[]
Ueber
den Starrkrampf.

Inaugural-Abhandlung


STUTTGART.
im November 1824.
[]
[[I]]
Ueber
den Starrkrampf.

Inaugural-Abhandlung


STUTTGART.
im November 1824.
[[II]]

Ars longa, vita brevis.


[[III]]

Dem
hochzuverehrenden
Herrn
Ludwig Friederich Frank,
Dr. der Medicin und Chirurgie, Vorsteher der Entbindungs-
Anstalt und ehemaligem Leibwund-Arzte in Stuttgart
widmet
diese Abhandlung

hochachtungsvoll
der Verfasser.

[[IV]][[V]]

Vorwort.



Den ersten Impuls zu der Ausarbei-
tung dieser Abhandlung gab mir Herr
Dr. Frank, dessen Güte ich die unten
angehängten Kranken-Geschichten ver-
danke.


Bekanntlich hat das Wesen des Te-
tanus die Aufmerksamkeit der berühm-
testen Aerzte und Wund-Aerzte auf
sich gezogen, was viele Untersuchungen
veranlasste, die in ihren Resultaten aber
[VI]
immer mehr oder weniger von einan-
der abwichen, indem sich die meisten
derselben bemühten, diesen Krankheits-
Process auf eine eigene Art zu erklären,
was die Menge der Hypothesen zu Tage
förderte, die über diesen Gegenstand
bekannt sind, in deren Folge auch
natürlich eine Therapie von Jedem er-
funden wurde, die am bessten zu seiner
Erklärungs-Art passte. Allein der jetzige
Stand unserer Kenntnisse hat uns so weit
geführt, dass dadurch die vielen gesuchten
und spitzfindigen Theorien über diesen
Krankheits-Processes nach und nach ein-
gesunken sind und einer einfacheren Deu-
tung desselben Platz gemacht haben.


Der Nutzen, den unsere jetzigen An-
sichten über diese Krankheit vor den
[VII]
früheren hatte, spricht sich hauptsäch-
lich in der Therapie derselben aus, in-
dem wo sonst Jeder die Therapie, die
für seine Ansicht sprach, einschlug, nun
eine glückliche Vermischung einer frühe-
ren Haupt-Methode mit einer neueren zu
den erfreulichsten Resultaten geführt hat.
Jeder Unbefangene, wird mit Vergnü-
gen die äusserst glückliche Versuche,
die Herr Dr. Frank auf diesem Wege
bekannt macht, lesen und diesem wür-
digen Arzte das Verdienst zuerkennen,
dass derselbe eine Behandlungs-Art des
anfangenden Wund-Starrkrampfes auf
die Bahn gebracht hat, deren segens-
reiche Folgen sich gewiss deutlich ge-
nug in den vier angehängten Fällen
manifestirt. Zugleich ergreife ich diese
[VIII] Gelegenheit Demselben meinen innig-
sten Dank für diese Mittheilung zu sa-
gen und ihn zu bitten, mich seiner
ferneren Theilnahme an meinem Schick-
sale, deren ich schon von früher Jugend
auf genoss, gütigst zu würdigen.


Der Verfasser.
[1]

Man versteht unter Tetanus im weitern Sinne
einen tonischen Krampf, d. h. eine andauernde
unwillkührliche Zusammenziehung und Starr-
heit einzelner, vieler oder aller zum willkühr-
lichen Bewegungs-Apparate gehöriger Muskeln.
Im engern Sinne nennt man nur den mehr
allgemeinen Starrkrampf, der vorzugsweise die
Muskeln des Unterkiefers, des Halses, des
Rumpfs und der Extremitäten befällt, Tetanus;
während man den starren Krampf in einzel-
nen z. B. den Wadenmuskeln, den Beugemus-
keln des Arms und Oberschenkels mit dem
Namen Crampus, den partiellen Starrkrampf
der (Kiefer-)Kiefermuskeln, (Hals-)Halsmuskeln und Schlundmuskeln mit
dem Namen Trismus belegt. Der eigentliche
Tetanus (Tetanus universalis) wurde schon in
den ältesten Zeiten nach der verschiedenen
Gestalt, welche der Körper dabey annehmen
kann, in den Tetanus rectus, (bey den Alten
[...] schlechtweg), Opisthotonus und Empros-
thotonus eingetheilt, wozu man in neueren
1
[2] Zeiten noch eine vierte Form, den Pleurostho
tonus, gefügt hat. Da sich alle diese Unter-
scheidungen nur auf Zufälligkeiten beziehen,
so haben sie bis jetzt nur sehr wenig oder
keinen Nutzen weder für die Theorie noch
für die Praxis gehabt; denn es ist noch nicht
nachgewiesen, ob bestimmte wahrnehmbare
Momente existiren, die vorzugsweise das Ent-
stehen der einen oder andern Form bestimmen.
Auch der Unterschied des partiellen und to-
talen Starrkrampfs ist kein wesentlicher, son-
dern nur ein quantitativer; beyde Arten ge-
hen auch in einander über: Aus dem Krampf
der Schenkelmuskeln z. B. bey Verwundungen
kann der allgemeine Tetanus entstehen, und
diesem geht in der Mehrzahl der Fälle Tris-
mus voraus; eben so geht der allgemeine bey
seinem Uebergang in Genesung mehr oder we-
niger deutlich die partiellen Formen durch,
und die zuerst befallenen Kiefermuskeln wer-
den auch gewöhnlich vom Krampf wieder
frey ehe noch die später befallenen Muskeln
des Thorax und des Bauches ihre Starrheit
verlieren (Stütz).


Ebenfalls sehr alt ist die Eintheilung in den
akuten und den chronischen Starrkrampf. Hip-
pokrates
zählt ihn immer zu den akutesten
Krankheiten, und schreibt ihm zugleich, wie
diesen Krankheiten überhaupt, einen bestimm-
[3] ten Typus zu, indem er sagt:

„qui tetano cor-
ripiuntur, intra quatuor dies pereunt, quos si
effugerint sanescunt.“

Wahrscheinlich ist da-
her die Krankheit in Griechenland, wie in
vielen warmen Gegenden, wo sie endemisch
vorkommt, immer oder doch meistentheils
schnell verlaufend. Der akute Tetanus ver-
läuft, wenn er seine Höhe einmal erreicht hat,
ohne Remissionen bis zu seinem meist tödtli-
chen Ende fort; der chronische erleidet Un-
terbrechungen, entweder von ganz krampffreyen
Perioden, oder von klonischen Krämpfen, und
wird daher auch in den intermittens und re-
mittens eingetheilt.


Wichtiger als alle diese, und noch man-
che andere Eintheilung, ist die nach den Gele-
genheits-Ursachen. So unterscheiden Sauvages,
Cullen, Sagar, Valenzi u. a. einen Tetanus fe-
brilis, verminosus, syphiliticus, hemiplegicus,
hystericus, traumaticus u. s. w. Dass es nicht
nur quantitative sondern auch qualitative Ver-
schiedenheiten des Tetanus gebe (ausser de-
nen, die durch das Lebensalter bedingt wer-
den), oder dass der eigenthümliche Krank-
heits-Process des Tetanus Verbindungen mit
andern Krankheits-Processen eingehe, unge-
fähr wie der entzündliche in der pneumonia
biliosa mit dem erysipelatösen, wird schon
durch die Verschiedenheit der Gelegenheits-
1*
[4]
ursachen, des Auftritts der Krankheit, die
Verschiedenheit der Krisen, und die verschiede-
nen, bald mit glücklichem bald mit unglück-
lichem Erfolg, angewandten Heilwege sehr
wahrscheinlich. Diese Verschiedenheiten müs-
sen nun theils von der Prädisposition, theils,
und vorzüglich von den Gelegenheits-Ursa-
chen und besonders von dem genius epidemi-
cus und endemicus abhängen. Da die genaue
Unterscheidung aller dieser dadurch gebilde-
ten Formverschiedenheiten von unendlichem
Werthe, nicht nur zur Ergründung des We-
sens des Tetanus, sondern auch ganz vorzüg-
lich zur Heilung desselben seyn müsste, so ist
es klar, dass eine Eintheilung des Tetanus
nach seinen verschiedenen Ursachen, und eine
Nachweisung, welche Form-Verschiedenheiten
durch dieselben, und durch die Verbindung
mit andern Krankheits-Processen gebildet wer-
den, von grossem Werthe ist.


Da aber die Erfahrungen der Aerzte meistens
nicht von diesem Gesichtspunkt aus gemacht
und aufgezeichnet sind, so setzen uns diese
bis jetzt noch mehr dem Namen als der Sache
nach existirenden Eintheilungen nicht in den
Stand, eine umf assende Zahl von Arten fest-
zusetzen, und deren diagnostische Verschie-
denheiten genau und mit Sicherheit zu be-
stimmen.
[5] Mit Bestimmtheit können wir bis jetzt
nur zwey Arten des Tetanus unterscheiden,
deren Verschiedenheit durch das Lebensalter
begründet wird: 1) den Tetanus der Erwach-
senen; 2) den Tetanus der Neugebornen, ge-
wöhnlich Trismus neonatorum genannt.


Beschreibung. Der Tetanus der Er-
wachsenen tritt entweder nach vorausgegange-
nen Vorläufern, oder, was jedoch seltner ist,
ohne dieselben ein.


Die wichtigsten Zeichen, die man als
Vorläufer beobachtet hat, sind folgende:

1) Oefteres Recken der Glieder und be-
schwerliches Gähnen (Cocl. Aurelianus, De
Haën). 2) Fixes oder herumziehendes Span-
nen und Schmerzen am Halse, dem Nacken,
nach Stütz bey Verwundeten besonders der Len-
dengegend. Ein schmerzhaftes Spannen unter
dem processus ensiformis des Brustbeins, das
sich nach hinten in den Rückgrad zieht; ist
nur in Carolina beobachtet worden (Chalmer
medic. Bemerkungen u. s. w.), und hängt viel-
leicht mit einem Leiden der Digestions-Organe
in jenen heissen Gegenden zusammen. Man-
cherley Schmerzen in verschiedenen Theilen
des Körpers: Kopfweh (Hippokrates), unange-
nehmes Gefühl in der Zungenwurzel, Seiten-
stechen, Magenweh, Kolikschmerzen, Schmerz
in den Extremitäten, besonders den Waden-
[6] muskeln (Trnka S. 32 sq.). 3) Vorübergehende
Schwierigkeit im Schlingen, Veränderung in der
Stimme. 4) Von der Wunde ausgehendes Ge-
fühl von Stumpfheit, Formikation, ziehende
bald wieder vorübergehende Schmerzen im
verwundeten Theil nach dem Laufe der Ner-
ven, beym beginnenden, besonders aber bey
aufhörendem Schlafe.


Die Erscheinungen der Krankheit selbst kann
man in zwey Stadien eintheilen: Stadium
primum s. convulsivum. Es zeigen sich kon-
vulsivische Erscheinungen, die gewöhnlich nicht
sehr heftig sind. Viele zu den Prodromis ge-
zählten Symptome gehören eigentlich hieher,
sie sind die ersten Zeichen des schon beginnen-
den Krampfs, der sich vom niedern Grad, der
Konvulsion, zum höhern, dem Starrkrampfe,
steigert. Das Gähnen entsteht von einer gewis-
sen schon eingetretenen Steifheit der Schlund-
muskeln; die vorübergehende Dysphagie, das
öftere Strecken, die Veränderung in der Spra-
che entstehen aus ähnlichen Ursachen. Es
zeigen sich nun Konvulsionen der Gesichts-
muskeln, spasmus cynicus, Sehnenhüpfen, be-
sonders in den Extremitäten nach Verwun-
dungen, Schluchzen, Zittern der Glieder, und
überhaupt viele konvulsivische Erscheinungen
in sehr verschiedener Gestalt. Diese Zeichen
dauern meistens einen oder mehrere Tage, zu-
[7]
weilen noch länger, zuweilen nur einige Stun-
den und gehen dann in den eigentlichen Starr-
krampf über; sie können aber auch vorüber-
gehen ohne dass Starrkrampf folgt, wie denn
dieser überhaupt, auf jeder Stufe seiner Ent-
wicklung aufgehalten werden kann. Sie kön-
nen aber auch fehlen oder schnell und unbe-
merkt vorübergehen, und das zweyte Stadium
kann plötzlich eintreten. Nie aber sind sie
vereint vorhanden, gewöhnlich fehlen die mei-
sten derselben.


Stadium secundum s. tonicum. Die Stei-
figkeit der Kinnladenmuskeln steigert sich zum
eigentlichen tonischen Krampf; diese und die
Halsmuskeln ziehen sich zusammen und schwel-
len an, und Trismus ist in den meisten Fäl-
len der erste Anfang des eigentlichen Starr-
krampfs; selten tritt er erst später zum allge-
meinen hinzu. Zuweilen kommt es auch nicht
weiter, als zum Trismus, nie aber fehlt er
ganz. Meistens ist der Mund fest geschlossen
und nur sehr selten sind die Kinnladen aus-
einander gespreitzt. Aretaeus sagt zwar:

„ma-
xilla inferior plerumque dehiscit in opistho-
tono et raro cum superiore committur."

Aber
diese Erscheinung ist von keinem andern Beobach-
ter aufgezeichnet. Sie scheint mir übrigens
daher zu rühren, dass die den Kiefer abzie-
henden Muskeln das Uebergewicht über die
[8] denselben aufziehenden bekommen, wie im
Opisthotonus die Rückenmuskeln über die Mus-
keln der Vorderseite, und ausdemselben Grund,
warum dieser häufiger vorkommt als die übri-
gen Varietäten des Tetanus, scheint auch Mund-
klemme häufiger zu seyn, als Mundsperre;
die Erklärung von Stütz, dass der Mund wohl
gerade beym Eintreten des Krampfs geöffnet
gewesen sey, scheint mir sehr gezwungen,
häufig erhalten die den Kiefer aufziehenden
Muskeln nicht ein vollkommnes Uebergewicht,
und die Kiefer klaffen mehr oder weniger.
Dieser partielle Starrkrampf wird, wie der all-
gemeine, manchmal von klonischen Krämpfen
unterbrochen, wodurch ein Stridor dentium
herbeygeführt werden kann; dieser kann aber
auch entstehen, indem die Muskeln stätig im-
mer mehr zusammen gezogen werden, wo-
durch selbst Zähne ausgebrochen werden kön-
nen. Das Leiden der Kaumuskeln erstreckt
sich auf die (Hals-)Halsmuskeln, Schlund und – Schläfenmus-
keln, und später auf die Muskeln der Extre-
mitäten, der Brust und des Bauches, und es
entsteht nun eine von den vier Formen des
Tetanus universalis.


  • 1) Tetanus rectus. Der ganze Körper wird
    grade ausgestreckt. Die Antagonisten des gan-
    zen Körpers sind in der höchsten Zusammen-
    ziehung, und halten sich das Gleichgewicht.
    [9]
    Im höchsten Grad ist der Kranke so steif,
    dass man ihn auf die Füsse oder den Kopf
    stellen kann, ohne dass die geringste Abwei-
    chung von der geraden Richtung seines Kör-
    pers dadurch entsteht. Die Arme sind an den
    Trunkus fest angedrückt. Die Kiefer fest zu-
    sammengeklemmt, die Zähne liegen regel-
    mässig auf einander.
  • 2) Opisthotonus. Der Kopf wird nach
    hinten zwischen die Schulterblätter gezogen
    der Kehlkopf steht hervor, der Hals ist auf-
    geschwollen, der Rücken ist concav. Die Ex-
    tremitäten sind entweder gerade ausgestreckt
    oder gebeugt, ersteres häufiger die Arme, letz-
    teres mehr die Beine; die Finger sind ge-
    wöhnlich in eine Faust geballt mit eingezoge-
    nen Daumen; der Thorax ist sehr erweitert,
    der Bauch ist entweder eingezogen und hart,
    oder durch flatus und feces ausgedehnt und
    gespannt. Der Kranke liegt nur auf dem Hin-
    terhaupt und den Fersen; im höchsten Grad
    berührt der Kopf das Heiligenbein oder die
    Fersen.
  • 3) Emprosthotonus. Das Kinn wird auf
    das Brustbein gedrückt; der Rücken ist con-
    vex; die Arme sind gerade ausgestreckt oder
    werden heftig hin und her bewegt, die Beine
    sind steif. Im höchsten Grade, wie ihn
    Aretaeus beschreibt, wird der Kopf bis auf
    [10]
    die Kniee herabgezogen, welche nach vorn
    concav gekrümmt erscheinen.
  • 4) Pleurosthotonus. Der ganze Körper
    wird nach einer Seite zu gekrümmt, so dass
    er die Gestalt einer Sichel annimmt. Den
    Alten war diese Form nicht bekannt, und aus-
    ser Valselva, Fernelius, Bönecken de Haën
    und einigen andern, haben sie anch die Neueren
    nicht beobachtet. Meistentheils scheint er
    eine Modification des Opisthotonus zu seyn;
    doch tritt er auch zuweilen, aber sehr selten
    als eigenthümliche Form auf, wie folgende
    Beschreibung von Fernelius zeigt: zuerst wird
    der Kopf von Zeit zu Zeit hin und her ge-
    worfen, dann verbreitet sich ein Gefühl von
    Kälte vom Nacken aus zwischen die Schul-
    terblätter, und der Körper wird so auf eine
    Seite gekrümmt, dass er die Gestalt eines la-
    teinischen C hat. —

Bei weitem am häufigsten ist der Opis-
thotonus; der Emprosthotonus ist so selten, dass
ihn Moseley sogar ganz läugnet.


Die Stimme ist bey jeder Form von Starr-
krampf verändert, sie ist schwach, pfeifend,
auch wohl kreischend, heiser und zuletzt fehlt
sie wohl ganz. Die Deglutition wird immer
schwieriger, zuletzt unmöglich. Larrey beobach-
tete in Egypten eine solche Störung in den
Schling-Organen, dass die Kranken, wie bey
[11]
der Wasserscheu, den grössten Widerwillen
gegen Getränke zeigten, und die Anfälle beym
Anblick derselben heftiger wurden,


Die Respiration ist in den wenigsten Fäl-
len normal; meist ist sie kurz, mühsam, keu-
chend, und es tritt von Zeit zu Zeit Erstickungs-
Gefahr ein. Besonders ist dies beym Opi-
sthotonus der Fall, wo doch die Brusthöhle
manchmal ungeheuer ausgedehnt ist, (ein Be-
weis, dass einerseits die Lunge selbst Con-
tractions-Fähigkeit besitzt, andrerseits die
Zwischenrippen und Brustmuskeln nothwen-
dige Adjuvantia dieser Function sind). Der
Augapfel wird starr nach einer Seite, gewöhn-
lich nach oben gerichtet, so dass man nur
das Weisse des Auges sieht, oder es zeigt
sich krampfhaftes Schielen, oder die Augen
werden durch klonische Krämpfe hin und her
gedreht, meistens sind sie thränend, die Augen-
lieder sind halb oder auch ganz geschlossen,
die Pupille ist verengert. Die Sphäre der so-
genannten halbwillkührlichen Muskeln und
gewöhnlich auch ein Theil der mit ihnen in
physiologischen Zusammenhang stehenden un-
willkürlichen Muskeln wird ebenfalls vom
Krampf ergriffen, und es zeigen sich verschie-
dene Symptome in den muskulösen Excretions-
Organen, je nachdem diese von tonischen oder
klonischen Krämpfen befallen werden. Dahin
[12]
gehören folgende Erscheinungen. Der Leib
ist gewöhnlich, besonders im Tetanus curvus
hartnäckig, verstopft. Man hat Fälle, wo er
10 Tage ja sogar einen Monat lang verstopft
war. In andern Fällen wechselt Diarrhoe
mit Verstopfung, oder es ist auch nur erstere
vorhanden. Die Muskeln des Darmkanals sind
oft so sehr vom Krampf ergriffen, dass eine
eingespritzte Flüssigkeit, wohl auch mit Blut
vermischt, sogleich wieder mit Gewalt her-
ausgespritzt wird, oder die Schliessmuskeln des
Afters sind so contrahirt, dass gar kein Kly-
stier beygebracht werden kann. Die Excre-
tion des Urins ist ebenfalls entweder unmög-
lich oder sehr schwierig. Manche können ihn
nicht halten, oder haben einen beständigen
Drang ihn zu lassen. Manchmal ist auch seine
Secretion selbst gehemmt. Im chronischen
Tetanus wird er manchmal in ziemlicher Menge
gelassen und ist blass, wässrig. Schweisse
entweder fehlen oder sind periodisch, oder
beständig, entweder warm und wässrig, oder
kalt und klebrig, manchmal von einem Exan-
them begleitet, das jedoch von vielen der Wir-
kung des Opiums zugeschrieben wird. Die
Secretion des Speichels ist in den meisten Fäl-
len unverändert, manchmal fliesst ein schau-
miger Speichel aus dem Mund, was theils von
der gehinderten Deplutition, theils aber auch
[13]
von wirklich vermehrter und wahrscheinlich
auch veränderter Secretion desselben herrührt,
Aretaeus beobachtete einen Fall, wo in 24
Stunden eine ungeheure Menge Speichel aus
dem Munde floss.


Die Veränderungen im Gefäss-System
sind von verschiedener Art. Fieber geht ent-
weder voraus, oder tritt mit dem Tetanus zu-
gleich ein, oder folgt erst später, ist aber
überhaupt selten mit dem Tetanus verbunden,
und scheint nicht diesem, sondern andern Lei-
den, die mit dem Tetanus gleichzeitig eintre-
ten, anzugehören, z.B. inneren Entzündungen.
Sonst ist der Puls gewöhnlich im Anfang et-
was langsam, schwach, spater zusammen ge-
zogen, schnell, unordentlich, bald klein, bald
auch voll und hart. Der Herzschlag ist manch-
mal heftig. Es entstellen anomale Blutcon-
gestionen nach verschiedenen Theilen, die
keine Irritabilität haben und vom Krampf nicht
ergriffen werden können, besonders gegen den
Kopf und die Brust, und überhaupt in alle
Höhlen des Körpers; daher wird im Anfang
der Krankheit das Gesicht, gewöhnlich gerö-
thet, im spätern Verlauf aber, wegen des stär-
keren Krampfes der Gesichtsmuskeln, wodurch
der Zufluss des Bluts zur Haut gehemmt wird,
erscheint es gewöhnlich blass oft auch livid,
bläulich. Die Lunge, das Gehirn, das Rücken-
[14] mark und ihre Häute werden mit Blut über-
füllt. Beym männlichen Geschlecht zeigen sich
nicht selten andauernde Erectionen des Penis,
und wohl auch Saamen-Ergiessungen, wenn
nicht durch einen stärkeren Krampf des Cre-
master und der Bauchmuskeln die Hoden in
den Bauchring hinaufgezogen werden, und
durch den gehemmten Blutzufluss der Penis
klein und zusammengeschrumpft erscheint. —
Das aus der Ader gelassene Blut zeigt gewöhn-
lich nichts Abnormes; de Haën fand es zwei-
mal in einem entzündlichen Zustand, dasselbe
fand Medikus; Bilfinger fand es mehr dissolut.


Die Erscheinungen im Nerven-System sind
durchgängig Folgen der krankhaft gesteigerten
Sensibilität dieses Systems. Die Thätigkeit
des Sensorium commune ist selten geschwächt,
meistens bleibt das Bewusstseyn bis zum Tode
ungetrübt Die Function der Sinne ist im All-
gemeinen gesteigert, besonders die des Ge-
fühlsinns; oft ist jede Berührung, auch die
leiseste, schmerzhaft und bringt, wie auch Luft-
zug u. dgl., den ganzen Körper in Erschütte-
rung. Das Gemüth ist mit Kummer und Angst
erfüllt, die sich auch in den Gesichts-Zügen
aussprechen. Es zeigen sich, besonders im
früheren Zeitraum und der Wachsthums-Pe-
riode der Krankheit, heftige Schmerzen in
verschiedenen Theilen des Körpers, die beson-
[15]
ders zunehmen, wenn sich der Kranke bewe-
gen will, und ihm oft ein heftiges Jammer-
Geschrey auspressen. In spätern Perioden wird
dies, wegen der zu grossen Schwäche, woran
auch das Perceptions-Vermögen endlich An-
theil nimmt, und wegen der eintretenden
Aphonie, seltener bemerkt . In seltenern Fäl-
len war das Sensorium commune und alle Sinne
von grossem Torpor befallen; oder es waren
auch einzelne Sinne, namentlich das Gehör
sehr schwach. In manchen Fällen hat man
Deliria furibuuda, besonders in der Wachs-
thums-Periode, in andern stille, musitirende
Delirien gesehen — Der Schlaf fehlt gewöhn-
lich ganz, oder wenn er durch Narkotika er-
zwungen wird, oder bey einem mehr chroni-
schen Verlauf von selbst eintritt, so ist er doch
kurz, unruhig, nicht erquickend, und bey’m
Erwachen zeigen sich oft schmerzhafte Zuckun-
gen.


Die vorher verkündenden Zeichen des Te-
tanus neonatorum
treten wegen der grösseren
Agilität und Reizbarkeit des kindlichen Alters
mit mehr Tumult und deutlicher auf als bey
Erwachsenen, wiewohl sie in manchen Fällen
(Schneider Abth. über den Kinnbackenkrampf
der Neugebornen, Herborn 1805) wahrschein-
lich nur wegen der Heftigkeit und Schnellig-
keit des Verlaufs gar nicht beobachtet wur-
[16] den. — Die Kinder die davon befallen wer-
den, weinen viel, gähnen und strecken sich
häufig, sind überhaupt unruhig. Die meisten
Zeichen des herannahenden Tetanus zeigen sich
im Schlaf. Dieser ist unruhig, die Augen sind
halb geöffnet, die Augäpfel entweder starr
nach oben gedreht, schielend, oder werden
konvulsivisch rotirt, die Augen thränen. Es
zeigen sich leichte Krampf-Zufälle in den
Gesichtsmuskeln, besonders den Aufhebe-
Muskeln der Mundwinkel, (so dass die Kinder
zu lächeln scheinen,) auch in den übrigen Mus-
keln des Körpers. Die Kranken schrecken
häufig aus dem Schlafe auf, schreyen heftig,
begehren gierig die Brust, lassen sie aber so-
gleich mit Geschrey wieder fahren. In die-
sem Zeitraum ist die Beweglichkeit der Kau-
muskeln noch nicht bemerkbar gehindert, und
die Schwierigkeit des Saugens kommt nur von
der Steifigkeit der Schlundmuskelnd her. Die
Glieder werden gedehnt oder gegen den Bauch
angezogen; der Athem ist kurz und mühsam.
Röthe und Blässe des Gesichts wechseln mit
einander; oft ist das Gesicht mehr blass oder
bläulich. Der Bauch ist meistens gespannt
und aufgetrieben. Die Darm-Ausleerungen
sind abnorm, bald gehemmt bald zu häufig.
Der Harn wird in ziemlicher Menge gelassen
und ist wässrig, oder seine Excretion gehemmt.
[17]
Sehr häufig zeigen sich Anomalien in der
Funelion der Leber; die ganze Haut beson-
ders das Weisse des Auges wird gelblich, die
Stimme wird schwach, wimmernd.


Diese Erscheinungen verschwinden oft wie-
der, ohne dass der eigentliche Tetanus folgt,
indem kritische Ausleerungen, welche viel
Gallenpigment enthalten, nach oben und un-
ten sich zeigen, ein Harn, der manchmal die
Wäsche gelb färbt, und ein profuser Schweiss.
Meistens sind aber diese Krisen unvollkommen,
es folgt auf sie bloss Intermission oder Re-
mission der Anfälle, die dann wieder kehren
und entweder durch Schwächung das Kind
tödten, oder noch in den eigentlichen Starr-
krampf übergehen. In diesem wird immer
zuerst der Kiefer fest und unbeweglich, mei-
stens dem obern genähert, doch nur selten
bis zur völligen Berührung. Moseley führt ei-
nige Fälle an, worin die Kinnladen weit von
einander gesperrt waren. (Beyde Erscheinun-
gen, die im Tetanus neonatorum häufiger sind
als in dem der Erwachsenen, scheinen mir auf
einem eigenthümlichen Verhältniss der befal-
lenen Muskeln im kindlichen Alter zu beru-
hen, indem die den Kiefer aufziehenden Mus-
keln noch keine solche Energie und Kraft haben
im Verhältniss zu den abziehenden als bey
Erwachsenen, und also hier seltener die voll-
2[18]
kommene Prävalenz über diese erhalten). Die
Muskeln des Thorax, des Halses, der Zunge
werden nun ebenfalls unbeweglich und das
Schlingen meistens ganz unmöglich, so dass
eingenommene Flüssigkeiten unter Husten und
Schluchzen zur Nase herausgestossen werden.
Die Stimme wird immer schwächer, heiser
oder eigenthümlich rauh und dumpf, verliert
sich endlich ganz. Der Athem ist mühsam,
aussetzend, mit Seufzen unterbrochen. Der
Unterleib wird hart nach innen gezogen oder
aufgedunsen. Häufig zeigt sich Erbrechen von
gallicher Flüssigkeit. Die Augen sehen ent-
zündet aus, thränen sind später mit einer ei-
terähnlichen Flüssigkeit überzogen. Wenn der
Tod in diesem Zeitraum noch nicht eintritt,
was jedoch am häufigsten geschieht, so ent-
steht Opisthotonus. Das Gesicht wird bläu-
lich mit rothen Flecken bedeckt, die sich auch
nebst einem klebrigen, kalten Schweiss über
den ganzen Körper verbreiten. Der Puls ist
häufig und hart, zuletzt sehr schnell. Jede
Berührung des Körpers ist gewöhnlich sehr
schmerzhaft. Hillary führt einen Fall an, wo
selbst das Pulsfühlen, oder das Berühren der
Glieder ungeheure Exacerbationen verursachte.


Die ganze Krankheit wird häufig von klo-
nischen Krämpfen unterbrochen.

[19]

Unterschiede des Tetanus von andern ihm nicht
ganz unähnlichen Krankheiten.


Im ersten Beginnen des Tetanus ist seine
Diagnose immer etwas unsicher, und es müs-
sen die kausalen Momente, die endemische
oder epidemische Konstitution u.s.w. zu Hülfe
genommen werden, um mit einiger Sicherheit
auf den sich bildenden Starrkrampf schliessen
zu können. In seiner völligen Entwicklung
aber ist er kaum mit einer andern Krankheit
zu verwechseln; doch haben folgende Krank-
heiten einige Aehnlichkeit mit ihm: Starrsucht,
Katochus, Rheumatismus, Erstarrung der Mus-
keln durch Kälte und Hydrophobie. Er un-
terscheidet sich durch folgendes von ihnen.


Die Starrsucht hält den Körper in jeder
möglichen Stellung fest, in welcher er sich
gerade beym eintretenden Anfall befand; im
Tetanus kann der Körper nur vier Stellungen
annehmen. Bey der Starrsucht hört das Be-
wusstseyn auf; beym Tetanus nur höchst sel-
ten. Bey der Starrsucht haben die Glieder
eine wachsartige Biegsamkeit und nehmen die
Stellung an, die ihnen eine äussere Gewalt
giebt; im Tetanus sind sie starr, können ent-
weder gar nicht, oder doch nur mit Mühe
gebogen werden.


Der Katochus unterscheidet sich von der
2*
[20]
Katalepsie nur dadurch, dass die Glieder in
ihm unbiegsam werden. Die vielfache Ge-
stalt, die der Körper dabey zeigen kann, die
Bewusstlosigkeit, die meistens ungestörte Re-
spiration, und das plötzliche Aufhören des An-
falls unter tiefen Athemzügen, wie aus einem
tiefen Schlaf, unterscheiden ihn hinlänglich
vom Tetanus.


Die Erstarrung durch Kälte die nur mit
dem Tetanus rectus in seinem höchsten Grad
verwechselt werden könnte, unterscheidet sich
von ihm durch das Fehlen der Respiration
des (Herz–)Herzschlags und Aderschlags, durch die Stei-
figkeit der Muskeln ohne Anschwellung der-
selben und unter andern noch durch das kau-
sale Moment.


Bey dem akuten Rheumatismus zeigt sich
immer Fieber, beym Tetanus selten und viel-
leicht nie bey der reinen Form desselben. Der
Tetanus tritt mit Zuckungen ein und diese
wechseln mit Starrheit ab; beym Rheumatis-
mus fehlen sie ganz. Eine starre Zusammen-
ziehung der Muskeln fehlt im Rheumatismus
ganz, und alle Erscheinungen, die davon her-
rühren. Das Gesicht ist im Rheumatismus
andauernd roth, im Tetanus gewöhnlich nur
anfangs. Im Rheumatismus sind die Glieder
durch fremde Kraft leicht beweglich, überhaupt
ist die Unbeweglichkeit in demselben mehr
[21]
Folge des Schmerzes als der aufgehobenen
Macht des Willens auf die Nerven.


Mit Hydrophobie kommt nur der heftigste
Tetanus in heissen Gegenden in dem Symtom
der Wasserschen manchmal überein. Die mehr
klonischen Krämpfe, die Wuthanfälle, in de-
nen furibunde Delirien eintreten, die ganz
freyen Zwischenräume, das Fehlen des Tris-
mus, der eigenthümliche Blick, so wie die
ganze Entstehungsart und viele andere Ver-
schiedenheiten in den Zufällen werden in den
meisten Fällen die Hydrephobie leicht und
mit Bestimmtheit von dem Tetanus unterschei-
den lassen. Doch ist es nicht zu läugnen, dass
sich Fälle denken lassen, wo die Diagnose
äusserst schwer seyn möchte; wenn z. B. die
Bisswunde eines nicht wüthenden oder später
erst wüthend gewordenen Hundes den wirkli-
chen Tetanus hervorbrächte, oder wenn bey
Dunkelheit der Ursache Wasserscheu ganz die
Form des Tetanus annimmt u. dgl. Fälle mehr.
Die Berücksichtigung aller vorausgegangenen
Momente, die endemische Konstitution und
vorzüglich die Gemüthsstimmung, in welche
der Kranke durch den Biss des Hundes ver-
setzt ward, wie auch die Grösse und Art der
Verletzung, können dann noch Fingerzeige für
die Diagnose seyn.


Aetiologie. 1) Prädisponirende Ursachen.


[22]

a) Das Geschlecht. Unter den angeführ-
ten Fällen des Tetanus sind im Ganzen mehr
Männer als Weiber Subjecte dieser Krankheit.
Da die häufigsten Gelegenheits-Ursachen aber
Wunden und Erkältung sind, diese aber im
männlichen Geschlecht häufiger vorkommen,
als im weiblichen, so erhellt daraus noch nicht,
ob das männliche Geschlecht mehr zur Krank-
heit prädisponire. Uebrigens scheint die Er-
fahrung, dass gerade die robustesten Männer,
natürlich unter dem Einfluss der nöthigen schwä-
chenden Potenzen, leichter davon befallen wer-
den, als schwächliche, deren irritables System
weniger entwickelt ist, einigermassen dafür
zu sprechen. Aretaeus schreibt dem weibli-
chen Geschlecht mehr Prädisposition zum Te-
tanus zu; sein Grund ist: ‘frigidae enim sunt.’


b) Das Alter. Aretaeus sagt: Knaben wür-
den leichter davon befallen, aber ohne grosse
Gefahr, Jünglinge seltener, Männer am sel-
tensten, Greise am allerhäufigsten, und mit
der grössten Gefahr. Diesem Ausspruch wi-
dersprechen die Erfahrungen der meisten Aerzte.
Kinder prädisponiren am meisten dazu.*)


Man könnte den Termin, bis zu welchem
[23] die Prädisposition zum Tetanus neonatorum
dauert, vielleicht bis zum ersten Zahnen fest-
setzen. Am stärksten ist sie in gemässigten
Klimaten vom dritten bis zum neunten Tag,
doch ist er auch bis zum zwölften beobach-
tet worden. Vor dem dritten entsteht er fast
nie. In heissen Klimaten dauert die Prädis-
position länger, und auf Domingo z. B. ist
bis zum 40sten Tag noch Gefahr. Das Ulti-
mum, was angegeben wird, ist ein halbes
Jahr (Ackermann); und Scheuchzer sah ihn
sogar 36 Wochen nach der Geburt noch aus-
brechen, wenn anders diese Fälle noch hieher
gerechnet werden dürfen.


Wie sich die übrigen Lebensalter in Rück-
sicht der Frequenz verhalten, möchte wohl
nicht so leicht bestimmt werden können. Im
Mannesalter ist er allerdings am häufigsten;
hier wirken aber auch die meisten Gelegen-
heits-Ursachen; doch scheint, wenn die Theorie
hier ihre Stimme erheben darf, däs höhere
Mannesalter vermöge seiner völlig ausgebilde-
ten, zu ihrer Reife gediehenen Muskelkraft,
verbunden schon mit einer kleinen Hinneigung
zum Starren, besonders dazu hinzuneigen. Bey
Jünglingen ist er, wie schon Aretaeus sagt
seltener. Im Greisenalter steht das Starre an
sich zwar schon in einer gewissen Prävalenz
über das Flüssige und Weiche, aber die ge-
[24] ringere Sensibilität prädisponirt weniger zu
Krämpfen überhaupt.


c) Eben so wenig lässt sich der Einfluss
der Konstitution und des Temperaments auf
die Entstehung des Tetanus bestimmen, doch
ist es wahrscheinlich, dass ein athletischer
Körperbau und das cholerische Temperament
dazu mehr prädisponiren, wenn nämlich die
Gelegenheits-Ursachen gehörig schwächend auf
das (Nerven-)Nervensystem und Blutsystem eingewirkt haben,
so dass die Muskelkraft vorschlägt.


d) Sensible Schwäche oder erhöhte Sen-
sibilität bey vermindertem Wirkungs-Vermö-
gen des Nervensystems.


2) Gelegenheits-Ursachen.


a) Wunden, die häufigste Gelegenheits-
Ursache zumahl in gemässigten Klimaten, und
besonders folgende:


Schusswunden, Stichwunden, oft selbst
nur die Stichwunde einer Nadel, gerissene,
gequetschte Wunden, seltener Schnittwunden,
unter diesen besonders solche, wobey grosse
Flächen entblösst werden; Nervenverletzungen,
besonders halbdurchschnittene, gezerrte Ner-
ven (so hat der Druck auf den Maxillarnerven
durch einen eingesetzten Zahn, Tetanus zur
Folge gehabt; so entsteht er nicht sehr selten,
wenn bey chirurgischen Operationen mit den
Gefässen Nervenzweige nicht bis zur völligen
[25] Tödtung des Nerven unterbunden werden);
ferner: Verletzung von Sehnen und sehnigen
Theilen (vielleicht nur durch Zerrung der be-
nachbarten Nerven); Karies, selbst Karies der
Zähne, Knochenverletzungen, wobey Knochen-
splitter auf die Nerven wirken; Wunden des Ho-
densacks und des Penis, Kastration, Bruchschnitt,
Beschneidung, Gelenkwunden, besonders der
Finger und Fussgelenke; Wunden der Wangen
und des Halses und endlich Kopfwunden. Bey
Kindern besonders die Wunde des durchschnit-
tenen Nabelstrangs, das zu nahe Unterbinden
derselben am Bauche, gewaltsames Behandeln
derselben, nach einigen besonders die Unter-
bindung, ohne dass man das Blut zwischen
der Ligatur und dem Leib des Kindes heraus-
drückt; ferner das ungeschickte Lösen des Zun-
genbändchens. —


Besonders trafen noch manche chemische und
mechanische Einflüsse auf die Wunde selbst
zur Entstehung des Tetanus bey. Dahin ge-
hört besonders die Luft, namentlich eine kalte
und feuchte Luft, die in die eyternde Wunde
dringt; ferner fremde, mechanisch reizende
Körper; nach Ackermanns Erfahrung bringen
die Wunden mit den vergifteten Pfeilen der
Amerikaner noch kurz vor dem Tode Tetanus
hervor, und nach ihm soll das Tabaköl oder
eine Tabak-Abkochung in die geringste Wunde
[26]
gebracht allemal Konvulsionen und gewöhn-
lich auch den Tetanus hervorbringen; Aetzmit-
tel und Säuren werden ebenfalls als Veranlas-
sungen zur Entstehung des Tetanus aufgezahlt.—
Endlich entsteht er, jedoch seltener, durch
Stösse, Quetschungen, Verrenkungen. Man sah
ihn selbst durch das Tragen schwerer Lasten
auf dem Rücken entstehen; bey Kindern ent-
steht er nach Ackermann auch durch zu fe-
stes Einwickeln. — Die Grösse und Bedeu-
tung der Wunde an sich ist zwar nicht gleich-
gültig zur Erzeugung des Tetanus, doch sah
man ihn oft auf kleine Verletzungen entste-
hen, auf bedeutende hingegen nicht; es müs-
sen offenbar immer noch andere ursächliche
Momente zur Wunde hinzukommen, um ihn
zu erzeugen. — Selten zeigt er sich gleich
nach der Verwundung; meist in der Eyterungs-
Periode, oft während der Vernarbung, und
manchmal nach schon völlig beendigter Hei-
lung, wo es nicht unwahrscheinlich ist, dass
die Zerrung eines mit der Narbe verwachse-
nen Nervenzweiges das ihrige zu seiner Ent-
stehung beyträgt.


b) Gemüthsaffecte, besonders direct schwä-
chende: Traurigkeit, Sorgen, Schrecken, Angst,
auch Zorn, besonders der mit der Unmöglich-
keit der Rache verbundene. So sah Bilfinger
einen periodischen Tetanus bey einem jungen
[27]
Mann aus Nahrungs-Sorgen, Ackermann ihn
bey einem Mädchen aus Schrecken, durch
das Bellen eines Hundes erzeugt, entstehen;
so entstand er durch verschmähte Liebe u. s. w.
Daher entsteht er auch bey auf dem Schlacht-
feld Verwundeten und bey chirurgischen Ope-
rationen leicht, wenn diese Affecte mit ein-
wirken. Was den Tetanus neonatorum betrifft,
so sind hier die Affecte der Mutter zu erwäh-
nen, deren Wirkung auf das Kind, einen ge-
wissermassen noch zu ihrem Organismus ge-
hörigen Theil, durch das Medium der Milch
übergehend, Tetanus erzeugen kann. Vielleicht
tragen auch niederdrückende Leidenschaften
der Schwangeren zur Erzeugung des Tetanus
neonatorum
bey; doch verliert dies an Wahr-
scheinlichkeit dadurch, dass die Kinder so
äusserst selten vor dem dritten Tag davon be-
fallen werden, indessen als eine Prädisposition
dazu im Kinde erzeugend können sie immer
betrachtet werden.


c) Erkältung. Sie ist ein Haupt-Moment,
besonders wenn sie zu Wunden tritt; aber
auch für sich allein kann sie den Starrkrampf
erzeugen. In Ländern, deren Lage viele die
Hautthätigkeit störende Einflüsse mit sich führt,
deren Luft feucht und kalt, oder warm und
sehr feucht ist, besonders aber in solchen, wo
auf sehr warme Tage kalte Nächte folgen,
[28] mit starken Thauen begleitet, oder wo
die heisse Luft oft von kühlen und feuch-
ten Seewinden durchstrichen wird, ist jede
Art von Tetanus sehr häufig und in vielen
derselben eine endemische, sehr verheerende
Krankheit. Hier folgt er sehr leicht auf die
unbedeutendsten Verletzungen, und entsteht
auch ohne diese.


In den Tropen-Gegenden von America,
von Africa, auf Guyana, vorzüglich aber in
Cayenne werden die Kinder in der ersten Zeit
sorgfältig vor der äussern Luft bewahrt, und
die Einwohner suchen sich nach jeder Ver-
letzung durch Auflegen von Pflastern u. dgl.
vor dem drohenden Uebel zu bewahren. Nach
Ackermann ist der Tetanus neonatorum auch
in Ungarn endemisch. Sporadisch erscheint
er nicht selten im südlichen Deutschland, sehr
häufig in Fulda (Schneider), häufig in der
Schweiz, in Schwaben; auch in Schottland.
Er wird natürlich auch in den Jahrszeiten am
meisten beobachtet, wo die Bedingungen zur
Erkältung besonders herrschen: in feuchten
Wintern, mit vielen kalten Tagen unterbro-
chenen, feuchten Sommern u. s. w. Dass hef-
tige Kälte an sich (Aretaeus zählt sie zu den
Haupt-Ursachen) den Starrkrampf hervorbringe,
ist nicht wahrscheinlich, da die Erfahrung
nachweist, dass er in nördlichen Gegenden
[29] überhaupt weit seltener ist, als in südli-
chen. Dass aber blosse Erkältung in je-
nen südlichen Gegenden sein endemisches
Herrschen allein nicht bestimme, sondern dass
eine eigenthümliche Beschaffenheit der Atmos-
phäre dort walten müsse, die uns aber noch
ganz unbekannt ist, und auch durch die an
sich unwahrscheinliche Hypothese Bajon's,
dass die Luft dort mit salzigen Theilen ge-
schwängert sey, nicht im Geringsten aufge-
klärt wird, gewinnt dadurch viel Wahrschein-
liches, dass in andern Ländern, deren Ein-
wohner gewiss eben so sehr der Erkältung
ausgesetzt sind, der Tetanus weit seltener vor-
kommt, und Erkältung häufiger andere Krank-
heiten z B. Entzündungen, Rühren u. dgl. ver-
anlasst; dass auch bey uns eine Konstitution
herrscht, die in manchen Jahren die Entste-
hung des Tetanus begünstigt, während in an-
dern Entzündungen oder Typhen entstehen,
bey völliger Gleichheit aller wahrnehmbaren
Bedingungen, wie z. B. in den Jahren 1813
und 1814.


Zu den atmosphärischen Einflüssen, wel-
che die Erzeugung des Tetanus befördern, wer-
den auch noch Verderbnisse der Luft, z. B. in
Spitälern in Gefängnissen u. s. w. gezählt.


d) Verschiedene krankhafte Zustände des
Organismus verursachen ihn, entweder, wenn
[30] sie unterdrückt, werden durch Metaschematis-
mus, oder gehen durch Steigerung in ihn über.
Collin erzählt, einen Fall, wo ein zurückge-
triebener Rothlauf Starrkrampf der Halsmus-
keln nach sich zog. So gesellt er sich zuwei-
len zum crysipelas neonatorum, entweder wenn
derselbe zurückgetrieben wird, oder wenn er
gewaltsam behandelt wird, durch zu starkes
Schnüren u. dgl. Auch die Zurücktreibung
anderer Exantheme verursachte in seltenen
Fällen Tetanus. Intermittirende Fieber gehen
manchmal in ihn über, wenn sie schnell un-
terdrückt werden (überhaupt ist er in den Ge-
genden häufig, wo intermittirende Fieber herr-
schen).


Bey de Haën entstand er durch zurück-
getriebenes Podagra und wurde durch Her-
vorrufung des arthritischen Krankheits-Proces-
ses au seiner ursprünglichen Stelle wieder ge-
hoben. Bierling u. a. führen Fälle an , wo
die Unterdrückung der Menstruation durch
Kälte oder Gemüthsbewegungen den Tetanus
nach sich zog. Auch hysterische Krämpfe ge-
hen manchmal in ihn über. Bedeutende an-
dere Nervenleiden haben zuweilen den Teta-
nus in ihrer Begleitung, z. B. Typhus versa-
tilis, Exantheme mit typhösem Krankheits-
Process verbunden, Hydrocephalus.


e) Schädliche Stoffe im Darmkanal und
[31] Abnormitäten des chylopoëtischen Systems
überhaupt. Boerhaave sah auf den Genuss
des Strammonium's Trismus entstehen, eben so
entstand auf das Verschlucken von schwefel-
saurem Zink ein tödtlicher Starrkrampf. Am
ausgezeichnetsten ist in der Erzeugung des
Tetanus die nux vomica und die ihr verwand-
ten Gifte: lignum colubrinum, angustura falsa,
faba St. Ignatii und mehrere andere Strychnine
enthaltenden Körper. Bartholin sah zwey Mäd-
chen durch den Genuss einer Art Aal von einem
telanischen Zustande befallen werden. Bey Ver-
wundeten ist nicht selten schlechte unverdau-
liche Kost, besonders nach langem Fasten,
die sie auf dem Transport in Feldspitälern, in
Festungen geniessen zu seiner Entstehung eine
mitwirkende Ursache. Am meisten Gewicht
hat die Nahrung bey Neugeborenen. Eine zu
fette Milch kann ihn, wie andere Krampf-
Formen, erzeugen, daher die Milch einer Am-
me deren Kind früher geboren wurde als das
zu säugende. Die Milch mancher Mütter scheint
eine specifische Wirkung zu seiner Erzeugung
zu haben, Werlhof beobachtete nämlich ei-
nen Fall, wo eine Mutter drey Kinder, die
sie selbst säugte, am neunten Tag durch den
Tetanus verlor; das vierte, welches durch
eine Amme gesäugt wurde, blieb vom Teta-
nus verschont. — Das Zurückbleiben des Me-
[32]
coniums ist vorzüglich von den englischen
Aerzten als eine Hauptursache des Tetanus
neonatorum betrachtet worden, und schon
Hippokrates scheint ein grosses Gewicht darauf
gelegt zu haben. Die Hauptursache des län-
ger zurückgehaltenen Meconiums ist eine zu
fette Milch, Entbehrung des Golostrum's. Es
entsteht auch Säure in den ersten Wegen, die
so häufige Ursache klonischer Krämpfe bey
Kindern, die auch den Tetanus zu erzeugen
im Stande ist. Die so häufig beobachteten
ikterischen Erscheinungen beym Tetanus neo-
natorum, und die Erfahrungen von Hillary,
Hamilton, Rush, Dunkan, Unzer, Stark, und
vielen andern lassen wohl keinen Zweifel, dass
Darm-Unreinigkeiten und Abnormitäten in der
Gallensekretion die allerhäufigsten Ursachen
dieses Leidens sind, nicht nur in heissen Ge-
genden, sondern auch bey uns. Bey Erwach-
senen ist dieses Moment von keiner so grossen
Bedeutung, als im kindlichen Alter, wo die
Reproduction überhaupt eine grössere Bedeu-
tung und Ausdehnung hat; dass aber auch
bey Erwachsenen fehlerhafte, scharfe Galle,
Darm-Unreinigkeiten, wichtige Momente zu
seiner Erzeugung sind, beweist die in vielen
Fällen heilsame antigastrische Methode und
besonders die kritischen Ausleerungen des Darm-
kanals, wodurch sich nicht selten auch bey
[33]
Erwachsenen das ganze Leiden entscheidet.—
Auch Würmer gehören hieher und sind gewiss
eine sehr häufige Ursache des Tetanus, be-
sonders desjenigen, der in die Zeit nach dem
ersten Zahnen bis zur Pubertät fallt. Sauvages
hat unter andern einen Fall aufgezeichnet, wo
ein tödtlicher Tetanus bey einem jungen In-
dianer einzig und allein durch eine ungeheure
Menge von Spuhlwürmern erzeugt wurde.


Die möglichen Ausgänge sind dreyfach.


1) Der Ausgang in Genesung ist meisten-
theils mit kritischen Ausleerungen verbunden,
und kündigt sich im Allgemeinen durch fol-
gende Erscheinungen an. Der starre Krampf,
meistens erst der Kiefermuskeln, oder auch
der der Extremitäten macht einzelne immer
länger werdende Remissionen, die Kinnladen
können etwas mehr von einander entfernt wer-
den, und es zeigen sich leichte Zuckungen
und Zittern der Glieder besonders der untern
Extremitäten, oder es zeigt sich ein Formica-
tions-Gefühl von der Rückenmarks-Säule in
die übrigen Theile, besonders die Extremitä-
ten, sich verbreitend; der Einfluss des Wil-
lens auf die Muskeln zeigt sich allmählig wie-
der, wiewohl alle Bewegungen noch zitternd
und sehr mühsam sind; der Puls wenn er
vorher klein und schnell war, wird jetzt voll
und stark. Die kritischen Ausleerungen mo-
3
[34]
dificiren sich nach den Ursachen und der Art
des Tetanus. Am häufigsten tritt ein warmer,
wässeriger, anhaltender Schweiss ein, der sich
gleichmassig über den ganzen Körper verbrei-
tet, während der Schweiss vorher fehlte, nicht
allgemein, nicht dauernd, oder klebrig und
kalt war. Larrey sah den kritischen Schweiss
zuerst auf der Brust und dem Bauch, den
symptomatischen zuerst am Hinterhaupt und
den Extremitäten ausbrechen. In vielen Fäl-
len (seltener in unseren Gegenden beym Wund-
starrkrampf) zeigen sich kritische Ausleerun-
gen des vorher verstopften Leibes, oder Erbre-
chen gallichter und anderer Stoffe. Schon
Hippokrates sagt:

„convulsiones de repente
ortas alvifluxus solvit."

Nach ihm und meh-
reren Neueren ist auch ein reichlich gelassener
Harn, der ein schleimiges Sediment absetzt,
welches er für männlichen Saamen hielt, kri-
tisch. Zufällige kritische Erscheinungen sind
z. B. wenn Trismus durch einen Abscess im
Munde entstand und dieser sich öffnet und
Eyter und Blut ergiesst, auch eine starke Ey-
terung bey Wunden u. s. w. — Es zeigt sich
gewöhnlich einige Esslust; Bilfinger sieht es
als ein sicheres Zeichen der glücklich über-
wundenen Krankheit an, wenn die Kranken
Trockenheit im Schlunde fühlen, und kaltes
Getränk verlangen. Ueber die kritischen Er-
[35]
scheinungen des ausgebildeten Tetanus neona-
torum wissen wir weniger, weil hier der glück-
liche Ausgang sehr selten ist, jedoch sah man
ausser einem kritischen Schweiss bedeutende;
Entleerungen gallichter Stoffe. — Nach der
Tilgung des Tetanus bleiben meistens noch
leichte Spuren desselben zurück, mancherley
convulsivische Zufälle und oft noch lange Zeit
eine gewisse Steifigkeit der untern Kinnlade,
immer aber Schlaffheit und Schwäche der
Muskeln, wodurch oft die geringste Bewegung
äusserst mühsam wird; immer gebietet auch
die Neigung zu Recidiven grosse Aufmerk-
samkeit.


2) Uebergang in eine andere Krankheit.
Der durch Metastase der Arthritis entstandene
gieng in diese über. Der Tetanus, der manch-
mal dem Ausbruch der Blattern vorhergeht,
scheint ebenfalls metastatischer Natur zu seyn,
und verschwindet beym Ausbruch des Exan-
thems. Wenn er aus Rheumatismus entsteht,
oder durch eine rheumatische Ursache, so geht
er manchmal, wenigstens zum Theil, wieder
in denselben über, und rheumatische Schmer-
zen in verschiedenen Theilen werden häufig
als ein Nachlass des Tetanus beobachtet; in
manchen Fällen entsteht auf ihn auch An-
schwellung der Gelenke. Brendel erzählt ei-
nen Fall, wo ein Knabe vom Tetanus befreyt
3*
[36]
wurde, indem ein heftiges Fieber mit einem
krätzähnlichen Exanthem über den ganzen Leib
verbreitet (wahrscheinlich Urticaria pustulosa)
ausbrach. Auch in intermittirende Fieber, z. B.
quartana (Stark) ging der Tetanus über. Schon
Hippokrates sagt:

„a convulsione et distentione
vexato febris accedens solvit morbutn,"

was
wohl nur heissen soll der Tetanus verschwin-
det, wenn Fieber kommt, oder geht in eine
andere Krankheit, nämlich in Fieber über.
Noch wird hieher gezählt der Uebergang in
Lähmung und Apoplexie.


3) Der Uebergang in den Tod , leider noch
immer der gewöhnlichste Ausgang. Der Tod
tritt ein entweder unter den Erscheinungen der
Apoplexia sanguinea, entweder cerebralis auf der
Höhe der Krankheit durch Ueberfüllung des Ge-
hirns und seiner Häute mit Blut, oder wirkliches
Extravasat; oder A. thoracica, die Respiration
wird immer schwieriger, durch den heftigen An-
drang des Bluts zu den Lungen, keuchend,
oft auf eine Zeit lang ganz aussetzend, der
(Herz-)Herzschlag und Pulsschlag wird ungleich, aussetzend,
die Haut ist blass und kalt, mit klebrigem
kalten Schweisse bedeckt und der Kranke stirbt
endlich an Suffokation. Oder der Kranke
stirbt an Apoplexia nervosa, oder langsa-
mer durch allmählige Lähmung aller (Ner-
ven-)
Ner-
venthätigkeit
und Muskelthätigkeit als Folge der
[37] übermässigen Anstrengung. Der Puls wird über-
aus klein, schnell oft aussetzend, der Lebens-
turgor verschwindet, alle Theile und Organe
verlieren mehr odcr weniger ihre Empfindung,
der starre Krampf, gewöhnlich zuerst einzel-
ner Muskeln geht in das Gegentheil von ihm
in Lähmung, plötzliche Erschlaffung über und
endlich liegt der Kranke schlaff und bewe-
gungslos da, mit kaltem klebrigem Schweisse
bedeckt. Manchmal gesellen sich hinzu, be-
sonders bey Kindern starke colliquative
Durchfälle, welche zuweilen, jedoch sehr selten,
auch einen günstigen Ausgang zur Folge hat-
ten. Manchmal scheint auch die Kraft der
Krankheit gebrochen, es zeigt sich Besserung
aller Symptome, und erst später tritt Irrere-
den, Schlummersucht und ein lähmungsartiger
Zustand ein und der Tod erfolgt endlich durch
Erschöpfung.


Die Dauer der ganzen Krankheit ist sehr
verschieden. Der sehr akute tödtet oft schon
in 24 Stunden; sonst verläuft er gewöhnlich
in 3, 4, 5, 11, bis 20 Tagen. In dieser Zeit
verläuft der Wundstarrkrampf meistens, und
dehnt sich selten noch weiter hinaus. Der
aus andern Ursachen entstandene dauert in
unsern Gegenden oft länger, manchmal Mo-
nate, selbst Jahre lang, mit (Re-)Remissionen und Inter-
missionen. Der Tetanus neonatorum verläuft
[38]
in heissen Gegenden gewöhnlich schon in
6 — 12 Stunden und seine Dauer bis zum
zehnten Tag ist eine der längsten, welche
beobachtet wurden (Bajon 1 c. p. 156). Sehr
selten ist schon seine Dauer bis zum fünften,
siebenten oder achten Tag.


Die Prognose ist im Ganzen immer un-
günstig, wiewohl in unserer Zeit nicht mehr
so schlimm, als bey den Alten, die noch keine
so durchgreifende Behandhmgsweise kannten,
als wir. Hippokrates, Aretaeus und die mei-
sten alten Aerzte erklären bekanntlich die
Konvulsionen, die sich zu Wunden gesellen,
geradezu für letal. — Vorzüglich sind es fol-
gende Zeichen, die als den Tod vorhersagend
betrachtet werden, das Herausfliessen einer
eingebrachten Flüssigkeit aus der Nase, auch
eines Schleims aus derselben, während sie
vorher trocken war; lautes Deliriren, heftiges
Schreyen oder Possenreissen, besonders nach
vorausgegangener Aphonie. Das plötzliche
Schlaffwerden der Kinnbackenmuskeln, wäh-
rend der übrige Körper noch vom Starrkrampf
befallen ist (Hippokrates). Die Lähmung ei-
nes Gliedes wird auch von den Neueren als
ein gewisses Zeichen des Todes angesehen.
Ferner heftige Erschütterungen, die den gan-
zen Körper gewaltsam angreifen, und schnell
auf einander folgen; ein kalter klebriger Schweiss,
[39] der immer kälter wird, besonders, wenn er
zuerst die Extremitäten befällt. Ausserdem
noch die Zeichen überhandnehmender grosser
Schwäche, ein schneller, kleiner intermitti-
render Puls, Hippokratisches Gesicht, Stumpf-
heit aller Sinne und Theile u. dgl. mehr.


Die Zeichen, welche den Uebergang in
Genesung anzeigen sind bey den Ausgängen
schon angegeben worden. Das Fieber, in
welches der Tetanus manchmal übergieng,
hat einen schlimmen, manchmal einen gün-
stigen Ausgang genommen; doch muss die-
ser Uebergang im Ganzen für günstig gehal-
ten werden, weil selten ein Fieber so lebens-
gefährlich ist, als der Starrkrampf. Der Ueber-
gang in Rheumatismus und überhaupt in jede
Krankheit, durch deren Metastase oder durch
deren Steigerung er entstanden war, ist immer
sehr erwünscht. Zeigen sich die Symptome
der Apoplexie oder Lähmung, so ist der Tod
meistens unvermeidlich. — Die Art des Te-
tanus und die entfernten Ursachen desselben
sind zur Bestimmung der Prognose sehr wich-
tig. Hier gilt im Allgemeinen das Gesetz: je
akuter der Tetanus verläuft desto schlimmer
ist die Prognose, Nach dem vierzehnten Tage
kann man in den meisten Fällen die Prognose
günstig stellen. In heissen Gegenden wurde
jede Art des Tetanus seltener geheilt als bey
[40] uns, weil dort der Verlauf viel rascher ist.
Daher ist auch der anhaltende Tetanus schlim-
mer, als der remittirende und intermittirende.
Der Tetanus rheumaticus gehört (in so fern
uns die Mittel zu Gebot stehen seine Ursache
zu bekämpfen ,) zu den leichteren Formen und
wird wenigstens in unseren Gegenden, bey
einem nicht zu raschen Verlauf, nicht selten
geheilt. Eine der leichtesten Formen scheint
der Tetanus verminosus im Knabenalter zu
seyn, womit auch der Ausspruch von Aretaeus,
dass der Tetanus bey Knaben am leichtesten
geheilt werde, übereinstimmt. Die metasta-
tischen Formen scheinen zu den weniger ge-
fährlichen zu gehören, wenn die Ursache nur
bald genug erkannt wird, und die ursprüng-
liche Krankheit wieder herzustellen ist. Der
Tetanus traumaticus gehört zu den schlimm-
sten Formen; die Grösse und Art der Wunde,
der Substanzverlust in fester und flüssiger Form,
die Schädlichkeiten, welche darauf eingewirkt
haben, bestimmen hier zum Theil die Prognose.
Besonders bedenklich ist er, wenn er auf Kopf-
verletzungen folgt, wo Knochensplitter, Extra-
vasate u. dgl. nicht weggeschafft werden kön-
nen, ferner bey brandigen, stark gequetschten
gerissenen Wunden. Der Tetanus neonatorum
ist unter allen der schlimmste. In heissen
Gegenden, wo die Krankheit sehr akut ist,
[41] höchstens in vier Tagen verläuft, ist er nur
selten geheilt worden; Bajon, Rush, Moseley,
sahen alle Kinder, die davon ergriffen wurden,
sterben. In unsern Gegenden ist die Gefahr
ebenfalls sehr gross, doch nicht so gross, als
in heissen Ländern. Die Erfahrungen von
Hillary, Schneider, Gölis u. a. beweisen, dass
wenigstens in den ersten Stadien die Heilung
nicht unmöglich sey. Das Stadium hat na-
türlich viel Einfluss auf die Prognose, und
diese mag beym Tetanus neonatorum auch
besonders darum so ungünstig seyn, weil der
Arzt selten zu den Vorläufern oder in den er-
sten Paroxysmen zum Patienten gerufen wird,
sondern erst bey ausgebildetem Uebel. — Beym
Uebergang in Lähmung oder Apoplexie vermag
gewöhnlich keine Kunst mehr die Gesundheit
herzustellen. — Ein wichtiges Moment zur
Bestimmung der Prognose ist die Körperbe-
schaffenheit des Kranken. Die mehr zum Star-
ren hinneigende Körperbeschaffenheit und die
schwachen, leicht erschöpften Kräfte des hö-
heren Alters trüben die Prognose des Starr-
kramps alter Leute sehr, und schon Aretaeus
sagt:

„senes inter omnes aetates maxime
vitio perimuntur.“

Ein sowohl durch direct als
indireet schwächende Ursachen geschwächter
Organismus ist weniger fähig, eine so hef-
tige Krankheit zu ertragen, und wird eher
[42]
durch Erschöpfung aufgerieben werden. We-
gen der grösseren Reizbarkeit bey geringer
Kraft ist auch die Prognose bey Neugeborenen
immer sehr ungünstig.


Die nächste Ursache des Starrkrampfs.
Fast von allen Schriftstellern wird das Wesen
jeder Art von Starrkrampf für ein und dasselbe
gehalten. Da aber die Symptome des Tetanus
neonatorum nicht durchaus dieselben sind, als
die des Starrkrampfs Erwachsener, da sich
auch in diesem, je nach den verschiedenen
Ursachen desselben, Modificationen in den
Krankheits-Erscheinungen zeigen, und da die
Krisen verschieden sind, so ist es klar, dass
auch das innere Wesen oder die den äusseren
Erscheinungen zu Grunde liegende Verände-
rung in der Lebensthätigkeit der leidenden
Systeme nicht überall dieselben seyn könne.
Alle Verschiedenheiten in der Form der Krank-
heit sind aber nur geringe Abweichungen von
einer Grundgestalt, und somit auch alle der
Form parallel gehenden Verschiedenheiten im
Wesen nur leichte Modificationen eines und
desselben Wesens, und in so fern, und nur
in so fern, kann man sagen, dass dem Starr-
krampf immer ein und dasselbe Wesen zu
Grunde liegt, gleichsam das Wesen der Gat-
tung. Wollen wir die Gattungsform des Te-
tanus auffassen, so müssen wir das, worin alle
[43]
jene Arten übereinkommen, als das Gemein-
same, Wichtigste herausheben und in diesem
liegt nun der Gattungs-Character aller ver-
schiedenen Arten. Dieser Gattungsform liegt
nur ein gemeinschaftliches Gattungswesen zu
Grunde. Das Wesen einer Krankheit zu er-
forschen, haben wir zwey Wege: nämlich den
Schluss von der Ursache auf die Wirkung
oder mit andern Worten : die Erforschung der
Wirkungsart derjenigen Momente, welche die
krankhafte innere Veränderung im Organis-
mus hervorbringen, und aller derjenigen Po-
tenzen, welche diesen krankhaften Zustand
aufheben können, oder die Beurtheilung der-
jenigen Heilverfahren, welche sich gegen die
Krankheit wirksam gezeigt haben; und zwey-
tens: den Schluss von der Wirkung auf die
Ursache, oder die Betrachtung aller Erschei-
nungen, welche durch diese innere Verände-
rung hervorgebracht werden, also die Sympto-
me der Krankheit selbst und die Veränderun-
gen, welche die Leichenöffnung im Körper
nachweist.


Die Primärwirkung der meisten den Te-
tanus erzeugenden Ursachen ist direct schwä-
chend, d. h. sie entziehen der organischen
Kraft die Reitze, welche sie zu ihrer Thätig-
keit bedarf, oder die Stoffe, in welchen und
durch welche sie wirkt. Dass Säfte-Verlust,
[44] Mangel an gehöriger Restauration, verdorbene
Luft u. s. w. direct schwächend wirke, bedarf
keines Beweises. Sorge, Kummer, der mit
dem Gefühl nicht befriedigter Rache verbun-
dene Zorn, wirkend, direct schwächend, denn
sie beruhen auf Mangel des Gefühls, sich mit
den uns handelnd umgebenden feindlichen We-
sen und Umständen im gehörigen Gleichge-
wicht zu befinden, welches Gefühl zur Hei-
terkeit der Seele, einem immer nothwendigen
Reitz für die Kraft des Organismus, durchaus
nöthig ist. Die Trennung des Zusammenhangs
eines Organs, sey es Muskel, Sehne, Nerve,
schwächt die organische Kraft die ihren Sitz
in diesem Gebilde hat, direct durch Entzie-
hung oder vielmehr theilweise Zerstörung ih-
res Substrats, denn die der organischen Kraft
untergeordnete physische Kraft, die Elastici-
tät, wird überwiegend, und der durchschnit-
tene elastische Theil zieht sich zurück, ohn-
erachtet er in seinem normalen Zustand nichts
weniger als gespannt war, weil eben die or-
ganische Kraft in ihrer Stärke jede Aeusserung
der reinphysischen Kraft überwiegt. Auch
durch Stoss, Zerrung u. dgl. wird die organi-
sche Kraft direct geschwächt. Eindringen
von Luft, Aetzmitteln u. s. w. erhöhen
noch die Wirkung der die Kraft direct
und momentan schwächenden Einflüsse,
[45] durch feindliche Einwirkung auf die or-
ganische Struktur. Kälte ist ein Reitzman-
gel und bewirkt die Störung der Hautausdün-
stung durch Entziehung eines nothwendigen
Reitzes, der Wärme. Störungen in der Ver-
dauung und Chylification, Darm-Unreinigkeiten,
zurückgebliebenes Mekonium, Säuren in den
ersten Wegen, wirken an sich, als die Er-
nährung beeinträchtigend, direct schwächend;
gewöhnlich sucht man aber die Ursache, wel-
che Krämpfe überhaupt bey Kindern hervor-
bringen, mehr in dem abnormen Reitz, den
diese schädlichen Stoffe auf den Darmkanal
und mittelbar auf den ganzen Organismus aus-
üben; ohne dieser Ansicht im Geringsten wi-
dersprechen zu wollen, möchte ich nur darauf
aufmerksam machen, dass sie auch als Reitz-
entziehend wirken, also direct schwächen, und
was den Starrkrampf Neugeborener aus dieser
Ursache betrifft, so scheint mir noch darauf
ein besonderes Gewicht gelegt werden zu müs-
sen, dass durch Störung der Chylopoëse und
Blutbereitung vorzüglich den Nerven der zu
ihrer Wirkung nöthige Stoff entzogen werde,
dass diese Stoff-Entziehung im Nervensystem
weit fühlbarer seyn wird, weil dieses gerade
in dem kindlichen Alter in seiner raschesten
Entwickelung begriffen ist, wofür unter vielem
andern die allgemein bekannte Erfahrung spricht,
[46]
dass die Nerven und deren Central-Theile
Rückenmark und Gehirn verhältnissmassig weit
mehr Blut erhalten, als bey Erwachsenen;
das Muskelsystem hingegen führt weniger Blut,
ist schlaffer und blässer als bei Erwachsenen,
wird also nicht so leicht, als das Nervensy-
stem von Schwäche durch Störung der Repro-
duction, aflicirt.


Die Schwäche, welche am gewöhnlich-
sten durch direct schwächende Ursachen her-
vorgebracht wird, ist sensible Schwäche, er-
höhte Empfindlichkeit mit verminderter Ener-
gie des Nervensystems. Wenn auch indirect
schwächende Momente, z. B. grosse Hitze,
häufiger Genuss von Branntwein zur Erzeu-
gung des Tetanus mitgewirkt haben, so ist
unter seinen Ursachen doch jedesmal eine die
direct schwächend wirkte, und directe oder
sensible Schwäche ist jedesmal die Schwäche,
welche die Prädisposition zum Tetanus bildet
und ihr Character ist ihr immer durch eine
direct schwächende Ursache aufgedrückt wor-
den, wenn auch indirect schwächende Ursa-
chen zu ihrer Erzeugung mitgewirkt haben.
Hat die Schwäche des Wirkungs–Vermögens
des Nevensystems einen gewissen Grad erreicht,
so muss nothwendig ein Missverhältniss ein-
treten zwischen ihrer Kraft und der Kraft der-
jenigen Systeme, in welche sich das Nerven-
[47]
system einbildet. Dieses Missverhältniss hat
nun entweder an sich oder wenn noch Reitze
auf den Organismus einwirken, welche nun
wieder Leidenschaften, Wunden, Zerrung der
Nerven und überhaupt alle Einflüsse seyn kön-
nen, welche die selbserhaltende Kraft (den
Selbsterhaltungstrieb) des Organismus zur Reac-
tion reitzen, Reaction zur Folge, d h. der
Organismus wird einen Versuch machen durch
erhöhte Kraftanstrengung eines oder mehrerer
Systeme, die von einer Seite her drohende Zer-
störung zu heben und aufzuwiegen. Alle noch
übrige Nervenkraft wird sich nun auf ein oder
das andere System kontrahiren ; und ihre ganze
Tendenz wird Erhöhung seiner Lebensthätig-
keit seyn. Dieses System wird längere oder
kürzere Zeit in der Ausübung seiner höchsten
Lebensfunction beharren, und so lang es darin
beharrt, wird alles übrige Wirkungs-Vermö-
gen derjenigen Nerven, welche sich in dieses
System einbilden, an dasselbe gebunden er-
scheinen, nicht vermögend noch eine andere
Funktion in demselben hervorzurufen. Ge-
schieht diese Reaction primär und hauptsäch-
lich im Gefässsystem, so entsteht Entzündung
oder Fieber. Geschieht die Reaction im Mus-
kelsystem, so entsteht Krampf. Der Nerve bringt
in Verbindung mit der Muskelfaser zwey Func-
tionen hervor: Expansion und Kontraction der-
[48] selben. Die höchste Steigerung der Muskel-
thätigkeit ist offenbar Contraction und zu die-
ser wird im Starrkrampf andauernd die von
Innen nach Aussen wirkende Thätigkeit, oder
der reale Pol des Nervensystems verwandt,
während die von Aussen nach Innen gerich-
tete Thätigkeit oder der ideale Pol frey und
noch gesteigert erscheint. Starrkrampf und der
höchste Grad der Entzündung sind sich daher
in gewisser Rücksicht analog, nur ist dort
das Muskelsystem, hier das Gefässsystem das
reagirende, welches die ganze Wirkungskraft
des Nervensystems in Anspruch nimmt, sie
bindet. Diese Veränderung in dem Verhält-
niss der Nerven und Muskeln, wodurch letz-
tere gleichsam überwiegend, findet sich mei-
stentheils auf diejenigen Rückenmarks-Nerven
beschränkt, die sich in die willkührlichen Mus-
keln einsenken, und das Rückenmark wird
endlich als ihr Centraltheil mit ergriffen; die
Verbreitung im Ganglien-System ist unbedeu-
tend und die auf das Gehirn selten. — Mit
dieser Idee von der nächsten Ursache des Starr-
krampfs scheinen mir nun auch alle Haupt-
Erscheinungen oder die Gattungs-Form des-
selben im Einklang zu stehen. Die ganze
Wirkungs-Seite der Nerven der willkührlich
beweglichen Muskeln ist in der Contraction
der Muskeln aufgehoben, gebunden, erscheint
[49]
gewissermassen als todt, kein noch so inten-
siver Impuls des Willens vermag dieselbe von
der Muskelthätigkeit loszureissen und der Seele
unterzuordnen, und dieses Wirkungsvermögen
ist andauernd so auf die höchste Muskel-Func-
tion verwendet, dass diese im gesunden Zu-
stand durch den Impuls des Willens nicht so
hoch gesteigert werden kann. Dabey ist der
entgegengesetzte Pol des Nerven-Systems frey
und noch gesteigert; das Sensorium commune
ist nicht getrübt, sondern parallel mit der er-
höhten Sensibilität gegen alle äusseren Ein-
drücke so empfänglich, dass auch die unbe-
deutenderen derselben zu stark sind, daher
unangenehme Gefühle oder Schmerz bewirken;
und der innere abnorme Zustand wird deut-
licher empfunden; aus beyden Ursachen der
erhöhten Sensibilität gegen innere und äussere
Verhältnisse muss nothwendig Angst und Nie-
dergeschlagenheit entstehen.


Noch scheint mir die Betrachtung einer
Potenz, welche; auf den Organismus einwir-
kend, den Tetanus vor unseren Augen entste-
hen lässt, und ihn von seinen leisesten An-
fängen bis zu seiner höchsten Entwickelung
durchführt, für die Erforschung des Wesens
desselben von nicht unbedeutendem Werth;
ich meine die Nux vomica, und die ihr ähn-
lich wirkenden Mittel. Ihre gelindeste Wir-
4
[50]
kung auf das Nervensystem spricht sich deut-
lich in vermindertem Wirkungs–Vermögen und
erhöhter Sensibilität dieses Systems aus. Ge-
fühl von Schwere, erschwerte Bewegung der
willkührlichen Muskeln auf der einen, grosse
Empfindlichkeit gegen etwas starkes Licht,
starken Schall u. s. w. auf der andern Seite
begründete ungefähr den Zustand, der zum
Tetanus hinneigt, und bey gehöriger Reaction
im Muskelsystem in ihn übergeht. Diese Reac-
tion zeigt sich erst nur schwach durch Zittern
der Glieder, einzelne Zuckungen, die bey äus-
serer Berührung heftiger weiden, beschwerte
Respiration, veränderte Stimme u. s. w, alle
diese Zeichen können sich wie beym Tetanus
durch andere Ursachen durch kritische Sekre-
tionen im Darm und der Haut entscheiden.
Geht der Grad der Wirkung noch weiter, so
zeigt sich die stärkste Reaction im Muskel-
System, als wahrer Tetanus.


Die Leichenöffnung verbreitet wenig Licht
über die nächste Ursache des Starrkrampfs.
Erweichung des Rückenmarks und Wasser-Er-
guss in dessen Kanal scheint die einzige Erschei-
nung zu seyn, die vom Krankheits-Process
des Tetanus selbst bedingt wird. Diese Er-
scheinungen beweisen aber nichts, als dass
die Krankheit dem Nerven-System angehöre;
[51]
bey Hydrophobie und vielen andern Neurosen
findet man dasselbe. —


Mit der eben ausgesprochenen Hypothese
stimmt die von Richter am meisten überein:
Der nächste Grund des Starrkrampfs liege in ei-
ner eigenen, nicht allein quantitativen son-
dern auch qualitativen, übrigens unbekannten
Veränderung des Nervensystems, die nicht auf
die gewöhnlichen Begriffe von Stärke und
Schwäche zurückzuführen sey, und die Eigen-
thümlichkeit habe, mehr die Nerven des Gang-
lien-Systems, (?) weniger, ja selbst oft gar
nicht das Gehirn oder Cerebral-System zu
afliciren.


Rush leitet den Starrkrampf von Erschlaf-
fung und fehlendem Ton der festen Theile ab.


Trnka u. a. denken an eine mechanische
Spannung der Nerven, welche das Muskel-
system durch Contraction zu heben sucht;
vielleicht schwebte den Alten etwas Aehnli-
ches vor, wiewohl sie Krämpfe überhaupt von
Repletion und Inanition ableiteten.


Reil (Fieberlehre Bd. 2 S. 461) hält eine
chemische Veränderung des ponderablen Stoffs,
wodurch die Elasticität in den Muskeln auf
die Weise vermehrt werde, dass dadurch die
Härte und Steifheit derselben entstehe, für
die nächste Ursache des Starrkrampfs. Dass
aber die Elasticität den Muskel mit solcher
4*
[52] Kraft zusammenziehen könne, dass dadurch,
wie beym Trismus, selbst zuweilen Zähne aus-
gebrochen werden , scheint mir selbst zu bezwei-
feln zu seyn, wenigstens fehlt es an analogen
Fällen, worin die Elasticität derselben für so
ungeheuer gross gehalten werden könnte; und
dann ist es auch nicht wohl zu begreifen, wie
ein lebender Organismus eine bloss physische
Kraft, in einem so grossen Theil desselben,
die organische Kraft ganz verdrängt haben
sollte, ohne dass der Organismus aufhörte or-
ganisch zu seyn.


Was die Hypothese Bilfinger’s, Boerhaa-
ve’s
u. a. betrifft, dass die nächste Ursache
des Tetanus in der zu grossen Quantität des
in die Muskeln einem Blitz gleich fahrenden
Nervenfluidums liege, so scheint es mir ein
Mangel derselben zu seyn, dass darin durch-
aus nicht angedeutet ist, warum es der Seele
so ganz unmöglich sey, diesen Strom aufzu-
halten, oder mit andern Worten, dass diese
Hypothese keinen qualitativen Unterschied
zwischen der normalen und der krampfhaften
Zusammenziehung des Muskels angibt; der
Einwurf aber, den man gegen sie anführt, dass
es unbegreiflich sey, wie die Muskeln dann
im Tode noch zusammengezogen bleiben, liesse
sich, wenn es wirklich ein Einwurf wäre, ge-
gen jede Hypothese machen, welche die Zu-
[53]
sammenziehung der Muskeln im Krampf für
einen Lebens-Akt hält.


Mit dieser Hypothese kommt die von Stütz
in so fern überein, als nach ihr ein Stoff in den
Muskelzellchen abnorm angehäuft wird und
diese ausdehnt. Dieser Stoff ist der vom un-
verletzten Blutumlauf immer neu zugeführte
Sauerstoff, während der Zufluss der andern
Stoffe, durch deren beständige Verbindung mit
dem Sauerstoff in den Muskelzellchen die un-
merkliche Muskelbewegung (Oscillation in der
Expansion) und bey grösserer Lebhaftigkeit des
chemischen Processes, die sichtbare Muskel-
Bewegung (Oscillation in der Contraction) vor
sich geht, vermindert wird; theils, und vor-
züglich, durch die gestörte Leitungs-Fähigkeit
der Nerven, die Stickstoff aus dem Gehirn in
die Muskelzellchen führen sollen, theils durch
Schwächung des chemisch-organischen Pro-
cesses in der Muskelzelle, wodurch Wasser-
stoff und Kohlenstoff aus dieser entwickelt
werden sollte. Diese Hypothese ist mit so
vielem Scharfsinn ausgeführt, dass man ihr
nicht widersprechen könnte, wenn scharfsin-
nige Folgerungen einen ganz hypothetischen
oder falschen Vordersatz wahr machen könn-
ten. Die Existenz eigentlicher Muskelzellchen
ist sehr unwahrscheinlich; wiewohl Stütz den
Process in denselben chemisch-organisch nennt,
[54]
so sind sie bey ihm doch eigentlich nichts
als chemische Laboratorien, worin sich gas-
förmige Substanzen nach rein chemischen Ge-
setzen verbinden, niederschlagen, so dass das
Zellchen zusammen fallt, darauf sich wieder
anhäufen und das Zellchen wieder ausdehnen;
und wollten wir auch annehmen, dass die
normale Contraction der Muskel-Fieber auf
einer Beschleunigung dieses Processes beruhe,
so ist doch die Annahme, dass dieser Process
im Krampf gehemmt sey und das Zellchen von
Sauerstoff ausgedehnt sey, ganz falsch , denn
dann müsste der Muskel nach allen Dimensio-
nen an Volumen zunehmen, wie eine mit Luft
angefüllte Blase, der Muskel zieht sich aber
wirklich nach einer Dimension heftig zusam-
men, was jeder Trismus deutlich beweist.—
Die Annahme, dass die Nerven Stickstoff aus
dem Gehirn in die Muskelzellchen führen, der
sich dann mit den anderen Stoffen verbindend
zur Muskel-Substanz verwandt wird, heisst
den Nerven zu einem Organ der Reproduction
machen, und ist auf keinen anderen Grund
gestützt, als auf die Nothwendigkeit dieser
Annahme zur Theorie. Alle Beweise, welche
für die Theorie sprechen sollen, erlauben noch
eine andere, und weit ungezwungenere Deu-
tung, so z B. die krampfstillende Wirkung des
Opium, des Kali, die alle nur durch Entzie-
[55]
hung des Sauerstoffs wirken sollen, aber gar
keinen Sauerstoff, wenigstens letzteres, sondern
nur gebildte Säuren zu entziehen vermögen,
deren Bildung hier aber gerade wegen des
Mangels an andern Stoffen, des Kohlenstoffs,
Wasserstoffs, unmöglich ist. Man könnte auch
mit Recht fragen, warum, wenn die Anhäu-
fung des Sauerstoffs das zu Bekämpfende ist,
dieser aber durch das Gefäss-System immer
frisch herbeygeführt wird, nicht das Gefäss-
System deprimirende Mittel Antiphlogistica
und besonders Digitalis wirksamer sind, als
ein paar Gram Opium, die gewiss, sehr wenig
Sauerstoff zu entziehen vermögen.


Wichtiger als die Stützische Theorie ist
eine, welche in neuerer Zeit viele Anhänger
gefunden hat, nämlich die: Tetanus beruhe
auf einer Entzündung des Nerven-Systems be-
sonders des Rückenmarks und seiner Häute.
Der Hauptumstand, welchem diese Hypothese
ihr Entstehen verdankt, mag wohl, wie bey
den meisten Hypothesen der Art, und den
darauf gebauten Heilmethoden, in dem Cha-
racter liegen, den ein gewisser Genius epi-
demicus allen Krankheiten zu einer gewissen
Zeit aufdrückt. Dieser scheint in neueren Zei-
ten mehr der entzündliche gewesen zu seyn.
Der Hauptgrund, den man für die Identität
der Myelitis und des Tetanus anführt, ist
[56]
die Aehnlichkeit der Veränderungen in bey-
den Krankheiten, die man beyder Leichen-
Oeffnung wahrnimmt. Bey manchen Leichen
am Wund-Starrkrampf Gestorbener fand man
einen oder mehrere Nervenzweige von der
Wunde her entzündet; diese Nerven-Entzün-
dung war in andern Fällen in hohem Grade
vorhanden, ohne dass Tetanus eintrat, häufig
war Tetanus vorhanden ohne Nerven–Entzün-
dung. Daraus geht deutlich hervor, dass diese
Nerven-Entzündung zum Tetanus nicht we-
sentlich gehöre, das Wesen desselben nicht
ausmachen könne. Eben so ist es mit der
Beschaffenheit des Rückenmarks; die Zeichen
der Entzündung fand man in vielen Fällen
nicht, unerachtet Tetanus, welcher der hef-
tigste Grad der Rückenmarks-Entzündung
seyn soll, vorhanden war; im Gegentheil ist
die Beschaffenheit des Rückenmarks der des
entzündeten Rückenmarks gerade entgegenge-
setzt, wovon ich mich selbst bey der Leichen-
Oeffnung eines an sehr akut verlaufenem Te-
tanus Gestorbenen überzeugt habe, es findet
sich nämlich stellenweise Erweichung und von
Entzündung keine Spur. Bey einer reinen
Phlogose des Rückenmarks, wie bey den rei-
nen Phlogosen überhaupt, findet man nach
den Erfahrungen des Herrn Professor Schönlein
nie Wassererguss allein, sondern, wenn dieser
[57]
vorhanden ist, immer zugleich noch andere
Spuren der Entzündung, wie Exsudation pla-
stischer Lymphe, wodurch Verwachsungen der
Rückenmarks-Häute u. s. w. entstehen; beym
Tetanus zeigt sich aber, wie bey vielen Ner-
ven-Krankheiten, z.B. den heftigsten Neurosen
im Bauch blos Wasser-Erguss in der Rücken-
markshöhle, keine Verwachsung. Eben so ver-
hält es sich mit der Entzündung des Schlun-
des, der Basis des Gehirns, der Nerven des
Gesichts, sie können mit dem Tetanus coexi-
stiren, auch wohl manchmal secundär durch
ihn veranlasst werden, fehlen aber häufig, und
reine Phlogose kann daher nicht als das Wesen
des Tetanus betrachtet werden. Vielleicht ist
bey der Ueberfüllung des Gehirns und Rücken-
marks und ihrer Häute mit Blut, wie auch
bey der Ueberfüllung der Lungen und des
Herzens ein besonderes Gewicht darauf zu le-
gen, dass durch die heftige Muskelzusammen-
ziehung das Blut von der Peripherie in alle
nicht irritablen Theile und vorzüglich in die
Höhlen des Körpers getrieben wird, wodurch
Apoplexia cerebralis und thoracica bewirkt
werden kann. Dass diese Congestionen sich
zu wirklichen Entzündungen steigern können,
ist eben so leicht möglich, als dass sich Blut-
Congestionen nach dem Rückenmark, nach der
Brust, nach dem Kopf u. s. w. durch Unter-
[58]
drückung der Menstruation, zu Entzündungen
der genannten Theile steigern können.


Die Symptome bey der Krankheiten sind so
sehr verschieden, dass man sie zum Beweis
dieser Theorie kaum anführen kann. Dass
der Starrkrampf die Muskeln befallt die ihre
Nerven aus dem Rückenmark erhalten, be-
weist höchstens, dass das Rückenmark afficirt sey,
aber keineswegs dass diese Afiection entzünd-
llcher Natur sey. Fieber findet sich bey der
akuten Myelitis immer, beym Tetanus selten.
Der brennende Schmerz in der Rückenmarks-
Gegend fehlt beym Tetanus ganz. Bey dem
höchsten Grad und der höchsten Ausdehnung
der Myelitis ist die Bewegungs-Fähigkeit zwar
gänzlich aufgehoben und der Kranke liegt steif
da; die Glieder sind aber durch fremde Ge-
walt beweglich, die Muskeln sind hier in ih-
rer natürlichen Lage nicht krampfhaft zusam-
mengezogen, der Unterkiefer ist unbeweglich,
nicht weil die den Mund schliessenden Mus-
keln krampfhaft contrahirt sind, sondern weil
die denselben abziehenden Muskeln nicht con-
trahirt werden können. Nie hat man eine
Myelitis sich zu Tetanus steigern sehen; die
krampfhaften Zuckungen fehlen bey Myelitis
ganz, überhaupt zeigt die ganze Entstehungs-
Art und die Symptome des Tetanus deutlich
ein Nervenleiden an, die Myelitis gibt sich
durchaus als Gefässkrankheit zu erkennen. —
[59] Die Argumente die von den ursächlichen Mo-
menten bey der Krankheiten hergenommen sind,
beweisen gar nichts, indem es überall auf die
Reaction des Organismus ankömmt, und die
Gleichheit der ursächlichen Momente über-
haupt nichts für die Identität von zwey Krank-
heits-Formen beweisen kann. Ueberdies sind
die ursächlichen Momente gar nicht so sehr
gleich: Blutverlust, schlechte Kost, Gelenk-
wunden, Kummer, Sorge, sind keine Ursachen
der Myelitis, unter deren sehr beschränkten
Ursachen mechanische Einwirkungen auf das
Rückenmark die häufigsten sind. Auch die
Erfahrung, dass Tetanus gerade in den heissen
Gegenden, wo Entzündungen überhaupt weit
seltener sind, als in kalten, endemisch herrscht,
spricht gewiss nicht für die entzündliche Na-
tur desselben.


Der letzte Grund, den die Entzündungs-
Theorie anführen kann, ist die günstige Wir-
kung der antiphlogistischen Methode im Te-
tanus. Dass Aderlässen zuweilen heilsam seyn
können, ist kaum zu bezweifeln. Die Wir-
kung derselben aber, wenn nämlich keine wirk-
liche Entzündung mit dem Tetanus verbunden
ist, scheint mir eine andere zu seyn, als die,
welche sie gegen Entzündungen hat. Die an-
tiphlogistische Methode in ihrem ganzen Um-
fang ist nach den glaubwürdigsten Erfahrun-
[60] gen ganz zu verwerfen ; wäre aber Entzündung
des Rückenmarks die nächste Ursache des Te-
tanus, so wäre blos von ihr Heil zu hoffen.


Therapie. Mit einiger Scheu gehe ich,
an die Bearbeitung dieses Abschnitts, den nicht
auf vorconstruirte Hypothesen gebaute Folge-
rungen, sondern Data anfüllen sollten, welche
uns die Erfahrung geliefert hat; die meisten
dieser Daten aber sind mit einander im Wi-
derspruch. Dieser mag freylich zum grössten
Theil nur scheinbar seyn, indem die Verschie-
denheit der entfernten Ursachen, die verschie-
denen Combinationen des Tetanus mit andern
Krankheits-Processen, die Verschiedenheit epi-
demischer und endemischer Verhältnisse,
der Konstitution des Kranken und mehrere
andere Umstände, eine grosse Verschieden-
heit in der Behandlungsweise zuliessen,
und die Bekämpfung eines und desselben
Grundwesens auf verschiedenen Wegen ge-
schehen kann, und geschehen muss; eine
Würdigung aller glücklichen und unglückli-
chen Kur-Arten aber aufzustellen, und die
Gründe anzugeben, warum eine und dieselbe
Verfahrungsweise hier wirksam, dort unwirk-
sam war, möchte in jedem einzelnen Fall wohl
unmöglich seyn; und ist überhaupt ein zu
kühnes Unternehmen, als dass ich nur einen
Versuch zu seiner Ausführung machen sollte.
[61] Ich werde daher nur die berühmtesten Heil-
verfahren anführen, und einen Versuch wa-
gen die Wirkungen der gegen den Tetanus
angewandten Mittel zu erklären.


Die sogenannte Therapia prophylactica
tritt besonders bey Neugeborenen und Ver-
wundeten ein. Ich glaube sie hier übergehen
zu dürfen, da sie hauptsächlich in Entfernt-
halten der Gelegenheits-Ursachen besteht, und
theils in die Chirurgie, theils in die Geburts-
hülfe gehört.


Bey der Behandlung des eingetretenen Te-
tanus könnte man folgende Indicationen auf-
stellen :


  • 1) Die Gelegenheits-Ursachen zu ent-
    fernen.
  • 2) Das eigenthümliche abnorme Verhält-
    niss zwischen Nerven und Muskeln, welches
    das Wesen des Starrkrampfs ausmacht, zu
    heben.
  • 3) Die tödtlichen Wendungen des Starr-
    krampfs zu verhüten.
  • 4) Den durch den Tetanus zurückgelas-
    senen Schwäche-Zustand zu heilen und Rück-
    fällen vorzubeugen.

Die Indicatio causalis tritt besonders bey
den Vorläufern oder dem beginnenden Teta-
nus ein, verdient aber gewiss bey der gan-
zen Behandlung der Krankheit, und bey der
[62] Auswahl der Mittel gegen diese, selbst alle
Aufmerksamkeit. Bey Giften und andern schäd-
lichen Stoffen im Magen oder den Gedärmen,
sie mögen den Tetanus nur mit veranlasst ha-
ben, oder ihn später unterhalten, sind Darm-
ausleerende Mittel entweder (Brech-)Brechmittel oder Pur-
girmittel ohne Zweifel so wichtig, als irgend
etwas, was man gegen die Krankheit selbst
thun kann. Beym Wund-Starrkrampf, bey
welchem Stütz so sehr gegen (Brech-)Brechmittel und be-
sonders Purgir-Mittel ist, mag ihre Anwen-
dung, wenigstens in unsern Gegenden einge-
schränkter seyn, als bei manchen andern Ar-
ten; indessen zeigen doch manche Erfahrungen,
dass auch hier schädliche Stoffe im Darmka-
nal den Starrkrampf veranlassten oder unter-
hielten, und dass das Uebersehen derselben
unabhaltbar den Tod nach sich sog (Ecker in
s. Uebersetzung vom Pinnel’s philosophischer
Nosographie). Bey dem Tetanus verminosus
in der Zeit zwischen der ersten Dentition und
der Evolutions-Periode ist die Entfernung der
Würmer durch Anthelmintica und Purgantia
eine Bedingung, ohne welche der Krampf nicht
beseitigt werd en kann; deren Erfüllung aber
oft die Heilung allein bewirkt. Beym Tetanus
neonatorum sind Brechmittel im Anfang der
Krankheit von vielen Aerzten heilsam erfun-
den worden, doch erheischen sie immer viele
[63] Vorsicht, und können wenn der Mund schon
zu sehr geschlossen ist, leicht Erstickung ver-
anlassen Ackermann sah auch in spätern
Perioden eine Vermehrung des Krampfs durch
das Brechen entstehen. Welchen Nutzen die das
Mekonium ausführenden Aperitiv-Mittel und
Klystiere zur Verhütung und zur Entfer-
nung des Starrkrampfs in seinem Beginn haben,
beweisen zahlreiche Beobachtungen, z. B. von
Hamilton, Lentilius, Hillary, Chalmer. In
Peru und Mexico bedienen sich die Einwoh-
ner nach Pouppee Desportes einer Methode ge-
gen den Tetanus, deren Hauptwirkung auf der
antigastrischen Methode besteht: Nach einem
Brechmittel nehmen sie Theriak in Wein auf-
gelöst. Bajon wandte auf Kayenne Opium
und Merkur, warme und kalte Bäder frucht-
los an, vielleicht wegen nicht Berücksichti-
gung des gastrischen Zustandes, der in den
heissen Ländern sehr wichtig ist. Dass Dia-
phoretika bey dem Starrkrampf aus Erkältung
gute Dienste leisten, beweisen die Beobachtun-
gen von Mosley, Bajon, Desportes, Starks
u. a[.]; besonders werden sie empfohlen, wenn
die Natur die Krise durch Schweiss bewirken
will. In dieser Rücksicht sind auch warme
Begiessungen und Bäder von vielem Nutzen.
Entfernung der niederdrückenden Leidenschaf-
ten, die den Tetanus veranlassten, ist bey der
[64] ganzen Behandlung sehr nothwendig. Der Ge-
brauch der China dient in manchen Fällen
zur Realisirung dieser Indication, indem sie
profuse Eyterungen beschränkt, und einem
Schwäche-Zustand, der eine Prädisposition zum
Tetanus bildet, geradezu bekämpft. Bisset, der
den in Indien einmal ausgebrochenen Tetanus
für unheilbar hält, empfiehlt an solchen Orten,
wo der Starrkrampf endemisch herrscht, China
als propkylactisches Mittel. Wahrscheinlich ist
der Nutzen, den Rush der China und dem
Wein zuschreibt, zum grossen Theil auf die
Hebung der Schlaffheit der ersten Wege, die
irritable Schwäche, eine Ursache des Tetanus,
erzeugt, zu beziehen; wiewohl nicht geläug-
net werden kann, dass diese Mittel auch noch
durch eine andere Wirkung heilsam sind. In
dem Tetanus, der durch unterdrückte inter-
mittirende Fieber erzeugt wurde, oder über-
haupt auf dem Boden einer Intermittens stand,
ist ebenfalls China indicirt (Störk ann. med.
2 p. 166).



Zur Erfüllung der lndicatio morbi haben sich
vorzüglich folgende Mittel bewährt: flüchtige
Reitzmittel, Moschus, Wein-Kastoreum u. s w.,
besonders Opium; in neueren Zeiten vorzüg-
lich Kalomel; äusserlich: Einreibungen, beson-
ders von Quecksilber-Salbe, warme Bäder,
[65] besonders reitzende, mit Aetzstein, aromati-
schen Kräutern versetzt.


Das Opium versuchte Sylvester im Jahre
1749 zuerst gegen den Tetanus, und viele Er-
fahrungen haben seine Heilkraft gegen den
Tetanus seitdem bestätigt, wiewohl andere
von ihm durchaus keinen Nutzen gesehen ha-
ben. Die Erfahrungen Monro's beweisen al-
lerdings auch deutlich, dass es nicht als das
Mittel angesehen werden darf, welches aus-
schliesslich in dieser Krankheit wirkt, und
nicht unbedingt angewendet werden darf, in-
dem er auf Jamaica keinen einzigen Kranken
dadurch rettete, wohl aber durch andere Mit-
tel. Die Gegen-Anzeigen gegen dasselbe sind:
gastrische und biliose Unreinigkeiten, hart-
näckige Verstopfung, Auftreibung des Bauchs,
bedeutender fieberhafter Zustand, Verbindung
mit bedeutenden inneren Entzündungen, starke
Congestionen nach dem Kopf u. s. w. Dass
es in den meisten Fällen unter allen ähnlich
wirkenden das entsprechendste Mittel ist, zeigt
die Erfahrung. Seine diaphoretische Wirkung
macht es zugleich zu einem schätzbaren Mit-
tel gegen eine der häufigsten Gelegenheits-
Ursachen des Tetanus. Seine Wirkung als
Nervenmittel scheint mir geradezu dem abnor-
men Zustand dieses Systems im Tetanus ent-
gegengesetzt zu seyn. Dieser Zustand ist krank-
5
[66] haft gesteigerte Sensibilität bey gleichzeitiger
Verminderung des Wirkungs-Vermögens im
Nerven-System, und letzteres wird von der
Muskelkraft in Anspruch genommen und
durchaus verwendet zur Darstellung der
höchsten Muskel-Action; die Aufgabe der The-
rapie ist beyde Thätigkeiten, die (Muskel–)Muskelthätigkeit und
die Nerventhätigkeit von einander zu trennen.
Dies kann auf zwey Wegen geschehen, ent-
weder durch unmittelbare Schwächung der
Irritabilität des Muskel-Systems, oder durch
Erhöhung des Wirkungs-Vermögens des Ner-
ven-Systems mit gleichseitiger nothwendiger
Verminderung seiner Sensibilität; auf beyden
Wegen wird das normale Verhältniss zwischen
Nervenkraft und Muskelkraft hergestellt. Auf
dem letzten Wege scheint mir das Opium zu
wirken. Ueberall spricht sich seine Tendenz
aus, die Wirkungskraft des Nerven-Systems zu
heben, während es dessen Sensibilität gleich-
zeitig sehr bedeutend vermindert, und dies
ganz besonders zuerst im peripherischen Ner-
ven-System, den Muskelnerven und deren
Centraltheil das Rückenmark (von seiner Wir-
kung auf das Gehirn und Ganglien-System
spreche ich hier noch nicht;) verminderte Em-
pfänglichkeit der Nerven-Ausbreitungen, grösse-
rer Torpor derselben gegen äussere Einflüsse,
Abnahme des Gefühls, und auf der anderen
[67] Seite grössere Fähigkeit zu Muskel–Bewegun-
gen und Muskel-Anstrengungen sind die er-
sten Erscheinungen seiner Wirkung im Ner-
ven-System; dass Brechnuss Tetanus hervor-
bringe und wie sie ihn hervorbringe, ist schon
oben angegeben worden. und es ist ein wich-
tiges Argument für die eben gegebene Wir-
kung des Opiums gegen den Tetanus, dass
schon Anton v. Heide Zittern der Glieder und
dergleichen Zufälle, welche durch eine Gabe
Lignum colubrinum hervorgebracht worden war,
durch Opium heilte. Ausser dieser Wirkung
des Opiums, welche sich direct auf die Causa
proxima des Tetanus bezieht, machen es noch
manche andere Wirkungen zu einem der herr-
lichsten Mittel in dieser Krankheit. Seine
Nutzungen als schweisstreibendes Mittel habe
ich schon angegeben. Durch die Erhebung
des realen Factors und die Verminderung des
idealen, oder sensiblen, führt es auch den
Organismus auf den Punct des natürlichen
Schlafs, und leitet so eine wichtige Krise des
Tetanus ein. Seine schmerzstillende Kraft,
und seine beruhigende Wirkung auf das ge-
ängstete Gemüth, sind wichtige Momente zur
Entfernung der gewhöhnlichsten und quälend-
sten Leiden des Kranken. — Da das oben
angegebene Verhältniss zwischen den beyden
Factoren des Nerven-Systems im Starrkrampf
5*
[68]
weit tiefer ausgeprägt ist, als in andern Kräm-
pfen, und da die Wirkungs-Seite dieses Sy-
stems von der Herrschaft des in seiner höch-
sten Lebens-Action begriffenen Muskel-Systems
losgerissen werden muss, so erfordert der Te-
tanus weit grössere Gaben Opium, als alle üb-
rigen Krampf-Krankheiten und überhaupt alle
Krankheiten, worin dieses seine Anwendung
findet; und eben wegen des bedeutenden Miss-
verhältnisses zwischen den beyden Factoren
des Nerven-Systemes, tritt seine Wirkung auf
das Gehirn, auch bey starken Gaben selten
in ihrem höheren Grade hervor. Tritt aber
betäubter soporöser Zustand ein, zeigen sich
Congestionen nach dem Kopf und andere Zei-
chen einer stärkeren Opium-Wirkung, so muss
das Mittel schnell ausgesetzt werden, und es
werden dann die sogenannten Gegen-Mittel
des Opiums empfohlen : starker Kaffee, Wein,
Aether u. s. w., dessen Gebrauch nach Ver-
schwinden der nachtheiligen Wirkung wieder
fortgesetzt werden soll. Wenn aber der Starr-
krampf auch während des soporösen Zustan-
des nicht verschwindet, oder doch sogleich
nach dessen Verschwinden wiederkehrt, so
scheint mir das ein Beweis zu seyn, dass die
Wirkung des Opiums die Heilung allein nicht
zu bewerkstelligen vermag, oder dass doch
die Erzwingung der Heilung auf diesem Wege
[69] gefährlich ist, und es wird daher rathsamer seyn,
ein anderes Heil-Verfahren einzuschlagen, wel-
ches die Trennung der Nervenkraft von der
Irritabilität auf einem andern Wege bewirken
kann, nämlich zum Gebrauche des Kalomel
zu schreiten.


Noch einige andere krampfstillende Reitz-
mittel sind theils in Verbindung mit Opium,
theils für sich allein im Tetanus angewandt
worden. Hieher gehört das schon von Aretaeus
empfohlene Kastoreum, Moschus, Wein, den
schon Hippokrates empfahl, und mehrere an-
dere Reitzmittel, z. B. Ammonium, Kampfer,
Arnica (womit Collin den Opisthotonus zwey-
mal heilte) u. s. w. — Alle diese Mittel ha-
ben ihre eigenthümlichen, sehr kräftigen Wir-
kungen, und es kann nie ganz gleichgültig
seyn, welches unter ihnen man anwendet.
Moschus wird besonders dem Opium beyge-
setzt oder interponirt, um dessen nachtheilige
Wirkung auf das Gehirn zu modificiren, oder
auch bey kleinen Kindern statt des Opiums
gegeben. Seine eigentliche Stelle scheint er
dann zu finden, wenn durch einen lang dauern-
den oder sehr heftigen Starrkrampf Erschöpfung
des Nerven-Systems und Lähmung zu besor-
gen ist, oder es der Natur an Kraft gebricht,
die Krisen gehörig zu vollenden. Kampfer
wird durch seine belebende Wirkung auf die
[70] Nervenkraft der peripherischen Muskeln gewiss
in solchen Fällen, wo mit der Hebung des
eigentlichen Krampfs zugleich eine Stärkung
und höhere Belebung nöthig ist, z. B. bey ei-
nem grossen Languor, bedeutendem Danieder-
liegen der Kräfte, besonders wenn auch durch
Ueberreitzung wirkende Potenzen heftig ein-
gewirkt haben, vortreffliche Dienste leisten
können.


Uebrigens wirken alle diese Mittel dem
abnormen Nerven-Zustand im Tetanus nicht
so geradezu entgegen, als das Opium, sie wir-
ken alle das Wirkungs-Vermögen steigernd
und streben dadurch auch allerdings die sen-
sible Thätigkeit auf ihr gehöriges Mass her-
unterzusetzen, nicht aber zugleich so direct
deprimirend auf diese krankhaft und auf Ko-
sten des andern Pols gesteigerte Thätigkeit,
wie das Opium, und dieses kann daher in den
wenigsten Fällen, zumal wenn grosse Schmer-
zen, längere Schlaflosigkeit, grosse Beängsti-
gung, eine grosse Steigerung der Sensibilität
anzeigen, von ihnen ersetzt werden. Der an-
dere Weg, die Action des Nerven-Systems von
der überwiegenden Irritabilität der Muskeln
zu trennen, ist Schwächung der krankhaft ge-
steigerten Irritabilität, und dadurch das nor-
male Verhältniss wiederherzustellen; auf diese
Art scheint mir Quecksilber gegen den Starr-
[71] krampf zu wirken. Mercurial-Einreibungen
und der Gebrauch von Kalomel innerlich, ha-
ben sich nach neueren Beobachtungen unläug-
bar in vielen Fällen bewährt, wo Opium und
alle andere Reitzmittel für das Nerven-Sy-
stem, fruchtlos angewandt wurden. Contrain-
dicirt ist es nur bey ganz ungeheurem Spei-
chelchelfluss, bey dessen Eintritt aber gewöhnlich
die Krankheit schon gebrochen ist; bey so pro-
fuser Diarrhoe, so dass dadurch die Kräfte so
sehr erschöpft werden, nnd bey manchen Ent-
mischungen der Säfte.


Auenberger heilte einen funfzigjährigen
Mann, der seit zwey Tagen, nach einem frü-
her eingetretenen, paralytischen Zustand, in
wirklichen Tetanus mit soporösem Zustand ver-
bunden, befallen worden war, in kurzer Zeit
mit dem mercurius gummosus Pienkii. Delaroche
wandte sich beym Tetanus eines vierzehnjäh-
rigen Mädchens, der durch eine bedeutend
gerissene Wunde der Hand entstanden war,
da Opium und ungeheure Dosen von Moschus
(l50 Gr. in 24 Stunden) nichts wirkten, Bä-
der Beängstigung hervorbrachten, Ampu-
tation nicht gestattet wurde, zum Gebrauch
des Mercurs, und zwar, da dieser in Salben-
form bald ein Mercurial-Exanthem hervorbrachte,
zu dessen innerlichem Gebrauch, und heilte
die Kranke dadurch in drey Monaten. Merk-
[72] würdig würdig war in diesem Fall, dass sich nach
dem Gebrauch des Kalomel leichte Symp-
tome von Speichelfluss einstellten mit deutli-
cher Remission des Krampfs, und wenn das
Mittel ausgesetzt wurde, kehrte der Tetanus
in seiner vorigen Stärke zurück. Eben so sehr
bewährte sich das Kalomei in mehreren Fäl-
len, welche Tissot (Journal de med. tom. 40
p. 213). Goelis heilte dadurch mehrere Neuge-
borne. Ganz vorzüglich beweisend für die
Wirkung des Quecksilbers sind die Erfahrun-
gen Monro's; denn er heilte durch alle übri-
gen Mittel die Krankheit nie, von dem Ge-
brauch der Quecksilber-Einreibungen sah er
aber in Jamaica und später in England die
glücklichsten Erfolge.


Dass Mercur in diesen Fällen meistens nicht
als Adjuvans, sondern als Hauptmittel gegen den
Tetanus wirkte, ist wohl nicht zu bezweifeln,
und vorzüglich kann man in dem eben ange-
führten Fall von Delaroche die Heilung nicht
den zwey Monate früher gereichten Nerven-
mitteln, noch den Bädern noch irgend etwas
anderem zuschreiben, sondern es ist unläug-
bar, dass Kalomel einzig und allein den Te-
tanus bekämpfte. — Die Endwirkung des Queck-
silbers im Starrkrampf muss also wohl die näm-
liche seyn, wie die des Opiums gegen dessen
nächste Ursache gerichtet; nur scheint mir
[73]
diese Wirkung auf einem ganz anderen Wege
zu geschehen. Die Hauptwirkung des in die
Säftemasse des Körpers aufgenommenen Queck-
silbers ist durchgängig Steigerung des (Verflüs-
sigungs-)
Verflüs-
sigungs-Processes
und Verminderung des (Consolidations–
)
Consolidations–
Processes
oder Cristallisations-Processes eine mehr flüs-
sige Beschaffenheit des Schleims der Bronchien,
Genitalien, Urinwerkzeuge, vermehrte wässe-
rige Absonderung der Leber des Pankreas, feuchte
lockere Haut, grössere Flüssigkeit der Lym-
phe, Verminderung des Cruor's und des Faser-
stoffs im Blut, zeigen den vorwiegenden Ver-
flüssigungs-Process in allen flüssigen Theilen
des Körpers; dieses Zurücktreten des Consoli-
dations-Processes zeigt sich auch in den fe-
sten Theilen: im Muskel durch Abnahme der
Spannkraft, Verminderung der Energie des
ganzen Muskel-Systems, im Tetanus Vermin-
derung der zu hoch gesteigerten Irritabilität
und Starrheit des Muskels. Der Speichelfluss,
der gewöhnlich zugleich mit der Heilung des
Starrkrampfs durch Quecksilber eintritt, ist
das Zeichen, dass der Verflüssigungs-Process
sein relatives Maximum erreicht habe (wenn
er nicht früher durch eigenthümliche Reitz-
barkeit der Speicheldrüsen entsteht, und mehr
örtlich ist), und somit auch zugleich das Zei-
chen des gebrochenen Starrkrampfs; eine ei-
gentlich kritische Bedeutung scheint er mir
[74] nicht zu haben. Die directe Wirkung des
Quecksilbers als Metall, auf das Nerven-sy-
stem, nämlich Abstumpfung der angehäuften Sen-
sibilität dieses Systems, wodurch das Miss-
verhältniss zwischen Sensibilität und Wirkungs-
seite des Nerven-Systems nicht so hoch stei-
gen kann, scheint mir im Starrkrampf seine
Wirkung nicht im Geringsten zu erklären,
denn diese Wirkung des Quecksilbers ist so
unbedeutend, dass sie in einer Krankheit wie
Starrkrampf gar nicht in Anschlag gebracht zu
werden verdient. Seine Wirkung auf die Le-
ber und seine eröffnende Kraft machen es ge-
wiss zu dem Hauptmittel im Tetanus neona-
torum, wo Opium immer gefährlich ist, und
auf jeden Fall eines Corrigens bedarf. Nur
selten ist Calomel allein gegen den Tetanus
angewendet worden; meistens wurde Queck-
silber innerlich und äusserlich abwechselnd mit
Opium gebraucht, und dies gewiss mit Recht,
da das Uebel so von zwey Seiten her bekämpft
wurde. Die Erfahrung hat den Nutzen dieser
Methode vollkommen bestätigt, und so schwie-
rig das Geschäft seyn würde den relativen
Werth beyder Mittel zur Bekämpfung des We-
sens des Tetanus anzugeben, so nutzlos würde
es auch für die Praxis seyn, indem man sich
nur durch wichtige Gründe bestimmen lassen
wird, eins von beyden ganz wegzulassen. Das
[75] Mehr oder Weniger des einen oder andern
Mittels muss das Alter, das ursächliche Mo-
ment, das Klima, die Complication mit an-
dern Krankheiten u. s w., bestimmen.


Die fixen Alcalien, welche Stütz dem
Gebrauch des Opiums interponirt, und welche
sich den Namen krampfstillender Mittel erwor-
ben haben, scheinen mir auf eine ähnliche
Art wie Quecksilber zu wirken. Ihre Wir-
kung auf die Vegetation ist der des Mercurs
sehr ähnlich, nur im Ganzen schwächer, in-
dem sie die Beschaffenheit der höheren Säfte
und somit auch die der höheren Organe, der
Muskeln weniger schnell und auffallend ver-
ändern. Gegen die entfernten Ursachen kön-
nen sie in manchen Fällen als Absorbentia,
Diuretica, Emenagoga u. s. w., dem Queck-
silber vorgezogen werden; gegen die Krank-
heit selbst aber müssen sie dem Mercur weit
nachstehen, wie die Erfahrung zeigt, auch,
schon desswegen, weil sie die Digestions-Organe
weit heftiger angreifen als Mercur. Ihre An-
wendungs-Art ist übrigens der des Calomel
ganz gleich, und auch hier ist, laut der Er-
fahrung, der von Stütz empfohlene abwech-
selnde Gebrauch derselben und des Opiums
der Vermischung beyder Mittel bey weitem
vorzuziehen, wofür auch schon der Grund spricht,
dass das Interponieren anders wirkender Mittel
[76] den Organismus für die Wirkung des Opiums
wieder empfänglicher macht, und man so mit
kleineren Gaben dieses Mittels mehr ausrich-
ten kann, als mit den an sich schon gefähr-
lichen sehr grossen.


Zwischen den Mitteln, die auf dem einen
oder andern Wege gegen die nächste Ursache
des Starrkrampfs wirken, stehen noch andere
in der Mitte, die auf beyderley Art wirken;
nämlich die äusseren Mittel, vorzüglich die
Bäder. Unter ihnen haben sich die warmen
unstreitig in mehr Erfahrungen heilsam ge-
zeigt, als die kalten, weiche von vielen ganz
verworfen werden. Ausser der Wirkung der
warmen Bäder und Uebergiessungen gegen das
ursächliche Moment der unterdrückten Haut-
Ausdünstung, scheinen sie mir folgende Wir-
kungen gegen den Tetanus selbst zu haben:
1) als feuchte Warme wirken sie expandirend
auf die Haut und die ihr zunächst liegende
Muskelschichte, also dem höchsten Act, worin
sich das Muskel-System befindet, geradezu
entgegen, die Irritabilität auf einen niedern
Punct herabsetzend; 2) Als Wärme wirken sie
reitzend auf die Hautthätigkeit; durch die Be-
thätigung eines benachbarten, mit den will-
kührlichen Muskeln in nahein Consens stehen-
den Systems, wird aber die mit dem Muskel
verbundene Nervenkraft abgeleitet, losgerissen;
[77] 3) als gleichmässige Wärme die krankhaft ge-
steigerte, und ungleich angehäufte Empfind-
lichkeit des Nerven-Systems, zertheilend und
abstumpfend.


Die reitzende Wirkung des warmen Ba-
des hat man noch durch Zusatz von andern
Mitteln sehr verstärkt; besonders wichtig sind
in dieser Beziehung warme Laugenbäder. Sie
wurden vorzüglich von Stütz, nöthigenfalls
noch durch Aetzstein verstärkt, ein oder mehr-
mal täglich gegen den Wundstarrkrampf mit
dem besten Erfolg gebraucht. Von andern
wurden Bäder mit aromatischen Kräutern vor-
gezogen, doch stehen sie, ausser ihrer Wir-
kung auf die Haut-Ausdünstung und also ent-
weder zur Einleitung der Krise oder gegen
das causale Moment gerichtet, den Laugen-
Bädern weit nach, denn ihre Wirkung als
Gegenreitz ist viel schwächer.


Kalte Bäder haben schon a priori den Grund
gegen sich, dass sie die Contraction und Starr-
heit der Muskeln vermehren, und die Erfah-
rung hat ihren Nutzen auch nicht sehr be-
währt. Wie das kalte Bad heilsam wirken
könne, beurtheilte schon Hippokrates sehr rich-
tig, indem er bey Erzählung eines Falls, worin
ein junger Mann von starkem Körperbau durch
kalte Uebergiessung vom Tetanus geheilt wurde,
hinzufügt:

caloris revocationem efficit, calor
[78] autem haec sanat.

— Dass kalte Bespritzung
die Haut reitze, dass der krankhaft gesteigerte
sensible Pol des Nerven-Systems abgestumpft
werde und noch vielleicht manche andere Wir-
kung des kalten Bades, sind Gründe, die, wie
sehr sie auch die nützliche Wirkung des kal-
ten Bades in einzelnen Fällen erklären mögen,
doch zu seinem Gebrauch nicht auffordern
können, da wir die traurigsten Erfahrungen
über seine Folgen haben, und seine günstige
Wirkung von andern Mitteln ersetzt werden
kann.


Einreibungen verschiedener Dinge haben
sich von den ältesten Zeiten her in Ansehen
erhalten. Hippokrates schon wandte Einreibungen
von warmem Oel an. Einrei-
bungen von fetten Dingen wirken in hohem Grad er-
schlaffend auf das organische Gewebe. Bey
grossem Schmerz in einzelnen starren Muskeln
kann diese Wirkung noch mit Zusatz von nar-
kotischen Dingen verstärkt werden. Die Haupt-
wirkung der Mercurial-Einreibung ist gewiss
die Aufnahme des Quecksilbers in den Kör-
per; sie wirken ferner noch als fette Einrei-
bungen erschlaffend. Monro gebrauchte sie in
Fällen, wo vorher alle Reitzmittel vergebens
gereicht waren, mit dem schnellsten und glück-
lichsten Erfolg. So heilte er einen 28jährigen
Mann, um nur ein Beyspiel anzuführen, bey
[79] welchem nach einem Schenkelbruch ein Te-
tanus entstanden war, der über 20 Tage lang
den grössten Gaben von Opium und Moschus,
Aderlässen und fast allen übrigen Mitteln auf
das hartnäckigste widerstanden hatte, in 3
Tagen durch die Einreibung von ʒXX Queck-
silber in Salbenform unter dem Erscheinen ei-
ner bedeutenden Salivation. Dass das Reiben
selbst sehr vortheilhaft wirkt, ist keine Frage;
gelindes Reiben besteht in einem mechanischen
Entfernen und wieder Zusammendrängen der
einzelnen Theilchen der Muskel-Fieber, wel-
ches nothwendig eine Verminderung der Starr-
heit derselben zur Folge haben muss; und
heftiges Reiben, z. B mit wollenen Tüchern
kann noch als Hautreiz wirken; dass man aber
die Wirkung des Reibens bey Mercurial-Ein-
reibungen so hoch anschlägt als die Aufnahme
des Quecksilbers in den Körper selbst, ist
durchaus unrecht; schon der Speichelfluss der
sich mit der Heilung einstellt, wäre hinreichend
eine solche Meinung zu widerlegen.


Die Indicatio vitae hat beym Tetanus vor-
züglich zwey tödtliche Wendungen zu ver-
hüten; nämlich den Uebergang in Lähmung
und den in Apoplexie Zeigen sich schon läh-
mungsartige Erscheinungen in einzelnen Thei-
len, so ist nach den bisherigen Erfahrungen
der Tod nicht mehr zu verhindern. Vielleicht
[80]
dürfte man hier noch einen Versuch machen,
die Nerventhätigkeit gewaltsam aufzuregen und
die Wasser-Ausscheidung im Rückenmarks-
Kanal durch Glüheisen oder Moxa in der
Nacken-Gegend angebracht, zu verhüten, mit
gleichzeitiger innerer Anwendung von Amo-
nium, Aether und Moschus in sehr grossen
Gaben. Wichtiger ist es diesem Ausgang schon
früher vorzubeugen, was freylich fast allein durch
Erfüllung der Indicatio morbi geschehen kann.
Wenn alle Mittel fruchtlos angewendet wer-
den und der heftigste Grad des Uebels die-
sen Ausgang besorgen lässt; dann möchte es
rathsam seyn, einen kräftigen Gegenreitz durch
Glüheisen in der Nähe des Rückenmarks an-
zuwenden, und hiedurch hat man auch wirk-
lich schon in einem Fall (Richters Therap.
Bd. 4 p. 413) Besserung aller Symptome ge-
sehen.


Wenn sieh das Gesicht sehr geröthet zeigt,
die Halsgefässe heftig pulsiren und anschwel-
len, ein leichter bewusstloser Zustand ein-
tritt, oder wenn die Respiration sehr beengt
und Erstickung zu befürchten ist, dann muss
man, mit schneller Beiseitsetzung des Opiums,
andere Mittel anwenden, um der drohenden
Apoplexia cerebralis oder thoracica vorzubeu-
gen. In dieser Rücksicht scheinen mir beson-
ders Aderlässe beym Tetanus wichtig, um
[81]
die inneren Organe vom Blut-Andrang zu be-
freyen. Aderlässe wirken allerdings auch in
anderer Beziehung vortheilhaft, und sind schon
von den ältesten Zeiten an gegen den Tetanus
angewandt worden. Bey gleichzeitigen inne-
ren Entzündungen, fieberhaftem Zustand, wie
auch bey sehr plethorischen Subjecten haben
es die meisten zur Eröffnung der Kur ange-
rathen, die Erfahrungen von Chalmer, Pijol,
Bierlinger, Gölis, und vielen andern haben
ihren Nutzen in dieser Rücksicht bestätigt;
und wenn das ursächliche Moment oder die
Constitution des Kranken nicht gegen ihre An-
wendung spricht, so müssen sie allerdings im
Anfang der Kur mässig angewandt, Nutzen
schaffen, indem sie gegen die eigentliche Ur-
sache des Tetanus durch Verdünnung des Bluts
und Schwächung der Irritabilität des Muskel-
Systems wirken.


Kalte Begiessungen scheinen mir ebenfalls
vorzüglich zur Abwendung der drohenden
Apoplexie an ihrem Platz zu seyn, wenn sie
so angestellt werden, dass nur der Kopf von
ihnen getroffen wird , während der übrige Kör-
per in einem warmen Bade sitzt.


In vielen Fällen blieb nach Tilgung des
eigentlichen Starrkrampfs noch eine gewisse
Steifheit in den Kiefermuskeln, leichte Be-
schwerde beym Schlingen, Steifheit des Hal-
6
[82] ses, Zittern der Glieder und überhaupt Symptome
zurück, die sich auch beym Beginn des Teta-
nus zeigen. Diese Rückbleibsel sind eigent-
lich nur geringe Grade des Starrkrampfs ein-
zelner Muskeln, und erforden daher dieselbe
Behandlung, wie der ausgebildete Krampf,
nur in geringerem Grade, und Rückfälle sind
immer zu besorgen. Einreibungen von Queck-
silber-Salbe, und Bäder sind gewöhnlich hin-
reichend das Uebel zu beseitigen; in andern
Fällen gab man innerlich Kalomel, Opium,
Wein, der besonders in dieser Periode gerühmt
wird. Immer müssen neue Ursachen die zur
Erzeugung des Tetanus beytragen können, sorg-
fältig vermieden werden. Die grosse Empfind-
lichkeit, grosse Schwäche; die meistens zu-
rück bleibt, erfordert theils Narkotika, theils
Roborantia, überhaupt eine gelinde reitzende
restaurirende Methode, welche der Kraft des
Kranken angemessen ist. Zu Zertheilung der
kalten Geschwülste, die manchmal nach dem
Tetanus zurückbleiben, haben sich narcotische
und Mercurial-Einreibungen, in manchen Fäl-
len, wo jene nichts halfen, tonische Mittel
bewährt.


Was die Diät, der am Tetanus leidenden
betrifft, so versteht es sich von selbst, dass
die Nahrungs-Mittel nicht fest, sondern flüs-
sig seyn müssen, theils wegen der gehinder-
[83] ten Mastication, theils wegen der meistens sehr
darniederliegenden Verdauungskraft. Leicht
verdauliche, gelind nährende Dinge, als Fleisch-
brühe mit Ey u. dgl. möchten wohl die seyn,
welche die Kräfte am meisten zu erhalten
vermögen. Uebrigens muss sich die ganze
Diät sehr nach der Art des Tetanus und nach
dem Zustand des Kranken richten; bey fieber-
haftem Tetanus, wo ohnedem die Kranken
gegen Nahrungs-Mittel Widerwillen haben,
darf man gewiss keine nährende Dinge auf-
dringen, und Stütz scheint mir sehr zu irren,
wenn er sich geradezu für eine stärkende Diät
und gegen das von andern wieder geradezu
angepriesene antiphlogistische Regime erklärt;
es kommen gewiss häufige Fälle vor, wo küh-
lende, leicht eröffnende Getränke, statt alles
Nährenden gereicht werden müssen. In sol-
chen Fällen, wo lange Zeit hindurch der Kie-
fer so fest geschlossen ist, dass man keine
Nahrung beybringen kann, ist das Rathsamste
zur Erhaltung des Lebens nährende Fleisch-
brühe oder Milchklystiere, und nährende warme
Bäder anzuwenden, wenn es nicht glückt durch
Einreibungen besonders von Unguentum cine-
rium in die Kiefermuskeln und warme Kata-
plasmen, wenigstens eine momentane Erschlaf-
fung zu bewirken; man hat in solchen Fällen
zwar auch das Ausbrechen von Zähnen, oder
6*
[84] das Einbringen von Nahrungs-Mitteln und
Arzneyen durch die Nase angerathen; beydes
ist aber gewöhnlich ganz nutzlos, weil die
Kranken wegen der starren Schlundmuskeln
in solchen Fällen doch nicht schlucken kön-
nen, und das letztere noch obendrein gefähr-
lich ist, weil sehr leicht Erstickung dadurch ver-
anlasst werden kann. Das Hauptmittel ist in
solchen Fällen immer die Einreibung von Queck-
silber-Salbe, so oft und stark als möglich.


Die Temperatur der Luft muss von mitt-
lerem Grad und gleichmässig seyn. Die Be-
deckung ohne zu belästigen, warm. Dass Zug-
luft und Erkältung überhaupt vermieden wer-
den muss,versteht sich von selbst. Eine trockene,
reine Luft, daher Entfernung der Tetanischen
aus den allgemeinen Krankenstuben, wird von
Aerzten für sehr wichtig gehalten.


Zum Schluss folgt hier die kurze Erzäh-
lung einiger Fälle vom Wundstarrkrampf, worin
der günstige Ausgang vorzüglich durch die
Wirkung des Quecksilbers und Opiums her-
beygeführt wurde.


I.


Im Herbst des Jahres 1798 gieng dem Sohne
des Backermeisters K. ein Pistol während des
[85] Ladens los, und der noch im Lauf befindli-
che Ladstock verwundete seinen rechten Dau-
men dergestalt, dass die Tendines flexores des-
selben zerrissen und die erste Phalanx am Ge-
lenke zerbrochen wurde. Die Knochen-Enden
Wurden reponirt und gehörig in einander ge-
bracht, und die stark eyternde Wunde mit
erweichenden Kataplasmen behandelt. Ausser
einem unbedeutenden Fieber hatte der Kranke
nicht die geringsten Zufälle, und die Wunde
schickte sich allmahlig zur Heilung an. Am
Ende der vierten Woche, als der Patient schon
wieder ausging, klagte er Abends über eini-
ges Hinderniss im Schlingen; und über Unbe-
weglichkeit der untern Kinnlade. Der Puls
wurde etwas schneller. Es wurde eine Potio
Riveri mit Laudanum liquidum Sydenh. und
Infus. Valerianae gereicht. Am andern Mor-
gen hatte das Uebel sehr zugenommen. Der
Mund konnte nur sehr wenig geöffnet werden,
das Schlingen war sehr beschwerlich, es trat
ein vollkommener Opisthotonus mit grosser Ban-
gigkeit und sehr erschwerter Respiration ein.
Wegen des sehr vollen Pulses wurde sogleich
eine Venaesection von 12 Unzen gemacht und
diese den zweyten Tag wiederholt. Es wurde
alle zwey Stunden gr 1 Calomel gereicht, die
Opium-Mixtur fortgesetzt und ein warmes Bad
verordnet; der Vorder-Arm wurde mit Kata-
[86] plasmen umwickelt und in den Ober-Arm
täglich 3 Drachmen Unguentum Neapolitanum,
eingerieben. Alle diese inneren und äusseren
Mittel wurden 7 Tage lang fortgesetzt, ohne
dass sich Salivation zeigte. Unerachtet des
Kalomel-Gebrauchs mussten täglich 2 — 3
Klystiere gesetzt werden, um dem Kranken
Leibes-Oeffnung zu verschaffen. Erst am achten
Tage zeigten sich deutliche Spuren von Sali-
vation und die Glandulae submaxillares fingen
an zu schwellen; desswegen wurde mit dem
Kalomel bis auf drey Dosen täglich abgebro-
chen und die Einreibungen weggelassen. Da
die Salivation sehr stark wurde, so wurde nach
zwey Tagen auch das Kalomel weggelassen,
und nur die Opium-Mixtur und die Bäder
fortgesetzt, Bis daher waren sich die Zufälle
gleich geblieben, nur die Wunde fing an et-
was stärker zu eytern. Erst am achtzehnten
Tage gelang es dem Kranken den Mund wie-
der zu öffnen und der Kopf war nicht mehr
so stark nach hinten gezogen. Von dieser Zeit
an verminderten sich die Zufälle täglich, je-
doch so allmählig, dass sie erst nach vier
Wochen ganz aufhörten. Da der Kranke sehr
geschwächt war, so wurde ihm geraume Zeit
China gegeben. Die Wunde heilte erst in
der siebenten Woche, ohne dass sich ein Kno-
[87] chen exfoliirte, es blieb aber Anchylose und
Steifheit des ganzen Daumens zurück.


II.


Nagelschmidin H., eine gesunde, starke
Person von 49 Jahren, wurde am 4ten July
1815 bey Gelegenheit eines Streits ihrer Ge-
sellen von einem derselben stark in den Dau-
men gebissen. Die Wunde blutete wenig
und verursachte keine Schmerzen; die Frau
verband sie mit Oel. Zehen Tage nachher
entstand nach einer vorausgegangenen Erkäl-
tung Trismus, Steifigkeit des Genicks mit Zu-
rückgezogenwerden des Kopfs, bey welchen
Erscheinungen ärztliche Hülfe gesucht wurde.
Da die Frau sehr pletorisch war, so wurden
12 Unzen Blut gelassen; es wurde ihr eine
Potio Riveri mit Laud liq. Syd. und Inf. Valer.
und alle zwey Stunden gr. 1 Calomel gege-
ben, besänftigende Kataplasmen aufgelegt, und
2 Drachmen ung. Neop. in den Arm einge-
rieben; Bäder unterblieben, weil die Kranke
eine Abneigung dagegen hatte. Am 7ten Tage
trat Salivalion ein, wesswegen täglich nur
noch 2 Dosen Calomel gegeben wurden; das
Opiat wurde fortgesetzt. Nachdem die Sali-
vation 6 Tage gedauert hatte, und sich die
Zufälle auffallend vermindert hatten, wurde
das Calomel und die Frictionen weggelasse.
[88] Nach Verfluss von 10 Tagen hatten alle Zu-
fälle aufgehört, und die Wunde war in 3 Wo-
chen geheilt.


III.


Am 4ten Novemb. 1812 wurde der 19jährige
Sohn des Drehermeisters Sch . . ., während
er verschiedenes Feuerwerk bey sich trug von
einem brennenden Schwärmer getroffen, wo-
durch alles, was er in der Rocktasche trug in
Brand gerieth. Er wurde dergestalt verbrannt,
dass die Bauchhaut einen Schuh breit und
lang in einen Schorf verwandelt, und wie es
sich nachher zeigte, die Substanz der Muskeln
selbst angegriffen wurde. Den dritten Tag
darauf zeigte sich Erbrechen, Auftreibung des
Bauches und heftiges Fieber. Es wurde eine
starke Venäsektion gemacht, und über den
Verband von Oel und Eyergelb Cataplasmata
emollientia gelegt; innerlich wurde eine Mix-
tura oleosa mit Manna und wegen der hefti-
gen Schmerzen Abends eine Dose Opium ge-
geben. Mach Verlauf von 6 Tagen waren
die Zeichen der Inflammation verschwunden.
Den 12ten Tag nach der Verbrennung stellte
sich plötzlich Trismus ein und den Tag dar-
auf auch Opisthotonus. Da der Kranke durch
die starke Eyterung schon sehr geschwächt
war, so wurde kein Blut entzogen. Jede
[89] Dosis von gr. 1 Calomel erregte so heftiges
Erbrechen, dass er weggelassen werden musste.
Es wurden starke Frictionen von Unguentum
Neapolitanum in die Inguinal-Gegend gemacht,
und so lange damit fortgefahren, bis sich am
24sten Tage ein starker Speichelfluss einstellte.
Von diesem Tage an konnte die Maxille wie-
der etwas mehr bewegt werden, und der Kopf
war weniger zurückgezogen. Bäder konnten,
da die geringste Bewegung heftige Schmerzen
verursachte, nicht angewendet werden; inner-
lich wurde ein Valeriana-Aufguss mit starken
Gaben Opium gereicht bis der Trismus und
nach und nach auch der Opisthotonus ganz
aufgehört hatte (am 16ten December). Die
Heilung der Geschwürfläche erfolgte erst nach
Verfluss von 6 Wochen.


IV.


Marie Walz, 21 Jahre alt, von Degerloch,
zarter Constitution, aber völlig gesund, hieb
sich den 29sten Junius 1822 mit einer Sense
Morgens um 9 Uhr. Die Wunde war unge-
fähr 2 Zoll lang, ging über den äussern Knö-
chel des rechten Fusses und zeigte alle Ten-
dines bis auf die Tibia durchschnitten. Da
die Verwundete ungefähr eine halbe Stunde
von Stuttgart arbeitete, so hatte sie nicht gleich
Hülfe, bis endlich einige Männer kamen,
[90] ihre Wunde mit ihren Nastüchern verbanden
und die Kranke auf einem Wagen nach Hause
führten. Unterdessen hatte dieselbe viel Blut
verloren, und zu Hause angekommen, musste
der herbeygerufene Wund-Arzt ihr die beyden
Nastücher, welche fest in der Wunde klebten,
mit Mühe und unter bedeutenden Schmerzen
hinwegnehmen. Derselbe reinigte die Wunde,
verband sie mit Bals. Arcaei und entfernte sich.
Mittags 12 Uhr kam ein Fieber-Anfall mit
Frost, darauf folgender starker Hitze und
Kopfschmerzen, und Abends 4 Uhr trat Deli-
rium ein. Jetzt wurde Herr Dr. Frank geru-
fen, welcher die Kranke in folgendem Zu-
stande antraf.


Die Leidende lag auf dem Bette ausge-
streckt, verkehrte die Augen, das Gesicht
war bass, trocken und nachdem dieser Zustand
einige Zeitlang gedauert hatte, trat periodi-
scher Trismus ein, welcher mit Krämpfen
in den Extremitäten, die als tonisehe eine
Zeitlang anhielten und mit klonischen wech-
selten, verbunden war. Der Puls war hart und
voll, und die Kranke hatte Verstopfung; wor-
auf folgendes verordnet wurde:

  • ℞.
    • Aceti Vini opt.   ℥j.
    • Alcal. veget. depur. sq. ad. sat.
    • Laud. Liq. Sydensh ʒj.
    • Syr. Rub. Idaei   ℥j.
    • Aq. Anisi.   ℥vj.
    • M. D. S.   Alle 2 Stund 3 Löffel voll.
  • ℞.
    • Mercurii dulcis gr.   ji.
    • Eleosach. Valerianae gr. VI.
    • M. D. t. d. Nro. VI. S.   Alle 2 Stund 1 Pulver.
  • ℞.
    • Ugt neapolit.   ℥j.
    • D. S. Zum Einreiben.
  • ℞.
    • Sp. pro. Cataplas. emoll.   ℥j.
    • Capit. papav.
    • HB. Hyosc.
    • Far. Sem. Lini a̅a̅   ℥ß.
    • D. S. Zum Kataplas.

Zugleich wurde eine Venaesection von 12
Unzen gemacht.


Der Trismus und der Opisthotonus verloren
sich in der Nacht etwas, allein die Krämpfe
in den Extremitäten dauerten fort. Man brachte
die Kranke in ein Bad und setzte Clystiere
ohne Erfolg, In der zweyten Nacht wollte
sie nicht mehr einnehmen und verlor zuse-
hends ihre Kräfte, dass man glaubte, ihr Ende
nähere sich. Gegen Morgen besserte sich die
Kranke wieder auf einige Zeit, die Zufälle
traten aber wieder schnell ein. Morgens vier
Uhr hatte sie, trotz dem sie dreymal clystirt
wurde, das erste mal Oeffnung; es kamen co-
pioese stinkende breyartige Stuhlgänge, die
die Nacht vom 4ten auf den 5ten Tag fort-
dauerten, während welcher sich die Zufälle
verminderten. Am 5ten Tage beklagte sich die
Kranke über Schmerzen im Rachen worauf
[92] bald eine starke Salivation und Abends eine
Blutung qua data porta eintrat.


Jedoch hielt sie nicht lange an und nach-
dem sie aufgehört hatte, verschwanden die
Zufälle schnell, die Wunde eyterte lang fort
ohne Neigung sich zu schliessen.


Die Arzney wurde in 5 Tagen 2mal re-
petirt, eben so die Mercurial–Pulver. Im
Ganzen wurde ℥v Quecksilber-Salbe einge-
rieben.

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Appendix A

Gedruckt bei den K. Hof- und Kanzlei-Buchdruckern,
Gebrüder Maentler.

Notes
*)
Bey diesem Alter scheinen die Alten die Krank-
heit gar nicht gekannt zu haben.

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CC-BY-4.0
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2025). Weiss, Philipp Friedrich. Ueber den Starrkrampf. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhm4.0