus beträchtlich späterer
Zeit, doch besonders die Visitation des Letztern noch fast ganz schlicht
und gut; in der Maria eine grosse und rührende Bewegung). — In
cder Annunziata hinten im Chor eine Verkündigung mit vier Heiligen,
auch zwei geringere Bilder zweite Cap. rechts und dritte Cap. rechts.
— U. s. w.
Die Fresken in S. Cecilia1), ein Werk der ganzen Schule, darf
man nicht mit allzufrischen florentinischen Eindrücken vergleichen; was
Erzählendes daran ist, giebt sich als Anleihe von dort zu erkennen,
und zwar als eine ziemlich befangene. Allein soweit hier Francia’s
eigener Entwurf zu reichen scheint, sind es edle, lebensvolle Gestalten;
in seinen eigenen beiden Bildern gilt diess auch von den Köpfen
und von der ganzen Behandlung. Aber warum wendet sich Cæ-
cilia so vornehm verschämt ab, während Valerian ihr den Ring an-
steckt? Die Hand streckt sie ja doch aus! — (Costa’s landschaftliche
Gründe, vgl. Seite 814, c.)
Von Francesco’s Werken ausserhalb von Bologna könnte der be-
ezeichnete S. Stephanus (?) im Pal. Borghese zu Rom (wo auch zwei
Madonnen) ein ganz frühes Bild sein; — die thronende Madonna mit
fvier Heiligen in der Galerie von Parma etwa aus der Zeit, da er dem
Perugino am nächsten stand, die Kreuzabnahme ebenda kaum später;
gin der Galerie von Modena eine treffliche grosse Verkündigung, eben-
falls früh. — Von dem berühmten Bilde zu München (Maria im Rosen-
[843]Die Francia. Aspertini.
hag) eine alte Schulcopie in der Pinac. zu Bologna. — Eine späterea
Annunziata in der Brera.b
Giacomo Francia’s Hauptwerk, freilich in der Auffassung
nicht von seinem Vater, sondern von den Venetianern inspirirt und daher
frei von Sentimentalität, ist die prächtige im Freien sitzende Madonnac
mit S. Franz, S. Bernardin, S. Sebastian und S. Mauritius, datirt 1526,
in der Pinac. zu Bologna. Was sonst dort und anderswo von ihm
vorhanden ist, zeigt eine bald reinere, bald gemischtere Reproduction
der Gedanken seines Vaters. Eins der frühsten Bilder: die Anbetungd
des Kindes, in S. Cristina, erster Altar, rechts.
Zeitweise wurde die Werkstatt eine Halbfigurenfabrik und die
Veräusserlichung und Gedankenlosigkeit ging so weit, als in den
schlimmsten Augenblicken bei Perugino. Das ennuyirte, mürrische
Wesen verräth besonders die Madonnen dieser Art von Weitem.
Amico Aspertini ging in seinem frühsten Bilde (er nennt ese
sein tirocinium), das um 1495 gemalt sein möchte, ganz auf die am
meisten perugineske Stimmung des Francia ein. Es ist eine grosse
Anbetung des Kindes durch Madonna, Donatoren und Heilige, in der
Pinac. zu Bologna. Die Fresken einer Cap. links in S. Frediano zuf
Lucca (Geschichten des Christusbildes „volto santo“ etc.), zierlich und
genau ausgeführt, mit einzelnem reizendem Detail, verrathen dann Ein-
drücke aller Art, wie sie der nie recht durchgebildete und selbstän-
dige Phantast unterweges in sich aufnahm. — Als er einmal für Gior-
gione begeistert sein mochte, malte er das Bild in S. Martino zug
Bologna (fünfter Altar, rechts), Madonna mit den heil. Bischöfen
S. Martin und S. Nicolaus nebst den von diesem geretteten drei
Mädchen. — Von seinem Bruder Guido A. eine gute, wesentlichh
ferraresische Anbetung der Könige, in der Pinac. zu Bologna.
In Neapel waren unter dem letzten Anjou (René) und unter Al-
fons von Aragonien Bilder der flandrischen Schule (s. unten) zu einem
solchen Ansehen gelangt, dass sich mehrere einheimische Maler un-
[844]Malerei des XV. Jahrhunderts. Neapel.
mittelbar an denselben bildeten. So Simone Papa d. ä., dessen
aGemälde vom Erzengel Michael (Museum von Neapel) wenigstens be-
weist, wie gerne er die van Eyck hätte erreichen mögen.
In diese Zeit fällt das Auftreten desjenigen Künstlers, welchen
die Neapolitaner als den Vater ihrer Malerei zu feiern pflegen: des
Zingaro (eigentlich Antonio Solario). Wenn er aber wirklich 1382
geboren und 1445 gestorben ist, so gehört ihm wohl keines der nach
bihm benannten Werke: die grosse Madonna mit Heiligen (im Museum),
cdie Kreuztragung (in S. Domenico magg., 6. Cap. r. oder del croce-
dfisso, neben dem Altar), S. Franciscus der den Mönchen die Ordens-
regel giebt (soll sich in S. Lorenzo befinden), — und die 20 Fresken
eeines der Klosterhöfe bei S. Severino (S. 196, b. Bestes Licht:
Vormittags). Letztere, welche vielleicht mit keinem der eben genann-
ten — immer doch nur mittelguten — Kirchenbilder den Autor gemein
haben, sind ein vorzügliches Werk vom Ende des XV. Jahrh., welches
sogar eine Bekanntschaft mit damaligen florentinischen und umbrischen
Arbeiten voraussetzt. (Auch die Trachten passen erst in diese Zeit.)
Das Leben des heil. Benedict ist wohl nie trefflicher dargestellt wor-
den, wenn nicht etwa Signorelli’s Fresken in Monteoliveto (Toscana)
in Abrechnung zu bringen sind. Der Typus des hier abgebildeten
Menschengeschlechtes steht zwar unter dem florentinischen, und hat
in Nase, Blick und Lippen etwas Stumpfes, selbst Zweideutiges.
Aber eine Fülle von lebendig und bedeutend dargestellten Bildniss-
figuren hebt diess auf; schön und würdig bewegen sich die Gestalten
auf einem mittlern Plan, hinter welchem der bauliche oder landschaft-
liche Grund leicht und wohlthuend emporsteigt. Der Meister kannte
z. B. so gut wie Giorgione die reizende Wirkung schlanker, dünn-
belaubter Stämme, welche sich vor und neben steilen Felsmassen
u. dgl. hinaufziehen; überhaupt ist hier die Landschaft mit vollem
Bewusstsein als Stätte bedeutender Ereignisse behandelt, ohne die
flandrische Phantasterei und Überfüllung. Nirgends bemerkt man ein
Versinken in das Barocke oder ins Flaue; ein gleichmässiger edler
Styl belebt Alles1). — Der stille Hof, mit der noch in ihren Trüm-
[845]Zingaro und seine Schule.
mern herrlichen Riesenplatane, eine Oase mitten im Gewühl Neapels,
erhöht noch den Eindruck.
Unter den Schülern des Zingaro wird ausser dem schon genann-
ten Papa d. ä. hauptsächlich der beiden Donzelli gedacht, deren
schwankende, obwohl ansprechende Eigenthümlichkeit man in einigen
Bildern des Museums verfolgen kann. — Ein Maler von schönem unda
mildem Ernst, obwohl von geringer Ausbildung, ist Silvestro de’
Buoni. (Kirche Monteoliveto, Cap. Piccolomini, links vom Portal:b
Himmelfahrt Christi mit Seitenheiligen; — S. Restituta beim Dom:c
Madonna mit 2 Heiligen; — Anderes im Museum; — in seiner Art:d
Dom von Capua, in einer Cap. rechts: Mad. mit 2 Heiligen; — Ca-e
thedrale von Fondi, in einer Cap. rechts: ähnliches Bild; — u. s. w.)f
Wir würden diesen Maler und seinen Schüler Antonio d’Amato (Bild
in S. Severino) nicht nennen, wenn nicht neben den Werken der spä-g
tern neapolitanischen Schule das Auge gerade solchen Bildern so
dankbar entgegenkäme, in welchen mit einfachen Mitteln nach der
Darstellung des Höhern gestrebt worden ist1).
Welchen Eindruck können neben diesen Schöpfungen eines ge-
waltig aufgeblühten Kunstvermögens die altniederländischen und
altdeutschen Gemälde hervorbringen? — Man würde sehr irren,
wenn man glaubte, das Italien des XV. und XVI. Jahrh. hätte sie miss-
achtet; schon die verhältnissmässig bedeutende Anzahl, in welcher sie
durch die italienischen Galerien und Kirchen verbreitet sind, beweist
das Gegentheil. Mag es hie und da blosse Luxussache gewesen sein,
nordische Bilder zu besitzen — immerhin müssen die damaligen Italie-
ner in der nordischen Kunst etwas Eigenthümliches anerkannt und
werthgeschätzt haben.
Die altflandrische Schule der Brüder Hubert und Johann van Eyck
hatte die Richtung des XV. Jahrh., den Realismus, reichlich um ein
[846]Altniederländische und altdeutsche Meister.
Jahrzehnd früher bethätigt als Masaccio. Schon bei Lebzeiten der
beiden Brüder scheinen einige jener Bilder nach Neapel gelangt zu
sein, welche dann auf die dortige Schule einen so grossen Einfluss
aausübten. Der heil. Hieronymus mit dem Löwen in seiner höchst
wirklichkeitsgemäss dargestellten Studirstube (Museum von Neapel)
ist in neuerer Zeit als eines der überaus seltenen Werke des Hubert
van Eyck anerkannt worden; möglicher Weise die frühste reali-
stische Production, welche überhaupt auf italienischem Boden vor-
handen war. Welches Staunen musste die Künstler Neapels ergreifen,
als sie die ersten ganz lebenswahr wiedergegebenen Figuren in einer
miniaturartig gewissenhaften Örtlichkeit vor sich sahen. Ein solcher
Fortschritt in die Wirklichkeit wäre schon an sich immer der popu-
lären Bewunderung sicher, auch ohne Huberts tiefen Ernst. (Die An-
bbetung der Könige in der Kirche des Castello nuovo, im Chor links,
ist in neuerer Zeit als das Werk eines spätern Nordländers unter
Lionardo’s Einwirkung erkannt worden; früher galt sie als Werk des
Joh. v. Eyck.)
In der Folge war es dann zunächst die sog. Technik, die den
altflandrischen Bildern einen besondern Werth gab, d. h. jener tiefe
Lichtglanz der Farben, welcher selbst die prosaisch aufgefassten Cha-
raktere und Hergänge mit einem poetisch ergreifenden Zauber umhüllt.
Sobald als möglich lernte man den Niederländern das Verfahren ab.
Das neue Bindemittel, das Öl (und der nicht minder wesentliche Fir-
niss) war dabei lange nicht die Hauptsache; viel höhere Fragen des
Colorites (der Harmonie und der Contraste) mögen bei diesem Anlass
ganz im Stillen erledigt worden sein.
Ferner imponirte die delicate Vollendung, welche aus jedem guten
flandrischen Bild ein vollkommenes Juwel macht. Endlich gab die
flandrische Behandlung der Landschaft und der in Linien- und Luft-
perspective (verhältnissmässig) so vorzüglich wahren Architekturen
der italienischen Malerei einen geradezu entscheidenden Anstoss.
Für die Auffassung im Grossen gewährten die Niederländer den
Italienern nichts, was diese nicht aus eigenen Kräften schon gehabt
hätten, wenn auch in anderer Weise. Doch empfand man in den
Andachtsbildern der Erstern gar wohl den gleichmässigern, durch
kein (über den Gegenstand indifferentes) Schönheitsstreben beirrten
[847]Flandrer. J. v. Gent. H. v. d. Goes.
Ernst. Zur Zeit Michelangelo’s galten die niederländischen Bilder für
„frömmer“ als die italienischen.
Die nächsten und die mittelbaren Schüler der van Eyck sind in
Italien zum Theil vorzüglich vertreten.
Von Justus von Gent das Hauptwerk in S. Agata zu Urbino,a
die Einsetzung des Abendmahls, 1474. (Der Justus de Allamagna,
welcher 1451 im Kreuzgang von S. Maria di Castello zu Genua, nächstb
der Kirche, eine grosse Verkündigung in Fresco malte, ist ein an-
derer, wahrscheinlich oberdeutscher Meister jener Zeit, wie bes. die
liebliche, reich-blonde Madonna zeigt. Die Rundbilder mit Propheten
und Sibyllen am Gewölbe scheinen von einer härtern, ebenfalls deut-
schen Hand herzurühren.)
Das bedeutendste Werk des Hugo van der Goes ist in S.
Maria la nuova zu Florenz an verschiedene Stellen vertheilt vor-c
handen: eine grosse Anbetung des Kindes durch Hirten und Engel;
auf den Flügelbildern der Donator mit seinen Söhnen und zwei Schutz-
heiligen; seine Gemahlin mit einer Tochter und zwei weiblichen Hei-
ligen. Maria und die Engel zeigen Hugo’s bekümmerten und doch
nicht reizlosen Typus, die Seitenbilder aber die ganze ergreifende
flandrische Individualistik. Hier und an ähnlichen Bildern mögen die
alten Florentiner die Porträtkunst gelernt haben. — In den Uffiziend
gehört dem Hugo, wie ich glaube, das herrliche kleine Bild einer
thronenden Madonna mit 2 Engeln, unter einem prächtig verzierten
Renaissancebogen. (Dem Memling beigelegt.) Keine damalige italie-
nische Schule verfolgte gerade diese Intention, keine hätte ein so
leuchtend schönes und zartes Tafelbild geliefert. Mehrere geringere
Nachahmungen, z. B. in der Galerie Manfrin zu Venedig, wo siche
übrigens auch eine treffliche kleine Verkündigung findet, die mir wie
eine Inspiration Hugo’s mit der Ausführung eines niederrheinischen
Malers erschien. — In den Uffizien wird eine thronende Madonna mitf
2 heiligen Frauen und 2 krönenden Engeln dem Hugo wirklich bei-
gelegt, welche eher einem andern Niederländer um 1500 gehören
könnte. Dagegen steht ihm der Maler eines köstlichen kleinen Bildes
vom Tode der Maria in der Galerie Sciarra zu Rom sehr nahe, wenng
dasselbe nicht von ihm selbst ist. Die verkommenen und verdriess-
lichen Züge der meisten Anwesenden gehen freilich schon über die
[848]Altniederländische und altdeutsche Meister.
Grenze hinaus, welche auch ein Castagno und Verocchio nicht über-
schritten.
„In der Art des Rogier von Brügge“ — so muss ich eine
aKreuzabnahme bezeichnen, welche seit einigen Jahren in der Galerie
Doria zu Rom aufgestellt ist 1). Hier erscheint die nordische Kunst
im Nachtheil — nicht durch den bis nahe an die Grimasse gesteigerten
Schmerzensausdruck, denn z. B. Guido Mazzoni (S. 635) geht viel
weiter und fügt noch die pathetischen Gesten hinzu — wohl aber
durch die unschöne Anordnung, die ihr so oft eigen ist, wenn sie die
Symmetrie verlässt, und durch die mangelhafte Bildung des zugleich
so sorgsam ausgeführten Leichnams. Auch eine andere Grablegung,
bin den Uffizien, dem Rogier van der Weyde zugeschrieben, regt
zu der Frage an, wie es möglich gewesen, dass die alten Niederländer
der Wirklichkeit das Einzelne mit so scharfem Auge absehen, mit so
sicherer und unermüdlicher Hand nachmalen, und dabei das Leben
des Ganzen, das Geschehen so verkennen konnten. Die Freude des
Florentiners an den Motiven der beseelten Bewegung fehlte ihnen fast
cganz. (Noch eine Grablegung, diese wirklich von Rogier van der
Weyde, im Museum von Neapel.)
Von Jan Memling besitzt die Galerie zu Turin ein Hauptwerk,
die Passion in verschiedenen Momenten auf einer Tafel vereinigt, das
Gegenstück zu den sieben Freuden der Maria in der Münchner Pina-
ekothek. In den Uffizien: S. Benedict und ein Donator (1487), wun-
dervolle Halbfiguren. (Zu vergleichen mit den Porträts eines Mannes
und seiner Frau, ebenda, von einem ungleich befangenern flandrischen
fZeitgenossen.) — Eine gute alte Nachahmung nach dem berühmten heil.
Christoph (zu München) in der Galerie von Modena. Ebendaselbst
von einem Maler, der zwischen Memling und Messys in der Mitte
stehen mag: Maria und S. Anna im Freien, dem Kind Früchte reichend.
Einem alten Holländer des XV. Jahrh. könnte in der Academie
gzu Pisa das Bild der heil. Catharina mit einer Stadtansicht angehören.
[849]Rogier. Memling. Wohlgemuth. Q. Messys.
Von Deutschen des XV. Jahrh. ist in Italien wenig vorhan-
den. Ihre Werke boten gerade das was man an den Flandrern am
meisten bewunderte, nur unvollkommen, nur aus zweiter Hand dar,
nämlich die feine, prächtige Vollendung, die Farbengluth, das Welt-
bild im Kleinen. Doch giebt es im Museum von Neapel mehrere (jetzta
getrennte) Flügelbilder, u. a. Anbetungen der Könige, deren eine von
Michel Wohlgemuth herrührt. Es ist etwas Rührendes um diese
blonden, haltungslosen Gesellen in ihrem königlichen Putz, wenn man
sich dabei an das entschiedene Wollen und Können der gleichzeitigen
Italiener erinnert. Eine besondere Andacht sind wir aber der deut-
schen Schule des XV. Jahrh. doch nicht schuldig. Sie verharrte bei
ihren Mängeln mit einer Seelenruhe, die nicht ganz ehrlich gewesen
sein kann. Da es ihr zu unbequem war, das Geistige im Leiblichen,
die Seelenäusserung in der Körperbewegung darstellen zu lernen, so
ergab sich ein grosser Überschuss an unverwendbarer Phantasie, die
sich dann auf das Verzwickte und Verwunderliche warf. Man sieht
z. B. in den Uffizien eine Auferweckung des Lazarus mit Seitenbildernb
und (bessern) Aussenbildern, datirt 1461, von einem Nicol. Fru-
menti, in welchem irgend ein Meister Korn aus der Umgebung der
Colmarer Schule zu vermuthen ist. Wer gab nun diesem (gar nicht
ungeschickten) Maler das Recht zu seinen abscheulichen Grimassen?
Die Lebenszeit Dürers und Holbeins, die den festen und grossen Wil-
len zu Gunsten der Wahrheit hatten, ging dann besserntheils mit dem
Kampf gegen solche und ähnliche Manieren dahin.
Es ist Zeit zu diesen grossen Meistern vom Anfang des XVI.
Jahrh. überzugehen. Italien besitzt auch aus dieser Zeit der nordi-
schen Kunst beträchtliche Schätze.
Zunächst von dem bedeutendsten niederländischen Meister um
1500, Quentin Messys. In S. Donato zu Genua (zu Anfang desc
linken Seitenschiffes) eins seiner Capitalwerke: reiche Anbetung der
Könige, auf den Seitenflügeln S. Stephan mit einem Donator und S.
Magdalena, mit landschaftlichem Hintergrund in der Art Patenier’s.
Hier wie bei Messys überhaupt löst sich die Strenge der alten Nie-
derländer in eine milde Anmuth der Züge und der Bewegung auf;
die Köpfe, wie von einem Bann erlöst, blass, mit dem Lächeln der
Genesung; die Farben, befreit von dem Crystallglanz der Frühern,
B. Cicerone. 54
[850]Altniederländische und altdeutsche Meister.
ergehen sich in sanften Übergängen und Spiegelungen, die Liebe zum
glänzenden Detail aber sucht sich ihre neuen Probleme z. B. in ein-
zelnen höchst vollendeten Stoffbezeichnungen wie die Jaspissäulen,
ader Goldschmuck u. s. w. 1). Das Doppelporträt in der Malersamm-
lung der Uffizien, bez. 1520, welches dort als das des Messys und
seiner Frau gilt, mag von ihm gemalt sein; dass es ihn darstelle, ist
bwenigstens nicht unmöglich. Das Porträt eines Cardinals im Pal.
Corsini zu Rom ist mindestens ein vortreffliches Werk seiner Richtung.
Von der damaligen niederländischen Landschaftmalerei giebt ein
cschönes Bild im Pal. Pallavicini (Str. Carlo Felice) zu Genua einen
Begriff; es ist die Ruhe auf der Flucht in einer jener heimlichen
Waldlandschaften, welche uns eine der schönsten poetischen Seiten
der damaligen nordischen Kunst offenbaren. (Nicht wohl von Pate-
nier.) — Von Herri de Bles ist nichts in dieser Richtung Bezeich-
dnendes zu nennen; sein Thurmbau von Babel (Acad. von Venedig) ist
eum der Figuren willen gemalt; in seiner Pietà (S. Pietro in Modena,
2. Alt. r.) scheint gerade die Landschaft halb ferraresisch behandelt.
Was sollen wir nun über Lucas von Leyden sagen, der als
„Luca d’Olanda“ ein Gattungsbegriff für die italienischen Cu-
stoden geworden ist? Anerkanntermassen gehören ihm die beiden
fEccehomo’s in der Tribuna der Uffizien und in der Capelle des Pa-
glazzo reale zu Venedig (hier mit Pilatus und Schergen, unter Dürers
Namen). Es bleibt bedenklich, einem Maler der so verschieden und
so Verschiedenartiges gemalt hat, auf Grund dieser beiden Bilder hin
hundert andere zu- oder abzusprechen. Welche Autorität der lichte
hderbe Profilkopf für sich hat, der in den Uffizien als sein Porträt gilt,
iweiss ich nicht. Die Kreuzabnahme die im Pal. Pallavicini, und die
kthronende Madonna mit heiligen Frauen, die in der Academie von
Venedig seinen Namen führen, sind sicher nicht von ihm. Wie es
lsich mit den beiden Altarwerken im Museum von Neapel (einer An-
betung der Könige und einer Passion mit Donatoren) verhält, kann
ich aus dem Gedächtniss nicht angeben. Eine Menge sogen. Luca’s
[851]Luca d’Olanda. Peter Breughel. Niederrheinländer.
sind von ganz geringem Belang. — Wenn ein Bild des Gekreuzigten
mit Heiligen und Donatoren, in der Academie von Venedig, auf feinea
Leinwand gemalt, mit sehr sorgfältigen Köpfen, als „Martin En-
gelbrecht“ benannt wird, so hat man damit vielleicht Luca’s Lehrer
Cornelius Engelbrechtsen gemeint.
Vom ältesten Breughel besitzt das Museum von Neapel u. a.b
zwei Temperabilder auf Leinwand; das eine, mit der Allegorie des
von der „Welt“ betrogenen Büssers, ist bezeichnet und von 1565 da-
tirt; das andere stellt das Gleichniss von den Blinden dar. — Von
denjenigen niederländischen Zeitgenossen Breughels, welche zur italie-
nischen Weise übergegangen waren, findet sich in Italien wenig Nen-
nenswerthes oder es trägt die italienischen Namen der zu Grunde
liegenden Originale. Mehrere der betreffenden Niederländer haben
Copien und Pasticcio’s nach Lionardo und Rafael geliefert, die man
damals und später täuschend fand.
Eine ziemlich grosse Categorie machen diejenigen Bilder aus,
welche ich in Ermanglung näherer Specialkenntniss als niederlän-
disch-niederrheinische bezeichnen muss. Es ist derjenige, meist
an die Behandlung des Quentin Messys erinnernde Styl, welcher in
den Jahren 1510—1530 in verschiedenen Nuancen von Flandern bis
nach Westfalen herrschte. Das schönste und reichste dieser Gemälde,
im Museum von Neapel, Saal der Meisterwerke, ist eine grosse An-c
betung des Kindes mit Donatoren, Heiligen, Mönchen, Nonnen und
einer Unzahl von Putten, unter prächtigen Renaissanceruinen mit
reichem Durchblick, bez. 1512. (Das angebliche Monogramm AD ist
darauf nicht zu finden, an Dürer nicht zu denken; die Behandlung am
ehesten mit derjenigen des „Todes der Maria“ in München zu ver-
gleichen.) Dasselbe Museum enthält noch mehrere kleinere und eben-d
falls werthvolle Bilder dieser Gattung. In der Brera zu Mailand eine
dreitheiliges Bild (Geburt, Anbetung der Könige, und Ruhe auf der
Flucht). Von einem etwas spätern, noch guten Meister derselben
Richtung: die Anbetung des Kindes im Pal. Manfrin zu Venedig (alsf
Dürer benannt). U. m. a. Zwei kleine Juwelen der Gal. Colonna zug
Rom, Madonnen auf Goldgrund, umgeben von Rundbildern in Miniatur
mit den Leiden und Freuden, wage ich nur als niederländisch um
1500 zu bezeichnen.
54*
[852]Altniederländische und altdeutsche Meister.
Endlich die deutschen Meister der Blüthezeit. Auch sie müssen
schon hier erwähnt werden, weil sie in der Entwicklung nur mit den
grossen Italienern des XV. Jahrh. parallel gehen.
Von Albrecht Dürer bleibt selbst nach Abzug aller falschen
Taufen auf „Alberto Duro“ noch eine ganze Reihe echter Bilder
aübrig. Dieselbe beginnt mit dem Porträt seines Vaters in den Uffi-
zien, und fährt fort mit seinem eigenen phantastisch costumirten Por-
trät (ebenda, 1498). Dann folgt ein Meisterbild seiner mittlern Zeit,
die Anbetung der Könige (Tribuna ebenda, 1504) und eine vortreff-
liche, grün ausgeführte, weiss aufgehöhte Zeichnung der Kreuzigung
(1505, ebenda, im vierten Zimmer von der Tribuna rechts, mit einem
von Breughel bemalten Deckel verschlossen). — Ein Denkmal seines
bAufenthaltes in Venedig 1506 ist der Christus unter den Schriftgelehr-
ten, ein stellenweise wahrhaft venezianisches, zum Theil aber auch
ganz barockes Halbfigurenbild, im Pal. Barberini zu Rom. (Beiläufig:
cman suche unter den 1502—1511 von Carpaccio ausgeführten Malereien
in der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni zu Venedig das Bild des
heil. Hieronymus im Studirzimmer, und vergleiche es mit Dürers be-
rühmtem Stich vom Jahr 1514, um zu sehen, wie vielleicht das Be-
fangene zum Unvergänglichen angeregt hat.) Aus der spätern Zeit
dsind die beiden Apostelköpfe der Uffizien (1516, in Tempera), welche
zwar Dürers ganze Energie, aber noch nicht den hohen Schwung be-
kunden, der seinem letzten Werke, dem Vierapostelbilde in München,
evorbehalten war. Die lebensgrossen Bilder von Adam und Eva (Pal.
Pitti), welche um dieselbe Zeit gemalt sein können, wenn sie wirklich
von Dürer sind, zeigen als Akte eine wenigstens nicht unschöne Bil-
fdung. Sein spätestes in Italien vorhandenes Werk, die Madonna vom
Jahr 1526 in den Uffizien, ist schon vom Geiste der eindringenden
Reformation berührt, ohne Glorie und Schmuck, herb, häuslich.
Diese Werke hängen zum Theil in denselben Sälen, welche Ra-
fael, Tizian und Coreggio beherbergen. Soll man ihnen durchaus nur
auf historischem Wege gerecht werden, sie gleichsam nur „entschul-
digen“ können? Jedenfalls würde Dürer, Arbeit gegen Arbeit ge-
halten, neben Rafael kaum verlieren; die wenn auch nur relative
Belebung und Befreiung, welche die deutsche Kunst (allerdings zu
spät!) ihm verdankte, war ein Unermessliches, das ohne die lebens-
[853]A. Dürer und Schule. L. Kranach d. ä.
lange Anstrengung eines grossen Geistes gar nicht erreicht worden
wäre. Aber auch nach einem absoluten Massstab gemessen behalten
diese Gemälde einen hohen Werth. Die Formen, ohne alle Idealität,
aber auch ohne abstracte Leere, entsprechen — namentlich in den
Bildern wo die Phantasterei der Jugend überwunden ist — im voll-
kommensten Grade Dem, was Er damit ausdrücken wollte; sie sind
das angemessenste Gewand für seine Art von Idealismus. Alles
selbst erworben! ein Mensch und ein Styl, die jeden Augenblick
identisch sind! Wie viele im XVI. Jahrh. können sich dessen rüh-
men? Wie haben sie einander, ganze Schulen entlang, die Empfindungs-
und Ausdrucksweise nachgebetet?
Von Dürers Schülern ist Hans Schäuffelin in den Uffiziena
durch 8 Bilder mit der Legende des Petrus und Paulus vertreten,
welche zu seinen besten Arbeiten gehören. Die Schüler warfen sich
wieder in das Phantastische, dessen sich Dürer mit grosser Anstren-
gung allmälig entledigt hatte. Bei Albrecht Altdorfer, welchem
zwei artige Bilder der Academie von Siena angehören könnten, ge-b
winnt dasselbe sogar eine ganz angenehm-abenteuerliche Gestalt, zu-
mal in Betreff der Landschaft. — Dem Georg Pens wird in derc
Malersammlung der Uffizien ein vortreffliches jugendliches Porträt,
angeblich sein eigenes, zugeschrieben. (Sollte etwa der sog. Cesared
Borgia in der Galerie Borghese zu Rom, angeblich von Rafael, sein
Werk sein?)
Von Lucas Kranach findet man ein frühes und vorzügliches
Bildchen (1504) im Pal. Sciarra zu Rom: die heil. Familie mit vielene
singenden und springenden Engelkindern in einer phantastischen Land-
schaft nach Art der fränkischen Schule. Sonst ist von ihm in Italien
nur Mittelwaare: Adam und Eva in der Tribuna der Uffizien, säch-f
sische Herzöge u. s. w. in einem andern Saal. Ein kleiner Ritter
S. Georg in bunter Landschaft wiegt diess Alles auf.
Von ungenannten Oberdeutschen: ein vorzügliches, leider sehrg
verwaschenes [C]ardinalsporträt im Museum von Neapel, fein und geist-
voll aufgefasst wie irgend ein deutsches Porträt der Zeit; — mehrere
Porträts aus dem Hause Habsburg (Erzherzog Philipp, Carl V, Fer-
dinand I) theils oberdeutsch, theils niederländisch, in demselben Saalh
des Museums von Neapel, im Pal. Borghese zu Rom, u. a. a. O.
[854]Altniederländische und altdeutsche Meister.
Von Nicol. Manuel, Martin Schaffner und Hans Baldung ist mir
mit Wissen kein Bild vorgekommen. Dagegen hat der grosse Hans
Holbein d. J. mit Dürer und Lucas das Schicksal gehabt, ein Col-
lectivname zu werden.
Zuerst ist ein Bild zu nennen, welches gerade seinen Namen nicht
aträgt, sondern als „Ignoto Tedesco“ in einem der deutschen Säle der
Uffizien hängt: der Gekreuzigte (in diagonaler Richtung gestellt) mit
Maria, Johannes, Magdalena und der Donatorenfamilie in einer Land-
schaft. Wenn die Innenbilder des Altarwerkes der Universitätscapelle
im Freiburger Münster von H. sind, so gehört ihm auch dieses fleis-
sige, namentlich in der untern Gruppe höchst bedeutende Werk an.
Freie, glückliche Anordnung, lebensvolle Modellirung, tiefer Ausdruck.
Dann unter seinem Namen in den Uffizien: 1) das echte, voll-
endet treffliche Porträt des 33jährigen Richard Southwell (1528); —
2) der vielleicht echte, licht gemalte Greisenkopf mit flachsweissem
Zwickelbart (wovon eine befangenere, fleissige Copie in der Galerie
cBrignole zu Genua unter dem Namen Luca d’Olanda); — 3) das sehr
zweifelhafte kleinere Porträt eines halb schielenden Mannes auf rothem
Grunde, jedenfalls erst um 1550; — 4) zwei kleine Porträts, Mann
und Frau, von irgend einem Niederländer; — 5) das Miniaturbild
Franz I im Harnisch, zu Pferde, in der Art des Clouet, gen. Janet
(von dessen Styl auch sonst 1) Mehreres, nicht selten unter Holbeins
Namen vorkömmt); — 6) das eigene Porträt Holbeins in der Maler-
sammlung (d. h. ein mit Kohle und Stiften gezeichneter, mit wenigen
Farben getuschter Kopf auf einem Blättchen Papier, welches später
in ein grösseres Blatt eingefasst, mit Goldgrund versehen und mit
Zuthat eines rohen hellblaugrauen Kittels vollendet wurde. Ursprüng-
lich wohl von Holbeins Hand, in der Art mehrerer der von Cham-
berlaine herausgegebenen Köpfe; trotz aller Misshandlung und Firnis-
sung sind z. B. die Partien um das linke Auge und der Mund noch
herrlich. Aber das dargestellte Individuum mit den hellgrauen Augen,
der viereckigen Gesichtsform und der brutalen Oberlippe ist nicht
Holbein, die Inschrift modern).
[855]Hans Holbein. — Glasgemälde.
Das Porträt eines vorwärts deutenden Mannes mit breitem Ge-a
sicht und flachem Barett, im Pal. Pitti, kann bei trefflicher Charak-
teristik doch wegen der Verzeichnung im Kopf und der Absichtlichkeit
in der Anordnung der Hände nicht als H.’s Werk gelten. — Das Bild-
niss eines Armbrustschützenmeisters(?) im Pal. Guadagni zu Florenzb
verhält sich zu H.’s Werken etwa wie diejenigen des Hans Asper. —
Das sehr schöne Bildniss des Prospero Colonna im gleichnamigenc
Palast zu Rom ist wohl eher von einem Niederländer. — Von den
Holbeins im Pal. Borghese ist wenigstens der junge Mann mit Hand-d
schuhen wohl echt und vortrefflich. — Von den Porträts des Erasmus
hängt dasjenige im Museum von Neapel für jede nähere Untersuchunge
zu dunkel; dasjenige in der Galerie zu Parma (1530) erscheint zuf
überfleissig und ängstlich um etwas anderes als eine gute (ober-
deutsche?) Copie zu sein.
Von der augenschädlichen Prüfung der italienischen Glasge-
mälde möchte ich am Liebsten ganz abrathen, damit die Sehkraft
für die Fresken ungeschwächt bleibe. Weil aber eine ganz ansehn-
liche Menge bedeutender Werke dieser Art vorhanden ist, so darf ich
sie nicht völlig übergehen. Besondere Studien möge man hier nicht
erwarten.
Die Glasmalerei mag in Italien während des ganzen spätern Mit-
telalters hie und da geübt worden sein, allein im Grossen ist sie doch
erst mit dem gothischen Baustyl vom Norden her eingedrungen. Ich
entsinne mich keines Glasgemäldes von romanischem Styl. Noch ganz
spät sind es transalpinische oder doch im Norden gebildete Künstler,
welche mehrere der bedeutendsten Werke ausführen.
Wie vieles von den Glasgemälden des Domes von Mailandg
noch der Erbauungszeit angehört, weiss ich nicht anzugeben; die der
grossen Chorfenster sind modern; die der Südseite, welche noch bei
den Ereignissen von 1848 Schaden litten, werden einer Restauration
unterliegen müssen. — Für das grosse Chorfenster in S. Domenico zuh
[856]Glasmalerei.
Perugia (1411) wird ein gewisser Fra Bartolommeo namhaft
gemacht; eine Reihe Geschichten und vier Reihen Heilige, von ziem-
lich allgemeinem Styl. Von einem in Lübeck erzogenen Toscaner,
dem Francesco di Livi aus Gambassi (bei Volterra) rührt ein
agrosser Theil der Glasmalereien im Dom von Florenz her (seit
1436); die meisten aber werden dem berühmten Erzgiesser Lorenzo
bGhiberti zugeschrieben, so namentlich die der drei vordern Rund-
fenster. Weder die einen noch die andern machen irgend einen be-
deutenden, zwingenden Eindruck. Viel eigenthümlicher ist die Kreuz-
cabnahme im vordern Rundfenster von S. Croce, angeblich ebenfalls
von Ghiberti.
Ein höheres Interesse gewinnen die Glasgemälde erst von der
Zeit an, da der grosse italienische Realismus des XV. Jahrh. auch
sie durchdringt; fortan unterscheiden sie sich von den gleichzeitigen
nordischen nicht nur durch den Styl der Zeichnung und Auffassung,
sondern auch indem sie freier den decorativen Zwecken dienen und
zugleich viel mehr eigentliche Gemälde von abgeschlossener Bedeu-
tung sein wollen als im Norden.
Aus deutschem und italienischem Realismus mischte sich der Styl
des seligen Prediger-Laienbruders Jacob von Ulm (1407 — 1491),
dwelcher in S. Petronio zu Bologna das prächtige Fenster der 4. Cap.
rechts verfertigte (und vielleicht auch dasjenige der 4. Cap. links unter
seiner Leitung entstehen sah). Von den übrigen Fenstern dieser Kirche
ist dasjenige der 7. Cap. links (Cap. Bacciocchi) vorzüglich schön nach
dem energischen Entwurf des Lorenzo Costa gearbeitet; von ähn-
lichem Styl das der 5. Cap. links. Für dasjenige der 9. Cap. rechts
nimmt man einen Entwurf Michelangelo’s an; die Motive der ein-
zelnen Heiligen erinnern aber ganz direct an Bandinelli’s Relieffiguren
der Florentiner Chorschranken (S. 680, d); die Ausführung sehr reich-
farbig für diese späte Zeit. — Von Costa rührt in Bologna wohl ohne
eZweifel auch das Rundfenster von S. Giovanni in monte her. (Jo-
hannes auf Pathmos; die Nebenfenster geringer.) — In S. Giovanni
fe Paolo zu Venedig gilt das grosse Fenster des rechten Quer-
schiffes als Composition des Bartol. Vivarini, ich weiss nicht mit
welcher Sicherheit. (Die Inschrift ist modern; die obere Figurenreihe
eher von V.’s Styl als die untere.)
[857]Glasmalerei.
In Florenz ist das grosse Chorfenster von S. Maria novella, vona
Alessandro Fiorentino (etwa Sandro Botticelli?), aus dem Jahr
1491, nur von mittlerm Werthe; dagegen kann das Glasgemälde der
nächst anstossenden Cap. Strozzi das beste von Florenz heissen; es
scheint mit sammt den Fresken von Filippino Lippi componirt. —
Einige gute kleinere Arbeiten auch in S. Spirito, in der Cap. de’b
Pazzi bei S. Croce, in S. Francesco al monte, in S. Lorenzo etc., vonc
einem kenntlichen gemeinsamen Typus, welcher die Composition eines
Florentiners und die Ausführung eines Nordländers zu verrathen scheint.
Lucca besitzt in den herrlichen Chorfenstern des Domes vielleichtd
das Beste dieser ganzen Richtung; sie erinnern am Meisten an die
Fenster der Cap. Strozzi. Auch die übrigen Glasgemälde dieses Do-
mes sind von den bessern. — In S. Paolino einiges Gute in der Arte
der oben (diese Seite: b, c) genannten, etwa um das Jahr 1530. — Im
Baptisterium bei S. Giovanni das Rundfenster mit der Gestalt desf
Täufers, erst vom Jahr 1572.
In Arezzo sind die schönen Glasgemälde der Annunziata nochg
aus dem XV. Jahrh.; im Dom aber begegnet man dem namhaftestenh
Glasmaler der rafaelischen Zeit, Wilhelm von Marseille. Es ist
derselbe, welcher zu Rom die beiden Seitenfenster des Chores voni
S. M. del popolo mit Geschichten Christi und der Maria schmückte,
— damals, unter Julius II, wahrscheinlich nach Compositionen eines
tüchtigen umbrischen Meisters. Später, im Dom von Arezzo mag er
andern Vorlagen oder seiner eigenen Erfindung gefolgt sein; genug,
sein Styl ist hier im Ganzen derselbe, welcher die damals in Italien
arbeitenden Niederländer charakterisirt. Die Grenzen der Gattung,
welche sich möglichst einer architektonischen Ruhe zu befleissigen hat
— nicht nur um nicht mit dem Stabwerk gothischer Fenster zu col-
lidiren, sondern um nicht zu ihrer ungeheuern Farbengewalt noch
andere verwirrende Eindrücke zu häufen — diese Grenzen sind hier,
wie so oft in der Glasmalerei des XVI. Jahrh. völlig verkannt; es
sind Gemälde auf Glas übertragen 1).
[858]Malerei des XVI. Jahrhunderts.
Im Dom von Siena ist das Glasgemälde des grossen vordern
Rundfensters — ein Abendmahl — von Pastorino Miccheli 1549
nach einer etwas manierirten und wiederum für diese Gattung wenig
passenden Composition des Perin del Vaga ausgeführt.
Im Grunde passte die ganze Gattung von jeher sehr wenig zu
dem überwiegenden Interesse, welches in Italien der kirchlichen Fresco-
und Tafelmalerei zugewandt war; sie hat auch in der Regel den Cha-
rakter einer Luxuszuthat. — In den oben (S. 289) erwähnten Fenstern
die dem Giovanni da Udine zugeschrieben werden, handelt es
sich endlich nur um Arabesken, welche den decorativen Eindruck
eines Raumes zu vervollständigen bestimmt sind.
Nicht auf Anregung irgend eines äussern Vorbildes, z. B. nicht auf
genauere Nachahmung des Alterthums hin, sondern aus eigenen Kräf-
ten erstieg die Kunst seit dem Ende des XV. Jahrh. die höchste Stufe,
die zu erreichen ihr beschieden war. Mitten aus dem Studium des
Lebens und des Charakters, welches die Aufgabe dieses Jahrhunderts
gewesen war, erhebt sich neugeboren die vollendete Schönheit. Nicht
mehr als blosse Andeutung und Absicht, sondern als Erfüllung tritt
sie uns entgegen; erst als die Malerei des XV. Jahrh. jeder Lebens-
äusserung gewachsen war, da schuf sie, vereinfacht und unendlich
bereichert zugleich, auch dieses höchste Leben.
Da und dort taucht es auf, unerwartet, strahlenweise, nicht als
blosse Frucht eines consequenten Strebens, sondern als Gabe des Him-
mels. Die Zeit war gekommen. Aus den tausend als darstellbar er-
wiesenen Elementen, aus der Breite des Lebens, welche von Masaccio
bis auf Signorelli das Gebiet der Kunst ausgemacht hatte, aus Zeit und
Natur sammeln die grossen Meister das Ewige zu unvergänglichen
Kunstwerken, Jeder in seiner Art, so dass das eine Schöne das an-
dere nicht ausschliesst, sondern Alles zusammen eine vielgestaltige
Offenbarung des Höchsten bildet. Es ist wohl nur eine kurze Zeit
der vollen Blüthe, und auch während derselben dauert die Thätigkeit
der Zurückgebliebenen fort, unter welchen wir tüchtige und selbst
[859]Lionardo da Vinci.
grosse Maler bereits genannt haben. Man kann sagen, dass die be-
schränkte Lebenszeit Rafaels (1483—1520) alles Vollkommenste hat
entstehen sehen, und dass unmittelbar darauf, selbst bei den Grössten,
die ihn überlebten, der Verfall beginnt. Allein jenes Vollkommenste
ist zum Trost und zur Bewunderung für alle Zeiten geschaffen und
sein Name ist Unsterblichkeit.
Lionardo da Vinci (1452—1519), der Schüler Verocchio’s,
sichert der florentinischen Schule den wohlverdienten Ruhm, dass aus
ihrer Mitte zuerst der befreiende Genius emporstieg. Eine wunderbar
begabte Natur, als Architekt, Bildhauer, Ingenieur, Physiker und Ana-
tom überall Begründer und Entdecker, dabei in jeder andern Be-
ziehung der vollkommene Mensch, riesenstark, schön bis ins hohe Al-
ter, als Musiker und Improvisator berühmt. Man darf nicht sagen,
dass er sich zersplittert habe, denn die vielseitige Thätigkeit war ihm
Natur. Aber bejammern darf man, dass von seinen Entwürfen in allen
Künsten so wenig zu Stande gekommen und dass von dem Wenigen
das Beste untergegangen oder nur noch als Ruine vorhanden ist.
Als Maler umfasst er wiederum die am meisten entgegengesetz-
ten Begabungen. Rastlos bemüht, sich die Ursachen aller leiblichen
Erscheinungen und Bewegungen durch die Anatomie klar zu machen,
wendet er sich mit unvergleichlich rascher und sicherer Auffassung
ebenso auf den geistigen Ausdruck und verfolgt denselben vom Himm-
lisch-Reinen bis in alle Tiefen des Verworfenen und Lächerlichen.
Seine Federskizzen, deren Viele in der Ambrosiana zu Mailand aus-a
gestellt sind, geben hiezu die reichlichsten Belege. — Zugleich aber
ist in ihm die schönste Schwärmerseele mit der gewaltigsten Kraft des
Gedankens und mit dem höchsten Bewusstsein von den Bedingungen
der idealen Composition verbunden. Er ist wirklicher als alle Frühern
wo das Wirkliche gestattet ist, und dann wieder so erhaben und frei
wie Wenige in allen Jahrhunderten.
Seine frühsten erhaltenen Werke 1) sind Porträts, und an diesen
lässt sich auch seine eigenthümliche Malweise am genausten verfolgen.
[860]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Lionardo.
Einige Worte über die damalige Bildnissmalerei überhaupt mögen
hier gestattet sein.
Es kommt sehr in Betracht, dass während des XV. Jahrh. und
noch die ganze Lebenszeit Lionardo’s und Rafaels hindurch fast nur
sehr ausgewählte Charaktere abgesondert gemalt wurden, höchstens
mit Ausnahme von Venedig, wo zu Giorgione’s Zeit das Porträt schon
zum standesgemässen Luxus der Vornehmen zu gehören anfing. —
Im übrigen Italien sind sogar die selbständigen (nicht bloss in Wand-
malereien und Kirchenbildern angebrachten) Bildnisse von Fürsten sel-
aten. (Piero della Francesca’s Doppelporträt mit allegorischen Rücken-
bildern, in den Uffizien, könnte einen der damaligen Gewaltherrscher
bund dessen Gemahlin darstellen; — die Porträts des Mailänders Ber-
nardino de’ Conti in der Galerie des Capitols und in einem der päpst-
clichen Wohnzimmer des Vaticans vielleicht fürstliche Kinder; — ebenso
dder Mädchenkopf des P. della Francesca im Pal. Pitti; — der Frauen-
ekopf Mantegna’s in den Uffizien stellt wenigstens eine Dame von
hohem Stande vor.) — Eher noch finden sich eigenhändige Bildnisse
fvon Künstlern, wie z. B. in der Malersammlung der Uffizien diejeni-
gen des Masaccio (S. 799, e), des Perugino (S. 835, Anm.), des Giov.
gBellini (ein anderes in der capitolinischen Galerie), und ebenda in den
Sälen der toscanischen Schule das eines Medailleurs und das des Lo-
renzo di Credi, (welchem daselbst ausserdem ein Jünglingsporträt von
fast peruginischem Ausdruck zugeschrieben wird). Für die Bildnisse
hoher Prälaten, selbst der Päpste, ist man bis auf Rafael fast einzig
auf die Grabstatuen verwiesen. Die übrigen Porträts sind fast lauter
Denkmäler, welche dem literarischen Ruhm, der Liebe, der nahen und
vertrauten Freundschaft, auch wohl der grossen Schönheit gesetzt wur-
den und welche der Künstler zum Theil schuf, um sie zu behalten.
h(Um der Schönheit willen malte Sandro die Simonetta; als alten
iFreund scheint Francia das herrliche Bildniss des Vangelista Scappi,
in den Uffizien, gemalt zu haben) 1).
[861]Porträtmalerei.
Der Darstellungsart nach sind diese Werke sehr verschieden. Schon
Masaccio giebt eine geistvolle Dreiviertelansicht und hebt das Be-
deutende leicht und sicher hervor. Andrea del Castagno (Jünglings-a
porträt im Pal. Pitti) folgt ihm darin nach Kräften; Sandro dagegen
giebt nur ein Profil. Auch die Oberitaliener sind getheilt, P. della
Francesca giebt Profilköpfe mit der schärfsten und genausten Modelli-
rung, die auch keine Warze verschont, auf einem niedlichen land-
schaftlichen Hintergrunde; auch Conti profilirt; Mantegna und Francia
(auch Perugino) geben die Köpfe ganz von vorn, und suchen durch
schöne Landschaften denselben einen wahrhaft idealen Hintergrund zu
verleihen, Mantegna z. B. durch ein Felsgebirg im letzten Abendschim-
mer. Der Dreiviertelansicht nähert sich das Bild des Medailleurs (mitb
einer Landschaft in Francesca’s Art); auch Lorenzo Costa (Pal. Pitti)c
und Giov. Bellini. — Lor. di Credi ist schon von Lionardo abhängig.
Der Auffassung nach sind einige dieser Bildnisse edle Meister-
werke. Lionardo aber übertrifft sie alle in dem was ihnen eigen
ist, in der Modellirung, und leiht den von ihm Dargestellten einen
Hauch höhern Lebens, der ihm eigen ist und mit seinem Ideal zu-
sammenhängt. Auch er zieht gerne die Landschaft zu Hülfe und vol-
lendet damit im Porträt der Gioconda (Louvre) jene völlig traumhafte
Wirkung, die dieses Bildniss aller Bildnisse ausübt.
In Florenz enthält der Pal. Pitti das Bildniss einer schwarzbe-d
kleideten Dame, der Ginevra Benci. Der Meister, welcher sich im
1)
[862]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Lionardo.
Streben nach vollendeter Modellirung nie genug thun konnte, hat bis-
weilen, und so auch hier, Farben gebraucht, die später in die Schat-
ten z. B. grünliche Töne brachten. Allein die hohe geistige Anmuth
in Kopf und Haltung, die Schönheit der Hand bezeichnen recht deut-
lich die Zeit, welche die Gabe der Charakteristik nunmehr in der
höchsten Richtung anwendet.
Ebenda: der Goldschmied. Ein unendliches Detail (die Partien
um den Mund!); die Augenlieder und das geistreich kränkliche Aus-
sehen verrathen den Feinarbeiter; ganz wunderbar durchdringt sich
damit der wesentlich lionardeske Charakter, den der Maler in dem
Kopfe fand oder hineinlegte.
In den Uffizien: der Kopf eines jungen Mannes, von vorn. Wie-
derum unendlich wahr und trotz der viel grössern Verschmelzung der
Töne wahrscheinlich echt. — Ebenda, aus ungleich späterer Zeit, das
höchst grandiose, meisterlich ins Licht gestellte eigene Porträt
Lionardo’s; weit der grösste Schatz der berühmten Sammlung von
Malerbildnissen.
In der Ambrosiana zu Mailand: das entweder unvollendete oder
verwaschene Porträt des Lodovico Moro und das Profilbild seiner
Gemahlin, letzteres nicht ganz freudig gemalt; ausserdem einige Pa-
stellköpfe, unter welchen das reizvolle Bildniss einer Dame mit nie-
dergeschlagenen Augen.
Die übrigen Porträts befinden sich im Ausland.
Nach diesen Werken, über welchen sein Ideal nur wie ein Duft
schwebt, mögen diejenigen kleinern Arbeiten folgen, in welchen sich
dasselbe rückhaltlos offenbart. Vorbereitet war es schon in den ju-
gendlichen Köpfen Verocchio’s (S. 602); aber erst bei Lionardo er-
reicht es seinen vollen Zauber: der lächelnde Mund, das schmale
Kinn, die grossen Augen, bald strahlend von Fröhlichkeit, bald leis
umschleiert von einem sanften Schmerz. Conventionelle Mienen kom-
men im ganzen XV. Jahrh. vor; hier zuerst handelt es sich aber um
einen Ausdruck, welchen ein grosser Meister als sein Höchstes giebt.
Unläugbar einseitig und der Veräusserlichung unterworfen, aber durch-
aus zwingend.
Die Madonnen, heiligen Familien u. a. Compositionen, um welche
es sich handelt, sind zum Theil naiv bis ins Genrehafte. Allein es
[863]Bildnisse. Madonnen. Halbfigurenbilder.
beginnt darin dasjenige höhere Liniengefühl, diejenige Vereinfachung,
welche in Rafael ihre Vollendung findet. Von dem florentinisch Häusli-
chen früherer Madonnen z. B. ist darin nur noch ein Nachklang. —
Die bedeutendsten Werke sind wiederum im Ausland, und von den in
Italien befindlichen blieben die der mailändischen Privatgalerien dem
Verfasser unbekannt. (Madonna des Hauses Araciel in Mailand; einea
Mater dolorosa; wahrscheinlich auch Wiederholungen der Vierge au bas-
relief; Porträts etc.) Von den in Italien vorhandenen Werken aber sind
nur noch sehr wenige als Originale anerkannt; weit die meisten gelten
entweder als Arbeiten der Schüler nach Entwürfen und Gedanken
Lionardo’s oder geradezu als Copien derselben nach vollendeten Wer-
ken seiner Hand.
Diese Schüler, deren eigene Werke mit den Formen und Motiven
L.’s noch ganz erfüllt sind, hatten sich ihm in Mailand angeschlossen;
hier kommen vorerst Bernardino Luini und Andrea Salaino
am meisten in Betracht.
Ein Originalwerk Lionardo’s ist zunächst das Fresco der Ma-b
donna mit einem Donator auf Goldgrund, in einem obern Gang des
Klosters S. Onofrio zu Rom (1482?); noch am meisten florentinisch,
sodass sich der Mitschüler des L. di Credi zu erkennen giebt.
Eine Madonna, die sich in der Gal. Borghese befinden soll (? —c
neben ihr eine Wasserflasche mit Blumen) gilt ebenfalls noch als frühes
Werk.
In der Brera zu Mailand gilt nur eine unvollendete Madonna alsd
eigenhändiges Werk.
„Eitelkeit und Bescheidenheit“, im Pal. Sciarra zu Rom, verra-e
then durch die verschwimmende Modellirung die Hand des Luini, nach
den nicht sehr schön, in Parallelen und rechten Winkeln geordneten
Händen zu urtheilen ist auch das Arrangement wenigstens dieser Theile
schwerlich von Lionardo angegeben. Die Charaktere sind unerschöpf-
lich schön.
Von der Halbfigur Johannis d. T. (Louvre), mit dem hochschwär-
merischen Ausdruck, giebt keine der in Italien vorhandenen Copien
einen würdigen Begriff, selbst die mailändischen nicht.
„Christus unter den Schriftgelehrten“, ein Halbfigurenbild; das inf
England befindliche Original nur von Luini ausgeführt; eine gute Co-
[864]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Lionardo.
pie im Pal. Spada zu Rom. Unfähig, den Sieg von Argumenten über
Argumente darzustellen, gab die Malerei hier den Sieg himmlischer
Reinheit und Schönheit über das Befangene und Gemeine. Beschrän-
kung des Letztern auf wenige Halbfiguren, mit welchen die bedeut-
sam vortretende Hauptgestalt sich kaum beschäftigt. (Sonst nur all-
zuoft ein Kind in einer grossen Tempelhalle, verloren unter einer
Schaar von Menschen, die doch am Ende ihre Majorität auf rohe Art
beweisen könnten.)
Ein kleiner segnender Christus, vielleicht am ehesten von Salaino
ausgeführt, in der Gal. Borghese, scheint ein unmittelbarer Gedanke
des Meisters zu sein.
Von dem berühmten Bilde der heil. Anna, auf deren Kniee die
sich zu den Kindern abwärts neigende Maria sitzt, ist selbst das Ge-
mälde im Louvre nur eine Ausführung von Schülerhand. Eine klei-
bnere, von Salaino, in den Uffizien, erscheint im Ausdruck so holdselig
als irgend ein Bild des Meisters, auch mit grosser Liebe ausgeführt,
offenbart aber nur um so klarer, wie tief die Schüler in der Zeich-
nung und Modellirung unter ihrem Vorbilde standen.
Ein Originalwerk L.’s ist endlich die braune Untermalung einer
cAnbetung der Könige, in den Uffizien; überfüllt, theilweise nur
erster Entwurf, aber hochbedeutend durch den Contrast der rituellen
Andacht in den vorn Knieenden mit der leidenschaftlichen in den
Nachdrängenden. Fülle des Lebens auf strenger und grossartiger
Grundlage.
Von demjenigen Werke, durch welches Lionardo am stärksten
auf seine Zeitgenossen wirkte, von dem 1503 und 4 gezeichneten
Carton der Schlacht bei Anghiari (für den grosssen Saal im Pal. vec-
chio zu Florenz), ist nur die Erinnerung an eine einzige Gruppe im
Kupferstich gerettet.
Endlich hatte er schon vor 1499 zu Mailand das weltberühmte
dAbendmahl im Refectorium des Klosters von S. Maria delle grazie
vollendet. (Bestes Licht: um Mittag?) Der ruinöse Zustand, der
schon früh im XVI. Jahrhundert begann, hat seine einzige Haupt-
ursache darin, dass L. das Werk in Öl auf die Mauer gemalt hatte.
(Das gegenüberstehende Fresco eines mittelmässigen alten Mailänders,
Montorfano, ist ganz gut erhalten.) Schmähliche Übermalungen, zu-
[865]Abendmahl von S. M. delle Grazie.
mal im vorigen Jahrh., thaten das Übrige. Doch soll nach neuesten
Nachrichten wieder einige Hoffnung vorhanden sein, bei deren Weg-
nahme gut erhaltene originale Theile zu Tage fördern zu können. —
Unter solchen Umständen haben alte Wiederholungen einen besondern
Werth. (Sie sind, hauptsächlich in der Nähe von Mailand, sehr zahl-
reich; eine z. B. in der Ambrosiana; eine Zurückübersetzung in dena
ältern lombardischen Styl, von Araldi, S. 820, h, in der Galerie vonb
Parma.) Von den noch hie und da (vorzüglich in Weimar!) erhaltenen
Originalentwürfen L.’s zu einzelnen Köpfen gilt der Christuskopf inc
der Brera als unzweifelhaft. — Das Gemälde selbst gewährt noch als
Ruine Aufklärungen, die sich weder aus Morghen’s Stich noch aus
Bossi’s Nachbild entnehmen lassen; abgesehen von dem allgemeinen
Ton des Lichtes und der Farben, der noch keineswegs verschwunden
ist, wird man nur hier den wahren Massstab, in welchem diese Ge-
stalten gedacht sind, die Örtlichkeit und die Beleuchtung kennen ler-
nen, vielleicht auch noch den Schimmer der Originalität, den nichts
ersetzen kann, über dem Ganzen schwebend finden.
Die Scene, welche von der christlichen Kunst unter dem Namen
des Abendmahls, hauptsächlich als Wandbild in Klosterrefectorien,
dargestellt worden ist, enthält zwei ganz verschiedene Momente, beide
von jeher und von grossen Künstlern behandelt. Der eine ist die
Einsetzung des Sacramentes (eigenthümlich bei Signorelli, S. 809, b).
Der andere Moment ist das „Unus vestrum“; Christus spricht die Ge-
wissheit des Verrathes aus. Auch hier kann wieder, nach den Wor-
ten der Schrift, entweder die Kenntlichmachung des Verräthers durch
gleichzeitiges Ergreifen des einzutauchenden Bissens (wie bei Andrea
del Sarto, s. unten, Kloster S. Salvi), oder das blosse schmerzliche
Wort Christi das entscheidende Motiv sein. Letzteres bei Lionardo. —
Die Kunst hat kaum einen bedenklichern Gegenstand als diesen, die
Wirkung eines Wortes auf eine sitzende Versammlung. Nur ein
Strahl, in zwölfmaligem Reflex. Würde aber der geistige Inhalt da-
bei gewinnen, wenn die Zwölfe, leidenschaftlich bewegt, ihre Plätze
verliessen, um reichere Gruppen, grössere dramatische Gegensätze zu
bilden? Die Hauptsache, nämlich die Herrschaft der Hauptfigur,
welche doch nur sitzen und sprechen dürfte, ginge ob dem Handeln
der Übrigen unvermeidlich verloren. Selbst der gedeckte Tisch, der
B. Cicerone. 55
[866]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Lionardo und Schule.
wie eine helle Brustwehr die Gestalten durchschneidet, war vom
grössten Vortheil; das was die Zwölfe bewegt, liess sich dem Wesent-
lichen nach schon im Oberkörper ausdrücken. In der ganzen An-
ordnung, den Linien des Tisches und des Gemaches ist Lionardo
absichtlich so symmetrisch als seine Vorgänger; er überbietet sie durch
die höhere Architektonik seines Ganzen in je zwei Gruppen von je
Dreien, zu beiden Seiten der isolirten Hauptfigur.
Das aber ist das Göttliche an diesem Werke, dass das auf alle
Weise Bedingte als ein völlig Unbedingtes und Nothwendiges erscheint.
Ein ganz gewaltiger Geist hat hier alle seine Schätze vor uns aufge-
than und jegliche Stufe des Ausdruckes und der leiblichen Bildung
in wunderbar abgewogenen Grundsätzen zu Einer Harmonie vereinigt.
Den geistigen Inhalt hat Göthe abschliessend auseinandergesetzt. Welch
ein Geschlecht von Menschen ist diess! vom Erhabensten bis ins Be-
fangene, Vorbilder aller Männlichkeit, erstgeborne Söhne der vollen-
deten Kunst. Und wiederum von der bloss malerischen Seite ist Alles
neu und gewaltig, Gewandmotive, Verkürzungen, Contraste. Ja sieht
man bloss auf die Hände, so ist es als hätte alle Malerei vorher im
Traum gelegen und wäre nun erst erwacht.
Von den mailändischen Schülern hat Bernardino Luini (st.
nach 1529) bei seinen frühsten Arbeiten den Lionardo noch nicht ge-
kannt, bei denjenigen seiner mittlern Zeit ihn am treusten reproducirt,
bei den spätern aber auf der so gewonnenen Grundlage selbständig
weiter gedichtet, wobei es sich zeigt, dass er mit unzerstörbarer Naivetät
sich nur das von dem Meister angeeignet hatte, was ihm gemäss war.
Sein Sinn für schöne, seelenvolle Köpfe, für die Jugendseligkeit fand bei
dem Meister sein Genüge und die edelste Entwicklung, und noch
seine letzten Werke geben hievon das herrlichste Zeugniss. Dagegen
ist von der grossartig strengen Composition des Meisters gar nichts
auf ihn übergegangen; man sollte glauben er hätte das Abendmahl
nie gesehen (obschon er es einmal nachgeahmt hat), so linienwidrig
und ungeordnet sind seine meisten bewegten Scenen. Auch drapirt er
oft ganz leichtfertig und gleichgültig. Dafür besass er stellenweise,
[867]Bernardino Luini.
was keine Schule und kein Lehrer verleiht, grossgefühlte, aus der tief-
sten Auffassung des Gegenstandes hervorgegangene Motive.
Über die Umgebung von Mailand hinaus kommen nur kleinere,
vereinzelte Bilder von ihm vor. Ausser den genannten (S. 863) ist
das Bedeutendste die Enthauptung Johannis, in der Tribuna dera
Uffizien, lange dem Lionardo beigelegt, obschon die Bildung der Hände,
die etwas allgemeine Schönheit der Königstochter und ihrer Magd,
die glasige, verblasene Oberfläche des Nackten deutlich auf den Schü-
ler hinwies. Der Henker grinsend und doch nicht fratzenhaft, das
Haupt des Täufers ungemein edel. So charakterisirt die goldene Zeit!
Der in der Nähe hängende Johanneskopf Coreggio’s gehört daneben
dem modernen Naturalismus an. — Im Pal. Capponi zu Florenz: Ma-b
donna, das Kind küssend. — Im Pal. Spinola (Strada nuova) zu Ge-c
nua: herrliche Madonna mit dem segnenden Kind, nebst S. Stephan
und S. Jacobus d. ä., von L. oder einem Mitschüler (nicht wohl C. da
Sesto), mit Benützung des rafaelischen Motives des „réveil de l’enfant“
(Museum von Neapel). — Andere Madonnen a. m. O.
In Mailand enthalten die Privatsammlungen und die Ambrosianad
Manches von ihm; von den Kirchen ist S. Maurizio (Monasteroe
maggiore) vor Allem sehenswerth, wegen der Fresken des XVI.
Jahrh., deren trefflichste (vor Allem die beiden neben dem Haupt-
altar) sein Werk sind. In diesen ruhigen Andachtsbildern, wo ihn
der Gegenstand vor der Regellosigkeit schützte, ist seine Liebenswür-
digkeit übermächtig! Aus der gleichen späten Zeit stammt auch das
beste seiner Frescobilder in der Brera, eine thronende Madonna mitf
S. Antonius und S. Barbara (1521). Die übrigen Fresken sind zum
Theil früh, wie z. B. die noch etwas zaghaften mythologischen und
genreartigen, deren Naivetät noch ganz den Vorabend der goldenen
Zeit bezeichnet. Auch neun Bilder aus dem Leben der Maria und
die schöne Composition der von Engeln getragenen Leiche der heil.
Catharina sind frühe Arbeiten. Dann spätere, vollendete Tafelbilder:
Madonna mit dem Kind und Madonna mit Heiligen und Donatoren 1).
55*
[868]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Lionardo und Schule.
Im Dom von Como zwei grosse Temperabilder (Altäre rechts und
links), die Anbetung der Hirten und die der Könige, mit himmlisch
schönen Einzelheiten; in der Sacristei (jetzt wohl wieder in der Kirche)
bein anderes grosses Altarbild. — In der Kirche zu Saronno Fresken
cvom Jahr 1530. — Endlich in S. Maria degli angeli zu Lugano an
der Hauptwand über dem Choreingang das colossale Frescobild einer
Passion (1529), deren Vordergrund der Gekreuzigte nebst den Sei-
nigen, den Schächern, den Hauptleuten, Soldaten u. s. w. einnimmt.
Mit allen Mängeln Luini’s behaftet ist dieses Gemälde dennoch eines
der ersten von Oberitalien, und schon um einer Gestalt willen des
Aufsuchens würdig, des Johannes, der dem sterbenden Christus sein
Gelübde thut. An mehrern Pfeilern der Kirche schöne einzelne Ma-
lereien L.’s; in einer Capelle rechts (provisorisch) die aus dem um-
gebauten Kloster hiehergebrachte Frescolunette der Madonna mit
beiden Kindern, die letzte von vollster lionardesker Herrlichkeit. (Das
Abendmahl nach Lionardo, ehemals im Refectorium des Klosters, ist
abgenommen und vorläufig irgendwo untergebracht worden.) Wen
diese Schätze einmal Tagelang an das schöne Lugano gefesselt haben,
der wird vielleicht bei diesem Anlass auch die idyllisch-wonnige
Landschaft kennen lernen und den brillantern Comersee gerne Den-
jenigen überlassen, welche nur durch das Brillante glücklich zu ma-
chen sind.
Marco d’Oggionno (Uggione) ist weit am besten, wo er sich
eng an Lionardo anschliesst und dessen Typus mit einer eigenthüm-
dlichen herben Schönheit wiedergiebt. Sturz des Lucifer, in der Brera;
die dortigen Fresken meist sehr verwildert.
Andreo Salaino (S. 863 u. f.) widmete sich am ausschliesslichsten
eder Reproduction des Lionardo. Liebliche Madonna in der Gemälde-
fsammlung der Villa Albani bei Rom. Bilder in der Brera und Am-
brosiana.
Francesco Melzi. Gehört vielleicht ihm die herrliche Ma-
gdonna im Lorbeerschatten, welche in der Brera dem Salaino beige-
legt wird? Sonst sind seine Bilder sehr selten; ebenso die des Gio v.
Ant. Beltraffio.
Cesare da Sesto, der später in die Schule Rafaels überging.
Die besten frühern Bilder in mailändischen Privatsammlungen; ein
[869]A. Salaino; C. da Sesto; Gaud. Ferrari.
schöner jugendlicher Christuskopf in der Ambrosiana. Späteres Haupt-a
bild: die Anbetung der Könige im Museum von Neapel. Er hatte dieb
Art des XV. Jahrh. wohl nie ganz abgelegt, daher noch oder schon
wieder viel müssiger und drückender Reichthum in den Nebensachen,
auch viele müssig-schöne Motive, dabei Mangel an wahrer Körper-
lichkeit und an Raumsinn.
Gaudenzio Vinci. Im Chor der obern Kirche zu Arona glaubtc
Verfasser dieses das namhafte Altarbild dieses Meisters erblickt zu
haben, allein bei nachtdunkelm Mittagsbimmel. (Vgl. Marco Mar-
ziale, S. 830, b.)
Giov. Ant. de Lagaia. Hauptaltar der Kirche des Semina-d
riums zu Ascona (Tessin), das Mittelbild: Madonna mit Heiligen und
trefflichen Donatoren (1519). Letztere besonders verrathen eine enge
Verwandtschaft mit Luini.
Gaudenzio Ferrari (1484—1549), wenn nicht Schüler Lio-
nardo’s, doch unter dessen kenntlichem Einfluss, später in den Schulen
Perugino’s und Rafaels beschäftigt. Einen vollständigen Begriff von
seiner bisweilen grossartigen, oft nur phantastischen und barocken
Darstellungsweise sollen nur die Tafeln und Fresken seiner piemon-
tesischen Heimath geben. (Dom von Novara; S. Christoforo und S. Paoloe
zu Vercelli; — in Varallo: die Capella del sacro monte, wo die Ma-f
lerei nur die Ergänzung zu bemalten plastischen Gruppen bildet, der-
gleichen auch in den Capellen des Stationenweges stehen, S. 649, *;
das Minoritenkloster ebenda mit seinen frühsten Fresken etc.; — dann
in der Kirche von Saronno unweit Mailand die späten Fresken derg
Kuppel.) — In Mailand enthält die Brera u. a. Fresken mit dem Le-h
ben der Maria, zum Theil von sehr edeln und einfach sprechenden
Motiven; doch sieht man, wie ein angeborner Naturalismus und eine
gewisse Grillenhaftigkeit den Künstler hindern, das zu erreichen, wo-
nach er eigentlich strebt: den grossen Styl, und wie seine Manier das
nothwendige Resultat dieses Kampfes ist. Das grosse Gemälde von
der Marter der heil. Catharina ist bunt, überfüllt, ja gemein
chargirt, aber mit einer pomphaften Sicherheit des Sieges vermöge der
prächtigen nackten Gestalt der Heiligen gemalt. Sein letztes Fresco,
die Geisselung in S. M. delle grazie zu Mailand (in einer Capelle desi
rechten Seitenschiffes, 1542) hat wieder etwas wahrhaft grandioses,
[870]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Schule Lionardo’s.
awährend zwei späte Temperabilder im Dom von Como mehr eine
missverstandene Gewaltsamkeit an den Tag legen. Das allegorische
bBild in der Gal. Sciarra zu Rom ist wenigstens durch seine unge-
schickt phantastische Landschaft interessant.
Von den Nachfolgern Gaudenzio’s hat Bernardino Lanini
c(Brera und verschiedene Kirchen in Mailand) eine sehr gute Zeit, eine
wahre Energie in Formen und Farben gehabt. Späteres ist sehr ma-
nierirt. — Lomazzo und Figino gehören schon zu den eigentlichen
Manieristen.
Eine Anzahl Halbfiguren aus dem Gebiete des passiven Aus-
druckes (Eccehomo, Mater dolorosa, Magdalena, Catharina etc.) ge-
hören theils dem Aurelio Luini, theils einem gewissen Gian Pe-
drini, Schüler Lionardo’s, theils dem Andrea Solario, Schüler
Gaudenzio’s. Der Behandlung nach sind sie von verschiedenem, zum
dTheil von hohem Werth. (Pedrini’s Magdalena, Brera). Diese von
überirdischer Sehnsucht oder von heiligem Schmerz bewegten Einzel-
charaktere beginnen mit Pietro Perugino und den genannten Mailän-
dern und gewinnen von Zeit zu Zeit eine grosse Verbreitung in der
Kunst. Man muss diese frühern mit denjenigen eines Carlo Dolci
vergleichen, um ihren wahren Werth zu erkennen.
Michelangelo Buonarroti (1474—1563), der Mensch des
Schicksals für die Baukunst und für die Sculptur, ist es auch für die
Malerei. Er hat sich selber vorzugsweise als Bildhauer betrachtet
(Seite 665); in einem seiner Sonette sagt er bei Anlass der Decken-
malerei in der Sistina: „essendo … io non pittore“. Allein für den
Ausdruck derjenigen idealen Welt, die er in sich trug, gewährte die
Malerei doch so ungleich vielseitigere Mittel als die Sculptur, dass
er sie nicht entbehren konnte. Gegenwärtig verhält es sich wohl im
Allgemeinen so, dass wer ihm von Seiten der Sculptur entfremdet ist,
von Seiten der Malerei immer wieder den Zugang zu ihm sucht und
findet.
[871]Michelangelo Buonarroti.
Wie er die Formen bildete und was er damit im Ganzen wollte,
ist oben bei Anlass der Sculptur angedeutet worden. Für die Ma-
lerei kommen noch besondere Gesichtspunkte in Betracht. Michel-
angelo lernte zwar in der Schule Ghirlandajo’s die Handgriffe, ist aber
in seiner Auffassung ohne alle Präcedentien 1). Es lag ihm ganz ferne,
auf irgend eine bisherige Andacht, einen bisherigen kirchlichen Typus,
auf die Empfindungsweise irgend eines andern Menschen einzugehen
oder sich dadurch für gebunden zu erachten. Das grosse Capital der
kirchlichen Kunstbräuche des Mittelalters existirt für ihn nicht. Er
bildet den Menschen neu, mit hoher physischer Gewaltigkeit, die an
sich schon dämonisch wirkt, und schafft aus diesen Gestalten eine
neue irdische und olympische Welt. Sie äussern und bewegen sich
als eine von allem Frühern verschiedene Generation. Was bei den
Malern des XV. Jahrh. Charakteristik heisst, findet bei ihnen schon
desshalb keine Stelle, weil sie als ganzes Geschlecht, als Volk auf-
treten; wo aber das Persönliche verlangt wird, ist es ein ideal ge-
schaffenes, eine übermenschliche Macht. Auch die Schönheit des
menschlichen Leibes und Angesichtes kommt nur im Gewande jener
Gewaltigkeit zum Vorschein; es liegt dem Meister mehr daran, dass
seine Gestalten der höchsten Lebensäusserungen fähig, als dass sie
reizend seien.
Wenn man weit aus dem Bereiche dieser Werke entfernt ist und
Athem geschöpft hat, so kann man sich auch gestehen, was ihnen
fehlt, und wesshalb man nicht mit und unter denselben leben könnte.
Ganze grosse Sphären des Daseins, welche der höchsten künstlerischen
Verklärung fähig sind, blieben dem Michelangelo verschlossen. Alle
die schönsten Regungen der Seele (statt sie aufzuzählen genügt eine
Hinweisung auf Rafael) hat er bei Seite gelassen; von all dem was
uns das Leben theuer macht, kommt in seinen Werken wenig vor.
Zugleich giebt diejenige Formenbildung, welche für ihn die ideale
ist, nicht sowohl eine ins Erhabene und Schöne vereinfachte Natur,
als vielmehr eine nach gewissen Seiten hin materiell gesteigerte.
Keine noch so hohe Beziehung, kein Ausdruck der Macht kann es
[872]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
vergessen machen, dass gewisse Schulterbreiten, Halslängen u. a.
Bildungen willkürlich und im einzelnen Fall monströs sind. Ange-
sichts der Werke selbst wird man allerdings immer geneigt sein, dem
Michelangelo ein eigenes Recht und Gesetz neben dem aller übrigen
Kunst zuzugestehen. Die Grösse seiner Gedanken und Gedanken-
reihen, die freie Schöpferkraft, mit welcher er alle denkbaren Motive
des äussern Lebens ins Dasein ruft, machen das Wort Ariost’s er-
klärlich: Michel più che mortale angel divino.
Von seinem ersten grossen Werke, jenem im Wetteifer mit Lio-
nardo geschaffenen Carton für den Palazzo vecchio — ebenfalls Scenen
aus der Schlacht von Anghiari — sind nur dürftige Erinnerungen auf
unsere Zeit gekommen. Baccio Bandinelli hat denselben aus Neid
zerschnitten.
In der Blüthe seiner Jahre unternahm Michelangelo die Ausmalung
ades Gewölbes der sixtinischen Capelle in Vatican (etwa
1508—1511; von welcher Zeit die durchaus eigenhändige Ausführung
22 Monate in Anspruch nahm). (Bestes Licht: 10—12 Uhr.) Die
Aufgabe bestand in lauter Scenen und Gestalten des alten Testamen-
tes, mit wesentlichem Bezug auf dessen Verheissung. Er stufte die-
sen Inhalt vierfach ab: in Geschichten, — in einzelne historische Ge-
stalten, — in ruhende Gruppen, — und in architektonisch belebende
Figuren. Die Geschichten, welche ein Dasein in einem perspectivisch
bestimmten, nicht bloss idealen Raum verlangen, vertheilte er an die
mittlere Fläche des Gewölbes. (Eine Ausnahme machen die vier auf
sphärische dreiseitige Flächen gemalten Eckbilder der Capelle, welche
die wunderbaren Rettungen des Volkes Israel vorstellen: die Ge-
schichten der ehernen Schlange, des Goliath, der Judith und der
Esther. So wunderbar aber das Einzelne, zumal in der Scene der
Judith, gedacht und gemalt sein mag, so findet sich doch das Auge
an diesen Stellen schwer in das Historisch-Räumliche hinein.) — Die
Propheten und Sibyllen mit den sie begleitenden Genien erhielten ihre
Stelle an den sich abwärts rundenden Theilen des Gewölbes; — die
Gruppen der Vorfahren Christi theils an den Gewölbekappen über
den Fenstern, theils in den Lunetten welche die Fenster umgeben.
Diese Theile sind sämmtlich nach einem idealen Raumgefühl com-
ponirt. — Diejenigen Figuren endlich, welche schon sehr passend „die
[873]Gewölbe der sixtinischen Capelle.
belebten, persönlich gewordenen Kräfte der Architektur“ genannt wor-
den sind, liess er durch den ganzen Organismus hin immer so und
immer da auftreten, wie und wo sie nöthig waren. Unter den Pro-
pheten und Sibyllen sind es derbe Kindergestalten in Naturfarbe,
welche die Inschrifttafeln hoch in den Händen tragen oder sie mit
dem Haupte stützen. An beiden Seitenpfosten der Throne der Pro-
pheten und Sibyllen sieht man je zwei nackte Kinder, Knabe und
Mädchen, in Steinfarbe welche die Sculptur nachahmt. Über den
Gewölbekappen oberhalb der Fenster nehmen liegende und lehnende
athletische Figuren in Bronzefarbe die Bogenfüllung ein. Letztere sind
je zu zweien fast symmetrisch angeordnet, überhaupt am strengsten
architektonisch gedacht. Zuletzt, wo von beiden Seiten die colossalen
Gesimse sich nähern und Raum lassen für die Reihe der Mittelbilder,
sitzen auf Postamenten nackte männliche Figuren in natürlicher Farbe,
je zweie halten die Bänder, an welchen der zwischen ihnen befind-
liche Medaillon von Erzfarbe mit Reliefs befestigt ist; einige tragen
auch reiche Laub- und Fruchtgewinde. Ihre Stellungen sind die frei-
sten und leichtesten; sie tragen nichts, weil es dort nach der idealen
Rechnung nichts mehr zu tragen giebt, weil überhaupt die architekto-
nischen Kräfte nicht schlechtweg versinnlicht, sondern poetisch sym-
bolisirt werden sollten. (Karyatiden oder Atlanten, Kopf gegen Kopf
gestemmt, wären z. B. eine Versinnlichung gewesen.) Diese sitzenden
Gestalten, isolirt betrachtet, sind von einer solchen Herrlichkeit, dass
man sie für die Lieblingsarbeit des Meisters in diesem Raum zu halten
versucht ist. Aber ein Blick auf das Übrige zeigt, dass sie doch nur
zum Gerüste gehören.
In vier grössern und fünf kleinern viereckigen Feldern, der Mitte
des Gewölbes entlang, sind die Geschichten der Genesis dar-
gestellt. Zuerst unter allen Künstlern fasste Michelangelo die Schöpfung
nicht als ein blosses Wort mit der Geberde des Segens, sondern als
Bewegung. So allein ergaben sich für die einzelnen Schöpfungs-
akte lauter neue Motive. In erhabenem Fluge schwebt die gewaltige
Gestalt dahin, begleitet von Genien, welche derselbe Mantel mit um-
wallt; — so rasch, dass ein und dasselbe Bild zwei Schöpfungsakte
(für Sonne und Mond und für die Pflanzen) vereinigen darf. Aber
der höchste Augenblick der Schöpfung (und der höchste Michel-
[874]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
angelo’s) ist die Belebung Adams. Von einer Heerschaar jener gött-
lichen Einzelkräfte, tragenden und getragenen, umschwebt, nähert sich
der Allmächtige der Erde und lässt aus seinem Zeigefinger den Fun-
ken seines Lebens in den Zeigefinger des schon halb belebten ersten
Menschen hinüberströmen. Es giebt im ganzen Bereiche der Kunst
kein Beispiel mehr von so genialer Übertragung des Übersinnlichen
in einen völlig klaren und sprechenden sinnlichen Moment. Auch die
Gestalt des Adam ist das würdigste Urbild der Menschheit.
Die ganze spätere Kunst hat sich von dieser Auffassung Gottes
des Vaters beherrscht gefühlt, ohne sie doch erreichen zu können.
Am tiefsten ist Rafael (in den ersten Bildern der Loggien) darauf
eingegangen.
Die nun folgenden Scenen aus dem Leben der ersten Menschen
erscheinen um so gewaltiger, je einfacher sie die uranfängliche Exi-
stenz darstellen. „Sündenfall und Strafe“ sind mit ergreifender Gleich-
zeitigkeit auf Einem Bilde vereinigt; die Eva im Sündenfall zeigt,
welche unendliche Schönheit dem Meister zu Gebote stand. Als Com-
position von wenigen Figuren steht „Noahs Trunkenheit“ auf der
Höhe alles Erreichbaren. Die „Sündfluth“ contrastirt zwar nicht glück-
lich mit dem Massstab der übrigen Bilder, ist aber reich an den wun-
derwürdigsten Einzelmotiven.
Die Propheten und Sibyllen, die grössten Gestalten dieses
Raumes, erfordern ein längeres Studium. Sie sind keinesweges alle
mit derjenigen hohen Unbefangenheit gedacht, welche aus einigen der-
selben so überwältigend spricht. Die Aufgabe war: zwölf Wesen
durch den Ausdruck höherer Inspiration über Zeit und Welt in das
Übermenschliche emporzuheben. Die Gewaltigkeit ihrer Bildung allein
genügte nicht; es bedurfte abwechselnder Momente der höchsten gei-
stigen und zugleich äusserlich sichtbaren Art. Vielleicht überstieg
dieses die Kräfte der Kunst. — Die je zwei Genien, welche jeder Ge-
stalt beigegeben sind, stellen nicht etwa die Quelle und Anregung der
Inspiration vor, sondern Diener und Begleiter; sie sollen durch ihre
Gegenwart die Gestalt heben, als eine überirdische bezeichnen; durch-
gehends sind sie in Abhängigkeit von derselben geschildert. — Von
unvergleichlicher Herrlichkeit ist der gramverzehrte Jeremias; oder
Joel, den beim Lesen die stärkste innere Erregung ergreift; der wie
[875]Gewölbe der sixtinischen Capelle.
vom Traum erweckte Jesajas; Jonas mit dem Ausdruck eines wieder-
gewonnenen mächtigen Lebens; die Sibylla delphica, welche schon die
Erfüllung ihrer Weissagung vor sich zu sehen scheint — von allen
Gestalten des Meisters diejenige, welche Gewaltigkeit und Schönheit
im höchsten Verein offenbart. — Abgesehen von der innern Bedeu-
tung ist durchgängig genau auf die Gewänder zu achten, welche von
der idealen Aposteltracht durch eine absichtliche (orientalische) Nuance
unterschieden, überaus schön geschwungen und gelegt, und in voll-
kommenstem Einklang mit Stellung und Bewegung sind, sodass jede
Falte ihre (vielleicht hie und da zu bewusst berechnete?) Causalität
hat. — (Gewisse dumpfe Töne der Carnation waren Michelangelo
eigen und finden sich auch auf seinem einzigen Tafelbilde, wovon
unten, wieder.)
Von den Vorfahren Christi zeigen diejenigen in den Lunetten
die leichteste Meisterschaft in monumentaler Behandlung des ungün-
stigsten Raumes. Geschichtlos, wie die meisten derselben sind, existi-
ren sie bloss in Beziehung auf ihren göttlichen Abkömmling und zeigen
desshalb den Ausdruck des ruhigen, gesammelten Harrens. Schon hier
kommen einige wunderbar schöne, einfache Familienscenen vor. —
In diesem Betracht sind aber einzelne Darstellungen in den dreieckigen
Gewölbekappen vielleicht noch ausserordentlicher; ja es findet sich
unter diesen auf der Erde sitzenden Eltern mit Kindern mehr als Ein
Motiv des höchsten Ranges, obwohl der Ausdruck nirgends die In-
nigkeit oder sonst irgend einen activen Affect erreicht.
Dieses ist die Stiftung Papst Julius II. Mit Anspornen und Nach-
geben, mit Streit und mit Güte erhielt er was vielleicht kein Anderer
von Michelangelo erhalten hätte. Sein Andenken ist in der Kunst ein
hochgesegnetes.
Viele Jahre später (1534—1541) unter Papst Paul III malte
Michelangelo an der Hinterwand der Capelle das jüngste Gericht.a
Man muss zuerst darüber im Klaren sein, ob man überhaupt die
Darstellung dieses Momentes für möglich und wünschbar hält. So-
dann, ob man irgend eine Darstellung würdigen kann, welche nicht
durch einen sofortigen Hauptschlag, z. B. einen raffinirten Lichteffect
(in Martin’s Manier) die Phantasie gefangen nimmt; schon die Aus-
führung in Fresco verbot diess hier. Endlich, ob man die physischen
[876]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
Kräfte besitzt, dieses ganze ungeheure (stellenweise sehr verdorbene)
Bild nach Gruppirung und Einzelmotiven gewissenhaft durchzugehen.
Dasselbe will nicht nach dem ersten Eindruck, sondern nach dem
letzten beurtheilt sein.
Der grosse Hauptfehler kam tief aus Michelangelo’s Wesen her-
vor. Da er längst gebrochen hatte mit Allem was kirchlicher Typus,
was religiöser Gemüthsanklang heisst, da er den Menschen — gleich-
viel welchen — immer und durchgängig mit erhöhter physischer Macht
bildet, zu deren Äusserung die Nacktheit wesentlich gehört, so existirt
gar kein kenntlicher Unterschied zwischen Heiligen, Seligen und Ver-
dammten. Die Bildungen der obern Gruppen sind nicht idealer, ihre
Bewegungen nicht edler als die der untern. Umsonst sucht man nach
jener ruhigen Glorie von Engeln, Aposteln und Heiligen, welche in
andern Bildern dieses Inhaltes schon durch ihr blosses symmetrisches
Dasein die Hauptgestalt, den Richter, so sehr heben, vollends aber bei
Orcagna und Fiesole mit ihrem wunderbaren Seelenausdruck einen
geistigen Nimbus um ihn ausmachen. Nackte Gestalten, wie Michel-
angelo sie wollte, können einer solchen Stimmung gar nicht als Träger
dienen; sie verlangen Gestus, Bewegung und eine ganz andere Ab-
stufung von Motiven. Auf die letztern hatte es der Meister eigentlich
abgesehen. Es sind zwar in dem Werke viele und sehr grosse poe-
tische Gedanken; von den beiden obern Engelgruppen mit den Mar-
terwerkzeugen ist diejenige links herrlich in ihrem Heranstürmen; in
den emporschwebenden Geretteten ringt sich das Leben wunderbar
vom Tode los; die schwebenden Verdammten sind in zwei Gruppen
dargestellt, wovon die eine durch kämpfende Engel mit Gewalt zu-
rückgedrängt, durch Teufel abwärts gerissen, eine ganz grossartig dä-
monische Scene bildet, die andere aber jene Gestalt des tiefsten Jam-
mers darstellt, die von zwei sich anklammernden bösen Geistern wie
von einem Schwergewicht hinunter gezogen wird. Die untere Scene
rechts, wo ein Dämon mit erhobenem Ruder die armen Seelen aus
der Barke jagt, und wie sie von den Dienern der Hölle in Empfang
genommen werden, ist mit grandioser Kühnheit aus dem Unbestimm-
ten in einen bestimmten sinnlichen Vorgang übertragen u. s. w. —
Allein so bedeutend dieser poetische Gehalt sich bei näherer Betrach-
tung herausstellt, so sind doch wohl die malerischen Gedanken im
[877]Das jüngste Gericht. Die Capella Paolina.
Ganzen eher das Bestimmende gewesen. Michelangelo schwelgt in
dem prometheischen Glück, alle Möglichkeiten der Bewegung, Stellung,
Verkürzung, Gruppirung der reinen menschlichen Gestalt in die Wirk-
lichkeit rufen zu können. Das jüngste Gericht war die einzige Scene,
welche hiefür eine absolute Freiheit gewährte, vermöge des Schwe-
bens. Vom malerischen Gesichtspunkt aus ist denn auch sein Werk
einer ewigen Bewunderung sicher. Es wäre unnütz, die Motive ein-
zeln aufzählen zu wollen; kein Theil der ganzen grossen Composition
ist in dieser Beziehung vernachlässigt; überall darf man nach dem
Warum? und Wie? der Stellung und Bewegung fragen und man wird
Antwort erhalten.
Wenn nun zumal die Gruppe um den Richter mit ihrem Vor-
zeigen der Marterinstrumente, mit ihrem brutalen Ruf um Vergeltung
einigen Widerwillen erwecken mag; wenn der Weltrichter auch nur
eine Figur ist wie alle andern, und zwar gerade eine der befangen-
sten; — immer noch bleibt das Ganze einzig auf Erden 1).
Die beiden grossen Wandgemälde in der nahen Capella Pao-a
lina, Pauli Bekehrung und die Kreuzigung des Petrus, aus der spä-
testen Zeit Michelangelo’s, sind durch einen Brand entstellt und so
schlecht beleuchtet (vielleicht am erträglichsten Nachmittags?) dass
man sie besser aus den Stichen kennen lernt. In dem erstern ist die
Geberde des oben erscheinenden Christus von einer zwingenden Ge-
walt, der gestürzte Paulus eines der trefflichsten Motive des Meisters.
Staffeleibilder giebt es bekanntlich keine von seiner Hand,
mit einziger Ausnahme eines frühen Rundbildes der heil. Familieb
in der Tribuna der Uffizien. Die gesuchte Schwierigkeit (die knieende
Maria hebt das Kind vom Schooss des hinter ihr sitzenden Joseph)
ist nicht ganz besiegt; mit einer Gesinnung dieser Art soll man über-
[878]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
haupt keine heiligen Familien malen. Der Hintergrund ist, wie bei
Luca Signorelli, mit Aktfiguren ohne nähere Beziehung bevölkert. Der
kleine Johannes läuft an der steinernen Brustwehr mit einer spötti-
schen Miene vorbei.
Im Pal. Buonarroti zu Florenz (S. 665, a) sind eine Anzahl Zeich-
nungen ausgestellt, unter welchen die einer säugenden Madonna
besonders schön ist; — ein früherer Entwurf des Weltgerichtes; —
ein vielleicht von M. begonnenes grosses Bild der heil. Familie, das
er aber den vielen Verzeichnungen und Roheiten zufolge schwerlich
bselbst ausgemalt haben kann. — In der Brera zu Mailand die ehemals
in Rafaels Besitz befindliche (und ihm selber trotz der von seiner Hand
herrührenden Unterschrift „Michelle angelo bonarota“ beigelegte) Tusch-
zeichnung des sog. Götterschiessens, il bersaglio de’ Dei; nackte
Gestalten, aus der Luft niedersausend, zielen mit höchster Leidenschaft
nach einer mit einem Schilde gegen ihre Pfeile geschützten Herme,
indess Amor auf der Seite schlummert; eine herrliche Gruppe, aus
bereits knieenden, laufenden und noch schwebenden Figuren zu einem
unvergleichlichen Ganzen gebildet. Rafael mochte ein anregendes Pro-
blem darin finden, dieselbe durch einen seiner Schüler in Fresco, und
zwar von der umgekehrten Seite, ausführen zu lassen; wenigstens ist
cdiess der Inhalt eines der drei Frescobilder, welche aus der sog. Villa
di Raffaelle in den Pal. Borghese zu Rom übergegangen sind.
Andere Compositionen existiren nur in Ausführungen von der
dHand der Schüler. — Ich weiss nicht, ob das Bild der drei Parzen,
im Pal. Pitti (ausgeführt 1) von Rosso Fiorentino) unbedingt in diese
Categorie gehört; Michelangelo hätte einen solchen Gegenstand wohl
egewaltiger aufgefasst. — Mehrmals (z. B. Pal. Sciarra und Pal. Cor-
sini in Rom) kommt eine heil. Familie von besonders feierlicher In-
tention vor; Maria, auf einer Art von Thron sitzend, legt eben das
Buch weg und sieht auf das fest schlafende, grandios auf ihrem Knie
liegende Kind; von hinten schauen lauschend herüber Joseph und der
fkleine Johannes. — In der Sacristei des Laterans: eine Verkündigung,
gvon Marcello Venusti ausgeführt. — Christus am Ölberg, nicht eben
glücklich in zwei Momente geschieden, u. a. im Pal. Doria zu Rom.
[879]Einzelne Compositionen.
— Von der Pietà und dem Crucifixus weiss ich kein Exemplar in
ital. Sammlungen anzugeben, ebensowenig von den berühmten mytho-
logischen Compositionen: Ganymed, Leda, Venus von Amor geküsst;
von letzterer soll eine Wiederholung im Museum von Neapel sein 1).a
Einen höhern Rang nehmen natürlich solche Bilder ein, welche
Michelangelo unter seinen Augen ausführen liess, hauptsächlich durch
Sebastian dal Piombo. Das wichtigste derselben, die Erweckung des
Lazarus, befindet sich in London; — dann folgt die Geisselungb
Christi in S. Pietro in montorio zu Rom (1. Cap. r. in Öl auf die
Mauer gemalt); hier ist das Unleidliche gross gegeben, die bewegten
Schergen heben die duldende Hauptfigur unbeschreiblich wirksam hervor.
Die umgebenden Malereien sollen ebenfalls nach M.’s Entwürfen aus-
geführt sein. (Eine gute kleine Wiederholung im Pal. Borghese.) —c
Endlich wird bei der Kreuzabnahme des Daniele da Volterrad
in Trinità de’ monti (1. Cap. l.) immer der Gedanke erwachen, dass
Michelangelo das Beste daran erfunden habe, indem alle übrigen Werke
des Daniele erstaunlich weit hinter diesem zurückstehen. Gar zu wun-
derbar schön ist das Heruntersinken des Leichnams, um welchen die
auf den Leitern Stehenden gleichsam eine Aureola bilden; gar zu vor-
trefflich motivirt und vertheilt sind die Bewegungen der Letztern.
Auch die untere Gruppe um die ohnmächtige Madonna ist vorzüglich,
setzt aber schon das pathologische Interesse an die Stelle des rein
Tragischen. (Das ganze Bild stark verletzt und restaurirt.)
Eine eigentliche Schule hat Michelangelo nicht gehabt; er führte
seine Fresken ohne Gehülfen aus. Denjenigen, welche sich (meist in
seiner spätesten Zeit) auf irgend eine Weise an ihn anschlossen, wer-
den wir unter den Manieristen wieder begegnen. Sein Beispiel war
auch in der Malerei das verhängnissvollste. Niemand hätte Das wollen
dürfen, was er gewollt und mit seiner riesigen Kraft durchgeführt
hatte; Jedermann aber wünschte doch solche Wirkungen hervorzu-
bringen wie Er. Als er starb waren alle Standpunkte in den sämmt-
lichen Künsten verrückt; Alle strebten ins Unbedingte hinaus, weil
[880]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Fra Bartolommeo.
sie nicht wussten, dass Alles was bei ihm so aussah, durch sein
innerstes persönliches Wesen bedingt gewesen war.
Die florentinische Malerei blüht mit Lionardo und Michelangelo
noch nicht vollständig aus. Die unermesslichen Lebenstriebe, welche
das XV. Jahrh. in dieser Weihestätte der Kunst geweckt und aus-
gebildet hatte, erreichen noch in zwei andern grossen Meistern eine
Vollendung, welche ganz eigener Art und von jenen beiden wesentlich
unabhängig ist.
Der eine ist Fra Bartolommeo (eigentlich Baccio della Porta,
1469—1517), ursprünglich Schüler des Cosimo Rosselli; seine Be-
freiung aus den Banden des XV. Jahrhunderts verdankte er Lionardo;
sein positiver Inhalt ist ihm eigen 1). Er zuerst hat das hohe Gefühl
vollständig zu empfinden und wieder zu erwecken vermocht, welches
aus dem Zusammenklang grossartiger Charaktere, reiner imposanter
Gewandungen und einer nicht bloss symmetrischen, sondern architek-
tonisch aufgebauten Gruppirung entsteht. Seine persönliche Empfin-
dung hat nicht immer genügt, um dieses gewaltige Gerüste völlig zu
beleben, und hierin steht er dem Lionardo nach, welcher immer Schön-
heit, Leben und Charakter an Einem Stücke giebt. Auch würde er
für bewegte Compositionen überhaupt nicht ausgereicht haben. Allein
was das Altarwerk im engern Sinn verlangt, hat Keiner mit vollkomm-
nerer Hoheit dargestellt.
Die Freiheit und Grösse seiner Charakterauffassung lernt man im
aEinzelnen kennen aus einer Anzahl von Heiligenköpfen al Fresco in
der Academie zu Florenz; wozu noch ein herrliches Eccehomo im
[881]Fresken und Altarbilder.
Pal. Pitti kömmt. Ohne Lionardo’s unendliche Energie sind es docha
so gross aufgefasste Menschenbilder, zum Theil von wahrhaft himm-
lischem Ausdruck. Zwei runde Frescogemälde in derselben Academie,b
Madonnen, sind bei ihrer flüchtigen Ausführung als Linienprobleme
merkwürdig; in dem einen hat er offenbar hauptsächlich die vier Hände
und die beiden Füsse schön zu ordnen gestrebt. — Für den Einzel-
ausdruck ist sonst seine Kreuzabnahme (Pal. Pitti) das Haupt-c
werk. Mit welcher Macht wirken hier die beiden Profile des höchst
edel gebildeten Christus und der alles vergessenden Mutter, die ihm
noch den letzten Kuss auf die Stirne drücken will! mit welcher un-
trüglichen dramatischen Sicherheit ist der Schmerz des Johannes durch
Beimischung der körperlichen Anstrengung unterschieden! Kein Kla-
gen aus dem Bilde hinaus wie bei Van Dyck; keine vermeintliche Stei-
gerung des Eindruckes durch Häufung der Figuren wie bei Perugino.
Die übrigen Bilder sind fast sämmtlich grandiose Constructionen,
mit strenger und im Einzelnen sehr schön aufgehobener Symmetrie.
Wo die Charaktere aus seinem Innern kommen, sind es lauter Werke
ersten Ranges.
Leider ist die einzige grössere Scene dieser Art, das Fresco einesd
jüngsten Gerichtes hei S. Maria la nuova (in einem Verschlag in
dem Hofe links von der Kirche) beinahe erloschen. Doch erkennt
man in dem herrlichen obern Halbkreise von Heiligen dieselbe Inspi-
ration, welche Rafael das Fresco von S. Severo in Perugia (1506)
und die obere Gruppe der Disputa (1508) eingab. Wenn es ein spä-
tes Werk ist, so entstand es unter der Rückwirkung Rafaels, der
wenige Jahre vorher gerade in dieser Beziehung vom Frate gelernt
zu haben scheint.
Von Altarbildern ist dasjenige im Dom von Lucca (hinterstee
Cap. links), eine Madonna mit zwei Heiligen, früh und ganz beson-
ders schön und seelenvoll. (Dagegen die grosse späte Madonna dellaf
misericordia in S. Romano zu Lucca, links, zwar im Einzelnen vor-
trefflich, als Ganzes aber weniger unbefangen.) — In S. Marco zug
Florenz (2. Alt. r.) ein ebenfalls frühes sehr grosses Bild, welches
B.’s Compositionsweise im Augenblick ihrer nahen Vollendung zeigt;
die Madonna glänzend edel und leicht gestellt; die beiden knieenden
B. Cicerone. 56
[882]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Fra Bartolommeo.
Frauen ein ewiges Vorbild symmetrischer Profilgestalten; die Putten
noch in der Weise des XV. Jahrh. mit Emporheben des Vorhanges
beschäftigt, aber schon von dem höhern Geschlecht des XVI. Jahrh.;
die Farbe, wo sie erhalten ist, von tiefem Goldton. (In dem an-
astossenden Kloster war 1854 von B. nur die einfach schöne Lunette
über dem hintern Eingang des Refectoriums sichtbar: Christus mit
bden beiden Wanderern nach Emmaus.) — In der Academie die dem
heil. Bernhard erscheinende Madonna (etwa 1504; noch mit einigen
herben Zügen der Köpfe); hier ist die Gruppe der Engel um die Ma-
donna mit der gewohnten symmetrischen Strenge componirt, aber sehr
schön ins Profil (oder Dreiviertelansicht) gesetzt und zugleich ihr
Schweben eben so leicht als erhaben ausgedrückt, wovon man sich
durch einen vergleichenden Blick auf die nächsten Engeldarsteller des
XV. Jahrh. überzeugen kann. — Das Vollkommenste, was B. gelei-
cstet, ist dann vielleicht der Auferstandene mit 4 Heiligen (Pal.
Pitti); grandioser und weihevoller ist die Geberde des Segnens viel-
leicht nie dargestellt worden; die Heiligen sind erhabene Gestalten;
die beiden Putten, welche einen runden Spiegel mit dem Bilde der
Welt (als Landschaft) halten, schliessen als Basis diese einfache und
strenge Composition in holdseligster Weise ab. — Ebenda: ein grosses,
reiches Altarbild aus S. Marco (wo jetzt eine Copie steht), welches
als offenbar spätes Werk in den Charakteren etwas allgemein, auch
durch die braune Untermalung in den Schatten sehr geschwärzt ist,
aber ein Wunder der Composition; die Engel, welche den Baldachin
tragen, entsprechen strenge der halbkreisförmigen untern Gruppe (vgl.
dRafaels Disputa). — In den Uffizien ist schon ein ganz kleines Rund-
bildchen, der Salvator auf zwei Engeln und einem Cherub schwebend,
als Construction sehr merkwürdig; noch mehr aber (ebendaselbst) die
grosse braune Untermalung des Bildes der h. Anna, der Maria
und vieler Heiligen, glücklicher Weise als Untermalung ganz vollen-
det, auch in den durchgängig schönen und bedeutenden Charakteren,
so dass die vollkommene Architektonik nicht nur überall geistvoll
aufgehoben, sondern auch mit dem edelsten individuellen Leben er-
füllt ist.
Von einzelnen Gestalten ist der colossale heil. Marcus (Pal. Pitti)
die wichtigste. Allein hier betritt der Frate denselben Abweg, auf
[883]Altarbilder. Einzelgestalten. Die Schüler.
welchem man den Michelangelo findet: er schafft ein ungeheures Mo-
tiv aus bloss künstlerischen Gründen; auch in dem Kopf ist etwas
falsch Übermenschliches; die Draperie aber, auf welche es eigentlich
abgesehen war, ein Wunderwerk. — Die zwei Propheten in der Tri-a
buna der Uffizien haben ebenfalls etwas Unreines; — die beiden stehen-
den Apostel im Quirinal zu Rom, welche Rafael vollendete, habe ichb
seit den Vorbereitungen zum letzten Conclave 1846 nicht mehr ge-
sehen und auch damals nur flüchtig. Ein ganz herrliches Bild aber,
in welchem Charakter, momentaner Ausdruck und tizianische Farben-
kraft zusammenwirken, ist die Figur des h. Vincentius Ferrerius inc
der Academie, deren Cartonzimmer ebenfalls noch vorzügliche Einzel-
gestalten des Frate enthält.
Mit Benützung seiner Entwürfe gemalt, theilweise auch von ihm
selbst ausgeführt: die grosse Himmelfahrt Mariä im Museum von Nea-d
pel; — auch wohl die grosse thronende Madonna mit 7 Heiligen ine
der Academie zu Florenz; — die Pietà (ebenda) ist wohl ein blosses
Schülerwerk.
Von den Schülern ist nur Mariotto Albertinelli (1475—1520)
bedeutend. Vielleicht bevor er den Frate kannte, malte er das schöne
Rundbild im Pal. Pitti, Madonna das Kind anbetend, welchem einf
Engel ein Kreuz hinreicht. Dann folgt unter dem beginnenden Ein-
fluss des Frate das Altarfresco des Gekreuzigten im Capitelsaal derg
Certosa (1505); endlich aus seiner schönsten Zeit die in zwei Figuren
wahrhaft melodisch abgeschlossene „Heimsuchung“ in den Uffizien,h
und die thronende Madonna mit zwei knieenden und zwei stehen-i
den Heiligen, in der Academie; Werke, welche man nur den grössten
Meistern zuzutrauen versucht ist. In den andern Bildern derselben
Sammlung geht er mit vollster Anstrengung auf die Constructionsweise
seines Meisters ein; mit grösstem Erfolge in der „Dreieinigkeit“; be-
fangener, aber zum Theil mit dem schönsten und edelsten Ausdruck
in der grossen Verkündigung (1510).
Die Nonne Plautilla Nelli interessirt nur da, wo die Motive
des Frate (dessen Zeichnungen sie erbte) deutlich aus ihren Bildern
hervorsehen. — Der gute Fra Paolino da Pistoja pflegt dem
Rückfall ins Schwächlich-Perugineske zu unterliegen. (Madonna della
56*
[884]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Andrea del Sarto.
acintola in der florentinischen Academie; — Crucifixus mit Heiligen
bim Kreuzgang von S. Spirito zu Siena.)
Neben Fra Bartolommeo behauptet Andrea del Sarto (1488
bis 1530) sein eigenes Mass von Grösse. Ein wunderbarer Geist, nur
einseitig begabt, aber einer der grössten Entdecker im Gebiet der
Kunstmittel.
Es fehlt ihm im Ganzen dasjenige Element, welches man die
schöne Seele nennen möchte. Die Antriebe, welche ihn beherrschen,
sind wesentlich künstlerischer Natur; er löst Probleme. Daher die
Gleichgültigkeit gegen die höhere Schönheit des Ausdruckes, das Sich-
abfinden mit einem herrschenden Typus, der namentlich seine Ma-
donnen und seine Putten so kenntlich macht und selbst durch seine
Charakterköpfe als bestimmter Bau des Schädels, der Augen, der
Kinnbacken hindurchgeht. Wo derselbe zum Gegenstand passt, wirkt
cer erhaben; einem jugendlichen Johannes d. T. (P. Pitti, Halbfigur)
verleiht er z. B. jene strenge leidenschaftliche Schönheit, die für diese
Gestalt wesentlich ist; ja bisweilen nimmt er eine hohe sinnliche Lieb-
dlichkeit an, wie z. B. die den Gabriel begleitenden Engel in einer der
drei Verkündigungen im Pal. Pitti beweisen; auch giebt es einige
Putten von ihm, welche keinem von denjenigen Coreggio’s an Schön-
eheit und Naivetät nachstehen, so z. B. in der herrlichen Madonna
mit S. Franz und S. Johannes Ev., vom Jahr 1517, in der Tribuna
der Uffizien. Sie umklammern die Füsse der Madonna, während
das fröhliche Christuskind an ihren Hals emporklettern will.
Dann ist Andrea wohl der grösste Colorist, welchen das Land
südlich vom Apennin im XVI. Jahrh. hervorgebracht hat. Da er nicht
auf einer schon ausgebildeten Schulpraxis fusste, sondern jedesmal mit
eigener Anstrengung seine Principien neu zu entdecken hatte, seine
Gewissenhaftigkeit aber nicht selten schwankte, so sind seine Arbeiten
auch im Colorit sehr ungleich; neben dem eben erwähnten goldtönigen
fWunderwerk in der Tribuna, neben der grossen heil. Familie im Pal.
[885]Porträts. Altarbilder. Madonnen.
Pitti, neben den paar herrlichen einfachen Bildnissen1), in wel-
chen Licht und Farbe und Charakter sich so vollkommen in Eins
verschmelzen (P. Pitti, Uffizien) — neben all diesem giebt es aucha
sehr bunte und dumpfe Malereien. — Immerhin hat Andrea zuerst
von allen Florentinern eine sichere, harmonische Scala, eine tiefe, oft
leuchtende Durchsichtigkeit der Farben erreicht; er hat auch zuerst
der Farbe einen mitbestimmenden Einfluss auf die Composition des
Bildes gestattet. Seine Gewänder fallen nicht umsonst in so breiten
Flächen. Man muss dabei zugestehen, dass sie von einer hinreissen-
den Schönheit des Wurfes und des Contours sind und als vollkommener
Ausdruck des Lebens der Gestalten ganz absichtslos scheinen.
Im Wesentlichen aber ist seine Composition ein eben so strenger
architektonischer Bau als die des Fra Bartolommeo, welchem er offen-
bar das Beste verdankte. Auch hier ist lauter durch Contraste ver-
deckte Symmetrie. Da er aber die Seele des Frate nicht hatte, so
bleibt bisweilen das Gerüste unausgefüllt. Wie weit steht seine präch-
tig gemalte Kreuzabnahme (P. Pitti) hinter der des Bartolommeo zu-b
rück! Die Motive, in Linien und Farben classisch, sind geistig fast
null, ein unnützer Reichthum. Auch in der schönen Madonna mit den
vier Heiligen (ebenda) contrastiren die ungenügenden Charaktere mit
dem feierlichen Ganzen. Am meisten geistiges Leben zeigt unter den
Bildern des P. Pitti die Disputa della Trinità; eine eifrigere und
zusammenhängendere „heil. Conversation“ als die der meisten Vene-
zianer sind; zugleich ein Prachtbild ersten Ranges. Die grossen Assun-
ten sind beide spät, gleichen sich und haben viel Conventionelles, aber
auch noch grosse Schönheiten. — In den heil. Familien (wovon ausser
den florent. Sammlungen auch z. B. Pal. Borghese in Rom mehrerec
besitzt; ein schönes und echtes Bild in S. Giacomo degli Spagnuolid
zu Neapel, rechts von der Hauptthür) fällt jene Seelenlosigkeit neben
den hohen malerischen Vorzügen oft ganz besonders auf; es ist, als
ständen die beiden Mütter und die beiden Kinder in gar keinem inni-
gern Verhältniss zu einander.
[886]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Andrea del Sarto.
Als historischer Erzähler hat Andrea gleichwohl Unvergängliches
ageleistet. Die Fresken in der Vorhalle der Annunziata, be-
gonnen 1510, zeigen zwar zum Theil dieselbe fast zu strenge archi-
tektonische Anordnung; in den drei ersten Bildern links, aus der Le-
gende des S. Filippo Benizzi, bildet sich die Gruppe coulissenartig
ansteigend zur Pyramide; das eigentlich Dramatische, Bedeutend-Mo-
mentane kömmt nirgends besonders zu seinem Rechte; in der Anbe-
tung der Könige (letztes Bild rechts) wird man die Hauptgruppe
sogar befangen finden. Allein es ist durch diese Malereien die won-
nigste Fülle neuer Lebensmotive verbreitet; man geniesst mit dem
Maler das hohe Glück, schlichte Lebensäusserungen in der reinsten
und vollkommensten Form, in edler Abwägung gegen einander, in
weiter Räumlichkeit schön vertheilt anschauen zu können. Bei der
Betrachtung des Einzelnen prägen sich zumal eine Anzahl von Ge-
stalten des 1., 2. und 5. Bildes links unauslöschlich ein; trotz aller
Verwitterung wird man im letztgenannten (Bekleidung des Aussätzigen)
in der Gestalt des S. Filippo eine der höchsten Schöpfungen der gol-
denen Zeit erkennen. Die Geburt Mariä (vorletztes Bild rechts) ist
die letzte, in lauter Schönheit aufgehende Redaction dieses Gegenstan-
des; noch Domenico Ghirlandajo erscheint neben diesem wunderbaren
Reichthum einseitig und herb. Ausser den Bildern der ältern Meister
(Alessio Baldovinetti’s Geburt Christi, letztes Bild links, und
Cosimo Rosselli’s Einkleidung des S. Filippo, vorletztes links)
haben die Schüler Andrea’s hier noch ihr Bestes geleistet. Am näch-
sten steht ihm Franciabigio in der (durch den bekannten Ham-
merschlag verstümmelten) Vermählung Mariä, einem Werke des em-
sigen und begeisterten Wetteifers. In Pontormo’s Heimsuchung,
welche bei Weitem sein Hauptwerk ist, steigert sich die Auffassung
Andrea’s und Bartolommeo’s mit äusserstem Kraftaufwand zu einem
neuen Ganzen. Nur Mariä Himmelfahrt, von Rosso, zeigt den Styl
Andrea’s allerdings im Zustande der Verwilderung.
Ausserdem hat Andrea das einzige Abendmahl geschaffen, wel-
ches demjenigen Lionardo’s wenigstens sich von Ferne nähern darf:
das grosse, theilweise vortrefflich erhaltene, theilweise sehr entstellte
Frescobild im Refectorium des ehemaligen Klosters S. Salvi bei Flo-
renz. (Zehn Minuten vor Porta della Croce, von der Strasse links
[887]Fresken. Annunziata; S. Salvi; Scalzo.
seitab.) Der Moment ist der, dass Christus ein Stück Brod ergreift,
um es in die Schüssel zu tauchen, während auch Judas, allein von
Allen, bereits ein Stück Brod in der Hand hält. Die Charaktere sind
nobel und kräftig aus dem Leben gegriffen, aber von der Hoheit der-
jenigen Lionardo’s weit entfernt, welche Jeder eine ganze Gattung
von Ausdruck gleichsam in der höchsten denkbaren Spitze darstellen.
Auch hat A. der (allerdings ausserordentlich grossen) malerischen
Wirkung zu Liebe seinen Leuten sehr verschiedene, zum Theil nichts
weniger als ideale Gewänder gegeben; eine Abwechslung, deren
schönen Erfolg das Auge empfinden kann lange bevor es sie bemerkt.
Unbeschreiblich lebendig ist hier wie bei Lionardo das Spiel der
Hände, welche allein schon ausdrücken, wie Christus den fragenden
Johannes beruhigt, wie Petrus jammert, wie dem Judas zugesetzt
wird. (Bestes Licht: Nachmittags.) — Franciabigio hat in diesem
Gegenstande (Abendmahl im Refectorium von S. Giovanni della Calzaa
in Florenz) den Meister bei Weitem nicht erreicht.
Den Höhepunkt von Andrea’s Colorit und Vortrag im Fresco
bezeichnet ausser diesem Abendmahl auch die Madonna del Sacco,b
in einer Lunette des Kreuzgangs der Annunziata.
Endlich aber giebt es eine Reihe einfarbiger Fresken, braun in
braun, von seiner Hand, in dem kleinen Hof der Brüderschaft delloc
Scalzo (unweit S. Marco). Der Gegenstand ist das Leben des Täu-
fers. Mit Ausnahme einiger frühen und zweier von Franciabigio
ausgeführten sind sämmtliche Compositionen bei aller Unscheinbarkeit
von den mächtigsten und freisten Schöpfungen der reifen Zeit An-
drea’s. Das ängstlich Architektonische der frühern Fresken in der
Annunziata ist hier durch lauter Geist und Leben überwunden. Die
Grenzen der Gattung, welche alle feinere Physiognomik, allen Farben-
reiz ausschloss, scheinen den Meister erst recht gereizt zu haben, sein
Bestes zu geben. Unter den frühern ist die Taufe des Volkes durch
Johannes die höhere (und höchste) Stufe der bekannten Freske Ma-
saccio’s; unter den Spätern haben die Heimsuchung, die Enthaup-
tung, sowie die Überbringung des Hauptes den Vorzug; unter den
allegorischen Figuren die Caritas, welche das Bild im Louvre weit
übertrifft. — Aus dieser Inspiration ist auch jene kleine geistvolle Pre-
della mit den Geschichten von vier Heiligen in der Academie gemalt.d
[888]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Schule A. del Sarto’s.
a(Wo sich sonst von A. nichts Bedeutendes als das Bild der vier Hei-
bligen befindet.) — Die beiden Geschichten Josephs (P. Pitti) geben
in keiner Beziehung einen Begriff von dem Vermögen Andrea’s.
Ausserhalb von Florenz enthält der Dom von Pisa, namentlich
im Chor, eine Anzahl prächtig gemalter Einzelfiguren von Heiligen.
Von den Schülern und Nachfolgern ist das Beste schon genannt
dworden. Von Franciabigio einige Historien (Breitbilder) mit kleinen
Figuren in den Uffizien und im Pal. Pitti; gutes Porträt eines Man-
enes im Hut (1517) im Pal. Capponi. — Pontormo (1493—1558) ist
füberhaupt nur um seiner Bildnisse willen hochgeschätzt (Pal. Pitti:
gIppolito Medici; — Uffizien: Cosimo der Alte, nach einem Profilbild
des XV. Jahrh. trefflich neu redigirt); — seine übrigen Arbeiten sind je
früher, um so besser wenigstens gemalt (Uffizien: Leda mit den vier
hKindern in einer Landschaft; — Capella de’ Pittori bei der Annunziata:
Fresco einer Madonna mit Heiligen, noch ganz in der Art des Mei-
isters; — Pinacoteca zu Bologna: Madonna mit Kind, hinter einer
Bank stehend); — die spätern Werke erscheinen durch unberechtigten
Aufwand wirklich oder vermeintlich schöner Formen schon manierirt
k(S. Felicita in Florenz 1. Cap. rechts, Kreuzabnahme; — Pal. Pitti:
ldie 40 Märtyrer); — die Breitbilder mit Historien (Uffizien) sehr zer-
streut. — Domenico Puligo verfing sich in die Farben- und Licht-
wirkungen Andrea’s; seine Formen wurden darob unbestimmt, sein
mVortrag verblasen. (Pal. Pitti: heilige Familie, säugende Madonna; —
nPal. Corsini in Florenz: Mehreres.) Als einer der frühsten Porträt-
maler von Profession möchte er vielleicht mehr als ein Bildniss in
Anspruch nehmen können, das jetzt als Werk des Meisters gilt. —
Angelo Allori, genannt Bronzino (1499—1571), Schüler Pontormo’s,
wird als Historienmaler an keiner andern Stelle als bei den Manie-
risten unterzubringen sein. Als Bildnissmaler aber steht er in der
bedeutenden und freien Auffassung keinem Zeitgenossen nach, auch
den Venezianern nicht, so weit sie ihn in der Farbe übertreffen mö-
gen, die bei ihm immer etwas Kalkiges behält. (In seiner Art: Pal.
oDoria in Rom: treffliches Porträt des Gianettino Doria; — Museum
pvon Neapel: die beiden Geometer; — sodann sicher von ihm: Pal.
[889]Pontormo. Bronzino. Rosso. R. Ghirlandajo.
Pitti: der Geometer, grossartig im Geist eines Sebastian dal Piombo; —a
Uffizien: der junge Bildhauer; Dame im rothen Kleid; ein Jünglingb
mit einem Brief; rothbärtiger Mann in einer Halle; — sämmtlich so
gemalt, als wären sie nur dem bedeutenden Charakter zu Liebe dar-
gestellt; dagegen die Dame mit einem Knaben ein blosses, vielleicht
mediceisches Porträt. — Pal. Corsini: mehrere Porträts. — Pal. delc
commune zu Prato: mediceische Porträts aus Bronzino’s Schule. —d
Ähnliche geringere, mit spätern: in dem Gange, der von den Uffiziene
nach Ponte vecchio führt.)
Von Andrea ist auch Rosso de Rossi (Rosso Fiorentino, st.
1541 in Frankreich) abhängig. Er zeigt schon ganz besonders frühe
den Weg, welchen die Entartung einschlagen würde. Die Formen
Andrea’s sind bei ihm bis ins Liederliche aufgelockert, um wider-
standslos einer Composition durchaus nur nach grossen Farben- und
Lichtmassen zu dienen. (Pal. Pitti: grosse Madonna mit Heiligen; —f
S. Lorenzo, 2. Altar rechts, Vermählung der Maria; — S. Spirito, aufg
einem Altar links: thronende Madonna mit Heiligen.)h
Noch einige Meister aus frühern florentinischen Schulen malen
sich in dieser Zeit aus. Ridolfo Ghirlandajo, der Sohn Dome-
nico’s und später Schüler des Frate, hat in zwei Bildern der Uffizieni
(S. Zenobius, der einen todten Knaben erweckt, und das Begräbniss
des S. Zenobius) entweder ein grosses Talent bekundet oder einen
sehr glücklichen Wurf gethan. Bewegung, Gruppirung, Köpfe und
Farben sind ganz der goldenen Zeit gemäss; einige Nachlässigkeiten
z. B. in der Gewandung verrathen jedoch durch den Mangel an Ernst
schon den künftigen Manieristen; — ein trefflich wahres und derbes
Frauenporträt im Pal. Pitti (1509) zeigt, was er in der Ausführungk
konnte, wenn er wollte. — Die Fresken in der Sala de’ Gigli desl
Palazzo vecchio (Schutzheilige und Helden) erscheinen schon als das
Werk einer müden Phantasie, die sich auf das XV. Jahrh. zurück-
wirft. Anderes ist geradezu Manier. So schon das von Ridolfo und
seinem Oheim Davide gemalte Bild in S. Felice (auf einem Altar links),m
eine Madonna del popolo. — Von Micchele di Ridolfo u. a. das
[890]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Spätere Florentiner.
aBild der tausend Märtyrer, in der Academie; ein blosses fleissiges
Actstudium.
Von einem zurückgebliebenen Schüler Filippino’s, Raffaellin
del Garbo, der sich später vergebens dem grossen Styl zuzuwen-
bden suchte, ist eine Auferstehung (Academie) das einzige frühere Bild
cvon Belang. In der Sacristei von S. Lorenzo eine Geburt Christi. In
dder von seinem Meister begonnenen Cap. Carafa in der Minerva zu
Rom malte er das Gewölbe; jetzt sehr verdorben.
Giov. Ant. Sogliani, ein Schüler des Credi, hat in seinem
eschönsten Bilde, auf einem Altar links in S. Lorenzo, welches die des
Martyriums harrenden Apostel darstellt, den Meister sowohl als An-
drea del Sarto nahezu erreicht. (Auch die Predella, von dem sehr
selten vorkommenden Bacchiacca, ist ein geistreiches Werk.) — In
fder Academie ausser geringern Bildern eine thronende Madonna mit
Tobias, dessen Engel und S. Augustin, ebenfalls dem Credi nahe; —
gin den Uffizien: Madonna in einer Landschaft, schon nur schön gemalt;
hin der Sacristei von S. Jacopo eine Dreieinigkeit mit Heiligen, welche
tüchtig und zum Theil noch ganz edel sind.
Giuliano Bugiardini, ein Künstler von schwankender Re-
iceptivität, schliesst sich an D. Ghirlandajo in der Geburt Christi (Sa-
cristei von S. Croce) und nähert sich dann in der Behandlung dem
kLionardo (säugende Madonna, in den Uffizien; grosse thronende Ma-
ldonna mit S. Catharina und S. Antonius von Padua, in der Pinacoteca
zu Bologna). Endlich verrückte ihm Michelangelo das Concept. Die
mberüchtigte Marter der heil. Catharina in S. M. novella (Cap. Ruccel-
lai, beim Cimabue) ist die Marter des gewissenhaften Künstlers selber
und ein lehrreiches Denkmal der Gährung, in welche der Meister des
Weltgerichtes gewisse Gemüther versetzte. Man ahnt die ganze Qual
der Motivjägerei.
Über Rafael zu sprechen, könnte hier beinahe überflüssig schei-
nen. Er giebt überall so viel, so Unvergessliches, so ungefragt und
unmittelbar, dass Jeder, der seine Gemälde sieht, ohne Führer zu-
[891]Rafael.
rechtkommen und einen dauernden Eindruck mitnehmen kann. Die
folgenden Andeutungen sollen auch nur die zum Theil versteckt lie-
genden Bedingungen dieses Eindruckes klar machen helfen.
Was in Rafaels Leben (1483—1520) als Glück gepriesen wird,
war es nur für ihn, für eine so überaus starke und gesunde Seele,
eine so normale Persönlichkeit wie die seinige. Andere konnten unter
den gleichen Umständen zu Grunde gehen. Er kam bald nach seines
Vaters Tode (Giov. Santi st. 1494) in die Schule des Pietro Perugino
und arbeitete bei diesem bis etwa 1504. So war seine Jugend um-
geben von lauter Bildern des gesteigerten Seelenausdruckes und der
fast normalen Symmetrie. Die Schule konnte als eine zurückgebliebene,
sehr unentwickelte gelten, sobald es sich um Vielseitigkeit der Zeich-
nung und Composition, um das Studium der ganzen Menschengestalt
handelte, und selbst der Ausdruck ging gerade damals bei Meister
Perugino in eine handwerksmässige Wiederholung des für innig und
schön Geltenden über. — Es ist als hätte Rafael das gar nicht ge-
merkt. Mit dem wunderbarsten Kinderglauben geht er auf Perugino’s
(damals schon nur scheinbare) Gefühlsweise ein und belebt und er-
wärmt das erkaltende Wesen. Wo er als Gehülfe in die Bilder des
Meisters hineinmalt, glaubt man die Züge aus Perugino’s eigener bes-
serer Jugend zu erkennen, so wie er immer hätte malen sollen 1);
ebenso verhält es sich mit Rafaels eigenen frühern Arbeiten. In der
Krönung Mariä (vatican. Galerie) tritt erst zu Tage, was diea
Richtung Perugino’s vermochte; wie ganz anders, wie viel himmlisch
reiner giebt hier Rafael die süsse Andacht, die schöne Jugend, das
begeisterte Alter wieder, als diess der Meister je gethan hat! — ab-
gesehen davon, dass er schon ungleich reiner zeichnet und drapirt.
Die kleinen Predellenbilder dieses Altarblattes, in einem andern Saalb
derselben Galerie, zeigen schon beinahe florentinisch freie Formen
[892]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
aund Erzählungsweise. — Auch in der Vermählung Mariä (Mai-
land, Brera), mit dem Datum 1504, geht R. über die Composition
seiner Schule weit hinaus; die vollkommenste Symmetrie wird durch
die schönsten Contraste malerisch aufgehoben; die Momente der Ce-
remonie und die der Bewegung (in den stabbrechenden Freiern), die
belebte Gruppe und der ernste, hohe architektonische Hintergrund
(mit welchem andere Peruginer, wie z. B. Pinturicchio, so viel Kin-
derspiel trieben) geben zusammen ein schon fast rein harmonisches
Ganzes. (Den Ausdruck der Köpfe wird man vielleicht weniger süss
bfinden als auf mehrern Kupferstichen.) — Die kleine Madonna im
Palazzo Connestabile zu Perugia, eines der ersten Juwelen der
Miniaturmalerei, ist besser im Rund gedacht und von schönerer, leich-
terer Haltung als irgend ein ähnliches Bild der Schule; über dem
vollkommenen Zauber der beiden Figuren und der reizenden Früh-
lingslandschaft mit den beschneiten Bergen vergisst man allerdings das
Vergleichen 1). Man kann sagen, dass Rafael, als er gegen Ende des
Jahres 1504 diese Schule verliess, nicht nur alle gesunden Seiten der-
selben völlig in sich aufgenommen hatte, sondern überhaupt ihren speci-
fischen Geist weit reiner und höher in seinen Werken darstellte, als
irgend einer seiner Schulgenossen.
Er begab sich nach Florenz, welches gerade in jenem Augenblick
der Sammelpunkt der grössten Künstler Italiens war; Michelangelo
und Lionardo z. B. schufen damals in ihren (verlornen) Cartons die
höchsten Wunder der historischen Composition; es war ein grosser
Moment der Kunstgährung. Wer sich davon einen Begriff machen
cwill, suche im linken Querschiff von S. Spirito in Florenz, am zweiten
Altar links, das Bild mit der Jahrzahl 1505 auf, welches jetzt ge-
wöhnlich dem Ingegno zugeschrieben wird; aus der Madonna und
[893]Seine peruginische und erste florentinische Zeit.
den Heiligen sehen uns vier, fünf Maler verschiedener Schulen neckend
entgegen.
Rafael liess sich nicht zerstreuen. Er fand unter den florentinischen
Malern wie es scheint sehr bald denjenigen, welcher ihn gerade in
seiner Weise am meisten fördern konnte: den grossen Fra Bartolom-
meo, der nicht sehr lange vorher nach mehrjähriger Unterbrechung
sich von Neuem der Malerei zugewandt hatte. Dieser war meistens
mit ähnlichen Aufgaben beschäftigt, wie die Schule von Perugia, näm-
lich mit Gnadenbildern, nur löste er malerisch was diese ungelöst
liess; er stellte seine Heiligen und Engel nicht bloss symmetrisch
neben und durcheinander, sondern er bildete aus ihnen wahre Grup-
pen und belebte sie durch Contraste und durch grandiose körperliche
Entwicklung. Sein Einfluss auf Rafael war bestimmend; die Ab-
rechnung zwischen beiden möchte wohl das Resultat geben, dass Ra-
fael ihm die wesentlichste Anregung zur streng-architektonischen und
dennoch ganz lebendigen Compositionsweise verdankt habe. (Er hat
später, vgl. S. 881, d, auf den Frate zurückgewirkt.)
Die frühste Äusserung dieses Einflusses erkennt man in dem
Frescobilde womit Rafael 1506 eine Capelle des Klosters S. Se-a
vero in Perugia schmückte. Die Verschiebung des Halbkreises von
Heiligen, welche auf Wolken thronen, geht schon weit über den pe-
ruginischen Horizont; hier ist nicht bloss Abwechselung der Charaktere
und Stellungen, sondern höherer Einklang und freie Grösse. Der
Contrast der obern peruginischen und der untern florentinischen Engel
spricht noch deutlich die damalige innere Theilung des Künstlers aus.
In seinen Tafelbildern (vermuthlich) aus den Jahren 1504—1506
hat er noch mehr von der frühern Art an sich, so in der Madonna
mit 4 Heiligen und der dazu gehörenden obern Lunette im königl.b
Schloss zu Neapel, auch noch in der Madonna del Granduca1).c
Die Letztere hat noch ganz die stumpfe, befangene Draperie Peru-
gino’s, ist aber im hohen Ausdruck des Kopfes und in der schönen
Anordnung des Kindes schon eine der grössten Machtäusserungen von
[894]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
Rafaels Seele, sodass man ihr manche spätere, vollkommnere Madonna
schwerlich vorziehen möchte.
Schon entschiedener florentinisch und mehr bewegt ist die kleine
aMadonna mit den Nelken, in der Galerie Camuccini zu Rom.
Vielleicht ein Bild der Befangenheit, welche ersten Schritten in einer
neuen Richtung eigen ist; eine fast genreartige Mutter des Christus-
kindes, im Hauskleid, mit absichtlich gedämpften Farben; übrigens
so gedacht und ausgeführt, dass an der Echtheit doch nicht zu zwei-
feln ist. (Die beiden zusammengesetzten Täfelchen mit heiligen Frauen
in derselben Sammlung stammen noch aus R.’s peruginischer Zeit.)
Rafael lebte 1506—1508 zum zweitenmal in Florenz und diese
Periode war bereits sehr reich an bedeutenden Bildern, von denen
nur die meisten ins Ausland gegangen sind. Doch gewähren die in
Italien gebliebenen wenigstens einen genügenden Faden für die Er-
kenntniss seiner innern Entwicklung.
Auch jetzt sehen wir ihn wählen; von dem festen Grund aus,
zu welchem ihm der Frate verholfen 1), greift er mit dem sichersten
Takte nur nach dem was ihm innerlich gemäss ist. Die Breite des
Lebens, welche noch das Thema der meisten damaligen Florentiner
ist, berührt auch ihn, aber nur soweit sie das Höchste nicht beein-
trächtigt: den Ausdruck der Seele und die allmälig in ihm zur sichern
Form gedeihenden Grundgesetze der malerischen Composition.
Man vergleiche nur seine damaligen Madonnen mit denjenigen der
Florentiner; selbst diejenigen Lionardo’s (Vierge aux rochers, Vierge
aux balances im Louvre) werden sich als weniger hoch gedacht, als
[895]Madonnen seiner spätern florentinischen Zeit.
in einem irdischen Beginnen befangen erweisen, der übrigen nicht zu
gedenken. Rafael hat schon durch den architektonischen Ernst seiner
Gruppenbildung einen Vorsprung, noch mehr aber durch den hohen
Ernst der Form, welcher ihn von allen bloss zufälligen Zügen des
Lebens fern hielt. Der Intention nach will seine Madonna nicht mehr
sein als ein schönes Weib und eine Mutter, wie bei den Florentinern
auch; seine Absicht ist (die eigentlichen Gnadenbilder ausgenommen)
nicht erbaulicher als die der letztern; wenn man dennoch das Höchste
darin findet, so muss diess andere Gründe haben.
Die Antwort liegt in der Madonna del Cardellino (in dera
Tribuna der Uffizien; die als Gegenstück aufgestellte Madonna del
pozzo scheint von einem Niederländer oder Lucchesen nach rafaelischen
Erinnerungen gearbeitet). Die einfachste denkbare Pyramidalgruppe,
durch das Überreichen des Hänflings mässig belebt; man wird viel-
leicht in den reizenden Formen, dem reinen Ausdruck den vollen
Werth des Bildes suchen; dieselben würden aber weniger wirken, ja
vielleicht verloren gehen, ohne die haarscharf abgewogene Harmonie
der einzelnen Theile in Form und Farbe. Bei Rafael wirkt immer
das Einzelne so stark und unmittelbar, dass man darin das Wesent-
liche zu finden glaubt, während doch der Reiz des Ganzen unbewusster
Maassen das Bestimmende ist.
Die höhere Stufe der Mad. del Cardellino ist dann die bekannte
Belle Jardinière im Louvre.
Ein Räthsel bleibt die Madonna del Baldacchino im Pal.b
Pitti. Rafael liess sie bei seiner Abreise nach Rom unvollendet; spä-
ter, als sein wachsender Ruhm dem Bilde eine neue Aufmerksamkeit
zuwandte, wurde, man weiss nicht durch wen, daran weiter gemalt.
Endlich liess Ferdinand, Sohn Cosimo’s III, dasselbe etwa um 1700
durch einen gewissen Cassana mit einem Anschein von Vollendung
versehen, hauptsächlich mittelst brauner Lasuren. Die ungemein schöne
Anordnung des Kindes zur Madonna (z. B. die Begegnung der Hände),
die im grossartigen Styl des Frate zusammengestellten Figuren links
(S. Petrus und S. Bernhard) gehören wohl Rafael an; vielleicht auch
der Oberkörper des Heiligen mit dem Pilgerstab rechts; dagegen
möchte der heil. Bischof rechts von ganz fremder Hand dazu com-
ponirt sein. Die beiden köstlich improvisirten Putten an den Stufen
[896]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
des Thrones gehören ebensosehr der Weise des Frate als der Rafaels
an; von den beiden Engeln oben ist der schönere aus dem Fresco von
S. Maria della Pace in Rom offenbar entlehnt, woraus hervorgeht,
dass der erste Vollender jedenfalls erst nach 1514 über das Bild kam.
In seinen florentinischen Bildnissen steht Rafael schon als der
grosse Historienmaler da, der aus dem Zufälligen das Charakteri-
stische, aus dem Vorübergehenden das Ewige auszuscheiden weiss.
Vielleicht an dieser Stelle zeigt sich der einzige kenntliche Einfluss
Lionardo’s auf Rafael, sowohl in der Auffassung als in demjenigen
Fleiss der Modellirung, welchem kein Detail der Form zu gering ist,
sobald es sich um den ganzen und vollen Charakter handelt. Wenn
awir von zwei sehr schönen Köpfen andächtiger Mönche in der flor.
Academie (Saal der kleinen Bilder) absehen, welche noch aus der
ersten florent. Periode sein könnten, so wären die Bildnisse des An-
bgelo und der Maddalena Doni (im Pal. Pitti) seine frühsten be-
kannten Arbeiten dieser Gattung (1505). Dasjenige der Frau zeigt
einen unverkennbaren Anklang an die Gioconda Lionardo’s (im Louvre),
nicht bloss in den Äusserlichkeiten, sondern dem innersten Kerne nach.
Manches ist noch unfrei, z. B. die Stellung der Hände, auch die
Farbe, allein die Auffassung des Charakters und die Haltung ist völ-
lig unbefangen. Von allen Zeitgenossen hätten nur wiederum Lionardo
und etwa Giorgione damals etwas ebenso Werthvolles hervorbringen
können.
Das Bildniss in der Tribuna der Uffizien, welches ebenfalls Mad-
dalena Doni heisst, dem andern Bild aber wie eine ältere, etwas
leidende Schwester gleicht, möchte wohl früher, etwa bald nach der
Ankunft in Florenz gemalt sein, als R. noch peruginischer dachte und
die Gioconda noch nicht kannte. Es ist ein so herrliches und (z. B.
in der Anordnung der Hände) bedeutendes Bild, dass die Zweifel an
der Echtheit kaum berechtigt scheinen. Unzweifelhaft echt ist jeden-
dfalls R.’s eigenes Porträt in der Sammlung der Malerbildnisse
ebenda (vom Jahr 1506?), von leichter, anmuthiger Haltung und höchst
meisterhafter Malerei. — Endlich enthält die Galerie Pitti (unter N.
229, Saal der Iliade) das Bildniss einer Frau von etwa 35 Jahren,
[897]Florentinische Porträts. Die Grablegung.
in florentinischer Tracht, welches dem R. zugeschrieben wird und
jedenfalls von erstem Range ist. Es scheint von einem künftigen Meister
des Helldunkels gemalt, was Rafael nie wurde, auch zeigen die Flächen
der Leinewand und der Damastermel eher etwa die Behandlungsweise
des Andrea del Sarto. Die Modellirung ist wunderbar schön und
fleissig, wie sie Andrea’s spätere Arbeiten allerdings nicht mehr auf-
weisen. Die Verkürzung der einen Hand hätte der so weit aus-
gebildete Rafael unbedingt besser gegeben. — Der Charakter des
Kopfes erzählt eine ganze Jugendgeschichte voll Liebe und Güte.
Im Jahr 1507 malte Rafael auch sein erstes grosses bewegtes
Historienbild; es ist die Grablegung in der Galerie Borghese zua
Rom. Ein Werk der höchsten Anspannung aller Kräfte, noch nicht
frei von gewissen Befangenheiten (z. B. in der Anordnung der Füsse),
mit einzelnen Gesichtsformen, welche schon auf ein abgeschlossenes und
damit der Manier sich näherndes Ideal hindeuten, wovon R. sich später
wieder frei machen musste. Aber ein ewig grosses Wunderwerk der
Linienführung, der dramatischen und malerischen Gegensätze, und des
Ausdruckes. Es genügt z. B. die Vertheilung der physischen An-
strengung und der Seelentheilnahme zu verfolgen, um R. allen Zeit-
genossen vorzuziehen. Der Christusleichnam ist in Form und Ver-
kürzung vollkommen edel. — Die Predella dazu, grau in grau dieb
Figuren von Glaube, Liebe und Hoffnung in Rundbildern auf grün-
lichem Grunde darstellend, mit je zwei Engelknaben zu den Seiten,
befindet sich in der vaticanischen Galerie. Es sind scheinbar nur
leichte Skizzen, aber schon in Composition und Geberde liegt ein
Ausdruck, den man nicht bezeichnender wünschen möchte. Mit mög-
lichst Wenigem ist hier möglichst Grosses gegeben. (Die obere Lu-
nette, Gottvater mit Engeln, findet sich noch in S. Francesco de’c
Conventuali zu Perugia, wo einst das ganze Werk stand, aber nicht
über der Copie desselben von Arpino, sondern über einem Altarbild
der rechten Seite, die Geburt Christi von Orazio Alfani.)
Mit diesem entscheidenden Werke legitimirte sich Rafael als der-
jenige, der allein neben Michelangelo die Gedanken Papst Julius II
ganz würdig ausführen konnte. Der Papst berief ihn 1508 nach Rom,
B. Cicerone. 57
[898]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
wo er die zwölf noch übrigen Jahre seines kurzen Lebens hindurch
jene unbegreiflich reiche Thätigkeit entfaltete, die als moralisches
Wunder einzig dasteht. Nicht die Höhe des Genies, sondern die Ge-
walt der Willenskraft ist das grösste daran; jene hätte ihn nicht vor
der Manier geschützt; diese war es, die ihn nie auf den Lorbeern
ausruhen, sondern stets zu höhern Ausdrucksweisen emporsteigen liess.
— Die grosse Menge der Aufträge, der Ruhm und die alles über-
treffende Schönheit der Werke sammelten bald eine Schule um Ra-
fael; dieser musste er in der spätern Zeit die Ausführung selbst ganzer
grosser Unternehmungen überlassen; es waren Menschen der ver-
schiedensten Anlage, zum Theil geringe Charaktere, aber so lange
der gewaltige Abglanz von der Gestalt des Meisters auf ihnen ruhte,
schufen sie in seinem Geist. Ihre baldige Ausartung nach seinem
Tode zeigt noch einmal von der Kehrseite, was Er gewesen sein muss.
Wir beginnen mit den noch in Italien vorhandenen Staffeleibildern,
welche trotz der inzwischen eingetretenen Gewöhnung des Meisters
an die Frescomalerei ihren besondern Charakter vollkommen bei-
behalten, sodass in ihnen gerade die höchsten Aufgaben der Ölmalerei,
die in R.’s Bereiche lagen, gelöst sind. Als gewissenhaftester aller
Künstler that er sich auch in der Technik nie genug. Wenn man
aber von ihm die Farbengluth Tizians und das Helldunkel Coreggio’s
verlangt, so zeigt diess ein gänzliches Verkennen seines wahren
Werthes. Keines seiner Gemälde würde durch das Hinzukommen
dieser Eigenschaften irgend wesentlich gewinnen, weil keines darauf
gebaut ist. Was man dagegen wohl bedauern darf, ist das spätere
Nachschwärzen seiner Schatten, die im Augenblick der Vollendung ge-
wiss viel lichter waren. Den Beweis liefert z. B. Andrea del Sarto’s
aCopie nach dem Bildniss Leo’s X, welche sich im Museum von Neapel
befindet; mit chemisch günstigern Farben in den Schatten ausgeführt,
zeigt sie, wie das Original (im Pal. Pitti) ursprünglich gestimmt ge-
wesen sein muss.
Die Madonnen dieser römischen Zeit sind grösstentheils im Aus-
lande. Von der Madonna di Casa d’Alba, einem Rundbilde mit ganzen
bFiguren in einer Landschaft, enthält z. B. die Galerie Borghese eine
[899]Madonnen der römischen Zeit.
alte Copie; ein köstlicher Nachklang der florentinischen Madonnen,
nur mehr bewegt. Die Mad. della Tenda in der Turiner Galeriea
gilt als eigenhändige Wiederholung des in München befindlichen Bil-
des; ebenso ist wohl an der Echtheit des sog. Réveil de l’enfant1),b
im Museum von Neapel nicht zu zweifeln, obschon das in England
befindliche Exemplar schöner sein soll. Die unendliche Anmuth die-
ses Bildes, womit es den Sinn des Beschauers traumhaft umfängt,
hat wieder ihren tiefsten Grund nicht in den sehr schönen Formen
und Zügen, sondern in den überaus vollkommenen Linien, im Gang
der Bewegung der Mutter und des Kindes, in der Lichtvertheilung.
Kein einziges dieser Bilder giebt durch direkte Andeutungen zu
erkennen, dass die Mutter Gottes gemeint sei. Es ist nur die reinste
Schönheit des Weibes und des Kindes, die den Gedanken an das
Übernatürliche erweckt. Die Kunst ist nach anderthalb Jahrtausenden
wieder einmal auf derjenigen Höhe angelangt, wo ihre Gestalten von
selbst und ohne alle Zuthaten als etwas Ewiges und Göttliches er-
scheinen.
Und nun stimmt sich Rafael einmal herab und malt vielleicht nur
die schönste Italienerin in Gestalt der Madonna della Sediac
(Pal. Pitti). Abgesehen von dem Reiz der Formen und von der nicht
wieder so erreichten Composition im Rund wirkt hier der Ausdruck
des Mütterlichen, in Verbindung mit der herrlichen Volkstracht, ganz
besonders stark. Es ist das Lieblingsbild der Frauen.
Von den heiligen Familien ist eine der vorzüglichsten, wie es
scheint, spurlos verschwunden: die Madonna aus dem Schatz vond
Loretto. Das Exemplar im Louvre ist nicht besser als einzelne
andere gute Schulcopien, deren z. B. das Museum von Neapel zwei
enthält (eine davon in der Sammlung des Prinzen von Salerno). Das
Motiv ist bekannt: Maria hebt von dem ihr entgegenlachenden, auf
einer Bank liegenden Kinde das Leintuch auf, während Joseph zu-
sieht; im Hintergrunde ein grüner Vorhang; die beiden Halbfiguren
meist kaum unter Lebensgrösse. Es ist eine häusliche Scene, aber
gereinigt von dem Kleinbürgerlichen der Nordländer, von dem Re-
57*
[900]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
naissanceprunk der Florentiner, ausgeprägt in den höchsten Formen
und Linien.
Theilweise von R. componirt und auch ausgeführt ist die Ma-
adonna dell’ Impannata (d. h. des Tuchfensters) im Pal. Pitti.
Waren vielleicht Maria, Elisabeth, die junge Frau links und das Kind
ursprünglich zu einem Rundbilde entworfen, welches sich abwärts
etwa bis zum Knie der Elisabeth erstreckt hätte? (wobei das Stehen
der Maria auf einem andern Plan als die übrigen nicht so auffallen
würde) — oder welches Atelier-Geheimniss waltet hier ob? Der ganz
ausserhalb der Gruppe sitzende Johannes ist jedenfalls ein späterer
Gedanke, wenn ihn auch Rafael selbst vorgezeichnet haben mag. Über
die Theile, die er gemalt hat, herrscht ein Streit, welchen Andere
schlichten mögen. Der Moment ist einer der liebenswürdigsten; die
beiden Frauen haben das Kind gebracht und überreichen es der Mut-
ter; während der Knabe sich noch lachend nach ihnen umwendet,
fasst er kräftig das Kleid der Maria, welche zu sagen scheint: „Seht,
er will doch am liebsten zu mir.“
Feierlicher ist die Scene in der Madonna col divino amore
(Museum von Neapel). Elisabeth wünscht dass das Christuskind den
kleinen links knieenden Johannes segne und führt diesem sachte die
Hand; Maria betet wie bestätigend dazu; mit Recht hat sie das auf
ihrem Knie sitzende Christuskind losgelassen, denn wer segnen kann,
der kann auch fest sitzen 1). Gerade an Zügen dieser Art ist die
spätere Kunst so arm! — Die Ausführung gilt überwiegend als Schü-
lerarbeit.
Ganz in der Nähe hängt Giulio Romano’s Madonna della
Gatta, eine in seinen Styl übersetzte Wiederholung des nach Madrid
gekommenen Bildes „la perle“ von Rafael. Was der Schüler hinzu-
gethan hat, ist lauter Entweihung, die Katze, die Umbildung der
Elisabeth zur Zigeunerin, mehrere andere Zuthaten. — Ähnlich ver-
dhält es sich mit Giulio’s Madonna della lucertola (Pal. Pitti),
nur dass hier wahrscheinlich schon das für rafaelisch geltende Origi-
[901]Madonnen und Gnadenbilder der römischen Zeit.
nal, ebenfalls in Madrid, nicht ganz von der Erfindung des Meisters
ist. Schöner und fleissiger gemalt als die Mad. della Gatta, wirkt
das florentinische Bild doch nur wie eine Zusammenstellung von Mo-
tiven (ein sog. Pasticcio) nach Rafael.
(Die Madonna ai Candelabri, ehemals in Lucca, ist seit langen
Jahren nach England verkauft.)
Nur wenige Gnadenbilder, in welchen Maria thronend oder verklärt
erscheint, sind von Rafael vorhanden. Das frühste derselben, noch
mit einem kenntlichen florentinischen Nachklang, ist die Madonnaa
di Foligno (in der vatican. Galerie) vom Jahr 1512. Als Mutter
Gottes mit Heiligen erreicht diess Bild gerade alles Das, was die
Florentiner gern erreicht hätten; ein gewaltig erhöhtes geistiges Leben
in den Heiligen; der innigste Bezug zum gläubigen Beschauer sowohl
als zur Jungfrau; letztere übrigens nur als ideale Mutter, nicht als
Königin des Himmels, das Kind sogar mit einem Zug der Unruhe —
und doch Beide so hoch über der Madonna del Baldacchino, als die
begleitenden Heiligen des Bildes über denjenigen des letztgenannten.
Und welcher florentinische Kinderengel, welche frühere Kindergestalt
Rafaels selbst würde dem göttlich holden Engelknaben gleichkommen,
welcher mit der Schrifttafel vorn zwischen den Heiligen steht? Deut-
lich spricht das ganze Bild aus, dass der Meister inzwischen die
grosse monumentale Historienmalerei gepflegt und dass diese ihn über
die letzten Schranken hinweggeführt hat. Der knieende Donator, Sis-
mondo Conti, ist der gleichzeitigen Bildnisse R.’s vollkommen würdig
und dabei von einer trostvoll rituellen Andacht beseelt, die sich von
der Ekstase des heil. Franz, von der Aufregung des Johannes und
Hieronymus merkwürdig unterscheidet.
Später, in der sixtinischen Madonna (zu Dresden) erreichte
und bezweckte Rafael allerdings ein Höheres; der Ausdruck des
Übernatürlichen wird nicht bloss durch ideale Form, sondern durch
die visionäre Raumbehandlung, durch das Einherwallen auf den Wol-
ken, durch den hochfeierlichen Schwung des Gewandes erzielt. In
der Madonna von Foligno ist selbst die sitzend schwebende Haupt-
figur noch wie in einem bestimmten Raum behandelt und alles Übrige
[902]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
vollends irdisch wirklich. Ein Gemälde, das schon seiner Gattung
nach — als Processionsfahne — eine Ausnahme bilden mochte (wie
diess bei der sixtin. Mad. mit Wahrscheinlichkeit angenommen wird),
darf indess nicht als Norm für Altarbilder dienen.
Von der Madonna del pesce, welche mit so manchem Mei-
sterwerk unter den spanischen Vicekönigen aus Neapel nach Spanien
akam, findet man in S. Paolo zu Neapel (im Durchgang aus der Kirche
zur Sacristei) noch eine alte Copie. In dieser höchst liebenswürdigen
Composition ist Maria wieder in die Mitte der Heiligen herabgerückt,
wie in der Mad. del baldacchino, aber die hohe Auffassung der For-
men, der reine Schwung der Composition zeugt von der spätern, voll-
endeten Epoche des Meisters.
So hat denn Rafael, mit einziger Ausnahme der sixtinischen Ma-
donna, überall in seiner Maria nur das Weibliche nach allen Kräften
verklärt und es darauf ankommen lassen, ob man die Mutter Gottes,
die Königin der Engel, die mit allem Glanz der Mystik gefeierte Her-
rin des Himmels darin erkennen werde oder nicht. Er ist immer so
wenig symbolisch als möglich; seine Kunst lebt nicht von Beziehun-
gen, die ausserhalb der Form liegen, — so sehr ihm auch das Sym-
bolische da zu Gebote stand, wo es hingehört, wie die Fresken im
Vatican zeigen. Auch sein Christuskind ist mit einziger Ausnahme
des grandios unheimlichen Knaben auf dem Arm der sixtin. Madonna
nur der reinste Hauch kindlicher Schönheit. Italien ist reich gesegnet
in dieser Hinsicht, sodass dem Maler oft nur die Wahl schwer fällt,
und seit Lippo Lippi und Luca della Robbia hatte die Kunst uner-
müdlich nach der höchsten Beseelung der Kindesgestalt gestrebt; Ra-
fael kam und zog das Resultat. Sein Christus- und sein Johanneskind
zeigen mit Ausnahme der frühsten, peruginisch-sentimentalen Bilder
nichts als das schönste Jugendleben, dessen gesunde Äusserung indess
nur bis an die Grenzen des Schalkhaften verfolgt wird und erst bei
Giulio Romano (anderwärts bei Andrea del Sarto) in das Muthwillige
übergeht, um endlich bei spätern Generationen in das Süssliche zu
fallen.
Dieses blosse schöne Dasein, welches das Wesen des Kindes ist,
hört auf mit der ersten Thätigkeit. Es giebt von R. keine Darstellung
[903]Johannes d. T. Vision Ezechiels.
des zwölfjährigen Lehrers im Tempel 1); wohl aber die eines begei-
sterten Knaben Johannes (das Original vielleicht das Bild in Darm-
stadt; ein anderes neben vielen Copien als wenigstens zum Theil
eigenhändig anerkanntes Exemplar in der Tribuna der Uffizien zu Flo-a
renz; eine alte Schulcopie in der Pinacothek zu Bologna). Der mäch-b
tig strenge Ausdruck des herrlichen Kopfes und der äusserst wirk-
same Gegensatz zwischen dem aufrechten Sitzen und der diagonalen
Bewegung lässt über die Mischung der Formen hinwegsehen, welche
zum Theil knabenhaft, zum Theil mehr ausgebildet männlich sind. Im
Ganzen wird man Rafael (auch gegen Tizian) darob Recht geben, dass
er den Täufer als Einzelfigur ganz jung bildete; diese Schönheit ist
das allein richtige Gegengewicht gegen die Busspredigt, wenn nicht
durch Zuthat anderer Figuren eine ganz neue Rechnung eintritt. — Das
Rohrkreuz, auf welches Johannes hinweist, bietet in seiner Biegung
die einzig harmonische Linie dar.
Endlich noch drei Werke der römischen Zeit, welche jedes in
seiner Weise für die Darstellung des Übernatürlichen unvergleichlich
gross sind.
Das eine ist symbolischer Art: die Vision Ezechiels, im Pal.c
Pitti; klein, höchst fleissig obwohl nicht miniaturartig ausgeführt. —
Das Mittelalter hatte die aus dem alten Testament und der Apoka-
lypse entnommenen Symbole dem Wortlaut nach symmetrisch gebil-
det, imposant durch den Ernst der Überzeugung, und auch für unser
Gefühl überwältigend durch die Ideenassociation, die sich an derar-
tige Äusserungen der alten Kirche knüpft. — Rafael übernahm den
[904]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
Gegenstand und bildete ihn im Geiste der grossartigsten Schönheit um,
so weit es bei dem herben Symbol möglich war. Durch die Ver-
schiebung der Gestalt des Gottvaters bringt er erst den klaren Aus-
druck des Schwebens hervor; die aufgehobenen Arme, von zwei Engel-
kindern unterstützt, geben das Gefühl eines ganz übermächtigen Seg-
nens; Gottvater thront nur auf dem Adler, denn Löwe und Stier, auf
welche seine Füsse sinken, sind bloss geschickt hinzugeordnet; sie
blicken nebst dem anbetenden Matthäusengel empor; Gottvater sieht
aber nur letztern an. Man kann dieses verschiedene Verhalten zu den
vier Sinnbildern willkürlich nennen; hätten wir aber nur viel von die-
ser Willkür! — Das Bild möchte etwa in die Zeit der ersten Ab-
theilungen der Loggien fallen. (Das florent. Exemplar wird mannig-
afach angezweifelt, dasjenige welches 1852 im Besitz des Capitäns
Piela in Venedig war, von geübten Augen vorgezogen.)
Das zweite Werk giebt das Übernatürliche durch Spiegelung in
deiner Genossenschaft von Heiligen: die berühmte h. Cäcilia (in der
Pinacothek von Bologna, gemalt um 1515). Auf der Erde liegen die
weltlichen Toninstrumente, halbzerbrochen, saitenlos; selbst die fromme
Orgel sinkt aus den Händen der Heiligen; Alles lauscht dem oben in
den Lüften nur angedeuteten Engelchor. Dieser wunderbar improvi-
sirten, obern Gruppe gab Rafael den Gesang, dessen Sieg über die
Instrumente hier dem an sich unmalbaren Sieg himmlischer Töne
über die irdischen mit einer wiederum bewundernswerthen Symbolik
substituirt wird. Cäcilia ist mit grosser Weisheit als reiche, auch
sinnlich gewaltige Bildung gegeben; nur so (z. B. nicht als nervös
interessantes Wesen) konnte sie den Ausdruck des vollen Glückes
ohne Aufregung darstellen. Auch ihre fürstliche Kleidung ist gerade
für den hier gewollten Zweck wesentlich und steigert eben jenen
Ausdruck der völligen Verlorenheit in ruhigem Entzücken. Paulus,
innerlich erschüttert, stützt sich auf das Schwert; die gefaltete Schrift
in seiner Hand deutet an, dass in Gegenwart der himmlischen Har-
monien auch die geschriebene Offenbarung als eine erfüllte schweigen
dürfe. Johannes, in leisem Gespräch mit S. Augustin, beide verschie-
den erregt zuhörend. Magdalena endlich ist (offen gesagt) absichtlich
theilnahmlos gebildet, um die leise Scala des Ausdruckes in den vier
Übrigen dem Beschauer recht zum Bewusstsein zu bringen, übrigens
[905]Die h. Cäcilia. Die Transfiguration.
eine der grossartig schönsten Figuren Rafaels. Die wahren Grenzen,
innerhalb welcher die Inspiration Mehrerer darzustellen ist, sind in
diesem Bilde mit einem Takt festgehalten, welcher den spätern Pfingst-
festmalern völlig fremd ist.
(Leidlich erhalten und restaurirt, mit Ausnahme der roh über-
malten Luft. Hr. Alboresi in Bologna besitzt eine Wiederholung dera
Hauptfigur, welche von glaubwürdiger Seite als erste, höchst vortreff-
liche Probe von Rafaels eigener Hand bezeichnet wird.)
Das dritte Gemälde, das letzte Rafaels, welches er unvollendet
hinterliess (1520), ist die Transfiguration, in der vaticanischenb
Galerie. Hier wird durch einen dramatischen Gegensatz, den man
ungeheuer nennen darf, das Übernatürliche viel eindringlicher darge-
stellt als alle Glorien und Visionen der ganzen übrigen Malerei diess
vermocht haben. Allerdings sind zwei ganz verschiedene Scenen auf
dem Bilde vereinigt, ein Wagestück, das wahrlich nicht Jedem zu rathen
wäre; es geschah eben nur hier und nur zu diesem Zwecke. — Unten
am Berg die Leute, welche den besessenen Knaben gebracht haben,
und die Jünger, rathlos, mitleidig, aufgeregt, selbst im Buch nach
Hülfe suchend, auch lebhaft empordeutend nach dem Berg, auf wel-
chen ihr Meister gegangen; der Besessene selbst vor Allem merkwür-
dig als eine der wenigen Gestalten aus dem Gebiete der Nacht, die
Rafael geschaffen und die beim entsetzlichsten Ausdruck doch seine hohe
Mässigung so glanzvoll verräth; die jammernde Frau auf den Knieen
vorn ist gleichsam ein Reflex des ganzen Vorganges.
Niemand von ihnen allen sieht was auf dem Berge vorgeht und
der Bibeltext erlaubte es auch gar nicht; die Verbindung beider Scenen
existirt nur im Geiste des Beschauers. Und doch wäre die eine ohne
die andere unvollständig; es genügt, die Hand vor die obere oder vor
die untere zu halten, um zu erkennen, wie sehr das Gemälde ein
Ganzes bildet. — Oben schwebt Christus, und wie durch eine mag-
netische Kraft zu ihm hingezogen schweben auch Moses und Elias;
ihre Bewegung ist keine selbständige. Unten liegen die geblendeten
Jünger und links erblickt man die heil. Diacone Stephanus und Lau-
rentius, wahrscheinlich nur als Patrone der Kirche, für welche das
Bild ursprünglich bestimmt war. — Form und Ausdruck des Christus
sprechen eines jener grossen Geheimnisse der Kunst aus, um welche
[906]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
sich bisweilen lange Jahrhunderte vergebens bemühen. Das Bild,
welches sich die gläubige Phantasie von der Verklärung auf dem
Berge Tabor macht, ist absolut nicht darstellbar, weil ein helles Leuch-
ten der Gestalt, d. h. eine Aufhebung alles Schattens, also auch aller
Modellirung des Körpers dabei vorausgesetzt wird; Rafael substituirte
das Schweben 1). Ferner wird die Verklärung ausschliesslich als
Machtäusserung in Bezug auf die Anwesenden gedacht; Rafael dage-
gen strebte nicht nach dem Ausdruck der höchsten Herrlichkeit, wel-
cher am Ende in einer kalten Symmetrie erstarren müsste, sondern
nach dem der höchsten Seligkeit; sein Christus ist ganz Wonne und
damit schon von selbst herrlicher, als er durch den Ausdruck der
Macht irgend hätte werden können; er ist es, selbst abgesehen von
den colossalen Contrasten zu den befangenen Jüngern und gar zu der
Scene des Jammers unten. Sein emporgerichteter Blick erscheint durch
die Vergrösserung und weite Distanz der Augen ausserordentlich ver-
stärkt; Rafael ging hierin nicht weiter als die Griechen auch, bei
welchen ziemlich oft die Normalbildung irgend einer charakteristischen
Schärfung weichen muss 2). — Wem nun dieser Christus noch immer
nicht genügt, der suche erst darüber ins Klare zu kommen, woran es
fehle, und was man von der Kunst überhaupt verlangen dürfe. Es
ist möglich, dass in manchen Gemüthern z. B. der Weltrichter des
Orcagna, der Cristo della moneta Tizians, der Christus in Rafaels
Disputa andere und stärkere Saiten des Gefühls berührt, tiefere Ideen-
folgen erweckt, allein für eine Verklärung auf Tabor gab der Meister
hier eine so hohe Form, dass wir froh sein müssen, ihm irgendwie
folgen zu können. — Die Ausführung gehört in der untern Hälfte wohl
fast ganz den Schülern an, entspricht aber gewiss im Ganzen R.’s
Absicht, mit Ausnahme natürlich der nachgedunkelten Schatten. Die
ungemeine Kraft der Farbe, verbunden mit der fast venezianischen
Harmonie wenigstens in der obern Gruppe, zeigt, dass R. bis zum
[907]Transfiguration. Porträts der römischen Zeit.
letzten Augenblick seines Lebens neue Mittel der Darstellung zu be-
wältigen suchte. Als Künstler von Gewissen konnte er gar nicht an-
ders. Wer ihm daraus einen Vorwurf macht und von „Abfall“ redet,
kennt ihn nach seinem innersten Wesen nicht. Das ewig grosse Schau-
spiel, wie Rafael sich als Künstler consequent ausbildet, ist schon an
sich mehr werth, als irgend ein Verharren auf einer bestimmten Stufe
des Idealen, z. B. auf dem Darstellungsprincip der Disputa, sein könnte.
Und überdiess verharrt man nicht ungestraft; die „Manier“ wartet schon
vor der Thür.
Von der Bestellung des Bildes wissen wir nichts Näheres. Es
ist möglich, dass Cardinal Giulio de’ Medici nichts verlangte als einen
Salvator mit S. Stephanus und S. Laurentius, und dass Rafael alles
Übrige hinzuthat. Schon Fra Bartolommeo hatte in seinem herrlichsten
Bilde (S. 882, c) den Salvator zwischen vier Heiligen von freien Stücken
als den Auferstandenen dargestellt; Rafael stieg eine Stufe höher und
gab den Verklärten. Eine Seite weiter im Evangelium steht die Ge-
schichte von dem besessenen Knaben — welch ein Augenblick mochte
das sein, da dem Künstler der Gedanke an eine Verbindung beider
Scenen aufging!
Die Porträts der römischen Zeit Rafaels bilden eine Reihe
ganz anderer Art als diejenigen des Tizian, des Van Dyck und An-
derer, welche vorzugsweise als Porträtmaler berühmt waren. Zwi-
schen den grössten Historienbildern und Fresken gemalt, sind sie in
der Auffassung höchst verschieden; jedes trägt den Abglanz derjeni-
gen Stimmung, welche in dem betreffenden Augenblick den Historien-
maler beseelte. Bekanntlich war er auch in den Fresken nichts we-
niger als sparsam mit Bildnissfiguren.
Von den in Italien befindlichen Bildnissen ist zuerst zu nennen:
Papst Julius II. (Im Pal. Pitti; das Exemplar in der Tribuna dera
Uffizien gilt als alte Copie, und ist es auch mit Ausnahme des Kopfes,
dessen hohe Vortrefflichkeit wohl nur durch R.’s eigene Arbeit sich
erklären lässt.) Die malerische Behandlung ist wunderbar schön und
in aller Einfachheit reich; der Charakter so gegeben, dass man die
Geschichte des gewaltigen Greises erst durch dieses Bild recht ver-
stehen lernt.
[908]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
Leo X, mit den Cardinälen de’ Rossi und Giulio Medici. (Im
aPalazzo Pitti. — Die Copie des Andrea del Sarto im Museum von
Neapel, vgl. S. 898 a, wird an Ort und Stelle noch immer für das Ori-
ginal ausgegeben, während ausserhalb Neapels schon längst jeder
Zweifel in dieser Beziehung verstummt ist.) Etwas über natürliche
Grösse, sodass z. B. die nobeln Hände des Papstes nicht so klein
scheinen, als sie im Verhältniss gemeint sind. Die Begleitung durch
zwei Cardinäle schon bei frühern Papstbildnissen nachweisbar. Der
Charakter Leo’s X hier und in den Fresken gewährt eine merkwür-
dige Parallele, was auch für Julius II gilt. Durch Lichtwechsel und
Stoffbehandlung bilden die vier verschiedenen Roth eine ganz harmoni-
sche Scala. Hinten eine ernste Architektur. Die Zuthaten (Glocke,
Buch, Vergrösserungsglas) leise, aber wesentliche Winke zur Charak-
teristik.
Cardinal Bibbiena (im Pal. Pitti); das Verlebte und Kränk-
liche grossartig und geistvoll gegeben; in der vornehmen Liebenswür-
digkeit eine Parallele zu Van Dyck’s Cardinal Bentivoglio (ebenda),
welcher bei weitem absichtlicher erscheint.
Fedra Inghirami, ein römischer Prälat und Alterthumsforscher.
(Pal. Pitti.) Der Thersites Rafaels; gegenwärtig würde er wie alle
Schielenden entweder im Profil oder mit Übergehung des Schielens 1)
gemalt werden; Rafael aber umging das Charakteristische nicht, son-
dern gab dem starren Auge diejenige Richtung und Form, welche das
geistige Forschen auszudrücken im Stande war. Die starke Beleibt-
heit ist möglichst edel dargestellt, die Hände nur die eines vornehmen
Geistlichen. Wahrscheinlich ein Denkmal collegialischer Achtung, aus
der Zeit, als R. die römischen Alterthümer studirte.
„Bartolus und Baldus“, richtiger: Navagero und Beazzano
(Palazzo Doria in Rom). Zwei schwarzgekleidete Halbfiguren auf
Einem Bilde; trotz neuerer Zweifel wohl unbedingt echt. Wer konnte
zwei bedeutende Männer bewegen, sich zusammen malen zu lassen,
wenn der Künstler nicht entweder ein Andenken für sich oder für
einen Höhern, etwa für den Papst verlangte? Mehr als in den üb-
[909]Porträts der römischen Zeit.
rigen Bildnissen herrscht hier der Styl eines historischen Denkmals,
eine freie Grösse, welche zu jeder That bereit scheint und in jedem
Geschichtsbilde ihre Stelle fände. Die Ausführung, soweit sie unbe-
rührt geblieben, ist höchst gediegen.
Der Violinspieler (Palazzo Sciarra in Rom). Rafael maltea
im Jahr 1518 gewiss keinen Virtuosen auf dessen Bestellung. Wahr-
scheinlich ein Günstling des überaus musikliebenden Leo X. Im höch-
sten Grade interessant, sodass die Phantasie den Lebensroman dieses
Unbekannten von selbst aufbaut. Der Pelz, welchen der junge Mann
nöthig hatte, ist mit Raffinement behandelt.
Von dem Porträt der Johanna von Aragonien sind alle bes-
sern Exemplare im Norden. Einem unbekannten Nachfolger Lionar-
do’s hatte die prachtvolle Repräsentation, welche die Seele dieses
Porträts ausmacht, so eingeleuchtet, dass er es, mit dem stereotypen
Idealkopf seiner Schule, wiederholte. Diess ist das Bild im Pal. Doriab
zu Rom. Es stellt nicht mehr jene bestimmte Dame vor und ist nicht
von Lionardo, giebt auch weder die Lichtwirkung noch die Neben-
sachen des besten Originals (im Louvre) irgend genau wieder. Der
süsse und milde Kopf will gar nicht mehr zu all dem Pomp von Seide
und Sammet und zu der gebietenden Haltung passen.
Die Improvisatorin Beatrice (vermeintliche Fornarina, in derc
Tribuna der Uffizien, datirt 1512). Ein Wunder der Vollendung und
des Colorites, aus der Zeit der Madonna di Foligno. Scheinbar ein
Idealkopf, bis man bemerkt, dass ein nicht ganz schönes Verhältniss
des Mundes und Kinns durch glückliche Schiebung verheimlicht wird.
Längere Zeit dem Seb. dal Piombo zugeschrieben, jetzt wohl ohne
Widerspruch dem R. vindicirt. Vorzüglich schön erhalten 1).
Die wahre Fornarina, Rafaels Geliebte. (Das als eigenhändig
anerkannte Exemplar, mit starken Restaurationen, im Pal. Barberinid
zu Rom; Wiederholungen von Schülern im Pal. Sciarra und im Pal.e
Borghese.) Der Composition nach unverholen ein sehr schönes Act-f
bild; die Haltung der Arme und der Kopfputz sind vom Maler ver-
[910]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
ordnet und wollen nicht die Individualität charakterisiren. Der Typus,
von der lange dauernden römischen Schönheit, ist in mehrern histor.
Compositionen Rafaels frei benützt, ohne dass man an eigentliches Mo-
dellsitzen zu denken hätte 1).
Unter den monumentalen Aufträgen, welche Rafael für Ju-
alius II und Leo X ausführte, nehmen die Malereien in den Zimmern
des Vaticans (le stanze) den ersten Rang ein. Bei dem uner-
[911]Zimmer des Vaticans.
schöpflichen Reichthum dieser Werke, bei der Unmöglichkeit, ihren
Inhalt oder gar ihren Werth kurz in Worten darzulegen, beschränken
wir uns auf eine Reihe einzelner Bemerkungen und vermeiden dabei
im Ganzen dasjenige, was die Handbücher ergeben und was der An-
blick von selbst lehrt.
Die Räume existirten schon und waren bereits theilweise (von
Perugino, Soddoma u. A.) ausgemalt, als Rafael dafür berufen wurde.
Sie sind von nichts weniger als musterhafter Anlage, sogar unregel-
mässig (man beachte z. B. das Gewölbe der Camera della Segnatura)
und in Betreff der Beleuchtung nicht günstig. Man besieht sie ge-
wöhnlich Nachmittags; doch hat der Vormittag auch gewisse Vor-
theile, und das Öffnen der hintern Fensterladen macht einen wesent-
lichen Unterschied.
Die Technik ist eine ausserordentlich verschiedene. Einer guten
Autorität zufolge soll besonders die Disputa und die Schule von Athen
in sehr vielen Partien al Secco übergegangen sein; doch sind es der
Hauptsache nach sämmtlich Fresken; die beiden einzigen in Öl auf die
Mauer gemalten Figuren der Justitia und Comitas im Saal Constan-
tins wurden nicht, wie man sagt, von R. eigenhändig, sondern erst nach
seinem Tode ausgeführt. Allein innerhalb des Fresco, sowohl dessen
was der Meister als dessen was die Schüler malten, herrscht der
stärkste Unterschied der Behandlung, oft im nämlichen Bilde. Rafael
that sich nie genug und suchte der schwierigen Malweise stets neue
Mittel der Wirkung abzugewinnen. Von den vier grossen Fresken
der Stanza d’Eliodoro ist jedes in einem andern Colorit durchgeführt;
den Gipfel des Erreichbaren glaubt man zu erkennen in den unbe-
schädigten Theilen der Messe von Bolsena, und doch wird Niemand
den Heliodor und die Befreiung Petri in ihrer Art weniger vollkom-
men gemalt nennen.
Die Erhaltung ist im Verhältniss zum Alter eine mittlere, aus-
genommen die der Sockelbilder, welche Carlo Maratta im Wesentlichen
neu malen musste, und einiger durch Risse schwer bedrohten Decken-
bilder. Das grösste Unheil in den Hauptbildern ist durch stellenweises
Putzen und besonders durch ganz rücksichtsloses Durchzeichnen ent-
standen. Die beste Weise, diesem zu begegnen, wäre die genaue,
offizielle Aufnahme und Herausgabe aller Umrisse, wofür es hohe Zeit
[912]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
wäre. Rom ist für die Fortdauer dieser Gemälde, selbst für ihr Fort-
leben im Abbild, dem ganzen Abendland und allen künftigen Jahrh.
verantwortlich. Eine Restauration wäre nur zu beklagen und würde
viel mehr kosten als eine Sammlung von Calquen. — Wie weit die
schönsten jetzigen Kupferstiche im Eindruck unter den Urbildern blei-
ben, zeigt der erste Blick auf letztere.
Die hohen poetischen Ideen, welche den Fresken der Camera
adella Segnatura (vollendet 1511) zu Grunde liegen, waren wohl
der Hauptsache nach etwas Gegebenes. Abgesehen davon, dass Ra-
fael schwerlich genug Gelehrsamkeit besass, um von sich aus die Per-
sonen der Disputa oder gar der Schule von Athen 1) sachlich richtig
zu charakterisiren und zu stellen und dass sich hier die Beihülfe ir-
gend eines bedeutenden Menschen aus der Umgebung Julius II 1)
deutlich verräth, — abgesehen hievon hatte schon lange vorher die
Kunst sich an denselben Aufgaben versucht. Die Meister der Capella
degli Spagnuoli bei S. M. novella in Florenz hatten die allegorischen
Figuren der Künste und Wissenschaften und ihrer Repräsentanten in
strenger Parallele, in architektonischer Einfassung vorgeführt. Sechs
Generationen später, kaum 15 Jahre vor Rafael, hatte sein Schulge-
nosse Pinturicchio in einem der Zimmer, deren Gewölbe er für Ale-
bxander VI ausmalte (Appartamento Borgia im Vatican, dritter Raum),
jene allegorischen Gestalten thronend in der Mitte ihrer Jünger auf
landschaftlichem Hintergrunde dargestellt, anderer Versuche zu ge-
schweigen. Aber Rafael hatte zuerst den Verstand, die allegorischen
Frauen aus den Wandbildern hinaus an das Gewölbe in einen beson-
dern goldenen Mosaikhimmel zu versetzen. Hier konnte er sie auf
ganz eigene, ideale Weise stylisiren. (Man weiss, wie später die ver-
wilderte Kunst recht ihren Stolz darin suchte, allegorische und ge-
schichtliche Personen möglichst bunt durcheinander zu mischen und
wie es der ganzen sonstigen Grösse eines Rubens bedarf, um Werke
dieser Art, wie z. B. sein Leben der Maria von Medici im Louvre,
für uns geniessbar zu machen.)
[913]Camera della Segnatura.
Es blieben nun für die Gemälde bloss historische Figuren übrig,
denn der Gottvater und die Engel in der Disputa, die Musen im
Parnass u. dgl. gelten doch wohl als solche. (Der obere Theil der
Wand, welche der Jurisprudenz gewidmet ist, enthält allerdings noch
eine Allegorie, allein in einem besondern Raum abgetrennt.) Alle Ge-
stalten konnten nun gleichmässig, in einem und demselben Style be-
lebt werden.
Warum hat Rafael in dem Bilde der Gerechtigkeit nicht eine
geistig angeregte Gemeinschaft berühmter Juristen dargestellt, wie er
diess in den drei übrigen Bildern mit den Theologen, Dichtern und
Weltweisen gethan? warum statt dessen zwei einzelne historische Acte
der Gesetzgebung? Weil der mögliche Gegenstand einer „Disputa“
von Juristen entweder ausserhalb des Bildes, d. h. unsichtbar geblie-
ben wäre, oder, durch sachliche Beziehungen verdeutlicht, aus dem
hohen idealen Styl hätte herausfallen müssen.
Nach der Ausscheidung des Allegorischen blieb also das Histo-
risch-Symbolische als Hauptgehalt der vier grossen Darstellungen übrig.
Rafael hat hier ein wahrhaft gefährlich-lockendes Vorbild hinge-
stellt. Eine grosse Anzahl von Gemälden analogen Inhaltes sind seit-
dem geschaffen worden, zum Theil von grossen Künstlern; sie erscheinen
sämmtlich als von Rafael abhängig oder als ihm weit untergeordnet.
Wesshalb? Gewiss nicht bloss weil es nur Einen Rafael gegeben hat.
Er war von vornherein im Vortheil durch die Unbefangenheit in
antiquarischer Beziehung. An sehr wenige überlieferte Porträts ge-
bunden, durfte er lauter Charaktergestalten aus sich selber schaffen;
in der Disputa z. B. war die Tracht das einzige kenntlich machende
Attribut, welches auch völlig genügte. Er musste nicht die Köpfe so
und so stellen, damit man sie auf gelehrtem Wege verificiren könne.
Diese grössere sachliche Freiheit kam durchaus der Composition nach
rein malerischen Motiven zu Gute. Es sind fast lauter Gestalten einer
mehr oder weniger entfernten Vergangenheit, die schon nur in ideali-
sirender Erinnerung fortlebten 1).
B. Cicerone. 58
[914]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
Die Action, welche diese Bilder beseelt, ist allerdings nur die
Sache des grössten Künstlers. Allein man muthete ihm innerhalb sei-
nes Thema’s auch nicht das Unmögliche zu, wie z. B. die geistige
Gemeinschaft eines Gelehrtencongresses, einer Maleracademie oder
überhaupt solcher Personen, deren charakteristische Thätigkeit gar nie
gemeinsam vor sich geht, und die, wenn man sie beisammen malt,
immer auf das Diner zu warten scheinen. In der Disputa gab R.
nicht etwa ein Concilium, sondern ein geistiger Drang hat die gröss-
ten Lehrer göttlicher Dinge rasch zusammengeführt, so dass sie um
den Altar herum nur eben Platz genommen haben; mit ihnen namen-
lose Laien, die der Geist auf dem Wege ergriffen und mit hergezogen
hat; diese bilden den so nothwendigen passiven Theil, in welchem das
von den Kirchenlehrern erkannte Mysterium sich bloss als Ahnung
und Aufregung reflectirt. Dass der obere Halbkreis der Seligen (eine
verherrlichte Umbildung desjenigen von S. Severo) dem untern so
völlig als Contrast entspricht, ist der einfach erhabene Ausdruck des
Verhältnisses, in welchem die himmlische Welt die irdische über-
schattet. Endlich imponirt hier im höchsten Grade die kirchliche Idee;
es ist kein Bild von neutraler Schönheit, sondern ein gewaltiger In-
begriff des mittelalterlichen Glaubens.
Den Gegensatz dazu bildet die Schule von Athen, ohne himm-
lische Gruppe, ohne Mysterium. Oder ist die wunderschöne Halle,
welche den Hintergrund ausmacht, nicht bloss ein malerischer Ge-
danke, sondern ein bewusstes Symbol gesunder Harmonie der Geistes-
und Seelenkräfte? Man würde sich in einem solchen Gebäude so wohl
fühlen! — Wie dem nun sei, Rafael hat das ganze Denken und Wis-
sen des Alterthums in lauter lebendige Demonstration und in eifriges
Zuhören übersetzt; die wenigen isolirten Figuren, wie der Skeptiker
und Diogenes der Cyniker, sollen eben als Ausnahmen contrastiren.
Dass die rechnenden Wissenschaften den Vordergrund unterhalb der
Stufen einnehmen, ist wieder einer jener ganz einfachen genialen Ge-
danken, die sich von selbst zu verstehen scheinen. Trefflichste Ver-
theilung der Lehrenden und der Zuhörenden und Zuschauenden, leichte
Bewegung im Raum, Reichthum ohne Gedränge, völliges Zusammen-
fallen der malerischen und dramatischen Motive. (Wichtiger Carton
ain der Ambrosiana zu Mailand.)
[915]Camera della Segnatura.
Der Parnass, das Bild der „Seienden“ und Geniessenden. Das
Vorrecht des lauten, begeisterten Redens hat nur Homer; das der
Töne Apoll; sonst wird bloss geflüstert. (Wer an der Violine Anstoss
nimmt, mag nur Rafael selbst zur Verantwortung ziehen, denn eine
erzwungene Huldigung für den Ruhm eines damaligen Geigenvirtuo-
sen, aus welchem Einige sogar den Kammerdiener des Papstes machen,
ist dieser Anachronismus gewiss nicht. Wahrscheinlich gewährte das
Instrument dem Maler ein lebendigeres, sprechenderes Motiv für seine
Figur als eine antike Lyra hätte thun können.) Das Idealcostum ist
hier mit grossem Recht auch auf die neuern Dichter ausgedehnt, von
welchen nur Dante die unvermeidliche Kaputze zeigt. Der gemein-
same Mantel und der gemeinsame Lorbeer heben die Dichter über das
Historische und Wirkliche hinaus. Die Musen sind nicht der Ab-
wechselung zu Gefallen unter die Dichter vertheilt, sondern als ihr
gemeinsames Leben auf der Höhe des Berges versammelt. Auch sie
sind nicht antiquarisch genau charakterisirt; R. malte seine Musen.
Von den beiden Ceremonienbildern gegenüber ist das geistliche
Recht, d. h. die Ertheilung der Decretalen, in dieser kritischen Gattung
ein Muster der Composition und Durchführung zu nennen. Der Fi-
gurenreichthum ist nur mässig, — der Ausdruck der Autorität beruht
nicht in der Vollständigkeit des Gefolges, überhaupt nicht in der
Masse. Die Köpfe sind fast lauter Bildnisse von Zeitgenossen. Man
darf annehmen, dass R. sie freiwillig und in künstlerischer Absicht
anbrachte. — Die Allegorie der Prudentia, Temperantia und For-
titudo in der Lunette (deren Analyse bei Platner a. a. O. nach-
zusehen) ist eine der bestgedachten; im Einzelnen ist nicht Alles ganz
lebendig geworden.
Von den allegorischen Frauen am Gewölbe ist die Poesie einer
der reinsten und eigensten Gedanken Rafaels. In den übrigen hat er
wohl dem Allegoristen, der ihm zur Seite stand, bedeutend nachgeben
müssen oder wollen; daher vielleicht auch der Mangel an freudiger
Unbefangenheit. Die Eckbilder des Gewölbes, historische Momente in
strengerm Styl, beziehen sich jedesmal auf den Inhalt der beiden
nächsten Wände; so das herrliche Urtheil Salomonis auf die Ge-
rechtigkeit und Weisheit zugleich, der Sündenfall auf die Gerechtigkeit
und das Verhältniss zu Gott zugleich. Mit dem Marsyas hat man
58*
[916]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
einige Noth und es bedarf einer entfernten Beziehung aus Dante um
ihn ausser der Poesie auch mit der Theologie in Verbindung zu brin-
gen. Die Eva im Sündenfall ist ein Hauptbeleg für die Bildung des
Nackten in R.’s mittlerer Zeit. Ebenso der Henker im Urtheil des
Salomo.
Die Sockelbilder, grossentheils erst von Perin del Vaga an der
Stelle eines untergegangenen Getäfels componirt und ausgeführt und
später ganz übermalt, zeigen noch, in welchem Sinne R. die decorative
Wirkung des ganzen Saales verstanden wissen wollte. Ihre Com-
position ist zum Theil ausserordentlich schön, aber in kleinen Abbil-
dungen eben so geniessbar als an Ort und Stelle. (Von R. nur die-
jenigen unter dem Parnass.)
Wären wir nur über die nähern Umstände der Entstehung dieser
Fresken nicht so völlig im Ungewissen. Die grossen Fragen: wie viel
wurde dem Maler vorgeschrieben? was that er selbst hinzu? für welche
Theile hat er vielleicht nur mit Mühe Erlaubniss erhalten? welche
Zumuthungen hat er abgewiesen? — diese Fragen sind nie zu beant-
worten. Es ist unbekannt, mit wem er in nächster Instanz zu thun
hatte. So viel aber geht aus den Werken selbst hervor, dass die
rein künstlerischen Beweggründe im Einzelnen meist die Oberhand
behielten. Wenn man in andern Bildern jener Zeit, bei Mantegna,
Pinturicchio, Sandro u. A., die Unersättlichkeit der Zeitgenossen an
Allegorien und Symbolen aller Art kennen lernt, so wird es zur Ge-
wissheit, dass Rafael aus eigenen Kräften Mass hielt, wählte, über-
und unterordnete. Welche Kämpfe kann die untere Hälfte der Disputa
gekostet haben! wenn z. B. irgend ein Theologe sich für vollständige
Darstellung aller grossen Kirchenlehrer und Ordensstifter verwandte!
— oder wenn Irgendjemandes Lieblingsphilosoph oder Lieblingsdichter
durchaus in die Schule von Athen oder auf den Parnass gebracht
werden sollte! — anderer Möglichkeiten nicht zu gedenken.
Vielleicht die einzige ganz müssigscheinende Figur in diesem
Saal ist der junge Herzog von Urbino, welcher in der Mitte der linken
Hälfte der Schule von Athen steht. Bei genauerer Betrachtung findet
man dass er nicht nur mit seinem weissen Gewande malerisch noth-
[917]Camera della Segnatura.
wendig, sondern auch als neutrale Gestalt zwischen der obern und
der untern Gruppe unentbehrlich ist. Und was will das stille Lächeln
dieses wunderbaren Antlitzes sagen? Es ist das siegreiche Bewusst-
sein der Schönheit, dass sie neben aller Erkenntniss ihre Stelle in
dieser bunten Welt behaupten werde.
Neben der Decke der sixtinischen Capelle ist die Camera della
Segnatura, welche fast genau zur gleichen Zeit gemalt wurde, das
erste umfassende Kunstwerk von reinem Gleichgewicht der Form und
des Gedankens. Noch die trefflichsten Florentiner des XV. Jahrh.
(Lionardo ausgenommen) hatten sich durch den Reichthum an Zu-
thaten (Nebenpersonen, überflüssige Gewandmotive, Prunk der Hinter-
gründe u. s. w.) stören lassen; ihr Vieles hebt sich gegenseitig auf;
ihre scharfe Charakteristik vertheilt die Accente zu gleichmässig über
das Ganze; Fra Bartolommeo, der erste grosse Componist neben Lio-
nardo, bewegte sich in einem engbegrenzten Kreise und sein Lebens-
gefühl war seiner Formenauffassung nicht völlig gewachsen. — Bei
Rafael zuerst ist die Form durchaus schön, edel und zugleich geistig
belebt ohne Nachtheil des Ganzen. Kein Detail präsentirt sich, drängt
sich vor; der Künstler kennt genau das zarte Leben seiner grossen
symbolischen Gegenstände und weiss, wie leicht das Einzel-Interes-
sante das Ganze übertönt. Und dennoch sind seine einzelnen Figuren
das wichtigste Studium aller seitherigen Malerei geworden. Es lässt
sich kein besserer Rath ertheilen, als dass man sie (wo nöthig, auch
mit bewaffnetem Auge) so oft und so vollständig als möglich betrachte
und nach Kräften auswendig lerne. Die Behandlung der Gewänder,
der Ausdruck der Bewegung in denselben, die Aufeinanderfolge der
Farben und Lichter bieten wiederum eine unerschöpfliche Quelle des
Genusses.
Die Stanza d’Eliodoro, wahrscheinlich ganz oder fast ganza
eigenhändig von Rafael ausgemalt in den Jahren 1511—1514, be-
zeichnet den grossen Schritt in das Historische. Es ist gewagt, aber
erlaubt zu vermuthen, dass er sich nach den dramatisch-beweg-
[918]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
ten Gegenständen sehnte. Vielleicht hätte man noch gern mehr Al-
legorien gehabt — vielleicht wollte im Gegentheil Julius II seine
eigenen Thaten in voller äusserer Wirklichkeit dargestellt sehen, etwa
Momente aus dem Kriege der heiligen Ligue, den Einzug durch die
Bresche von Mirandola, u. dgl. — Beides wären Abwege gewesen,
wenigstens für Rafael. Er gab nun Zeitgeschichte und Allegorie zu-
gleich, die erstere im Gewande der letztern. Heliodors Züchtigung
ist ein Symbol der Vertreibung der Franzosen aus dem Kirchenstaate;
die Messe von Bolsena (deren Thatsache ins Jahr 1263 fällt) bedeutet
die Überwindung der Irrlehren am Anfang des XVI. Jahrhunderts.
Nach dem Tode Julius II (1513) liess sich Leo X diese Art von ver-
klärender Darstellung der eigenen Geschichte alsobald gefallen; —
vielleicht hatte Rafael schon Entwürfe für die beiden andern Wände
gemacht, welche dann ersetzt wurden durch den Attila (Symbol der
Verjagung der Franzosen aus Italien) und durch die Befreiung Petri
(Leo’s X Befreiung aus den Händen der Franzosen in Mailand, als
er noch Cardinal war). — Es war ein grosses Glück, dass die da-
malige Ästhetik die Allegorie und die Anspielung für eins und
dasselbe hielt, während doch die letztere mit lauter historisch ge-
dachten, individuell zu belebenden Gestalten wirken darf.
Wie man die Sache ansehe, von irgend einer Seite sind hier Con-
cessionen gemacht worden. Die vier Momente liegen geschichtlich
gar zu weit und fremd auseinander, als dass nicht zu vermuthen
wäre, Rafael habe etwas Anderes gemalt als ursprünglich gewünscht
worden war. Auch der gänzliche Mangel an innerm Zusammenhang
mit den vier alttestamentlichen Deckenbildern deutet auf einen Wech-
sel der Entschlüsse hin, der beim neuen Pontificat ohnediess einge-
treten sein muss.
Im Grossen ist aber doch das Thema ein gleichartig fortlaufendes,
das sich auch in den übrigen Zimmern, allerdings getrübt, fortsetzt:
Siege der Kirche unter göttlichem Schutze. Endlich hebt die Be-
handlung alle diese Gegenstände auf eine solche Weise, dass man in
ihnen nur das Höchste sucht und ihnen nur den erhabensten Sinn
zutraut.
Mit einer unbeschreiblichen Macht und Herrlichkeit hält Rafael
seinen Einzug in das Gebiet der dramatischen Malerei; sein erstes
[919]Stanza d’Eliodoro.
Gemälde war der Heliodor. Welch ein Athemschöpfen nach den
symbolisch bedingten Bildern der Camera della Segnatura! Er hat
keine grossartigere bewegte Gruppe mehr geschaffen als die des himm-
lischen Reiters, mit den im Sturm zu seiner Seite schwebenden Jüng-
lingen und dem gestürzten Frevler nebst dessen Begleitern. Woher
die Erscheinung gekommen, wo sie vorübergesaust ist, zeigt der leere
Raum in der Mitte des Vordergrundes, welcher den Blick auf die
Gruppe um den Altar des Tempels frei lässt. Man bewundert mit
Recht die Verkürzung in dem Reiter und in dem Heliodor, aber sie
ist nur der meisterhafte Ausdruck für das Wesentliche, nämlich die
glücklichste Schiebung der Figuren selbst. Die Gruppe der Frauen
und Kinder, deren hundertfältiges Echo durch die ganze spätere Kunst
geht, verdient hier im Urbild ebenfalls, dass man sie sich genau ein-
präge. Endlich musste dem Papst sein Genüge geschehen; in voller
Wirklichkeit auf seinem Tragsessel thronend schaut er ruhig auf das
Wunder hin, als käme es ihm gar nicht unerwartet. An dem Bildniss
Marc Antons, der als Träger des Sessels mitgeht, hat man den be-
stimmten Beweis, dass R. seine Porträtpersonen wenigstens zum Theil
freiwillig anbrachte.
Die Messe von Bolsena war eine viel einseitigere Aufgabe
als der Heliodor. Das Geschehen des Wunders beschränkt sich auf
einen ganz kleinen Fleck; es wäre ungefähr dasselbe, wenn ein Dra-
matiker die Peripetie seines Stückes auf das Verwechseln eines Ringes
oder sonst auf ein scenisch kaum sichtbares Ereigniss bauen müsste.
Aber innerhalb dieser Schranken ist das Herrlichste gegeben. Die
Wahrnehmung und die Ahnung des Wunders geht wie ein geistiger
Strom durch die andächtige Menge links und der Reflex davon belebt
auch schon die unten an der Treppe sitzenden Frauen und Kinder;
in der Gruppe des Papstes und seiner Begleiter ist es ruhige Gewiss-
heit, wie sie den mit tausend Wundern vertrauten Fürsten der Kirche
zukömmt, und von diesem Ausdruck durften auch die unten knienden
Obersten der Schweizergarde nicht zu weit abweichen. An und für
sich sind sie ein Vorbild monumentaler Costümbehandlung. — Die
Anordnung neben und über dem nicht einmal in der Mitte der Wand
stehenden Fenster scheint für Rafael ein wahres Spiel gewesen zu
sein; eben aus der Unregelmässigkeit entwickeln sich für ihn die
[920]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
schönsten Motive wie von selbst. Bei genauerer Betrachtung wird
man aber von dieser Ansicht abgehen und glauben, dass viel Mühe
und Nachsinnen dabei war. Die Doppeltreppe, die halbrunden Schran-
ken, die Kirchenhalle selbst sind an sich ein architektonisch schönes
Bild.
Attila und Leo der Grosse; eine gewaltige Scene fast von
lauter Reitern — sollte es nicht nahezu unmöglich sein, neben so viel
Thierwelt, so viel physischer Kraftäusserung dem höhern geistigen
Gehalt zu seinem Rechte zu verhelfen? Allerdings für die himmlische
Erscheinung blieb nicht viel Raum übrig, aber er wurde benützt.
Statt wolkenthronender Apostel drohend vorwärts schwebende, gleich-
sam eine überirdische Begleitung des ruhig mit den Seinigen daher-
ziehenden Papstes. Bei den Hunnen sieht nur Attila was vorgeht,
mit der lebendigsten Wendung des Entsetzens; bei seinem Gefolge
sind die Rosse ahnungsfähiger als die Menschen, sie werden wild und
scheu, wodurch ein prächtiges Leben in die Gruppe kömmt; über
ihnen verdunkelt sich der Himmel und ein Sturmwind saust in die
Banner. Bei der Bildung der Rosse ist das Ideal unserer jetzigen
Pferdekenner allerdings nicht berücksichtigt. Man setze aber in Ge-
danken die Pferde eines Horace Vernet an ihre Stelle; sie würden
hier unerträglich sein, während wir sie in der Smala etc. mit allem
Fug bewundern. Attila’s schwarzer Hengst ist noch ruhig; die angst-
volle Geberde des Königs durfte nicht etwa durch das Bäumen seines
Thieres mitverursacht scheinen.
Petri Befreiung, höchst originell in drei Momenten entwickelt.
Auch die Wächter nicht unwürdig; zwar befangen, aber nicht tölpel-
haft. In der Scene rechts wird Petrus von dem ausserordentlich schö-
nen Engel wie im Traum geführt. Der Lichteffekt mit hoher Mässi-
gung gehandhabt; es ist ihm nichts Wesentliches aufgeopfert.
Die allegorischen Sockelbilder enthalten noch in ihrer jetzigen
Gestalt rafaelische Motive, die nicht zu verderben sind. — In den vier
Deckenbildern erkennt man eine ähnliche, nur freiere Vereinfachung
des Styles, wie in den Eckbildern am Gewölbe des vorigen Zimmers;
wie diese als Mosaiken, so sind sie als Teppiche gedacht.
[921]Stanza d’Eliodoro. Stanza dell’ Incendio.
In der Stanza dell’ Incendio ist vielleicht nichts von Ra-a
faels eigener Hand gemalt; am Gewölbe liess er die Malereien Peru-
gino’s stehen, um seinen Lehrer nicht zu kränken. Ohnehin war ja
die Zeit der strengen symbolischen Gesammtcompositionen vorbei, wie
der Inhalt der Deckenbilder der Stanza d’Eliodoro beweist.
Die Anspielung ist hier oberflächlicher als in den Gemälden des
vorigen Zimmers. Es sind die Thaten Leo’s III und Leo’s IV, also
Scenen des VIII. und IX. Jahrh., die hier nur der Namensgleichheit
mit Leo X zu Liebe aus der ganzen Kirchengeschichte ausgewählt
und unter den Zügen des Letztern dargestellt sind. Unbegreiflich ist
der Reinigungseid Leo’s III; weder Rafael noch der Papst
konnten (wie man denken sollte) ein besonderes Verlangen nach die-
sem Gegenstand haben, und wenn die unfehlbare Glaubwürdigkeit
des päpstlichen Wortes symbolisirt werden sollte, so war manche an-
dere Erinnerung dazu besser geeignet und malerisch mindestens eben
so dankbar. Immerhin wurde ein stattliches Ceremonienbild daraus,
welches wenigstens zeigt, auf welcher Höhe lebendiger historischer
Einzeldarstellung die ausführenden Schüler in jenem Augenblicke (bis
1517) standen. Hier lernte Perin del Vaga jene Charakteristik, welche
in seinen Helden des Hauses Doria (in der obern Halle des gleich-b
namigen Palastes zu Genua) nachklingt.
Die Krönung Carls des Grossen dagegen ist erweislich ein
politisches Tendenzbild, ein frommer Wunsch Leo’s X, welcher gerne
Franz I zum Kaiser gemacht hätte, dessen Züge Carl trägt. Hier ist
es wahrhaft schmerzlich, Rafael mit dem gewaltsamen Interessant-
machen einer Ceremonie beschäftigt zu sehen; halbnackte Männer
schleppen prächtiges Geräth herein; die Köpfe der reihenweis sitzen-
den Prälaten müssen sich trotz dem feierlichen Augenblicke zum Theil
umwenden, damit der Beschauer nicht gar bloss Infeln erblicke. Und
doch ist aus der Scene gemacht was nur Rafael daraus machen konnte
und das Einzelne ist zum Theil so schön, dass man es gerne seiner
eigenen Hand zutrauen möchte.
Seine ganze Grösse als historischer Componist findet er wieder
in dem Siege von Ostia. Kampf, Bändigung und Gefangenführung
sind hier meisterhaft zu einem höchst energischen und einfach schönen
Bilde vereinigt, das nur der Ausführung und der spätern Entstellung
[922]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
halber weniger in die Augen fällt. Ob der Saracenensieg irgend eine
allgemeinere Andeutung der Unwiderstehlichkeit der Kirche, oder eine
Anspielung auf die damaligen tunisischen etc. Corsaren enthalten soll,
ist nicht auszumitteln.
Endlich das berühmte Bild: l’incendio del borgo; der Auf-
gabe nach das misslichste von allen: Leo IV löscht durch das Zeichen
des Kreuzes eine Feuersbrunst in der Nähe der Peterskirche. Damit
sollte die Allmacht des päpstlichen Segens symbolisirt werden. Mit
diesem Ereigniss selber war gar nichts anzufangen, weil das Aufhören
des Feuers an sich und vollends die Causalverbindung mit der Ge-
berde des Papstes sich nicht sinnlich darstellen liess. Rafael schuf
statt dessen das stylgewaltigste Genrebild, welches vorhanden ist:
die Darstellung der Fliehenden, Rettenden und hülflos Klagenden.
Hier sind lauter rein’ künstlerische Gedanken verwirklicht, frei von
der letzten historischen oder symbolischen Rücksicht, im Gewande
einer heroischen Welt. Die höchste Wonne der freien Erfindung muss
den Künstler dabei beseelt haben; die einzelnen Motive sind immer
eines wunderbarer als das andere und ihr Zusammenwirken wiederum
unvergleichlich. Ganz gewiss geht es bei einer Feuersbrunst in der
Regel anders zu, allein für dieses heroische Menschengeschlecht hätte
z. B. die Lichteffektmalerei eines Van der Neer doch nicht hingereicht.
Eigentlich brennt nicht der Borgo, sondern Troja; statt der Legende
liegt das zweite Buch der Aeneide zu Grunde. Doch darf man auch
die schöne entfernte Gruppe um den Papst nicht übersehen.
Die Sockelfiguren — Fürsten welche dem römischen Stuhl be-
sondere Dienste erwiesen — sind für ihre Stelle sehr glücklich ge-
dacht, und mit Recht nicht als sklavenartige Karyatiden, sondern als
frei thronende Fürsten gegeben. Giulio führte sie nach R.’s Angabe
aus; Maratta musste sie später neu malen.
Bei der Entscheidung über die Sala di Costantino scheint
Leo X inne geworden zu sein, dass auf die bisherige Weise nicht
weiter gemalt werden dürfe. Mit dem Anspielen auf die eigene Person
des Papstes war dem Künstler ein Zwang auferlegt, den er mit all
seiner Grösse nicht kann vergessen machen. Man musste die Aufgabe
[923]Stanza dell’ Incendio. Sala di Costantino.
wieder höher fassen, und das Weltgeschichtliche endlich einmal un-
mittelbar geben. So kam der erste aller Historienmaler gegen Ende
seines Lebens an die direct geschichtlichen und durch die Zeitentfernung
dennoch idealen Aufgaben. Vielleicht hatte es dazu des Incendio be-
durft, in welchem er den Papst in den Hintergrund verwiesen hatte.
Rafael fertigte, wie es scheint, ausser einem nicht ganz vollstän-
digen Entwurf für das Ganze des Saales, die Cartons für die Schlacht,
für die Taufe und für die Schenkung Constantins; sodann für vielleicht
sämmtliche Tugenden und theilweise auch für die heiligen Päpste,
wenn nicht für alle. Von der Decke gehört ihm nichts und von der
Fensterwand nur ein Theil an. Die Sockelbilder, zum Theil sehr
schön gedacht, sind jetzt wesentlich Maratta’s Werk; ihre Erfindung
wurde schon vor 200 Jahren dem Giulio zugeschrieben. — Rafael ge-
dachte Alles in Öl, nicht al Fresco zu malen. Von seiner Hand aus-
geführt, im Augenblick der Vollendung, wäre diess ein herrlicher An-
blick gewesen; gewiss hätte er die verschiedenen Gattungen der Bilder
auf das Bedeutungsvollste im Ton auseinander gehalten. Allein mit
der Zeit wäre vieles nachgedunkelt, wie die schon erwähnten (S. 911),
bald nach seinem Tode und gewiss nach seiner Absicht ausgeführten
beiden Allegorien beweisen.
Die Ausführung des jetzt Vorhandenen gehört wesentlich dem
Giulio Romano; von Franccsco Penni rührt die Taufe, von Raffaelle
dal Colle die Schenkung her. Die Decke ist eine späte Arbeit des
Tommaso Laureti.
Die Erscheinung des Kreuzes, mit welcher wir beginnen,
ist wohl nicht von Rafael entworfen. Die Gruppe der Soldaten ist
sehr ungescheut aus dem Sturm auf Jericho in der zehnten Arcade
der Loggien entlehnt und das Übrige, zum Theil ziemlich frivol, dazu
componirt (z. B. der Zwerg). Man möge sich durch den Augenschein
überzeugen.
Dagegen ist die Schlacht Constantins, in Giulio’s hier vor-
züglicher Ausführung, eines der grössten Lebensresultate Rafaels.
Man setze sich nur zuerst darüber ins Klare, was dieses Schlachtbild
sollte. Die Phantasie wird gewiss rascher aufgeregt durch ein Reiter-
gewirr mit Farbencontrasten und Pulverdampf, welches nur Leben
und verzweifelte Bewegung giebt, wie bei Salvator Rosa und Bour-
[924]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
guignon; man gewinnt gewiss rascher ein Interesse für das moderne
Schlachtbild, dessen Leben insgemein in einer möglichst wirklichen
Hauptepisode besteht. Rafael aber musste einen Angelpunkt der Welt-
und Kirchengeschichte als solchen darstellen. Vor allem einen Sieg
im Moment der Entscheidung. Auch die brillanteste Episode genügt
hiezu nicht; das Heer als Ganzes muss siegen. Diess ist hier zur
Anschauung gebracht durch das gleichmässig gewaltige Vordringen
der christlichen Reiter und durch die Stellung Constantins genau in
der Mitte des Bildes, die er eben im Begriff ist weitersprengend zu
überschreiten. Auf diesem Hintergrunde gewinnen erst die pracht-
vollen Episoden des Einzelkampfes ihre wahre Bedeutung, ohne aus
dem Ganzen herauszufallen. Ruhig, wie ein Princip, thront der Heer-
führer in Mitten seiner Schlacht; die Beziehungen einzelner Krieger
auf ihn, die Gruppe der Engel über ihm, verstärken seine centrale
Bedeutung; ein Krieger zeigt ihm den im Wasser versinkenden
Maxentius. — Die Aufeinanderfolge und Auswahl der einzelnen Mo-
tive des Kampfes ist der Art, dass keines das andere aufhebt; sie
sind nicht nur räumlich wahrscheinlich, sondern auch beim grössten
Reichthum dramatisch deutlich.
Die Taufe Constantins ist weit mehr als ein blosses Cere-
monienbild und steht in der Composition beträchtlich über dem Schwur
Leo’s III und der Krönung Carls. Sie ist nicht gegeben als Function,
die auf einem Ceremoniale und auf bestimmten Costümen beruht, son-
dern als idealer historischer Augenblick. Die ganze Gruppe ist in
einer Bewegung, die durch das Stufenwerk des Raumes vortrefflich
modificirt wird. Die äussersten beiden Figuren, Zuthaten Penni’s,
wirken freilich als Coulissen.
Die Schenkung Constantins, die unter jeder andern Hand
ein Ceremonienbild geworden wäre, ist hier ebenfalls ein idealer hi-
storischer Augenblick. Der Kaiser überreicht dem Papst S. Silvester
nicht eine Urkunde, worin man sich die Schenkung der Stadt Rom
geschrieben denken müsste, auch nicht ein Stadtmodell, womit sich
spätere Künstler in ähnlichen Fällen geholfen haben, sondern eine
goldene Statuette der Roma. Sein knieendes Gefolge, welches durch
seine Stelle noch den Weg bezeichnet den es gekommen ist, besteht
nur aus vier Personen; die Nachdrängenden werden durch Wachen
[925]Sala di Costantino. Loggien.
abgehalten. Die vordern Gruppen, bei spätern Künstlern oft sogar
im besten Fall nur schöne Füllstücke, sind hier der wesentliche und
höchst lebendige Ausdruck der Freude des ungenirten römischen Vol-
kes. Alle Ergebenheitsmienen von reihenweis aufgestellten Behörden
könnten diesen Ausdruck nicht ersetzen; das römische Privatleben
sollte seinen persönlichen Jubel aussprechen. Die Architektur der
alten S. Peterskirche ist frei und sehr schön benützt.
Die Figuren der heiligen Päpste und der Tugenden haben schon
grösserntheils den gleichgültigen allgemeinen Styl der römischen Schule
und gerathen desshalb in Nachtheil z. B. gegenüber von den Zwischen-
figuren an der Decke der Sistina, welche die eigenhändige Macht-
übung ihres Meisters in so hohem Grade an der Stirn tragen. Von
Rafael selbst und in Öl ausgeführt würden sie gewiss eigenthümlich
grandios gewirkt haben. (Der Kopf S. Urbans angeblich von Rafael.)
Die obenstehenden Bemerkungen, weit entfernt den geistigen Ge-
halt dieser unermesslich reichen Fresken erschöpfen zu wollen, suchen
bloss einige wesentliche Anhaltspunkte festzustellen. Nebenbei musste
darauf aufmerksam gemacht werden, wie Rafael nur theilweise frei
verfügen konnte. Das Einzelne, was hierüber zu sagen war, sind
allerdings blosse Vermuthungen, aber der Inhalt des Vorhandenen
nöthigt dazu. Diese moralische Seite der Entstehung der Fresken
wird über ihrer Vortrefflichkeit zu oft übersehen.
Schon bei Anlass der Architektur wurde der vaticanischena
Loggien gedacht, d. h. der ersten Arcadenreihe des zweiten Stock-
werkes im vordern grossen Hofe des Vaticans, als des ersten Mei-
sterwerkes der modernen Decoration (S. 283, a). Wir gelangen nun zu
den biblischen Darstellungen, welche je zu vieren in den Kuppelwöl-
bungen der ersten 13 Arcaden angebracht sind. Sie wurden nach
Rafaels Zeichnungen ausgeführt von Giulio Romano, Francesco Penni,
Pellegrino da Modena, Perin del Vaga und Raffaelle dal Colle. Die
Figur der Eva im Sündenfall gilt bekanntlich als R.’s eigene Arbeit.
Es ist nicht bekannt, wie gross und wie genau ausgeführt die Ent-
[926]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
würfe waren, nach welchen er die Schüler arbeiten liess; wahrschein-
lich je nach Umständen.
Ort und Technik schrieben die grösste Einfachheit vor. Licht-
effect, Ausdruck einzelner Köpfe, irgend ein raffinirtes Detail durften
nie die Grundlage und Seele des Bildes ausmachen. Was nicht mit
deutlichen Beziehungen und Geberden zu erreichen war, musste weg-
bleiben. Der menschlich interessante Kern der Scenen, ohne irgend
einen bestimmten orientalischen Bezug, musste zum idealen, für alle
Zeiten und Länder gültigen und verständlichen Kunstwerk ausgebildet
werden. Von der venezianischen Art, den Vorgang in eine Novelle
des XVI. Jahrh. zu übersetzen, konnte hier keine Rede sein. Man
halte aber die Loggienbilder neben die Umrisszeichnung eines Gior-
gione, Palma oder Bonifazio dieser Art, und man wird den Gedanken-
unterschied inne werden. Übrigens ist in vielen Loggienbildern die
Landschaft so schön und bedeutend als bei den Venezianern, worauf
hier ausdrücklich hingewiesen werden muss. (Erschaffung der Eva,
Adams Feldbau, Jacob mit Rahel am Brunnen, Jacob mit Laban strei-
tend, Joseph als Traumdeuter vor seinen Brüdern, Findung Mosis,
u. a. m.)
Die Vortrefflichkeit der einzelnen Motive entzieht sich durchaus
der Beschreibung; es scheint sich Alles von selbst zu verstehen. Um
den Werth jedes einzelnen Bildes ins Licht zu setzen, müsste man
jedesmal nachweisen, wie andere Künstler meist mit grössern Mitteln
doch nur eine geringere, weniger geistvolle Lösung zu Stande gebracht
oder auch gänzlich neben das Ziel geschossen haben. Streitig für un-
ser Gefühl sind nur die ersten Bilder, die der Weltschöpfung. Rafael
bediente sich hier zum Ausdruck für den Schöpfer desjenigen Typus,
welchen Michelangelo in der Sistina zum Leben gerufen hatte; die
Kunst hatte jetzt gleichsam das Recht, die in verschiedene Acte ge-
theilte Schöpfung als lauter Bewegung darzustellen. Gleich darauf
beginnt die Geschichte des ersten Menschenpaares, die hier durch die
Bestimmtheit des landschaftlichen Raumes einen von den Darstellungen
gleichen Inhaltes in der Sistina wesentlich verschiedenen Grundton
erhält. Diese vier Bilder allein offenbaren schon den grössten histori-
schen Componisten, wie man beim Durchdenken ihrer Motive zugeben
wird. Mit den vier Noah-Bildern beginnt ein neues patriarchalisch-
[927]Loggien des Vaticans.
heroisches Leben, welches dann in den vier Bildern der Geschichte
Abrahams und in den vier folgenden mit der Geschichte Isaaks seine
Fülle entfaltet. Abraham mit den drei Engeln, Loth mit seinen Töch-
tern fliehend, der knieende Isaak, die Scene beim König Abimelech
gehören zu den schönsten Motiven Rafaels. Und doch glaubt man
erst in den Bildern der Geschichte Jacobs und vollends derjenigen
Josephs das Höchste innerhalb den Grenzen dieser Gattung vor sich
zu haben, zumal in der Scene „Joseph vor seinen Brüdern als Traum-
deuter.“ — Von den acht Bildern mit der Geschichte des Moses sind
die ersten noch sehr schön, und unter den spätern besonders die An-
betung des goldenen Kalbes; dazwischen aber tritt mit „Moses auf
Sinai“, und „Moses vor der Wolkensäule“ eine starke Verdunkelung
ein. Vermuthlich war dem Künstler der vorgeschriebene Gegenstand
zuwider; das letztere Bild kann er kaum selber componirt haben. Von
den vier Bildern der Eroberung Palästina’s ist der Sturm auf Jericho
besonders ausgezeichnet; von den vieren der Geschichte Davids die
Salbung, von der Geschichte Salomo’s das Urtheil. Mit den Bildern
der letzten Arcade begann Rafael die Geschichten des neuen Testa-
mentes; der Anfang, zumal die Taufe Christi zeigt, was wir an der
Fortsetzung verloren haben. (Das Abendmahl schwerlich von R.)
Eine besondere Beachtung verdient die Behandlung des Übersinn-
lichen. Die Kleinheit des Massstabes schrieb eine Wirkungsweise durch
lauter Geberde und Bewegung vor. „Die Scheidung des Lichtes von
der Finsterniss“ (1. Arc., 1. Bild) ist unter dieser Bedingung ganz
vorzüglich grossartig gedacht; die Geberde der vier Extremitäten drückt
das Auseinanderweisen und zugleich die höchste Macht aus. Bei den
ersten Menschen tritt Gott als weiser Vater auf; der Engel, der sie
aus dem Paradiese treibt, zeigt in der Geberde ein tröstendes Mitleid.
In starker schwebender Bewegung erscheint Gott dem Abraham, dem
Isaak (mit dem Gestus des Verbietens) und dem Moses im feurigen
Busche; mit der Himmelsleiter musste auch Rafael sich behelfen wie
es ging. In der Gesetzgebung auf Sinai, wo Gott thronend im Profil
dargestellt ist, trägt sich die Bewegung auf die heranstürmenden Posau-
nenengel über, u. s. w.
Mit den Decorationen haben diese biblischen Bilder allerdings nicht
den geringsten geistigen Zusammenhang. Allein dieses ornamentale
[928]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
System vertrug überhaupt nur einen neutralen Inhalt und hätte für
religiöse Symbole und Anspielungen kein Gefäss abgeben können.
Rafaels Tapeten1) bestehen aus zwei Reihen, von welchen je-
denfalls nur die erste, mit den zehn Ereignissen aus der Apostel-
geschichte, ihm im engern Sinne angehört. Er schuf in den Jahren
1515 und 1516 (also gleichzeitig mit den Entwürfen zur Stanza dell’
incendio) die berühmten Cartons, von welchen noch sieben zu Hamp-
toncourt in England aufbewahrt werden. Gewirkt wurden sie in Flan-
dern; noch bei R.’s Lebzeiten kam wenigstens ein Theil davon fertig
nach Rom. Die Wirker hatten sich an seine Zeichnung gehalten, so
genau man sich damals überhaupt an Vorlagen hielt; es kommen Frei-
heiten, z. B. in der Behandlung einzelner Köpfe und des landschaft-
lichen Grundes vor, die sich ein jetziger Künstler bei seinen Execu-
tanten verbitten würde. Die Erhaltung des Vorhandenen ist im Ver-
hältniss zu den Schicksalen eine mittlere; doch sind die Farben ungleich
abgebleicht und das Nackte hat einen kalt schmutzigen Ton ange-
nommen. Dem originalen Schwung und Strich der rafaelischen Hand
können die Contouren der Tapeten ohnediess nie gleichkommen.
Von ihren nur in wenigen Beispielen erhaltenen Randarabesken
ist schon (S. 285, a) die Rede gewesen. Ausserdem haben sie Sockel-
bilder in gedämpfter Goldfarbe. Hier zeigt es sich, wie Leo X seine
eigene Lebensgeschichte taxirte. Ohne irgend einen Bezug auf die
oben stehenden Thaten der Apostel geht sie unten parallel mit, und
zwar auch diejenigen Momente, welche nichts weniger als ruhmreich
waren, wie die vermummte Flucht aus Florenz, die Gefangennehmung
in der Schlacht von Ravenna u. dgl. Das Glückskind findet Alles,
was ihm widerfahren, nicht bloss merkwürdig, sondern auch monu-
mental darstellbar, und dieser Zug des mediceischen Gemüthes hat
noch hundert Jahre später Rubens und seine ganze Schule zur Ver-
herrlichung der zweideutigsten Thatsachen in Anspruch genommen
(Galerie de Marie de Médicis). Jene Sockelbilder, in schönem und
gemässigtem Reliefstyl erzählt, bedurften, beiläufig gesagt, zur örtli-
[929]Tapeten der ersten Reihe.
chen Verdeutlichung der gleichen Nachhülfe wie das Relief der Alten:
nämlich der Personification von Flüssen, Bergen, Städten etc. Auch
das allgemeine ideale Costüm war hier, wo kein Detail scharf cha-
rakteristisch vortreten durfte, durchaus nothwendig.
In den Hauptbildern war Rafael frei und konnte seinen tiefsten
Inspirationen nachgehen. Es ist vorauszusetzen, dass er hier selbst
die Momente wählen durfte, wenigstens sind sie alle so genommen,
dass man keine bessern und schöner abwechselnden aus der Apostel-
geschichte wählen könnte. Die Technik der Wirkerei, auf welche er
seine Arbeit zu berechnen hatte, erlaubte ihm beinahe so viel als das
Fresco. Er scheint mit einer ruhigen, gleichmässigen Wonne gear-
beitet zu haben. Das reinste Liniengefühl verbindet sich mit der tief-
sten geistigen Fassung des Momentes. Wie sanft und eindringlich ist
in dem Bilde „Weide meine Schafe!“ die Macht des verklärten Christus
ohne alle Glorien ausgedrückt, indem die Gruppe der Apostel je näher
bei ihm, desto mehr zu ihm hingezogen wird; die hintersten stehen
noch ruhig, während Petrus schon kniet. Die Heilung des Lahmen
im Tempel — einer jener Gegenstände, welche in spätern Bildern
durch Überladung mit gedrängten Köpfen pflegen erdrückt zu wer-
den — ist hier durch die architektonische Scheidung und durch erha-
benen Styl in die schönste Ruhe gebracht. Pauli Bekehrung ist (hier
ohne Lichteffect) auf die einzig würdige Weise geschildert, während
die meisten andern Darsteller ihre Virtuosität in einem rechten Ge-
tümmel zu zeigen suchen. Das Gegenstück bildet die Steinigung des
Stephanus. Die Blendung des Zauberers Elymas (leider zur Hälfte
verloren) und die Strafe des Ananias sind die höchsten Vorbilder für
die Darstellung feierlich-schrecklicher Wunder; das Dämonische hat
ruhige Gruppen zum Hintergrunde. Wiederum gehören zusammen:
Pauli Predigt in Athen, und die Scene in Lystra, beide von uner-
messlichem Einfluss auf die spätere Kunst, sodass z. B. der ganze
Styl Poussins ohne sie nicht vorhanden wäre. Das eine ein Bild des
reichsten Seelenausdruckes, der sich der mächtigen Profilgestalt des
Apostels doch vollkommen unterordnet; das andere eine der schönsten
bewegten Volksgruppen, so um den Opferstier geordnet, dass dieser
mit seiner Wendung sie unterbricht und doch nichts verdeckt; man
empfindet, dass der Apostel ob diesem Auftreten der Masse vor Leid
B. Cicerone. 59
[930]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
ausser Fassung gerathen muss. — Endlich der Fischzug Petri, ein
Bild des geheimnissvollsten Zaubers; der Moment der physischen An-
strengung (in welchen beiden Gestalten!) ist in die zweite Barke ver-
wiesen, in der vordern kniet Petrus schon vor dem sitzenden Christus
und der Beschauer wird nicht durch den Anblick der Fische gestört,
über welchen man in andern Bildern den Hauptgegenstand, nämlich
den Ausdruck der vollen Hingebung und Überzeugung des Apostels
vergessen muss.
Die zweite Reihe der Tapeten, schon in der Technik geringer,
ist in Flandern auf den Kauf hin, wahrscheinlich nicht auf Bestellung,
gewirkt worden. Es scheint, dass niederländische Künstler aus kleinen
Entwürfen Rafaels grosse Cartons machten, welche diesen Tapeten zu
Grunde gelegt wurden. Mehrere Compositionen, vorzüglich die gran-
diose Anbetung der Hirten, auch die der Könige, der Kindermord, die
Auferstehung, zeigen trotz zahlreicher niederländischer Zuthaten die
unverwüstliche Erfindung des Meisters, seine hochbedeutende Entwick-
lung des Herganges; von mehrern andern dagegen kann ihm gar nichts
angehören; es ist Speculation, die sich an den damals noch weltbe-
rühmten Namen knüpfte, ehe Michelangelo’s Ruhm Alles übertönt
hatte.
Ausser diesen grossen päpstlichen Aufträgen übernahm Rafael noch
eine Anzahl von Fresken für Kirchen und Privatleute.
Das frühste (1512) ist der Jesajas an einem Pfeiler des Haupt-
schiffes von S. Agostino in Rom. (Seit einer unglücklichen Restaura-
tion ist R. nur noch für die Umrisse verantwortlich.) Der Einfluss
der Sistina, welche nicht lange vorher vollendet war, lässt sich wohl
nicht verkennen; stärker aber als Michelangelo spricht Fra Bartolom-
meo aus dem Bilde. In der schönen Zusammenordnung des Propheten
mit den Putten möchte R. jenen beiden überlegen sein.
Eine ganz andere Art von Concurrenz mit Michelangelo drückt
sich in dem berühmten Fresco von S. Maria della Pace (1514)
aus 1). Die Aufgabe himmlisch begeisterter Frauengestalten, die sich
[931]Tapeten der zweiten Reihe. Sibyllen. Cap. Chigi.
das Alterthum in seinen Musen ganz anders gestellt hatte, gehört hier
der Symbolik des Mittelalters an, ebenso die Motivirung durch die
Engel. Michelangelo war hievon abgegangen und hatte das Überna-
türliche ganz in der Gestalt der Sibyllen selbst zu concentriren gesucht,
sodass ihnen die Putten nur als Begleitung und Gefolge dienen; später
liessen Guercin und Domenichino die Engel ganz weg und ihre Sibylle
sehnt sich einsam aus dem Bilde hinaus. Rafael dagegen drückte ge-
rade in der Verbindung der Sibyllen mit den Engeln den schönsten
Enthusiasmus des Verkündens und Erkennens aus. Man bemerkt lange
nicht, dass die Engel von kleinerm Massstabe sind; wie etwa die Grie-
chen den Herold kleiner als den Helden bilden mochten. Die Anord-
nung im Raum, die durchgehende und so schön aufgehobene Symme-
trie, die Bildung der Formen und Charaktere verleihen diesem Werk
eine Stelle unter den allergrössten Leistungen R.’s und vielleicht wird
es von all seinen Fresken am frühsten die Vorliebe des Beschauers
gewinnen.
Im Jahr 1516 erbaute und schmückte R. die Capella Chigi,a
im linken Seitenschiff von S. Maria del popolo; nach seinen Cartons
fertigte damals ein Venezianer, Maestro Luisaccio, die Mosaiken der
Kuppel. (Sie gehören als venezian. Mosaiken nicht zu den bestgear-
beiteten dieser Zeit.) Der segnende Gottvater mit Engeln, in der Lan-
terna, zeigt das bedenkliche Verkürzungssystem, welches damals haupt-
sächlich durch Coreggio aufkam, in seiner edelsten Äusserung. Ringsum
sind die sieben Planeten und (als achte Sphäre) der Fixsternhimmel
unter dem Schutz und der Leitung göttlicher Boten dargestellt. Hier
treffen Mythologie und christliche Symbolik auf einander; bewun-
dernswürdig hat R. ihre Gestalten im Charakter geschieden und in der
Handlung verbunden. Die Planetengötter gewaltig, befangen, leiden-
schaftlich; die Engel abwehrend und ruhig waltend. Die Anordnung
im Raum, sodass z. B. die Planetengötter nur mit dem Oberleib her-
vorragen, ist der Aufgabe so angemessen, als könnte sie gar nicht
anders sein.
59*
[932]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
Für denselben Agostino Chigi (einen reichen sienesischen Bankier),
welcher diese Capelle baute, entstand damals das schönste Sommer-
ahaus der Erde, die Farnesina an der Longara zu Rom. Baldassare
Peruzzi erbaute es und malte auch mehrere Räume wenigstens theilweise
aus. Zwischen den Arbeiten der Stanza d’Eliodoro liess sich auch Rafael
einstweilen (1514) zu einem Frescobilde für seinen Gönner Agostino
herbei, und malte in dem Nebenraum links die Galatea, das herr-
lichste aller modern-mythologischen Bilder. Hier ist die allegorisch
gebrauchte Mythologie kein conventioneller Anlass zur Entwicklung
schöner Formen, sondern was R. geben wollte, liess sich überhaupt
nur in diesem Gewande ganz rein und schön geben. Welcher bloss
menschliche Hergang hätte genügt, um das Erwachen der Liebe in
seiner vollen Majestät deutlich darzustellen? Die Fürstin des Meeres
ist lauter wonnige Sehnsucht; umzielt von Amorinen, umgeben von
Nymphen und Tritonen, welche die Liebe schon vereinigt hat, schwebt
sie auf ihrer Muschel über die ruhige Fluth; selbst an die Zügel ihrer
Delphine hat sich ein wundervoller Amorin gehängt und lässt sich
von ihnen wohlgemuth über die Gewässer ziehen. Im Einzelnen wird
man, beiläufig gesagt, hier am besten sich überzeugen können, wie
wenig Rafael in seinem Formgefühl von den Antiken abhängig war;
nicht nur die Auffassung, sondern jeder Contour ist sein eigen. Und
zwar ist seine Zeichnung eine minder ideale, mehr naturalistische als
die der Griechen; er ist der Sohn des XV. Jahrhunderts. Es giebt
„correktere“ Gestalten aus der David’schen Schule, wer möchte sie
aber gegen diese eintauschen?
In seinen zwei letzten Lebensjahren (1518—20) schuf dann Ra-
bfael die Entwürfe zu der berühmten Geschichte der Psyche für
die grosse untere Halle der Farnesina; sie wurden ausgeführt von
Giulio Romano, Francesco Penni und (das Decorative und die Thiere)
von Giovanni da Udine. Die Schüler haben die Gedanken des Mei-
sters in einem conventionellen und selbst rohen Styl wiedergegeben;
um zu wissen, wie R. sie dachte, versuche man, sie in den Styl der
Galatea zurückzuübersetzen. Für seine Composition erhielt R. eine
flache Decke mit abwärts gehenden Gewölbezwickeln. An den Vor-
derseiten der letztern stellte er zehn Momente der Geschichte der
Psyche dar, an den innern Seiten schwebende Genien mit den Attri-
[933]Fresken der Farnesina.
buten der Götter, an der mittlern Fläche in zwei grossen Bildern das
Gericht der Götter und das Göttermahl bei Psyche’s Hochzeit. Der
Raum ist durchgängig ein idealer und durch einen blauen Grund re-
präsentirt, seine Trennung nicht scharf architektonisch, sondern durch
Fruchtkränze dargestellt, in welchen Giov. da Udine die schon an den
Loggienfenstern bewährte Meisterschaft offenbarte.
Raum und Format der Zwickel waren für Geschichten von meh-
reren Figuren scheinbar so ungeeignet als möglich; Rafael aber ent-
wickelte gerade daraus (wie aus der Wandform bei der Messe von
Bolsena, der Befreiung Petri, den Sibyllen) lauter Elemente eigenthüm-
licher Schönheit. Irgend eine bestimmte Räumlichkeit, ein bestimmtes
Costüm durfte allerdings darin nicht vorkommen; das war seine Frei-
heit neben dem ungeheuern Zwang, den ihm die Einrahmung aufer-
legte. Nur nackte oder ideal bekleidete menschliche Körper, nur die
schönsten und deutlichsten Schneidungen, nur die Wahl der prägnan-
testen Momente konnten das Wunder vollbringen. Die letztern sind
auch in der That nicht alle gleich glücklich und bei allen muss man
die Kenntniss der bei Apulejus erzählten Mythe (die damals Jeder-
mann auswendig wusste) voraussetzen 1). Aber im Ganzen bezeichnen
sie doch den Gipfel des Möglichen in dieser Art. (Besonders: Amor,
welcher den drei Göttinnen die Psyche zeigt, die Rückkehr Psyche’s
aus der Unterwelt, Jupiter den Amor küssend, Mercur die Psyche
emportragend.) — In den beiden grossen, als ausgespannte Teppiche
gedachten Deckenbildern mit den olympischen Scenen gab R. nicht
jene Art von Illusion, welche mit Schaaren von Figuren in Untensicht
auf Wolkenschichten den Himmel darzustellen vermeint, sondern eine
Räumlichkeit, welche das Auge befriedigt und für den innern Sinn
mehr wahrhaft überirdisch erscheint als alle jene perspectivischen Em-
pyreen. Die einzelnen Motive gehören zum Theil zu seinen reifsten
Früchten (der sinnende Jupiter und der plaidirende Amor, Mercur und
Psyche; im Hochzeitmahl vorzüglich das Brautpaar, der aufwartende
Ganymed u. A. m.), und doch fällt nichts Einzelnes aus dem wunder-
würdig geschlossenen Ganzen heraus. — Die schwebenden Amorine
mit den Abzeichen und Lieblingsthieren der Götter sind wohl im Gan-
[934]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
zen eine Allegorie auf die Allherrschaft der Liebe, im Einzelnen aber
Kinderfiguren von lebendigstem Humor und trefflichster Bewegung des
Schwebens im gegebenen Raum.
Vielleicht that es Rafael über dieser Arbeit leid um die vielen
andern darstellbaren Momente aus der Geschichte der Psyche, welche
nur eben hier keine Stelle finden konnten, weil sie eine bestimmte
Örtlichkeit und eine grössere Figurenzahl verlangten. Wie dem auch
sei, er entwarf eine grössere Reihe von Scenen, deren Andenken —
leider nur nach einer spätern Redaction des Michel Coxcie — in Sti-
chen und neuern Nachstichen (u. a. in der Sammlung von Réveil) vor-
handen ist 1). So einfach und harmlos als möglich wird darin die
Geschichte erzählt; das Auge nimmt die göttliche Schönheit der meisten
dieser Compositionen hin, als verstände sie sich ganz von selbst.
Das ist es ja überhaupt, was uns Rafael so viel näher bringt als
alle andern Maler. Es giebt keine Scheidewand mehr zwischen ihm
und dem Verlangen aller seither vergangenen und künftigen Jahrhun-
derte. Ihm muss man am wenigsten zugeben oder mit Voraussetzun-
gen zu Hülfe kommen. Er erfüllt Aufgaben, deren geistige Prämissen
— ohne seine Schuld — uns sehr fern liegen auf eine Weise, welche
[935]Giulio Romano.
uns ganz nahe liegt. Die Seele des modernen Menschen hat im Ge-
biet des Form-Schönen keinen höhern Herrn und Hüter als ihn. Denn
das Alterthum ist zerstückelt auf unsere Zeit gekommen und sein Geist
ist doch nie unser Geist.
Die höchste persönliche Eigenschaft Rafaels war, wie zum Schluss
wiederholt werden muss, nicht ästhetischer, sondern sittlicher Art:
nämlich die grosse Ehrlichkeit und der starke Wille, womit er in je-
dem Augenblick nach demjenigen Schönen rang, welches er eben jetzt
als das höchste Schöne vor sich sah. Er hat nie auf dem einmal Ge-
wonnenen ausgeruht und es als bequemen Besitz weiter verbraucht.
Diese sittliche Eigenschaft wäre ihm bei längerem Leben auch bis ins
Greisenalter verblieben. Wenn man die colossale Schöpfungskraft ge-
rade seiner letzten Jahre sich ins Bewusstsein ruft, so wird man inne,
was durch seinen frühen Tod auf ewig verloren gegangen ist.
Die Schüler Rafaels bildeten sich an den grössten Unternehmun-
gen seiner letzten Jahre. War es ein Glück für ihre eigene Thätig-
keit, dass sie von Anfang an unter dem Eindrucke seiner grossen
Auffassung der Dinge standen? konnten sie noch mit eigener naiver
Art an ihre Gegenstände gehen? und welche Wirkung musste es auf
sie ausüben, wenn sie aus dem Gerede der Welt entnahmen, was man
eigentlich an ihrem Meister bewunderte? In letzter Linie kam es dabei
sehr auf ihren Charakter an.
Der bedeutendste darunter ist Giulio Romano (geb. um 1492,
st. 1546). Eine leichte, unermüdliche Phantasie, welche auch Streif-
züge in das Gebiet des Naturalismus nicht verschmäht und sich vor-
zugsweise in den neutralen Gegenständen, in den Mythen des Alter-
thums zu ergehen liebt, zu der kirchlichen Malerei aber gar keine
innerliche Beziehung mehr hat und einer grenzenlosen Verwilderung,
einer öden Schnellproduction anheimfallen musste.
Frühe decorative Malereien: im Pal. Borghese (drei abgesägtea
Stücke aus der Villa Lante, mit altrömischen Geschichten in Bezie-
[936]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Schule Rafaels.
ahung auf den Janiculus); in der Villa Madama (Fries von Putten,
Candelabern und Fruchtschnüren in einem Zimmer links; s. oben);
bin der Farnesina (Fries eines obern Saales). — Frühe Madonnen im
cPal. Borghese, im Pal. Colonna, in der Sacristei von S. Peter, in den
dUffizien; die Mutter mehr resolut, die Kinder mehr muthwillig als bei
Rafael; die Melodie der Linien schon beinahe verklungen. — Das viel-
eleicht frühste grosse Altarbild: auf dem Hochaltar von S. M. dell’
anima; in einzelnem Detail noch rafaelisch schön. — In der Sacristei
fvon S. Prassede: die Geisselung, ein blosses Actbild in ziegelrothen
Fleischtönen, doch in der Bravour noch sorgfältig. — Die grossartige
Porträtauffassung rafaelischer Fresken lebt noch in dem Kopfe des Giu-
gliano de’ Medici (Gal. Camuccini, wo sich auch ein späteres Werk,
der Entwurf zu einem allegorischen Deckenbilde, findet). — Endlich
hdas Hauptwerk unter den frühern: Stephani Steinigung, auf dem
Hochaltar von S. Stefano zu Genua, höchst fleissig, schön modellirt,
in der Farbe noch der untern Hälfte der Transfiguration entsprechend.
Die untere, irdische Gruppe, als Halbkreis im Schatten um die lichte,
herrlich wahre, jugendlich naive Hauptgestalt componirt, ist noch im-
mer eine der grössten Leistungen der italienischen Kunst. Alle haben
gerade ihre Steine erhoben und sind zum Werfen bereit, der eine mehr
hastig, der andere mehr wuchtig etc., aber das Grässliche wird dem
Beschauer erspart. In der himmlischen Gruppe zeigt sich Giulio’s
ganze Inferiorität; es fehlt das Architektonische; Christus und Gott
Vater decken sich halb; die Engel, unter welchen ein sehr schöner,
sind beschäftigt, die Wolken aufzuschlagen. Diese Auffassung des
Überirdischen ist eine absichtlich triviale.
In den Diensten des Herzogs von Mantua baute und malte Giulio
daselbst sein ganzes übriges Leben hindurch. Ich kann nur die Lo-
icalitäten nennen: Säle im herzoglichen Palast in der Stadt; sodann
die ganze malerische Ausschmückung des von Giulio selbst erbauten
kPalazzo del Te (S. 311, d) mit lauter mythologischen und allego-
rischen Gegenständen. Hie und da hat er die darzustellenden Momente
wirklich grossartig angeschaut, im Ganzen aber sich erstaunlich ge-
hen lassen und z. B. den Sturz der Giganten gegen besseres Wissen
so dargestellt, wie man ihn sieht. Zwei zierlich in Farben ausgeführte
[937]Giulio Romano. Perin del Vaga.
Zeichnungen zu der im Pal. del Te gemalten Geschichte der Psychea
findet man in der Gemäldesammlung der Villa Albani bei Rom.)
Von den Schülern, die sich in Mantua bei ihm bildeten, ist Giulio
Clovio als Miniator berühmt; — von Rinaldo Mantovano das
Hauptbild, eine grosse Madonna mit Heiligen, in der Brera zu Mai-b
land (Reminiscenz der Mad. di Foligno); — von Primaticcio ist
in Italien fast nichts; — von dessen Gehülfen Niccolò dell’ Abbate
Fresken im Pal. del Commune zu Modena, (ehemals?) auch im Schlossec
von Scandiano. (Die drei mythologischen Bilder der Gal. Manfrin ind
Venedig möchten eher von einem Venezianer herrühren, der zugleich
die römische Schule kannte; etwa von Batt. Franco?)
Im Ganzen ist Giulio’s Thätigkeit eine sehr schädliche gewesen.
Die vollkommene Gleichgültigkeit, mit welcher er (hauptsächlich in
vielen Fresken) die von Rafael und fast noch mehr von Michelangelo
gelernte Formenbildung zu oberflächlichen Effekten verwerthete, gab
das erste grosse Beispiel seelenloser Decorationsmalerei.
Perin del Vaga (1500—1547), weniger reich begabt, in den
(seltenen) Staffeleibildern schon auffallend manierirt (Einiges im Pal.e
Adorno in Genua; die Madonna mit Heiligen im rechten Querschiff
des Domes von Pisa mehr Sogliani’s als Perino’s Werk), bleibt dochf
dem Rafael näher, sobald eine decorative Abgrenzung und Eintheilung
seine Gestalten und Scenen vor der Formlosigkeit behütet. Man sieht
im Dom von Pisa, an mehrern Stellen des rechten Querschiffes, sehr
schöne Putten als Frescoproben gemalt. In Genua gehört dem Perin
die ganze Decoration des Pal. Doria (S. 286, b). Hier erinnert nochg
Vieles an die Farnesina; in der untern Halle sind einige der Zwickel-
figuren noch ungemein schön; die Lunettenbildchen (römische Ge-
schichten) zum Theil durch ihre Landschaften interessant; die vier
Deckenbilder (Scipio’s Triumph) freilich schon lastend durch Über-
füllung und Wirklichkeit; — in der Galeria wiederum heitere und gut
bewegte, aber schon manierirt gebildete Putten, prächtige Gewölbe-
decorationen, und an der einen Wand die mehr als lebensgrossen Hel-
den des Hauses Doria, unglücklicher Weise sitzend und dennoch in
gezwungenen dramatischen Bezügen zu einander, aber dem Charakter
[938]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Schule Rafaels.
nach beinahe noch rafaelisch grossartig 1); — in dem Saale rechts der
Gigantenkampf, widerlich renommistisch wie die meisten Bilder dieser
Art; — von den übrigen Sälen enthält wohl derjenige mit den Lieb-
schaften des Zeus und den Wissenschaften, sowie derjenige mit den
Geschichten der Psyche die geistreichsten Motive. — Die genuesischen
Schüler Perins gehören durchaus zu den Manieristen. — (Spätere Fres-
aken Perins in Rom: S. Marcello, 6. Cap. rechts.)
Francesco Penni, genannt il Fattore, hat in Rom wenig
Namhaftes hinterlassen.
Von einem ungenannten Maler der Schule Rafaels ist in Trinità
de’ monti zu Rom die 5. Cap. rechts ausgemalt (Anbetung der Hirten,
der Könige, Beschneidung, nebst Lunettenbildern). Neben rafaelischen
Nachklängen ist die Verwilderung der Schule hier ganz besonders
deutlich in ihren Anfängen zu beobachten; langgestreckte Figuren, ver-
drehte Arme u. s. w. — Mehrere andere Capellen zeigen ebenso die
Ausartung der Nachahmer Michelangelo’s. (Die 3. Cap. r. mit Ge-
schichten der Maria ist z. B. von Daniele da Volterra ausgemalt.)
Von allen Schülern hat Andrea Sabbatini oder Andrea da
Salerno am meisten von Rafaels Geist. Ausser den Bildern im
cMuseum von Neapel (Kreuzabnahme, Anbetung der Könige, sieben
Kirchenlehrer, S. Nicolaus thronend zwischen den von ihm Geretteten
detc.) und einzelnen in Kirchen zerstreuten (S. Maria della grazie) sind
edie Fresken in der Vorhalle des innern Hofes von S. Gennaro de’
Poveri, die man ihm unbedenklich zuschreiben darf, vielleicht das
Geistvollste was Neapel Heimisches aus der goldenen Zeit besitzt.
(Geschichten des heil. Januarius, leider sehr entstellt.) Andrea denkt
einfach und schön und malt nur was er denkt, nicht was aus irgend
einem malerischen Grunde irgend einen Effect machen könnte. — Ein
Nachfolger, Gian Bernardo Lama, ist im glücklichen Fall eben-
falls naiv und einfach, bisweilen aber auch sehr schwach und süsslich.
[939]Andrea Sabbatini. Polidoro und die Neapolitaner.
(S. Giacomo degli Spagnuoli, 3. Cap. 1., grosse Kreuzabnahme, wiea
von einem in Italien geschulten Niederländer; Anderes im Museum.)b
— In denselben Styl lenkte später auch Antonio Amato (S. 845, g)
ein. Madonna mit Engeln, im Museum.c
Eine ganz andere Tendenz brachte Polidoro da Caravaggio
nach Neapel (und Sicilien). Er ist noch der Schüler Rafaels in den
oben (S. 293, b) genannten Fassadenmalereien, vielleicht auch in den
mir nicht bekannten an dem Gartenhause des Pal. del Bufalo. (Vomd
Niobe-Fries eine Handzeichnung im Pal. Corsini; drei Bilder grau ine
grau sollen sich noch im Pal. Barberini befinden.) Später schlägt er
in den grellsten Naturalismus um, dessen merkwürdiges Hauptdenkmal
die grosse Kreuztragung im Museum von Neapel ist. Hier zuerstf
wird das Gemeine als wesentliche Bedingung der Energie postulirt.
Seine kleinern Bilder in derselben Sammlung sind zum Theil aus der-
selben Art und aus einem unächten Classicismus gemischt. — Ein
Schüler Polidoro’s, Marco Cardisco (im Museum: der Kampfg
S. Augustins mit den Ketzern) hat mehr das Ansehen eines entarteten
Schülers von Rafael selbst. — Ein Schüler dieses Cardisco, nämlich
Pietro Negroni (1506—1569), entwickelt in dem einzigen mir be-
kannten Bilde, einer grossen auf Wolken schwebenden Madonna mith
Engeln (Museum) eine wahrhaft befremdliche Schönheit und Gross-
artigkeit; man glaubt die denkbar höchste Inspiration eines Giulio
Romano vor sich zu sehen. — Andere Meister, wie Criscuolo, Ro-
derigo Siciliano, Curia etc. sind meist wenig geniessbar (Museum).
Mehrere Schüler des Francesco Francia in Bologna traten
in der Folge in Rafaels Schule über oder geriethen doch unter den
bestimmenden Einfluss seiner Werke.
Die frühern Gemälde des Timoteo della Vite (1470—1523)
befinden sich meist in seiner Vaterstadt Urbino und der Umgegend;i
einzelne spätere in der Brera zu Mailand (schöne Verkündigung Mariäk
mit Heiligen etc.) und in der Pinac. zu Bologna (S. Magdalena betendl
vor ihrer Höhle stehend, eine räthselhaft anziehende Gestalt). Als
[940]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafaelisten.
aSchüler Rafaels malte er die Propheten über den Sibyllen in der
Pace; wie viel ihm aber vorgezeichnet wurde, ist nicht bekannt und
am Ende gehören diese Figuren, die ohne die Nähe der Sibyllen als
Capitalwerke erscheinen würden, wesentlich ihm selbst.
Auch ein anderer Schüler Francia’s und Rafaels, Bartol. Ra-
menghi (Bagnacavallo) ist in solchen einzelnen idealen Gestal-
bten bisweilen grossartig (Sacristei von S. Micchele in bosco zu Bo-
logna: die Nischenfiguren; vgl. das berühmte Bild der 4 Heiligen in
cDresden), bisweilen auch etwas gewaltsam (S. M. della Pace in Rom:
zwei Heilige gegenüber den Propheten des Timoteo). Seine beste
Composition s. S. 842, b; dagegen ist die Madonna mit Heiligen in der
dPinacoteca zu Bologna schon ein sehr mittelbares Werk und die Art
wie er (in der genannten Sacristei) Rafaels Transfiguration umdeutet,
evollends kümmerlich. (Ein schönes frühes Bild, der Gekreuzigte mit
3 Heiligen, in der Sacristei von S. Pietro zu Bologna.)
Innocenzo da Imola dagegen travestirte Rafaels Compositio-
nen nicht, sondern „entschloss sich kühn, sie grenzenlos zu lieben“.
Von seinen zahlreichen Werken, fast sämmtlich in Bologna, sind einige
fwenige früh und naiv (Pinac.: Madonna der Gläubigen) oder frei im
rafaelischen Geiste geschaffen (Pinac.: Madonna mit beiden Kindern,
S. Franz und S. Clara), die meisten dagegen reine Anthologien aus
Rafael, fleissig, sauber und im Arrangement so geschickt als man es
bei dem Nicht-Zusammengehörigen billiger Weise verlangen kann.
(Pinac.: Heilige Familie sammt Donator und Gattin; — S. Michael
gmit andern Heiligen; — S. Salvatore, 3. Cap. 1., der Gekreuzigte mit
4 Heiligen, auf frühern Werken Rafaels beruhend, u. A. m.) Etwas
hunabhängiger: S. Giacomo magg., 7. Alt. r., Vermählung der h. Catha-
irina; — Servi, 7. Alt. 1., grosse Verkündigung; — endlich die nicht
kzu verachtenden Fresken in S. Micchele in bosco, Cap. del coro not-
turno, welche beweisen, wie gerne Innocenzo etwas Einfach-Bedeu-
tendes geschaffen hätte 1).
[941]Bagnacavallo. Imola. Die Ferraresen.
Girolamo da Treviso, venezianisch gebildet, dann in Bo-
logna thätig, verräth in den einfarbigen Legendenscenen der 9. Cap.a
rechts in S. Petronio ebenfalls Studien nach Rafael.
Von Girolamo Marchesi da Cotignola, einst Francia’s Schü-
ler, sieht man in diesen Gegenden nur spätere Bilder des freiern und
schon manierirten Styles. (Mehreres in der Brera zu Mailand; eineb
grosse überfüllte Vermählung Mariä in der Pinac. zu Bologna; Justitiac
und Fortitudo, in S. M. in Vado zu Ferrara, hinterste Cap. d. r.d
Querschiffes; diese von schönem venezianischem Naturalismus.)
Auch die Ferraresen geriethen unter den Einfluss Rafaels,
aber die Eigenthümlichkeit ihrer Schule war stark genug, um ein
Gegengewicht in die Wagschale zu legen.
Einer von ihnen, Lodovico Mazzolino (1481—1530), erwehrte
sich dieses Einflusses vollständig. Er behält seinen altoberitalischen
Realismus bei, und zwar in Verbindung mit einem venezianisch glü-
henden Colorit. Seine meist kleinen Cabinetbilder (je kleiner desto
werthvoller) kommen in Ferrara selten, in Italien hie und da (Pal.
Borghese und Doria in Rom; Uffizien), im Ausland häufiger vor.e
Überladen, auch gedankenlos, in der Zeichnung ohne rechte Grund-
lage, im Anbringen von Hallen mit Goldreliefs einer der masslosesten,
imponirt M. durch die tiefe saftige Frische der Farben, die mit all
ihrer Buntheit eine Art von Harmonie bilden. Von Weitem leuchten
sie durch die Galerien. Im Ateneo zu Ferrara ein etwas grösseresf
Bild: Anbetung des Kindes mit Heiligen.
Benvenuto Tisio, gen. Garofalo (1481—1559), wächst aus
demselben Grunde mit Mazzolino. (Bildchen im Pal. Borghese.) Spä-g
ter bei mehrmaligem Aufenthalt in Rom und zwar in Rafaels Schule
suchte er sich den römischen Styl nach Kräften anzueignen. Er hatte
von Hause aus die Anlage zu einem venezianischen Existenzmaler in
der Art eines Pordenone oder Palma; nun schuf er Altarblätter in
einem idealern Styl als er gedurft hätte. Es ist schwer, Werke von
einem so ernsten Streben wie die seinigen nach der höchsten Strenge
1)
[942]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafaelisten.
zu beurtheilen, zumal bei der stellenweise ganz venezianischen Pracht,
Harmonie und Klarheit der Farben. Und doch ist es eine Thatsache,
dass der innere Sinn oft von ihm abgestossen wird, während das Auge
sich noch ergötzt. Er ist kein Manierist; selbst die zahllosen kleinen
aBildchen zumal der Gal. Doria und der Gal. des Capitols, sind mit
voller äusserer Gewissenhaftigkeit componirt und gemalt. Aber sein
Gefühl füllt die Formen nicht aus, die er schafft, sein Pathos ist ein
unsicheres, seine idealen Köpfe, zumal die grossen, verrathen eine
bgeistige Leere. (So der schöne Apostelkopf im Pal. Pitti, die Judith
cbei Camuccini zu Rom.) Am ehesten in seinen wenigen Genrebildern
d(Eberjagd im Pal. Sciarra; Reiterzug im Pal. Colonna, dem Bagna-
cavallo zugeschrieben) ist er ganz der farbenreiche und naive Ferra-
rese. — In den spätern Werken verhält er sich zu den Schülern Ra-
faels wie früher zu Rafael selbst, auch wird sein Colorit schwächer.
Seine Kirchenbilder sind hauptsächlich folgende.
In Rom: Pal. Doria: Heimsuchung, und Anbetung des Kindes,
ffrüh und schön. — Pal. Chigi: Himmelfahrt Christi, und ein Bild mit
gdrei Heiligen, ebenso. — Pal. Borghese: die Kreuzabnahme, Haupt-
hbild. — Im Museum von Neapel: Kreuzabnahme, im Ausdruck stiller
iund tiefer. — In der Brera zu Mailand: eine Pietà mit vielen Fi-
kguren, und ein Crucifixus, früh. — In der Academie zu Venedig:
Madonna in Wolken, mit 4 Heiligen, datirt 1518, vorzüglich. — In
lder Galerie zu Modena: zwei thronende Madonnen mit Heiligen,
meine schöne der mittlern Zeit, und eine späte. — In S. Salvatore zu
Bologna, 1. Cap. 1.: häusliche Scene bei Zacharias. —
In Ferrara: im Ateneo: Grosses allegorisches Frescobild, als
Ganzes nichtig und widerwärtig, reine Buchphantasie, aber mit schö-
nen Episoden, mittlere Zeit; grosse Anbetung der Könige vom Jahr
1537 und noch sehr brillant; Gethsemane u. A. m. (Bald wird hier
auch das Abendmahl aus S. Spirito aufgestellt werden, wovon man
oeinstweilen Candi’s Copie sieht.) — Im Dom: zu beiden Seiten des
Portals schlichte und edle Frescogestalten des Petrus und Paulus;
3. Alt. 1.: thronende Madonna mit 6 Heiligen, vom Jahr 1524, Haupt-
bild; rechtes Querschiff: Petrus und Paulus; linkes: Verkündigung,
pspät. — In S. Franceseo, Fresken der 1. Cap. 1.: die beiden Donatoren
zu den Seiten des Altars, köstlich früh ferraresisch; der Judaskuss
[943]Garofalo. Dosso Dossi.
nebst einfarbigen Seitenfiguren, spät. — In S. Domenico: Bilder dera
4. Cap. r. und 4. Cap. 1. — In S. Maria in Vado, 5. Alt. 1.: Himmel-b
fahrt Christi, Copie des Carlo Bonone. (In den 2 äussersten Capellen
des linken Querschiffes die beiden grossen ehemaligen Orgelflügel,
zusammen eine Verkündigung enthaltend, von einem guten Zeitgenos-
sen oder Schüler).
Dosso Dossi (st. 1560) liess sich weniger von Rafael des-
orientiren, dessen persönlichen Einfluss er nicht mehr erfuhr. Er blieb
ein Romantiker auf eigene Gefahr und behielt (die späteste Zeit aus-
genommen) seine Gluthfarben und seine eigenen bisweilen ungeschick-
ten und bizarren, oft aber höchst bedeutenden Gedanken; in den
Charakteren steht er nicht selten den grössten Venezianern gleich, am
ehesten dem Giorgione.
Frühere kleine Bilder sind ganz ferraresisch (Uffizien: Kinder-c
mord; Pal. Pitti: Ruhe auf der Flucht, mit herrlicher Landschaft). —d
Von den Altarbildern ist das grosse aus einer Madonna mit Heiligen
und 5 Nebenabtheilungen bestehende im Ateneo zu Ferrara (aus S.e
Andrea, wo man jetzt Candi’s Copie findet) einer der grössten Kunst-
schätze Oberitaliens; streng architektonische Anordnung, Adel und
Fülle der Charaktere, gewaltige Kraft der Farbe. — Ebenda: eine
grosse Verkündigung, und ein Johannes auf Pathmos, von misslunge-
nem pathetischem Ausdruck. — In der Brera zu Mailand: ein heiligerf
Bischof mit 2 Engeln (1536). — Im Dom von Modena, 4. Alt. 1., Ma-g
donna in Wolken, unten S. Sebastian, S. Hieronymus und Johannes
d. T., Hauptbild. — In der Galerie zu Modena: grosse Anbetung derh
Könige mit phantastisch beleuchteter Landschaft; grosses Carthäuser-
votivbild mit der auf Wolken schwebenden Jungfrau. — Ebenda al
Carmine, 3. Alt. r.: ein heiliger Dominicaner, ein schönes dämonischesi
Weib mit Füssen tretend. — Ebenda in S. Pietro, 3. Alt. r.: Mariäk
Himmelfahrt, die Apostel (3 rechts, 3 links und 6 hinten) treten ganz
feierlich mit ihren Attributen heran; — andere Bilder dieser Kirche
werden theils seiner Schule, theils seinem Bruder Gian Battista zu-
geschrieben, so die artige Predella des 5. Alt. r., — die naiv schöne
auf Wolken schwebende Madonna mit zwei heil. Bischöfen auf dem
[944]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Ferrara. Siena.
7. Alt. 1., — die Madonna in Wolken mit S. Gregor und S. Georg,
wozu eine landschaftlich köstliche Predella, sicher von Gian Battista,
gehört, 2. Alt. 1. — Als Genremaler ist Dosso Dossi besonders in der
aGalerie von Modena vertreten, hauptsächlich allerdings nur durch jene
zu halbdecorativem Zweck gemalten Ovalbilder mit Essenden, Trin-
kenden und Musicirenden, in welchen man doch Giorgione’s Vorbild
ahnen kann; ebenda eine Anzahl Porträts, mit welchen die Phan-
tasie den Hof von Ferrara wie er in den spätern Zeiten war, be-
bvölkern mag. — Im Castell von Ferrara hat Dosso mit Hülfe seiner
Schule mehrere Räume verziert; es sind meist Arbeiten seiner ganz
späten, schon manierirten Zeit, selbst die berühmte Aurora in dem
Saal der 4 Tageszeiten; auch die drei kleinen Bacchanale (in einem
kleinen Corridor) haben nicht mehr die Frische und Schönheit, die
solche Gegenstände verlangen. Nicht das Mythologische, sondern das
frei Fabelhafte wäre Dosso’s Fach gewesen. Man sieht im Pal. Bor-
cghese zu Rom ein Bild seiner besten Zeit: Circe (?) im Walde, magi-
sche Künste übend. Es ist die lebendig gewordene Zaubernovelle; so
dachte Ariost seine Gestalten.
Ein Zeitgenosse des Garofalo und Dosso, der Ortolano, hat zu
dS. Francesco in Ferrara die Orgelflügel (linkes Querschiff) ganz tüch-
tig in der Art des Erstern mit grossen Heiligenfiguren geschmückt.
(Die Halbfiguren an der Brustwehr theils von Garofalo selbst, theils
von Bonone.)
Die Unzulänglichkeit und Erstorbenheit der alten sienesischen
Schule muss gegen Ende des XV. Jahrh. sehr unverhohlen als That-
sache anerkannt gewesen sein, indem man sonst nicht Pinturicchio von
Perugia berufen hätte, um die Libreria und die Capelle San Giovanni
im Dom auszumalen. Es scheint sogar, dass einzelne Sienesen nach
Perugia in die Schule gingen, wie die frühern Bilder des Domenico
Beccafumi (s. unten) beweisen. Sehr eigenthümlich äussert sich die-
ser peruginische Einfluss ferner bei dem edeln, männlichen Bernar-
dino Fungai, der die schöne Inspiration davon annahm ohne die
[945]Fungai. Sodoma.
äusserlichen Manieren; seine Bilder in der Academie (3. Raum unda
gr. Saal) sind noch sienesisch befangen; die Krönung Mariä mit vier
Heiligen in der Kirche Fontegiusta (rechts) nähert sich schon mehrb
den Umbriern und den Florentinern; die Lunette über dem Hochaltar
ebenda, Mariä Himmelfahrt, hat bereits in den musicirenden Engeln
Einzelnes von hoher Schönheit; endlich lebt der Meister weiter in
einem Bilde seines Schülers Pacchiarotto (S. Spirito, 3. Cap. 1.);c
wiederum eine Krönung Mariä, unten drei knieende Heilige, schön
und andächtig, ernst und gemessen wie die Heiligen Spagna’s. —
(Das grosse Bild Fungai’s im Carmine, Madonna mit Heiligen, vomd
Jahr 1512, hat der Verf. nicht gesehen.)
Allein die dauernde Hülfe konnte der Schule nicht durch Meister
des passiven Ausdruckes kommen, wie die meisten Peruginer waren,
sondern nur durch Theilnahme an der grossen Historienmalerei, die
damals durch ganz Italien ihre Triumphe feierte. Und zwar sollte
es ein Lombarde sein, Antonio Razzi von Vercelli, genannt il
Sodoma (1479—1554), welcher dem Geiste der sienesischen Schule
für lange, ja auf mehr als ein Jahrhundert hin eine neue, frucht-
bringende Richtung gab.
Sodoma hatte sich bei den mailändischen Schülern Leonardo’s
gebildet (wie denn noch sein frühstes Bild in Siena, die Kreuzabnahmee
in S. Francesco, rechts, vom Jahr 1513, durch Auffassung und Farben-
glanz einigermassen an Gaudenzio Ferrari erinnert); später bei mehr-
maligem Aufenthalt in Rom nahm er, wie es scheint, den Eindruck
Rafaels nachhaltiger in sich auf als die meisten von dessen Schülern
und bewahrte denselben als diese ihn schon längst vergessen hatten.
Sein Genius hatte allerdings bestimmte Schranken, über welche
er nie hinauskam. Ganz erfüllt von der Schönheit der menschlichen
Gestalt, die er in rafaelisch anmuthigen Kinderfiguren (Putten) wie
in Personen jedes Alters nackt oder bekleidet auf das grossartigste
darzustellen wusste, besass er kein Auge für das Mass der historischen
Composition. Er füllte seine Räume dergestalt mit Motiven jedes
Grades an, dass immer eines das andere verdrängt oder aufhebt. So
ist von den beiden grossen Fresken im zweiten obern Saal der Far-f
nesina zu Rom, Alexander mit Roxane, und die Familie des Darius,
das erstere durch Überreichthum an Schönheiten, das letztere zudem
B. Cicerone. 60
[946]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Siena.
adurch Verwirrung nicht nach Verdienst geniessbar. In S. Domenico
zu Siena malte Sodoma (1526) die Capelle der heil. Catharina (rechts)
mit Scenen aus deren Leben aus, von welchen wenigstens die figuren-
reichste vor lauter Fülle ganz unklar wird, während so viel Einzelnes
in Charakteren und Bewegungen unvergleichlich bleibt; die Ver-
zierungen der Pilaster und die Putten darüber gehören ganz der gol-
denen Zeit an 1). — Es ergiebt sich aus dem Gesagten von selbst, dass
Sodoma am besten wirkt in isolirten Figuren, deren denn auch einige
keinen Vergleich in der Welt zu scheuen haben. Am besten wird
bman dessen gewahr in S. Bernardino (oberes Oratorium) wo die
vier einzelnen Heiligen S. Ludwig von Toulouse, S. Bernhardin, S.
Antonius von Padua und S. Franz als vollkommen, die historischen
Compositionen dagegen, Mariä Darstellung, Heimsuchung, Himmel-
fahrt und Krönung, nur als bedingte Lösungen dieser Aufgaben er-
cscheinen 2). Im Pal. pubblico sind die drei fast nur von Putten
begleiteten Heiligen S. Ansano, S. Vittorio und S. Bernardo Tolomei
(in der Sala del Consiglio) so rein und gross als irgend etwas Ähn-
dliches aus dieser Zeit, die Auferstehung dagegen (Stanza del Gonfa-
eloniere) nur im Detail trefflich. In S. Spirito (1. Cap. rechts) malte
Sodoma (1530) um eine Altarnische herum oben S. Jacob zu Pferde
als Saracenensieger, unten rechts und links S. Antonius den Abt und
S. Sebastian; wiederum von seinen herrlichsten Arbeiten. Von den
fin die Academie gebrachten Kirchenfresken wird (4. Raum) das
grandiose Eccehomo, der leidende Normalmensch in einem Augenblick
der Ruhe, immer den Vorzug behalten vor dem Christus am Ölberg
und in der Vorhölle (gr. Saal), obwohl gerade das letztere Bild grosse
gEinzelschönheiten hat. (Die Geburt Christi an der Porta Pispini hat
der Verf. übersehen; leider war ihm auch der Besuch des Klosters
hMonte Oliveto unweit Buonconvento nicht vergönnt, wo sich So-
doma in einem grossen Cyclus historischer Fresken von höchstem
Werthe verewigt hat. Sind dieselben wirklich aus seiner Jugend, vom
Jahr 1502, so müssen sie seinem frühern lombardischen Styl ent-
sprechen.)
[947]Sodoma.
Mit voller Freude hat Sodoma, wie die Grössten seiner Zeit über-
haupt, nur in Fresco gearbeitet. Da erging sich seine Hand im frei-
sten und sichersten Schwung; mit hohem Genuss wird man diese
gleichmässigen, leichten Pinselstriche verfolgen, mit welchen er die
Schönheit festzauberte. In Staffeleibildern war er insgemein befange-
ner, und brauchte Farben, die einem ungleichen Nachdunkeln unter-
worfen sind, sodass z. B. ein ohnehin überfülltes Bild wie seine An-
betung der Könige in S. Agostino zu Siena (Nebencapelle rechts)a
ungünstig wirkt. In andern Fällen jedoch, wo sich z. B. die Haupt-
figuren mehr isoliren, siegt er durch die sehr gewissenhafte Durch-
führung der schönen Form. Auferstehung Christi, im Museum vonb
Neapel (Hauptsaal); das Opfer Abrahams, im Dom von Pisa (Chor);c
derselbe Gegenstand in der Brera zu Mailand; der S. Sebastian ind
den Uffizien (tosk. Sch.), vielleicht der schönste den es giebt, zu-e
mal mit den absichtlichen Schaustellungen der spätern Schulen ver-
glichen; hier ist wahres edles Leiden in der wunderbarsten Form
ausgedrückt.
Seine Madonna ist in der Regel ernst und nicht mehr ganz ju-
gendlich, sein Christuskind den frei spielenden Putten seiner Fresken
selten an Unbefangenheit und an Werthe gleich. (Pal. Borghese u.f
a. a. O.) Ebenso sein Eccehomo (Pal. Pitti und Uffizien) nicht dem-g
jenigen in Fresco. Sein eigenes treffliches Porträt in den Uffizien.
Die Ornamente und kleinen Zwischenbilder an der Decke der
Camera della Segnatura im Vatican bekenne ich nie genau angesehenh
zu haben. — Von den Fresken des Conservatorenpalastes auf dem Ca-i
pitol werden dem S. neuerlich die sehr kindlichen Scenen aus dem
punischen Kriege im 7. Zimmer zugeschrieben; nach meiner Ansicht
gehören ihm eher einige Figuren im 4. Zimmer (wenn ich nicht irre,
dem der Fasti).
Zunächst schlossen sich seinem Styl einige Schüler früherer Sie-
neser an; so Andrea del Brescianino (schöne Taufe Christi aufk
dem Altar von S. Giovanni, der Unterkirche des Domes von Siena;
Madonna mit Heiligen, Acad., gr. Saal) und vorzüglich Jacopo Pac-l
chiarotto. Die frühern Bilder des letztern (S. 945, c) verbinden wie
60*
[948]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Siena.
die besten des Fungai den peruginischen Ausdruck mit einer ernst
gemeinten, tiefen Charakteristik; dieser Art soll ausser dem genannten
ain S. Spirito auch eine Madonna mit Heiligen in S. Cristoforo sein.
Später wurde er unter der offenbaren Einwirkung Sodoma’s (auch
wohl des Fra Bartolommeo und Andrea del Sarto) einer der wenigen
Historienmaler, welche in den nächsten Jahrzehnden nach Rafaels Tode
die Ehre der historischen Kunst im höhern Sinn vertraten. Ohne den
Sodoma in der schwungvollen Schönheit der einzelnen Gestalten zu
erreichen, war er ihm als Componist beträchtlich überlegen; man wird
bin S. Bernardino (oberes Oratorium) die Geburt Mariä und den eng-
clischen Gruss, ganz besonders aber in S. Caterina (unteres Oratorium)
die Geschichten der Heiligen (die beiden Bilder rechts und das zweite
links) dem Andrea del Sarto nicht weit nachsetzen können. Der Mord-
anfall auf die Mönche ist als Scene vortrefflich entwickelt, die Heilige
an der Leiche der heil. Agnese ein Bild voll des schönsten Ausdruckes.
dVon P.’s Bildern in der Academie ist eine Himmelfahrt Christi (gr.
Saal) noch etwas befangen; ein grosser „englischer Gruss“, mit der
Heimsuchung im Hintergrunde, oben Putten, welche die Vorhänge bei
Seite ziehen, wird einem Girolamo del Pacchia zugeschrieben, welcher
vielleicht mit Pacchiarotto identisch ist; ein herrliches Bild, welches
den Geist der sienesischen und der florent. Schule in reinster Ver-
bindung zeigt.
Domenico Beccafumi machte in seinem langen Leben die
Style mit, die in seiner Umgebung herrschten. Seine Jugendbilder
sehen bisweilen denjenigen der peruginischen Schule und Perugino’s
selbst zum Verwechseln ähnlich. In seiner zweiten und besten Pe-
riode steht er dem Sodoma kaum minder würdig zur Seite als Pac-
echiarotto; dahin gehört das schöne Bild in der Acad. (Saal der Scuole
diverse), welches mehrere Heilige in archit. Umgebung und oben eine
Erscheinung der Madonna darstellt; ebenso die grandiosen Composi-
ftionen in S. Bernardino, Vermählung und Tod der Maria nebst dem
Altarbilde. In seiner spätern Zeit kam die Ausartung und falsche
Virtuosität der römischen Schule über ihn. (Sturz der bösen Engel,
gAcad., gr. Saal; Fresken der Sala del concistoro im Pal. pubblico etc.)
Der Charakter war vielleicht dem Talent nicht gewachsen. — Von
hdem figurirten Marmorboden des Domes werden die besten Zeichnun-
[949]Pacchiarotto. Beccafumi. Peruzzi.
gen (im Chor) ihm zugeschrieben, grosse figurenreiche Compositionen,
schon ziemlich römisch. — In den Uffizien das Rundbild einer heil.a
Familie.
Der grosse Baumeister Baldassare Peruzzi ist als Maler
entweder vorzugsweise Decorator (S. 173, f) oder in den Manieren des
XV. Jahrh. befangen (Deckenbilder des Saales der Galatea in derb
Farnesina zu Rom, wo freilich neben Rafael Alles unfrei aussieht).
Auf den wenigen Malereien seiner spätern Zeit ruht jedoch Rafaels
und Sodoma’s Geist. Das Fresco der ersten Capelle links in S. Mariac
della Pace zu Rom, eine Madonna mit Heiligen und Donator, hält
diessmal gegenüber von Rafaels Sibyllen wenigstens so weit die Probe
aus, dass man in den schönen und klar gegebenen Charakteren und
in der freien Behandlung den Künstler der goldenen Zeit auf den
ersten Blick erkennt. In der Kirche Fontegiusta zu Siena (links) istd
das einfach grandiose Frescobild des Augustus und der tiburtinischen
Sibylle trotz seiner übeln Beschaffenheit ebenso ein ergreifender Klang
aus jener grossen Epoche. (Die Malereien im Chor von S. Onofrioe
zu Rom, die Mosaiken in der unterirdischen Capelle von S. Croce inf
Gerusalemme ebenda, und die wenigen Staffeleibilder Peruzzi’s gehören
vorwiegend zu seinen manierirten Sachen.)
Von dem Untergang der Republik an (1557) verdunkelt sich auch
der künstlerische Glanz Siena’s, doch nur für einige Zeit. Die Nach-
blüthe der ital. Malerei, welche gegen Ende des XVI. Jahrh. beginnt,
hat gerade hier einige ihrer tüchtigsten Repräsentanten.
In Verona repräsentiren vorzüglich zwei Maler die goldene Zeit:
Gianfrancesco Caroto, Schüler Mantegna’s, und Paolo Ca-
vazzola, Schüler des Franc. Morone; welchen man noch den Giol-
fino beigesellen kann.
Durch die Verhüllung der Altarblätter wegen der Fasten sah sich
der Verf. mit seinem Urtheil beinahe ganz auf die Gemälde derselben
in der Pinacoteca zu Verona beschränkt. Caroto’s graue Unter-
[950]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Verona.
amalung einer Anbetung der Hirten ist eine unscheinbare und doch
herrliche Schöpfung; der Geist Lionardo’s berührt die Schule des
Mantegna; — ebenda eine andere Anbetung des Kindes, eine thro-
nende Madonna mit Heiligen auf Wolken, u. A. m. Weit das Wich-
btigste in S. Eufemia. — Von Cavazzola enthält die Pinacoteca das
grosse Hauptwerk (1517) einer Passion in drei Bildern; wiederum
ein wunderbarer Übergang aus dem Realismus des XV. Jahrh. in die
edle, freie Charakteristik des XVI., nicht in leere Idealität; — ausser-
dem frühe kleinere Passionsbilder, grandiose Halbfiguren von Aposteln
und Heiligen; Christus und Thomas; endlich eine herrliche grosse Ma-
donna mit Heiligen (1522), welche in der ganzen Behandlung, auch
in der trefflichen Landschaft, an die Ferraresen erinnert. (Von ihm
cund Brusasorci sind auch die kleinen Landschaften in S. M. in organo,
S. 272, a, mit hohen und schönen Horizonten, im Ton eher kalt als
venezianisch oder flandrisch, mit biblischen Scenen staffirt.) Einige
dschöne Bilder in der Sacristei von S. Anastasia (Paulus mit andern
Heiligen und Andächtigen; die von Engeln emporgetragene Magdalena)
eund in einer Nebencapelle links an SS. Nazaro e Celso (grosse Taufe
Christi). — Giolfino’s Sachen in der Pinacoteca sind minder be-
fdeutend als der 4. Alt. l. in S. Anastasia, wenigstens dessen Neben-
gmalereien. Fresken in S. M. in organo. — Die zum Theil ganz be-
sonders schönen Fassadenmalereien dieser Meister sind verzeichnet
S. 297 u. 298.
Mitten im höchsten allgemeinen Aufblühen erhebt sich ein Maler,
welcher die Grundlagen und Ziele seiner Kunst ganz anders auffasst,
als alle Übrigen: Antonio Allegri da Coreggio (1494—1534),
Schüler des Francesco Mantegna und des Bianchi Ferrari (S. 820).
Es giebt Gemüther, welche er absolut zurückstösst und welche das
Recht haben, ihn zu hassen. Immerhin möge man die Stätte seiner
Wirksamkeit, Parma, besuchen, wo möglich bei hellem Wetter, wäre
es auch nur um der sonstigen Kunstschätze und um der freund-
[951]Coreggio.
lichen und zuvorkommenden Einwohner willen, die das schlechteste
Strassenpflaster von Italien wohl vergessen zu machen im Stande sind.
Innerlich so frei von allen kirchlichen Prämissen, wie Michelan-
gelo, hat Coreggio in seiner Kunst nie etwas anderes als das Mittel
gesehen, das Leben so sinnlich reizend und so sinnlich überzeugend
als möglich darzustellen. Er war hiefür gewaltig begabt; in Allem,
was zur Wirklichmachung dient, ist er Begründer und Entdecker
selbst im Vergleich mit Lionardo und Tizian.
Allein in der höhern Malerei verlangen wir nicht das Wirkliche,
sondern das Wahre. Wir kommen ihr mit einem offenen Herzen ent-
gegen und wollen nur an das Beste in uns erinnert sein, dessen be-
lebte Gestalt wir von ihr erwarten. Coreggio gewährt diess nicht;
das Anschauen seiner Werke wird darob wohl zu einem unaufhörli-
chen Protestiren; man ist versucht sich zu sagen: „als Künstler hättest
du dieses Alles höher zu fassen vermocht.“ Vollständig fehlt das sitt-
lich Erhebende; wenn diese Gestalten lebendig würden, was hätte
man an ihnen? welches ist diejenige Gattung von Lebensäusserun-
gen, welche man ihnen vorzugsweise zutrauen würde?
Aber das Wirkliche hat in der Kunst eine grosse Gewalt. Selbst
wo sie das Geringe und Zufällige, ja das Gemeine mit allen Mitteln
der Realität darstellt, übt dasselbe einen zwingenden Zauber, wenn
auch von widriger Art. Handelt es sich aber um das sinnlich Rei-
zende, so erhöht sich dieser Zauber unendlich und berührt uns dä-
monisch. Wir brauchten dieses Wort bei Michelangelo’s Postulat
einer physisch erhöhten Menschenwelt; mit ganz entgegengesetzten
Mitteln bringt Coreggio eine Wirkung hervor, die wiederum nicht an-
ders zu bezeichnen ist. Er zuerst stellt in seinen Scenen den Na-
turmoment vollständig und vollkommen dar. Das Zwingende liegt
nicht in dieser oder jener schönen und buhlerischen Form, sondern
darin, dass für die Existenz dieser Form eine unbedingte Überzeu-
gung in dem Beschauer hervorgebracht wird vermöge der vollkom-
men wirklichen (und durch versteckte Reizmittel erhöhten) Mitdar-
stellung von Raum und Licht.
Unter seinen Darstellungsmitteln ist das Helldunkel sprichwört-
lich berühmt. Das ganze XV. Jahrh. zeigt eine Menge einzelner Versuche
dieser Art, allein bloss mit dem Zweck, das Einzelne möglichst vollständig
[952]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio.
zu modelliren. Bei Coreggio zuerst ist das Helldunkel wesentlich für
den Mitausdruck des malerisch geschlossenen Ganzen; in diesem Strom
von Lichtern und Reflexen liegt gerade der Naturmoment ausgedrückt.
Abgesehen davon wusste Coreggio zuerst, dass die Oberfläche des
menschlichen Körpers im Halblicht und im Reflex den reizendsten
Anblick gewährt.
Seine Farbe ist in der Carnation vollendet und auf eine Weise
aufgetragen, die ein ganz unendliches Studium der Erscheinung in
Luft und Licht voraussetzt. In der Bezeichnung anderer Stoffe raffi-
nirt er nicht; die Harmonie des Ganzen, der Wohllaut der Übergänge
liegt ihm mehr am Herzen.
Das Hauptmerkmal seines Styles aber ist die durchgängige Be-
weglichkeit seiner Gestalten, ohne welche es für ihn kein Leben
und keine vollständige Räumlichkeit giebt, deren wesentlicher Mass-
stab ja die bewegte und zwar mit dem vollkommenen Schein der Wirk-
lichkeit bewegte, also je nach Umständen rücksichtslos verkürzte
Menschengestalt ist 1). Er zuerst giebt auch den Glorien des Jenseits
einen kubisch messbaren Raum, den er mit gewaltig wogenden Ge-
stalten füllt. — Diese Beweglichkeit ist aber keine bloss äusserliche,
sondern sie durchdringt die Gestalten von innen heraus; Coreggio er-
räth, kennt und malt die feinsten Regungen des Nervenlebens.
Von grossen Linien, von strenger architektonischer Composition
ist bei ihm nicht die Rede, auch von der grossen, befreienden Schön-
heit nicht. Sinnlich Reizendes giebt er in Fülle. Hie und da ver-
räth sich auch eine tief empfindende Seele, welche vom Wirklichen
ausgehend grosse geistige Geheimnisse offenbart; es giebt Bilder des
Leidens von ihm, welche zwar nicht grossartig, aber durchaus edel,
rührend und mit unendlichem Geist durchgeführt sind. (Von seinem
aChristus am Ölberg eine gute alte Copie in den Uffizien.) Allein es
sind Ausnahmen.
[953]Frühere Staffeleibilder.
Ein frühes Bild ist die Ruhe auf der Flucht, in der Tribunaa
der Uffizien, mit S. Bernhard; die Vorstufe der unten zu nennenden
Madonna della Scodella. Hier zum erstenmal wird die Scene zum
lieblichen Genrebild, was sie bei den Realisten des XV. Jahrh. trotz
aller Züge aus der Wirklichkeit noch nicht ist. Einige Befangenheit
zeigt sich in dem gleichgültigen Kopf der Mutter und in der Un-
schlüssigkeit des Kindes, die von Joseph gepflückten Datteln anzu-
nehmen. Die Farbe ist noch ungleich, theilweise merkwürdig vol-
lendet.
Ebenda, vielleicht ebenfalls noch früh: Madonna im Freien vorb
dem auf Heu liegenden Kinde knieend — nicht mehr um es anzu-
beten, sondern um ihm lachend mit den Händen etwas vorzumachen;
wunderbar gemalt, das Kind auf die anmuthigste Weise verkürzt; die
Mutter schon von derjenigen kleinlichen Hübschheit, welche ihr bei
C. eigen bleibt. — (Der Kopf Johannis d. T. auf einer Schüssel, ebenda,
ist keiner von den grossartig duldenden, nicht der enthauptete Pro-
phet, sondern ein schon bei Lebzeiten kränklicher Frömmler — üb-
rigens zweifelhaft. So auch der über die nackte Schulter sehende ju-
gendliche Kopf derselben Sammlung, vielleicht Copie aus der Schule
der Caracci. — Im Pal. Pitti ein unbedeutendes Kindesköpfchen.)c
Entschieden sehr früh die grosse Kreuztragung in der Galeried
von Parma; schon mit unbedingtem Streben nach Affect (bis zur Bru-
talität) und mit Nichtachtung der Linien zu Gunsten der Formen
componirt; der Ausdruck der beiden Hauptgestalten wahr und er-
greifend.
Von 1518 an, seit welchem Jahre Coreggio in Parma sesshaft
war, entstand jene Reihe von Meisterwerken, deren vorzüglichste nach
Dresden und Berlin gerathen sind. (Von der Dresdner Magdalenae
eine schöne alte Copie bei Camuccini in Rom.) Doch besitzt auch
Italien noch mehrere von höchster Bedeutung.
Im Museum von Neapel: das kleine Bildchen der Vermählungf
der heil. Catharina, leicht und kühn gemalt; dass das Kind ob
der befremdlichen Ceremonie fragend die Mutter ansieht, ist ganz ein
Zug in der Art Coreggio’s, der die Kinder nicht anders als naiv kennen
wollte. (Der Christus auf dem Regenbogen, vatican. Gal., kann dochg
nur als caracceskes Bild gelten.)
[954]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio.
Ebenda: la Zingarella, d. h. Madonna über das Kind gebeugt
auf der Erde sitzend, oben im Palmendunkel schweben reizende Engel.
Coreggio hebt in der Maria das Mütterliche hier und auch sonst nicht
selten mit einer wahren Heftigkeit hervor, als fühlte er, dass er seinem
Typus keine höhere Bedeutung verleihen könne. Die Ausführung
vielleicht etwas früher, übrigens von grösster Schönheit.
Auch die grosse Frescomadonna in der Galerie von Parma
zeigt Mutter und Kind innig verschlungen; eines der schönsten Linien-
motive C.’s; Köpfe und Hände wunderbar zusammengeordnet (der-
gleichen sonst seine starke Seite nicht ist); Hauptbeispiel seines weib-
lichen Idealkopfes mit den colossalen Augenlidern und dem Näschen
und Mündchen.
Ebenda: die berühmte Madonna della Scodella, eine Scene
der Flucht nach Ägypten. Das zauberhafte Licht in dem heimlichen
Waldraum, die liebenswürdigen Köpfe und die unbeschreibliche Herr-
lichkeit der ganzen Behandlung lassen es vergessen, dass das Bild
wesentlich nach den Farben componirt und in den Motiven überwie-
gend unklar ist. Was will das Kind, ja die Mutter selbst? was fan-
gen die heftig bewegten Engel oben mit der Wolke an? wie hat man
sich den Engel, welcher das Lastthier bindet und denjenigen mit dem
Rebenzweig vollständig entwickelt zu denken? Man scheue sich nur
nicht, Fragen, die man an jeden Maler stellt, auch an Coreggio zu
stellen. Wer solche Wirklichkeit malt, ist zur Deutlichkeit doppelt
verpflichtet.
Auch die Madonna di S. Girolamo (ebenda) wiegt durch
eine fast (doch nicht ganz) ebenso erstaunliche Behandlung die grossen
sachlichen Mängel nicht auf. Hieronymus steht affectirt und unsicher
wie denn Coreggio im Grossartigen nirgends glücklich ist; das Kind,
welches dem im Buche blätternden Engel winkt und mit den Haaren
der Magdalena spielt, ist von einer unbegreiflichen Hässlichkeit, ebenso
der Putto, welcher am Salbengefäss der Magdalena riecht 1). Nur
[955]Staffeleibilder der vollendeten Zeit.
Letztere ist ganz ausserordentlich schön und zeigt in der Art, wie sie
sich hinschmiegt, die höchste Empfindung für eine bestimmte Art
weiblicher Anmuth.
Die Kreuzabnahme, ebenda, vor Allem ein Wunderwerk dera
äussern Harmonie. Der Kopf des liegenden Christus von höchst edelm
Schmerzensausdruck, die Übrigen aber beinah kleinlich und selbst gri-
massirend. Die Ohnmacht ist in der Maria sehr wirklich dargestellt,
sodass man z. B. inne wird, wie sie die Herrschaft über den linken
Arm verliert.
Das Gegenstück (wie obiges auf damascirte Leinwand gemalt):
Die Marter des heil. Placidus und der heil. Flavia; in derb
malerischen Behandlung nicht minder ausgezeichnet. Ein verhängniss-
volles Bild, dessen übelste Eigenschaften bei den Malern des XVII.
Jahrh. nur zu vielen Anklang gefunden haben. Verlangte man von
C. diese Scene oder ist er hier freiwillig der erste Henkermaler, wie
er anderwärts der erste ganz verbuhlte Maler ist? Höchst seelenruhig
und kunstgerecht zieht der eine Henker der süsslichen Flavia die
Flechte mit der Linken herunter und stösst sie mit dem Schwert
unter die Brust; der andere zielt auf den ganz devot vor ihm knieen-
den Placidus; rechts sieht man zwei Rümpfe von Enthaupteten, ja
aus dem Rahmen schaut noch der Arm eines Henkers hervor, der
einen blutigen Kopf trägt. Auf den ersten Blick erscheint das Ganze
erstaunlich modern.
Von den Fresken Coreggio’s in Parma sind diejenigen in einem
Gemach des aufgehobenen Nonnenklosters S. Paolo die frühsten.c
Über dem Kamin sieht man Diana in ihrem Wagen auf Wolken
fahrend; am Gewölbe, welches über 16 trefflichen einfarbig gemalten
Lunetten mythologischen Inhaltes emporsteigt, ist eine Weinlaube ge-
malt und in den runden Öffnungen derselben die berühmten Putten,
zu zweien oder dreien in allerlei Verrichtungen gruppirt. Sie sind
nicht schön im Raum, auch nicht in den Linien, überhaupt fehlte dem
Maler das architektonische Element, das solchen Decorationen zu
1)
[956]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio.
Grunde liegen muss; allein es sind Bilder der heitersten Jugend, Im-
provisationen voll von Leben und von Schönheit. (Gutes Reflexlicht
bei Sonnenschein 10—12 Uhr.)
Bald darauf, 1520—1524, malte C. in S. Giovanni, und zwar wohl
zuerst die schöne und strenge Gestalt des begeisterten Evangelisten
ain einer Thürlunette des linken Querschiffes. — Dann die Kuppel.
(Im Februar war um 12 Uhr und gegen 4 Uhr die Beleuchtung am
leidlichsten. S. 205, oben.) Es ist die erste einer grossen Gesammt-
composition gewidmete Kuppel; Christus in der Glorie, von den auf
Wolken sitzenden Aposteln umgeben, und zwar Alles als Vision des unten
am Rand angebrachten Johannes. Die Apostel sind echte Lombarden
des nobeln Typus, von einer grandiosen Körperlichkeit; der greise,
ekstatische Johannes (absichtlich?) unedler. Die völlig durchgeführte
Untensicht, von welcher dieses Beispiel das frühste erhaltene und jeden-
falls das frühste so ganz durchgeführte ist (vgl. S. 952, Anm.), erschien
den Zeitgenossen und Nachfolgern als ein Triumph aller Malerei. Man
vergass, welche Theile des menschlichen Körpers bei der Untensicht
den Vorrang erhalten, während doch der Gegenstand dieses und der
meisten spätern Kuppelgemälde — die Glorie des Himmels — nur
das geistig Belebteste vertragen würde. Man empfand nicht mehr,
dass für diesen Gegenstand die Raumwirklichkeit eine Entwürdigung
ist und dass überhaupt nur die ideale, architektonische Composition
ein Gefühl erwecken kann, welches demselben irgendwie gemäss ist. Nun
ist schon hier gerade die Hauptgestalt, Christus, wahrhaft froschartig
verkürzt; auch bei einzelnen Aposteln rücken die Kniee bis gegen
den Hals. Als Raumverdeutlichung, Stütze und Sitz, malerisch auch
als Mittel der Abstufung und Unterbrechung dienen die Wolken,
welche Coreggio als consistent geballte Körper von bestimmtem Vo-
lumen behandelt. — Auch an den Pendentifs (Zwickeln) der Kuppel
sitzen die an sich sehr schönen, nur übermässig verkürzten Gestalten
— je ein Evangelist und ein Kirchenvater — auf Wolken, während
noch Michelangelo seinen Propheten und Sibyllen an ähnlicher Stelle
feste Throne gegeben hatte.
Die Halbkuppel des Chores derselben Kirche, mit der grossen
Krönung der Maria, wurde 1584 abgebrochen. Doch wurde die Haupt-
gruppe (Christus und Maria) gerettet und ist gegenwärtig in einem
[957]Fresken: S. Paolo; S. Giovanni; Dom.
Gange der herzogl. Bibliothek angebracht; ausserdem hatten Annibalea
und Agostino Caracci fast das Ganze stückweise copirt (sechs Stücke
in der Galerie von Parma, mehrere im Museum von Neapel), undb
Cesare Aretusi wiederholte hernach an der neuen Halbkuppel die
ganze Composition so gut er konnte. — Ein leidenschaftlicher Jubel
durchströmt den ganzen Himmel in dem geweihten Augenblick; die
schönsten Engel drängen sich zu einem Heere zusammen. Aber die
Madonna selbst ist weder naiv noch schön, Christus eine mittel-
mässige Bildung. (Beide in den Copien versüsst und so ohne Zwei-
fel auch Johannes d. T.)
Endlich malte C. 1526—1530 die Kuppel des Domes aus undc
gab sich dabei seiner Art von Auffassung des Übersinnlichen in ganz
unbedingtem Masse hin. Er veräusserlicht und entweiht Alles. Im
Centrum (jetzt sehr verdorben) stürzt sich Christus der in Mitten einer
gewaltigen Engel- und Wolkenmasse heraufrauschenden Maria ent-
gegen. Das Momentane ist allerdings überwältigend; der Knäul zahl-
loser Engel, welche hier mit höchster Leidenschaft einander entgegen-
stürzen und sich umschlingen, ist ohne Beispiel in der Kunst; ob diess
die würdigste Feier des dargestellten Ereignisses sein kann, ist eine
andere Frage. Wenn ja, so war auch das mit einem bekannten Witz-
wort bezeichnete Durcheinander von Armen und Beinen nicht zu ver-
meiden, denn wäre die Scene wirklich, so müsste sie sich allerdings
etwa so ausnehmen. — Weiter unten, zwischen den Fenstern, stehen
die Apostel der Maria nachschauend; hinter ihnen auf einer Brust-
wehr sind Genien mit Candelabern und Rauchfässern beschäftigt. In
den Aposteln ist Coreggio inconsequent; wer so aufgeregt ist wie sie,
bleibt nicht in seiner Ecke stehen; auch ihre vermeintliche Grossar-
tigkeit hat etwas merkwürdig Unwahres. Aber ganz wunderschön
sind einige von den Genien, auch manche von den Engeln im Kuppel-
gemälde selbst, und vollends diejenigen, welche in den Pendentifs die
vier Schutzheiligen von Parma umschweben. Es ist schwer, sich ge-
nau zu sagen, welcher Art die Berauschung ist, womit diese Gestalten
den Sinn erfüllen. Ich glaube, dass hier Göttliches und sehr Irdisches
durcheinander rinnen. Vielleicht fasst sie ein jüngeres Gemüth un-
schuldiger auf. (Bestes Licht auch für die Besteigung der Kuppel:
gegen Mittag.)
[958]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio.
Ausserdem sind noch in der Annunziata Reste einer Fresco-
lunette der Verkündigung erhalten; eine der einflussreichsten Compo-
sitionen.
Von monumentalen Malereien mythologischen Inhaltes kenne ich
in Italien ausser den Fresken von S. Paolo nur den vom Adler em-
bporgetragenen Ganymed, jetzt an der Decke eines Saales in der
Galerie zu Modena. Eine von dem Bild in Wien ganz verschiedene
Composition, höchst meisterhaft in Wenigem.
Von Staffeleibildern ist die Danae im Pal. Borghese zu nennen.
Vielleicht C.’s gemeinste Gestalt dieser Art, weil sie nicht einmal
recht sinnlich ist; aber naiv und herrlich gemalt sind die beiden Putten,
welche auf einem Probierstein einen goldenen Pfeil prüfen; der be-
redte Amor ist vollends der Genien im Dom von Parma würdig. —
d(Die Allegorie der Tugend im Pal. Doria zu Rom gilt als echte Skizze,
wenn ich nicht irre, für eines der Temperabilder C.’s in der Samm-
lung der Handzeichnungen im Louvre.)
Wenn Jemand die Gewandtheit bewundert, mit welcher Coreggio
unter allen möglichen Vorwänden nur immer das gegeben habe, was
ihm am Herzen lag, nämlich bewegtes Leben in sinnlich reizender
Form, so ist zu antworten, dass ein solcher Zwiespalt zwischen In-
halt und Darstellung, wenn er in C. existirt hat, die Kunst immer
und unfehlbar entsittlicht. Der Gegenstand ist keine beliebige Hülle
für blosse künstlerische Gedanken.
Bei keinem Meister sind die Schüler übler daran gewesen. Er
nahm ihnen das, was die Meister zweiten und dritten Ranges in jener
Zeit schätzenswerth macht: den architektonischen Ernst der Compo-
sition, die einfachen Linien, die Würde der Charaktere. Was aber
ihm eigen war, dazu reichten wieder ihre Talente nicht aus, oder die
Zeit war dafür noch nicht gekommen. In der That steht sein allbe-
wunderter Styl über ein halbes Jahrhundert isolirt da; indem seine
sämmtlichen Schüler mit einer Art von Verzweiflung sich der römi-
schen Schule in die Arme werfen.
Inzwischen erwuchsen aber seine wahren Erben: die Schule der
Caracci, deren Auffassung dem tiefsten Kerne nach von der seinigen
[959]Seine Schule.
abhängig ist. Desshalb, weil die Modernen ihn ganz in sich aufnah-
men, erscheinen uns seine eigenen Werke so oft als modern. Selbst
was dem XVIII. Jahrh. specifisch eigen scheint, ist in ihm stellen-
weise vorgebildet.
Die ganze Schule ist in der Galerie und den Kirchen von Parmaa
stark repräsentirt. Man wird weniges Lobenswerthe von Pomponio
Allegri (C.’s Sohn), Lelio Orsi, Bernardino Gatti, Gutes und
sehr Fleissiges von Franc. Rondani (Dom, Fresken der 5. Cap.,
rechts), mehreres noch ganz Angenehme von Michelangelo An-
selmi, auch wohl von Giorgio Gandini vorfinden, das Meiste an
Zahl jedenfalls von der Malerfamilie der Mazzola oder Mazzuoli,
welche sich in diesem Jahrhundert ganz an Coreggio anschloss. Gi-
rolamo Mazzola verschmelzt bisweilen einen Zug älterer Naivetät
mit der Art Coreggio’s und der römischen Schule zu einem wunder-
lichen Rococo. Im Ganzen ist er weniger widerwärtig als sein be-
rühmterer Vetter:
Francesco Mazzola, genannt Parmegianino (1503—1540).
Seine „Madonna mit dem langen Halse“ im Pal. Pitti zeigt mit ihrerb
unleidlichen Affectation, wie falsch die Schüler den Meister verstanden
hatten, indem sie glaubten, sein Zauber liege in einer gewissen apar-
ten Zierlichkeit und Präsentationsweise der Formen, während doch
das momentane Leben der reizenden Form die Hauptsache ist. An-
derswo ist Parmegianino ergötzlich durch die Manieren der grossen
Welt, welche er in die heiligen Scenen hineinbringt. Seine heil. Ca-
tharina (Pal. Borghese in Rom) lehnt die Complimente der Engel mitc
einem unbeschreiblichen bon genre ab; bei der pomphaften Heiligen-
cour im Walde (Pinacoteca von Bologna) giebt die Madonna nur mitd
vornehmster Zurückhaltung das Kind der heil. Catharina zum Cares-
siren her.
Allein im Porträt, wo das vermeintlich Ideale wegfiel, ist P. einer
der trefflichsten seiner Zeit. Im Museum von Neapel gehören seinee
Bildnisse des „Columbus“, des „Vespucci“ (beide willkürlich so be-
nannt), dasjenige des De Vincentiis und das der eigenen Tochter des
Meisters zu den Perlen der Galerie, während die Colosse des Pytha-
[960]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
goras und Archimedes abscheulich, die Lucretia und die Madonna
mindestens ungeniessbar sind. Ebenso ist sein eigenes Porträt in den
aUffizien — der wahre bell’uomo von Stande — eines der besten der
ganzen Malersammlung, während die heil. Familie (Tribuna) nur durch
die phantastisch beleuchtete Landschaft erträglich wird. In einem
andern Saal eine ganz kleine Madonna von ihm, eines der besten Li-
nienmotive der Schule.
Es folgt die Malerei der höchsten Augenlust, die venezianische.
Es ist ein denkwürdiges Phänomen, dass sie gerade die höhern Ideale
menschlicher Bildung nicht erreicht noch erreichen will, weil diesel-
ben über das blosse wonnevolle Dasein hinaus zu einer höhern Thä-
tigkeit drängen. Noch merkwürdiger aber ist, dass diese Schule mit
dem (verhältnissmässig) geringsten Gehalt an sog. poetischen Gedan-
ken durch die blosse Fülle der malerischen Gedanken alle andern
Schulen an Werthschätzung erreicht und die meisten weit übertrifft.
Ist diess bloss Folge der Augenlust? oder dehnt sich das Gebiet der
Poesie weit hinab in diejenigen Regionen aus, welche wir Laien bloss
der malerischen Durchführung zuweisen? Gehört nicht schon die dä-
monische Wirkung dahin, welche das in Raum und Licht wirklich
gemachte Sinnlich-Reizende bei Coreggio ausübt? Bei den Venezia-
nern, auf welche er gar nicht ohne Einfluss blieb (schon auf Tizian
nicht), ist dieses ebenfalls das Hauptthema, nur ohne die bei Coreggio
wesentliche Beweglichkeit; ihre Gestalten sind weniger empfindungs-
fähig, aber im höchsten Grade genussfähig.
Der sprichwörtliche Vorzug ist hier das Colorit, das schon bei
den Malern der vorhergehenden Generation (S. 822) jene hohe Treff-
lichkeit erreicht hatte, jetzt aber in seiner Vollendung auftrat. Das
höchst angestrengte Studium auf diesem Gebiete war offenbar ein
doppeltes: einerseits realistisch, indem alle Spiele des Lichtes, der
Farbe, der Oberflächen von Neuem nach der Natur ergründet und
dargestellt wurden, sodass z. B. jetzt auch die Stoffbezeichnung der
[961]Giorgione.
Gewänder eine vollkommene wird; anderseits aber wurde das mensch-
liche Auge genau befragt über seine Reizfähigkeit, über Alles was
ihm Wohlgefallen erregt. Das dem Laien Unbewusste wurde dem
Maler hier klarer als in andern Schulen bewusst.
Welche Gegenstände hienach für diese Meister die glücklichsten
waren, ist leicht zu errathen. Je näher sie dieser Sphäre bleiben,
desto grösser sind sie, desto zwingender die Eindrücke welche sie
erregen.
Unter den Schülern Giov. Bellini’s, welche die Hauptträger der
neuen Entwicklung sind, giebt Giorgione (eigentlich Barbarelli,
1477? — 1511) dieselbe auf eine ganz besonders eindringliche, wenn
auch einseitige Weise zu erkennen.
Die Belebung einzelner Charaktere durch hohe, bedeutende
Auffassung, durch den Reiz der vollkommensten malerischen Durch-
führung war schon in der vorigen Periode so weit gediehen, dass
eine abgesonderte Behandlung solcher Charaktere nicht länger aus-
bleiben konnte. So wie die vorige Periode ihr Bestes schon in jenen
Halbfigurenbildern der Madonna mit Heiligen zu geben im Stande ist
(S. 824, 826), so giebt nun Giorgione dergleichen Bilder profanen, bloss
poetischen Inhaltes und auch einzelne Halbfiguren, die dann schwer
von dem blossen Portrait zu trennen sind. Er ist der Urvater dieser
Gattung, welche später in der ganzen modernen Malerei eine so grosse
Rolle spielt. Allein er malt nicht desshalb costumirte Halbfiguren,
weil ihm ganze Figuren zu schwer wären, sondern weil er darin einen
abgeschlossenen poetischen Inhalt zu verewigen im Stande ist. Venedig
bot in dieser Zeit der erzählenden, dramatischen Malerei nur wenige
Beschäftigung; es fehlen die grossen Frescounternehmungen von Rom
und Florenz; der Überschuss an derartiger Begabung aber brachte es
zu Einzelfiguren wie sie keine andere Schule schafft. Soll man sie
historische oder novellistische Charaktere nennen? bald überwiegt
mehr die freie Thatfähigkeit, bald mehr das schönste Dasein.
Die erste Stelle nimmt die Lautenspielerin im Pal. Manfrina
zu Venedig ein, leicht und mit unglaublicher Meisterschaft hingemalt;
ein schönes inspirirt aufwärtsblickendes Weib, erfüllt von künftigem
B. Cicerone. 61
[962]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
Gesange, in einer Landschaft. — (Ebenda, noch ungleich befangener,
aeine Dame in hellem Kleid und Toque.) — Im Pal. Borghese: Saul
mit Goliaths Haupt, vor welchem sich der junge David zu entsetzen
scheint; oder ist der so düster vor sich hinblickende Geharnischte
David selbst und der Andere nur ein Knappe? Hier wo sich der Ein-
zelcharakter so trotzig vor den Beschauer hinstellt, ist G. der rechte
bVorläufer Rembrandts. — Eine geringere Inspiration ähnlicher Art:
der Geharnischte mit seinem Knappen, in den Uffizien. — Im Pal.
cPitti: Faun und Nymphe, die letztere ein eigenthümliches veneziani-
sches Ideal, in der Zeichnung hie und da sorglos. — Ebenda: das
Concert, vorzüglich anregend zu Vermuthungen über die geistige
Entstehungsweise solcher Bilder; mit Wenigem unergründlich tief er-
dscheinend. — (Wiederholung oder Reminiscenz im Pal. Doria zu Rom.)
— Ein Johannes d. T. im Pal. Pitti hängt zu dunkel.
Eigentliche Porträts: der Johanniter (Uffizien), einer jener höchst
adlichen venezianischen Köpfe, welche sich dem Christuskopf Bellini’s
und Tizian’s nähern, auch äusserlich durch das gescheitelte lange Haar,
fden blossen Hals etc. — Franciscus Philetus (Pal. Brignole in Genua),
ein vortreffliches Gelehrtenbildniss. — (Das Porträt welches im Pal.
gSpada zu Rom G. heisst, ist von einem andern trefflichen Venezianer.)
Die Hälfte der Werke G.’s befindet sich im Auslande, darunter
hauch die wenigen Andachtsbilder, mit Ausnahme des S. Sebastian
(Brera zu Mailand), einer in Stellung, Bildung und Farbe sehr ener-
gischen und edeln Gestalt, die sich mit übers Haupt gebundenen Armen
trefflich lebendig entwickelt. — Dagegen besitzt Italien noch einige
„Novellenbilder“ von ihm. Wir dehnen diesen Namen auch über die
biblischen Scenen aus, insofern dieselben nicht für Kirche und Andacht
gemalt, sondern nur aus dem Drang nach Darstellung eines reichen
und farbenschönen Daseins entstanden sind. — Drei frühe kleine Bild-
ichen in den Uffizien: das Urtheil Salomonis, eine Sage aus der Ju-
gend des Moses (nach Ungers Berichtigung, Kunstbl. 1851, S. 130)
und eine Anzahl von Heiligen auf einem Altan an einem See, alle
noch mit paduanischer Härte und Glanz gemalt, zeigen auf merk-
würdige Weise, wie dem Venezianer das Ereigniss der Vorwand wird
zur Darstellung der blossen Existenz auf bedeutendem landschaftlichem
Hintergrunde. Aus seiner spätern, goldenen Zeit stammt dann die
[963]Giorgione. Sebastiano del Piombo.
Findung Mosis (Brera in Mailand, dem Bonifazio zugeschrieben).a
Verglichen mit dem Bilde Rafaels (Loggien) wird man das Ereigniss
als solches ungleich weniger deutlich und ergreifend dargestellt finden,
allein welcher Neid erfasst die moderne Seele, wenn Giorgione aus
dem täglichen Leben das ihn umgab, aus diesen geniessenden Men-
schen in ihren reichen Trachten eine so wonnevolle Nachmittagsscene
zusammenstellen konnte! Die höchste Wirkung liegt analog wie bei
den Charakteren Bellini’s (S. 825) darin, dass man das Gemalte für
möglich und noch vorhanden hält. — Eine kleinere Findung Mosis imb
Pal. Pitti. — Das Bild im Pal. Manfrin, als „Familie G.’s“ bezeichnet,c
ist ein eigentliches und zwar frühes Genrebild in reicher Landschaft.
Ebenda: der Astrolog; eine Improvisation mit manchen Nach-
lässigkeiten; der Reiz derselben liegt hauptsächlich darin, dass der
Phantasiegegenstand so einfach, in einem (für uns) idealen Costüm
und in demjenigen idealen Raum (einer freien Landschaft) dargestellt
ist, welcher der echten italienischen Novelle zukömmt; in einem sog.
Fauststübchen hätte Giorgione keinen Spielraum. — Endlich sein
grösstes und zwar ganz phantastisches Werk (Acad. von Venedig):d
der Seesturm, erregt und hier personificirt durch schwimmende
und auf Schiffen fahrende Dämonen, welche sich vor der Barke mit
den drei Schutzheiligen verzweifelnd flüchten.
Unter Giorgione’s Schülern ist Sebastiano del Piombo
(1485—1547) der wichtigste; als Executanten Michelangelo’s haben
wir ihn bereits (S. 879) genannt. Aus seiner frühern, venezianischen
Zeit stammt das herrliche Hochaltarbild in S. Giovanni Cri-e
sostomo; der Heilige der Kirche schreibt am Pult, umgeben von
andern Heiligen, worunter hauptsächlich die Frauen als allerschönste
Typen der Schule (grandios und noch ohne Fett) auszuzeichnen sind.
— Ob die Darstellung im Tempel (Pal. Manfrin) von ihm und nochf
aus seiner venez. Zeit ist, lasse ich unentschieden; jedenfalls aber ge-
hört hieher ein wundervolles Porträt in den Uffizien: ein Mann ing
Brustharnisch, Barett und rothen Ermeln, hinter ihm Lorbeer-
stämme und eine Landschaft. — Etwa aus dem Anfang seiner rö-
mischen Zeit: die Marter der heil. Apollonia (Pal. Pitti); ein Resth
61*
[964]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
venezianischen Erbarmens gab ihm den Gedanken ein, die Zangen der
Peiniger noch nicht unmittelbar in dem schön modellirten Körper
awühlen zu lassen. — Aus der spätern Zeit: Madonna das schlafende
Kind aufdeckend (Museum von Neapel), grossartig im Sinne der rö-
mischen Schule, aber gleichgültig neben Rafaels Madonna di Loreto;
b— das Altarbild in der Cap. Chigi zu S. M. del popolo in Rom; —
endlich mehrere Porträts, sämmtlich über lebensgross, welche uns
lehren, wie Michelangelo Bildnisse aufgefasst wissen wollte. Das
cwichtigste: Andrea Doria (Pal. Doria in Rom), sehr absichtlich
einfach, die alternden Züge schön, kalt und falsch; — ein Cardinal
d(Museum von Neapel); — ein Mann im Pelzmantel (Pal. Pitti), von
grandiosen Zügen. — Das Bildniss der Vittoria Colonna, welches vor
einiger Zeit in Rom auftauchte und allgemeine Bewunderung erregte,
hat der Verf. leider nicht gesehen und weiss auch dessen jetzigen Be-
sitzer nicht. — (Der einzige Schüler Sebastiano’s, Tommaso Lau-
ereti, verräth in den Fresken des zweiten Saales im Conservatoren-
palast auf dem Capitol — Scenen der römischen Geschichte, M. Scæ-
vola, Brutus und seine Söhne etc. — mehr das Vorbild Giulio’s und
Sodoma’s; in seiner spätern Zeit, zu Bologna, erscheint er mehr als
fNaturalist in Tintoretto’s Art; Hochaltar von S. Giacomo maggiore etc.)
Giovanni da Udine (S. 283 u. f.) ist in dem einzigen beträcht-
glichen Bilde seiner frühern Zeit, einer Darstellung Christi zwischen den
Schriftgelehrten nebst den 4 Kirchenlehrern (Acad. von Venedig) ein
selbständiger venezian. Meister ohne kenntlichen Anklang an seinen
Lehrer Giorgione; eher etwas bunt, aber mit grossartigen Zügen. Ein
hHalbfigurenbild der Gal. Manfrin, Madonna mit 2 Heiligen, erscheint
in der leichten, schönen Behandlung der Köpfe eher wie eine Ver-
klärung des Cima als wie ein Bild aus G.’s Schule. (Ob richtig be-
nannt?) — Francesco Torbido, genannt il moro, brachte zuerst
den entschiedenen venezianischen Styl aus dieser Schule nach Ve-
irona. Sein einziges Hauptwerk daselbst, die Himmelfahrt Mariä in
der Halbkuppel des Domchores, gehört nicht ganz ihm selbst, sondern
ist nach Cartons des Giulio Romano ausgeführt, welcher dabei unter
Coreggio’s Einfluss stand, und dessen Raumwirklichkeit mit seinem
eigenen Styl in Einklang zu bringen suchte, man beachte auf welche Weise.
[965]Schüler des Giorgione. Palma vecchio.
Nicht Schüler Giorgione’s, wohl aber Ausbilder und Erweiterer
dessen was er erstrebt hatte, war Jacopo Palma vecchio (geb.
1476 — 1482), bei welchem die Existenzmalerei bereits ihre höchste
Vollendung zu erreichen scheint. Er ist wesentlich der Schöpfer jener
etwas überreich, bei ihm aber noch sehr edel und besonders zutrauen-
erweckend gebildeten weiblichen Charaktere, wie sie die spätere ve-
nezianische Schule vorzüglich liebt. Er producirte mühsam und sein
Colorit hat nicht die vollkommene Freiheit mehrerer seiner Schul-
genossen, wohl aber die vollste Gluth und Schönheit. Wo er einen
dramatischen Inhalt zu geben sucht (Acad. von Venedig: das über-a
füllte Halbfigurenbild von der Heilung des besessenen Mädchens, —
ebenda: Mariä Himmelfahrt), muss man sich an Ausführung und Ein-
zelnes halten; am besten gelang ihm noch die ruhige Scene von Em-
maus (Pal. Pitti), wo zwar der Christus schwächlich gerathen, dieb
Wahrheit und das schöne Dasein alles Übrigen aber erstaunlich ist;
man kann nichts echt Naiveres sehen als den aufwartenden Schiffer-
jungen, der dem einen überraschten Apostel ins Gesicht sieht. — (Ist
vielleicht die Auferstehung in S. Francesco della Vigna zu Venedig,c
2. Cap. l., von ihm?). — Sein Hauptwerk ist die Gestalt der heil.
Barbara (mit unbedeutendern Seitenbildern) in S. Maria formosa zud
Venedig, 1. Alt. r., der Kopf von einer wahrhaft centralen venez.
Schönheit, das Ganze mit der höchsten Gewalt und Wissenschaft der
Farbe und Modellirung vollendet. Allein der unentschiedene Schritt,
der unplastische Wurf des Gewandes, die überzierliche Kleinheit der
Hand welche die Palme hält — diess Alles verhindert, dass dem Be-
schauer dabei rafaelisch zu Muthe wird. — Von grössern Altarbildern
ist mir in Venedig nur das ganz verdorbene in S. Zaccaria bekannte
(an einer Wand d. 1. Nebencap. r.), eine thronende Madonna mit Hei-
ligen, kenntlich an dem im Profil sitzenden Geigenengel, ehemals sehr
schön. — Die übrigen „Sante Conversazioni“ sind theils Halbfiguren-
bilder, theils Breitbilder mit knieenden und sitzenden Figuren, für die
Hausandacht. Immer derselbe Klang, hier einfacher, dort reicher;
hier auf einer höhern, dort auf einer tiefern Gamme von Farben; hier
mit schlichtem, dort mit prächtigem landschaftlichem Hintergrund; die
Madonna in der Mitte gerne unter dem Schatten eines Baumes. Die
köstlichsten Bilder dieser Art: Pal. Manfrin; — Pal. Borghese in Rom;f
[966]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
a— Museum von Neapel; — noch sehr schöne: Pal. Adorno in Genua;
b— Pal. Colonna in Rom (wo noch ein anderes herrliches Bild ähn-
licher Art, kenntlich an der zwei Augen auf Nadeln haltenden S. Lu-
ccia, als Jugendwerk Tizians gilt); — Pal. Pitti, u. a. a. O. — Ein
schönes Altarbild von 5 grössern Figuren (in der Mitte Johannes d.
dT.) auf dem 1. Alt. r. in S. Cassiano zu Venedig sieht eher dem Rocco
Marconi ähnlich. — Das Porträt eines reichgekleideten Mathematikers
e(Pal. Pitti), ein Kopf von der hohen Gattung des Johanniters (Seite
962, e).
Rocco Marconi, im Gedanken durchaus von den Genannten
abhängig, in der Farbe glühend und transparent wie Wenige, in den
Charakteren ungleich, hat sich einmal zu einer grossen Leistung zu-
fsammengenommen: die Kreuzabnahme (Acad. von Venedig). Seine
Halbfigurenbilder mit dem venez. Lieblingssujet der Ehebrecherin vor
gChristo (Pal. Manfrin; — S. Pantaleone, Cap. 1. vom Chor, u. a. a. O.)
sind seelenlos aufgeschichtet; — sein Christus zwischen 2 Aposteln
hist das eine mal (Acad. von Venedig) in Anordnung und Charakteren
iunfrei, das andere mal (S. Giov. e Paolo, rechtes Querschiff) eines
der besten Bilder der Schule, mit den schönsten, mildesten Köpfen,
zumal des Christus, der sich dem Christus Bellini’s nähert. — Eine
keinzelne Halbfigur (in der Academie) ist wiederum schwächer.
Lorenzo Lotto, halb Lombarde halb Venezianer, ist in den
Bildern der letztern Art, namentlich wo er sich dem Giorgione nä-
lhert, ein trefflicher Meister; so in dem Bilde al Carmine, 2. Alt. l.,
wo S. Nicolaus mit drei Engeln und zwei Heiligen auf Wolken über
einer morgendämmernden Meeresbucht schwebt; noch in äusserster
Verderbniss ein herrliches poetisches Werk. — Im rechten Querschiff
mvon SS. Giov. e Paolo der von Engeln umgebene S. Antonin, dessen
Capläne Bittschriften annehmen und Almosen vertheilen. — Madonnen
nmit Heiligen mehr in Palma’s Art: Pal. Manfrin; Uffizien etc. — Das
oHalbfigurenbild der drei Menschenalter, im Pal. Pitti, sehr ansprechend
pin Giorgione’s Art. — In S. Giacomo dall’ Orio ein Altarbild im l.
Querschiff, thronende Madonna mit vier Heiligen, ein Werk seines
Alters (1546).
[967]Rocco Marconi; Lor. Lotto. Tizian.
In der Mitte der Schule steht die gewaltige Gestalt des Tizian
(Vecellio, 1477—1576), der in seinem fast hundertjährigen Leben alles
was Venedig in der Malerei vermochte, in sich aufgenommen oder
selbst hervorgebracht oder vorbildlich in der jüngern Generation ge-
weckt hat. Es ist kein geistiges Element in der Schule, das Er nicht
irgendwo vollendet darstellt; allerdings repräsentirt er auch ihre Be-
schränkung.
Der göttliche Zug in Tizian besteht darin, dass er den Dingen
und Menschen diejenige Harmonie des Daseins anfühlt, welche in ihnen
nach Anlage ihres Wesens sein sollte oder noch getrübt und unkennt-
lich in ihnen lebt; was in der Wirklichkeit zerfallen, zerstreut, be-
dingt ist, das stellt er als ganz, glückselig und frei dar. Die Kunst
hat diese Aufgabe wohl durchgängig; allein Keiner löst sie mehr so
ruhig, so anspruchlos, mit einem solchen Ausdruck der Nothwendig-
keit. In ihm war diese Harmonie eine prästabilirte, um einen philo-
sophischen Terminus in einem besondern Sinn zu brauchen. Alle
äussern Kunstmittel der Schule besass er wohl in einem besonders
hohen Grade, doch erreichen ihn Mehrere im einzelnen Fall. Wesent-
licher ist immer seine grosse Auffassung, wie wir sie eben geschil-
dert haben.
Sie ist am leichtesten zu beobachten in seinen Porträts (vgl.
S. 514), in deren Gegenwart man allerdings die Frage zu vergessen
pflegt: wie der Meister aus den zerstreuten und verborgenen Zügen
diese grossartigen Existenzen möge ins Leben gerufen haben. Wer
aber nach dieser Seite hin eindringen will, für den bedarf es keines
erläuternden Wortes mehr. — In Venedig: Galerie Manfrin: das Por-a
trät des Ariost, im grauen Damastkleide; — Caterina Cornaro. —
Academie: der Procurator Sopranzo, dat. 1514 (eher 1543). — Inb
Florenz: Pal. Pitti: der sog. Pietro Aretino, Urbild eines bestimmtenc
Typus südländischer Frechheit; — Vesalio (?); — der greise Cornaro;
— namenloses Bild eines blonden schwarzgekleideten Mannes mit Kette;
— dann das Kniestück des Ippolito Medici im ungarischen (vielleicht
vom Maler gewählten?) Kleide; — das sehr verdorbene Carls V im
Prachtkleide; — endlich in ganzer Figur: Philipp II; — und ein Mann
in schwarzem Kleid, von gemeinen Zügen, aber offen in seiner Art
und sehr distinguirt (hinten eine Architektur mit Relief am Sockel).
[968]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
a— In den Uffizien: Erzbischof Beccadelli von Ragusa (1550); — der
Bildhauer, auf eine Büste gelehnt (etwa von Morone??); — der Herzog
von Urbino, im Harnisch, vor einer rothen Plüschdraperie stehend;
— die ehemals schöne, alternde Herzogin im Lehnstuhl; — ein Ge-
harnischter im Profil, noch in der Art des Giorgione; — Caterina Cor-
naro als heil. Catharina, mehr ideal und wie aus der Erinnerung ge-
bmalt als das Bild des Pal. Manfrin. — In Rom: bei Camuccini: der
Admiral; — und das wunderbare, frühe, an Giorgione erinnernde
Porträt eines Mannes mit feinem Bart und strengen Zügen. — Im Pal.
cCorsini: Halbfigur Philipps II, das beste unter dessen Bildnissen. —
dIm Pal. Colonna: Onuphrius Panvinius; — (ebenda von einem andern
Venezianer, angebl. Girolamo da Treviso: das schöne Bild eines Me-
edailleurs oder Münzsammlers). — Im Museum von Neapel: Paul III
(wovon eine verkleinerte, wahrscheinlich eigenhändige Wiederholung
bei Camuccini in Rom); — ausserdem mehrere im Dunkel hängende
und zweifelhafte Bilder; die beiden Carl’s V scheinen Copien zu sein.
Es folgen nun einige Bilder, bei welchen man stets im Zweifel
sein wird, wie weit sie als Porträts, wie weit aus reinem künstleri-
schem Antriebe gemalt sind, und ob man mehr eine bestimmte Schön-
heit, oder ein zum Bilde gewordenes Problem der Schönheit vor sich
fhat. — Scheinbar dem Porträt noch am nächsten: la Bella im Pal.
Pitti; die Kleidung (blau, violett, gold, weiss) wahrscheinlich vom
Maler gewählt, mit dem lieblich üppigen Charakter des Kopfes ge-
heimnissvoll zusammenstimmend. — Dann der erhabenste weibliche
gTypus den Tizian hervorgebracht hat: la Bella im Pal. Sciarra zu
Rom (die Kleidung weiss, blau und roth; trotz der mehr schwärzlichen
Schatten in der Carnation unzweifelhaft von T.; unten links die Chiffre
hTAMBEND); — und die Flora in den Uffizien, mit der Linken das
Damastgewand heraufziehend, mit der Rechten Röslein darbietend.
Welches auch die Schönheit des Weibes gewesen sein möge, das die
Anregung zu diesen beiden Bildern gab, jedenfalls hat erst Tizian sie
auf diejenige Höhe gehoben, welche dieses Haupt gewissermassen als
Gegenstück des venezianischen Christuskopfes erscheinen lässt. — (Die
isog. Schiava im Pal. Barberini zu Rom ist wohl nur das Werk eines
Nachstrebenden.) — Vielleicht ist auch das schöne Bild von drei
kHalbfiguren, welches im Pal. Manfrin Giorgione heisst, eher von
[969]Tizian. Porträts. Nackte Gestalten.
Tizian: ein junger Nobile, der sich zu einer Dame umwendet, deren
Züge an die Flora erinnern, auf der andern Seite ein Knabe mit Fe-
derbarett. Die Trachten sind wohl erst diejenigen um 1520.
Sodann hat Tizian in einzelnen nackten Gestalten wiederum
andere Probleme eines hohen Daseins gelöst, wobei zugleich die male-
rische Darstellung einen vielleicht nie mehr erreichbaren Triumph feiert.
In der Tribuna der Uffizien die beiden berühmten Bilder, das einea
als Venus bezeichnet durch Anwesenheit des Amor, das andere ohne
irgend eine mytholog. Andeutung, doch ebenfalls Venus genannt. Die-
ses letztere ist wohl das frühere; der Kopf trägt die Züge der Bella
im Pal. Pitti 1). Gestalten dieser Art sind es, welche so oft unserer
jetzigen (zumal französischen) Malerei das Concept verrücken. Warum
sind dieses ewige Formen, während die Neuern es so selten über
schöne Modellakte hinaus bringen? Weil Motiv und Moment und
Licht und Farbe und Bildung mit einander im Geiste Tizians ent-
standen und wuchsen. Was auf diese Weise geschaffen ist, das ist
ewig. Die wonnig leichte Lage, die Stimmung der Carnation zu dem
goldenen Haar und zu dem weissen Linnen und so viel andere Ein-
zelschönheiten gehen hier durchaus in der Harmonie des Ganzen auf,
nichts präsentirt sich abgesondert. Das andere Bild, in den Linien
der Hauptgestalt ähnlich, schildert doch einen andern Typus und er-
hält durch den rothen Sammtteppich statt des Linnen, sowie durch
den landschaftlichen Hintergrund einen wesentlich neuen Sinn. — Eine
dritte liegende Figur, auf einem Lager mit rothem Baldachin, in derb
Academia di S. Luca zu Rom, ist durch eine Schrifttafel als Vanitas
bezeichnet; ein sehr schönes Werk, dessen nähere Untersuchung der
Verf. jedoch versäumt hat.
In den einzelnen Gestalten heiligen Inhaltes wird man bei
Tizian fast niemals die möglichst würdige und angemessene Darstel-
lung des Gegenstandes suchen dürfen, von welchem sie den Namen
tragen. Überhaupt gehen tizianische Charaktere, so gross und in ge-
wissem Sinn historisch sie an sich sind, doch nicht leicht in irgend
eine geschichtliche Bedeutung auf; ihr besonderes Leben überwiegt.
[970]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
In der bekannten Magdalena z. B. sollte wohl die bussfertige
Sünderin dargestellt werden, allein in dem wundervollen Weib, deren
Haare wie goldene Wellen den schönen Leib umströmen, ist diess
aoffenbar nur Nebensache. (Hauptexemplar: Pal. Pitti; — mit ge-
bstreiftem Überwurf bekleidet, übrigens noch von T. selbst, im Museum
cvon Neapel; — geringere Exemplare und Copien: Pal. Doria in Rom,
u. a. a. O.) — Schon eher ist in dem einsamen Bussprediger Johan-
dnes (Acad. v. Venedig) eine strenge Gegenstandswahrheit beobachtet;
ein edler Kopf, vielleicht etwas nervös leidend, mit dem Ausdruck
des Kummers; er winkt mit der Rechten die Leute herbei. (Rafaels
Johannes S. 903.) — Der S. Hieronymus, von welchem Italien we-
enigstens ein gutes Exempalar (Brera zu Mailand) besitzt, ist malerisch
genommen ein hochpoetisches Werk, energische Bildung, schöne Li-
nien, ein prächtiges Ensemble des Nackten, des rothen Gewandes,
des Löwen, mit jenem steilen waldigen Hohlweg als Hintergrund;
allein der Ausdruck der begeisterten Ascese ist nicht innerlich ge-
nug. — In einzelnen Christusköpfen dagegen hat Tizian das Ideal
Bellini’s auf tiefsinnige, überaus geistreiche Weise neu gebildet. Der
schönste findet sich in Dresden (Cristo della moneta); derjenige im
fPal. Pitti ist ebenfalls noch ein edles Specimen. — Die grosse Fresco-
gfigur des S. Christoph im Dogenpalast (unten an der Treppe neben
der Capella) ist wohl eines derjenigen Werke T.’s, aus welchen ein
frischer, von Coreggio empfangener Eindruck hervorzuleuchten scheint.
Nach dem Gesagten kann es nicht mehr zweifelhaft sein, welche
unter den grössern Kirchenbildern den reinsten und vollkommen-
sten Eindruck hervorbringen müssen; es sind die ruhigen Existenz-
bilder, meist Madonnen mit Heiligen und Donatoren. Hier wo Ein
Klang, Eine Stimmung das Ganze erfüllen darf, wo die besondere
historische Intention zurücktritt, ist Tizian ganz unvergleichlich gross.
hDas frühste dieser Bilder, S. Marcus zwischen 4 Heiligen thronend,
im Vorraum der Sacristei der Salute, ist ein Wunderwerk an Reife
und Adel der Charaktere, in gewaltig leuchtendem Goldton. — Eine
ieigentliche Santa conversazione ist dann das grossartige späte Bild
der vatican. Galerie; sechs Heilige, zum Theil von gemässigtem
[971]Tizian. Einzelcharaktere. Kirchenbilder.
ekstatischem Ausdruck, bewegen sich frei vor einer Trümmernische,
über welcher auf Wolken die Madonna erscheint; zwei Engel eilen
dem Kind Kränze zu bringen, welche es in seligem Muthwillen her-
unterwirft; weiter oben sieht man noch den Anfang einer Strahlen-
glorie (deren halbrunder Abschluss, mit der Taube des heil. Geistes,
noch vorhanden, aber auf die Rückseite umgebogen sein soll). —
Endlich das wichtigste und schönste aller Präsentationsbilder, durch
welches T. die Auffassung solcher Gegenstände für die ganze Folge-
zeit neu feststellte, nach malerischen Gesetzen der Gruppen- und
Farbenfolge, in freier, luftiger Räumlichkeit. Es ist das Gemälde in
den Frari, auf einem der ersten Altäre links: mehrere Heiligea
empfehlen der auf einem Altar thronenden Madonna die unten knieen-
den Mitglieder der Familie Pesaro. Ein Werk von ganz unergründ-
licher Schönheit, das der Beschauer vielleicht mit mir unter allen
Gemälden T.’s am meisten persönlich lieb gewinnen wird.
Einzelne Madonnen mit dem Kinde, im Freien oder vor einem
grünen Vorhang u. dgl., kommen hin und wieder vor. Eine kleine,
frühe und sehr schöne im Pal. Sciarra zu Rom. Über eine reife Müt-b
terlichkeit, allerdings der liebenswürdigsten Art, geht ihr Ausdruck
nicht hinaus.
Biblische u. a. heilige Scenen sind um so viel harmoni-
scher, je einfacher die dargestellten Beziehungen sind. In der Aca-c
demie: die Heimsuchung, das frühste bekannte Gemälde des Meisters.
— In S. Marcilian, 1. Alt. l., der junge Tobias mit dem Engel, eind
ganz naives Bild kindlicher Beschränktheit unter himmlischem Schutze.
— In S. Salvatore, letzter Alt. d. r. Seitenschiffes: eine ganz spätee
Verkündigung. — Von den reichern Compositionen nimmt die be-
rühmte Grablegung (im Pal. Manfrin) wohl die erste Stelle ein.f
Man soll nicht mit dem Vergleichen anfangen; allein hier drängt sich
die Parallele mit der borghesischen Grablegung Rafaels unabweislich
auf. An dramatischem Reichthum, an Majestät der Linien kann sich
das Werk Tizians mit jenem nicht messen; die Stellungen der we-
nigsten Figuren werden auch nur genügend erklärt. Aber die Gruppe
ist nicht nur nach Farben unendlich schön gebaut, sondern auch in
dem Ausdruck des geistigen Schmerzes allem Höchsten gleichzustellen.
Kein Zug des Pathos liegt ausserhalb des Ereignisses, keiner über-
[972]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
schreitet auch die Grenzen des edlern Ausdruckes wie z. B. bei Co-
reggio, dessen Grablegung (S. 955, a) nur in der Darstellung des Lichtes
und der Räumlichkeit einen Vorzug hat, im Wesentlichen aber Tizian
lange nicht erreicht. — Die grosse Kreuzabnahme in der Academie,
adas letzte Bild desselben, zeigt in zerfliessenden Formen und etwas
gesetzlosen Linien noch einen wahren und grossen Affekt und glühende
bFarben. — In der ebenfalls sehr späten Transfiguration (Hochaltar von
S. Salvatore) reichten allerdings die Kräfte nicht mehr aus. — Aber
in der Mitte seiner Laufbahn sammelte sich Tizian zu einem Altarbild
csonder Gleichen: Mariä Himmelfahrt (Academie, ehemals auf dem
Hochaltar der Frari; wegen dieser beträchtlich hohen Aufstellung sind
die Apostel schon etwas in der Untensicht dargestellt).
Die untere Gruppe ist der wahrste Gluthausbruch der Begeisterung;
wie mächtig zieht es die Apostel, der Jungfrau nachzuschweben! in
einigen Köpfen verklärt sich der tizianische Charakter zu himmlischer
Schönheit. Oben, in dem jubelnden Reigen, ist von den erwachsenen
Engeln der welcher die Krone bringt, in ganzer, herrlicher Gestalt
gebildet; von den übrigen sieht man nur die überirdisch schönen
Köpfe, während die Putten in ganzer Figur, ebenfalls in ihrer Art
erhaben, dargestellt sind. Wenn Coreggio eingewirkt haben sollte, so
ist er doch hier an wahrer Himmelsfähigkeit der Gestalten weit über-
troffen. Der Gottvater ist von weniger idealem Typus als die Chri-
stusköpfe Tizians; vom Gürtel an verschwindet er in der Glorie, welche
die Jungfrau umstrahlt. Sie steht leicht und sicher auf den noch ideal,
nicht mathematisch wirklich gedachten Wolken; ihre Füsse sind ganz
sichtbar. Ihr rothes Gewand hebt sich ab von dem gewaltig wehen-
den, vorn geschürtzten dunkelblauen Mantel, ihr Haupt ist umwallt
von ganz mächtigen Haaren. Der Ausdruck aber ist eine der höchsten
Divinationen, um welche sich die Kunst glücklich zu preisen hat: die
letzten irdischen Bande springen; sie athmet Seligkeit.
Eine andere Assunta, im Dom von Verona, 1. Alt. l., ist ruhiger
gedacht; die Apostel an dem leeren Grabe schauen tief ergriffen, an-
betend der hier einsam Emporschwebenden nach. Die Durchführung
ebenfalls von hoher Vortrefflichkeit.
[973]Tizian. Assunta. Fresken in Padua.
Für die eigentliche Historienmalerei giebt es Fresken Tizians aus
seiner ganz frühen Zeit (1500—1520?) in zwei Scuole (Bruderschafts-
gebäuden) zu Padua. In der Scuola del Santo ist von ihm dasa
I., XI. und XII. Bild: S. Antonius lässt ein kleines Kind reden zu
Bezeugung der Unschuld seiner Mutter; ein eifersüchtiger Ehemann
tödtet seine Frau; S. Antonius heilt das zerbrochene Bein eines Jüng-
lings. (Die Mitarbeiter waren: für IV, VIII und X Paduaner der
frühern Schule; für II, III, IX und XVII der Paduaner Domenico
Campagnola, welcher hier ein ausgezeichnetes, mit diesen Werken
Tizians rivalisirendes Talent zeigt; für V, VII, XIII, XIV verschiedene
Schüler Tizians; von Giov. Contarini VI; von Spätern XV, XVI.) —
In der Scuola del Carmine ist von Tizian nur das herrliche V.b
Bild: Joachim und Anna. (I, II, III, IV sind von geringern Alt-
paduanern; VII, Joachims Vertreibung aus dem Tempel, von einem
viel bessern; XII, XIII, XIV (auch VI?) von Campagnola; IX ist
ganz unbedeutend, X und XI von Spätern.) — Als einzige namhafte
Frescounternehmungen der Venezianer vom Anfang des XVI. Jahrh.
sind diese Malereien zwar in allem was zur Composition gehört mit
den grossen gleichzeitigen Florentinern nicht zu vergleichen; in der
Scuola del Santo haben auch die Sujets einen schweren innern Man-
gel (vgl. S. 661, g). Aber als belebte Existenzbilder mit grossartig
freien Charakteren, mit malerisch vollkommen schön behandelten
Trachten, mit vorzüglichen landschaftlichen Hintergründen, mit einem
Colorit das in Fresco nur hie und da bei Rafael und A. del Sarto
seines Gleichen hat, sind besonders die Arbeiten Tizians von höchstem
Werthe. Sein Helldunkel in der Carnation ist wahrhaft wonnevoll.
Das Bild von Joachim und Anna, in der weiträumigen schönen Land-
schaft, gehört unbedingt zu seinen einfach-grössten Meisterwerken. —
Man kann nicht sagen, dass er in Gegenständen dieser Art in der
spätern Zeit gewonnen habe. In seiner grossen Darstellung der Maria
im Tempel (Acad. von Venedig), wird der eigentliche Gegenstand dochc
nahezu erdrückt durch die Fülle an Nebenmotiven, die denn freilich
mit einer erstaunlichen Frische und Schönheit dargestellt sind.
Im strengen Sinne dramatisch sind zwei berühmte Altarbilder Ti-
zians. Es war ein nothwendiger wenn auch verhängnissvoller Über-
gang in dieser Zeit einer Allem gewachsenen Kunst, dass man anfing,
[974]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
statt des Heiligen die Legende, statt des Märtyrers das Marterthum
aauf den Altar zu bringen. In S. Giovanni e Paolo (2. Alt. l.) sieht
man den berühmten S. Pietro martire. Das Momentane ist hier
wahrhaft erschütternd und doch nicht grässlich; der letzte Ruf des
Märtyrers, die Wehklage seines entsetzten Begleiters haben Raum in
die hohen luftigen Baumstämme emporzudringen, welche man sich
mit der Hand verdecken möge um zu sehen, wie hochwichtig ein
solcher freier Raum für wirklichkeitsgemäss aufgefasste bewegte Sce-
nen ist. Das Landschaftliche überhaupt ist hier zuerst mit vollendetem
künstlerischem Bewusstsein behandelt, die Ferne in einem zornigen
Licht, das den Moment wesentlich charakterisiren hilft. — Die Marter
bdes heil. Laurentius, auf einem der ersten Altäre links in der
Jesuitenkirche, ein unleidlicher Gegenstand, aber durchaus grossartig
behandelt; der Kopf des Dulders einer von T.’s bedeutendsten Cha-
rakteren; das Zusammenwirken der verschiedenen Lichter auf der in
vollster Bewegung begriffenen Gruppe von zauberhafter Wirkung.
(Stark restaurirt.)
Einmal scheint Tizian dem Coreggio sehr unmittelbar nachge-
cgangen zu sein. In der Sacristei der Salute sind die 3 Decken-
bilder, der Tod Abels, das Opfer Abrahams, und der todte Goliath,
wie ich glaube, die frühsten venezian. Bilder in Untensicht. Eigent-
lich lag diese Darstellungsweise gar nicht in der venezianischen Ma-
lernatur, welche ja Existenzen entwickeln, nicht durch täuschende
Raumwirklichkeit ergreifen will. Es sind noch dazu irdische, nicht
himmlische Vorgänge, und daher die Untensicht nur jene halbe, welche
von da an in hunderten von venez. Deckenbildern herrscht. Die For-
men verschieben sich dabei schon ziemlich hässlich (der knieende
Isaac!), doch ist die Malerei noch vorzüglich.
Von profaner Historienmalerei ist ausser einem grossen
dCeremonienbilde in der Pinacoteca zu Verona (Huldigung der Vero-
neser an Venedig, mit einer Anzahl herrlicher Köpfe; das Meiste wohl
von Bonifazio) nichts Bedeutendes mehr vorhanden als das kleine,
evortreffliche Gemälde einer Schlacht (wahrscheinlich derjenigen von
Ghiaradadda, im Krieg der Liga von Cambray) in den Uffizien;
das Handgemenge ist auf und an einer hohen Brücke am heftigsten,
von welcher sich die vordern Scenen glücklich abheben — ein Motiv,
[975]Tizian. Historien. Mythologische Bilder.
welches vielleicht Rubens die Anregung zu seiner Amazonenschlacht
eingab; einen dramatischen Hauptgedanken muss man hier nicht suchen,
so wenig als völlige historische Treue in dem theils antiken, theils
Lanzknechtscostum; allein das Ganze wie das Einzelne ist meisterlich
belebt.
Die mythologischen Darstellungen müssen in jedem mehr
realistischen als idealen Styl um so unharmonischer sein, je mehr ihr
Inhalt heroisch ist, — und um so harmonischer, je mehr sie sich dem
Idyllischen, dem Pastoralen nähern. Tizian scheint diess klarer als die
meisten Zeitgenossen empfunden zu haben. Sein Hauptgegenstand sind
Bacchanalien, in welchen das schöne und selbst üppige Dasein die höch-
sten Momente feiert. Die Originale sind in London und Madrid. Eine gute
Copie von „Bacchus und Ariadne“ (wie man sagt, von Nic. Poussin)a
findet man bei Camuccini in Rom, eine Episode daraus (angeblich von
Tizian selbst, aber eher von einem Nichtvenezianer des XVII. Jahrh.)b
im Pal. Pitti. — Von einem berühmten Bilde im Geist von Coreggio’s
Leda, nämlich der Darstellung von Calisto’s Schuld, sind mehrere
eigenhändige Exemplare in Europa zerstreut; auch dasjenige in der
Academia di S. Luca zu Rom, woran etwa ein Drittheil fehlt, schienc
mir (bei flüchtiger Betrachtung) ein schönes Originalwerk. — Eine
andere vielverbreitete Composition ist wenigstens durch ein spätes,
kleines, doch schönes Exemplar bei Camuccini repräsentirt: Venusd
sucht den zur Jagd eilenden Adonis zurückzuhalten; ein in Linien,
Formen und Farben vorzüglicher Gedanke, zugleich eine rechte Epi-
sode idyllischen Waldlebens. — Sodann im Pal. Borghese: das spätee
Halbfigurenbild der Ausrüstung Amors; wunderbar naiv und farben-
schön. Es ist nicht mythologisch, aber ganz poetisch, dass ein Amo-
rin schon für die Erlaubniss zum nächsten Ausflug gute Worte giebt,
während dem andern die Augen verbunden werden.
Endlich hat Tizian ein paar Bilder ohne alle mythologische Vor-
aussetzung gemalt, blosse Allegorien wenn man will, aber von der-
jenigen seltenen Art, in welcher der allegorische Sinn, den man aus-
sprechen kann, sich ganz verliert neben einer unaussprechlichen Poe-
sie. Das eine: die drei Menschenalter, befindet sich, arg über-f
[976]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
amalt, im Pal. Manfrin; Sassoferrato’s schöne aber minder energische
Copie im Pal. Borghese zu Rom. (Hirt und Hirtin auf einer Wald-
wiese, seitwärts Kinder, in der Ferne ein Greis.) Das andere, im
bPal. Borghese zu Rom: amor sacro ed amor profano, d. h.
Liebe und Sprödigkeit, ein Thema, welches z. B. schon von Perugino
behandelt worden war. Diese Bedeutung wird auf alle mögliche Weise
klar gemacht: die vollkommene Bekleidung der einen Figur 1), selbst
mit Handschuhen; die zerpflückte Rose; am Brunnensarcophag das
Relief eines von Genien mit Geisselhieben aus dem Schlaf geweckten
Amors; die Kaninchen; das Liebespaar in der Ferne. — Beide Bilder,
vorzüglich das letztere, üben jenen traumhaften Zauber aus, den man
nur in Gleichnissen schildern und durch Worte vielleicht überhaupt
nur entweihen könnte.
Unter den Schülern und Gehülfen Tizians begegnen wir zunächst
einigen seiner Verwandten. Von seinem Bruder Francesco Ve-
ccellio sind z. B. die Orgelflügel in S. Salvatore gemalt; ein Bischof,
der knieende Mönche ordinirt, und S. Mauritius in einer Landschaft,
in jener grandiosen, freien Darstellungsweise, welche man in den Fres-
ken zu Padua bemerkt. — Von seinem Neffen Marco Vecellio eine
dfarbenglühende Madonna della misericordia im Pal. Pitti, und in
eS. Giovanni Elemosinario zu Venedig (links) das Bild dieses Heiligen
nebst S. Marcus und einem Stifter. — Von seinem Sohn Orazio Ve-
cellio ist wenig Namhaftes vorhanden.
Bonifazio Veneziano (1491—1563), ein mässig begabter
Nachahmer Tizians, zeigt, wenn man seine Bilder als Ganzes über-
sieht, welches in Venedig der Ersatz für die mangelnden Fresken war,
nämlich jene grossen, auf Tuch gemalten Geschichten, welche an hei-
liger und profaner Stätte in einiger Höhe, etwa oberhalb des Wand-
getäfels aufgehängt wurden. Es ist für den ganzen Schulstyl von
Bedeutung, dass das Breitbild hier (aus Gründen des Raumes)
durchgehends den Vorzug erhielt vor dem Hochbild; die Erzählungs-
weise selbst eines Paolo Veronese, welchem man später alle wünsch-
[977]Bonifazio Veneziano.
bare Raumfreiheit gewährte, ist doch ursprünglich unter jenen Prä-
missen entstanden. Erst Tintoretto sprengt diess Vorurtheil einiger-
massen.
Sodann offenbart Bonifazio glänzend, wie und wesshalb die
Venezianer zweiten und dritten Ranges den Florentinern und Römern
der entsprechenden Stufe so weit überlegen sind. Die Auffassung
des Momentes, so niedrig sie ihn fassen, bleibt wenigstens ganz naiv;
der veredelte Naturalismus, welcher die Lebenskraft der Schule ist,
treibt sie von selbst auch zu stets neuer Anschauung des Einzelnen;
was sie aber von ihren Meistern entlehnen, jene Summe von Reiz-
mitteln aus dem Gebiet der Farbe und des Lichtes, das nimmt die
Nachwelt auch aus zweiter Hand auf das Dankbarste an. (Floren-
tiner und Römer dagegen entlehnen von ihren Meistern Einzelelemente
der Schönheit und der Energie zu conventioneller Verwerthung und
legen sich auf das Ungeheure und Pathetische.) Einen höhern gei-
stigen Gehalt darf man freilich bei wenigen Venezianern suchen, und
so auch bei Bonifazio nicht, der bisweilen absolut gedankenlos malt;
indess stört er doch nicht durch platte Roheit der Auffassung. Von
seinen beiden grossen Abendmahlsbildern enthält dasjenige in
S. Angelo Raffaelle (Cap. rechts vom Chor) eine Anzahl schöner,a
selbst inniger Köpfe, der Moment des „unus vestrum“ (S. 865) spricht
sich noch deutlich aus. In dem andern Abendmahl, in S. M. materb
Domini (linkes Querschiff), das noch schöner gemalt und vielleicht
desshalb dem Palma vecchio zugeschrieben worden ist, kam es doch
dem Maler schon nicht mehr auf den Moment an; die Apostel, in
gleichgültigem Gespräch, achten gar nicht auf Christus. — In der
Academie: zwei prächtige Gluthbilder: eine Anbetung der Könige inc
schöner Landschaft, und eine Madonna mit beiden Kindern und vier
Heiligen; sodann ein gedankenloses Bild der Ehebrecherin; mehrere
Einzelfiguren von Heiligen, welche sich nach einer Nische oder son-
stigen Einfassung zu sehnen scheinen; endlich die Geschichte vom
reichen Mann, höchst anziehend als Novellenbild und im Ganzen
wohl B.’s bedeutendste Leistung. (Porträtähnlichkeit des reichen Mannes
mit Heinrich VIII). — Im Pal. Manfrin: Grosse Madonna mit Heiligen;d
zwei Bilder deren Inhalt die sog. Tafel des Cebes bildet, Allegorien,
die eigentlich für diese Schule das Fremdartigste waren und hätten
B. Cicerone. 62
[978]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
bleiben sollen, da sie ganz für die Verklärung des Besondern, nicht
für die Verwirklichung des Allgemeinen geschaffen war. — In der
aAbbazia, Cap. hinter der Sacristei, zwei schöne frühe Apostelfiguren.
b— Ausserhalb Venedigs sind bemerkenswerth: im Pal. Pitti: ein Chri-
cstus unter den Schriftgelehrten; — im Pal. Brignole zu Genua: eine
dAnbetung der Könige; — in der Galerie zu Modena: die Gestalten
von vier Tugenden.
Unter den Schülern Tizians ist am ehesten mit Bonifazio zu ver-
gleichen: der schwächere Polidoro Veneziano. — Von Cam-
pagnola ausser den genannten Fresken (S. 973) noch Einiges in
Padua. — Von Giovanni Cariani Bilder in seiner Heimath Ber-
egamo und in der Brera zu Mailand (Madonna mit S. Joseph, sechs
andern Heiligen und vielen Engeln), welche in der nobeln, bedeuten-
den Charakteristik auch noch an seinen frühern Lehrer Giorgione er-
innern. — Von Calisto Piazza aus Lodi bedeutende Bilder in der
fIncoronata daselbst und in mehrern Kirchen von Brescia, sämmtlich
dem Verfasser nicht bekannt. — Von Girol. Savoldo aus Brescia
geine grosse Madonna auf Wolken mit vier Heiligen in der Brera zu
hMailand, mehreres im Pal. Manfrin und eine Transfiguration in den
iUffizien, welche den Gedanken Giov. Bellini’s (S. 827, h) in den Styl
der neuen Zeit übersetzt zeigt. — Ungleich bedeutender ist ein anderer
brescianischer Nachfolger Tizians,
Moretto (eigentlich Alessandro Bonvicino) dessen Blüthe das
zweite und dritte Viertel des XVI. Jahrh. umfasst. Er scheint früher
Schüler jenes Sacchi von Pavia (S. 820) gewesen zu sein, später da-
gegen auch Eindrücke der römischen Schule — glücklicher als irgend
ein anderer Oberitaliener — in seine Darstellungsweise aufgenommen zu
haben. Seine Hauptwerke in Brescia, die ich nicht gesehen zu
haben schmerzlich bedaure, schildert Waagen (Kunstbl. 1851) mit fol-
kgenden Worten: „In dem Hochaltarbilde von S. Clemente entspricht
„die Zartheit und die Verklärtheit der religiösen Empfindung, der
„wunderbaren Feinheit des dem Moretto so eigenthümlichen Silber-
„tones, und gehört der Engel Michael zu den schönsten jugendlichen
„Köpfen, welche die neuere Kunst hervorgebracht hat. — Die Krönung
l„Mariä in SS. Nazaro e Celso zeigt, welche Höhe er auch in dem
„strengen und grossen Kirchenstyl und in der Gluth der Farbe er-
[979]Schüler Tizians. Moretto. Moroni.
reichen konnte.“ — Als das dritte Hauptwerk bezeichnet Waagen das
Bild in S. Eufemia, Maria in der Herrlichkeit, von vier Heiligen ver-a
ehrt. — Zunächst ist es eine durchgehende und merkwürdige Wahr-
nehmung (zuerst m. W. von Schnaase ausgesprochen und motivirt),
dass der venezianische Goldton bei den meisten Malern der Terraferma
zum Silberton wird. — Was Moretto insbesondere betrifft, so ist wohl
nicht zu läugnen, dass er an höherm Gedankeninhalt und Adel der
Auffassung alle Venezianer, gewisse Hauptleistungen Tizians ausge-
nommen, aufwiegt. Seine Glorien sind würdiger und majestätischer,
seine Madonnen grossartiger in Bildung und Haltung, auch seine Hei-
ligen stellenweise von höchst grandiosem Charakter. — Etwas den
wichtigsten Bildern in Berlin und Frankfurt gleich zu Schätzendes
möchte Italien indess (Brescia ausgenommen) kaum mehr besitzen. —
Die grosse Madonna in den Wolken mit drei Heiligen in der Brerab
ist ein edles Bild, aber gerade die Hauptfigur hat hier etwas Trübes.
(Ebenda mehrere Bilder mit einzelnen Heiligen.) — Das wichtigste
Bild in Venedig befindet sich in S. Maria della Pietà (an der Riva)c
in einer Nonnentribune über dem Portal; es ist Christus beim Phari-
säer, die Scene streng symmetrisch angeordnet. Im Pal. Manfrin died
Einzelfiguren des Petrus und Johannes, auf landschaftlichem Grunde,
frühe, fleissige Bilder von schönem Ausdruck. — In den Uffizien: Venuse
mit Nymphen in freier Landschaft, hinten über dem Wasser die Piaz-
zetta, ein grosses und sorgfältiges Bild, welches zwar in Ermanglung
sinnlicher Freudigkeit etwas Gleichgültiges hat wie später bolognesi-
sche Bilder dieser Art, dessen negatives Verdienst aber — die Ab-
wesenheit römischer Manier und venezianischer Gemeinheit — für jene
Zeit ausserordentlich ist. — Ebenda: das Bildniss eines Lautenspielers,
ein schöner, tückischer Charakter, in trefflicher Darstellung, doch wohl
nicht von M. — Im Pal. Brignole zu Genua das Capitalporträt einesf
Botanikers, an einem Tisch mit einem Buch und Blumen, hinten Ge-
mäuer, datirt 1533. (Ob richtig benannt? eher wie von einem Schüler
des Giorgione.)
Moretto’s Schüler war der Bergamaske Gio. Battista Moroni,
als Porträtmaler eine höchst eigenthümliche Erscheinung. Weit ent-
fernt, den Menschen auf venezianische Art in festlich erhöhter Stim-
mung darzustellen, fasst er ihn zwar im höchsten Grade geistreich und
62*
[980]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
wahr auf, erlässt ihm aber keine einzige von den Falten, welche das
aSchicksal in das Antlitz gegraben hat. In den Uffizien ein Schwarz-
gekleideter in ganzer Figur, mit einem flammenden Becken (1563),
und die unvergleichliche Halbfigur eines Gelehrten, des „Gelehrten als
solchen“; das vor ihm liegende Buch ist vielleicht Schuld daran, dass
der etwa 45jährige Mann schon wie ein Sechsziger aussieht. — Zwei
bandere, nicht ganz so treffliche Gelehrtenporträts im Pal. Manfrin. —
cAnderes in der Academie von Venedig u. a. a. O.
Von irgend einer andern Seite, etwa von Ferrara oder Bologna
her, war Girolamo Romanino in die venezianische Schule gera-
then, dessen Thätigkeit ebenfalls meist Brescia angehört. Mit Aus-
dnahme einer Grablegung vom Jahr 1510 im Pal. Manfrin, kenne ich
nur ein Bild von ihm, welches das schönste Gemälde von ganz Padua ist.
e(In der Capella S. Prosdocimo oder Capitelsaal bei S. Giustina.) Ma-
donna thronend zwischen zwei Engeln und vier Heiligen, vorn ein
Engel mit Laute; in dieser alterthümlichen Anordnung aber lebt die
volle Schönheit des XVI. Jahrh. — (Bei diesem Anlass: der Cruci-
fixus in einem andern alten Capitelhaus des Klosters, und das Geth-
semane in einem hintern Gange desselben sind treffliche Fresken eines
ungenannten venezian. Malers nach 1500.) — Von Romanino’s bres-
cianischen Schülern wurde Lattanzio Gambara schon als Deco-
rator genannt (S. 299, b); Girolamo Muziano, später in Rom
Nachahmer Michelangelo’s, behielt noch bis in seine manierirten Sa-
chen ein wenigstens halbvenezianisches Colorit; am kenntlichsten viel-
fleicht in der „Verleihung des Amtes der Schlüssel“, in S. M. degli
Angeli zu Rom (beim Eingang ins Hauptschiff, links.)
Nicht Schüler, sondern Nebenbuhler Tizians, übrigens in der Auf-
fassung so ganz Venezianer wie alle Übrigen war Giovanni An-
tonio (Licino Regillo da) Pordenone (geb. um 1484, st. 1539).
Als Frescomaler, bei S. Stefano zu Venedig, wurde er schon (Seite
g295, c) genannt; seine Gewölbefresken in der Madonna di Campagna
zu Piacenza habe ich leider nur in tiefer Dämmerung gesehen. Die
[981]Romanino etc. Die beiden Pordenone.
höhere geistige Bedeutung an irgend einem Vorgange hervorzuheben,
war wohl so wenig seine Sache als die der Schule überhaupt, allein
er ist ganz besonders frisch und lebendig in der Auffassung des äus-
sern Lebens und hat in der Carnation, zumal wo sie im Helldunkel
erscheint, eine solche eigenthümliche warme Weichheit (morbidezza,
Mürbheit) wie kein Anderer der Schule. — Sein Hauptwerk in Ve-
nedig (Academie), S. Lorenzo Giustiniani von andern Heiligen unda
Ordensbrüdern umgeben, hat wohl eine etwas gesuchte Dramatik; die
santa conversazione sieht trotz aller Blicke und Gesten danach aus,
als wüssten die Leute nicht recht, was sie einander zu sagen haben;
— eine Madonna mit Heiligen (ebenda) befriedigt als reines und sehr
schönes Existenzbild viel mehr; — ebenda fünf schwebende Putten
auf Wolken. — Ein herrliches Altarbild, S. Catharina mit S. Seba-b
stian und S. Rochus, in S. Giovanni Elemosinario (Cap. rechts vom
Chor). — Mehreres in S. Rocco. — In den Angeli zu Murano: dasc
Hochaltarbild (?). — Im Pal. Manfrin: Vermählung Mariä, und: Be-d
schneidung, Halbfigurenbilder von so blasser und allgemeiner Behand-
lung, dass man sie dem P. kaum zutrauen mag. — Im Pal. Doria zue
Rom: die Tochter des Herodes mit ihrer Magd, ein herrliches, leid-
lich erhaltenes Halbfigurenbild; sie ist von der hohen venezianischen
Schönheit, dabei klug und kalt, auch das Haupt des Täufers höchst
edel venezianisch. — Im Pal. Pitti: eine santa conversazione in Halb-f
figuren, von höchster Pracht und Harmonie der Farbe. — In den Uffi-
zien: ein vorzügliches männliches Porträt, eine unförmliche Judith undg
eine improvisirte, in den Formen ziemlich stumpfe, aber gluthfarbige
Bekehrung des Paulus (Breitbild).
Giov. Antonio’s Bruder oder Verwandter Bernardino da Por-
denone scheint der Urheber mehrerer Familienbilder zu sein, welche
einen Künstler (Bildhauer oder Maler? — vielleicht den Giov. Anto-
nio?) umgeben von seinen Angehörigen und Schülern darstellen; eines
im Pal. Borghese zu Rom, eines im Pal. Manfrin, ein drittes in Eng-h
land; das erstgenannte ein in jeder Beziehung ausgezeichnetes Vor-
bild dieser Gattung. — Sein bestes Altarbild, eine thronende Madonnai
mit Heiligen, meist Mönchen, in den Frari, erste Cap. links vom
Chor; ohne besondern Adel des Gedankens oder des Ausdruckes ein
Kleinod durch Farbenpracht und Lebensfülle; — auch ein Halbfiguren-
[982]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
bild der Madonna mit drei Heiligen, dem Stifter und dessen Gattin,
aim Pal. Manfrin, ist behandelt wie der schönste und freiste Palma
vecchio; — ebenda eine heil. Familie im Freien, mit einem betenden
Mönch.
Paris Bordone (1500—1570), zuerst Nachahmer des Giorgione,
dann rückhaltlos des Tizian, ist in den Bildnissen bisweilen den Gröss-
bten gleichzustellen. Eine Anzahl in den Uffizien; — eine dicke Frau
cund eine Copie nach Tizians Paul III im Pal. Pitti; — im Pal. Brig-
dnole zu Genua das wunderbare Porträt eines bärtigen Mannes in
schwarzem Kleid mit rothen Ärmeln, an einem rothbezogenen Tisch,
in der Hand einen Brief, hinten eine Balustrade; ebenda eine Frau in
rosenfarbenem Unterkleid und goldstoffenem Oberkleide 1). — Anderes
eim Pal. Manfrin. — Grössere Darstellungen heil. Scenen sind nicht
fseine Sache; in dem Abendmahl zu S. Giovanni in Bragora (nach der
ersten Cap. rechts) sehen die Geberden aus wie ein Abhub von Re-
miniscenzen aus den Werken besserer Meister; — das Paradies (in
gder Academie) ist ein ganz schwaches Werk; — eher noch macht das
hschön gemalte Halbfigurenbild des Augustus mit der Sibylle (Pal. Pitti)
einen poetischen Eindruck; — vollends aber verdankt man dem Bor-
idone das am schönsten gemalte Ceremonienbild, welches überhaupt
vorhanden sein mag (Acad. von Venedig): der Fischer, welcher dem
Dogen in Gegenwart einer erlauchten Versammlung einen Ring über-
reicht, den ihm S. Marcus gegeben. Dieses Werk ist gleichsam die
reifste, goldenste Frucht der mit Carpaccio’s Historien (S. 823) be-
ginnenden Darstellungsweise, auch in Beziehung auf die Prachtbauten,
zwischen welchen die Thatsache vor sich geht.
Von Battista Franco, der auch in Rom nach Michelangelo
studirt hatte, ist oben (S. 288, a) bei Anlass der decorativen Malerei,
welcher er seinem Talente gemäss am ehesten angehört, die Rede
gewesen.
[983]Paris Bordone. Tintoretto.
In der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, als alle andern
Schulen in den tiefsten Verfall gerathen waren, hielt sich die vene-
zianische noch in einer bedeutenden Höhe durch die grössere Vernunft
der Besteller, durch die Unerschöpflichkeit des Naturalismus und durch
die fortdauernde Praxis der Reizmittel des Colorites. Trotzdem macht
sie jetzt einen wesentlich andern Eindruck. Wir versparen das Werk
der ganzen Schule, die Ausmalung des Dogenpalastes, auf das Ende
und nennen hier zuerst die übrigen Werke der betreffenden Künstler.
Der erste, welcher der Schule eine neue Richtung gab, war Ja-
copo Tintoretto (eigentlich Robusti, 1512—1594). Früher Schüler
Tizians und von Hause aus sehr reich begabt, scheint er ganz richtig
empfunden zu haben, woran es in Venedig fehlte, und drängte nun
auf eine mächtig bewegte, dramatische Historienmalerei hin. Er stu-
dirte Michelangelo, copirte auch bei künstlichem Licht nach Gypsab-
güssen und Modellen, nicht um seine venezianische Formenbildung zu
idealisiren, sondern um sie ganz frei und gelenk zu machen für jede
Aufgabe und um ihr durch die wirksamsten Lichteffecte eine neue
Bedeutung zu geben. Glücklicherweise blieb er dabei in seinem tief-
sten Wesen Naturalist. Jene Verschleppung der Manieren der römi-
schen Schule blieb wenigstens der guten Stadt Venedig erspart. Unter
diesen Umständen büsste er bloss das venezianische Colorit in vielen
seiner Werke ein, als welches mit der starkschattigen Modellirung an
sich unverträglich ist, auch vielleicht bei Tintoretto technischen Neue-
rungen unterliegen musste. Man darf sich wohl wundern, dass in so
vielen Fällen seine Farbe überhaupt gerettet, ja dass ein Helldunkel
vorhanden ist. Manches freilich erscheint ganz entfärbt, dumpf, bleiig.
— War er nun aber der Poet, welcher das Recht gehabt hätte zu
seinen grossen Neuerungen? Es steckte in ihm neben vielem Grossen
doch auch eine gewisse Roheit und Barbarei der Empfindung; selbst
seine künstlerische Moralität schwankte oft, sodass er bis in die ge-
wissenloseste Sudelei versinken konnte. Es fehlt ihm die höhere Ge-
setzlichkeit, die der Künstler, besonders bei Wagnissen und Neuerun-
gen, sich selber geben muss. Bei seinen ungeheuern Unternehmungen,
die an bemaltem Quadratinhalt vielleicht das Zehnfache von dem aus-
machen, was die Frucht von Tizians hundertjährigem Leben ist, kommt
[984]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
man auf die Vermuthung, dass er dergleichen als Mindestfordernder
accaparirt und grossentheils als Improvisator durchgeführt habe.
Es giebt von ihm zunächst treffliche Bildnisse, welche in Venedig
noch nicht sorglos gemalt werden durften. (Zweifelhafte, aber schöne
aim Pal. Pitti; — das con amore gemalte des Jac. Sansovino und das
ebenfalls sehr ausgezeichnete eines bärtigen Mannes in rothem Staats-
bkleid etc. in den Uffizien; andere überall.) — Sodann sind überhaupt
Werke seiner frühern Zeit durch den vollen tizianischen Goldton ebenso
schätzenswerth als die irgend eines andern Nachfolgers des grossen
cMeisters; so das naive Bild: Vulcan, Venus und Amor, im Pal. Pitti,
dessen Gleichen man in Venedig kaum finden wird. Auch die Decken-
dstücke aus ovidischen Metamorphosen in der Galerie von Modena sind
noch ziemlich farbenreich. In Venedig gehört am ehesten hieher das
eWunder des heil. Marcus, der einen gemarterten Sclaven aus
den Händen der Heiden rettet (Academie). Hier geht T. vielleicht zum
erstenmal über alle bisherigen venezianischen Absichten hinaus; die
Scene ist ungleich bewegter und confuser; der Künstler sucht Ver-
kürzungen der schwierigsten Art auf und verräth z. B. in dem häss-
lich kopfabwärts schwebenden Heiligen, dass alle höhere Auffassung
ihm nichts gilt, sobald er seine äusserliche Meisterhaftigkeit an den
Tag zu legen Anlass hat. (Rubens hat viel nach diesem Bilde studirt.)
— Dann eine ebenfalls noch schön gemalte aber frivole Darstellung
der Ehebrecherin, welcher man es ansieht, dass sie den gemeinen
Christus nicht respectirt. (Ebenda.) — Ein anderes Werk der noch
fguten Palette: die Geschichten des wahren Kreuzes, im rechten Quer-
schiff von S. M. mater Domini. — Auch die grosse Hochzeit von Cana
gin der Sacristei der Salute (kleineres Exemplar in den Uffizien); ein
stattliches Genrebild von häuslichem Charakter (nicht von fürstlichem
wie bei Paolo Veronese), wobei wenigstens das Wunder und seine
Wirkung löblicher Weise in den Vordergrund verlegt sind. — Von
hden 56 zum Theil colossalen Bildern, womit T. die ganze Scuola di
S. Rocco angefüllt hat, ist hauptsächlich die grosse Kreuzigung (in
der sog. Sala dell’ albergo) noch schön gemalt und theilweise auch
im Gedanken bedeutend. Hier lernt man denn auch die hochwichtige
historische Stellung T.’s vollständig kennen; er zuerst gestaltet (be-
sonders in der grossen obern Halle) die heilige Geschichte von An-
[985]Tintoretto.
fang bis zu Ende im Sinne des absoluten Naturalismus um, vielleicht
mit dem Zwecke, unmittelbarer zu ergreifen und zu rühren. Für diese
Absicht sucht er das Auge durch schöne Köpfe zu gewinnen; dagegen
wird er nicht inne, wie der Missbrauch der Füllfiguren den wahren
und grossen Eindruck aufhebt; er fällt in seinem Eifer der Verwirk-
lichung auf die gemeinsten Züge, wie denn z. B. das Abendmahl kaum
je niedriger aufgefasst worden ist; bei der Taufe im Jordan drückt
Johannes dem Christus die Schulter herab; bei der Auferweckung
des Lazarus sitzt Christus ganz bequem in der Ecke unten. Die mei-
sten Bilder, mit Ausnahme der Sala dell’ albergo, sind höchst nach-
lässig und schnell gemalt. In denjenigen der untern Halle ist das
Landschaftliche zu beachten; scharfe phantastische Lichter an den
Rändern der Bäume und Berge. Einen ungeschickten Wetteifer mit
Michelangelo findet man am ehesten in dem grossen mittlern Decken-
bild der obern Halle, welches die eherne Schlange darstellt. — Mit
den Gemälden dieser Scuola gab T. den Ton an für die ganze monu-
mentale Malerei Venedigs in den nächsten Jahrzehnden (von den 1560er
Jahren an); er selber nahm noch Theil an der Ausschmückung der
Capella del rosario (links an S. Giov. e Paolo), welche als Denk-a
mal des Sieges von Lepanto errichtet wurde, hauptsächlich aber an
derjenigen des Dogenpalastes. Den decorativen Werth dieser Arbeiten
haben wir oben (S. 291, f) festzustellen gesucht. Wo sich einmal
der ganze Styl so sehr von der Auffassung, die beim Fresco die allein
mögliche ist, abgewandt hat, da bleibt in der That kein anderer Aus-
weg offen, als dieser. — Im Chor von S. M. dell’ orto zwei Colossal-b
bilder, die Anbetung des goldenen Kalbes und die letzten Dinge; roh
und abgeschmackt. — Im linken Querschiff von S. Trovaso ein Abend-c
mahl, zum gemeinsten Schmaus entwürdigt. — Auf allen Altären von
S. Giorgio maggiore Sudeleien, welche dem T. zu ewiger Schmachd
gereichen.
Von seinen Schülern ist sein Sohn Domenico in seinem Natu-
ralismus meist um einen Grad gewissenhafter. — Der Peruginer An-
tonio Vascibracci, genannt l’Aliense, brachte T.’s Styl in seine
Heimath (10 grosse Geschichten Christi an den Oberwänden des Haupt-e
schiffes von S. Pietro de’ Cassinensi in Perugia.)
[986]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
Neben Tintoretto repräsentirt der grosse Paolo Veronese
(eigentlich Caliari, 1528—1588) die schönere Seite der venezianischen
Malerei.
Er war hervorgegangen aus der bereits von Venedig her berühr-
ten Schule seiner Vaterstadt, wo sich immer einige Localmaler, früher
mit sehr bedeutenden (S. 818 u. 960), später wenigstens mit nicht zu
verachtenden Leistungen (S. 964, i) hervorthaten. Von seinen nächsten
Vorgängern findet man in Verona eine Menge Werke. (Von Tor-
abido’s Schüler Giambattista del moro z. B.: in S. Nazaro e Celso
die Lunetten über den meisten Altären; in beiden Seitenschiffen von
bS. Stefano einfarbige Fresken aus der Legende des Heiligen. — Von
cDomenico Ricci, gen. Brusasorci: ebenfalls in S. Stefano die
schwachen Kuppelmalereien und das Fresco über der rechten Seiten-
thür, der Heilige umgeben von den unschuldigen Kindlein, welche
dwie er als „Erstlinge des Marterthums“ bezeichnet werden; zu S. M.
in organo die Fresken der Cap. l. vom Chor; in S. Fermo die Lu-
enette des 1. Alt. r., mit der Enthauptung eines heil. Bischofs. — Von
fPaolo Farinato: sämmtliche, zum Theil ganz bedeutende Fresken
im Chor von S. Nazaro e Celso. — Von Paolo Caliari’s nächstem
gLehrer Giov. Badile: ein Bild in der Pinacoteca, zwei Engel, die
den todten Christus ins Grab senken, bez. 1556.) Allein Paolo ver-
dankt sein Bestes wesentlich dem Vorbilde Tizians und Venedigs
überhaupt.
Paolo’s Grösse liegt darin, dass er, den wahren Genius der vene-
zianischen Schule erkennend, nicht eine bewegte Historienmalerei auf
den anders gearteten Stamm zu pfropfen suchte wie Tintoretto, son-
dern die Existenzmalerei auf eine letzte, unübersteigliche Stufe hob
und auch das Colorit diesem gewaltigen Problem gemäss zu steigern
vermochte.
Seine Charaktere sind nicht höher, erhabener als die der bessern
Vorgänger, besitzen aber den Vorzug eines so freien, unbefangenen,
absichtlosen, lebensfrohen Daseins wie wohl bei keinem andern Maler
der Welt 1). In den sante conversazioni befolgt er die Anord-
[987]Paolo Veronese.
nung der spätern Werke Tizians; die Heiligen sind z. B. zwanglos
um das Postament gruppirt, auf welchem die Madonna sitzt. (Acad.a
v. Venedig; S. Francesco della vigna, 5. Cap. l.) Das schönste die-b
ser Bilder: S. Cornelius, S. Antonius abbas und S. Cyprian nebst
einem Geistlichen und einem Pagen, findet sich in der Brera zu Mai-c
land. — In den erzählenden Bildern geht der allgemeine vene-
zianische Mangel an genügender Entwicklung der Figuren bis zur
Unverständlichkeit; Haltung und Schritt aber haben oft etwas son-
derbar Schwankendes. Allein Paolo hat, wo er sich anstrengt, edlere
dramatische Gedanken als die übrigen Schulgenossen, wie man am
besten in S. Sebastiano zu Venedig sieht, welche Kirche eine sehrd
grosse Anzahl Bilder von ihm, die trefflichsten und grössten im Chor,
enthält. Vollends sind die Hochaltarbilder von S. Giustina zu Paduae
und von S. Giorgio in Braida zu Verona, mit den Martyrien derf
genannten Heiligen, Meisterwerke ersten Ranges; Paolo dämpft das
Ereigniss so weit als möglich zum Existenzbild, mässigt sich im
Pathos auf das Behutsamste, meidet die Excesse des Naturalismus,
und behält auf diese Weise die nöthige Fassung um seine Farbe in
siegreicher Prachtfülle vortragen zu können. Mit seinen weltlichen
Bildern verhält es sich nicht anders; die berühmte „Familie desg
Darius“ im Pal. Pisani a S. Polo wirkt nur desshalb so ganz
zwingend, weil das Pathos auf das Nothwendigste beschränkt, der
Moment zu einer blossen demüthigen Präsentation gedämpft ist. —
Er wählt vorzugsweise solche Ereignisse, die sich dem Ceremonien-
bilde nähern, wie die Anbetung der Könige (Brera zu Mailand), dieh
Königin von Saba (mit den Zügen der Elisabeth von England, Uffi-i
zien); seine eigentlichen Ceremonienbilder werden wir im Dogenpalast
kennen lernen. — Die ganz schwachen erzählenden Bilder übergehen
wir; es sind zumeist solche, in welchen auch die Farbe geringern
Werth hat. (Ein unglückliches Roth hat z. B. oft alle Lasuren ver-
zehrt.) Paolo wird zwar niemals roh wie Tintoretto, allein sehr nach-
1)
[988]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
lässig. — Die Geschichte der Judith (Pal. Brignole in Genua) ist
wenigstens noch ein prächtiges Farbenbild.
Am berühmtesten sind Paolo’s Gastmähler, dergleichen er
vom kleinsten bis zum ganz colossalen Massstab gemalt hat. Sie er-
scheinen als nothwendige höchste Frucht der Existenzmalerei, welche
hier die letzten historischen Fesseln abschüttelt und nur noch einen
Rest von Vorwand braucht, um in ungehemmtem Jubel alle Pracht
und Herrlichkeit der Erde, vor Allem ein schönes und freies Men-
schengeschlecht im Vollgenuss seines Daseins zu feiern. Für Speise-
säle von Fürsten hätte Paolo vielleicht Bacchanalien zu malen gehabt
und dabei seine Unzulänglichkeit in der idealen Zeichnung und Com-
position sowie im Affect geoffenbart: indem er aber für Klosterre-
fectorien malte, ergab sich als sichere Basis irgend ein biblisches
Bankett, dessen ceremoniellen Inhalt er durch die schönste Einzel-
belebung aufheben konnte. Die prachtvollsten architektonischen Ört-
lichkeiten und Perspectiven bilden den Schauplatz, auf welchem sich
die sitzende Gesellschaft und die bewegten Episoden in vollem Reich-
thum und doch ohne Gedränge ausbreiten können. Die besten und
grössten dieser Bilder (im Louvre) sind vielleicht die ersten Gemälde
der Welt in Betreff der sog. malerischen Haltung, in dem vollkom-
menen Wohlklang einer sonst überhaupt unerhörten Farbenscala 1);
allein die Scala der zu Einem Ganzen vereinigten Existenzen ist im
Grunde ein noch grösseres Wunderwerk. Die heiligen Personen und
die an sie geknüpften Ereignisse bleiben freilich Nebensache.
Venedig besitzt noch Ein Hauptwerk dieser Art: das Gastmahl
bdes Levi (Academie). — Eine Hochzeit von Kana in der Brera zu
Mailand. — Ebenda: Christus beim Pharisäer. — Andere Gastmähler
cin der Galerie von Turin; eines (alte Copie?) im Pal. reale zu Ge-
nua. — Nach Paolo’s Tode verwertheten seine Erben seine Motive
dzu ähnlichen Bildern; ein grosses, unangenehmes Gastmahl beim Pha-
risäer in der Academie zu Venedig. — Paolo selbst, als er einst das
[989]Paolo Veronese. Die Bassano.
Abendmahl schilderte (S. Giuliano, Cap. links vom Chor), fiel fast ina
dieselbe Trivialität wie Tintoretto.
Während Paolo die Existenzmalerei bis zu ihren höchsten Con-
sequenzen emporführte, konnten auch die niedrigern nicht ausbleiben.
Das Genrebild, schon seit Giorgione durch das Novellenbild ange-
kündigt, in zahlreichen einzelnen Versuchen bereits vorhanden, wird
zu einer besondern Gattung durch Jacopo Bassano (eigentlich da
Ponte, 1510—1592) und seine Söhne. Im Colorit sichtlich nach den
besten Meistern gebildet obwohl sehr ungleich (vom Glühenden bis
ins ganz Dumpfe), ergötzt diese Familie immer durch ihre bäurischen
Idyllen in heimlicher Landschaft, welchen eine Parabel Christi, oder
eine der vier Jahreszeiten oder ein Mythus u. dgl. weniger zum In-
halt als zum Vorwand dient. Die Schafherden und die Geräthschaften,
in welchen die Füsse der handelnden Personen fast durchgängig ver-
loren gehen, sind oft meisterhaft gemalt. Vieles aber ist reine Fabrik-
arbeit. In den Uffizien Einiges vom Bessern, auch das Familiencon-b
cert. — Zwei von den Söhnen, Leandro und Francesco, haben
auch grosse Bilder heiligen Inhaltes gemalt, bisweilen naiv und rüh-
rend im Ausdruck, aber überhäuft, auf grelle Lichteffecte berechnet,
roh gezeichnet. (Grablegung, in den Uffizien; — Auferweckung desc
Lazarus, in der Acad. von Venedig; — Abendmahl, in S. M. Formosa,d
rechtes Querschiff; — Predigt Johannes d. T. in S. Giacomo dall’ Orio,e
rechtes Querschiff, — und Madonna mit Heiligen, ebenda beim 1. Alt. l.;
— Marter der heil. Catharina, im Pal. Pitti; — Assunta, auf demf
Hochaltar von S. Luigi de’ Francesi in Rom. — Endlich in der Pi-g
nacoteca von Vicenza: ein grosses halbrundes Präsentationsbild: S.h
Marcus und S. Laurentius empfehlen zwei knieende Beamte der Ma-
donna; ein vorzügliches Werk, vielleicht von einem der Söhne.)
Das Ausleben der venezian. Schule repräsentirt Jacopo Palma
giovine (1544 bis um 1628). Ein gewissenloser Maler von grossem
Talent. Was er konnte, zeigt seine Auferweckung des Lazarus in deri
Abbazia (Cap. hinter der Sacristei). Seine übrigen Arbeiten, von wel-
[990]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
chen Venedig wimmelt, sind fast lauter Improvisationen. Wer sie
durchgeht, wird neben den schnöden, von Tintoretto erborgten Ma-
nieren hie und da einen guten Gedanken und schöne Farbenpartien
finden, aber als Ganzes lohnen sie diess Studium nicht. — Ungleich
ehrlicher war Alessandro Varotari, gen. Padovanino (1590
bis 1650) auf das wahre Ziel der Kunst gerichtet, brachte es aber
nicht über die Nachahmung Tizians und Paolo’s hinaus und vermischte
mit diesen Studien einen etwas leblosen Idealismus. Immerhin ist
aseine Hochzeit von Kana (Academie) ein höchst achtungswerthes und
schönes Werk.
Noch später stärkten sich einzelne Talente an dem Vorbild Pao-
lo’s und brachten zu guter Stunde sehr ansprechende Werke hervor.
So Lazzarini, Angeli, Fumiani, auch Tiepolo (st. 1770),
wenn er nicht schmiert. Von Fumiani (st. 1710) ist u. a. die unge-
bheure Deckenmalerei in S. Pantaleone merkwürdig, welche nicht mehr
aus vielen einzeln eingerahmten Bildern, sondern aus Einer grossen
Composition mit perspectivischer Anordnung in Pozzo’s Art (S. 387)
besteht, übrigens doch nicht al fresco, sondern auf aufgenagelten Tuch-
flächen gemalt ist; Thaten und Glorie S. Pantaleons enthaltend. —
Pietro Liberi hängt in den Formen schon sehr von Pietro da Cor-
tona ab. Sein Schüler war Carlo Lotti (st. 1698). — Von Piaz-
zetta’s Genrebildern wie von den Veduten der beiden Canaletti
wird man das Beste ausserhalb Venedigs und Italiens suchen müssen.
— Von dem brillanten Orbetto (eigentl. Aless. Turchi aus Verona)
ist in öffentlichen Galerien und Kirchen nur Weniges vorhanden.
Wie die älteste venezianische Malerei in der Marcuskirche, so
hat sich die späteste, die der Nachfolger Tizians im Dogenpalast
(Räume des zweiten Stockwerkes) verewigt. Die decorative Anord-
nung und Einrahmung wurde oben (S. 291) geschildert; hier handelt
es sich wesentlich um die Frage: wie die Künstler ihr Gesammtthema:
die Verherrlichung Venedigs, auffassten.
Schon im Atrio quadrato empfängt uns Tintoretto mit einem
jener Votivbilder (an der Decke), welche den Dogen mit Heiligen und
Allegorien umgeben darstellen, wovon unten. — Die perspectivische
[991]Ausgang der Schule. Der Dogenpalast.
Untensicht, welche wir fortan in den Deckenbildern aller Säle durch-
geführt finden werden, ist selbst bei schwebenden Figuren in der
Regel keine absolute sondern eine halbe, eine Art von Schiefsicht.
Es liess sich schon fragen, ob an Decken überhaupt, ob vollends an
flache Decken figürliche Darstellungen gehörten; ferner wenn es durch-
aus grosse reiche Compositionen sein sollten, ob nicht die gewöhnliche
einfache Vorderansicht und die ideale, strenge Composition den Vorzug
verdienten vor diesen künstlich verschobenen und illusionsmässig an-
geordneten Gruppen; die irdischen Ereignisse bleiben in solchen Decken-
bildern doch unglaublich, und die himmlischen wollen überhaupt anders
angeschaut sein als nach dem Massstab der räumlichen (und obendrein
für das Einzelne ganz naturalistischen) Wirklichmachung. Genug —
innerhalb des Irrthums, welchen alle Maler des Dogenpalastes theilen,
giebt es doch grosse Unterschiede, und Paolo wird uns stellenweise
sehr zu vergnügen, selbst zu überzeugen wissen.
Sala delle quattro porte. Tizians grosses, spätes, nocha
herrlich gemaltes Präsentationsbild, ein rechtes Denkmal der Gegen-
reformation; der Doge Ant. Grimani vor der in voller Glorie er-
scheinenden Fides knieend. — Die Schlachtenmaler dieses und anderer
Säle durften durch freie Phantasietrachten und Episoden aller Art das
Historische an ihrem Gegenstand völlig in den Schatten stellen. —
Die Ceremonienbilder, so wichtige Facta sie darstellen mögen, wie
z. B. die Verbindung mit Persien (Empfang der pers. Gesandten, von
Carlo Caliari), sind dramatisch ganz gehaltlos. So auch der Empfang
Heinrichs III, von Andrea Vicentino. Zu dieser Art von Auffassung
gehört der heitere Fleiss eines Carpaccio, dem man um der Detail-
schönheit willen die Abwesenheit aller höhern Dramatik gern zu Gute
hält. — In Tintoretto’s Deckenbild ergötzt die ceremoniöse Höflich-
keit, mit welcher Jupiter die Venezia aus dem götterreichen Olymp
zum adriatischen Meer herab führt.
Sala dell’ anticollegio. Die vier mythologischen Wand-b
bilder Tintoretto’s sind von seinen bestgemalten, aber freudlos ge-
dacht, hässlich in den Bewegungen; man sehe, wie Venus zur Krö-
nung der Ariadne herbeischwebt. — Jacobs Rückkehr nach Kanaan
ist ein wichtiges Haupt- und Urbild derjenigen Palette, aus welcher
Jacopo Bassano und die Bassaniden jene Hunderte von ländlichen
[992]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
Scenen gemalt haben. — Paolo Veronese: der Raub der Europa,
schönster Beleg für die venezianische Umdichtung des Mythologischen
in eine theils pomphaft theils anmuthig sinnliche Wirklichkeit; das
Vorgefühl der seltsamen Abreise, die eilige Toilette, wozu die Putten
Blumen und Kränze bringen, bilden einen köstlichen Moment. — An
der Decke eine thronende Venezia Paolo’s, al fresco, das einzige po-
litische Bild dieses Saales, wo der venez. Staat sonst nur das Schönste
verlangt, das im Bereich seiner damaligen Künstler liegt.
Sala del collegio. Tintoretto’s vier grosse Votivbilder von
Dogen, welche, meist steinalt, in ihrer halbbyzantinischen Amtstracht
vor der Madonna oder Christus knieen und dabei von zahlreichen
Heiligen empfohlen werden. Ihre streng ceremonielle Andacht würde
besser in Mosaiken passen als in die oft sehr affectvolle und bewegte
heilige Gesellschaft, unter welche sich hier und anderswo auch alle-
gorische Personen handelnd mischen. Übrigens ist schon das Breit-
format dem überirdischen Inhalt nicht günstig; die Visionen müssen
zur ebenen Erde herabrücken. — Viel mehr Wärme zeigt an einem
dankbarern Gegenstand (hintere Wand) Paolo Veronese; sein Sieger
von Lepanto, Seb. Veniero, kommt in hastiger Begeisterung heran,
um von seinen Begleitern S. Marcus, Venezia, Fides, S. Justina dem
niederschwebenden Christus empfohlen zu werden. — Die sämmtlichen
11 Gemälde und 6 Chiaroscuri der Decke gehören vollends zu P.’s
schönsten und frischesten Malereien; hier u. a. wieder eine thronende
Venezia mit zwei andern Göttinnen, welche zeigen wie sich P. bei
der Untensicht zu helfen wusste; er gewann seinen allerliebsten Fett-
köpfchen gerade diejenigen Reize der Bildung und des Helldunkels,
welche sich nur hier offenbaren, ganz meisterlich ab.
Sala del Senato. Hier fahren Tintoretto und Palma giov.
mit ihren Votivbildern fort; u. a. eine auf Wolken niederschwebende
Pietà von 2 Dogen angebetet. — Das Äusserste von Lächerlichkeit
leistet Palma’s Allegorie der Liga von Cambray; die Stierreiterin stellt
das „verbündete Europa“ vor. — Noch ein Programm der Orthodoxie,
von Dolabella: Doge und Procuratoren beten die Hostie an, die auf
einem von Geistlichen und Armen umgebenen Altar steht. — Tinto-
retto’s Deckenbild zeigt, wie ihn Michelangelo irre gemacht hatte; statt
Paolo’s Naivetät und Raumsinn ein wüstes Durcheinanderschweben. —
[993]Malereien des Dogenpalastes.
(Vorzimmer der Capelle: gute Bilder von Bonifazio unda
Tintoretto; über Tizians S. Christoph s. S. 970, g.)
Sala del consiglio de’ Dieci. Grosse, friesartige Cere-b
monienbilder von Leandro Bassano, Marco Vecellio und dem Aliense,
in dessen „Anbetung der Könige“ Zug, Gepäck und Episoden zwei
Drittheile des Raumes einnehmen. Viele sehr schöne Einzelheiten. —
An der Decke fehlt das Mittelbild; ringsum die schön gemalten Al-
legorien, welche man durchweg dem Paolo zuschreiben möchte, von
welchem doch nur der Alte mit dem reizenden jungen Weib herrührt;
das Übrige ist von dem wenig genannten Ponchino, gen. Bazzacco.
Sala della Bussola. Die Übergaben von Brescia und Ber-c
gamo, mit guten Episoden, vom Aliense. — In der Sala de’ capi
geringere allegorische Malereien.
Noch immer keine römische Geschichte, welche sonst in italieni-
schen Rathspalästen so unvermeidlich ist? Es lag ein gerechter und
grossartiger Stolz darin, dass man sie im Dogenpalast zu Venedig ent-
behren konnte.
Sala del maggior consiglio. In den historischen Wand-d
bildern wird der Moment (fast lauter Ceremonien und Schlachten) in
der Regel durch Accessorien erstickt. Volksgewühl und Handgemenge,
ohne irgend ein Liniengefühl und ohne rechte Naivetät vorgetragen,
ermüden den Blick sehr bald. Auch der Kunstverderber Federigo
Zuccaro hat sich hier eingedrängt. — Tintoretto’s colossales Paradies
galt damals gewiss für schöner als Michelangelo’s Weltgericht und ist
jedenfalls viel mehr werth als die Kuppelmalerei des Domes von Flo-
renz. Allein der Realismus dieser Gestalten ist mit ihrer voraus-
gesetzten Coexistenz im Raume ganz unverträglich; Alles ist dermassen
angefüllt, dass auch die fernste Tiefe wieder eine ziemlich nahe Wand
von Gesichtern zeigt. Um lauter Lebendiges zu geben, beschränkte
T. die Wolken auf das Nothwendigste und liess seine Heiligen in
einer Art schweben, baumeln, auf dem Mantel oder auf gar nichts
lehnen und liegen, dass dem Beschauer in ihrem Namen schwindlich
wird; die fliegenden Engel wirken wahrhaft wohlthätig daneben. Die
Composition zerstreut sich in lauter Farben- und Lichtflecke, und
nimmt nur in der Mitte einen bessern Anlauf. Aber die grosse Menge
vorzüglicher Köpfe, meist auf dem hellen Grunde ihres Nimbus, geben
B. Cicerone. 63
[994]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen.
diesem Werke immer einen hohen Werth. — Von den drei grossen
Deckenbildern werden die des Tintoretto und Palma giov. weit über-
troffen von demjenigen des Paolo: Venezia, vom Ruhme gekrönt.
Schon die Untensicht und die bauliche Perspective sind weit sorg-
fältiger gehandhabt; dann hat P. das Allegorische und Historische
auf die obere Gruppe beschränkt, wo seine Wolkenexistenz in Linien
und Farben ganz harmonisch mit der Architektur in Verbindung ge-
bracht ist; auf der untern Balustrade sieht man nur schöne Frauen,
weiter unten zwei wachthabende Reiter und Volk, als Zuschauer der
himmlichen Ceremonie; höchst weislich sind zwei grosse Stücke Him-
mel frei gelassen, ein Athemschöpfen, das Tintoretto dem Beschauer
nirgends gönnt; endlich hat Paolo seinem heitern Schönheitssinn einen
wahren Festtag bereiten wollen, dessen Stimmung unfehlbar auf den
Beschauer übergeht.
Sala dello Scrutinio. Nichts von Bedeutung als das Welt-
gericht des jüngern Palma, und auch dieses nur der Farbe halber.
Als Ganzes offenbar das Werk allmäliger, wechselnder Entschlüsse,
bildet diese Decoration immerhin ein Unicum der Kunst. Ob der
Geist, welcher uns daraus entgegenweht, ein vorherrschend wohl-
thuender ist, und ob die damalige Kunst im Namen der wunderbaren
Inselstadt nicht eher eine andere Sprache hätte reden müssen, darüber
mag die Empfindung eines Jeden entscheiden.
Im Grossen und Ganzen war die Malerei, mit Ausnahme der ve-
nezianischen Schule, schon in kenntlicher Ausartung begriffen etwa
vom Jahr 1530 an; ja es liesse sich behaupten, dass nach Rafaels
Tode kein Kunstwerk mehr zu Stande gekommen, in welchem Form
und Gegenstand ganz rein in einander aufgegangen wären; selbst die
spätern Werke der grössten Meister imponiren eher durch alle andern
Vorzüge als gerade durch diesen, wie schon oben mehrfach angedeu-
tet wurde.
Die Schüler der grossen Meister traten nun in das verhängniss-
volle Erbe derselben ein. Sie bekamen die Kunst unter früher nie
[995]Äussere Bedingungen des Manierismus.
erhörten Bedingungen in die Hände; alle zünftige und locale Gebun-
denheit hatte aufgehört; jeder Grosse und jede Kirchenverwaltung
verlangten für ihre Gebäude einen monumentalen Schmuck von oft
ungeheurem Umfang und in grossem Styl. Aufgaben, zu welchen
eben Rafael und Michelangelo mit Aufwand aller ihrer Kräfte hin-
gereicht hatten, gelangten jetzt bisweilen an den Ersten Besten, wur-
den auch wohl das Ziel, nach welchem Ehrgeiz und Intrigue um die
Wette rannten.
Den wahren Höhegrad des jetzt zur Mode gewordenen Kunst-
sinnes sahen die klügern Künstler ihren Gönnern sehr bald ab. Sie
bemerkten, dass die Herren vor Allem rasch und billig bedient sein
wollten und richteten sich auf Schnelligkeit und die derselben an-
gemessenen Preise ein. Sie sahen auch recht wohl, dass man an
Michelangelo weniger das Grosse, als die phantastische Willkür und
ganz bestimmte Äusserlichkeiten bewunderte und machten ihm nun
dieselben nach wo es passte und wo nicht. Ihre Malerei wird eine
Darstellung von Effekten ohne Ursachen, von Bewegungen und Muskel-
anstrengungen ohne Nothwendigkeit. Endlich richteten sie sich auf
Das ein, was die meisten Leute von jeher in der Malerei vorzüglich
geschätzt haben: auf Vieles, auf Glänzendes und auf Natürliches. Dem
Vielen genügten sie durch Vollpfropfen der Gemälde mit Figuren,
auch mit ganz müssigen und störenden; dem Glänzenden durch ein
Colorit, das man ja nicht nach dem jetzigen Zustande der meisten
betreffenden Bilder beurtheilen darf, indem ehemals eine freundliche
Farbe mit hell oder changeant aufgetragenen Lichtern neben der an-
dern sass. Das Natürliche endlich wurde theils durch grundprosaische
Auffassung und Wirklichmachung des Vorganges, theils durch ganz
naturalistische Behandlung einzelner Theile erreicht, welche dann neben
dem übrigen Bombast beträchtlich absticht. — Der grösste Jammer
aber ist, dass manche der betreffenden Künstler, sobald sie nur woll-
ten oder durften, den echten Naturalismus und selbst ein harmonisches
Colorit besassen, wie namentlich ihre Bildnisse beweisen.
Eine Zeitlang verlangte die Mode lauter Gegenstücke zum
jüngsten Gericht, und es entstanden jene Gewimmel nackter
(oder enggekleideter) Figuren, die in allen möglichen und unmöglichen
Stellungen auf einem Raum, der sie nicht zum dritten Theil beher-
63*
[996]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen.
bergen könnte, durcheinander stürzen. Gemässigt, räumlich denkbar
und zum Theil edel ist von diesen Bildern am ehesten Daniel da
aVolterra’s Kindermord (Uffizien in Florenz) zu nennen, und bei
bBronzino’s „Christus in der Vorhölle“ 1) wird man wenigstens den
Müssiggang und die Überfülle so vieler gewissenhaft studirter nackter
Form beklagen; anderes der Art ist aber vollkommen unleidlich, zu-
mal durch Vermischung mit Reminiscenzen aus dem jüngsten Gerichte
selbst. — So insgemein die Stürze der Verdammten, die Hinrichtungen
cder 40 Märtyrer 2), die Marter des heil. Laurentius (grosses Fresco
Bronzino’s im linken Seitenschiff von S. Lorenzo in Florenz), die
Darstellungen der ehernen Schlange, u. A. m. Auch der Bildhauer
dBandinelli concurrirte und liess Paradiesbilder nach seinen Ent-
würfen malen (Pal. Pitti).
In der Folge bekam die grosse und freche Improvisation histo-
rischer, sowohl biblischer als profaner Gegenstände einen wahren
Schwung. Man malte Alles was verlangt wurde und versetzte das
Historische mit Allegorie und Mythologie ohne alles Mass. Vasari
(1512—1574), bei grosser Begabung beständig bemüht, dem Geschmack
seiner Leute zuvorzukommen, in der Ausführung so sauber und or-
dentlich als man bei gewissenloser Schnellproduction sein kann, tritt
wenigstens die einfachsten Gesetze der Kunst noch nicht geflissentlich
emit Füssen (Fresken in der Sala regia des Vaticans; Gastmahl des
fAhasverus in der Academie zu Arezzo; Abendmahl in S. Croce zu
Florenz, Cap. del Sagramento; andere Bilder in ders. Kirche, die unter
seiner Aufsicht ihre meisten jetzigen Altargemälde erhielt; Mehreres
gin S. Maria novella; sehr gedankenlos die zahllosen Malereien im
hgrossen Saale des Pal. vecchio). — Auch sein Genosse Francesco
Salviati (1510—1563) hat bei aller öden Manier (Fresken der Sala
id’Udienza im Pal. vecchio) noch einen gewissen Schönheitssinn, der
[997]Vasari; die Zuccari; Arpino etc.
ihn vom Schlimmsten zurückhält. — Ganz im Argen liegen erst die
Brüder Zuccaro, Taddeo (1529—1566) und Federigo (st. 1609),
indem sie den grössten systematischen Hochmuth mit einer bei ihrer
Bildung wahrhaft gewissenlosen Formliederlichkeit verbinden. Erträg-
lich und bisweilen überraschend durch Züge grossen Talentes in ihren
Darstellungen der Zeitgeschichte (vordere Säle im Pal. Farnese zua
Rom; Sala regia des Vaticans; Schloss Caprarola mit der farnesischenb
Hausgeschichte) werden sie in ihren unergründlichen (weil literarisch
erarbeiteten) Allegorien (Casa Bartholdy in Rom, und Domkuppel zuc
Florenz) komisch bedauernswerth. — Ein anderer grosser Entrepre-
neur, hauptsächlich für Rom und Neapel, war in der spätern Zeit des
XVI. Jahrh. der Cavaliere d’Arpino (eigentl. Giuseppe Cesari, geb.
um 1560, st. 1640); nicht barock, aber mit einer seelenlosen allge-
meinen Schönheit oder Eleganz behaftet, die nur selten (Cap. Olgiatid
in S. Prassede zu Rom; Zwickelbilder der Cap. Pauls V in S. Mariae
maggiore) einer edlern Wärme Platz macht. — Die Mitstrebenden
dieser vielbewunderten Meister haben vorzüglich in Rom eine unglaub-
liche Menge von Fresken hinterlassen. — Von dem ältern Tempesta
und Roncalli dalle Pomarance rühren z. B. die vielen gräss-
lichen Marterbilder in S. Stefano rotondo her, merkwürdig als Belegf
dessen, was die Kunst sich wieder von Tendenzgegenständen musste
aufbürden lassen, seitdem sie sich selbst erniedrigt hatte. — Von Cir-
cignani-Pomarancio, Paris Nogari, Baglioni, Baldas-
sare Croce (die 2 grossen Seitenbilder in S. Susanna) enthält fastg
jede Kirche die alt genug ist, irgend etwas, das man nur sieht um
es baldigst wieder zu vergessen. Denn was nicht empfunden ist, kann
auch nicht nachempfunden werden und prägt sich dem Gedächtniss
nur äusserlich und mit Mühe ein. Bisweilen entschädigt der mehr
decorative Theil, z. B. Füll- und Tragefiguren, den Sinn einigermassen.
In Neapel ist einer der besten Manieristen dieser Zeit Simone
Papa d. jüng. (Fresken im Chor von S. Maria la nuova). Auch derh
stets rüstige, oft wüste Improvisator Belisario Corenzio (überall);
der ältere Santafede (Deckenbild in S. Maria la nuova, anderei
Deckenbilder von ihm und der ganzen Schule besonders im Dom);k
der jüngere Santafede (Auferstehung in der Capelle des Monte
di Pietà, gegenüber der Assunta des Ippolito Borghese, beides Haupt-l
[998]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen.
abilder); Imparato (Dom und S. M. la nuova) u. a. geben zusammen
das Bild einer zwar entarteten, aber von der michelangelesken Nach-
ahmung nur wenig angesteckten Schule; es fehlt zwar im Componiren
an Mässigung und im Ganzen an höherm Geist, allein auch die falsche
Bravour fehlt, und die Verwilderung ist keine so unwürdige wie in
Rom und anderwärts. Arpino, der eigentlich mit in diese Reihe ge-
hört, machte sich es nur zu leicht. — Der einzige Michelangelist,
bMarco da Siena, kam von aussen. Seine Bilder im Museum sind
meist äusserst widrig; die angenehmern Seiten, namentlich ein brillan-
ctes Colorit, entwickelt er in dem „ungläubigen Thomas“ (Dom, 2. Cap.
dlinks) und in der Taufe Christi (S. Domenico maggiore, 4. Cap. r.).
(Cola della Matrice malte noch um 1550 in der Art des XV.
eJahrh.; ein Bild in der Galerie des Capitols.)
Ehe wir den Apennin überschreiten, ist es auch in Betreff der
bis jetzt Genannten und einiger ihrer Zeitgenossen eine Forderung der
Billigkeit, der guten und selbst sehr vorzüglichen Leistungen zu ge-
denken. Dieselben beginnen da wo der falsche Pompstyl aufhört.
Von der florentinischen Schule, hauptsächlich von den grossen
Porträtmalern 1)Bronzino und Pontormo ging fortwährend ein
belebender Strahl nach dieser Richtung aus. Die Bildnisse Vasari’s
f(sein Haus 2) in Arezzo; Uffizien und Academie in Florenz) und der
gbeiden Zuccaro (Pal. Pitti und ein Zimmer in Casa Bartholdy zu
Rom, wo die sämmtlichen Mitglieder der Familie in Lunetten al fresco
gemalt sind) sind in der Auffassung fast ganz naiv und in der Aus-
führung wahr. Dem Federigo gelingt auch auf dem idealen Gebiet
[999]Die bessern Leistungen.
etwa ein phantastisch schöner Wurf (der todte Christus, von Fackel-a
haltenden Engeln beweint, im Pal. Borghese zu Rom), natürlich nur
in sehr bedingter Weise. Santi di Tito ist sogar als Historien-
maler in dieser Zeit fast ohne Affektation, ja ein einfacher Mensch
geblieben. (Mehrere Altarblätter bes. in S. Croce zu Florenz; derb
Engelreigen über dem Hauptportal im Dom etc.; der 1. Altar in S.c
Marco rechts; Antheil an den Lunetten des grossen Klosterhofes beid
S. Maria novella etc.). Wir werden an diesen Namen wieder an-
knüpfen müssen bei der Herstellung der florentin. Malerschule, welche
nach den bösen Jahrzehnden 1550—1580 beginnt. Unter den Römern
ist Pasquale Cati von Jesi (grosses Fresco in S. Lorenzo in Pa-e
nisperna zu Rom) gewissermassen ein naiver Michelangelist, Sicio-
lante da Sermoneta (Christi Geburt, in S. Maria della Pace zuf
Rom; Taufe Chlodwigs, in S. Luigi, 4. Cap. rechts) ebenfalls inner-g
lich wahr und gemässigt. Dann arbeitete in Rom der aus obiger na-
politanischer Reihe stammende Scipione Gaetano, dem es in
seiner Beschränktheit immer ein solcher Ernst ist, dass eine Anzahl
ganz vortrefflich naiver, wenn auch etwas harter Porträts zu Stande
kamen (vatican. Biblioth.; Pal. Colonna etc.). In idealen Gegenständenh
(heil. Familie, Pal. Borghese; Vermählung der heil. Catharina, Pal.i
Doria; Mariä Himmelfahrt, linkes Querschiff von S. Silvestro di Montek
cavallo) ist er nach Vorzügen und Mängeln seiner heimischen Schule
verwandt und erfreut durch ein saftiges Colorit.
Sogar eine ganze Schule, diejenige von Siena, ist vorherrschend
wahr und lebendig geblieben; ein nobler Naturalismus, der seinen An-
halt an Andrea del Sarto und Sodoma sucht, beseelt die bessern Werke
eines Francesco Vanni (1565—1609; in S. Domenico zu Sienal
alles was in der Catharinencapelle nicht dem Sodoma angehört; in
S. M. di Carignano zu Genua, Alt. r. neben d. Chor, die letzte Com-m
munion der heil. Magdalena, etc.), eines Arcangelo und Ventura
Salimbeni (Fresken im Chor des Domes von Siena mit den Ge-n
schichten der heil. Catharina und eines heil. Bischofs; im Unterraum
von S. Caterina das 2. Bild, r.), eines Domenico Manetti, u. A. m.o
Viele der genannten Maler verschiedener Schulen waren mehr
oder weniger influenzirt von einem merkwürdigen, meist abseits in
seiner Heimath Urbino lebenden Meister, Federigo Baroccio
[1000]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen.
(1528—1612). Seine geschichtliche Bedeutung liegt darin, dass er
die Auffassungsweise Coreggio’s, als dessen eigene parmesanische
Schule sie aufgegeben hatte, bis zum Auftreten der Bologneser fast
allein mit Eifer vertrat; freilich genügte seine Begabung dazu keines-
weges ganz, und neben echtem Naturalismus und einer wahren Be-
geisterung für sinnliche Schönheit muss man sich mancherlei affectirte
Mienen und Geberden, glasartige Farben, und ein hektisches Roth an
den beleuchteten Stellen der Carnation gefallen lassen. Das schönste
aBild, so ich von ihm kenne, ist der Crucifixus mit Engeln, S. Se-
bastian, Johannes und Maria, im Dom von Genua (Cap. rechts vom
Chor); — das fleissigste und grösste die „Madonna als Fürsprecherin
bder Kinder und Armen,“ in den Uffizien, mit vortrefflichen genrearti-
cgen Partien; — das „Noli me tangere“ in der Gal. Corsini zu Rom
dund (kleiner) in den Uffizien hat ebenfalls noch eine wahre Naivetät.
e— Wogegen die meisten Bilder in der vatican. Galerie und die übrigen
in den Uffizien zu den affectirtern gehören; in dem Porträt des Herzogs
Guidobaldo II von Urbino konnte gerade B. die kleinliche Hübschheit
fund den kriegerischen Aufputz gut wiedergeben. (Uff. und bei Ca-
gmuccini in Rom.) — Grosse bewegte Kreuzabnahme im Dom von Pe-
rugia (rechts). — Die neuflorentinische Schule, von welcher unten die
Rede sein wird, schloss sich wesentlich an Baroccio an.
In Genua war der Manierismus schon bei den Schülern des
Perin del Vaga in vollem Gange. Giov. Batt. Castello, Calvi,
die jüngern Semini, auch der etwas bessere Lazzaro Tavarone
geriethen ob dem beständigen Fassadenmalen (S. 293) in eine wahre
Verstockung; sie bilden einen ganz besonders ungeniessbaren Ableger
der römischen Schule. — Ihnen gegenüber stand der einsame Luca
Cambiaso (1527—1580 od. 85) der aus eigenen Kräften, ohne Mo-
retto und Paolo Veronese zu kennen, ein ähnliches Resultat erreichte:
einen gemüthlich veredelten Naturalismus, der auch für den Ausdruck
des höhern Seelenlebens ein würdiges Gefäss sein konnte. Sein stets
gedämpftes Colorit ist harmonisch und klar; erst in der spätern Zeit,
da auch seine Naivetät erlahmte, wird es dumpfer. Seine Madonna
ist eine echte, liebenswürdige Genueserin ohne ideale Form, das Kind
immer naiv und schön bewegt, die Heiligen voll innigsten Ausdruckes;
Altarbilder dieser Art sind in der Regel ein Stück Familienscene, hei-
[1001]Baroccio. Genuesen. Mailänder.
ter ohne Muthwillen. (Dom von Genua: Altar des rechten Querschiffes:a
Madonna mit Heiligen; Cap. links vom Chor: sechs Bilder; 3. Alt. r.:
S. Gothardus mit Aposteln und Donatoren. — Pal. Adorno: Madonnab
im Freien sitzend mit 2 Heiligen. — Uffizien: Madonna als jungec
Mutter sich auf das Kind niederneigend.) — Seine ganze Kraft aber
hat C. zusammengenommen in der grossen Grablegung (S. M. di Ca-d
rignano, Altar links unter der hintern linken Nebenkuppel). Ruhig,
ohne alles wilde Pathos, ohne Überfüllung, entwickelt sich der Mo-
ment in edeln, energischen Gestalten von tiefinnerlichem Ausdruck;
eine frische Oase in der Epoche der Bravour und der Süsslichkeit. —
In bewegten Scenen kann der Meister schon wegen des mangelnden
Raumgefühls nicht genügen; zudem sind dieselben meist aus seiner
spätern Zeit. (Drei Bilder im Chor von S. Giorgio; — Transfigura-e
tion und Auferstehung in S. Bartolommeo degli Armeni.) — Seine
mythologischen u. a. decorativen Malereien in den Hallen genuesischer
Paläste und in S. Matteo (die Putten an den Gewölben) stehen we-f
nigstens um ein Beträchtliches höher als die Arbeiten der Schulge-
nossen; zwei mytholog. Bilder im Pal. Borghese zu Rom. Von derg
schön gebauten Gruppe der Caritas (Berliner Museum) eine Copie von
der Hand des Capuccino im Pal. Brignole zu Genua. — Wer die edleh
Persönlichkeit des Mannes will kennen lernen, suche im Pal. Spinolai
(Str. nuova) das Doppelporträt auf, in welchem er, sich selbst malend,
vor der Staffelei abgebildet ist.
Im übrigen Oberitalien sind die in diese Zeit fallenden Mitglieder
der Malerfamilie Campi von Cremona dem Verfasser nur aus den
Bildern der Brera in Mailand bekannt, wonach sie über das Vermö-k
gen eines Vasari und Salviati kaum hinauskamen; — Calisto Piazza
von Lodi (S. 978) erscheint in den Bildern derselben Sammlung doch
nur als ein edlerer Manierist; — unter den Manieristen von Mailand
selbst ist Enea Salmeggia, gen. Talpino, immer sorgfältig, bisweilen
schön und zart, meist aber zaghaft und kraftlos (Bilder ebenda); —
die drei ältern Procaccini dagegen, Ercole geb. 1520, Camillo geb.
1546, Giulio Cesare geb. 1548, höchst resolut, im Einzelnen brillant,
im Ganzen wild überladen; sie bilden den Übergang zu der mailän-
dischen Schule des XVII. Jahrh., welche mit Ercole Procaccini dem
[1002]Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen.
Jüngern, Nuvolone und den beiden Crespi eine eigenthümliche Vol-
lendung erreicht.
In Ferrara geht die ältere Schule in den Manierismus über mit
Bastianino (1532—85), einem schwachen Nachahmer des Michel-
aangelo; Certosa, Querschiff rechts: die Kreuzerhöhung; — Ateneo:
bMadonna mit Heiligen, Verkündigung. — Von Dosso’s Schülern gehört
chieher: Bastarolo (st. 1589); Bilder im Gesù, erster Altar rechts:
Verkündigung, erster Altar links: Crucifixus. — Ausserdem der platte
dNic. Roselli; Altarbilder der Certosa. — Der begabteste, bisweilen
angenehm phantastische Manierist von Ferrara war aber Scarsellino,
evon welchem in S. Benedetto eine ganze Anzahl von Bildern und in
fS. Paolo die Fresken fast sämmtlicher Gewölbe herrühren; in der
Halbkuppel des Chores eine grosse, interessante Himmelfahrt des Elias
gin einer Landschaft. In den Uffizien: ein vornehmes Kindbett, etwa
der Elisabeth, in der Art des Fr. Franck und M. de Vos. Manches
hin der Gal. von Modena.
In Bologna ist zunächst die sehr bedeutende Kunstübung merk-
würdig, welche von Bagnacavallo und Innocenzo da Imola an quanti-
tativ beträchtlich zunimmt. Erquickliches wird man freilich aus dieser
Zeit wenig finden; doch ist den meisten der betreffenden Maler eine
saubere Genauigkeit eigen, welche für jede Schule ein werthvolles
Erbe heissen darf, weil sie eine gewisse Achtung der Kunst vor sich
selber beweist. Es mag genügen, einige der bessern Bilder zu nen-
inen. Von Lorenzo Sabbatini (st. 1577): in der vierten Kirche
bei S. Stefano (S. Pietro e Paolo genannt), links neben dem Chor:
Madonna mit Heiligen. — Von Bart. Passerotti (st. 1592): in
kS. Giacomo maggiore, fünfter Altar rechts: thronende Madonna mit
fünf Heiligen und Donator. — Von Prospero Fontana (1512—1597):
lin S. Salvatore das Bild der dritten Cap. rechts; in der Pinacoteca
meine gute Grablegung; in S. Giac. magg., sechster Altar rechts, die
Wohlthätigkeit des heil. Alexius. — Von seiner Tochter Lavinia ein
nBild in der Sacristei von S. Lucia. — Von Dionigi Calvaert aus
oAntwerpen (st. 1619): ai Servi, vierter Altar rechts, grosses Paradies.
p— Von Bart. Cesi (1556—1629): Bilder hinten im Chor von S. Do-
qmenico, und in S. Giacomo magg., erster Altar links im Chorumgang.
— Von den Genannten, sowie von Sammachini, Naldini u. A.
[1003]Ferraresen und Bolognesen.
Bilder in der Pinacoteca. (Über Laureti vgl. S. 964.) — Sie allea
überragt der schon als Baumeister (S. 347) genannte Pellegrino
Tibaldi (1527—1591), welchen die Caracci als den wahren Reprä-
sentanten des Überganges von den grossen Meistern auf ihre Epoche
anerkannten. Er ist einer von den Wenigen, welche dem emsigen
Naturstudium treu blieben und die Formen nicht aus zweiter Hand
produciren wollten; seine Fresken im untern Saal der Universität ent-b
halten u. a. jene vier nackten, auf bekränzten Balustraden sitzenden
Füllfiguren, deren Trefflichkeit neben den mythologischen Hauptbil-
dern wunderbar absticht; — das grosse Fresco in S. Giacomo mag-c
giore aber (Cap. am rechten Querschiff) ist auch in der Verwirklichung
eines bedeutenden symbolischen Gedankens („Viele sind berufen, We-
nige auserwählet“) beinahe grossartig zu nennen; von den Fresken
in der Remigiuscapelle zu S. Luigi de’ Francesi in Rom (vierte Ca-d
pelle rechts) gehört ihm das schon manierirtere Deckenbild; die Wand-
bilder mit Chlodwigs Heerzug und Eidschwur sind von Sermoneta
und Giac. del Conte.
Für Ravenna ist Luca Longhi zu nennen, der bisweilen noch
in der Art der bolognesischen Nachahmer Rafaels (S. 940) an die beste
Zeit erinnert, öfter aber sich in’s Süsse und Schwache neigt. (Refec-
torium der Camaldulenser in Ravenna: grosse Hochzeit von Cana.)e
Seit den 1580er Jahren beginnt der Manierismus einem neuen,
bestimmten Styl zu weichen, der schon als geschichtliche Erscheinung
ein hohes Interesse hat. Der Geist der Gegenreformation, welcher da-
mals den weiträumigen, prachtvollen Kirchentypus des Barockstyles
hervorbrachte, verlangt zugleich von der Malerei eine möglichst auf-
regende, eindringliche Behandlung der heiligen Gegenstände; einen
höchsten Ausdruck himmlischer Herrlichkeit und frommen Sehnens
danach, verbunden mit populärer Begreiflichkeit und lockendem For-
menreiz. Bei Anlass der Sculptur, welche 50 Jahre später den Bahnen
der Malerei folgte, wurden vorläufig (S. 692) die wesentlichen Mittel
[1004]Moderne Malerei. Naturalismus und Eklekticismus.
dieser modernen Kunst hervorgehoben: der Naturalismus in den
Formen sowohl als in der ganzen Auffassung des Geschehenden (Wirk-
lichkeit) und die Anwendung des Affectes um jeden Preis. Auf
diesen ihren geistigen Inhalt hin werden wir im Folgenden die Ma-
lerei von den Caracci bis auf Mengs und Batoni zu prüfen haben und
zwar als ein — wenn auch vielgestaltiges — Ganzes. Wo die Kunst
so in die Breite geht wie hier, wäre eine Einzelcharakteristik der Ma-
ler die Sache eines umfangreichen Buches; wir müssen uns damit be-
gnügen, die wichtigern unter den Tausenden in einer vorläufigen Über-
sicht zu nennen. Nicht eine Anleitung zur speciellen Kennerschaft,
sondern die Feststellung anregender Gesichtspunkte für diese Periode
überhaupt muss unser Zweck sein. In den auf die Übersicht folgen-
den fragmentarischen Bemerkungen wird wenigstens jedes Hauptwerk
bei irgend einem Anlass vorkommen, allerdings oft in beschränkendem
Sinn, in nachtheiliger Parallele mit den Werken der goldenen Zeit.
Dass diess nicht geschieht um Missachtung zu erwecken, oder gar
um von der Betrachtung der betreffenden Werke abzulenken, wird
man beim Durchlesen des Ganzen inne werden. Irgend eine syste-
matische oder gar eine sachliche Vollständigkeit ist hier nicht zu ver-
langen.
Die Anfänger der neuen Richtung sind theils Eklektiker, theils
Naturalisten im besondern Sinne. — Die Beseitigung der unwah-
ren Formen und der conventionellen Ausdrucksweisen schien dieser
doppelten Anstrengung zu bedürfen: eines Zurückgehens auf die Prin-
cipien der grossen Meister der goldenen Zeit und einer völligen Hin-
gebung an die äussere Erscheinung. Der Eklekticismus enthält
einen innern Widerspruch, wenn man ihn so auffasst, als sollten die
besondern Eigenthümlichkeiten eines Michelangelo, Rafael, Tizian, Co-
reggio in Einem Werke vereinigt werden; schon das Verfolgen und
Nachahmen der Eigenthümlichkeiten einzelner grosser Meister hatte ja
eben die Manieren hervorgerufen, denen man entfliehen wollte. Allein im
Sinne eines allseitigen Studiums aufgefasst war er höchst nothwendig.
In der neuen Schule von Bologna ist denn auch die Aneignung
der Principien der grossen Vorgänger fast von Anfang an eine har-
monische und verständige. Es giebt Bilder derselben, welche in der
[1005]Die Caracci und ihre Schule.
Art des Paolo Veronese, des Tizian gemalt sind, und von Coreggio ist
sie mit sammt vielen abgeleiteten Schulen dauernd abhängig, allein diess
Verhältniss erstreckt sich nur ausnahmsweise bis in die vollständige
Reminiscenz und sinkt nie bis zur seelenlosen Ausbeutung.
Die Stifter waren Lodovico Caracci (1555—1619) und seine
Neffen Annibale (1560—1609) und Agostino (1558—1601), der
letztere mehr durch seine Kupferstiche als durch Gemälde einflussreich.
Annibale ist es vorzüglich, durch welchen der neue Styl seine Herr-
schaft über Italien gewann.
Unter ihren Schülern ist der gewissenhafteste Domenichino
(eigentlich Domenico Zampieri, 1581—1641), der am Höchsten be-
gabte Guido Reni (1575—1642); ausserdem Francesco Albani
(1578—1660); der freche Giov. Lanfranco (1581—1647); Giac.
Cavedone (1577—1660); Alessandro Tiarini (1577—1658); der
Landschaftmaler Giov. Franc. Grimaldi u. A.
Schüler des Albani: Gio. Battista Mola; Pierfrancesco
Mola; Carlo Cignani; Andrea Sacchi, welcher nach der Mitte
des XVII. Jahrh. die letzte römische Schule gründete und u. a. den
Carlo Maratta (1625—1713) zum Schüler hatte.
Schüler des Guido Reni: Simone Cantarini gen. Simone da
Pesaro; Giov. Andrea Sirani und dessen Tochter Elisabetta
Sirani; Gessi; Canuti; Cagnacci u. A.
Nur kurze Zeit war Guercino (Giov. Francesco Barbieri, geb.
1590 zu Cento, wo noch bedeutende Malereien von ihm sind, st. 1666)
in der Schule der Caracci gewesen; er verschmolz später ihre Prin-
cipien mit denjenigen der Naturalisten. — Unter seinen Schülern sind
Mehrere des Namens Gennari, darunter Benedetto der bedeutend-a
ste. (Gal. von Modena.)
Bei einem andern Schüler der Caracci, Lionello Spada (1576
bis 1621), hat die naturalistische Art im engern Sinn die Oberhand
(Gal. von Parma und Modena); — ähnlich bei Bartol. Schedoneb
oder Schidone von Modena (st. jung 1615), der sich Anfangs be-
sonders nach Coreggio gebildet hatte. (Gal. von Parma.)c
Ein mittelbarer Schüler der Caracci, vermuthlich durch Domeni-
chino, ist Sassoferrato (eigentlich Giov. Battista Salvi, 1605—1685),
ein Eklektiker in ganz anderm Sinne als alle Übrigen.
[1006]Moderne Malerei. Mailänder.
Mit Cignani und Pasinelli geht die bolognesische Schule in das
allgemeine Niveau hinüber, welches gegen 1700 die ganze Malerei
umfasst.
Von den andern Schulen Italiens ist keine ganz unberührt ge-
blieben von der bolognesischen Einwirkung, so sehr man sich z. B.
in Florenz dagegen wehrte.
Zu den eklektischen Schulen wird zunächst gerechnet: die mai-
ländische. Aus der Familie der Procaccini gehört hieher Ercole
der Jüngere; aus ihrer Schule: Giov. Batt. Crespi, gen. Cerano;
dessen Sohn Daniele Crespi; Pamfilo oder Pompilo, gen. Nu-
volone aus Cremona u. A.
In Ferrara malte Carlo Bonone (1569—1632), ausschliess-
lich angeregt von den Caracci. Wir werden ihn kennen lernen als
eine der schönstgestimmten Seelen jener Zeit.
Sodann die florentinische Schule, welche zum Theil von
ihrer eigenen bessern Zeit her einen höhern Zug gerettet hatte (Santi
di Tito, S. 999), auch mit Bewusstsein auf Vorgänger wie A. del
Sarto zurückging und dann einen bedeutenden neuen Anstoss durch
Baroccio erhielt. — Ihre Richtung ist eine wesentlich andere als die
der übrigen gleichzeitigen Schulen; in der Composition ist sie princip-
loser und oft überfüllt, in den Farben saftig glänzend und bunt, ob-
wohl die Bessern bisweilen eine sehr bedeutende Harmonie erreichen;
ihre Hauptabsicht geht auf sinnliche Schönheit; dagegen bleibt ihr der
Affect fast völlig fremd. Da wir desshalb ihre Werke nur ausnahms-
weise wieder werden zu nennen haben, so mögen hier bei jedem Maler
die wichtigsten Kirchenbilder gleich mit angeführt werden; von den
übrigen, in den florentinischen Galerien, wird man das Werthvollste
leicht finden.
Alessandro Allori (1535—1607), der Neffe Bronzino’s, noch
ahalb Manierist. (In S. Spirito, ganz hinten: die Ehebrecherin; in der
bSacristei: ein Heiliger Kranke heilend; — Chor der Annunziata, erste
cNische links: Mariä Geburt, 1602; — S. Niccolò, rechts vom Portal:
Opfer Abrahams). — Ebenso Bernardino Poccetti (1542—1612),
welcher S. 290 als Decorator genannt worden ist. Er war nebst Santi
[1007]Florentiner.
di Tito ein Hauptunternehmer jener Lunettenfresken in den florentini-
schen Klosterhöfen, meist legendarischen Inhaltes. (Chiostro vona
S. Marco; — erster Hof rechts bei den Camaldulensern agli angeli;b
— erster Hof links bei der Annunziata, theilweise von ihm; — Chiostroc
grande, der hinterste links, bei S. Maria novella, theilweise von ihm;d
— grössere Wandfresken im Hof der Confraternita di S. Pietro mar-e
tire). Aufgaben, an welchen auch die unten zu nennenden oft Theil nah-
men und sich bildeten. Verglichen mit den Malereien der bologn. Chiostri
(z. B. S. Francesco oder ai Servi in Bol.), welche so ungleich besserf
componirt, so viel unbefangener und meisterhafter gezeichnet sind,
behaupten sie doch einen gewissen Vorzug durch das Gemüthliche
und Affectlose, sowie durch den grössern Reichthum der Individuali-
sirung. — (Wobei immer die drei schönen Lunettenbilder Domeni-
chins in der äussern Halle von S. Onofrio zu Rom als das Trefflichsteg
auszunehmen sein werden.) — Ausserdem von P. ausgemalt ein ganzerh
Saal im Hôtel des îles britanniques. — In S. Felicita, erster Altari
links, die Assunta. — Jac. Ligozzi: Hauptantheil an den Lunettenk
im Chiostro von Ognissanti; — S. Croce, Cap. Salviati, links am lin-l
ken Querschiff: Marter des heil. Laurentius; — S. M. novella, sechsterm
Altar rechts, Erweckung eines Kindes. — Jac. (Chimenti) da Em-
poli (1554—1640), in der Erzählung nirgends bedeutend, wie die
Malereien im vordern Saal des Pal. Buonarroti beweisen, ist im Individua-n
lisiren der edelste und würdigste dieser Schule. Hauptbild im rechten
Querschiff von S. Domenico zu Pistoja: S. Carlo Borromeo als Wun-o
derthäter, umgeben von Mitgliedern des Hauses Rospigliosi; — Meh-
reres im Chor des Domes von Pisa; — S. Lucia de’ magnoli in Flo-p
renz, zweiter Altar links: Mad. mit Heiligen; — Annunziata, Chor,q
dritte Nische rechts. U. s. w. — Lodovico Cardi, gen. Cigoli (1559
bis 1613), der beste Colorist und Zeichner der Schule, dessen Werke
denn auch grösstentheils in die florentinischen Galerien übergegangen
sind. — Von den Altären in S. Croce gehört ihm der sechste rechts,r
Christi Einzug in Jerusalem, und die Trinität am Eingang ins linke
Querschiff. — Von seinem Schüler Ant. Biliverti u. a. die grosse
Vermählung der heil. Catharina sammt Seitenbildern, im Chor ders
Annunziata, 2. Nische r. — Andere Schüler wie Domenico Cresti,
gen. Pasignano, Gregorio Pagani etc. sind in den Galerien
[1008]Moderne Malerei. Florentiner.
besser repräsentirt. — Francesco Currado (1570—1661); sein
aHauptwerk hinten im Chor von S. Frediano, Madonna mit vielen
bEngeln und knieenden Heiligen; ausserdem in S. Giovannino: Franz
Xavers Predigt in Indien. — Von Cristofano Allori (1577—1621)
wird man in den Kirchen vergebens etwas suchen, das seiner be-
rühmten Judith (Pal. Pitti) am Werthe gleichkäme. — Matteo Ros-
cselli (1578—1650) hat in der Annunziata die Fresken der ersten Cap.
rechts und einen Theil der Lunetten im Chiostro gemalt; — in SS. Mi-
dchele e Gaetano: dritte Cap. rechts, und das linke Seitenbild in der
ezweiten Cap. links; seine gefälligsten Arbeiten im Pal. Pitti etc. —
Von den Schülern Matteo’s bringt Francesco Furini mit der raffi-
nirt weichen Modellirung des Nackten ein neues Interesse in die
Schule; — Giovanni (Manozzi) da San Giovanni (1590—1636)
aber wird, offenbar unter bolognesischer Einwirkung, zumal seines
Altersgenossen Guercino, der entschlossenste, liebenswürdigste Impro-
visator der ganzen Schule, der im Besitz einer reichen Palette und
einer blühenden Phantasie den Mangel höherer Elemente vollständig
vergessen machen kann. Von seinen in diesen Grenzen ganz bedeu-
tenden Fresken wird noch mehrmals die Rede sein. (Allegorien im
fgrossen untern Saal des Pal. Pitti; Versuchung Christi im Refectorium
gder Badia bei Fiesole; halbzerstörte Allegorie an der Fronte eines
hHauses gegenüber von Porta Romana; Geschichte der heil. Andreas in
iS. Croce, 2. Cap. r. vom Chor; in Ognissanti die Malereien der Kuppel
und Antheil an den Lunetten des Chiostro; im Gange des linken Ho-
kfes bei S. Maria la nuova die kleine Frescofigur einer Caritas; — in
lRom die Halbkuppel von SS. Quattro.) — Endlich Carlo Dolci
(1616—1686) ebenfalls aus dieser Schule, welcher den von den Üb-
rigen versäumten Affect in mehrern hundert Darstellungen voll Ek-
stase wieder einbringt, wovon unten. (Er und alle Vorhergehenden
msind sehr stark vertreten in der Gal. Corsini zu Florenz.)
Die Schule von Siena hat in dieser Zeit den Rutilio Manetti
(1572—1639), dessen herrliche Ruhe auf der Flucht, über dem Hoch-
naltar von S. Pietro in castelvecchio zu Siena, alles Übrige aufwiegen
möchte. Am ehesten dem Guercino zu vergleichen.
Ein mittelbarer Schüler des Cigoli war Pietro (Berettini) da
Cortona 1596—1669, mit welchem die Verflachung des Eklekticis-
[1009]Florentiner. Naturalisten.
mus, die Entweihung der Malerei überhaupt zur hurtigen und gefälli-
gen Decoration eintritt.
Der moderne Naturalismus im engern Sinne beginnt auf die grellste
Weise mit Michelangelo Amerighi da Caravaggio (1569—1609),
der einen grossen Einfluss auf Rom und Neapel ausübte. Seine Freude
besteht darin, dem Beschauer zu beweisen, dass es bei all den heili-
gen Ereignissen der Urzeit eigentlich ganz so ordinär zugegangen sei
wie auf den Gassen der südlichen Städte gegen Ende des XVI. Jahrh.;
er ehrt gar nichts als die Leidenschaft, für deren wahrhaft vulca-
nische Auffassung er ein grosses Talent besass. Und diese Leiden-
schaft, in lauter gemeinen energischen Charakteren ausgedrückt, bis-
weilen höchst ergreifend, bildet dann den Grundton seiner eigenen
Schule sowohl (Moyse Valentin, Simon Vouet, wozu noch als Nach-
folger Carlo Saraceni von Venedig zu rechnen ist), als auch der
Schule von Neapel. Hier ist der Valencianer Giuseppe
Ribera gen. lo Spagnoletto (geb. 1593, verschwunden 1656) der
geistige Nachfolger Caravaggio’s im vollsten Sinne des Wortes, wenn
auch in seinem Colorit noch frühere Studien nach Coreggio und den
Venezianern nachklingen. Neben ihm war ausser dem gen. Corenzio
auch Giov. Batt. Caracciolo thätig, welcher sich mehr dem Styl
der Caracci anschloss; der grosse Schüler des letztern, Massimo
Stanzioni (1585—1656), nahm zugleich auch von Caravaggio so
viel an als mit seiner eigenen Richtung verträglich war. (Sein bedeu-
tendster Schüler: Domen. Finoglia.)
Mittelbare neap. Nachfolger Caravaggio’s: Mattia Preti, gen.
il cavalier Calabrese (1613—1699), Andrea Vaccaro u. A. m.
Schüler Spagnoletto’s: der Schlachtenmaler Aniello Falcone
und der in allen Gattungen thätige Salvatore Rosa (1615—1673),
dessen Schüler der Landschaftmaler Bartol. Torregiani, der Histo-
rienmaler Micco Spadaro, u. A. — Ein Nachfolger Sp.’s ist auch
der bedeutendste sicilian. Maler Pietro Novelli, gen. Morrealese.
(Dame und Page, Pal. Colonna zu Rom.) — Schüler des Sp., mehra
aber des Pietro da Cortona war der in seiner Art grosse Schnell-
maler Luca Giordano (1632—1705). Von ihm an tritt die Ver-
B. Cicerone. 64
[1010]Moderne Malerei. Naturalisten.
flachung der neap. Malerei ein, welche dann mit Giac. del Po, So-
limena (st. 1747), Conca (st. 1764), Franc. di Mura, Bonito
u. A. in blosse Decorationsmalerei ausmündet.
In Rom, wo sich alle Richtungen kreuzten, kamen 1600—1650
einige Nebengattungen besonders zu Kräften. Ausser der Landschaft-
malerei (von welcher unten) ist besonders die Genre- und Schlach-
tenmalerei bedeutend repräsentirt durch einen Schüler des Arpino und
später des in diesem Fach besonders zu Rom geschätzten Niederlän-
ders Piter van Laar, gen. Bamboccio, nämlich Michelangelo
Cerquozzi (1602—1660), dessen beste Arbeiten sich im Auslande
befinden. Sein Schüler war der Jesuit Jaques Courtois, genannt
Bourguignon (1621—1671). Als Blumenmaler trat Mario de’Fiori
(st. 1673), als Architekturmaler Gio. Paolo Panini (st. 1764) auf.
Seit der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts ist Rom zugleich
der Hauptsitz der von Pietro da Cortona abgeleiteten, bloss noch
decorirenden Schnellmalerei, gegen welche Sacchi und Maratta
(Seite 1005) eine nur schwache Reaction bilden. Hier wirkten u. a.
Gianfranc. Romanelli (st. 1662), Ciro Ferri (st. 1689), Fi-
lippo Lauri (st. 1694), auch der Florentiner Bened. Luti (st. 1724),
der Pater Pozzo (S. 387) u. a. m.
In Genua schwankt der Styl je nach den Einwirkungen. Gio.
Batt. Paggi (1554—1627) erinnert an die damaligen Florentiner
a(S. Pietro in Banchi, 1. Alt. l. Anbetung der Hirten; Dom, 2. Cap. l.
Verkündigung); — Domenico Fiasella, gen. Sarzana (st. 1669)
gleicht mehr dem Guercino; — Bernardo Strozzi, gen. il capuc-
cino Genovese (1581—1644) ist hochberüchtigt unter den Nach-
folgern des Caravaggio; — Benedetto Castiglione (1616—1670)
ein frecher Cortonist; — Valerio Castello ebenfalls, doch in der Farbe
wärmer; — Deferrari scheint nach Van Dyck studirt zu haben. —
Nur der jung verstorbene Pellegro Piola (1607—1630) hat einen
beigenthümlichen schönen Naturalismus entwickelt. (Bilder im Pal.
cBrignole; Puttenfries im Pal. Adorno.)
[1011]Die Formenbildung im Einzelnen.
Die Niederländer, Deutschen, Spanier und Franzosen 1), von wel-
chen Italien viele und zum Theil bedeutende Werke besitzt, werden
im Folgenden wonöthig an der betreffenden Stelle mit genannt werden.
Innerhalb der Malerei zweier Jahrhunderte (1580 bis um 1780)
giebt es natürlich sehr grosse Unterschiede der Richtung, um der so
unendlich verschiedenen Begabung der Einzelnen nicht zu gedenken.
Ehe von dem Gemeinsamen die Rede sein darf, welches die ganze
grosse Periode charakterisirt, muss zunächst auf die Unterschiede in
Zeichnung, Formenauffassung und Colorit hingedeutet werden.
Die bolognesische Schule begann als Reaction der Gründlichkeit
gegenüber vom Manierismus, als Selbsterwerb gegenüber vom einsei-
tigen Entlehnen. Ihre Zeichnungsstudien waren sehr bedeutend; bei
Annibale Caracci findet man ausserdem ein vielseitiges Interesse für
alles Charakteristische, wie er denn eine Anzahl von Genrefiguren in
Lebensgrösse gemalt hat. (Pal. Colonna in Rom: der Linsenesser;a
Uffizien: der Mann mit dem Affen; eine grosse Reihe von Genrefigurenb
in Kupferstichen etc.) Gleichwohl begnügt sich die Schule bald mit
einer gewissen Allgemeinheit der Körperbildung und der Gewandun-
gen, und zwar ist der Durchschnitt, der sich dabei ergiebt, weder ein
ganz schöner noch ein hoher; er ist abstrahirt von Coreggio nur ohne
das unerreichbare Lebensgefühl, auch von dem üppig schweren Paolo
Veronese, nur ohne dessen Alles versöhnende Farbe. Den umständ-
lichsten Beleg gewähren die Fresken der Galerie im Pal. Farnese zuc
Rom, von Annibale und seinen Schülern. Bei wie vielen dieser
Junonen, Aphroditen, Dianen u. s. w. würde man wünschen, dass sie
lebendig würden? Selbst die höchst vortrefflichen sitzenden Aktfiguren
sind doch von keiner hohen Bildung. So fruchtbar die Schule an fri-
64*
[1012]Moderne Malerei.
schen Bewegungsmotiven ist, so fehlt ihr doch im Einzelnen das
aSchönlebendige. — Albani’s mythologische Fresken in einem Saal
des Pal. Verospi (jetzt Torlonia, neben Pal. Chigi) in Rom, der be-
deutendste Nachklang der farnesischen Galerie, haben im Detail viel
Anmuthiges, aber dasselbe Allgemeine.
Wie verschieden ist Guido Reni nicht nur je nach der Lebens-
zeit, sondern bisweilen in einem und demselben Werke. Von allen
modernen Malern nähert er sich bisweilen am Meisten der hohen und
bfreien Schönheit und seine Aurora (Casino des Pal. Rospigliosi) ist
wohl Alles in Allem gerechnet das vollkommenste Gemälde dieser
beiden letzten Jahrhunderte; allein die Horen sind in der Bildung von
höchst ungleichem Werthe und mit sammt dem Apoll jener einzigen
wunderbaren Gestalt der Morgengöttin nicht zu vergleichen. Der be-
crühmte S. Michael in der Concezione zu Rom (1. Cap. r.) bleibt in
Charakter und Stellung unendlich tief unter Rafaels Bild (Louvre).
In den weiblichen Köpfen hat sich Guido sehr oft nach Antiken, na-
mentlich nach den Niobiden gerichtet, in den weiblichen Körpern aber
nicht selten einer buhlerischen Üppigkeit gehuldigt. (Man sehe die
dHände seiner Cleopatra im Pal. Pitti, oder die weiblichen Charaktere
in dem Bilde des Elieser, ebenda.) — Auch Domenichino, mit
seinem grossen Schönheitssinn, hat sich jener bolognesischen Formen-
allgemeinheit nicht entziehen können. Er ist am ehesten frei davon
ein den beiden herrlichen Wandfresken der Cäciliencapelle (die 2. r.)
in S. Luigi de’ Francesi zu Rom, auch in mehrern der Frescohistorien
fzu Grottaferrata (Cap. des heil. Nilus). — In seinen Engeln bleibt er
sehr sichtbar von Coreggio abhängig, wie man z. B. aus dem grossen
gBilde der Brera zu Mailand (Madonna mit Heiligen) sieht. — Bei
Guercino muss man einige köstliche Gestalten der edelsten Bildung
(die ihm zu Gebote stand) ausscheiden von den Schöpfungen des ener-
hgischen Naturalisten; so das Bild der Hagar (Brera zu Mailand), die
iVermählung der heil. Catharina (Gal. zu Modena), auch die Cleopatra
k(Pal. Brignole zu Genua). — Sassoferrato, stets gewissenhaft, er-
scheint auch in diesen Beziehungen von Rafael inspirirt, doch nicht
abhängig.
Bei Caravaggio und den Neapolitanern steht Zeichnung und
Modellirung durchgängig um eine beträchtliche Stufe tiefer, da sie
[1013]Die Formenbildung im Einzelnen.
sich auf ganz andere Wirkungsmittel glauben verlassen zu dürfen.
So gemein überdiess ihre Formen sind, so wenig kann man doch im
einzelnen Fall darauf bauen, dass sie wirklich aus dem Leben ge-
griffen seien; in ihrer Gemeinheit sind sie nur zu oft auch allgemein.
Der gewissenhaften Bilder sind in dieser Schule überhaupt wenige.
Von Luca Giordano abwärts fällt die Zeichnung der neap. Schule
dem liederlichsten Extemporiren anheim. Luca selbst hält sich noch
durch angeborene Anmuth in einer gewissen Höhe.
Bei Pietro da Cortona ist es nicht schwer, eine durchgehende
Gleichgültigkeit gegen die wahre Formendarstellung zu erkennen, so
wie der Ausdruck seiner Köpfe zum Erschrecken leer wird. Man
ahnt auf einmal, dass der sittliche Halt, welchen die Caracci (zu ihrer
ewigen Ehre) der Kunst zurückgegeben, von Neuem tief erschüttert
ist. Wenn ein Künstler von dieser Begabung das Beste so offen-
kundig Preis gab, so war nur ein noch weiteres Sinken zu erwarten.
Der letzte grosse Zeichner, Carlo Maratta, war durch seine Nach-
ahmung des Guido Reni zu befangen, durch seinen Mangel an indi-
vidueller Wärme zu machtlos, um auch nur sich selber auf die Länge
dem Verderben zu entziehen. (Einzelne Apostelfiguren in den oberna
Zimmern des Pal. Barberini zu Rom; Assunta mit den vier Kirchen-b
lehrern, in S. M. del popolo, 2. Cap. r.) Unmittelbar auf ihn folgen
noch ein paar Maler, die in der Formengebung nahezu so gewissen-
haft sind als er; man lernt sie z. B. in Pal. Corsini zu Rom kennen,c
die Muratori, Ghezzi, Zoboli, Luti, auch den angenehmsten der Cor-
tonisten: Donato Creti; — ganze Kirchen, wie S. Gregorio, SS.d
Apostoli sind wieder mit leidlich gewissenhaften Altarbildern einese
Luti, Costanzi, Gauli u. A. gefüllt (von Gauli das Deckenfresco im
Gesù, von Costanzi das in S. Gregorio); — ja die höchste Blüthe der
römischen Mosaiktechnik, welche gewissermassen nur neben einer
gründlichen Ölmalerei denkbar scheint, fällt gerade in die ersten Jahr-
zehnde des vorigen Jahrh. (Altarblätter in S. Peter, mosaicirt unterf
der Leitung des Cristofaris.) Allein diese späte, mehr locale als
allgemeine Besserung ist das rein äusserliche Resultat academischen
Fleisses, ein neuer geistiger Gehalt, eine tiefere Anschauung der dar-
zustellenden Gegenstände war damit nicht mehr verbunden. Den
Gipfelpunkt dieser Art von Besserung bezeichnet dann Pompeo
[1014]Moderne Malerei.
aBatoni (1708—1787; Hauptbild: Sturz Simons des Magiers, in
S. M. degli angeli, Hauptschiff, links), bei welchem auch das indivi-
duelle Gefühl wieder etwas erwarmt; sein deutscher Zeitgenosse
Anton Raphael Mengs (1728—1779) aber ist doch vielleicht der
einzige, bei welchem wieder die Anfänge einer tiefern idealen An-
schauung wahrzunehmen sind, von welcher aus auch die Einzelformen
wieder ein höheres und edleres Leben gewinnen. Sein Deckenfresco
bin S. Eusebio zu Rom ist nach so vielen Ekstasen eines verwilderten
Affectes wieder die erste ganz feierliche und würdige; seine Gewölbe-
cmalereien in der Stanza de’ papiri der vaticanischen Bibliothek geben
wieder eine Vorahnung des wahrhaft monumentalen Styles; in dem
dParnass an der Decke des Hauptsaales der Villa Albani wagte er
mehr als er durfte, und doch wird man auch hier wenigstens die hi-
storische Thatsache nicht bestreiten, dass er zuerst nicht bloss die
naturalistische Auffassung im Grossen, sondern auch die conventio-
nelle Formenbildung im Einzelnen durch Besseres und Edleres ver-
drängt hat. Allerdings vermochte er diess nur durch einen neuen
Eklekticismus, und man bemerkt wohl die Anstrengung, mit welcher
er die rafaelische Einfachheit mit Coreggio’s Süssigkeit zu vereinigen
suchte. Dass er aber bereits festen Boden unter den Füssen hatte,
ebeweisen z. B. seine wenigen Porträts (Uffizien: sein eigenes; Brera:
fdas des Sängers Annibali; irgendwo, wenn ich nicht irre, in der Pi-
nacoteca von Bologna, dasjenige Benedicts XIV). Sie sind gross-
artiger, wahrer, anspruchloser als alle ital. Porträts des Jahrhunderts.
Nic. Poussin hatte keinen sichtbaren Einfluss auf die ital.
Historienmalerei geübt.
Im Colorit waren die Venezianer und Coreggio die Vorbilder
der ganzen Periode; später wirken auch Rubens und van Dyck, die
geistigen Haupterben Tizians und Paolo’s, hie und da ein; Salvator
Rosa ist sogar von Rembrandt berührt worden.
Die Caracci haben kein Ölgemälde hinterlassen, welches den
rechten festlichen Glanz und die klare Tiefe eines guten Venezianers
hätte. Die Schatten sind in der Regel dumpf, die Carnation oft
schmutzig bräunlich. Ich halte die Fresken im Pal. Farnese bei wei-
[1015]Das Colorit.
tem für die grösste Farbenleistung des Annibale. Mit einer ganza
meisterhaften Freiheit hat er unter dem Einfluss von Michelangelo’s
Gewölbemalereien der Sistina (S. 872) seine Darstellung einzutheilen
gewusst in Historien und decorirende Bestandtheile; letztere theils
steinfarbene Atlanten, theils jene trefflichen sitzenden Aktfiguren, theils
Putten, Masken, Fruchtschnüre, bronzefarbene Medaillons etc. Nur
bei einer solchen Abstufung nach Gegenständen war die grosse har-
monische Farbenwirkung zu erzielen, welche das Ganze trotz einzelner
roherer Partien hervorbringt. Alle bessern Maler des XVII. Jahrh.
haben hier für ähnliche Aufgaben gelernt; die geringern copirten we-
nigstens. In Bologna hatten die Caracci z. B. in den Fresken des Pal.b
Magnani (Fries des grossen Saales) einfachere, aber in ihrer Art nicht
minder treffliche decorirende Figuren angebracht (sitzende steinfarbene
Atlanten, geneckt von naturfarbenen Putten, begleitet von je 2 bronze-
farbenen Nebenfiguren halber Grösse); Arbeiten welche in Styl und
Colorit viel trefflicher sind als die Historien, denen sie zur Einfassung
dienen. Noch die spätesten Nachfolger brachten bisweilen in dieser
Gattung Ausgezeichnetes hervor, wie z. B. Cignani’s berühmte acht
Putten, je zwei mit einem Medaillon, über den Thüren im Hauptschiffc
von S. Micchele in bosco. Selbst den blossen Decoratoren (Colonna,
in S. Bartolommeo a porta Ravegnana, und in S. Domenico, Cap. deld
rosario, links; — Franceschini, in Corpus Domini; — Canuti, in S.e
Micchele in bosco, Zimmer des Legaten etc.) geben solche Vorbilderf
bisweilen eine Haltung die andern Schulen weniger eigen ist. — Lei-
der sind die vielleicht bestcolorirten Fresken des Lodovico und seinerg
Schule, in der achtseitigen Halle welche einen kleinen Hof die-
ses Klosters umgiebt, auf klägliche Weise zu Grunde gegangen; man
kann die Überreste ohne Schmerz nicht ansehen. (Die Compositionen,
zum Theil ebenfalls sehr bedeutend, sind durch Stiche bekannt.)
Domenichino ist in der Farbe sehr ungleich; von seinen Fres-
ken möchten in dieser Beziehung wohl diejenigen in S. Andrea dellah
Valle zu Rom, auch sonst Hauptwerke, den Vorzug haben (die Pen-
dentifs mit den Evangelisten; das Chorgewölbe mit den Geschichten
des Andreas und allegor. Figuren; — ihr Verdienst wird am besten
klar durch den Vergleich mit den untern Malereien der Chorwände,
vom Calabrese).
[1016]Moderne Malerei.
Der grösste Colorist der Schule war, wenn er wollte, Guido
aReni. Seine Einzelfigur des S. Andrea Corsini (Pinac. von Bologna)
möchte in der Delicatesse der Töne unübertroffen sein; vielleicht er-
reicht noch hie und da ein Bild seiner silbertönigen maniera seconda
eine ähnliche Vollendung, etwa z. B. eine seiner Aktfiguren des S.
Sebastian (wovon die schönste ebenda, andere a. m. O.); seine beste
Aktfigur im Goldton ist (ebenda) der siegreiche Simson, ein Bild ve-
nezianischer Freudigkeit. (Zu vergleichen mit dem von heil. Frauen
bgepflegten S. Sebastian seines Schülers Simone da Pesaro, im Pal.
Colonna zu Rom.) Von seinen Fresken wird die Aurora um der
Haltung willen auf das Höchste bewundert; die grösste Farbenwirkung
cübt aber wohl die Glorie des S. Dominicus (in der Halbkuppel der
Capelle des Heiligen zu S. Domenico in Bologna).
Guercino ist in seinen Farben bisweilen venezianisch klar bis
in alle Tiefen, oft aber endet er auch mit einem dumpfen Braun. Das
dgrosse Bild der heil. Petronilla (Gal. des Capitols), vorzüglich aber
eder Tod der Dido (Pal. Spada in Rom) zeigen seine Palette von der
kräftigsten Seite; die oben (S. 1012, h) genannten Gemälde sind auch in
der Farbe edler gemässigt. Von den Fresken sind diejenigen im Ca-
fsino der Villa Ludovisi (Aurora im Erdgeschoss, Fama im Ober-
geschoss) vorzüglich energisch in der Farbe, ebenso die Propheten
gund Sibyllen in der Kuppel des Domes von Piacenza, nebst den Al-
legorien in den Pendentifs.
Unter den Naturalisten ist der frühste, Caravaggio, von wel-
chem auch Guercin mittelbar lernte, immer einer der besten Coloristen.
Freilich schliesst das scharfe Kellerlicht, in welches er und viele
Nachfolger ihre Scenen zu versetzen lieben, jenen unendlichen Reich-
thum von schönen Localtönen aus, welche nur bei der Mitwirkung
der Tageshelle denkbar sind; ausserdem ist es bezeichnend, dass trotz
aller Vorliebe für das geschlossene Licht die Naturalisten so wenig
auf die Poesie des Helldunkels eingingen. Caravaggio’s Geschichten
hdes S. Matthäus in S. Luigi de’ Francesi zu Rom (letzte Cap. l.) sind
freilich so aufgestellt, dass sich kaum über die Farbenwirkung ur-
theilen lässt, mögen auch überdiess stark nachgedunkelt sein; doch
[1017]Das Colorit.
ist so viel (auch aus seinen andern Werken) sicher, dass er mit Ab-
sicht auf den Eindruck des Grellen und Unheimlichen ausging und
dass die Reflexlosigkeit hiezu ein wesentliches Mittel ist. Bei Rem-
brandt dagegen herrscht, trotz allem Abenteuerlichen in Figuren und
Trachten, ein tröstlicher, heimlicher Klang vor, weil das Sonnenlicht
theils unmittelbar, theils mit dem Goldduft der Reflexe die ganze
Räumlichkeit erhellt und wohnbar macht. (Beiläufig: ausser einigen
Porträts, wovon unten, scheint nicht bloss die Landschaft in den Uf-a
fizien, sondern auch eine Ruhe auf der Flucht, im Pal. Manfrin zub
Venedig ein echtes Werk Rembrandts zu sein.)
Von Caravaggio’s Schülern sind die Nichtneapolitaner Carlo
Saraceni und Moyse Valentin die farbigsten, auch sonst ziem-
lich gewissenhaft. (Von Saraceni: Geschichten des heil. Benno in derc
Anima zu Rom, 1. Cap. r. und 1. Cap. l.; Tod der Maria in S. M.d
della Scala, links; — von Valentin: Joseph als Traumdeuter, Pal.e
Borghese; Enthauptung des Täufers, Pal. Sciarra; Judith, im Pal.f
Manfrin zu Venedig.)g
Spagnoletto wird oft hart, glasig und grell, trotz seiner ve-
nezian. Erinnerungen. So schon in seinem abscheulichen Bacchus vomh
Jahr 1626 (Museum von Neapel); sein heil. Sebastian (ebenda) ist
merkwürdig als spätestes mit Liebe gemaltes Bild, vom Jahr 1651.
Am meisten venezianisch erscheint mir seine geringe Figur des heil.
Hieronymus (Uffizien, Tribuna). — Stanzioni ist um ein Bedeu-i
tendes milder und weicher; von den Übrigen hat Salvator Rosa,
wenn er will, das wärmste Licht und das klarste Helldunkel (Ver-
schwörung des Catilina, Pal. Pitti), sonst aber oft etwas Fahles undk
Dumpfes. Bei Calabrese und mehrern Andern muss man sich mit
einer höchst äusserlichen Farbenbravour begnügen.
Pietro da Cortona ist ein so bedeutender Colorist als man
es ohne allen Ernst der sachlichen Auffassung sein kann. Seine Farbe
ist — man gestatte uns das fade Wort — in hohem Grade freund-
lich; in den grossen, mehr decorativ als ernstlich gemeinten Gewölbe-
malereien hat er zuerst sich genau nach demjenigen Eindruck gerich-
tet, welchen das vom Gedanken verlassene, müssig irrende Auge am
meisten wünscht. Vorherrschend ein heller Ton, eine sonnige Luft,
bequeme Bewegung der Figuren im lichten Raum, ein oberflächlich
[1018]Moderne Malerei.
aangenehmes Helldunkel zumal in der Carnation. Deckengemälde der
Chiesa nuova in Rom (in der Sacristei die Engel mit Marterwerk-
bzeugen); Gewölbe des colossalen Hauptsaales im Pal. Barberini; ein
cSaal im Pal. Pamfili auf Piazza navona(?); Anzahl von Plafonds im
dPal. Pitti (S. 396, a); Wandfresken in einem der Säle daselbst, wo
seine halbe Gründlichkeit widriger erscheint als seine sonstige ganze
Flüchtigkeit. Unter den Staffeleibildern giebt etwa die Geburt der
eMaria (Pal. Corsini) den günstigsten Begriff von seinem Colorit.
Von ihm und von Paolo Veronese geht dann das Colorit des Luca
Giordano aus, welcher sich darin vermöge seines unzerstörbaren
Temperamentes doch bisweilen zu einer wahren Freudigkeit erhebt.
fIm Tesoro zu S. Martino in Neapel hat er die Geschichten der Judith
und der ehernen Schlange binnen 48 Stunden an das Gewölbe gemalt;
gsein S. Franz Xaver der die Wilden tauft (Museum) ist in 3 Tagen
vollendet, — Beides so, dass an dieser Palette noch immer Einiges
zu beneiden bleibt. Auch seine übrigen Bilder (wovon im Museum
eine Auswahl), ohne einen wirklich sichern Contour, ohne irgend
welche Wahl in Formen oder Motiven, üben doch wesentlich durch
die Farbe, durch die napolitanische Süssigkeit mancher Köpfe, durch
eine gewisse liederliche Anspruchlosigkeit (neben den Prätensionen
eines Salvator und Consorten), durch den ganzen angenehmen Schein
des Lebens einen grossen Reiz aus. — Seine Nachfolger, im besten
Falle brillante Decoratoren mit blühendem Colorit: Solimena: Fres-
hken der Sacristeien von S. Paolo und von S. Domenico maggiore;
igrosse Geschichte des Heliodor innen über dem Portal des Gesù
knuovo; — Luigi Garzi: Fresken an Decke und Frontwand von
lS. Caterina a formello; — Conca: grosses Mittelbild der Decke von
S. Chiara, David vor der Bundeslade tanzend; — Franc. de Mura:
mgrosses Deckengemälde in S. Severino; — Bonito: kleineres Decken-
nbild in S. Chiara, u. s. w. — Beim Verkommen der Localschulen in
ganz Italien reisten vorzüglich diese Neapolitaner als Virtuosen der
Schnellmalerei herum und drangen auch in Toscana ein, nachdem
schon vorher Salvator Rosa daselbst einen grossen Theil seines Lebens
ozugebracht hatte. So hat z. B. Conca im Hospital della Scala zu Siena
die Chornische mit der Geschichte des Teiches von Bethesda ganz
[1019]Das Colorit. Die Niederländer.
stattlich ausgemalt; der Calabrese bedeckte Chor und Kuppel desa
Carmine zu Modena mit seinen Improvisationen etc.
Von den Römern hat Sacchi ein kräftigeres und gründlicheres
Colorit als Cortona (die Messe des heil. Gregor, und S. Romuald mitb
seinen Mönchen, vatican. Galerie; Tod der S. Anna, in S. Carlo a’c
catinari, Altar links). Maratta mit aller Sorgfalt ist hierin auffallend
matt; einzelne Köpfe, wie etwa „la pittura“ im Pal. Corsini, gerathend
ihm am ehesten ganz lebendig und schön; seine Madonna mit dem
schlafenden Kind, im Pal. Doria, ist auch in der Farbe der reprodu-e
cirte Guido. —
Von den Florentinern ist der schon (S. 1008) genannte Furini
unermüdlich bemüht, das Fleisch seiner weiblichen Akte immer mür-
ber und weicher darzustellen (Pal. Pitti: Schöpfung der Eva; Pal.f
Capponi: David und Abigail; Pal. Corsini: Aktfiguren und Mytho-g
logisches).
Die spätern Venezianer (S. 909) sind im besten Falle die Aus-
beuter Paolo’s; Tiepolo befleissigt sich dabei eines hellen Silbertons.
Man wird vielleicht nach längerer Beobachtung mit uns der An-
sicht sein, dass die grössten Meisterwerke des Colorites, welche Italien
aus dieser ganzen Periode besitzt, ein paar Bilder von Rubens und
Murillo sind. Den Rubens kann man in Italien von seiner frühesten
Zeit, d. h. von seinem dortigen Aufenthalt an verfolgen. Die 3 grossen
Bilder im Chor der Chiesa nuova zu Rom (Madonnabild von Engelnh
umgeben, und zwei colossale Gemälde mit je 3 Heiligen) zeigen wie
seine eigenthümliche Charakteristik und sein Colorit sich loszuringen
beginnen von den verschiedenen Manieren die ihn umgaben; auch in
der Beschneidung auf dem Hochaltar von S. Ambrogio zu Genuai
kämpft er noch mit Auffassung und Farbe der Caracci; — schon fast
ganz er selbst tritt uns entgegen in dem S. Sebastian, welchem diek
Engel die Pfeile aus den Wunden ziehen (Pal. Corsini in Rom), und
in der idyllisch naiven Auffindung des Romulus und Remus (Gal. desl
Capitols); beide Bilder mit gelblichen Fleischtönen; — die 12 Halb-
figuren von Aposteln (Casino Rospigliosi) glaube ich für echte Werkem
schon aus seiner beinah vollendeten Zeit halten zu dürfen. — Dann
[1020]Moderne Malerei.
adas Reifste und Herrlichste: die Allegorie des Krieges (Pal. Pitti),
wo Farben, Formen und Moment untrennbar als eins empfunden sind;
ebenda die eine heil. Familie (mit der geflochtenen Wiege); — dann
mehrere eigenhändige Bacchanalien von 3—4 Figuren aus dieser sei-
bner goldenen Zeit: in den Uffizien; im Pal. Brignole zu Genua; im
cPal. Pallavicini ebenda; — ebenfalls wohl eigenhändig: Hercules bei
dden Hesperiden, im Pal. Adorno ebenda; — endlich das grosse Mei-
esterwerk auf dem Hauptaltar links in S. Ambrogio ebenda: S. Igna-
tius, der durch seine Fürbitte eine Besessene heilt, in Auffassung,
Form und Farbe von einem feinblütigen, nobeln Naturalismus, der die
Neapolitaner unendlich überragt; in dem Heiligen ist z. B. noch der
spanische Edelmann dargestellt; sein Ausdruck wird mächtig gehoben
durch das kluge, gleichgültige Wesen der ihn umgebenden Priester
fund Chorknaben. — Die beiden grossen Bilder im Niobesaal der Uf-
fizien, die Schlacht von Ivry und Heinrichs IV Einzug in Paris,
möchten als ganz eigenhändige Improvisationen der besten Zeit einen
bestimmten Vorzug haben vor den meisten Bildern der Galerie de
Marie de Médicis im Louvre; sie zeigen uns den Prometheus des
Colorites gleichsam mitten in der Gluth des Schaffens.
Atelierbilder und spätere Werke: Pal. Pitti: Nymphen im Walde
von Satyrn überrascht; die zweite heil. Familie vielleicht Copie eines
hFranzosen. — Uffizien: die kleinere Allegorie des Krieges. — Brera
iin Mailand: das Abendmahl(?). — Pal. Manfrin in Venedig: treffliche
aber doch verdächtige Skizze des Bildes von S. Bavon in Gent.
Unter den Porträts sind Juwelen ersten Ranges: eine Dame in
kmittlern Jahren, von nichtsnutzigem Ausdruck, mit dem Gebetbuch
(Uffizien); ein vornehmer schwarzgekleideter Herr mit Krause und
lgoldener Kette (ebenda); — die sog. vier Juristen, obwohl nicht ganz
glücklich geordnet (Pal. Pitti). — Früh und echt: der Franciscaner
m(Pal. Doria in Rom). — Mittelgut: Philipp IV (Pal. Filippo Durazzo
in Genua). — Über viele andere Bildnisse wage ich nicht zu urtheilen.
Van Dyck hat ausser der für echt geltenden und dann jeden-
nfalls frühen Grablegung im Pal. Borghese zu Rom fast nichts von
idealem Inhalt in Italien hinterlassen als ein paar Köpfe; so die auf-
owärtsblickende Madonna (im Pal. Pitti), deren ungemeine Schönheit
pvielleicht eine Anregung von Guido her verräth; eine andere (Pal. Spinola,
[1021]Das Colorit. Die Niederländer.
Str. nuova in Genua) scheint ebenfalls echt, nur sehr misshandelt; —
der Coriolan (Pal. Pallavicini ebenda) ist ein Familienbild des betref-a
fenden Hauses und überdiess wohl nicht ganz sicher; — eher könnte
die sehr übermalte Geschichte der Dejanira (Pal. Adorno, ebenda, Ru-b
bens benannt) ein frühes Bild des Van Dyck sein; — der Cristo della
moneta (Pal. Brignole) wahrscheinlich echt, eine blosse neue Redac-c
tion des tizianischen.
Von den Porträts schienen mir u. a. folgende zu Genua echt.
Pal. Brignole: Reiterbild des Antonio Brignole; seine Gemahlin; Fried-d
rich Heinrich von Oranien; Jüngling in spanischer Tracht an einer
Säule; Geronima Brignole mit ihrer Tochter. (Dagegen der Vater
mit Knaben zwar trefflich, aber nicht ganz sicher; der sog. Tintoretto,
ein schwarz gekleideter Herr im Lehnstuhl, auf Tapetengrund, könnte
eher unter Van Dyck’s Einfluss gemalt sein.) — Im Pal. Filippo Du-e
razzo: ein Knäblein in weissem Kleide; und das vortreffliche Bild der
drei rasch vorwärtskommenden Kinder. — Im Pal. Spinola: Str. nuova:f
Kopf mit Krause. (Das grosse Reiterbild für V. zu gedankenlos.) —
Im Pal. Adorno: Brustbild eines geharnischten jungen Mannes. — Meh-g
rere andere Sammlungen hat der Verfasser nicht gesehen.
Im Pal. Pitti: Cardinal Bentivoglio, ganze Figur, sitzend, höchsth
vornehm elegant, ein Wunderwerk der Malerei; — die Brustbilder
Carls I und Henriettens von Frankreich, blosse Wiederholungen, doch
schön und eigenhändig. — Uffizien: eine vornehme Dame, aus deri
spätern, blassern Palette; das Reiterbild Carls V, durch schöne und
gar nicht aufdringliche Symbolik in eine historisch-ideale Höhe geho-
ben. — Im Pal. Colonna zu Rom: das Reiterbild des Don Carlo Co-k
lonna, wo sich die Symbolik schon unpassender geltend macht; und
Lucrezia Tornacelli-Colonna in ganzer Figur.
Zahlreiche Porträts von andern vortrefflichen Niederländern (Franz
Hals? Mirevelt?) pflegen in den Galerien auf diese beiden Namen ver-l
theilt zu werden (Pal. Doria in Rom, u. a. a. O.)
Von Rembrandt ist sehr echt und wunderwürdig in Farbe und
Licht: sein eigenes gemeines Gesicht (Pal. Pitti, zwischen dem Ehe-m
paar Doni von Rafael); auch der alte Rabbiner (ebenda); — in den Uf-
fizien (Malerbildnisse) hat das Bildniss im Hauskleid den Vorzug vorn
der dicken Halbfigur mit Barett und Kette; — welche eine blosse
[1022]Moderne Malerei.
Wiederholung eines der beiden trefflichen Greisenporträts im Museum
avon Neapel ist. — Im Pal. Doria zu Rom möchte der Kopf eines
Sechszigers, mit Mütze, wohl echt sein. (Von einem seiner Nachfol-
ger, Gerbrand van den Eckhout, ist Isaac’s Opferung, ebenda.)
Dem Mirevelt wird im Museum von Neapel das Kniestück
eines jungen Rathsherrn, und ein Brustbild, beide vorzüglich, zuge-
cschrieben. — Dem j. Pourbus im Pal. Pitti das (eher holländische)
dPorträt eines jungen Mannes, und in den Uffizien der vortreffliche
Kopf des Bildhauers Francavilla (S. 686). — Ein Van der Helst
evon erstem Werthe ist das Kniestück eines alten Rathsherrn, im Pal.
fPitti. — Ebenda, von Peter Lely: Cromwell, unendlich tief und
wahr aufgefasst, nach der geistigen, wie nach der rohen Seite, mit
geinem Züge der Bekümmerniss; die andern Porträts des Lely, im
Niobesaal der Uffizien, reichen nicht an dieses Werk.
Es genügt z. B. ein Blick auf die Malersammlung in den Uffi-
zien, um sich die volle Superiorität der Niederländer klar zu machen.
Die Italiener des XVII. Jahrh. suchen in ihren Porträts vorzugsweise
einen bestimmten Geist, eine bestimmte Thatkraft auszudrücken und
fallen dabei in das Grelle und Prätentiöse; die Niederländer (hier
freilich nur geringere Exemplare) geben das volle Dasein, auch die
Stunde und ihre Stimmung; durch Farbe und Licht erheben sie auch
das Porträt zu einem der Phänomene des Weltganzen. (Die Fran-
zosen von Lebrun an interessiren in dieser Sammlung durch ihren
lockern und doch so gutartigen und anständigen physiognomischen
Ausdruck.)
Ein Flamänder, Sustermans von Antwerpen (1597—1681), hat
sein Leben in Florenz zugebracht und hier jene Menge ganz vortreff-
licher Porträts geschaffen, welche oft genug an Van Dyck streifen.
i(Viele, u. a. der Dänenprinz, im Pal. Pitti; — andere, u. a. Galilei,
kin den Uffizien; — dann in den Pal. Corsini und Guadagni etc.) Von
ihm und auch wohl von Rembrandt mögen dann die in Florenz ge-
lmalten Bildnisse Salvator’s inspirirt sein; so im Pal. Pitti: sein
eigenes, und die Kniefigur eines Geharnischten, welche ohne Rem-
brandt nicht entstanden wäre. — Auch andere Italiener bekennen sich
im Porträt fast offen zu ausländischen Vorbildern; Cristofano Allori
[1023]Das Colorit. Niederländer, Spanier etc.
(in dem Bildniss eines Canonicus, Pal. Capponi in Florenz) zu dema
des Velasquez; der Venezianer Tib. Tinelli zu dem des Van Dyck.
(Uffizien: Porträt eines geistvollen Bonvivants mit einem Lorbeer-b
zweig; Pal. Pitti: ein ältlicher Nobile; Acad. von Venedig: das Bildc
des Malers?) — Am ehesten wird man bei den ersten Bolognesen
eine eigene Auffassung finden; Bildnisse Domenichino’s (Uffizien;d
Pal. Spada zu Rom) und Guercino’s (Gal. von Modena), habene
eine freie, historische Würde. — Die sog. Cenci, vorgeblich vonf
Guido, im Pal. Barberini, ist immer ein hübsches, durch das Geheim-
nissvolle reizendes Köpfchen. — Ein Jünglingsbildniss von Carlog
Dolci (Pal. Pitti) gehört zu seinen besten Arbeiten; — ebenso bei
Sacchi das Priesterporträt in der Gal. Borghese. — Das edle, wahr-h
haft historische Porträt Poussin’s (Casino Rospigliosi) möchte indessi
all diesen leztgenannten vorzuziehen sein.
Die grossen Spanier, deren Colorit und Auffassung ebenso von
Tizian berührt wurden, wie diess bei den Flamändern der Fall war
(aber weniger von Paolo als diese) sind in Italien nur durch einzelne
zerstreute Werke repräsentirt. Murillo’s Madonna im Pal. Corsinik
zu Rom ist nicht nur höchst einfach liebenswürdig in den Cha-
rakteren der Mutter und des Kindes, sondern (bei theilweis sehr
grosser Flüchtigkeit) ein Wunder der Farbe. Die beiden Madonnen
im Pal. Pitti erreichen diese Wonne des Tones nicht; die eine ab-l
sichtlichere (das Kind mit dem Rosenkranz spielend) ist auch in der
Malerei weniger lebendig. Von Velasquez nur Porträts: in den
Uffizien sein eigenes, fast etwas gesucht nobel, und das gewaltigem
Reiterbild Philipps IV sammt Knappen und Allegorien, in offener
Landschaft, mit unglaublicher Beherrschung des Tones und der Farbe
gemalt; — im Pal. Pitti: ein Herr von leidenschaftlichen Zügen, dien
lange aristocratische Hand am Degengefäss; — im Pal. Doria zu Rom:o
Innocenz X sitzend; vielleicht das beste Papstporträt des Jahrhun-
derts. (Den Murillo’s und Velasquez in der Gal. von Parma ist kaump
zu trauen. — Eine Pietà von Sanchez Coello in S. Giorgio zu Genua,q
erster Altar links vom Chor.)
[1024]Moderne Malerei.
In allen Aufgaben idealer Art ist diese moderne Malerei von den
höchsten Zielen ausgeschlossen, weil sie zu unmittelbar darstellen
und überzeugen will, während sie doch, als Kind einer späten Cultur-
epoche, nicht mehr in der blossen Unmittelbarkeit (Naivetät) erhaben
sein kann. Ihr Naturalismus möchte alles Seiende und Geschehende
als solches handgreiflich machen; er betrachtet diess als Vorbedingung
jeglicher Wirkung, ohne auf den innern Sinn des Beschauers zu rech-
nen, welcher Anregungen ganz anderer Art zu beachten gewohnt ist.
Schon die Wirklichkeit der Bewegung im Raum, wie man sie bei
Coreggio vorfand und adoptirte, machte die Kunst gleichgültig gegen
alle höhere Anordnung, gegen das Einfach-Grosse im Bau und Gegen-
satz der Gruppen und Einzelgestalten. Am meisten Architektonisches
hat vermöge seines Schönheitssinnes Guido Reni gerettet. Seine
agrandiose Madonna della Pietà (Pinac. von Bologna) verdankt dem
symmetrischen Bau der untern wie der obern Gruppe ihre gewaltig-
ste Wirkung; ähnlich verhält es sich (ebenda) mit dem Bilde des Ge-
kreuzigten und seiner Angehörigen; die edle und grossartige Be-
handlung, der schöne Ausdruck allein würden nicht genügen, um
diesen Werken ihre ganz ausnahmsweise Stellung zu sichern. (Ein
banderer Crucifixus Guido’s, ohne die Angehörigen, aber ebenfalls von
erster Bedeutung, in der Gal. von Modena.) Die Assunta in München,
cdie Dreieinigkeit auf dem Hochaltar von S. Trinità de’ pellegrini in
Rom geben hiezu weitere Belege; selbst das flüchtige Werk der ma-
dniera seconda: die Caritas (Pinac. von Bologna). — Lodovico Ca-
eracci’s Transfiguration (ebenda) und Himmelfahrt Christi (Hochaltar
fvon S. Cristina zu Bologna) werden nur durch dieses architektonische
Element recht geniessbar; Annibale’s Madonna in einer Nische, an
deren Postament Johannes der Ev. und Catharina lehnen, verdankt
ebendemselben (nebst der energischen Malerei) eine grosse Wirkung
trotz der allgemeinen und wenig edlen Formen; denselben Lebensge-
ghalt zeigt das ähnliche grosse Bild des Guercino im Pal. Brignole
zu Genua. (Derselbe Guercino geht in einem schön gemalten Bilde —
hS. Vincenzo zu Modena, zweite Cap. rechts — an dem Richtigen vor-
bei.) Ja auch die in Bewegung gerathene Symmetrie, das Processio-
nelle, kurz Alles, was das in dieser Schule so oft zur Confusion führende
Pathos dämpft, kann hier von höchst erwünschter Wirkung sein; hieher
[1025]Der Affect im Streit mit der Composition.
gehören die beiden Riesenbilder des Lod. Caracci in der Gal. von Parmaa
(ehemals Seitenbilder einer Assunta), hauptsächlich die Grabtragung
der Maria, wo der Ritus, beherrscht von dem meisterlich verkürzten
Leichnam, das subjective Pathos vollkommen zurückdrängt. Auch Do-
menichino, dessen Composition so überaus ungleich ist, hat in seinem
„Tod der heil. Cäcilia“ (S. Luigi in Rom, zweite Cap. rechts)b
ein herrliches Beispiel strenger und doch schön aufgehobener Symme-
trie geliefert. Von den beiden Bildern der letzten Communion
des heil. Hieronymus (Agostino Caracci: Pinac. von Bologna; —c
Domenichino: Gal. des Vaticans) hat dasjenige des Domenichino schond
darin einen Hauptvorzug, dass die beiden Gruppen (die des Priesters und
die des Heiligen) dem Totalwerth nach wie auf der Goldwage gegen
einander abgewogen sind, sodass Bewegung und Ruhe, Ornat und freie
Gewandung, Geben und Empfangen etc. sich gegenseitig aufheben;
ausserdem ist die Gestalt des Heiligen in die Pietät und Andacht der
Seinigen wie gebettet und doch für den Anblick ganz freigehalten.
Der grösste Verehrer D.’s, Nic. Poussin, geht dann wieder zu weit,
sodass seine Gruppen oft absichtlich construirt erscheinen. (Ruhe aufe
der Flucht, Acad. von Venedig.) — Bisweilen überraschen die Mai-
länder, so verwildert sonst ihre Composition ist, durch eine
gross gefühlte symmetrische Anordnung. Man sehe in der Brera dasf
grosse Bild des Cerano-Crespi (Madonna del rosario); im Pal. Brig-
nole zu Genua den von Engeln gen Himmel getragenen S. Carlo,g
von einem der Procaccini, ein ergreifendes Bild, so naturalistisch die
Anstrengung der Engel gegeben sein mag. — Sassoferrato befolgte
in seiner schönen Madonna del rosario (S. Sabina zu Rom, Cap.h
rechts vom Chor) mit vollem Bewusstsein die alte strenge Anordnung.
Weit die Meisten aber erkennen die höhern Liniengesetze nur in
beschränktem Masse an, die Naturalisten fast gar nicht. Selbst den
besten Bolognesen ist eine prächtige Actfigur (womöglich kunstreich
verkürzt) im Vordergrunde bisweilen so viel werth als der ganze üb-
rige Inhalt des Bildes; einige suchen dergleichen geflissentlich auf
(Schidone’s S. Sebastian, dessen Wunden von Zigeunern beschauti
werden, im Museum von Neapel); die Naturalisten begehren vollends
nichts als den leidenschaftlichen Moment. Caravaggio’s Grab-k
legung (Gal. des Vaticans), immer eines der wichtigsten und gründ-
B. Cicerone. 65
[1026]Moderne Malerei.
lichsten Bilder der ganzen Richtung, ist der Einheit und Gewalt des
Ausdruckes zu Liebe als Gruppe ganz einseitig gebaut. Wie roh aber
C. componiren (und empfinden) konnte, wenn ihm am Ausdruck nichts
alag, zeigt die Bekehrung des Paulus (S. M. del popolo in Rom, erste
Cap. links vom Chor), wo das Pferd beinahe das Bild ausfüllt. Spag-
bnoletto’s Hauptbild, die Kreuzabnahme im Tesoro von S. Mar-
tino zu Neapel ist in den Linien unangenehm, was man allerdings
über der Farbe und dem ergreifenden, obwohl auf keine Weise ver-
klärten Schmerz übersehen kann.
Dieses Gebiet des Ausdruckes und Affectes, welchem die moderne
Malerei so vieles opfert, müssen wir nun nach Inhalt und Grenzen zu
durchforschen suchen. Wir beginnen mit den erzählenden Bildern
heiligen (biblischen oder legendarischen) Inhaltes, ohne uns doch streng
an irgend eine Eintheilung halten zu dürfen. — Auch die Altarbilder
gewinnen schon seit Tizian (S. 974) gerne einen erzählenden Inhalt;
jetzt ist vollends Alles willkommen, was auf irgend eine Weise er-
greifen kann.
Man sieht in S. Bartolommeo a Porta ravegnana zu Bologna (vierter
Altar rechts) eines der prächtigsten Bilder des Albani: die Ver-
kündigung; Gabriel, eine schöne Gestalt, fliegt der Jungfrau
dleidenschaftlich zu. (Man vergleiche das colossale Fresco des Lod.
Caracci über dem Chor von S. Pietro in Bologna.) — Die Geburt
Christi, das Presepio, früher immer naiv dargestellt, war durch Co-
reggio’s heilige Nacht zu einem Gegenstand des aufs Höchste gestei-
gerten Ausdruckes und des Lichteffectes geworden. (Welchen letz-
etern man z. B. in zweien der bessern Bilder des Honthorst, Uffizien,
nach Kräften reproducirt findet.) Wie völlig missverstand nun z. B.
fTiarini in einem sonst trefflichen Bilde (S. Salvatore zu Bologna,
Querschiff links) den stillen, idyllischen Sinn der Scene! Er malt sie
höchst colossal und lässt den Joseph ganz declamatorisch auf die
Maria hindeuten, damit der Beschauer aufmerksam werde. — Gleich-
gültiger werden insgemein behandelt die Anbetungen der Hirten und
gder Könige, u. a. von Cavedone (S. Paolo in Bologna, dritte Cap.
rechts) der bei aller Tüchtigkeit sehr das Ordinäre herauszukehren
[1027]Der Affect in der biblischen Geschichte.
pflegt. Eine Anbetung der Hirten von Sassoferrato (Mus. vona
Neapel) giebt gerade das Gemüthliche, das vorzugsweise sein Element
ist; im Jahrhundert des Pathos eine vereinzelte Erscheinung. — Von
den Geschichten der heil. Anverwandten werden jetzt vorzugsweise
nur die pathetischen, besonders die Sterbebetten behandelt: der Tod
der heil. Anna (von Sacchi, in S. Carlo ai catinari zu Rom, Altarb
links), der Tod des heil. Josephs (von Lotti, in der Annunziata zuc
Florenz, Cap. Feroni, die zweite links; — von Franceschini, in Corpusd
Domini zu Bologna, erste Cap. links). Caravaggio dagegen, der
oft mit Absicht das Heilige alltäglich darstellte, malt (in einem Bildee
des Pal. Spada zu Rom) zwei hässliche Nätherinnen, womit die Er-
ziehung der Jungfrau durch S. Anna gemeint ist. — Bei den Kindbetten
(Lod. Caracci: Geburt des Johannes, Pinac. von Bologna, spätes reso-f
lutes Hauptbild) mochte man, wenn auch unbewusst, den Nachtheil em-
pfinden, in welchem man sich z. B. gegen die Zeit eines Ghirlandajo be-
fand; damals war die Grundauffassung ideal, das Einzelne individuell,
jetzt die Grundauffassung prosaisch, die Einzelform allgemein. — (Be-
sonders einflussreich müssen die nur unscheinbaren Bilder des Ago-g
stino und Lodovico in S. Bartolommeo di Reno zu Bologna, 1. Cap. l.,
Anbetung der Hirten, Beschneidung und Darstellung, gewesen sein.) —
Unter den Jugendgeschichten Christi, die nunmehr in senti-
mentaler Absicht bedeutend ausgesponnen wurden, behauptet die Ruhe
auf der Flucht immer den ersten Rang, und hier giebt Coreggio’s Ma-
donna della scodella (S. 954, c) wesentlich den Ton an. Eine schöne
kleine Skizze des Annibale im Pal. Pitti zeigt diess z. B. deutlich;h
auch das betreffende unter Bonone’s trefflichen Frescobildern imi
Chor von S. Maria in Vado zu Ferrara. U. a. m. Noch einmal
trifft Caravaggio den wahren idyllischen Inhalt, wenn auch in sei-
ner barocken Art. (Bild im Pal. Doria zu Rom: Mutter und Kindk
schlummern, ein Engel spielt Violin und Joseph hält das Notenblatt.
Er hat auch eine „Entwöhnung des Bambino“ in seiner derbsten Artl
dargestellt; Pal. Corsini.) Bei den Meisten aber wird die Scene zu
einer grossen Engelcour im Walde; so schon in dem oben (S. 1008 n,)m
erwähnten Prachtbilde des Rutilio Manetti; vollends aber ist es
ergötzlich zu sehen, was ein später Neapolitaner daraus gemacht hat.
(Bild des Giac. del Po, im rechten Querschiff von S. Teresa zu Nea-n
65*
[1028]Moderne Malerei.
pel, oberhalb des Museums.) Die Scene ereignet sich auf einer Nil-
insel; Joseph wacht auf, es ist eben himmliche Audienz; die Madonna
spricht mit einem Engel, der einen Nachen anbietet und überlässt in-
zwischen das Kind der Bewunderung und Anbetung zahlreicher Engel
verschiedenen Ranges; die ältern darunter meistern die jüngern u. s. w.
— In andern Scenen des Jugendlebens Christi ist Sassoferrato
aallein fast immer naiv sammt seiner Sentimentalität; eine heil. Fami-
lie im Pal. Doria zu Rom; Josephs Tischlerwerkstatt, wo der Chri-
bstusknabe die Späne kehrt, im Museum von Neapel. Bei den Bolog-
nesen wird bisweilen auf eine nicht ganz gesunde Weise die Handlung
des Christus auf das Christuskind übertragen, wie z. B. in einem Bilde
cdes Cignani (S. Lucia zu Bologna, dritter Altar links), wo der Bam-
bino vor den Knieen der Mutter stehend den Johannes und die heil.
dTeresa mit Kränzen belohnt. Bei Albani (Mad. di Galliera zu Bo-
logna, zweiter Altar links) ist eine Vorahnung der Passion so ausge-
drückt, dass das Christuskind affectvoll emporblickt nach den mit den
Marterinstrumenten (wie mit Spielzeug) herumschwebenden Putten;
unterhalb der Stufen Maria und Joseph, ganz oben Gott-Vater, be-
kümmert und gefasst. — Von den zahllosen Josephsbildern ein gutes
evon Guercino (S. Giov. in monte zu Bologna, dritte Cap. rechts);
das Kind hält dem Pflegevater eine Rose zum Riechen hin.
Eine Scene wie Christus unter den Schriftgelehrten (S. 903, Anm.)
muss bei der naturalistischen Auffassung noch viel bedenklicher wer-
fden als sie schon an sich ist. Salvator Rosa (Museum von Neapel)
malt um den hülflosen Knaben herum das brutalste Volk. — Einzelne
Bilder der Taufe und der Versuchung werden unten genannt werden.
Die Wunder Christi werden fast ganz verdrängt durch die Wunder
der Heiligen; an der Hochzeit von Kana wird gerade das Wunder
gam wenigsten hervorgehoben (angenehmes grosses Genrebild dieses
Inhaltes, von Bonone, Ateneo zu Ferrara.) — Die Vertreibung der
hKäufer und Verkäufer aus dem Tempel hat z. B. Guercino in einem
gleichgültigen Bilde geschildert (Pal. Brignole zu Genua); lehrreicher
iist es, in der grossen Frescodarstellung dieser Scene, welche Luca
Giordano a’ Gerolomini (S. Filippo) zu Neapel über dem Portal
gemalt hat, zu sehen mit welchem Wohlgefallen der Neapolitaner eine
solche Execution darstellt. — Von den Auferweckungen des Lazarus
[1029]Der Affect in der biblischen Geschichte.
ist die des Caravaggio (Pal. Brignole zu Genua) immer eine der be-a
deutendsten Leistungen des gemeinern Naturalismus. — Das Abend-
mahl fällt gleich unwürdig aus, ob es als Genrebild oder als Affect-
scene behandelt werde. Ersteres ist z. B. der Fall in dem grossenb
Bilde des Aless. Allori (Acad. zu Florenz), welches eine ganz
schön gemalte, lebendige „Scene nach Tische“ heissen kann. Bei
Domenico Piola (S. Stefano in Genua, Anbau links) fehlt es nichtc
an Pathos aller Art, allein das „unus vestrum“ geht unter in einem
gesuchten Lichteffect und in den Zuthaten (Bettler, Aufwärter, Kin-
der, auch ein niederschwebender Reigen von Putten). — Im Chor
von S. Martino zu Neapel sind ausser der grossen Geburt Christi von
Guido vier colossale Bilder dieser Gattung zu finden, deren zum Theild
berühmte Urheber doch hier nicht auf ihrer rechten Höhe erscheinen:
Ribera, die Communion der Apostel; — Caracciolo, die Fusswa-
schung; — Stanzioni, figurenreiches Abendmahl; — Erben des
Paolo Veronese, Einsetzung der Eucharistie. (So Galanti, dem
ich beim Erlöschen meiner Erinnerungen folgen muss.) — Von den Pas-
sionsscenen (abgesehen von einzelnen Figuren, wie das Eccehomo, der
Crucifixus) ist es hauptsächlich der Moment des Affectes im vorzugs-
weisen Sinne, welcher nun tausendmal dargestellt wird: die Pietà,
der vom Kreuz abgenommene Leichnam, umgeben von Maria, Johannes,
Magdalena und Andern. Die Vorbilder Tizian’s und Coreggio’s be-
rechtigten und reizten hier zur höchsten Steigerung des Ausdruckes.
Wie bei der Scene unter dem Kreuze, so wird nun auch hier, dem
Wirklichkeitsprincip gemäss, die Madonna fast immer ohnmächtig, d. h.
der sittliche Inhalt muss mit einem pathologischen theilen. Wo die-
ser Zug ausgeschlossen ist, wie z. B. in den Bildern, welche nur die
Madonna mit dem Leichnam auf den Knieen darstellen (Lod. Ca-e
racci: im Pal. Corsini zu Rom; Annibale: im Pal. Doria und imf
Museum von Neapel), da ist auch der Eindruck viel reiner. — Dieg
bedeutendste jener vollständigern Darstellungen ist wohl die schon
wegen ihrer Anordnung (S. 1025) erwähnte Mad. della Pietà desh
Guido (Pinacoteca von Bologna); leider hatte er den Muth nicht,
diese Scene, wie Rafael seine Transfiguration in einen bestimmten
obern, auf einen zweiten Augenpunkt berechneten Raum zu versetzen
(etwa auf einen Hügel), sondern brachte sie als auf einer über den knieen-
[1030]Moderne Malerei.
den Heiligen hängenden Tapete gemalt, als Bild im Bilde an, bloss um
raum-wirklich zu bleiben. — Herrlich ist dann (noch in ihrem Ruin)
adie Pietà des Stanzioni über dem Portal von S. Martino zu Neapel;
den seelenvollsten Bildern des Van Dyck gleich zu achten; auch in
der edlen Haltung und Verkürzung des Leichnams alle Neapolitaner,
zumal den Spagnoletto (S. 1026, b) übertreffend. — Luca Giordano
b(Bild im Museum), der sich hier bemüht, innig zu sein, umgiebt we-
nigstens die Leiche nicht mit caravaggesken Zigeunern, sondern mit
gutmüthigen alten Marinari. — Von den Grabtragungen wurde die des
cCaravaggio schon erwähnt; ein Bild des Annibale in der Galerie
zu Parma ist aus der Zeit, da er dem Coreggio völlig zu eigen ge-
hörte. — Von den Scenen nach der Auferstehung hat z. B. Guercino
dden Thomas gemalt, welcher nicht bloss Christi Wunde berührt, son-
dern ein paar Finger hineinschiebt (Gal. des Vaticans). Man frägt sich,
wer die Beschauer sein mochten, die an einer so rohen Verdeutlichung
und an so unedeln Charakteren Gefallen fanden. Allein man kann
enoch viel gemeiner sein. Der Capuccino genovese hat dasselbe
Factum (Pal. Brignole) so aufgefasst, als würde über eine Wette ent-
schieden. — Die Himmelfahrt Christi wird fast ganz durch diejenige
der Maria ersetzt, wovon unten.
Aus dem Leben der Heiligen wird zunächst das Affectreiche und
Bewegte nach Kräften hervorgehoben 1). Ein Hauptbild dieser Art
fist die Belebung eines Knaben durch S. Dominicus, von Tiarini (Cap.
des Heiligen, in S. Domenico zu Bologna, rechts); dasselbe ist ange-
füllt mit allen Graden der Verehrung und Anbetung. Gegenüber links
gdas Hauptwerk des Lionello Spada: S. Dominicus, der die ketze-
rischen Bücher verbrennt, ein äusserlich leidenschaftliches Thun, dessen
Entwicklung in Gruppen und Farben das Beste ist, was einem so
entschlossenen Naturalisten gelingen mag. Allein geschichtliche Scenen
dieser Art nehmen nur einen geringen Raum ein neben den beiden
Hauptgegenständen dieser Zeit; welche oft genug auf Einem Bilde
vereinigt sind: den Martyrien und den himmlischen Glorien.
[1031]Der Affect in den Legenden. Die Martyrien.
Für die Martyrien, welche zur Manieristenzeit (S. 997, f) sich von
Neuem entschieden in der Kunst festgesetzt hatten, besass man ein
grelles Präcedens von Coreggio (S. 955, b). Alle Maler wetteifern nun,
nachdrücklich zu sein im Grässlichen. Der einzige Guido hat ina
seinem bethlehemitischen Kindermord (Pinac. von Bologna)
Mass zu halten gewusst, das eigentliche Abschlachten nicht dargestellt,
in den Henkern Härte, aber keine bestialische Wildheit personificirt,
die Grimasse des Schreiens gedämpft, ja durch eine schöne wahrhaft
architektonische Anordnung und durch edel gebildete Formen das
Grässliche zum Tragischen erhoben; er hat diese Wirkung hervor-
gebracht ohne Zuthat einer himmlischen Glorie, ohne den verdächtigen
Contrast des ekstatischen Schmachtens zu den Gräueln; sein Werk
ist denn auch wohl die vollkommenste pathetische Composition des Jahr-
hunderts. (Die Kreuzigung Petri, in der vatican. Galerie, scheint un-b
freiwillig gemalt.) — Aber schon der sonst mild und schön gesinnte
Domenichino, welch ein Schlächter je nach Umständen! Anzufan-
gen von seinem frühen Fresco der Marter des heil. Andreas (in derc
mittlern der 3 Capellen neben S. Gregorio in Rom); war es Wahl
oder glücklicherer Zufall, dass sein Mitschüler Guido (gegenüber) den
Gang zum Richtplatz darstellen und jenen herrlichen Moment treffen
durfte, da der Heilige von fern das Kreuz erblickt und mitten im Zuge
niederkniet? — Domenichino dagegen malt die eigentliche Marterbank
und bedarf, um diese und ähnliche Scenen geniessbar zu machen,
jener Zuschauer, zumal Frauen und Kinder, welche ihre Herkunft aus
Rafaels Heliodor, Messe von Bolsena, Schenkung Roms, Tod des
Ananias, Opfer zu Lystra etc. (S. 929) nur wenig verläugnen; von
Domenichino aus verbreiten sich diese Motive dann über die meisten
Werke der Nachfolger. In seiner Marter S. Sebastians (Chor vond
S. M. degli angeli zu Rom, rechts) lässt er sogar Reiter gegen diese
Zuschauer einsprengen und zersplittert damit das ganze Interesse. Vom
Widrigsten, überdiess unangenehm gemalt, sind seine Marterbilder ine
der Pinacoteca zu Bologna; in der Marter der heil. Agnes stimmt die
Erdolchung auf dem Holzstoss sammt Zuthaten unsäglich roh zu all
dem Geigen, Blasen und Harfnen der Engelgruppe oben; — die Marter
des S. Pietro martire ist nur eine neue Redaction der tizianischen;
— die Stiftung des Rosenkranzes gestehe ich gar nicht verstanden zu
[1032]Moderne Malerei.
haben; unter den weiblichen Charakteren und Engeln macht sich hier
das nette, soubrettenhafte Köpfchen mit dem rothen Näschen, welches
dem D. eigen ist, ganz besonders geltend. — Solche Beispiele mussten
aschon in Bologna selbst Nachfolge finden. Von Canuti, einem sehr
tüchtigen Schüler Guido’s, ist in S. Cristina (4. Alt. r.) die Misshand-
lung der Heiligen durch ihren Vater — man sehe wie — gemalt. Auch
Maratta, sonst Guido’s treuer Verehrer, holt sich in solchen Fällen
doch lieber seine Inspiration aus Domenichino’s S. Sebastian (Marter
bdes heil. Blasius in S. M. di Carignano zu Genua, 1. Alt. r.). —
Guercin ist in Martyrien erträglicher als man erwarten sollte. (Gal.
cvon Modena: Marter des heil. Petrus, Hauptbild; — Dom von Fer-
drara, Querschiff rechts: Marter des heil. Laurentius, sehr der Restau-
ration würdig.) — Von dem Florentiner Cigoli sieht man in den
eUffizien eine mit grosser Virtuosität gemalte Marter des heil. Ste-
phanus, der bereits mit Steinen geworfen und mit Fusstritten miss-
handelt wird, in Gegenwart pharisäisch ruhiger Zuschauer. — Carlo
fDolci’s heil. Apollonia (Pal. Corsini in Rom) begnügt sich damit,
uns die Zange mit einem der ausgerissenen Zähne auf das Niedlichste
zu präsentiren.
Wahrhaft abscheulich sind in solchen Fällen die eigentlichen Na-
turalisten. Caravaggio selber zeigt uns in einem einzigen Kopfe
schon die ganze falsche Rechnung des Naturalismus; es ist seine Me-
gdusa in den Uffizien gemeint. Stets begierig nach einem Ausdruck
des Augenblickes und schon desshalb gleichgültig gegen den tiefern
immanenten Ausdruck (den er in der Grablegung gar wohl erreicht),
malt er einen weiblichen Kopf im Moment der Enthauptung; könnte
derselbe aber z. B. beim Ausreissen eines Zahnes nicht eben so aus-
sehen? — Nothwendiger Weise erregt das Grässliche, wie diese
Schule es auffasst, mehr Ekel als tiefes Bangen.
Er selber sucht in einem seiner bestgemalten Bilder, dem Be-
hgräbniss des heil. Stephanus (bei Camuccini in Rom) durch natur-
wahre Darstellung des unterlaufenen Blutes Grauen zu erregen; seine
iMarter des heil. Matthäus (S. Luigi in Rom, letzte Cap. 1.) wirkt
durch die Zuthaten fast lächerlich. Sein Schüler Valentin hat zu
viel Geist, um ihm auf diesen Bahnen zu folgen; in seiner Enthaup-
ktung des Täufers (Pal. Sciarra zu Rom) tritt ein physiognomisches
[1033]Marterbilder. Das Ceremoniöse.
Interesse an die Stelle des Grässlichen. (Dieselbe Scene, das beste
Bild des Honthorst in S. M. della scala zu Rom, rechts, lässt docha
ziemlich gleichgültig.) Andere dagegen malen so crud als möglich.
Sujets wie der Mord Abels (von Spada, im Museum von Neapel),b
das Opfer Isaaks (von Honthorst, im Pal. Sciarra zu Rom) werdenc
jetzt ganz henkermässig behandelt, vorzüglich aber die Heldenthat der
Judith, wofür eine gewisse Artemisia Gentileschi eine Art Pri-
vilegium besass. (Uffizien; Pal. Pitti; Pal. Sciarra); auch der Cavalierd
Calabrese leistete das Mögliche (Mus. von Neapel). Andere, le-e
gendarische Marterscenen übergehen wir. Durch einen sonderbaren
Zufall war gerade die erste grosse römische Bestellung, welche Nic.
Poussin erhielt, die Marter des heil. Erasmus, welchem dief
Därme aus dem Leib gewunden werden. (Für S. Peter gemalt, jetzt
in der Gal. d. Vaticans.) Er brachte ein Werk zu Stande, welches in
Betreff des Kunstgehaltes zu den trefflichsten des Jahrhunderts gehört.
(Kleine eigenhändige Wiederholung im Pal. Sciarra.)g
Während nun um der vermeintlich ergreifenden Wirklichkeit willen
nach dieser Seite hin alle Schranken übersprungen werden, zeigen
sich dieselben Maler (die ja zum Theil Cavaliere hiessen!) bemüht, in
heilige Vorgänge den guten Ton und die bemessenen Formen der da-
maligen Gesellschaft hineinzubringen. (Vgl. Parmegianino S. 969, c, d.)
Namentlich werden jetzt die Engel dazu erzogen, eine noble Diener-
schaft vorzustellen, den Hof der heiligen Personen zu bilden. Im
Refectorium der Badia bei Fiesole wird man nicht ohne Heiterkeith
betrachten, wie Christus nach der Versuchung von den Engeln bedient
wird; doch sieht dergleichen bei Giov. da S. Giovanni, der das
Fresco malte, immer naiv aus. Schon viel wohlerzogener sind die
Engel in der grossen Taufe Christi von Albani (Pinac. v. Bologna);i
man erinnert sich bei ihrer Dienstfertigkeit unwillkürlich, wie auf mit-
telalterlichen Bildern die kleiderhaltenden Engel noch Zeit und Stim-
mung zur Anbetung übrig haben. Putten als Lakaien ausserhalb der
Scene wartend sieht man auf einer „Vermählung der heil. Catharina“k
von Tiarini (ebenda); ausser der genannten Heiligen wohnen auch
S. Margaretha und S. Barbara der Ceremonie bei; der gute Joseph
[1034]Moderne Malerei.
schwatzt inzwischen draussen im Vordergrunde mit den drei kleinen
Dienstboten, welche das Rad der Catharina, den Drachen der Mar-
garetha und das Thürmchen der Barbara zu hüten haben. — Ein ge-
wisses Ceremoniell war schon in den venezianischen Empfehlungs-
bildern (S. 992) üblich. Jetzt kommen aber Dinge vor, wie z. B. ein
aCondolenzbesuch sämmtlicher Apostel bei der trauernden Madonna;
Petrus als Wortführer kniet und wischt sich mit dem Schnupftuch
die Thränen ab (gemalt v. Lod. Caracci als Deckenbild der Sa-
cristei von S. Pietro zu Bologna). Oder S. Dominicus stellt den heil.
bFranz dem heil. Carmeliter Thomas vor, wobei ganz die höfliche Neu-
gier herrscht die in solchen Fällen am Platze ist (Lod. Caracci,
in der Pinac.). Wie ganz anders giebt das XV. Jahrh. ein solches
Zusammentreffen von Heiligen! (S. 591, b.) In Aless. Allori’s Krö-
cnung Mariä (agli Angeli, Camaldulenser, in Florenz, Hochaltar) küsst
Maria dem Sohne ganz ergeben die rechte Hand. — Auch S. Antonius
von Padua bekömmt das Kind gar nicht immer auf die Arme, son-
ddern es wird ihm nur zum Handkuss hingereicht (Bild des Lod.
Caracci, Pinac. v. Bologna).
Wir wenden uns nun zu denjenigen Bildern, in welchen der
Seelenausdruck vor dem erzählenden Element den Vorrang hat,
um dann zur Behandlungsweise des Überirdischen überzugehen.
Der Ausdruck sehnsüchtiger Inbrunst, ekstatischer Andacht, des
Verlorenseins in Wonne und Hingebung war von den grossen Mei-
stern der goldenen Zeit auf wenige, seltene Gelegenheiten verspart
worden. Zwar macht bereits Perugino recht eigentlich Geschäfte da-
mit, allein Rafael malte nur Einen Christus wie der in der Trans-
figuration, nur Eine heil. Cäcilia; Tizian nur Eine Assunta wie die
in der Academie von Venedig. Jetzt dagegen wird dieser Ausdruck
ein Hauptbestandtheil desjenigen Affectes, ohne welchen die Malerei
überhaupt nicht mehr glaubt bestehen zu können.
Zu einer endlosen Masse vermehren sich nunmehr jene einzelnen
Halbfiguren, welche von den frühern Schulen in verschiedener
Absicht, z. B. in Venedig als schöne Daseinsbilder waren gemalt wor-
den. Jetzt liegt ihr Hauptwerth darin, dass man jenen gesteigerten
[1035]Affect in Einzelfiguren.
Ausdruck ohne weitere Motivirung darin anbringen kann. Die Sehn-
suchtshalbfigur bildet fortan eine stehende Gattung. (Ein früheres
vereinzeltes Beispiel bei gewissen Nachfolgern Lionardo’s S. 870, d.)
Zunächst wird jetzt statt eines schlichten Christuskopfes durchgängig
der Dornengekrönte, das Eccehomo gemalt. (Pal. Corsini in Rom,a
von Guido, Guercino und C. Dolci; — Pinac. in Bologna, dieb
vortreffliche Kreidezeichnung Guido’s.) Das Motiv, wie man es gab,
stammt wesentlich von Coreggio, allein die Reproduction ist bisweilen
frei, erhaben und tiefsinnig zu nennen. Unter den Madonnen werden
die Bilder der Mater dolorosa zahlreicher. Die vielen Halbfiguren
von Sibyllen, deren trefflichste von Guercino, Domenichino
in und ausserhalb Italien zerstreut sind, haben meist den Ausdruck
des Emporsehnens (S. 931). Für Propheten und Heilige aller
Art gab es eigene Werkstätten; in sehr verschiedener Weise und doch
der Absicht nach eng verwandt arbeiteten besonders Spagnoletto
und Carlo Dolci dergleichen. Den erstern möge man in den Ga-
lerien von Parma und Neapel verfolgen, den letztern im Pal. Pitti,c
in den Uffizien, und besonders im Pal. Corsini zu Florenz, wo mand
auch seinen Nachahmer Orazio Marinari kennen lernt. Über Dol-
ci’s Süsslichkeit, seiner conventionellen Andacht mit Kopfhängen und
Augenverdrehen, seinen schwarzen [Schatten] und geleckten Licht-
partien, der übereleganten Haltung der Hände etc. darf man doch
einen bedeutenden angeborenen Schönheitssinn nicht vergessen, auch
den Fleiss der Ausführung nicht. — Von den Neapolitanern hat An-
drea Vaccaro (Mus. von Neapel) in solchen Bildern am meistene
Ernst und Würde, wie er sich denn selbst in seinem Kindermord
(ebenda) zu mässigen weiss. (Sein bestes Bild sonst der Gekreuzigtef
mit Angehörigen, in Trinità de’ Pellegrini.)
Ob heilige oder profane Personen dargestellt werden, ändert im
Ganzen nicht viel. Die Lucretien, Cleopatren, auch die Judith wo sie
ekstatisch aufwärts schaut (Guercino, im Pal. Spada zu Rom), derg
siegreiche David in ähnlichem Moment (Gennari, Pal. Pitti), jah
selbst der sich erstechende Cato (Guercino, Pal. Brignole in Genua),i
u. dgl. m. zeigen nur andere Nuancen desselben Ausdruckes.
Auch ganze oder fast ganze Figuren in Einzeldarstellung wer-
den sehr häufig, eben diesem Ausdruck zu Liebe. An ihrer Spitze
[1036]Moderne Malerei.
steht S. Sebastian; die besten Bilder glaube ich (S. 1016, a) schon ge-
anannt zu haben (wozu noch der Guercino, Pal. Pitti, zu rechnen
sein mag). Dann betende Heilige in Überfluss; der reuige Petrus
b(man vgl. Guercino, im Mus. v. Neapel — hier mit dem Schnupf-
ctuch! — Guido und C. Dolci, beide im Pal. Pitti; Pierfranc.
dMola im Pal. Corsini zu Rom) auf allen Stufen des Jammers; —
büssende Magdalenen aller Art, von der heftigsten Betheurung bis zur
eruhigen Beschaulichkeit (Cristofano Allori, im Pal. Pitti; Do-
fmenico Feti, in der Acad. v. Venedig; Guercino, in der vatican.
Galerie, motivirt die Rührung der M. dadurch, dass zwei Engel ihr
die Nägel vom Kreuz vorweisen müssen); — S. Franz im Gebet (be-
gsonders niedrigen Charakters bei Cigoli, Pal. Pitti und Uffizien). —
Bei Darstellung der Mönchsandacht hat der Carthäuserorden einen
ganz merkwürdigen Vorzug einfacherer Innigkeit (S. 700, b). Was in
Le Sueur’s Geschichten des heil. Bruno (Louvre) am Meisten ergreift,
findet sich auch in italienischen Carthäuserbildern wieder. Die Ereig-
nisse sind nicht günstiger noch ungünstiger für die malerische Behand-
lung als diejenigen anderer Orden; es ist dieselbe Art von Visionen,
Casteiungen, Thätigkeiten (besonders Schreiben), Gebeten, Wunder-
wirkungen durch Geberde, bis auf den Tod auf dem harten Lager
oder unter Mörderhänden. Allein die tiefe und stille Seelenandacht,
mag sie den Blick nach oben wenden oder demüthig sinnend auf die
Brust senken, vergisst hier die Welt und den Beschauer mehr als
irgendwo. Man wird in allen Certosen Italiens dieses Gefühl haben;
ham schönsten vielleicht bei Stanzioni (zu S. Martino in Neapel,
Cap. di S. Brunone, die 2. 1., mit Geschichten und Apotheose des
iHeiligen; womit seine „Fürbitte des S. Emidio“ in Trinità de’ Pelle-
kgrini, sowie das Bild seines Schülers Finoglia im Museum zu ver-
gleichen ist: S. Bruno der die Ordensregel empfängt). Auch Guer-
lcino’s Madonna mit den beiden betenden Carthäusern (Pinac. von
Bologna) ist eines seiner liebenswürdigsten Werke. Die vollkommene
Weltentsagung giebt dem Orden in der That einen ganz eigenen Ty-
pus. Übrigens mögen auch die weissen Gewänder dieser Ordensleute
eine ruhige, feierliche Haltung fast gebieterisch verlangt haben. Meh-
rere zusammen, in heftiger Bewegung, gäben gar kein Bild mehr.
Desshalb verhält sich auch S. Romuald mit seinen Camaldulensern
[1037]Die Carthäuserandacht. Ekstasenmalerei.
auf dem schönen Bilde des Sacchi (Gal. des Vaticans) ganz ebena
so ruhig.
Neben dieser immer schönen und gemässigten Andacht entsteht
aber eine eigentliche Ekstasenmalerei; eine Glorie oben, unten der
oder die Heilige, der Ohnmacht nahe, ringsum Engel als Helfer und
Zuschauer. Die Legende des heil. Franz enthält einen in der Kunst
berechtigten, desshalb auch von jeher dargestellten Moment, welcher die
höchste ekstatische Aufregung voraussetzt: den Empfang der Wundmale.
Schmerz und Entzücken und Hingebung so in Eins fliessen zu lassen,
dazu war die Malerei des XVII. Jahrh. vorzüglich fähig. (Bild Guer-b
cino’s, alle Stimmate zu Ferrara, Hauptaltar.) Allein dass man auch
bei andern Heiligen nicht mehr mit der guten und wahren Andacht
zufrieden war, bei der Darstellung der Verzücktheit aber keinen hö-
heren Moment mehr kannte als das Ohnmächtigwerden (vgl. S. 1029),
— das musste zur widrigen Lüge führen. Ein sehr gut gemaltes Bild
dieser Art mag statt aller genannt werden: die Ohnmacht des S. Sta-c
nislas, im Gesù zu Ferrara, 2. Alt. r., von dem späten Bologneser
Giuseppe Crespi. — Nur Eins fehlt, um die Entweihung zu voll-
enden: ein lüsterner Ausdruck in den Engeln; Lanfranco, der ge-
malte Bernini (S. 709, c), sorgt auch dafür. (Ekstase der S. Margheritad
da Cortona, Pal. Pitti.) Das Jahrhundert war in diesen Sachen ganz
verblendet. Ein schönes Bild des Cavedone (in der Pinac. v. Bo-e
logna), Madonna auf Wolken, das Kind den unten knieenden Heiligen
zeigend, enthält zweierlei Ausdruck; in dem heiligen Schmid (S. Eli-
gius?) die conventionelle Inbrunst, in S. Petronius aber, mit seinen
drei Chorknaben, eine ruhige rituelle Andacht; wie ungleich ergrei-
fender die letztere auf uns wirkt — ahnte es der Meister oder nicht?
Auch die Madonna wird jetzt dann mit der grössten Vorliebe
dargestellt, wenn sie nicht mehr bloss Object der Anbetung ist, sondern
selber die überirdische Sehnsucht, den heiligen Schmerz empfindet.
Jener schöne Kopf des Van Dyck (S. 1020, o) beweist es allein schon;
die Assunten und Schmerzensmütter repräsentiren fast durchgängig ein
höheres Wesen als die blosse Mutter des Bambino, welche eben doch
dem Naturalismus anheimfällt ohne dabei immer naiv zu sein, wie in
[1038]Moderne Malerei.
jenen herrlichen Bildern Murillo’s. Es giebt gute, in Coreggio’s Art
gemeinte Mütter und heilige Familien von den Caracci, zumal An-
anibale. Guido ist sehr ungleich; eine vorzügliche Madonna mit
dem schlafenden Kinde soll im Quirinal sein; eine gute frühe heil.
bFamilie im Pal. Spinola, Str. nuova zu Genua; aber eine seiner wich-
ctigsten Madonnen, die er als besonderes Bild (Brera zu Mailand, eine
dNachahmung von Elis. Sirani im Pal. Corsini zu Rom) und dann
eals Bestandtheil des grossen Bildes vom Pestgelübde (Pinac. zu Bo-
logna) behandelt hat, sieht unleidlich prätentiös aus, als liesse sie das
Kind für Geld sehen. Überhaupt wird die Mutter in dieser Epoche
fnur zu oft eine missmuthige Custodin des Kindes (Ovalbild des Ma-
ratta im Pal. Corsini zu Rom); sie hat oft etwas zu schelten, sodass
Musikputten u. dgl. Dienerschaft nur ganz schüchtern mit einer ab-
gemessenen Ergebenheit ihre Befehle empfangen und der kleine Jo-
hannes sich kaum recht herbeiwagt. Das vornehme, zurückhaltende
Wesen, das hier den heiligen Personen zugetraut wird (vgl. S. 1033)
findet seine Parallele in damaligen Ansichten über den geistlichen
Stand (Ranke, Päpste, III, 120). — Nicht umsonst fühlt man sich
immer wieder von Sassoferrato gefesselt, dessen milde, schöne,
gewissenhaft gemalte Madonnen ohne Ausnahme ein Mutterherz haben,
worüber man den Mangel an Grossartigkeit und an höherm Leben
gvergisst. (Beispiele a. m. O., bes. Pal. Borghese in Rom; Brera zu
hMailand; Pal. Manfrin in Venedig; in S. Sabina zu Rom, Cap. rechts
ivom Chor, das einzige grössere Altarbild: Madonna del rosario, von
ktrefflichster Ausführung; — in den Uffizien und im Pal. Doria zu
Rom betende Madonnen ohne Kind, demüthig abwärts schauend, ohne
die Verhimmelung, durch welche sich z. B. Carlo Dolci von Sasso-
ferrato gründlich unterscheidet.) — Unter den Madonnen der Natura-
listen wird eines der oben (S. 1010, b) erwähnten Bilder des Pellegro
Piola zum Besten und Liebenswürdigsten gehören; Caravaggio
dagegen überträgt auch diese einfache Aufgabe in seine beliebte Zi-
lgeunerwelt (grosse heil. Familie im Pal. Borghese). Ähnlich Schi-
mdone (Pal. Pallavicini zu Genua). Maratta’s Madonnen sind wie-
derum der Nachhall des Guido.
[1039]Madonna. Glorien und Visionen.
Die Santa conversazione (Madonna mit Heiligen) muss sich
nun, wie schon bei den spätern Venezianern, irgend einem Affect und
Moment bequemen, indem Madonna und das Kind zu einem der Hei-
ligen in eine besondere Beziehung treten, wobei sich dann auch die
Übrigen irgendwie betheiligen. Unzählige Male geschah diess z. B.
unter Coreggio’s Ägide mit dem bedenklichen Sujet der Vermählung
der heil. Catharina. Aber noch häufiger wird Mutter und Kind aus
der Erdenräumlichkeit hinaus in die Wolken versetzt und mit Engeln
umgeben; es beginnt das Zeitalter der Glorien und Visionen,
ohne welche zuletzt kaum mehr ein Altarbild zu Stande kömmt. Das
Vorbild ist dabei nicht eine Madonna von Foligno, sondern direct
oder indirect die Domkuppel von Parma mit der illusionären Unten-
sicht, der Wolkenwirklichkeit, den Engelschaaren. Dieser Art sind
mehrere Hauptbilder der Pinacoteca von Bologna, wie z. B. Guido’sa
schon erwähntes Bild des Pestgelübdes, in dessen unterer Hälfte
sieben Heilige knieen, zum Theil von dem bedeutendsten Ausdruck
der ihm zu Gebote steht; — Guercino’s Einkleidung des S. Wil-b
helm von Aquitanien theilt mit seiner „Begräbniss der heil. Petronilla“c
(Gal. d. Capitols) den Übelstand, dass die himmlische Gruppe ausser
Verbindung mit der irdischen bleibt und doch zu nahe auf dieselbe
drückt, aber auch die breite, meisterlich energische Behandlung ist in
beiden Bildern dieselbe. (Auch wieder ein Beleg für die Vertauschung
der Santa conversazione gegen ein momentanes Geschehen; eigentlich
mussten nur der heil. Bischof Felix, S. Wilhelm, S. Philipp und S.
Jacob mit der Madonna auf Einem Bilde vereinigt werden.) — Luca
Giordano ist bei einem solchen Anlass von seinem unzerstörbaren
Temperament richtig geführt worden; seine Madonna del rosario (Mus.d
v. Neapel) schwebt unter einem von Engeln getragenen Baldachin auf
Wolken einher, während vorn S. Dominicus, S. Chiara u. a. Andäch-
tige verehrend ihrer harren; diese Übertragung der Glorie in eine
himmlische Procession war echt volksthümlich neapolitanisch und das
Einzelne ist auch danach gegeben. (Ein anderes grosses Bild vone
Luca in der Brera zu Mailand.) — Ins Masslose geht z. B. die Dop-
pelvision des Ercole Gennari (Pinac. v. Bol.); Madonna erscheintf
auf Wolken dem ebenfalls auf Wolken über stürmischem Meer schwe-
benden S. Niccolò von Bari. Auch der Contrast der Glorien mit Mar-
[1040]Moderne Malerei.
tyrien (s. oben), so poetisch er sich anlässt, hat etwas künstlerisch
Unechtes.
Aber das Überirdische kommt selbst in die einsame Klosterzelle,
in das Dasein eines einzelnen heiligen Menschen hereingeschwebt. Hier,
in geschlossenen Räumen, ist die örtliche Wirklichmachung in der
Regel sehr störend. Es würde wie Spott klingen, wenn wir selbst
die besten derartigen Bilder von dieser Seite prüfen und namentlich
das Benehmen der hier ganz ungenirten Engel näher schildern woll-
aten. (Pinac. v. Bologna: S. Anton v. Padua, dem Bambino den Fuss
bküssend, von Elisabetta Sirani; — S. Giacomo magg. zu Bologna,
4. Alt. r.: Christus erscheint dem Johannes a S. Facundo, von Ca-
vedone.) Wenn ein herberer Naturalist wie z. B. Spagnoletto
das Visionäre ganz weglässt, so kömmt wenigstens ein harmloses
cGenrebild zu Stande; sein S. Stanislas Kostka (Pal. Borghese) ist ein
einfacher junger Seminarist, dem man ein Kind auf den Arm gelegt
hat, und der nun ganz gutmüthig aufmerkt wie es ihn am Kragen
fasst.
Die auf Wolken schwebende Madonna ist in dieser Zeit kaum
mehr zu unterscheiden von der Assunta, der gen Himmel fahrenden
Maria. (Wie deutlich hatte noch Tizian die Assunta als solche be-
zeichnet!) Auch jetzt werden übrigens gewisse Bilder ausdrücklich
dals Himmelfahrten gemalt. So das colossale Bild Guido’s in S. Am-
brogio zu Genua (Hauptaltar rechts), eines derjenigen Meisterwerke,
ewelche kalt lassen. Von den Assunten des Agostino und Anni-
bale Caracci in der Pinac. zu Bologna ist die erstere, bedeutendere
wieder ein rechtes Beispiel der räumlichen Verwirklichung des Über-
sinnlichen; das „Aufwärts“ ist durch schiefes Liegen auf einer schö-
nen Engelgruppe veranschaulicht; glücklicher Weise giebt auch noch
der Kopf den schönen Eindruck der sich in Wonne auflösenden Sehn-
sucht. — Die unten am Grabe versammelten Apostel erheben sich
selten zu irgend einer reinern Begeisterung.
Einzelne Altarbilder sind auch ganz mit der Glorie angefüllt. In
S. Paolo zu Bologna (2. Cap. r.) sieht man eines der trefflich ge-
malten Bilder des Lod. Caracci, „il paradiso“; merkwürdig als
vollständiges Specimen jener Engelconcerte, durch welchen die Schule
sich von ihrem Ahn Coreggio wider Willen unterscheidet. Seine
[1041]Glorien. Gewölbemalereien.
Engel haben selten Zeit zum Musiciren. — Ein eigenthümliches Glo-
rienbild des Bonone steht in S. Benedetto zu Ferrara auf d. 3. Alt.a
links; der Auferstandene wird von neun auf Wolken um ihn grup-
pirten benedictinischen Heiligen verehrt, geküsst, angebetet, bestaunt;
die santa conversazione wird zur gemeinschaftlichen ekstatischen Ver-
klärung (Parallele: Fiesole’s Fresco in S. Marco, S. 790, c.)
Vor allem aber sind die Glorien der Hauptgegenstand für die
Kuppel- und Gewölbemalereien (S. 386, ff.). Coreggio’s ge-
fährliches und unerreichbares Vorbild wird Anfangs ernst genommen.
Es ist unmöglich, einer Arbeit die Achtung zu versagen wie z. B.
den Fresken des Lodovico Caracci an dem Bogen vor der Chor-b
nische des Domes von Piacenza; diese jubelnden Engel welche Bücher
halten und Blumen streuen, haben ein grandioses Leben und einen fast
ganz echten monumentalen Styl. Domenichino’s 4 Evangelistenc
an den Pendentifs der Kuppel von S. Andrea della Valle zu Rom
sind zum Theil grossartiger als irgend eine Pendentifgestalt in Parma;
und wenn er mit den allegorischen, noch sehr schön gezeichneten Fi-d
guren der Pendentifs von S. Carlo a’ catinari gleichgültig lässt, wenn
er in den auffallend geringern Pendentifs des Tesoro im Dom vone
Neapel Allegorisches, Historisches und Überweltliches auf anstössige
Weise mischt, so geben wir dort der Allegorie als solcher, hier der
gedrückten Stimmung des arg misshandelten Meisters die Schuld. —
Guido bringt in seinem (sehr übermalten) Engelconcert bei S. Gre-f
gorio in Rom (von den 3 Capellen daneben diejenige rechts) wenig-
stens einen ganz naiven und heitern Eindruck hervor durch die schö-
nen jugendlichen Gestalten ohne Pathos. In der Glorie des heil.
Dominicus (Halbkuppel der Cap. des Heiligen in S. Domenico zu Bo-g
logna) richten zwar die musicirenden Engel einen conventionellen
Blick nach oben, Christus und Maria sind im Ausdruck des Empfan-
gens ganz unbedeutend, allein höchst grandios schwebt der Heilige,
dessen schwarzer Mantel von Putten ausgespannt wird. — Zu diesen
frühen, mit höherer Anstrengung gemalten Glorien gehört auch Bo-
none’s schöne Halbkuppel in S. Maria in vado zu Ferrara, anbetendeh
Patriarchen und Propheten. — Unter den Neapolitanern ist Stan-
B. Cicerone. 66
[1042]Moderne Malerei.
azioni der gewissenhafteste; an der Flachkuppel der Cap. des heil.
Bruno zu S. Martino in Neapel (die 2. 1.) ist trotz der allzu gründ-
lich gehandhabten Untensicht das anbetende Aufwärtsschweben des
Heiligen, die Wolke von Putten, das Concert der erwachsenen Engel
ungemein schön und stylvoll gegeben; — an der Flachkuppel der
2. Cap. r. dagegen hat St. der Auffassung seiner Schule seinen vollen
Zoll entrichtet in einem Gegenstande, der über den Horizont derselben
ging: Christus in der Vorhölle. — Ausserdem ist hier ein Maler zu
beachten, bei welchem man sonst nicht gewohnt ist, Besseres in die-
bser Gattung zu suchen: der Calabrese. Im Querschiff von S. Pietro
a Majella hat er in flachen Deckenbildern die Geschichten Papst Cö-
lestins V und der heil. Catharina von Alexandrien gemalt, diessmal
nicht bloss mit äusserlicher Energie, sondern mit Geist und Beson-
nenheit; beinahe würdevoll wird sein Naturalismus in dem Bilde, wo
die Leiche der Catharina von fackeltragenden, blumenstreuenden, sin-
genden Engeln auf Wolken nach dem Sinaï gebracht wird.
Allein nur zu bald gestaltet sich die Gewölbemalerei zum Tum-
melplatz aller Gewissenlosigkeit. In Erwägung, dass selten Jemand
die physischen Kräfte habe, ein Deckenbild genau und lange zu prü-
fen und dass man doch nur für den Gesammteffect einigen Dank
ernte, reducirte man sich auf denjenigen Styl, von welchem bei Anlass
des Pietro da Cortona (S. 1017) die Rede gewesen ist. Den Übergang
macht der gewissenlose Lanfranco, zunächst indem er den Dome-
cnichino bestahl (Pendentifs der Kuppel im Gesù nuovo zu Neapel,
dauch die in SS. Apostoli daselbst, wo auch all die gleichgültigen,
unwahren Malereien der Decke und der bessere „Teich von Bethesda“
über dem Portal von L. sind), dann durch zuerst schüchterneres, bald
efrecheres Improvisiren (Gewölbe und Wandlunetten in S. Martino da-
fselbst; Kuppel in S. Andrea della Valle zu Rom). Wie er sonst das
gÜbersinnliche anzupacken gewohnt war, zeigt z. B. sein S. Hierony-
mus mit dem Engel (Mus. v. Neapel). Die Nachfolger bekamen nun
nicht bloss Kuppeln, sondern Kirchengewölbe aller Art mit Glorien,
Paradiesen, Assunten, Visionen zu füllen; ausser den schwebenden,
in allen Graden der Untensicht gegebenen Gruppen und Gestalten
setzt sich am Rande ringsum ein Volk von andern Gruppen an, wel-
ches auf Balustraden, Absätzen u. s. w. steht; für diese schuf Pozzo
[1043]Kuppel- und Gewölbefresken.
(S. 387) jene neue Räumlichkeit in Gestalt prächtiger perspectivischer
Hallen. Wo bleibt nun das wahrhaft Überirdische? Mit einer unglaub-
lichen Oberflächlichkeit sieht man dem Coreggio das Äusserlichste sei-
ner Schwebeexistenz, seiner Leidenschaft, seiner Ekstasen, namentlich
seine Wolken und Verkürzungen ab und combinirt daraus jene tau-
sende von brillanten Schein- und Schaumscenen, deren illusionäre
Wirkung dann noch durch die oben (S. 388, c u. f) geschilderten
kümmerlichen Hülfsmittel gesteigert und gesichert werden soll. Wer
möchte in diesem Himmel wohnen? wer glaubt an diese Seligkeit?
wem giebt sie eine höhere Stimmung? welche dieser Gestalten ist
auch nur so ausgeführt, dass wir ein Interesse an ihrem Himmels-
dasein haben könnten? Wie lungern die meisten auf ihren Wolken
herum, wie lässig lehnen sie davon herab.
Ausser den bei obigem Anlass angeführten Arbeiten des Pozzo
u. A. sind noch am ehesten folgende zu nennen. Gauli: das grossea
Fresco im Hauptschiff des Gesù in Rom, mit besonders flink gehand-
habten Farben und Verkürzungen; der Maler will mit allen Mitteln
glauben machen, dass seine Heerschaaren aus dem Empyreum durch
den Rahmen herabschwebten gegen den Hochaltar hin. (Ölskizze imb
Pal. Spada.) — In Genua die brillantesten: Gio. Batt. Carlone
(Fresken von S. Siro etc.), und Carlo Baratta (S. M. della Pace,c
Querschiff r., Assumption der heil. Anna). — In Venedig: der hell-
farbige Gio. Batt. Tiepolo, der die Untensicht vielleicht am wei-
testen treibt, sodass Fusssohlen und Nasenlöcher die charakteristischen
Theile seiner Gestalten sind. (Assunta, an der Decke von S. M. dellad
pietà, an der Riva; Glorie des heil. Dominicus in SS. Giov. e Paolo,e
letzte Cap. r.) Wie zuerst Mengs mit seinem einsamen Protest die-
ser wuchernden Ausartung gegenüberstand, ist oben (S. 1014) erwähnt
worden. Die vollständige Reaction von Seiten eines neuclassischen
Styles, den wir nicht mehr zu schildern unternehmen, tritt ein mit
Andrea Appiani. (Fresken in S. Maria presso S. Celso in Mailand.)f
Die profane Malerei ist in Zeiten eines allverbreiteten Na-
turalismus von der heiligen kaum zu scheiden. Vollends die Ge-
schichten des alten Testamentes, z. B. in den vielen Bildern von halben
66*
[1026[1044]]Moderne Malerei.
und ganzen Figuren, welche aus Guercino’s Werkstatt hervorgingen,
werden von den profanen Historien im Styl nicht abweichen. Es giebt
z. B. gerade von Guercino ausser den gleichgültigen Historien (z. B.
aAhasver und Esther, bei Camuccini) auch einige vortreffliche wie die
oben (S. 1012) genannten, oder wie sein „Salomo mit der Königin von
bSaba“ (S. Croce in Piacenza, Querschiff r.). — Geschichten wie die
der Susanna, oder der Frau des Potiphar mit Joseph (grosse Bilder
cdes Biliverti im Pal. Barberini zu Rom und in den Uffizien), oder
des Loth und seiner Töchter, Situationen wie die der Judith nehmen
von der Bibel nicht mehr als den Vorwand her. (Die Susanna des
dCapuccino im Pal. Spinola, Str. nuova, zu Genua.) Die schönste
eJudith ist ohne allen Zweifel die des Cristofano Allori (Pal.
fPitti, kleines Ex. im Pal. Corsini zu Florenz, sehr ruinirtes Ex. im
gPal. Connestabile zu Perugia); freilich eine Buhlerin, bei welcher es
zweifelhaft bleibt, ob sie irgend einer Leidenschaft des Herzens fähig
ist, mit schwimmenden Augenlidern, schwellenden Lippen und einem
bestimmten Fett, wozu der prächtige Aufputz vorzüglich gut stimmt.
hEdler ist wohl bisweilen Guido’s Judith (z. B. im Pal. Adorno zu
Genua); auch die des Guercin (S. 1036); bei beiden hie und da mit
dem Ausdruck sehnsüchtigen Dankes. — Auch die Tochter des He-
rodes ist als Gegenstand am besten hier zu nennen. (Kalt und pomp-
ihaft, von Guido, Pal. Corsini in Rom.) Bei Domenichino sind
alttestamentliche Historien im Ganzen das allerschwächste. Vier Ovale
kal fresco, in S. Silvestro a monte cavallo zu Rom, 1. Querschiff; (im
r. Querschiff sieht man das fleissige Hauptbild eines seiner wenigen
lSchüler, Ant. Barbalunga, Gottvater in einer Glorie, unten zwei
mHeilige); — im Casino Rospigliosi: das Paradies, und der Triumph
nDavids (?); — Pal. Barberini: der Sündenfall, aus lauter Reminiscenzen
bestehend. — David mit Goliaths Haupt, das Gegenstück zur Judith,
unzählige Male, am gemeinsten von Domenico Feti, der ihn auf
odem Haupte sitzen lässt (Pal. Manfrin in Venedig).
Die Parabeln des neuen Testamentes, welche durch edle Be-
handlung gar wohl einen biblischen Typus erhalten können, erman-
geln in dieser Zeit durchgängig einer solchen Weihe, ohne doch durch
genrehaften Reiz (wie z. B. bei Teniers) oder durch Miniaturpracht
p(wie z. B. Elzheimer’s „verlorner Sohn“ im Pal. Sciarra) zu ent-
[1045]Scenen des A. T.; Parabeln; Profanmalerei.
schädigen. Dem Calabrese, als er die Rückkehr des verlornen
Sohnes malte (Museum von Neapel), erschienen offenbar die Präce-a
dentien seiner Hauptperson als etwas sehr Verzeihliches. „Es hat
eben sein müssen.“ — Domenico Feti (mehrere kleine Parabel-
bilder im Pal. Pitti und den Uffizien) ist hier einer der Bessern.b
Die eigentlich profane Malerei, mythologischer, allegorischer und
historischer Art, wozu besonders noch eine Menge Scenen aus Tasso
kommen, kann hier nur kurz berührt werden. Die Caracci gaben
mit ihrem Hauptwerk im Pal. Farnese im Ganzen den Ton an. Wiec
sie hier die idealen Formen bildeten, ohne reine Grösse und ohne
rechtes hinreissendes Leben (S. 1011), aber tüchtig und consequent,
so componirten sie auch die Liebesscenen der Götter. Was sie in
Bologna von römischer Geschichte u. dgl. in die Friese von Sälen ge-
malt haben (Pal. Magnani, Pal. Fava), ist daneben kaum des Aufsu-d
chens werth. (Bedeutend sollen Lod. Caracci’s Fresken im Pal.e
del Giardino zu Parma sein.) Von den Kaminbildern der Schule wer-
den leider die besten ausgesägt, wie ich denn eine schöne improvi-
sirte Figur dieser Art von Guido in einem Magazin käuflich gefunden
habe. — Bei Camuccini in Rom drei Bilder aus Tasso, von pastoral-f
heroischer Auffassung, in leuchtend schönen Landschaften, als Werke
des Agostino, Lodovico und Francesco Caracci geltend. —
Das Beste und Schönste verdankt man Domenichino. Das Bild
der schiessenden und badenden Nymphen (Pal. Borghese in Rom)g
zeigt zwar weder ganz reine Formen noch venezianische Lebensfülle,
allein herrliche Motive und jenen echten idyllischen Charakter, wel-
cher hier wie bei den Venezianern (S. 976) die glücklichste Eigen-
schaft mythologischer Bilder ist. Die abgenommenen Fresken aus der
Villa Aldobrandini bei Frascati (jetzt ebenda) behaupten diesen selben
Charakter durch ihre Anordnung in grossartiger Landschaft. Die
Deckenfresken im Hauptsaal des Pal. Costaguti in Rom enthalten zwarh
eine unglückliche Allegorie (der Gott der Zeit hilft der Wahrheit, sich
zum Sonnengott zu erheben), aber die Formen sind schöner und ge-
wissenhafter als bei den andern Malern, die in diesem Palast gemalt
haben (Guercino, Albani, Lanfranco etc.) Zwei kleine, sehr hübschei
mythologische Bildchen im Pal. Pitti. — Der nächste, welcher in der
Behandlung des Mythologischen von D. lernte, war Albani, dessen
[1046]Moderne Malerei.
avier Rundbilder der Elemente (Pal. Borghese) die coketteste Lieblich-
keit erreichen, deren ein Bologneser fähig war: ein paar hübsche kleine
bBilder in den Uffizien; hübsche Putten am Gewölbe der Chornische
cin S. M. della Pace zu Rom. Den tiefsten Eindruck muss aber Do-
menichino auch hier auf Nic. Poussin gemacht haben. Sein Triumph
ddes Ovid (Pal. Corsini in Rom), sein Einzug der Flora (Gal. des Ca-
epitols), sein Zeitgott, der den Horen zum Tanze aufspielt (Academie
von Venedig) mit ihren erloschenen Farben und etwas allgemeinen
Formen reizen den Blick nicht; wer aber die Kunst geschichtlich be-
trachtet, wird dieses Streben, in der Zeit der falschen Prätensionen
rein und wahr zu bleiben, nur mit Rührung verfolgen können. Und
einmal ist er auch ganz naiv und schön, in der Hirtenscene oder No-
fvellenscene des Pal. Colonna; einem Bilde, welches sich gar wohl
dem berühmten „Et in Arcadia ego“ (Louvre) gleichstellen darf. —
Guercino hat ausser jenen Fresken der Villa Ludovisi (S. 1016, f) eine
gAnzahl meist gleichgültiger Historienbilder gemalt (Mucius Scævola,
im Pal. Pallavicini zu Genua), unter welchen nur die genannte Dido
hauf dem Scheiterhaufen (im Pal. Spada zu Rom) durch Schönheit des
Ausdruckes und durch ungemeine Kraft der Farbe sich auszeichnet. —
Von einem sonst wenig bekannten Giacinto Geminiani ist in den
iUffizien (I. Gang) eine „Auffindung der Leiche Leanders“, welche
die besten Inspirationen eines Guercino und Poussin in hohem Grade
zu vereinigen scheint. — Guido lässt mit solchen Scenen in der Regel
ksehr kalt. Seine Nausicaa (Mus. von Neapel) hält mit grosser See-
lenruhe Hof zwischen ihren Mägden. Seine Entführung der Helena
l(Pal. Spada) geschieht wie ein anderer Ausgang am hellen Tage.
Das treffliche Bild einer Nymphe und eines Helden, in den Uffizien. —
Von der Elis. Sirani, welche Guido’s maniera seconda zu reprodu-
mciren nicht müde wird, findet man eine Caritas mit drei Kindern im
Pal. Sciarra.
Die Naturalisten malten lieber das Heilige profan als das Profane
ideal; sie entschädigten sich durch das Genre. Salvator, der ihnen
entrann, um sich in allen möglichen Gattungen zu versuchen, gab in
nseinem schon erwähnten Catilina (Pal. Pitti) eine ausgesuchte Ge-
[1047]Mythologie und Allegorie.
sellschaft bösartig gemeinen, vornehm costumirten Gesindels. Carlo
Saraceni malt z. B. (Pal. Doria in Rom) die Juno, welche dema
enthaupteten Argus die Augen mit eigenem Finger ausgräbt, um sie
auf ihren Pfau überzutragen; der Charakter der Göttin ist dieser Action
gemäss.
Mit Pietro da Cortona, bei den Neapolitanern mit Luca
Giordano, beginnt auch für die mythologische und allegorische
Frescomalerei das Zeitalter der reinen Decoration. Pietro’s ungeheures
Deckenfresco, welches den Ruhm des Hauses Barberini verherrlicht,
und seine Deckenmalereien im Pal. Pitti wurden schon angeführt; um
zu errathen, was er eigentlich meint, bedarf es einer beträchtlichen
Kenntniss der barberinischen und mediceischen Hausgeschichte. Der
Plafond Luca’s in der Galeria des Pal. Riccardi in Florenz zeigt,b
wie Cardinal Leopold, Prinz Cosimo (III) u. A. als Lichtgottheiten
auf den Wolken daher geritten kommen; ringsum ist der ganze Olymp
vertheilt. Wie gerne geht man von da zu Giov. da S. Giovanni,
dessen Allegorien (im grossen untern Saal des Pal. Pitti) noch ab-c
surder ersonnen, aber doch noch mit Liebe, Schönheitssinn und Far-
benglanz ausgeführt sind. — Die Cortonisten und Nachfolger Luca’s
noch einmal zu nennen, wie sie sich durch die Paläste von ganz Ita-
lien verbreiteten, verbietet uns der Raum. Wer sich von ihrer Styl-
complicität einen Begriff machen will, braucht z. B. nur dem beliebten
Thema vom Raub der Sabinerinnen nachzugehen und aufzumerken,
was an diesem Moment durchgängig und ausschliesslich hervorgeho-
ben wurde. Luca selber hat in kleinern Bildern, wie z. B. die Gala-
tea in den Uffizien, bisweilen eine Naivetät in Rubens Art. — Imd
XVIII. Jahrh. sind dann die oben (S. 1013, c) genannten römischen Maler
auch in der profanen Gattung bemüht, regelrechte und fleissige Bilder
ohne alle Nothwendigkeit zu Stande zu bringen; in den Plafonds fürst-
licher Säle dagegen lässt man sich schon eher auf Cortona’s Manier
gehen, sowohl im allegorischen Inhalt als im Malwerk. (Pal. Co-
lonna: in der Galeria die zu Ehren des Marcantonio Colonna alle-e
gorisch verklärte Schlacht von Lepanto; ein anderer Plafond, von
Luti, zu Ehren Papst Martins V.)
[1048]Moderne Malerei.
Auch mit der Genremalerei welche hesonders bei den eigent-
lichen Naturalisten gedieh, dürfen wir uns nicht aufhalten. Caravag-
gio, der Schöpfer der neuen Gattung, wählt sich zum Gefäss der-
selben das lebensgrosse venezianische Halbfigurenbild und giebt dem-
selben einen unheimlich witzigen oder schrecklichen dramatischen
aInhalt auf schlichtem dunkelm Grunde. Seine Spieler (Pal. Sciarra
bin Rom), seine lüsterne Wahrsagerin (Gal. des Capitols), seine beiden
cTrinker (Gal. von Modena) sind weltbekannt; im Grunde gehören sein
„Zinsgroschen“ und „Christus unter den Schriftgelehrten“ auch hie-
her. Diese Gattung, bald mehr zur Geschichte, bald mehr zum Fa-
milienporträt sich hinneigend, fand rasch durch ganz Italien Anklang,
trotz ihrer Armuth und Einseitigkeit. Die Schüler Guercins malten
Manches der Art. Der ganze Honthorst geht vorzugsweise darin
dauf, nur mehr nach der burlesken Seite hin. (Pal. Doria in Rom, Uf-
efizien in Florenz, wo u. a. sein Bestes, ein Souper von zweideutiger
Gesellschaft; Anderes in allen grössern Sammlungen.) Andere Nach-
fahmer: Manfreddi, Manetti, Giov. da S. Giovanni (Alle im
gPal. Pitti), Lionello Spada (grosse Zigeunerscene in der Gal. von
Modena); — einiges recht Gute in der Academie von Venedig, ein
hLautenspieler mit Weib und Knabe, eine Gruppe von drei Spielern
(etwa von Carlo Saraceni? welchem die treffliche Figur eines Lau-
itenspielers im Pal. Spinola zu Genua angehört.) Andere gehen ins
harmlose Existenzbild zurück; der Capuccino und Luca Gior-
kdano malen Köchinnen mit Geflügel (Pal. Brignole in Genua; Pal.
lDoria in Rom); der Calabrese aber, vielleicht wie die Letztge-
nannten von Niederländern inspirirt, schuf ein grosses stattliches Con-
mcert in ganzen Figuren (Pal. Doria. — Eine gute, wirklich niederländi-
nsche „Musik bei Tische“ im Pal. Borghese). — Salvators halbe und
oganze Figuren sind insgemein blosse renommistische Möblirbilder. (Pal.
Pitti: un poeta; un guerriero.)
Neben diesem caravaggesken Genre gab es seit Anfang des XVII
Jahrh. in Rom ein anderes im eigentlich niederländischen Sinn. Der
Holländer Peter van Laar, genannt Bamboccio, Michelangelo
Cerquozzi, Jan Miel u. m. a. nordische und italienische Maler
haben in dieser Gattung die wahren Gesetze und Bedingungen erkannt
und danach manches Vortreffliche geschaffen. (Der Verfasser kennt
[1049]Genre und Schlachten.
sie nur fragmentarisch. Hauptsammlung hiefür: Pal. Corsini ina
Florenz; von Cerquozzi vielleicht das Beste im Ausland; ein gutes
kleines Bild des Jan Miel: der Dornauszieher, in den Uffizien). Wasb
von Jacques Callot gemalt ist, hat bei Weitem nicht den Reiz
seiner Radirungen; Manches ist auch nicht sicher benannt. (Les
malheurs de la guerre, Reihe von Bildchen im Pal. Corsini zu Rom;c
figurenreiche Stadtansichten und noch eine Reihe kleinerer Bildchen,
die letztern wohl geringern Theils von ihm, in der Acad. v. Venedig.)d
— Dieses Alles wird nun weit überboten durch jene Anzahl von Klei-
nodien der eigentlichen holländischen und Antwerpner Schule
in den Uffizien, deren Besprechung wir uns versagen müssen. Keinee
Sammlung Italiens und nicht eben viele des Nordens können sich an
Cabinetsbildern dieser Art mit der genannten messen. In Venedig
hat die Academie fast nur zweifelhaft Benanntes; im Pal. Manfrin:f
Jan Steen’s Alchymist, noch im Ruin ein Juwel; Gerard Dow’s Arzt
wohl nur eine Copie. — Die damalige officielle Ästhetik der Italiener
verabscheute im Ganzen das Genre, soweit es nicht, wie ihre übrige
Malerei, im Affect aufgehen wollte. Daher der Vorzug jener Halbfi-
gurenbilder ohne räumliche Umgebung und ohne Zuthaten.
In den kleinern Nebengattungen repräsentirt Castiglione das
Thierstück, ohne recht zu wissen, was er wollte, in zum Theil lebens-
grossen Möblirbildern (Pal. Colonna in Rom; Uffizien); Mario de’g
Fiori aber eine nur decorativ gemeinte Blumenmalerei (Spiegelcabi-h
net im Pal. Borghese). Man vergleiche damit die unendliche Natur-
liebe einer Rahel Ruysch und die zwar schon mehr conventionelle,i
aber noch höchst elegante Palette eines Huysum (Pal. Pitti).
Eine eigenthümliche Gattung der damaligen italienischen Kunst
war ihre Schlachtenmalerei; d. h. die Darstellung des Gewühles
als solchen, wesentlich nach Farben und Lichtmassen angeordnet.
Ausser Cerquozzi hat Salvator Rosa hierin den Ton angegeben,
in welchen sich jedoch ein kenntliches Echo aus der Amazonenschlacht
des Rubens zu mischen scheint. Von ihm und seinen neap. Nachah-
mern Aniello Falcone und Micco Spadaro Schlachten und Auf-k
ruhrsbilder im Museum von Neapel; von ihm eine grössere und eine
[1050]Moderne Malerei.
akleinere Schlacht im Pal. Pitti, Einiges auch im Pal. Corsini zu Flo-
renz. Von dem farbenreichern Bourguignon, in welchem Cer-
bquozzi und Rosa zusammentreffen, gelten als echt u. a. zwei Schlachten
cim Pal. Borghese, eine grosse im Pal. Pitti, zwei grosse (wahr-
dscheinlich Abbildungen bestimmter Ereignisse) und zwei kleinere in
eden Uffizien, zwei im Pal. Capponi zu Florenz, und mehrere im Pal.
fCorsini ebenda, wo man auch die ganze Schule kennen lernt, die sich
an diese Künstler anschloss. Gegenüber dem ganz geistesleer gewor-
denen, einst von der Constantinsschlacht abgeleiteten Schlachtbilde der
Manieristen (z. B. bei Tempesta) muss diese neue Behandlungsweise
ein grosser Fortschritt heissen. Allein neben prächtig hervortretenden
Episoden (die sich dann zu wiederholen pflegen) läuft auch ganz ge-
dankenloses Flickwerk mit. In einigen Jahrzehnden hatte man sich,
wie es scheint, an der Gattung so völlig satt gesehen, dass sie ein-
schlief. Oder das unkriegerische Italien überliess sie den Franzosen
(Van der Meulen) und den Deutschen, bei welchen Rugendas sie neu
und eigenthümlich belebte.
Eine der schönsten Äusserungen des europäischen Kunstgeistes
dieser Periode ist die Landschaftmalerei. Ihre wichtigsten Entwick-
lungen gehen auf italienischem Boden, in Rom, aber grösstentheils
durch Nichtitaliener von Statten.
Angeregt durch flandrische Bilder hatte sie im XV. Jahrh. die
ersten naturgemässen Hintergründe geliefert, nicht um für sich et-
was zu bedeuten, sondern um nach Kräften die Stimmung des Be-
schauers beim Anblick heiliger Scenen (S. 800—844) und liebevoll ge-
malter Bildnisse (S. 861) zu erhöhen. Dann hatte Rafael sie zu einer
höhern, gesetzmässigen Mitwirkung herbeigezogen, als er in möglichst
Wenigem das Leben der Patriarchen zu schildern hatte (S. 926).
g(Von Polidoro und Maturino zwei Frescolandschaften in S. Sil-
vestro a Montecavallo zu Rom, in einer Cap. links.) Zu gleicher Zeit
erkannte Tizian ihre hohe Unentbehrlichkeit für die Existenzmalerei und
legte bei entscheidenden Anlässen (S. 970, e; 974, a) den poetischen Aus-
druck wesentlich mit in die landschaftliche Umgebung. Er zuerst
hat diesen Theil der Welt in malerischer Beziehung vollkommen ent-
[1051]Landschaft des XVI. Jahrhunderts.
deckt und die enge Verbindung von landschaftlichen und Seelenstim-
mungen künstlerisch benützt. Tintoretto und die Bassano gingen ihm
nach so weit sie konnten (S. 985). Dosso Dossi kam, vielleicht selb-
ständig, fast so weit als Tizian (S. 943, u. f.).
Seit dem Ende des XVI. Jahrhunderts ist in Italien schon ein
allgemeines Bedürfniss nach landschaftlicher Anregung vorhanden, dem
aber die noch regierenden Manieristen, wie es scheint aus Hochmuth,
zu genügen verschmähten. Da liess man sich ganze Schiffsladungen
von Gemälden aus der grossen Antwerpener Fabrik der Breughel
kommen. Jede italienische Galerie enthält ein paar, oft viele von
diesen grünen, bunten, überladenen, miniaturartig ausgeführten Bildern,
welche mit allen möglichen heiligen und profanen Geschichten staffirt
sind. Vier von den allerfleissigsten, ohne Zweifel von Jan, dem sog.a
Sammetbreughel (1568—1625), in der Ambrosiana zu Mailand; — ein
ganz kleines im Pal. Doria zu Rom vereinigt z. B. folgende Staffage:b
Wallfischfang, Austerfang, Eberjagd und eine der Visionen des Jo-
hannes auf Pathmos. Dieselbe Galerie, eine der wichtigsten für diec
ganze Landschaftmalerei, enthält auch Landschaften der Bassano, u. a.
eines sonst nicht genannten Apollonio da Bassano, eine grosse von
Gio. Batt. Dossi, staffirt mit einer fürstlichen Begrüssungscene und —
beiläufig gesagt — auch einen Orpheus in der Unterwelt und eine
Versuchung des heil. Antonius, von dem seltenern Höllenbreughel.
Die Antwerpener Bilder sind freilich meist durch ihre Buntheit und
durch das Mikroskopische ihrer Ausführung stimmungsloser als die
der Bassaniden, welche prächtige scharfe Lichter und duftige Schatten
über ihre Felsgebirge mit steilen Städten dahinschweben lassen.
Ausser den Gemälden kamen auch Maler aus den Niederlanden,
so Matthäus Bril, der z. B. im Vatican (Sala ducale, Biblioteca)d
Veduten und freie Compositionen, beide gleich stimmungslos, al fresco
malte. (Ein Bild im Pal. Colonna.) Dann sein jüngerer Bruder Paule
Bril (1554—1626), der wichtige Mittelsmann für die Verbindung der
niederländischen und der italienischen Landschaft. Seine frühen Bilder
sind noch bunt (Pal. Sciarra), erst allmälig wird der Poet zum Künst-f
ler und lernt sein Naturgefühl grossartig aussprechen. Ob er dem
Annibale Caracci oder dieser ihm mehr verdanke, mag dahingestellt
bleiben; jedenfalls ist er der erste Niederländer, in welchem ein hö-
[1052]Moderne Malerei.
aheres Liniengefühl erwacht. (Bilder aus allen seinen Perioden in den
bUffizien; zwei aus der mittlern Zeit im Pal. Pitti. Frescolandschaf-
cten im Anbau rechts bei S. Cecilia in Rom.) Parallel mit ihm ent-
wickelt Adam Elzheimer von Frankfurt (1574—1620) eine nicht
geringere künstlerische Macht in seinen köstlichen Miniaturen. (Uffi-
dzien: Hagar im Walde, Scene aus der Geschichte der Psyche, Hirte
mit der Syrinx.) Seine Eichen, seine herrlichen Fernen, seine Fels-
abhänge sind naturpoetisch in ganz schönen Linien. Was von Vincke-
boms, von Jodocus Momper u. a. Malern dieser Generation in Italien
ist, kann Verfasser dieses nicht gehörig sondern; so oft ihn aber das
eGlück nach Florenz führt, gehören die beiden Landschaften des Ru-
bens (Pal. Pitti) zu seinen grössten Genüssen. Die „Heuernte bei
Mecheln“, in den bescheidensten landschaftlichen Formen, giebt eine
ganz wonnevolle Mitempfindung des Luft- und Lichtmomentes, wäh-
rend die „Nausicaa“ mit ihrer reichen Fels- und Seelandschaft und
ihrer phantastischen Beleuchtung uns in den Mitgenuss eines fabel-
haften Daseins erhebt. (Nicht als Pendants gemalt, wie die ungleiche
Grösse zu allem Überfluss zeigt.) Was von Ruysdael, Backhuyzen
und andern Holländern in Italien ist, kommt neben den Schätzen nor-
discher Sammlungen kaum in Betracht; das „Schlösschen im Weiher“
fvon Andr. Stalbent (Uffizien) und die mürrische Landschaft Rem-
gbrandts (ebenda) möchten es reichlich aufwiegen.
Von Tizian stammt wahrscheinlich die Anregung her, welche in-
zwischen die Bolognesen zu ihrer landschaftlichen Auffassung be-
geistert hatte. Es ist das Gesetz der Linien, welches sie der nieder-
ländischen Regellosigkeit gegenüberstellen, die Öconomie und edle
Bildung der Gegenstände, die Consequenz der Farbe. Sie lassen der
Landschaft einstweilen nur selten das alleinige Recht; Annibale hat
offenbar eine gemischte Gattung erstrebt, in welcher Landschaft und
Historie einen gemeinsamen Eindruck hervorbringen sollten. (Mehrere
hHalbrundbilder mit Geschichten der Jungfrau, Pal. Doria; eine kleine
iMagdalena, ebenda; eine andere im Pal. Pallavicini zu Genua; — von
kden übrigen Caracci die oben, S. 1045, f genannten Bilder bei Camuccini;
lvon Agostino eine Felslandschaft mit Badenden in Guachefarben,
Pal. Pitti.) Von Grimaldi, dem Hauptlandschafter der Schule, wird
man in Italien wenig zu Gesichte bekommen, leider auch von Dome-
[1053]Landschaft des XVII. Jahrhunderts.
nichino. (Schöne Landschaft mit Badenden im Pal. Torigiani zua
Florenz; zwei stark geschwärzte in den Uffizien; Fresken im Casinob
der Villa Ludovisi.) Von Franc. Mola kommt mehrfach ein S.c
Bruno in schöner Gebirgsgegend vor (u. a. Pal. Doria).d
Salvator Rosa, ein halber Autodidact in der Landschaft, ist
hier wahrer und mächtiger inspirirt als in allen übrigen Gattungen;
den Werken der Bologneser und der bald zu nennenden Franzosen
verdankt er wohl nur seine höhere Ausbildung. Abendliche, oft zornig
beleuchtete Felsgegenden und schroffe Meeresbuchten (Pal. Colonna ine
Rom), unheimlich staffirt, sind Anfangs sein Hauptgegenstand; dann
erhebt er sich zu einer ruhig grandiosen, durch bedeutende Formen
und Ströme von Licht überwältigenden Art. (La selva de’ filosofi,f
d. h. die Geschichte des Diogenes, im Pal. Pitti; — die Predigt Jo-
hannis, und die Taufe Christi, im Pal. Guadagni zu Florenz, Haupt-g
bilder; Anderes in den Pal. Corsini und Capponi so wie in denh
Uffizien ebenda.) Dazwischen oder später malte er auch frechere
Bravourbilder (la pace, im Pal. Pitti) und kalte, sorgfältige, grosse,i
überfüllte Marinen (ebenda). Aus welcher Zeit die phantastische
Landschaft mit der gespenstischen Leiche des heil. Paulus Eremita
sein mag, wage ich nicht zu entscheiden (Brera in Mailand). — Bilderk
seines Schülers Bart. Torregiani im Pal. Doria zu Rom.l
Der bewussteste von Allen aber, der definitive Schöpfer der land-
schaftlichen Gesetze ist Nic. Poussin. Seine wichtigern Land-
schaften sind fast alle in Paris, doch findet man im Pal. Sciarra jenem
einfach herrliche Flusslandschaft, in welcher S. Matthäus mit dem
Engel zwischen Ruinen sitzt. Sein Schüler und Verwandter war
Caspar Dughet, genannt Gaspero Poussin oder Pussino
(1613—1675). Bei ihm redet die Natur die gewaltige Sprache, welche
noch jetzt aus den Gebirgen, Eichwäldern und Ruinen der Umgegend
Roms hervortönt; oft erhöht sich dieser Ton durch Sturmwind und
Gewitter, welche dann das ganze Bild durchbeben; in den Formen
herrscht durchaus das Hochbedeutende, namentlich sind die Mittel-
gründe mit einem Ernst behandelt, wie bei keinem Andern. In beiden
Seitenschiffen von S. Martino a’ monti zu Rom eine Anzahl von meistn
sehr entstellten Frescolandschaften mit den Geschichten des h. Elias;
im Pal. Colonna 13 Landschaften in Wasserfarbe, — beide Reiheno
[1054]Moderne Malerei.
bestehen die grosse Probe, ob eine Landschaft bloss durch Linien und
Hauptformen, ohne den Reiz leuchtender Farben und Details existiren
akönne. — Im Pal. Corsini zu Rom: unter mehrern kaum minder treff-
lichen: der Sturm, und: der Wasserfall, letzteres Bild durch unglück-
liches Nachdunkeln, zumal des Grünen, sehr benachtheiligt, wie noch
bviele andere Bilder Gaspero’s. — In der Academia di S. Luca: meh-
crere treffliche Bilder. — Im Pal. Pitti: vier köstliche kleine Bilder,
dwelche vorherrschend klar geblieben sind; — in den Uffizien: eine
kleine Waldlandschaft.
Derjenige Typus, welchen Annibale vorgebildet, die beiden Pous-
sin ausgebildet hatten, blieb nun lange Zeit in der Malerei der herr-
schende, sodass die Holländer mit ihrer mehr realistischen Land-
schaft im Ganzen eine (allerdings glorreiche!) Minorität bildeten. Er
stellt eine unbenützte Natur dar, in welcher die Spuren der Men-
schenhand nur als Bauwerke, hauptsächlich als Ruinen der Vor-
welt, auch als einfache Hütten zum Vorschein kommen. Das Men-
schengeschlecht, das wir darin voraussetzen oder auch wohl dargestellt
finden, gehört entweder der alten Fabelwelt oder der heiligen Ge-
schichte oder dem Hirtenleben an; der Eindruck im Ganzen ist daher
ein heroisch-pastoraler.
Seine höchste Verklärung erhielt dieser Typus durch den Zeit-
genossen der Poussin, Claude Gelée, genannt Lorrain (1600 bis
1682). Er war längere Zeit der Gehülfe des Agostino Tassi, eines
eMitstrebenden des Paul Bril (Werke Tassi’s im Pal. Corsini zu Rom,
fin den Uffizien und im Pal. Pitti); seine Höhe erreichte er nach einer
höchst prüfungsvollen Jugendzeit in Rom. Seine Landschaften sind
im Bau weniger gewaltig als diejenigen des Gaspero, allein es liegt
auf denselben ein unausprechlicher Zauber. Claude, als reingestimmte
Seele, vernimmt in der Natur diejenige Stimme, welche vorzugsweise
den Menschen zu trösten bestimmt ist und spricht ihre Worte nach.
Wer sich in seine Werke vertieft — schon ihre gleichmässige schöne
Vollendung macht diess zu einer dankbaren Arbeit — für den ist kein
gweiteres Wort von Nöthen. — Im Pal. Doria zu Rom: il molino
(frühes Bild); der Tempel Apolls (Hauptwerk); Ruhe auf der Flucht.
h(Im Pal. Rospigliosi, unsichtbar: u. a. der Tempel der Venus.) — Im
iPal. Sciarra: Reiter an einem Hafen; die Flucht nach Ägypten, bei-
[1055]Landschaft des XVII. Jahrhunderts.
des kleine Juwelen. — Im Pal. Barberini: eine kleine Landschaft. —a
Bei Camuccini: ein Seehafen. — Im Museum von Neapel: ein Sonnen-b
untergang am Meere; die Grotte der Egeria (fast zu kühl für Claude?).
— In den Uffizien: Abendlandschaft mit Brücke, Strom und Gebirg;c
abendliche Marine mit Palästen.
Von seinen Nachfolgern ist nichts in Italien, das ihm irgend nahe
käme. Die Bilder von Swanevelt (im Pal. Doria zu Rom und imd
Pal. Pitti), von Joh. Both (ebenda), von Tempesta-Molyn (Pal.e
Manfrin in Venedig), bis zu den Improvisationen des Orizzontef
(wovon ein oberer Saal in der Villa Borghese ganz voll ist) und zug
den oft sehr fleissigen Architekturbildern eines Pannini (Pal. Cor-h
sini in Rom) geben immer nur einzelne Strahlen des Lichtes, das sich
in Gaspero und Claude so mächtig gesammelt hatte.
Wer diesen beiden Meistern ausserhalb Italiens wiederbegegnet,
dem werden sie vielleicht viel stärker als die glänzendsten modernen
Veduten das Heimweh rege machen, welches nur zeitweise schlum-
mert, nie stirbt, nach dem unvergesslichen Rom. Der dieses schreibt,
hat die Erfahrung gemacht. Er wünscht denen, die ihn lesen, billi-
gen und zum Begleiter über die Alpen mitnehmen, das ruhige Glück
der Seele, welches er in Rom genossen hat, und dessen Erinnerung
ihm selbst aus den schwachen Nachbildungen jener hohen Meister-
werke so übermächtig entgegenkömmt.
[[1056]]
Appendix A NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN.
Zu Seite 67, h:
aIm Lateranischen Museum ein ganzer Saal mit decorativen Fragmenten.
Zu Seite 186, f:
Auch das Haus No. 1617 mit seinem schönen achtsäuligen Hof und dessen
bedlem Detail könnte wohl von dem Urheber des Pal. Gondi herrühren.
Zu Seite 266, c:
cDie Decke von S. Agnese fuori.
Seite 303, Zeile 14 von oben muss lauten:
Ist es (im Gegensatz gegen die Florentiner) die Vorliebe für den etc.
Seite 319, Zeile 15 von unten,
statt: nicht als, lies: nichts als.
Seite 335, Zeile 6 von unten,
statt: die vier Ecken, lies: die Winkel der vier Eckräume etc.
Zu Seite 726, unten:
In den zahlreichen Stillleben (zumal Küchenvorräthen und todten Thieren)
erkennt man recht gut eine Kunst, die der Illusion in hohem Grade fähig war,
derselben aber in der Wandmalerei wenigstens nicht über eine bestimmte Linie
hinaus nachging. Der Besteller verlangte die Sachen, noch nicht ihren möglichst
schönen, durch Gruppirung, Hintergrund, Licht, Luft und alle möglichen Kunst-
mittel veredelten Schein, wie die Holländer zur Zeit des David de Heem. — Das
dzierlichste antike Mosaik Roms, die Schaale mit den Tauben (Museo capit., Zim-
mer der Vase) ist vielleicht für den Grad der Illusion, welchen man im äusser-
sten Fall und mit den kostbarsten Mitteln erstrebte, eines der belehrendsten
Beispiele.
Seite 759, Zeile 8 von oben sind die Worte:
„Incoronata in Neapel“, zu streichen.
Zu Seite 786, d ist beizufügen:
Vgl. Seite 625, **.
Zu Seite 950, b:
Von den Genrebildern des Qu. Messys und seiner Schule, welche am ehe-
sten als Antwerpener Comptoirscherze zu bezeichnen sein möchten, finden sich
ein Italien mehrere. (U. a. im Pal. Doria zu Rom zwei Geizhälse mit zwei Zu-
schauern.)
Zu Seite 934, Anmerkung:
fDie zwölf Apostel, welche man jetzt in S. Vincenzo alle tre Fontane an den
Pfeilern gemalt sieht, wurden von Schülern, vielleicht nur nach den Stichen des
Marcanton, ausgeführt. Das Urbild der letztern waren vermuthlich die Apostel,
welche Rafael in einem später umgebauten Saal des Vaticans gemalt hatte.
[[1057]]
Kommenden gebraucht, also z. B. in Kirchen nicht vom Hoch-
altar, sondern vom Portal aus verstanden. Das Portal ist immer
das der Hauptfronte, wo das Gegentheil nicht ausdrücklich be-
merkt wird.
für wenige Stellen benützt worden, welche ohne Ausnahme mit
der Chiffre [Br.] bezeichnet sind. Ich halte es für Unrecht, ein
neues Buch dieser Art umständlich auszubeuten, vollends wenn
diess ohne Nennung des Verfassers geschieht. — An das Schick-
sal eines gewissen Autors in der Viola del pensiero, Jahrgang
1839, will ich gar nicht erinnern.
phe mitten über eine Säule zu stehen, gegen die Ecken hin aber werden die
Metopen breiter, so dass die Triglyphe auf die Ecke rücken kann. Im In-
nern besteht das Gesimse zwischen den beiden Ordnungen aus einem blossen
Architrav mit Hohlkehle, da ein Fries, als Sinnbild des Decken-Randes, hier
nicht am Platze wäre. Das Gesimse über der obern Ordnung besteht eben-
falls aus einem ähnlichen Gliede, allein wir wissen nicht, was einst noch dar-
über lag und wie der Dachrand ansetzte.
sianstempels und in Pompeji an vielen Bauten begegnet man einem ionischen
Capitäl, welches statt der beiden Seitenvoluten vier Eckvoluten hat; gewiss
eine secundäre und nicht eben glückliche Schöpfung.
nach Fragmenten, welche allerdings auch von korinthischen Bauten herstam-
men mögen; allein beide Ordnungen stimmen mit Ausnahme des Capitäls bei
den Römern überein.
drei Säulen der Ostseite, welche er in seinem und seiner Zeit bombastischem
gestellt; sicher ursprünglich ist nur der Architrav.
oder nur in Bruchstücken. Ein solches, mit den schönsten Akanthusranken,
*welche in Schoten auslaufen, mit pickenden Vögeln u. s. w. findet sich in den
Uffizien (äussere Vorhalle). Viel bescheidener, obwohl noch immer von gros-
sem Reichthum, ist die vollständig erhaltene Thüreinfassung vom Porticus
**der Eumachia zu Pompeji (jetzt im Museum von Neapel als Eingang der Halle
des Jupiter verwendet).
richten.
des Zufalls.
sche (im Braccio nuovo) eine sein soll, ist gänzlich unbekannt.
etwa unter Marc Aurel erbaut gewesen. Ich kenne die archäologischen Gründe
für die jetzige Benennung nicht, glaube aber, dass die frühere besser zum
Styl des Gebäudes passte. Für Trajan’s Zeit sind die Formen wohl schon
zu flau und ausgeartet. Vielleicht wurde der Tempel wohl zur Ehre Mar-
ciana’s, aber erst lange nach ihrem Tode gebaut.
Römerbauten überall vorkömmt — schräg über einander liegende quadrati-
sche Backsteinenden — war nicht bestimmt gesehen zu werden, sondern den
Mörtel zu tragen.
Capitäl erhalten, welches für solche kleinere Aufgaben sehr wohl passte. Es
hat bloss vier Blätter, welche gleich die Eckvoluten tragen; zwischen ihnen
*unten Eier, oben am Kelche Palmetten. In S. Niccolò in Carcere zu Rom haben
sich von einem der Tempel, welche in diese Kirche verbaut sind, noch fünf
Säulen mit solchen Capitälen gerettet. Der noch sehr guten Detailbildung
gemäss möchten sie dem II. Jahrhundert angehören.
hundert hing es an einem Haar, dass nicht für den Neubau von S. Denys
bei Paris die Säulen fertig von Rom bezogen wurden.
dung des Untersatzes und der fünf Kegel fast ganz modern.
*bloss den von S. Peter auf seiner Spina (in der Nähe der jetzigen Stelle)
stehen lassen? Erdbeben oder Fanatiker waren es nicht, denn diese hätten
auch gar vieles andere umstürzen müssen, das noch aufrecht steht. Ich rathe
unmassgeblich auf mächtige Schatzgräber in den dunkelsten Zeiten des Mittel-
alters (etwa im X. Jahrhundert) und erinnere an die fast durchweg arg zer-
störten und desshalb abgesägten untersten Theile, wo man den Obelisken
mit Feuer und allen möglichen Instrumenten zugesetzt haben mag. Den von
S. Peter schützte dann wahrscheinlich die Nachbarschaft des Heiligthumes,
oder die mehrmalige Enttäuschung.
der Zeit des Claudius, sondern aus dem III. Jahrhundert, wie die Capitäle
gelassen, sondern unvollendet; wären sie aus dem ersten Jahrhundert, so
hätte man auch Zeit und Kraft gefunden, sie auszumeisseln; wären sie ab-
sichtlich so gelassen, so wäre dies consequenter und nicht so ungleich und
principlos geschehen. Die Architekten des XVI. und XVII. Jahrhunderts,
welche mit Berufung auf dieses Denkmal ihre sog. Rustica-Säulen schufen,
haben sich doch wohl gehütet, die Säulen der Porta maggiore so nachzuah-
men wie sie wirklich sind.
*Ebenso wird man sich beim Amphitheater von Verona leicht überzeugen
können, dass die rohen Theile an dem vorhandenen Bruchstück der äussern
Schale eben nur einstweilen roh gelassen worden waren. Die Steinschichten
sind schon zu ungleich, um mit ihren rohen Flächen absichtlich als echte Rustica
zu wirken; denn diese verlangt die Gleichmässigkeit schon als Vorbedingung
der Festigkeit, welche symbolisch ausgedrückt werden soll. Gleichwohl mussten
hier die unfertigen Pilaster mit fertigen Capitälen als Vorbild der Rusticapilaster
dienen, wie die Säulen an Porta maggiore als Vorbild der Rusticasäulen.
Es soll damit nicht geläugnet werden, dass für ungegliederte Flächen auch
die Römer bisweilen absichtlich die Quader in rohgemeisseltem Zustande lassen
mochten, und dass ihnen die specielle Wirkung, die dabei zum Vorschein
kam, nicht ganz entging.
noch vorhanden. Die jetzige Nische, am rechten Nebenschiff, ist ein etwas
späterer Zusatz.
halle von S. Maria degli Angeli bildet. Die jetzt ganz verschwundene Vor-
derseite lag in der Richtung gegen das prätorianische Lager hin.
die Lichtvertheilung des antiken Baues zweifelhaft. Ich glaube an ein che-
maliges Kuppellicht.
zusammengebaut?
plan zufolge der pompejanischen sehr ähnlich.
Halbkuppeln in den Fassaden, deren eine z. B. hier als Kaiserloge gegen den
Circus dient. Man findet sie wieder an der (jetzigen) Vorderseite der Dio-
*cletiansthermen etc.; dann in christlicher Zeit am Palast des Theodorich zu
Ravenna; als Nachklang an den Portalen von S. Marco zu Venedig; in häu-
figer und sehr colossaler Anwendung an den Bauten des Islams, zumal in
Ostindien; endlich mit herrlicher Wirkung von Bramante zum Hauptmotiv
des Giardino della Pigna (im Vatican) erhoben.
stehe zu der rothen, grünen etc. Farbe des entsprechenden Wandstückes,
wage ich nicht zu entscheiden. Gerade die besten Gemälde haben durch die
Übertragung in das Museum von Neapel ihren Zusammenhang mit der Wand-
farbe eingebüsst.
fast durchgängig (an Wandzierrathen, Stühlen, selbst feinen Schmucksachen)
streng architektonisch gedacht und wiederholt überall ihre Nischen, Sockel,
Fenster, Streben, Pyramiden und Blumen im kleinsten Maassstab ähnlich wie
im grössten. Sie bedurfte jener besondern Erleichterung vom Stoffe nicht
Rolle herunterhängt. Man wird erst spät inne, aus wie kleinen Motiven die
Kunst Zierliches und selbst Schönes zu schaffen weiss.
oben der Stoff bereits überwunden ist.
ist natürlich nur äusserst Weniges erhalten.
in Rom, ist nur schwer zugänglich.
aus einem ganz ähnlichen Tabernakel (über einem ant. Sarcophag), vielleicht
erst vom Jahr 1256.
schiessschartenähnlichen Oberfenstern, also den unten zu nennenden rohern
toscanischen Basiliken verwandt. Das steinerne Dachgesimse bisweilen schon
von eleganter und kräftiger Bildung, während es in Rom noch null ist.
barbarisch, und so auch Späteres, was nicht von den Cosmaten herrührt.
mosaicirt, dagegen merkwürdig als späte Urkunden der antiken plastischen
Decoration. In S. Apollinare in Classe: die Abschlüsse der Rundbank der*
Tribuna, entlehnt vom Bischofsstuhl des h. Damian († 705); der Altartaber-
nakel am Ende des linken Seitenschiffes (806—810); beide Werke mit schon
kalligraphisch leblosen Zierrathen. — In S. Agata: der runde Ambo, spät-**
römisch. — Im Dom: Chorumgang: die beiden abgesondert eingemauerten†
Hälften des runden Ambons aus der Zeit des Erzbischofs Agnellus (556 bis
569) mit flachen Thierfiguren in lauter viereckigen Feldern, schon sehr roh;
in der Sacristei der elfenbeinerne Bischofsstuhl des h. Maximian (546 bis
556), s. d. Sculptur. — In SS. Nazario e Celso (Galla Placidia): der Altar-††
liefs merkwürdig als weil er auf Erhellung durch hineingestellte Lampen be-
*rechnet war. — In S. Apollinare nuovo der besterhaltene Ambon, auf vier
Säulen, mit reichem römischem Detail in barbarischer Anwendung etc. etc.
Auch die beiden Ambonen und das kleine Sacellum (an einem Pfeiler
**links) in S. Marco zu Venedig gehören eher dem Kreise dieser ravenna-
tischen Decoration an als der römischen. Leblose plastische Verzierung mit
Vergoldungen, aber kein Mosaik; die Steingattungen sind an sich selbst schon
kostbar genug. — Ein Unicum des IX. Jahrhunderts ist endlich der mit Re-
†lieffiguren versehene und (nach den alten Spuren neu) bemalte Tabernakel
des Hochaltars in S. Ambrogio zu Mailand.
keit von S. Miniato bei Florenz (angeblich von 1013), welches durchweg die
feinste Durchbildung zeigt.
sich bei einiger Aufmerksamkeit leicht. Offenbar wurde der Thurm lothrecht
angefangen und senkte sich, als man bis in das dritte Stockwerk gelangt war,
worauf man ihn schief ausbaute. — Bei diesem Anlass hat E. Förster
(Handbuch etc., s. d. Art.) eine allgemeine Ansicht nicht nur über diesen
Schiefbau, sondern über die Bauungleichheiten der sämmtlichen umliegenden
Prachtgebäude entwickelt, welcher ich Anfangs glaubte beipflichten zu müs-
sen, bis die Vergleichung anderer italienischer Gebäude des XI. und XII.
Jahrhunderts mich wieder davon abbrachte. Der Raum erlaubt mir hier
keine Widerlegung, sondern nur Gegenbehauptungen, deren Bündigkeit der
Leser beurtheilen mag.
Für’s Erste wagte man damals allerdings absichtliche Schiefbau-
ten; dieser Art ist wohl die Garisenda in Bologna, ein Werk der Prahlerei*
des adlichen Erbauers oder des Architekten; die daneben stehende Torre
degli Asinelli könnte schon eher durch Senkung des Bodens schief gewor-
sehr auffallendes Werk dieser Art; die meisten Bauverwaltungen hätten den
Thurm, als er sich senkte, unvollendet gelassen oder auf bessern Fundamen-
ten neu angefangen; der pisanische Übermuth aber liess sich auf das Schwie-
rige und vielleicht damals noch Unerhörte ein.
Weit die meisten schiefen Gebäude aber sind es ohne Absicht des
Baumeisters geworden, durch ungenügende Fundamente. Das Pilotiren, als
einzige Sicherung bei morastiger oder sonst bodenloser Beschaffenheit der
Erde, scheint nur ungleich und allmälig aufgekommen zu sein; die Frühern
machten sich auf die Senkung des Baues unter solchen Umständen gefasst
und kamen dem Schaden durch Dicke der Mauern, Verklammerungen u. s. w.
zuvor. Einen sprechenden Beleg liefert noch Pisa selbst; der von N. Pisano
*erbaute Thurm von S. Nicola steht sehr merklich schief, allein doch lange
nicht schief genug, um als Werk der Kühnheit mit dem berühmten Campa-
nile wetteifern zu können, welches schon als Gebäude so viel bedeutender
ist; an eine Absicht lässt sich hier nicht denken, wohl aber an eine Voraus-
sicht, wie aus der starken Bildung des Mauercylinders hervorgeht. Ebenso
**ist am Dom von Modena die wahrhaft bedrohlich aussehende Neigung des
ganzen Hinterbaues gegen den ebenfalls geneigten Campanile offenbar eine
unabsichtliche, nur dass der letztere allerdings mit Rücksicht auf diesen Um-
†stand ausgebaut sein mag. (Dagegen stehen Dom und Baptisterium in Par-
††ma völlig lothrecht.) Am Dom von Ferrara neigt die Fassade nicht un-
bedeutend vor, gewiss gegen den Willen des Baumeisters.
Kunstgeschichtlich viel wichtiger wäre die Ansicht Förster’s über den
Zusammenhang des pisanischen Schiefbaues mit den Ungleichheiten der
Vermessung, schrägen und krummen Baulinien, unentsprechenden Inter-
vallen etc.; in all diesem spreche sich nämlich eine Scheu vor dem Mathe-
matischen, vor der völligen Gleichförmigkeit aus; es seien diess: „die unbe-
holfensten Aeusserungen romantischer Bestrebungen“ Da man an griechi-
schen Tempeln (vgl. S. 5) etwas Analoges unbedingt zugeben muss, so hat
diese Annahme etwas sehr Anziehendes. Ich glaube indess die betreffenden
Phänomene anders erklären zu müssen, und zwar nicht durch Mangel an Ge-
schicklichkeit — wovon an den edeln pisanischen Bauten keine Rede sein
kann — sondern durch eine dem frühern Mittelalter eigene Gleichgültig-
keit gegen das mathematisch Genaue. Letzteres verstand sich durchaus
nicht immer so von selbst wie es sich jetzt versteht.
neninsel errichtet, zeigt dieses Gebäude vor Allem in seinen verticalen Thei-
len und Flächen viele unwillkürliche Schiefheiten, doch keine eigentlich auf-
fallende, indem ohne Zweifel das Mögliche geschah, um sie zu vermeiden.
(Der Fussboden der Kirche mit seinen wellenförmigen Unebenheiten beweist
am besten, welche Opfer man bringen musste, um wenigstens Pfeilern und
Mauern eine leidlich lothrechte Stellung zu sichern.) Sehr auffallend dage-
gen ist die Ungleichheit und Unregelmässigkeit sämmtlicher Bogen und Wöl-
bungen, selbst der Kuppelränder. Anfangs ist man versucht, dieselbe von
dem Ausweichen der Pfeiler und Mauern abzuleiten, welches auch in der
That hie und da die Schuld tragen mag; bei längerer Betrachtung dagegen
überzeugt man sich, dass die reine Gleichgültigkeit gegen das Regelmässige
der wesentliche Grund ist. Ich glaube, dass schon die Lehrbogen nicht ein-
mal genau gemessen waren. Man betrachte z. B. die obern Wandbogen an
der Südseite des Aeussern; sie sind krumm und unter sich ungleich, obschon
es hier ganz leicht gewesen wäre sie im reinsten Halbkreis zu construiren
und ihnen diese Form auf immer zu sichern; auch an eine ästhetische Ab-
sicht wird hier Niemand denken wollen, da die bunte Verschiedenheit des
Details schon Abwechselung genug mit sich bringt.
Auf diesen Vorgang gestützt dürfen wir auch in Pisa das (doch sehr
unmerkliche) Überhängen der Domkuppel nach hinten für eine blosse Unge-
nauigkeit, die schiefe Stellung des Baptisteriums (wovon ich mich näher zu
überzeugen versäumt habe) für die Folge einer Bodensenkung halten. — Für
die krummen Linien, ungenauen Parallelen, ungleichen Intervalle am Äussern
des Domes würde ebenfalls S. Marco bündige Analogien bieten; eine nähere
Vergleichung aber gewährt z. B. die Südseite des Domes von Ferrara, wel-**
che von auffallenden Ungleichheiten der Intervalle, Krümmungen der Horizon-
talen u. dgl. wimmelt, während die Anspruchlosigkeit des Baues jeden Ge-
danken an ästhetische Intention ausschliesst.
Die mathematische Regelmässigkeit, welche mit den bald zu nennenden
florentinischen Bauten den Sieg davonträgt, musste eintreten schon in Folge
der strengern Plastik des Details, welche von selbst auf genaue Vermessung
hindrängt; sie war es, welche z. B. an S. Marco noch völlig fehlte. —
Allerdings giebt es noch weit spätere Räthsel, wie z. B. der Dom von
Siena, welche wir als Räthsel müssen auf sich beruhen lassen.
steriums ein Werk des Dombaumeisters Arnolfo, nach 1294. Allein aus Va-
sari’s eigenen Worten schimmert hervor, dass Arnolfo nur das schon Vor-
handene von entstellenden Zubauten befreite und ergänzte.
denen von S. Frediano zu Lucca noch fast ganz der christlich-römischen
Technik folgen, wie sie oben S. 95 u. 96 geschildert wurde.
ganze Fassade.
eigenthümliche Spiegelglätte der Flächen desselben.
in Betreff der „maniera gotica“ und der vermeintlichen „Zerstörungen durch
die Barbaren“ ankleben. Sie halten Dinge für barbarisch, die der schönste
Ausdruck und Überrest ihres eigenen städtischen Geistes im Mittelalter sind
und beklagen einen Ruin, bei dem vielleicht kaum im hundertsten Fall ein
Germane das Brecheisen geführt hat, durchaus auf Rechnung des Nordens.
Wo man wieder für das Gothische Partei nimmt, wie z. B. in Mailand, ge-
schieht es in einer solchen Weise, dass es besser unterbliebe.
Baumeister nennt.
*sem Grunde wurde z. B. in S. Anastasia zu Verona versucht, doch nicht
mit besondern Glück.
Bestätigung. Der Abstand von der nur zwei Jahre früher begonnenen Pieve
ist noch immer gross genug.
*Abbadia in Florenz erwähnt werden. Es stammt aus dem XIV. Jahrhun-
dert, und seine Bogenfriese sind spitzbogig.
Orvieto, lehrt der Augenschein. Dass sie von Giovanni Pisano entworfen
sei, läugnet Rumohr ohne einen Gegenbeweis zu leisten. Er meint: Vasari
habe den Giovanni von Siena, welcher 1340 die Hinterfassade geschaffen,
mit Giovanni Pisano verwechselt und darauf hin diesem die Hauptfassade
zugeschrieben. Ich kann mich nur auf Romagnoli berufen, welcher die sie-
nesischen Urkunden auch kannte und sich (Cenni, p. 14) dahin ausspricht:
Giovanni Pisano habe 1284 die jetzige Hauptfassade begonnen und sei drei
Jahre später zum Bürger der Stadt ernannt worden, beides laut dem Costi-
tato III. Senese.
thum gerathen, vor welchem ihn gerade die von ihm entdeckten und mitge-
theilten Urkunden am ehesten hätten schützen müssen. Derjenige Neubau
(novum opus), von welchem schon im XIII. Jahrhundert die Rede ist, war
nicht der neue Dom, sondern, wie ich glaube, der Chorbau des alten; wahr-
scheinlich war derselbe bisher dem Chorbau von Pisa ähnlich und wurde im
XIII. Jahrhundert durch den jetzigen ersetzt (wobei dem Agostino und Agnolo
von Siena das Anrecht auf die Hinterfassade S. Giovanni ungeschmälert blei-
ben mag). Von diesem Chorbau gilt das Protocoll vom Jahr 1260, a. a. O.
S. 128. Dagegen ist in dem Protocoll vom Jahr 1321, a. a. O. S. 129 f.
offenbar der neue Dom gemeint: „dessen Fundamente jetzt eben gelegt wer-
den“ und der somit unmöglich dasjenige Gebäude sein kann, über dessen ge-
rissene Wölbungen im Jahr 1260 Rath gehalten wurde. Weiter ist von den
„morae“ dieses neuen Domes die Rede, was R. durch „Pfeiler“ übersetzt,
allein es sind die Strebepfeiler der Substructionen gegen den Palazzo del
magnifico hin gemeint; sie senkten sich bereits und man fand sie nicht dick
genug. Einen Augenblick war Muth und Lust zum Weiterbau völlig verlo-
ren. Allein schon in dem Protocoll von 1322, a. a. O. S. 133, trägt eine
grosse und frische Begeisterung den Sieg davon; man thut das Gelübde, nicht
nur den neuen Dom zu bauen, sondern auch den alten damit in Harmonie zu
setzen. In den nächstfolgenden Jahren muss dann dasjenige Gebäude ent-
standen sein, dessen unfertige Ruine wir bewundern. Die 1339 beschlossene
Verlängerung der navis ecclesiæ gegen die Piazza Manetti hin (a. a. O. S. 135)
bezieht sich wahrscheinlich wieder auf den alten Dom; es heisst: de novo fiat et
desshalb nicht dürfe liegen bleiben. Diese navis ist aber wohl wiederum der
schon im XIII. Jahrhundert begonnene neue Chorbau; mit dessen bisherigen
Gewölben man ohnehin unzufrieden war; die neuen „certi modi et ordines
magnæ pulchritudinis“ sind dann nichts anderes als jene Aufsätze, welche den
Chorpfeilern ein schlankes Ansehen geben, jene schönen Oberfenster, endlich
jene Hinterfassade, welche die Fronte der Unterkirche S. Giovanni bildet.
Dass die letztere von Agostino und Agnolo von Siena entworfen sei, wird
Vasari doch nicht rein aus der Luft gegriffen haben; allerdings lautet der
Werkverding vom Jahr 1340 (Rumohr, a. a. O. S. 139) auf Giovanni, Ago-
stino’s Sohn, allein dieser verpflichtet sich doch nur „in præsentia et de vo-
luntate et cum consilio, consensu et ex auctoritate prædicti mei patris præ-
sentis et consentientis“. So spricht nur ein Abhängiger und wenn auch in
der Urkunde von keinem zu befolgenden Entwurf des Vaters die Rede ist,
so darf man doch getrost einen solchen voraussetzen.
Rumohr war der grösste Kunstforscher, den wir seit Winckelmann ge-
habt haben. Allein er war nicht frei von der Untugend, die Tradition um
jeden Preis in die Schule zu nehmen; er hatte viele Prädilectionen und An-
tipathien, und wer ihm näher nachgehen könnte, würde ihn noch auf man-
cher Willkür betreten. Es liegt diess weder in unserer Aufgabe noch in un-
serer Fähigkeit.
chen statt eines Intervalles auf die Mitte trifft. Vgl. S. 107.
Zuthat sein?
weil sonst der Unterbau viel zu unruhig geworden wäre. Zwischen den vier-
eckigen Capellen musste er keilförmige Mauermassen hineinschieben.
storbenen.
gehört dagegen zu den gedanken- und principlosen Gebäuden der italienischen
Gothik; die Marmorfassade hat eine jener matratzenartigen Incrustationen, wie
sie sonst hauptsächlich in Mittelitalien vorkommen. Der Chor geringe Re-
naissance.
regelmässige Quadrate zerfallen wie im Dom von Mailand. Erst vom dritten
Intervall an beginnt die Schönräumigkeit im Sinne des Italienisch-Gothischen.
stern (4, 6, 8) besteht, so dass eine Säule auf die Mitte trifft. Vgl. S. 107,
unten, und S. 138 oben.
dem genannten Adeodatus.
von Arnolfo herrühren.
ist eine formlose Ruine geblieben.
hier dem Styl nach einreihen zu können. (Villa Michelozzi auf Bellosguardo
hat wenig Altes mehr an sich.) Immerhin muss er den Architekten die Wan-
derungen vor sämmtlichen Thoren der Stadt in möglichst weitem Umkreis
dringend anempfehlen. Von den stattlichen (nur ausnahmsweise prächtigen)
Villen bis zum Bauernhause herab werden sie hier eine Fülle ländlich-
schöner Baugedanken antreffen, die eben nur in der Heimat der modernen
Baukunst so beisammen sind. Was in der römischen Umgegend vorhanden
ist, zeigt theils mehr den schloss- und palastartigen Charakter, theils mehr
bäurische Formlosigkeit. Die Gebäude um Neapel sind bei oft grossem male-
rischem Reiz insgemein klein und formlos, diejenigen um Genua auffallend
städtisch. Die Villen der Venezianer an der Brenta, zum Theil Anlagen des
Palladio, sind dem Verfasser nur aus Abbildungen bekannt. — Florenz allein
möchte in seiner Umgebung mehr praktisch Anregendes in dieser Gattung
besitzen als das ganze übrige Italien. Doch muss auch den Villen in der
nellesco begonnen, ist erst im vorigen Jahrhundert zum Palazzo del Com-
mune gemacht worden.
ländlicher Styl zugestanden werden. Es ist überhaupt ein Irrthum zu glau-
ben, dass die malerische Bauweise in Italien südwärts unbedingt zunehme;
die subalpinen Thäler und Ortschaften enthalten schon Manches, das südlich
nicht mehr schöner und nicht häufig so schön vorkömmt.
unterscheidet einen Maler und Decorator Francesco di Giorgio um 1460
(welchem die Vollendung der vorgebauten Capelle am Pal. pubblico, einige
Ornamente in S. Francesco und die Gemälde in der Academie angehören) von
dem berühmten Baumeister Cecco di Giorgio Martini, den er bis ins XVI. Jahr-
hundert leben lässt. — Milizia nennt den berühmten Baumeister Francesco
und setzt dessen Lebenszeit in die Jahre 1423—1470, wonach ihm wichtige
sienesische Bauten nicht mehr angehören könnten. Rumohr (Ital. Forschun-
gen II, S. 177 ff.) lässt den Francesco di Giorgio nur als Festungsbaumei-
ster gelten und erkennt sonst einzig den herzoglichen Stall zu Urbino als
dessen Werk an. Alle übrigen Gebäude, welche demselben in Pienza, Siena
u. a. a. O. zugeschrieben werden, seien von Bernardo Rosellino, welchem
insbesondere „ein feiner Sinn in der allgemeinen Anlage und vornehmlich in
der Zusammenstellung ganzer Gebäudegruppen“ vindicirt wird. Für den Palast
zu Urbino werden ein Dalmatiner Luciano und der unten vorkommende Bac-
cio Pintelli als Architekten genannt. — Ich bin oben im Text den Annahmen
Romagnoli’s gefolgt ohne desshalb zwischen ihm und Rumohr entscheiden zu
wollen.
nicht der Dom, sondern die kleine Madonna del Calcinajo gemeint, und auch*
diese wäre nicht nach seinem Entwurf ausgeführt, sondern das jetzige Ge-
bäude (am Fusspfad von Camugia nach Cortona hinauf) wäre noch das 1485
von Francesco di Giorgio begonnene. Es sieht indess mehr dem XVI. Jahr-
hundert ähnlich.
baut sein.
merkenswerth, bei S. Salvatore in Lauro der aus derselben Zeit stammende**
graziöse Klosterhof, beides anonyme Werke.
Galanti nennt als Urheber des Bogens einen Pietro di Martino aus Mailand.
Sculpturen schuf. Sie entsprechen so ziemlich der von ihm erbauten Capelle
in S. Miniato bei Florenz.
worfen oder erbaut: in Busto Arsizio: eine Rotunde; — in Legnano: die
die Incoronata; — in Pavia: die ehemalige Klosterkirche Canepanova und
der (doch nur von ihm fundamentirte) Dom. — Weiter nach Südosten: der
Dom zu Carpi, von Andern dem Peruzzi zugeschrieben.
falls von Rodari aus früherer Zeit, gehört mehr der buntern und befange-
nern Frührenaissance an. So die Nordthür, die Ausseneinfassungen der Fen-
ster und die geistreichen Renaissance-Spitzthürmchen, welche über den Strebe-
pfeilern des Querbaues und Chores, also an dem Bau der mehr classischen
Zeit nicht mehr vorkommen. Hienach möge man verbessern, was S. 152 in
zu allgemeinen Ausdrücken vom ganzen Bau gesagt ist. Die Inschrift über
den Beginn des Hinterbaues steht an der Rückseite des Chores.
welche daher den Namen der Sixtinischen führt. (In Dresden.) Als Schluss
der schönen Kirche, in dem trefflichen Licht, welches jetzt die Copie geniesst
musste sie eine einzige Wirkung machen.
gelegt, von welchen man einen ältern Martino Lombardo, einen Pietro L.
mit zwei Söhnen Antonio und Tullio, einen Sante L. und einen spä-
ten Tommaso L. namhaft macht, anderer dieses Namens nicht zu gedenken.
Allem nach zu urtheilen, waren sie wirklich Lombarden, und verläugnen auch
in ihren Sculpturen diese Herkunft nicht. — Girolamo Lombardi aus Fer-
rara steht, wie der gleichnamige Alfonso, (von welchem bei Anlass der
Sculptur ein Mehreres) in keinem Zusammenhang mit ihnen.
weisen, welcher zwar von Renaissance nicht mehr als die Zwischenhalle sei-
ner beiden Höfe besitzt, als vollständigster Privatbau der Barockzeit aber
von Interesse ist. Die grossen Schifflaternen in den untern Hallen dieser und
anderer Paläste sind Ehrenzeichen des Seecommando’s der Inhaber.
geweckte.
den Dom, die Madonna grande und S. Polo. Auch ihre Sculpturen in dieser
und andern Kirchen derselben Stadt werden gerühmt.
Fra Giocondo.
erwähnen sind, bilden die glasirten Ziegelböden, welche Teppichmuster
nachzuahmen scheinen, zum Theil aus der florentinischen Fabrik der Rob-
für die Loggien bezog. Etwas besser erhalten: einige Reste in den Stanzen
des Vaticans. Aus früherer Zeit: diejenigen in der Capella Bentivoglio, in
S. Giacomo maggiore zu Bologna; — und diejenigen in der fünften Capelle
links zu S. Petronio ebenda, letztere sechseckige Plättchen mit Ornamenten
und Figuren. — In Neapel dauert die Sitte noch heute.
von Maestro Lazzero, ist als Vorstufe dieser zu vergleichen.
vieto von ähnlichem Styl und Werth.
identisch wiederholen, in hölzernen Modeln gepresst sind.
dem linken Querschiff) ganz von Riccio; die bronzenen Reliefs rings um den
Sarcophag sind in Paris geblieben und schmücken jetzt die Thür der Salle
des Cariatides im Louvre; das Decorative — eine untere bauchige Säulchen-
stellung, drüber eherne Sphinxe, welche den Sarcophag tragen — ist zwar
sorgfältig und zierlich, aber im Ganzen zu möbelhaft gedacht für ein Grabmal.
tecti fratres Garvi de Allio Mediolanensi faciebant. Am Pilaster links steht
allerdings der Name des Girol. Pironi, aber nur an dem Nebenstreifen.
Michel-Angelo’s.
rahmen einiger altvenezianischen Altarbilder, wo der Rahmen die perspecti-
visch berechnete Fortsetzung der im Bilde dargestellten Architektur ist; man
sieht von der Nische hinter dem Marienthron her die beiden (gemalten) Bo-
*Bellini in S. Zaccaria zu Venedig ist ein sprechendes Beispiel, ebenso der-
**jenige in S. Giovanni e Paolo (erster Altar rechts). — Über die florentini-
schen Rahmen ist eine Stelle bei Vasari (Leben des Fra Bartolommeo) be-
lehrend.
hier noch bei Anlass der Sculptur einen Abschnitt widmen können, so müssen
wir auf die Lebensbeschreibung des Valerio Vicentino und der Übrigen bei
Vasari, sowie auf die Anmerkungen der Herausgeber verweisen.
**eines Messbuches, in Mantua (Sacristei von S. Barbara) ein Becken, im Schatz
von S. Peter zu Rom eine Reihe von Leuchtern zugeschrieben. — Unter den
†Bronzen der Uffizien (I. Zimmer) ist nur „Helm und Schild Franz I.“ von
ihm, und auch hier liessen sich Zweifel erheben.
tanten wäre Perin del Vaga der beste gewesen.
in Erinnerung zu bringen.
Stuccaturen des Raff. da Montelupo dem Verfasser unzugänglich geblieben.
Laut Vasari führte Perino eine Unzahl kleinerer decorativer Werke jeder
Gattung aus, wovon noch Manches, jetzt namenlos, vorhanden sein könnte.
des Pal. Grimani zu Venedig (bei S. Maria formosa) sollen noch Decoratio-*
nen von Giovanni, nebst Gemälden des Salviati erhalten sein. Quadri’s „otto
giorni“ melden nichts davon.
S. Geminiano, des Peruzzi, des Polidoro und Maturino, des Fra Giocondo
und Liberale, des Christofano Gherardi genannt Doceno (für die ganze ge-
malte Decoration wichtig), des Sanmicheli, des Garofalo und anderer Lom-
barden, des Taddeo Zucchero, etc. — Dieser Quelle zufolge muss das Er-
haltene zum Verlorenen in einem winzigen Verhältniss stehen. Die Fassa-
denmalerei bestimmte noch um 1550 offenbar die Physiognomie mancher Städte
in wesentlichem Grade.
kann man kaum mehr erkennen.
citiren zu können, die in Verona wie in mehrern andern Städten Italiens
auffallend und sträflich vernachlässigt, ja halbe Gassen entlang nicht mehr
sichtbar sind.
*bilder erhalten sind: N. 2987 auf Piazza Brà: Madonna von Monsignori; —
N. 2988: Madonna von Caroto; — N. 5522 jenseits Ponte delle navi: Ma-
donna mit Heiligen, Hauptwerk von Franc. Morone; — N. 4562: der Ge-
kreuzigte mit Gottvater zwischen zwei Heiligen, von Bart. Montagna; — das
Haus neben N. 1140 unweit Ponte nuova: treffliche Pietà mit Heiligen. Man-
ches Gute ist dem Verfasser entgangen.
tiken Säulenordnungen zu bestimmten Verhältnissen genöthigt habe. Allein
jenige Ausdehnung zum Ganzen, diejenigen Intervalle zu einander, welche
zweckdienlich schienen.
tana, die sehr schöne der Kirche von Vignola, dem man sie kaum zutrauen
würde.
Sitte wurde, den breitern Barockportalen weichen müssen. In Neapel (S. 196, g)
waren es von jeher breite und hohe Einfahrten.
hof fehlt und immer fehlen wird. Kein Schmuck kann Composition und Li-
nien im Grossen ersetzen.
ches kann öffnen lassen, ist in der Nähe des Meleager.
erweitert, welche erst den Mittelbau des vermuthlichen Ganzen bildet (??).
vorzüglich schöne Wendeltreppe von Peruzzi erhalten haben.
einen Palast für Messer Marchionne Baldassini gebaut hat. Perin del Vaga
malte darin einen Saal.
Gattung. — S. unten, S. 316, e, die Villa Pia.
Porta Livia von 1517; Porta Portello soll von Gugl. Bergamasco sein.
schmales Kuppelchen auf acht Säulen — findet man allerdings in Gestalt der
Kirche S. Maria del Toresino; noch aus dem XVI. Jahrhundert mit Aus-
nahme der Fassade.
stucchirt, und zwar von der Hand des Giovanni da Udine.
derna zu schieben.
blosse Anfänge, ja blosse Entwürfe geblieben sein. Der betreffende Grund
und Boden ist längst anders vertheilt.
sima, sondern der obere Hof, in welchen man von der Salita del Castelletto
gewölben.
**neuerer Stucchirung versehen; die Fassade von S. Celso auffallend barock.
Palladio’s, vom Jahr 1557, erbaut sein.
der Fortuna virilis in Rom.
und Vanvitelli’s Schloss von Caserta nur von aussen gesehen zu haben.
solche Fassaden seien auf dem Ofen getrocknet.
(S. 338), als deren Caricatur etwa die Halle von S. Micchele in Mailand*
(von Francesco Croce) zu nennen wäre, welche aus vier grössern und vier
dazwischen vertheilten kleinern Kreissegmenten besteht.
theilt wurden, ist eine gute Doppelhalle aus der Zeit Sixtus V.
rer Kirchen anzuschliessen haben, eine durchgängige Ausnahme machen. So
*das von Borromini umgebaute Innere des Laterans etc.
wird aus der Identität der Principien des Innenbaues und derjenigen der
theatralischen Decoration kein Hehl gemacht. — Ganz etwas Anderes ist es,
wenn der bizarre Tacca in SS. Stefano e Cecilia zu Florenz den blossen*
Chorraum als eine Theaterscena im ältern Sinn (ohne Coulissen) behandelt.
*jetzt in der Capella del Sagramento, entschuldigen ihn nicht. Siehe Rafaels
Fresco: die Schenkung Constantin’s.
der Treppe (aufwärts nach links) verdecken.
verschaffen. Sie enthält den ganzen Cursus der romantischen Gartenkunst
gegenüber der classischen in den ältern Villen.
langen Oberlippe und dem eigenthümlich starren Kinn an die Nationalphy-
siognomie vieler Engländer erinnert wird, so wollen wir bekennen, dass es
uns und Andern auch so gegangen ist.
kerin in das Grab mitgegeben wurde, erinnert man sich gerne an die be-
rühmte Lade des Kypselos, deren vermuthliche Gestalt (nach der Beschrei-
bung bei Pausanias) so viel zu denken giebt.
zimmer).
Hebe.
sehr wünschenswerth, über das perspectivische Gesetz, welches solchen Ano-
malbildungen zu Grunde liegt, eine zusammenhängende Belehrung zu erhal-
ten, und zwar von einem Bildhauer. Vgl. S. 422, c.
Statue zu erkennen ist.
in den Uffizien zu Florenz (zweiter Gang) an, ehemals vielleicht ein gutes
Werk.
nem rechtem Arm.
erhalten.
ist. Je feierlicher, symmetrischer ein Motiv ist, desto eher wird es Ver-
grösserungen und Verkleinerungen ertragen; je momentaner und genrehafter,
desto weniger; sodann dürfen Unausgewachsene, für welche die Kindes-
und Knabengrösse ein Theil des Charakters ist, nicht bedeutend vergrössert
werden — anderer und gewichtiger Seitenursachen nicht zu gedenken. Lehr-
*reich sind in dieser Beziehung die vergrösserten Marmorcopien berühmter
Antiken in der Villa reale zu Neapel. Wenn vielerlei Ungleichartiges, noch
dazu in freiem Raume, gleichmässig wirken soll, so wird man allerdings
dem Massstab Gewalt anthun müssen; das Auge wird aber den einzelnen
Fall auch leicht errathen, wo diess geschehen ist. Das riesenhafte Herakles-
kind im grossen Saale des Museo capitolino gehört ebenfalls hieher — um
von den Weihbeckenengeln in S. Peter zu schweigen.
Statue erinnerte, findet sich im Museo zu Parma. Ebendort noch ein guter*
ganz kleiner Apoll.
nuovo, welche ja als Selene gedacht ist.
der Basis bleibt zweifelhaft.
sichtbar. Abgüsse überall, u. a. im Palazzo Camuccini zu Rom, auf der
Treppe.
bei Anlass der siegreichen Aphrodite (S. 449, a) erörtert.
lichen Individuums aufzufassen ist.
Uffizien zu Florenz (Anfang des ersten Ganges), beide von untergeordne-
ter Arbeit.
Herakles in den farnesischen Gärten auf dem Palatin gefunden. Herakles ist
ebenso für eine bestimmte Untensicht gearbeitet. (Vgl. S. 427, Anm.) —
*Bei diesem Anlass ist ein ebenda befindlicher guter Torso eines Jägers oder
Kriegers nachzuholen.
cans hat einen Amorin auf dem Rücken, der ihm beide Hände gefesselt hat.
wiederholt. [Br.]
mythische Glaube die Evidenz ersetzt und die Spannung beseitigt — was
sich auch beim Hermaphroditen behaupten liesse — sondern weil sie keinen
Anspruch darauf machen, streng organische Wesen zu sein. Sie sind sym-
bolisch kühn gemischt, aber nicht aus widersprechenden Charakteren in Eins
geschmolzen.
aber auch im Hermes vorkömmt. [Br.: Antinous als Adonis].
hauers zu Florenz ein kleines Thonexemplar des Arrotino, von Michelan-
gelo, „der darin die Fehler des Originals glücklich verbessert hatte“. Mus.
florent. III, p. 95.
niss abfragen will“ — ging wohl gar nicht so weit am rechten Ziel vorbei.
Nur wäre die Verewigung solch eines historischen römischen Einzelfactums
ohne Beispiel in der alten Kunst.
Pferde stürzend gebildet. Dem Pädagogen entspricht ein Mann im Hirtenkleid.
stes zu Venedig, unterhalb der Uhr.
stauriren. [Br.]
dem gering gearbeiteten Fragment eines Nero bei den grossen Bronzen des**
Museums von Neapel.
die später schon durch die blosse Vernachlässigung wieder auseinander fielen,
selbst ohne absichtliche Zerstörung.
sich zu Venedig im Hof des Pal. Grimani (unweit S. Maria Formosa) be-*
findet. Nur decorativ behandelt, aber ein grossartiges Beispiel heroisch-
idealer und doch getreuer Bildnissauffassung. Die starken Restaurationen
fallen in die Augen; doch scheinen alt und nur neu angesetzt: Tronco, Ba-
sis, Cista und vielleicht der Delphin, welcher den Seehelden bezeichnet.
der oft sehr absonderlich scheinende Haarputz. Vgl. S. 521, Anm. 2.
jugendliche Kopf mit dem Eichenkranz entspricht unter den Kaisern am ehe-
sten dem Augustus.
einzelnen Büsten zum Abnehmen und Wechseln eingerichtet ist.
fundene Figur unter Lebensgrösse im Braccio nuovo des Vaticans richtig so*
deuten) würde zu einer solchen Annahme einigermassen berechtigen.
(N. 16), den Terenz (N. 76), den Corbulo (N. 48) als richtig benannt an,
hält aber (nach Visconti) den Cicero (N. 75) eher für einen Asinius Pollio.]
vorstellend. [Ansicht Brauns.]
nis) ist eines der wenigen Absurda der antiken Kunst.
schen Muschelkalk in der Mitte steht.
lautet die Inschrift. Die Frauen des besiegten Volkes, also die Karyatiden,
wurden, wie an neuern Denkmälern z. B. Sklaven und Überwundene, als
Stützfiguren für das Obergesimse der Basis behandelt. Wahrscheinlich war
das Original-Tropäon ein sehr bekanntes und berühmtes, so dass „Karyatide“
der Gattungsname für die Stützfiguren überhaupt werden konnte. Vgl. S. 467.
die Relieffragmente in der Vorhalle der Villa Borghese; aus der Zerstörung
leuchten noch Züge der grössten Schönheit hervor.
men von einem ganz andern Denkmal, dem zerstörten Arco di Portogallo,
her. [Br.]
*nannten Monumente in der Academia di S. Luca (Treppe) und in der Aca-
démie de France sind dem Auge viel erreichbarer als die Originale.
aber wir sahen auf wessen Unkosten und in wie unreiner Gestalt.
rungsort einzelner schöner Cameen, mit welchen zugleich Köpfchen und Sta-
tuetten aus kostbaren Steinen aufgestellt sind. Von den ebendort befindli-
chen Elfenbeinsachen ist Einzelnes (z. B. ein Apollskopf, ein Reliefkopf des
Serapis) von grossem Werthe, das Meiste aber spätrömisch. — In Florenz
befindet sich die grosse und berühmte mediceische Gemmensammlung in den**
Uffizien. — In der Bibliothek von S. Marco zu Venedig die berühmte Gemme†
des Zeus Aigiochos.
**einer Capelle rechts vom Chor aufbewahrt. — Im Schatz u. a. der Kamm
und der Fächer der Königin Theodelinde; das ihr von Gregor d. Gr. ge-
schenkte Kreuz; ein anderes Kreuz mit den an Kettchen daran hängenden
Goldkugeln; ein goldenes Pultblatt (?) von ihr gestiftet, mit aufgenieteten
Gemmen; ihre Krone, d. h. ein Goldreif mit runden emaillirten Knöpfchen
und Edelsteinen etc.; endlich das Kreuz von Italien, bedeckt mit Edelsteinen
und Email, gestiftet von Berengar I (IX. Jahrhundert). Das Meiste ziem-
lich roh und primitiv, das Kreuz von Italien wie nach dem blossen Augen-
mass verfertigt.
z. B. bei der Transfiguration die drei Jünger mit der Geberde des tiefsten
Sinnens, die Hand am Bart, mit geschlossenen Augen dargestellt.
sterwelt, die man in zahlreichen Äusserungen nachweisen kann, aber noch
nicht in ihrem Wesen ergründet hat.
arbeitet — was? weiss man nicht.
*wiederholt worden, wo man dergleichen sowohl vom Styl des XIV. als des
**XV. Jahrhunderts, z. B. im Klosterhof von S. Domenico, im Chorumgang
von S. Giacomo etc., mehrere findet. Die bessern zeigen in den Zuhörern
einen abwechselnden, bisweilen tief gemeinten Ausdruck. (Staunen, Sinnen,
Federspitzen, Nachschreiben u. s. w.).
tet habe.
Venedig nichts erhalten.
welcher ebenfalls dem Jacobello und Pierpaolo von Venedig zugeschrieben
wird, kaum zu vereinigen. In dieser auszeichneten Arbeit ist statt des eigen-
thümlichen Schwunges der Massegne in Haltung und Gewandung eher eine
Zerbröckelung in kleine Motive und eine steife Stellung zu bemerken. Von
den Charakterköpfen sind einige recht schön. — Auch dem Agostino und
Agnolo von Siena, welchen Vasari den Altar zuschreibt, gleicht der Styl
wenig.
*aussen bei der Porta della Carta, angeblich von Ptolemais hergebracht und
als „Harmodius und Aristogiton“ benannt, sind wohl nichts anderes als Denk-
mäler irgend einer byzantinischen Doppelregierung, „concordiæ augustorum“.
Ähnliche Darstellungen, aus vielleicht früherer Zeit und eben so barbarisch,
**findet man an zwei Porphyrsäulen in der vaticanischen Bibliothek.
Malerei, wenn es sich auch nur um etwa ein Jahrzehnd handelt.
*seite des Campanile (zwei Propheten und zwei Sibyllen; die vierte soll von
**Nanni di Bartolo sein. Ihre Aufstellung macht jede genauere Prüfung un-
möglich. — Die beiden halbfertigen Reliefs mit der Geschichte des Petrus
befinden sich bei dem Orgelfries in den Uffizien.
gewesen war, zeigt z. B. die Krönung Mariä in der Portallunette von S. Ma-*
ria nuova, ein Werk des Dello um 1400; statt der Glasur kalte Vergoldung.
und zwingenden Einfluss auf die Vereinfachung des Styles geübt. — Das
Verhältniss der Robbia zur Decoration ihrer Zeit s. S. 237.
*bekannten Meister (etwa 1530) im Hof des Pal. Gherardesca (Borgo a Pinti)
in Florenz. Sie sind schon an Liebe und Fleiss der Behandlung nicht mit
um den Hof gelegt, der übrigens sammt Umgang immer ein sehenswerthes
Prachtstück bleibt.
gewesen.
verstanden.
zuschalten sein, welcher mit seinem Sohn Giovanni und seinem Eidam Dome-
*nico di Paris aus Padua die fünf lebensgrossen Bronzefiguren fertigte, die
im rechten Querschiff des Domes von Ferrara stehen. (Der Gekreuzigte,
Maria, Johannes, S. Georg und S. Maurelius.) Fleissige, aber harte und
doch zugleich flaue Arbeiten, mit einem Anklang an Verocchio, zumal im
S. Georg.
*liefs der Flucht nach Ägypten und der Anbetung der Könige, in der Galerie
zu Parma.
moraltar in dem Carmeliterkirchlein S. Maria, eine Viertelstunde vor Arezzo*
aufmerksam gemacht werden. Ich kann aus der Erinnerung nur so viel sagen,
dass er mir dem Styl nach zwischen den Robbia und Mino da Fiesole zu
stehen scheint.
grau gemalten Denkmäler im Dom von Florenz und anderswo allerdings*
das Ansehen, als ob man gern gemocht und nicht gekonnt hätte. Es sind
gleichsam Anweisungen auf künftige Marmordenkmäler. Vgl. Vasari im Leben
des Lor. di Bicci.
*vier Reliefs aus der Geschichte des heil. Geminian am Dom von Modena
(aussen auf der Südseite, nahe beim Chor) fertigte, dieselbe Person. Das
von Donatello unabhängige Leben, die leichte, geschickte und deutliche Be-
wegung, die feingefalteten, schwungreichen Draperien geben eine Vorahnung
des Werkes von Perugia.
chen hat der Verfasser nur flüchtig gesehen. Es befindet sich darunter das
Grabmal Papst Alexanders V.
rechts) von ihm sein mag?
Bianco, der sein Leben in Venedig zugebracht habe, giebt aber keine Werke
desselben an.
*Beato Pacifico († 1437) im rechten Querschiff der Frari. Schlecht erhalten
und ungünstig in dunkler Höhe befestigt, scheint es der Art des B. ähnlich.
**orto vorhanden: auf dem 3. Altar rechts eine lebensgrosse stehende Madonna,
von etwas deutschem Charakter; über der Sacristeithür die Halbfigur einer
Madonna, milder und anmuthiger.
*gelegt: eine Altareinfassung und ein Grabmal in S. Francesco, und ein
**S. Marcus (Hochrelief, datirt 1491) im Dom, ein ausgezeichnetes Werk.
sten in Venedig gehören. In einer Nebencapelle des rechten Querschiffes*
von S. Trovaso findet sich ein Altarvorsatz, der in flacher, etwas unterhöhl-
ter Arbeit Engelkinder mit den Passionsinstrumenten (ähnlich denjenigen in
dem muranesischen Altarbild der Krönung Mariä in der Academie) und seit-**
wärts musicirende Engel darstellt, von der naivsten Anmuth in Köpfen und
Geberden und mit grossem, raffinirtem Geschick der Verkürzungen, Man
glaubt ein florentinisches Werk vor sich zu sehen, bis man dieselbe Behand-
lung in einem Relief der Camera a letto des Dogenpalastes wieder erkennt;†
zwei Heilige empfehlen den knieenden Dogen und den Patriarchen der thro-
nenden Madonna; es ist die Seele Giovanni Bellini’s in Marmor. Das Chri-
stuskind schreitet über der Mutter Knie den Männern freundlich entgegen.
Ob diese köstlichen Werke von L. sind, mag zweifelhaft bleiben; aber sie
kommen seiner Art näher als der aller Übrigen.
benen Alvise Trevisan? Jedenfalls ein Muster des nobeln Liegens eines vor-
nehmen Todten.
ten, Centauren, Hercules, Genius Imperatoris u. a. Heidenthum nicht ver-
wundern. Die Lunettengruppe enthält wenigstens Mariä Heimsuchung.
wiss zu sein, dass er wirklich ganz aus Holz und nicht zum Theil aus Stucco
u. s. w. bestehe. Vom Norden her kamen damals mehrere Schnitzaltäre nach
Oberitalien, wovon einer in S. Nazaro zu Mailand, vordere Capelle links, im*
Styl [durchaus] dem St. Evergisilaltar in S. Peter zu Köln entspricht. Eine
italienische Nachahmung derselben ist der in Rede stehende.
*Roverella (1475) im Chor von S. Giorgio bei Ferrara (vor Porta romana).
Nach der Madonna mit Engeln in der Lunette möchte man einen Schüler der
Florentiner aus Rosellino’s Zeit vermuthen; auch die sorgfältigen und glück-
lich beseelten fünf Statuetten, sowie die trefflich wahre Grabstatue weisen
auf einen solchen Einfluss hin.
werk. Allein wenn wirklich Alles daran von ihm ist, so müssen doch die
erstgenannten vollkommenern Theile aus einer spätern Epoche des Meisters
herrühren.
der Kirche Araceli, ist mir immer wie eine Vorarbeit Andrea’s zu den oben
genannten Prälatengräbern vorgekommen; die Grabstatue sowohl als das
Rundrelief der Madonna und die Allegorien zu dessen Seiten scheinen sehr
schöne Versuche eines noch nicht ganz geläuterten Strebens, welches erst in
jenen Meisterwerken seine Erfüllung fand. Dagegen kann das Grabmal Ar-
mellini, 1524, im rechten Querschiff von S. M. in Trastevere, höchstens als**
tüchtiges Schulwerk gelten.
der Christusleichnam in den Armen des Nicodemus ist eine ungeschickte Ar-
beit des Malers Amico Aspertini, und der Johannes von Seccadenari, dem die
ganze Arbeit der beiden Seitenthüren im Grossen verdungen war. Die obern
Pilaster neben den Giebeln sind von geringern lombardischen Meistern reliefirt.
*den dort aufgestellten Gegenständen von Bernstein durchschnittlich von ge-
ringem Werthe sind, könnte ein S. Sebastian wirklich von ihm herrühren
möchte eine deutsche Arbeit des XVII. Jahrh. sein.
davon u. a. bei Anlass eines Besuches des Michelangelo in Modena und be-
richtet dessen begeistertes Wort: „Wenn dieser Thon Marmor würde, dann
wehe den antiken Statuen!“
er aber durchaus nach Oberitalien.
Varallo (westlich vom Lago maggiore) in der Capella del sacro monte und*
(wie man annimmt) auch in einigen der Stationscapellen lebensgrosse farbige
Freigruppen, angegeben oder auch ausgeführt von dem berühmten Maler
Gaudenzio Ferrari; die darin dargestellten Vorgänge der Passion sind
gleichsam fortgesetzt und erklärt durch Fresken an den Wänden. Wie sie
sich zum Styl des Mazzoni oder des Alfonso verhalten, weiss ich nicht an-
zugeben.
Hände an die Todtenbahre der Madonna legt.“ — Wozu der deutsche Heraus-
geber bemerkt: dieses Ereigniss werde erzählt in der Schrift „de transitu
virginis“, welche dem Bischof Melito (H. Jahrh.) zugeschrieben wurde, jetzt
aber für beträchtlich neuer gilt. Ich will die oben im Text gegebene Deu-
tung nicht weiter vertheidigen, da meine Erinnerung an die Gruppe nicht
mehr frisch und die genannte Schrift mir nicht zur Hand ist.
schreibt, haben wir oben S. 635, d dem Mazzoni zugewiesen. Sonst gilt in
Ferrara die Reliefhalbfigur einer Madonna in S. Giov. Battista (die ich nicht*
kenne) als sein Werk, ebenso die Büste des heil. Hyacinth in S. Domenico,**
5. Cap. links, ohne Zweifel das naturalistische Porträt irgend eines aus-
drucksvollen Mönchskopfes.
dem Altar rechts in der Crypta des Domes herrühren.
Styl recht glückliche Schöpfungen des Bolognesen Mazza, vom Jahr 1679.
malte davon jene freie Abbildung grau in grau, welche neuerlich im römi-
schen Leihhause wieder aufgetaucht ist; wahrscheinlich dachte er nicht daran,
dass man dereinst Michelangelo’s Gruppe für eine Copie nach seinem Ge-
mälde halten würde, wie schon geschehen ist.
geführt sein.
Florenz die Statuen der 12 Apostel bestellt erhielt, so kann er doch den vor-
liegenden S. Matthäus wohl viel später und für eine andere Bestimmung ge-
arbeitet haben. Der Styl nöthigt zu einer derartigen Annahme.
noch später, was zu andern Daten nicht recht passt.
des Andrea und Giov. Andrea Doria, von den Jahren 1528 (?) und 1577
aufgestellt. Die erstere ist ein vortreffliches Werk von Montorsoli’s Hand,
die letztere eine schon manierirte Nachahmung der erstern.
Kuppelraum), die manierirteste aller dort befindlichen Apostelstatuen. Der
Thomas (Eingang zum linken Querschiff, links) ist kaum besser.
frin zu Venedig.
ren auch gerne schweben lässt, giebt dem Schweben eine Richtung seitwärts,
vom Postament weg. Solches geschieht heut zu Tage in Rom, doch glück-
licher Weise noch nicht für europäische Kunstfreunde.
durch Reproduction besserer alter Originale. Allmälig stirbt sie aber wirk-
lich ab und löst, wo sie muss, neue Aufgaben, z. B. Martergeschichten etc.
durch blosse neue Combination der sonst angelernten Elemente.
t et, welche die Stelle der alten einnehmen soll. Vgl. die Papstköpfe als
Consolen im Dom von Siena, S. 134.
Mailand. Christus unter einer Glorie thronend, umgeben von Michael und
Gabriel, weiter S. Gervasius und S. Protasius, unten in runden Einfassungen
S. Candida, S. Satyrus und S. Marcellina; links die Stadt Tours und S. Am-
brosius bei der Bestattung des h. Martin; rechts die Stadt Mailand und
S. Ambrosius und S. Augustin an Pulten sitzend. — Es dauerte lange, bis
aus solchen Elementen Bilder wie Rafaels Madonna di Foligno und heil. Cä-
cilia oder wie die sante conversazioni Tizians entstanden.
In einer Nebencapelle rechts von der Kirche enthält die Kuppel das Brust-*
bild des heil. Satyrus auf Goldgrund, etwas älter als die Mos. der Tribuna.
Hochaltar selbst, mit einer im Jahr 1344 (von unbedeutenden venezianischen
Künstlern der Richtung Giotto’s) bemalten Rückseite; ob sie die Pala d’oro
enthielt, ist mir nicht bekannt. Letztere gehört eigentlich vor den Altartisch.
Triumphbogens sind (oder waren vor 1823) Arbeiten des XIV. Jahrhunderts.
della des Bildes.
flüchtigen Notizen von 1848 noch eine Cap. der h. Magdalena angemerkt, mit
Fresken Giottino’s, von geistreichen und lebendigen Motiven. In der Ent-
fernung von allen Abbildungen und nähern Nachweisen kann ich diese An-
gabe nicht mehr verificiren, rathe aber jedem Kunstfreund, wenn er einen
so wundervollen Frühlingstag in Assisi zum Geschenk erhält wie ich im
J. 1848, seine Notizen bei Zeiten zu machen. Ein zweiter Besuch im J. 1853,
unter strömendem Regen in’s Werk gesetzt, liess mich die frühere Versäum-
niss schwer bereuen. Die Unterkirche war nachtdunkel; nur das goldene
Gewand des heil. Franciscus schimmerte vom Gewölbe hernieder.
werfen will.
nicht mehr vorhandenen Werken umständliche Erwähnung gethan.
giebt noch bewegte Schaaren, die ungleiche Luftentfernungen zwischen sich
haben. Christus und die Apostel sind noch ohne den momentanen Ausdruck,
den ihnen Orcagna verlieh. Nach der zierlich scharfen Behandlung zu urthei-
len wäre das Weltgericht der am Frühsten gemalte Bestandtheil der Fresken
der Arena.
derauftauchen der absurdesten symbolischen Nothbehelfe des frühern Mittel-
alters. An der Oberschwelle der Seitenthür von SS. Annunziata in Arezzo*
sind die vier Evangelisten zwar als menschliche drapirte Halbfiguren, aber
mit den Köpfen ihrer Embleme dargestellt. (Noch Spinello wagte Dasselbe
zu malen, in einem jetzt untergegangenen Fresco.) — Auch das allzu um-
ständliche Verhältniss des Evangelisten zur Feder ist schon ein frühmittel-
alterlicher Nothbehelf, den z. B. Bartolo von Siena wieder aufgriff (dortige**
Acad., erster Gang); Marcus spitzt seine Feder, Lucas besieht sie, Matthäus
taucht sie ein, nur Johannes schreibt. Wer hierin tiefere Bezüge findet, dem
darf man die Freude nicht verderben. Mit andern Eigenheiten ging auch
diese von Siena auf die Peruginer über und kommt bei Pinturicchio von
Neuem zum Vorschein.
des Ganges vor der Sacristei.
jedem Einzelnen eine Gewähr und damit ein Symbol der seligen Unsterblich-
keit. Daher ist diese Darstellung besonders häufig an Gräbern, in Bildern
von Familiencapellen u. s. w.
Orten zerstreut sein. Ob die Tafeln in der Academie zu Pisa von ihm sind?*
Mauer gemalt; von Giotto an wurde in Fresco untermalt und al secco darü-
bergemalt; erst seit Ende des XIV. Jahrh. begann die eigentliche Fresco-
malerei im engern Sinne.
von S. Maria della verita daselbst, einzureihen sein: eine figurenreiche Ver-*
mählung der h. Jungfrau, vom Jahr 1469.
als nach Mittag, hängen von dem Stand der Sonne je nach den Jahreszeiten ab.
*Ecke der Stadtmauer am Arno, unweit Porta S. Frediano, von Domenico?
Noch in Zerfall und Übermalung ein herrliches Werk.
tagen 10—12 Uhr haben sie wenigstens ein starkes Reflexlicht. Wer übri-
gens die Kunstwerke des Vaticans geniessen will, schone die Augen unter-
weges, namentlich auf und jenseits der Engelsbrücke und auf dem Platz von
S. Peter, und nehme hier lieber den Umweg hinter den Colonnaden herum.
das Ateneo übertragen lassen und an Ort und Stelle durch eine jener treff-
lichen Copien ersetzen, womit besonders der Maler Candi den alten Ferra-
resen ein doppeltes Dasein verliehen hat.
und fand unglücklicher Weise die Kirchenbilder meist verhüllt. — Für die
Fassadenmalereien von Verona vgl. S. 296 ff.
rolamo da Santa Croce mag hier nur beiläufig genannt werden. Am
bekanntesten durch seine frühern Bilder mit kleinen Figuren (Marter des*
h. Laurentius im Museum von Neapel), hat er später sich die Freiheit der
merkwürdig, welche den Leichnam Christi von 7 Personen umgeben darstellt.
Becket, in S. Silvestro zu Venedig, 1. Alt. 1.; — grosses Abendmal (1549)
**in S. Martino. über der Thür; — in S. Francesco zu Padua die Fresken
der 2. Cap. r. Sein Colorit bleibt venezianisch glühend. — Von einem Lands-
†mann Francesco da Santa Croce, eine Kreuzabnahme vom Jahr 1510
im Pal. Manfrin, ein Abendmahl in S. Francesco della vigna, 2. Cap. 1, etc.
ihm, allein später durch Tizian über malt, als derselbe dem flüchtig impro-
visirten Bilde eine neue Haltung gab. (Laut Harzen’s Beweis.)
*nach dem 2. Alt. r., fand ich verdeckt.
(S. Zaccaria, Chorumgang, 2. Cap. 1.), und so nach ihm viele Andere.
die Umgebung ganz irdisch und scheinbar alltäglich, aber man vergleiche
z. B. das freche Bild des Honthorst (Gal. Manfrin) um sich zu überzeugen,**
dass es zweierlei Realismus giebt.
fühlt hat wie seine Gestalten fühlen. Sie ist eine ganz unstatthafte und be-
einträchtigt die ewigen Rechte der Poesie. Auch als Atheist, wofür Vasari
ihn ausgiebt — trotz des Schriftröllchens mit dem „Timete Deum“ auf sei-
nem Porträt in den Uffizien — hätte Pietro seine Ekstasen malen dürfen und*
sie könnten ganz wahr und gross sein; nur hätte ihn dabei eine innere poe-
tische Nöthigung bestimmen müssen. (Über die „Gesinnung“ des Künstlers
und Dichters cursiren mancherlei unklare Begriffe, wonach dieselbe z. B. da-
rin bestände, dass derselbe unaufhörlich sein Herz auf der Zunge trüge und
in jedem Werk möglichst vollständige Programme seines individuellen Den-
kens und Fühlens von sich gäbe. Er hat aber als Künstler und Dichter
gar keine andere Gesinnung nöthig als die sehr starke, welche dazu gehört,
um seinem Werk die grösstmögliche Vollkommenheit zu geben. Seine son-
stigen religiösen, sittlichen und politischen Überzeugungen sind seine persön-
liche Sache. Sie werden hie und da in seine Werke hineinklingen, aber nicht
deren Grundlage ausmachen.)
Kloster S. Onofrio zu Florenz entdeckt und für Rafaels Werk ausgegeben
wurde, ist eine peruginische Production und zwar am ehesten von Pinturicchio.
Schon seit Jahren vertheidigten nur noch Nordländer die Autorschaft Ra-
faels mit Eifer; in Florenz schwieg man allmälig. In der letzten Zeit war
das Werk unzugänglich, aus Gründen, die mit der wahren Beschaffenheit
desselben zusammenhängen, wie sie nach Wegnahme eines Überzuges vom
Jahr 1844 zum Vorschein kam.
Altarraum:
| Fr. Francia | Fr. Francia. |
| Lor. Costa | Lor. Costa |
| Tamaroccio | Tamaroccio |
| Chiodarolo | Am. Aspertini |
| Am. Aspertini. | Am. Aspertini. |
*Doppelhalle (S. 179, h) bei der Badia in Florenz, ist mir immer wie eine
Vorübung desselben Malers vorgekommon.
etwa von einem neapolitanischen Nachfolger Lionardo’s sein.
und bittet um Nachsicht, wenn er die nach neuern Resultaten mannigfach
veränderten Bilderbenennungen derselben in Betreff der Flandrer nicht kennt,
somit auch die Bilder in Italien nicht danach benennen kann. Möchte sich
bald ein Waagen oder Passavant dieses ganzen Capitels annehmen!
*Zimmer“ des Pal. Ducale zu Genua habe ich 1854 vergebens zu erfragen
gesucht.
von Wilhelm vorhanden sein.
Vasari geschilderte Jugendarbeit L.’s, sondern nicht einmal eine Copie da-
Paolo Giovio als erster grosser Porträtsammlung zu erwähnen. Die Vorla-
gen derselben, von allen Enden her (für das XIV. und XV. Jahrhundert ge-
etwas Derartiges hervorzubringen, vielleicht von einem der Caracci.
vio zu Como. Es waren darunter (laut Vasari, Leben des Piero della Fran-
cesca) z. B. eine ganze Anzahl von Köpfen, welche Rafael nach den bild-
nissreichen Fresken Bramantino’s in den vaticanischen Zimmern copiren liess,
ehe er sie herunterschlug um für den Heliodor und die Messe von Bolsena
Raum zu gewinnen; aus Rafaels Nachlass kamen sie durch Giulio Romano
an Paolo Giovio. — Im XVII. Jahrh. liessen dann die Mediceer die ganze
Sammlung durch hingesandte Maler copiren und diese Copien, die doch immer
eine höhere Autorität als die Holzschnitte besitzen, bilden jetzt einen Theil
der grossen Porträtsammlung der Uffizien (am Gesims der beiden Gänge).*
Eine andere grosse alte Sammlung, die mantuanische, Werke jenes tüch-
tigen Veronesers Franc. Bonsignori (geb. 1455), scheint seit der Katastrophe
von Mantua 1630 verschollen zu sein. (Vgl. Vasari, im Leben des Gio-
condo etc.)
römischen Schule; hier ein grosses Fresco mit der Marter des S. Vicenzino.*
auch nur dämmernd vorschwebte. S. 808, f. 809, h.
terra auf Pauls IV Befehl unternahm, ist eine Copie des Marcello Venusti
im Museum von Neapel, trotz auffallender Freiheiten, die wichtigste Urkunde.
rie (laut Platner von Marcello Venusti) wohl das beste. Dasjenige in den**
Uffizien scheint eine unbedeutende Arbeit des XVII. Jahrh. zu sein.
Kindes, und Darstellung im Tempel) gelten als frühe Arbeiten, aus der Zeit,
da der Meister noch nicht ins Kloster S. Marco getreten war. (Also vor
1500.) Ich kann mich nach öfterer Untersuchung immer weniger in diese
Zeitannahme schicken. — Die sichere Reihe der Werke des Frate beginnt
dann um 1504 mit der Madonna di S. Bernardo, in der Academie.
der Frau (P. Pitti) ist für die verhältnissmässig späte Zeit sehr befangen.*
Die Verzeichnung in seiner Hand und das Unlebendige im Kopf der Frau
geben Einiges zu denken.
gebornen Kindes in der vatican. Galerie. Hier wird der Kopf des Joseph
unbedingt als sein Werk betrachtet; die Köpfe der Engel und der Madonna
können wohl nur entweder von ihm oder von Spagna sein. — In der eben-
dort befindlichen Auferstehung wird wenigstens der schlafende Jüngling rechts
ihm zugeschrieben. — In der Sacristei von S. Pietro zu Perugia ist der das**
Christuskind liebkosende Johannes eine Copie R.’s nach Perugino.
der Eva), — sowie das Crucifix mit den 4 Heiligen, welches noch bei den
Erben des Card. Fesch in Rom sein soll, — die Madonna im Hause Alfani
zu Perugia, — und den Christus am Ölberg im Pal. Gabrielli zu Rom hat
der Verf. nicht gesehen. — Die Madonna im Hause Staffa zu Perugia gilt als
Werk eines Mitschülers.
lass des Copirens in einem der Säle der Galerie Pitti zu sehen. Den Som-
mer hindurch ist diess am häufigsten der Fall.
es sich einerseits um Rafaels damals geschaffene heil. Familie in der Münch-
*ner Pinakothek, andererseits um die beiden heil. Familien des Fra Barto-
lommeo im Pal. Corsini zu Rom und im Pal. Pitti (erstes der hintern Zim-
mer) handelt. Hat Rafael die geschlossene pyramidale Gruppe der Maria,
der beiden Kinder, der Elisabeth und des abschliessend darüber stehenden
Joseph zuerst geschaffen und der Frate ihn unvollständig, mit Weglassung
einer Figur nachgeahmt? Oder hat Rafael das unreife Motiv des Frate erst
durch seine Zuthat zur Reife gebracht? Die Entscheidung ist bedenklich, die
Zusammengehörigkeit der Bilder beider bleibt aber handgreiflich. Ich möchte
eher die erstere Vermuthung annehmen.
lich an dem Schleier der Mutter.
*den — wenn die Madonna della Scarpa in S. Marco zu Venedig (S. 626)
von ihm ist. Das auf ihrem rechten Knie sitzende Kind schickt sich eben
zum Segnen an, und sie lässt die Hände von ihm los.
aufgehen kann; man erfährt wohl aus dem Evangelium aber nie aus dem
Bilde, wesshalb die Schriftgelehrten so betroffen sind; die Argumente, welche
diese Wirkung hervorbrachten, können eben nicht gemalt werden. — Wie
sich Lionardo half, s. S. 863, f. — Wir wüssten sehr viel, wenn wir ermitteln
könnten, welche Gegenstände Rafael trotz der Wünsche Anderer nicht ge-
malt hat und aus welchen Gründen er sie zurückwies. Es giebt von ihm kein
Marterbild; sein weitester Grenzstein nach dieser Seite ist die Kreuztragung
(lo spasimo di Sicilia), abgesehen von dem frühen Cruxifixus, S. 892, *.
Neapel, sind Christus, Moses und Elias auf dem Berge stehend dargestellt.
sonst aber vielleicht bei R. nirgends; er sparte solche Mittel für die äusser-
sten Fälle. In einem der heiligen Diacone auf der Transfiguration rührt
diese Bildung wohl von der Hand eines Schülers her.
tiefsten Schatten.
der Galerie zu Modena dem Giorgione beigelegt wird; nur ist das Haar hier
goldfarbig, mit einer Blume darin. Mir erschien das Bild wie ein Palma
vecchio. An der Brustwehr die Chiffre V.
im Museum von Neapel werden R. gegenwärtig abgesprochen. — Der fälsch-
lich benannte Cesare Borgia im Pal. Borghese zu Rom könnte wohl (Seite
853, d) ein ganz vortreffliches deutsches Bild sein. — Das weibliche Porträt in
**der Stanza dell’ educazione di Giove des Pal. Pitti, Nr. 245 gleicht wohl
etwas der sixtin. Madonna und auch der echten Fornarina, ist aber derge-
stalt übermalt, dass man kaum mehr als die Zeit des Costüms bestimmen kann,
welche allerdings dem Anfang des XVI. Jahrhunderts entspricht.
Natürlich trägt in den italienischen Galerien noch manches Bild den gros-
†sen Namen mit Unrecht. Das Bild im Pal. Pallavicini zu Genua ist eine ehe-
mals gute, mit neuern Accessorien vergrösserte Schulcopie der Madonna des
Museums von Neapel (réveil de l’enfant).
††In der Madonna di San Luca (Sammlung der gleichnamigen Academie
zu Rom) gilt nur ein Theil des Lucas als R.’s eigenhändige Arbeit, der Rest
*†kaum für seine Erfindung. — Mariä Krönung (in der vaticanischen Galerie das
spätere Bild) ist notorisch von Giulio Romano und Francesco Penni ausge-
führt. Ersterer hat im obern Theil offenbar einen rafaelischen Entwurf wenig-
stens partiell benützt; man erkennt Anklänge, die an die Vierge de Fran-
çois I erinnern. Letzterer dagegen hat die untere Gruppe der Apostel selbst
erfunden. Mit der untern Gruppe der Transfiguration verglichen, zeigt sie
noch einmal auf das Bündigste den Abstand zwischen den Meister und dem
†*Schüler. — Der Rafael in der Galerie von Parma scheint mir eine parme-
sanische, etwa von Girolamo Mazzola herrührende Reproduction des Vier-
heiligenstiches von Marc Anton, wobei der Johannes demjenigen des Coreggio
in der Tribuna von S. Giovanni genähert wurde. — Aber schon der Stich
selbst ist schwerlich nach „einer Zeichnung Rafaels“ gemacht, wie Vasari
sagt, sondern viel eher ein Pasticcio des Marc Anton nach einzelnen Figu-
ren aus der Disputa, der zweiten vaticanischen Assunta und den Aposteln
von S. Vincenzo alle tre fontane. — Der Rafael in der Galerie von Modena
ist ein geringes Bild eines Schülers des Perugino.
Kunst und Poesie von den Trionfi des Petrarca abwärts kommt in Betracht.
Kunst und Poesie von den Trionfi des Petrarca abwärts kommt in Betracht.
det man bei Platner, Beschreibung Roms, S. 113 ff., gewissenhafte Auskunft.
obern Gang der Antiken und der Gemäldesammlung des Vaticans aufgehängt.
*vorhanden: Wanddecorationen mit allegorischen Darstellungen in Bezug auf
die Allherrschaft der Liebe, in einem unzugänglichen Raum des Vaticans
(dem sog. Badezimmer des Cardinals Bibbiena); — in ähnlicher Weise wie-
derholt in einem untern Raum der Villa Spada (Mills) auf dem Palatin; —
**die Reste aus der sog. Villa di Raffaelle, jetzt in der Galerie Borghese
(Alexander mit Roxane, und eine Vermählungsscene; das sog. Bersaglio de’
Dei ist nach einer Composition des Michelangelo ausgeführt, vgl. S. 878, b);
†— die Planetengottheiten auf Wagen von ihren geheiligten Thieren gezogen,
in den Ovalen der Decke des grossen Saales des Appartamento Borgia. —
Mehreres Andere gehört schon in der Erfindung den Schülern an; — da-
gegen gelten die Überreste aus der Villa Magliana (5 Miglien vor Porta Por-
tese) als eigene Arbeiten Rafaels, theils um 1511, theils um 1517. Sie wur-
den neuerlich abgesägt und, wie es heisst, verkauft.
*Baroccio) erwähnen, welches wohl von einem Schüler Rafaels ist: ein Mann
von gutmüthigem und doch ruchlosem Charakter, mit Barett, grauem Damast-
kleid und Pelz.
Zeit, findet sich bei einem Luccheser, Zacchia il vecchio. Aus seinen
*Bildern (Himmelfahrt Christi, in S. Salvatore zu Lucca; — Assunta, in S. Ago-
stino, 1527; — Assunta, in S. Pietro Somaldi, 1532, etc.) tönt Einzelnes aus
vaticanische Krönung Mariä hervor.
gängers in dieser Richtung, die Halbkuppel des Chores von SS. Apostoli zu
Rom von Melozzo da Forli gekannt habe. (Ansicht Mündlers, von Waa-
gen, Kunstblatt 1851, S. 158 gebilligt.) Sonach hätte er Rom überhaupt gekannt.
wehren kann. Es ist hier Pflichtsache zu bekennen, dass in Toschi’s Sti-
chen die Köpfe nicht selten versüsst sind — diess unbeschadet der hohen
Achtung vor dem Meister, welchen ich noch wenige Monate vor seinem Ende
in seinem Studio zu begrüssen das Glück gehabt habe. Es wäre sehr zu
schi’s, theils von seiner Schüler Händen, öffentliches Eigenthum würden. Wer
sie noch jetzt zu sehen Gelegenheit hat, versäume dieses nicht.
*beiläufig gesagt, im Pal. Capponi zu Florenz.
bern jene oft fast unförmliche Üppigkeit zu geben? Auch der spätere Tizian
dungen dieser Art. Lüsternheit zu erregen hat sich die Kunst oft herge-
geben, allein dass man gerade mit diesem Typus einem Durchschnittsge-
schmack Genüge geleistet habe, bleibt räthselhaft. Rubens, der denselben auf
seine Weise umdeutete, traf vielleicht schon eher den Sinn seiner Leute.
Romantik angebracht, sondern um bei der Lösung des ungeheuern Farben-
problems freiere Hand zu haben.
dem B. zugeschrieben wird, müsste jedenfalls die Jahrzahl 1523 falsch sein,
wenn sie sich darauf befindet. Es beruht erst auf dem Weltgericht. — Eher
von Marc. Venusti?
geisterten Wetteifer geweckt haben muss. — In der Sacramentscapelle zu
**S. Filippo Neri in Florenz ein Bild der Art von Stradanus.
*Öl gedacht werden, welche zu Florenz theils in den Uffizien (Säle rechts von
**der Tribuna) theils im Pal. Pitti (Durchgang zu den hintern Zimmern der
Galerie) immer mehrere zusammen eingerahmt sich vorfinden. Sie geben
eine reiche Übersicht dieser ganzen Kunstgattung für die Zeit von 1550 bis
1650. Es lassen sich Deutsche und Venezianer des XVI. Jahrh., Niederlän-
der und Florentiner des XVII. Jahrh. wohl ausscheiden von der dabei am
meisten vertretenen Richtung des Bronzino und Scipione Gaetano. — Eine
†kleine Sammlung auch im Pal. Guadagni.
1665); Honthorst (1592—1662); Elzheimer (1574—1620); von der
Fam. Breughel bes. Jan, der sog. Sammetbreughel (1568—1625); Paul
Bril (1554—1626); eine grosse Anzahl niederländischer Genremaler fast nur
in den Uffizien repräsentirt. — Velasquez (1599—1660); Murillo (1618
bis 1682). — Nic. Poussin (1594—1665); Moyse Valentin (1600 bis
1632). Andere bei Gelegenheit zu nennen.
jene jetzt erloschenen Fresken bei S. Micchele in Bosco. S. 1015, g.
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- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Der Cicerone. Der Cicerone. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhp0.0