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Der beruͤhmte
Ertz-Dieb
und
Straſſen-Raͤuber
CARTOUCHE,
Derer
Straſſen-Raͤuber, Diebe und Spitz-Buben Ober-
Haupt und Commandeur in Franckreich, in denen merckwuͤr-
digſten Begebenheiten ſeines boͤſen Lebens, endlichen aufrichtigen
Bekaͤntniſſes und ſchwehren Todes vorgeſtellet.
Aus dem Frantzoͤſiſchen uͤberſetzt und mit unterſchiedenen bißhero
noch eingelauffenen curieuſen Umſtaͤnden vermehret.

Gedruckt Anno 1722.
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[figure]

FRanckreich, das beruͤhmteſte und angenehmſte Koͤnig-
reich in Europa, iſt einige Jahre her von dem Gipf-
pfel ſeiner Gluͤckſeligkeit in den groͤßten Verfall ge-
rathen. Die ſchwehren Kriege Ludwigs des XIV.
haben den Grund zu dieſem Ungluͤck gelegt. Durch
die Wuͤrckungen der beruͤchtigten Conſtitutions-Af-
faire
iſt das gute Vertrauen unter denen Einwohnern verſchwunden und
hingegen Mißtrauen und Widerwillen an deſſen Stelle getreten. Al-
les iſt daruͤber in Verwirrung gerathen. Auf die Miſſiſippiſche Zaube-
rey iſt der betruͤg- und ſchaͤdliche Actien-Handel gefolget, wodurch 10.
Arme reich und 1000. Reiche arm, das gantze Land aber in unaus-
ſprechliches Elend geſetzet worden. Diejenigen Provintzien, ſo von die-
ſem Ubel am weiteſten entfernet geweſen, hat hierauf die entſetzliche
Seuche der Peſtilentz ergriffen, welche bißher nicht eher zu wuͤtten auf-
gehoͤret, als biß ſie nichts weiter zu verletzen gefunden, und diejenigen,
ſo noch nicht dadurch uͤberfallen worden, in euſerſte Furcht ſetzet. Bey
dieſen hefftigen Plagen iſt alles in groͤſte Confuſion und Beſtuͤrtzung ge-
rathen, welches ſich die Boßheit dergeſtalt zu Nutze zu machen gewuſt,
daß ſie im Truͤben zu fiſchen geſuchet. Weil man aber nicht gleich im
Stande geweſen, derſelben gehoͤrigen Einhalt zu thun, ſo iſt das Land da-
durch in noch groͤſſeres Ungluͤck verfallen und bißher eine rechte Raͤuber-
Moͤrder- und Diebs-Grube geweſen, dergeſtalt, daß die Reiſenden, ja
in Haͤuſern ſelbſt die Einwohner nicht mehr recht ſicher geweſen. Unter
dieſem Gottloſen Geſindel hat ſich ſonderlich einer, Nahmens Claude
Cartouche,
von Geburth ein Pariſer, durch Ausuͤbung ſeiner verdamm-
lichen Profeſſion ſehr beruͤhmt gemacht. Jn Franckreich ſelbſt hat man
A 2in
[4] in vorigen Jahren kaum ſo viel von dem verderblichen Actien-Cram, als
im Jahre 1721. vom Cartouche geredet. Es ſind ſo viel abentheurliche
Hiſtorien von ihm erzehlet worden, daß man nur durch Nennung ſeines
Namens Kinder und einfaͤltige Leute in Furcht ſetzen koͤnnen. Alle
Straſſen-Raͤube, Diebereyen und Spitzbuben-Streiche, ſo in Isle de
France,
und in denen naͤchſt um Paris gelegenen Provintzien vorgefal-
len, muſten durch ihn, oder durch ſeinen Vorſchub geſchehen ſeyn. Bald
hatte man denſelben zu Paris, bald in Orleans, bald wieder an einem
andern Orte geſehen, und doch kunte keiner von allen denjenigen, die
ihn ausſpuͤhren ſollten, ſo gluͤcklich werden, das auf den Kopff dieſes
Raub-Vogels geſetzte Geld zu verdienen. Cartouche war, dem ge-
meinen Ruffe nach, allenthalben, und wenn er geſuchet wurde, doch
nirgends anzutreffen. Endlich aber haͤtte Untreu bald ihren eigenen
Herren geſchlagen, da ein gewiſſer Kerl, Namens du Chatelet, der
mit ihm gereiſet, und den er vor ſeinen beſten Freund gehalten, ſeine
Schlupff-Loͤcher und einige Oerter ſeines Auffenthalts der Obrigkeit an-
gezeiget. Cartouche waͤre hierdurch bald in Verhafft gerathen, er fand
aber dennoch Gelegenheit, ſeinen Verfolgern zu entrinnen und ſuchte
hierauf den Weg zum Lande hinaus.


Sein Qvartier ſolte hinfuͤro zu Nancy in Lothringen ſeyn. Da-
mit man aber deſto weniger Urſache haben moͤchte, einen uͤbeln Verdacht
auf ihn zu werffen, ſo engagirte ſich derſelbe bey der Hertzoglichen Kuͤche,
und gab etliche Monath daſelbſt einen Bratenwender ab. Er konte es
aber dennoch nicht laſſen, bey dieſer guten Gelegenheit, unterweilen ſei-
ne Spitzbuben-Griffe zu exerciren. Wie aber derſelbe merckte, daß es
auch hier nichtlange Stich mit ihm halten wuͤrde; ſo gerieth er auf den
thoͤrichten Wahn, daß man ſeiner in Franckreich ſchon vergeſſen haben
und hinfuͤro nicht mehr ſo genau nach ihm fragen wuͤrde.


Allein Cartouche hatte ſich in ſeiner Rechnung betrogen. Niemals
war ſo ſcharff nach ihm gefraget worden, als da man nicht wuſte, wo er ei-
gentlich hingerathen waͤre. Man hatte ſich indeſſen ſo wohl zu Paris,
als auch an andern Orten, einer ziemlichen Anzahl von ſeinen Camera-
den bemaͤchtiget, die theils durch die Tortur darzu waren genoͤthiget wor-
den, theils auch freywillig vieles von Cartouche ausſageten, wodurch die
Obrigkeit deſto emſiger gemachet wurde, des Cartouche habhafft zu wer-
den. Jndeſſen ſuchte man das Diebs- und anderes gottloſes Geſindel
durch
[5] durch einige harte Executionen an ihres Gleichen zu ſchrecken. Den letz-
ten Auguſti Abends ward auf dem Platz de Greve Philippus Moreau,
Ritter von Mazieres, Herr von Puits Dore, Creſſan und andern Herr-
lichkeiten, wegen falſcher Muͤntzerey, gekoͤpffet. Zu Anfang ſeines Ar-
reſts hatte derſelbe ſeine Verbrechen nicht geſtehen wollen, wie er aber
auf die Tortur gebracht worden, hat er alles voͤllig geſtanden und dabey
bekannt, daß er dieſe Kunſt von einem gelernet, ſo Audebert hieſſe und ſein
Hertzens Freund geweſen. Die Richter wurden uͤber dieſes Bekaͤnntniß
nicht wenig beſtuͤrtzt, weil der Maleficante eben von dieſem Audebert an-
gegeben worden. Man ſuchte ſich hierauf des Audeberts zu bemaͤchti-
gen; allein er hatte ſich ſchon aus dem Staube gemachet. Wie die Exe-
cution an dem Maleficanten vollzogen war, wurde der Scharffrichter ge-
fangen genommen und nach dem Chatelet gefuͤhret, ohne zu erfahren, war-
um ſolches geſchehen. Der Scharffrichter war nunmehro ſelbſt ein Ar-
reſtante, aber deßwegen unterblieb doch Hengen, Raͤdern und Koͤpffen
nicht, welches durch einen andern Scharffrichter an unterſchiedenen Ma-
leficanten vollſtrecket wurde.


Es fruchtete aber dieſes alles bey der in Paris befindlichen Diebs-
Rotte ſo wenig, daß man niemahls von mehrern Diebſtaͤhlen gehoͤret, als
damals. Dem General-Empfaͤnger des Bourbonniſchen Hauſes wur-
den bey hellem Tage durch 4. maſqvirte Diebe 15000. Livres aus ſeinem
Zimmer geſtohlen. Zu Anfang des Monats Octobris ward der ordi-
nair
e Capellan und Muſicus des Koͤnigs, Abt Chaprelle, wie er Abends
um 7. Uhr aus dem Pareſoir, allwo er einem Schweitzer die Abſolution
geſprochen, nach Hauſe gehen wolte, durch 4. ſehr wohl bekleidete Per-
ſonen angehalten, die ihm die Piſtole auf die Bruſt ſetzten und die Geld-
Beurſe abforderten. Weil er aber nicht mehr als 30. Livres bey ſich hat-
te, ſo gab er ihnen ſelbige, und offerirte noch darzu ſeinen Mantel; Allein
dieſe ſaubere Voͤgel bedanckten ſich auf das hoͤflichſte vor ſeine Offerte und
lieſſen ihren gezwungenen Wohlthaͤter ſeines Weges gehen. Doch
was dieſe mit Gewalt erhalten, wuſte ein anderer von dieſen Gaudieben
durch Liſt zu bekommen. Dieſer ſahe einige Cavaliere vor dem Palaſt
des Thuilleries ſtehen, und weil er wahrgenommen, daß dem einen davon
die Uhr-Kette gar ſichtbar hervor hienge, ſo gieng er bey ihnen vorbey
und ſpuckte einem Cavalier vorwerts auf das Kleid, wendete ſich aber
ſo gleich um, deprecirte wehmuͤthig, hob den voͤrdern Theil des Kleides
A 3auf
[6] auf, das Geſpuckte mit dem in Haͤnden habenden Schnupftuche abzuwi-
ſchen; Allein er hatte indeſſen mit der unter dem Rocke des Cavaliers haben-
den Hand die Uhꝛ deſſelben meiſteꝛlich weg practi[c]iret u. unter dem Schnupf-
tuche unvermerckt fort gebracht. Bey der weitlaͤufftigen Bagage der Prin-
tzeßin von Montpenſier haben dieſe Raub-Voͤgel auch ihr Conto zu machen
gewuſt, und es iſt faſt kein Tag vorbey gegangen, daß ſie nicht etwas
davon ſolten erſchnappet haben. Der Hertzogin von Ventadour haben
ſie ihr meiſtes Silberwerck und ſchoͤnſte Kleider entwendet, auch da ſie
bey dieſer Gelegenheit einige Kleider von Dero Laqvayen ergriffen, die
Kuͤhnheit gehabt, ſolche anzuziehen, ihr, da ſie zu Chartres oͤffentlich ge-
ſpeiſet, in dieſer Figur bey der Taffel aufzuwarten und 9. ſilberne Teller
und 2. Schuͤſſeln zu mauſen.


Jmmittelſt als dieſes in und um Paris geſchehen, iſt dem Ertz-Dieb
Cartouche auch wieder ein Appetit angekommen, ſich in dieſe Weltbe-
ruͤhmte Reſidentz zu begeben und daſelbſt ſeine Profeſſion, aber unter ei-
nem andern Namen, weiter fortzuſetzen. Mitten unter dieſen Gedan-
cken fuͤgte es ſich, daß er durch ſeine Spitzbuben-Griffe zu Nancy einem
Kauffmann von Commercy eine Brieff-Taſche entwendete. Jn dieſer
fand er einen nach Paris gerichteten Paß, in welcher die Perſon, ſo darin
beſchrieben war, dem Cartouche ziemlich gleichſehend abgeſchildert zu
ſeyn ſchiene. Cartouche nahm dieſes als ein Schickſahl des Gluͤcks an,
ließ ſich ein in ſeinem Paß beſchriebenes Kleid machen und reiſete ſo
dann, unter dem Namen des in gedachten Paß beſchriebenen Carls Bour-
gvignon, nach Paris, allwo er ohngefehr am 10. Octobris ankam.
Er ward aber folgendes Tages von der Tochter eines Scheeren-Schleif-
fers erkennet, die endlich auch ſein Quartier ausſpuͤhrete, und ſolches
der Obrigkeit anzeigete. Man hat deswegen die Gefangen-Nehmung
des Cartouche mit der Hiſtorie des Catilinæ vergleichen wollen; weil
dieſer auch von einem Scheeren-Schleiffer entdecket worden.


Die Obrigkeit machte ſich die erhaltene Nachricht ſehr wohl zu
Nutze und der Aide-Major des Leib-Regiments, Mr. Recon, erhielt von
Hofe Befehl, Cartouche gefangen zu nehmen. Dieſes zu bewerckſtelli-
gen begab ſich derſelbe mit einem Sergeant und vier Soldaten von der
Compagnie des Capitains Chahannes in die Herberge Hauteborne ge-
nannt. Bey ſeiner Ankunfft allhier ließ er ſo gleich den Wirth kommen
und fragte denſelben, ob keine Fremden allhier geſchlaffen haͤtten, und
ob
[7] ob nicht vier Dames allhier logirten: denn dieſes war die Loſung, die
Cartouche ſeinen Diebs-Cammeraden gegeben hatte. Der Wirth ant-
wortete mit nein; es blieb aber einer von denen Soldaten bey dem Wir-
the ſtehen und Mr. Recon gieng nebſt dem Sergeant und drey Soldaten
ſtillſchweigend die Treppe hinauf und eroͤffnete die Thuͤre des erſten
Zimmers. Sie traffen allhier drey von den Cameraden des Cartouche
angekleidet an, die ſich aber in das nechſt gelegene Zimmer reterireten
und entkamen. Cartouche, auf den das Haupt-Abſehen gerichtet war,
lag im Bette. Der Sergeant aber, ſo den Cartouche wohl kannte und
ihn gleich bey dem Eintritt in das Zimmer geſehen hatte, ſtellete ſich, als
wenn er denſelben nicht merckte und ſagte uͤberlaut zu denen Soldaten:
Siehe da, er iſt uns wieder entronnen. Durch dieſe Finte wurde
Cartouche betrogen, daß er unter die Bett-Decke kroch und ſich unſicht-
bar machte. Wie ſolches geſchehen, fiel ihm der Sergant auf den Halß,
grieff deinſelben gleich in die Armen und die uͤbrigen Soldaten faſſeten
ihn dergeſtalt, daß er ſich nicht bewegen und die unter der Bett-Decke
liegende geladene Piſtolen gebrauchen konte. Cartouche muſte hierauf
ſein bißheriges Lager verlaſſen, und, nachdem er Hoſen und Veſte ange-
kleidet, baarfuß mit fort marſchiren. Der Wirth und die Wirthin mu-
ſten zu gleicher Zeit mit an den Tantz, und die Soldaten, ſo ſie begleite-
ten wurden unter Weges noch mit zwoͤlff Mann verſtaͤrcket. Man brach-
te die Arreſtanten ſo gleich zu dem Staats Secretario in Kriegs-Sachen,
Herrn le Blanc, der aber alſobald Befehl gab, daß man ſie nach dem
Chatelet fuͤhren ſolte. Man hat kaum iemals in einer Proceßion ſo viel
Volcks beyſammen geſehen, als damahls neubegierige Perſonen den
Cartouche nach dem Gefaͤngniſſe begleiteten. Jederman war uͤber ſein
freches und vermeſſenes Ausſehen zum hoͤchſten verwundert, und als eine
Dame von Qvalitaͤt ſich bemuͤhete, ihn zu ſehen, zeigte er ſich derſelben auf
eine ſehr ausgelaſſene Manier. Die gluͤcklichen Faͤnger deſſelben haben
zu ihrer Ergoͤtzlichkeit ſo gleich 1000. Livres erhalten.


Bey dem Eintritt ins Chatelet ward Cartouche von den Gerichts-
Dienern uͤbernommen. Wie nun einer von dieſen mit dem Arreſtanten
Schertz treiben wolte, ſo bekam er von demſelben, an ſtatt der Antwort
eine ſo derbe Maulſchelle, daß dem Gerichts-Diener das Schertzen druͤ-
ber vergieng. Cartouche ward hierauſ geſchloſſen und kurtz darnach, in
ſolcher Figur vor den Lieutenant Criminel gebracht. Vor dieſem fuͤh-
rete
[8] rete er ſich ſehr frech auf, und wie ihn derſelbe unter andern fragte: Ob
er nicht Claude Cartouche hieſſe und des verſtorbenen Thomas Cartouche
Sohn waͤre, welcher vor dieſem allhier zu Paris an der Bruͤcke aux
Choux
gewohnet haͤtte, antwortete derſelbe: Er hieſſe Carl Bourgvi-
gnon, und waͤre des Claude Bourgvignons Sohn, welcher ein Burgun-
der geweſen, begehrte auch zugleich, man ſolte eine gute Flaſche Wein
herholen, der in dieſem Lande gewachſen waͤre, damit er, wenn es etwann
zur peinlichen Frage kaͤme, dieſelbe deſto beſſer aushalten koͤnne. Den
15. Octobr. ward er abermahls examiniret und mit ſeiner Mutter und
juͤngſtem Bruder, die man gleichfalls in Verhafft genommen, confronti-
ret; er wolte ſie aber nicht kennen, und die Mutter, weil ſie ihm beweg-
lich zuredete, nicht einmahl anhoͤren. Mutter und Bruder wurden hier-
auf, weil man ſie unſchuldig befunden, gegen Angeloͤbniß, ſich allemal auf
Erfordern wieder zu ſtellen, ihres Arreſts erlaſſen, und ſodann einige mit
inhafftirte Cameraden des Cartouche hergebracht. Dieſe kannten den
Cartouche ſehr wohl, er aber war ein ſcilicet ehrlicher Kerl und wolte die-
ſe Diebe die Tage ſeines Lebens nicht geſehen haben. Man ließ hierauff
auch den Thuͤr-Waͤrter des Forts L’Eveque herbey ruffen, allwo Car-
touche
vor dieſem 2. Jahr lang gefangen geſeſſen, der ihn ſo gleich erkenne-
te, und allerhand Umſtaͤnde ſeiner Gefangenſchafft erinnerte, Cartou-
che
aber ſagete: Er irrete ſich an der Perſon; Denn er hieſſe Carl
Bourgvignon und wuͤſte nicht wo, oder was das Fort l’ Eveque
waͤre.


Cartouche ward ſodann wieder in das Gefaͤngniß gebracht, allwo
er darnach 24. ſowohl Manns- als Weibes-Perſonen zu ſeinen Gefehr-
ten bekam, welche am 3. Octobr. einen von ihren Cameraden, weil ſie ge-
fuͤrchtet, daß er ſie verrathen moͤchte, ermordet, oder wie ſie zu reden pfleg-
ten, abgebauet hatten; Denn wann Cartouche von dem Ermordeten re-
dete, ſo war das Frantzoͤſiſche Wort debattir, das iſt abbauen, oder abbre-
chen, ſein Kunſt-Wort. Gedachten Ermordeten hatten ſeine barbariſche
Cameraden aufgeſchnitten, ihm das Hertz aus dem Leibe geriſſen und in
4. Theile zerſchnitten, auch ſolcher Geſtalt auf der Gaſſe liegen
laſſen.


Cartouche, der in ſeinem Gefaͤngniß dermaſſen feſt geſchloſſen war,
daß er ſich kaum regen konnte, hatte von den neubegierigen Perſonen zu
Paris nicht wenigen Zuſpruch. Hohe und Niedrige beſuchten ihn mit
Er-
[9] Erlaubniß der Obrigkeit im Gefaͤngniß und er wuſte jedweden mit einer
geſchickten Antwort zu begegnen, auch zu weilen etwas von ſeiner Unſchuld
mit unter zu mengen. Man ließ ihm aber von Seiten der Richter keine
Ruhe, ſondern er ward alle Tage vor den Criminal-Richter gefuͤhret und
mit andern Perſonen von ſeinem Schrott und Korn confrontiret; allein
er wolte niemanden kennen, auch nichts von demjenigen wiſſen, was man
ihm vorſagete.


Mitlerzeit nun da die Richter mit ſeinem Proceß beſchaͤfftiget wa-
ren, gerieth Cartouche auf den Anſchlag, ſie durch ſeine Befreyung dieſer
Muͤhe zu uͤberheben, es waͤre ihm auch bey nahe gegluͤcket, und hatte es mit
dieſem kuͤhnen Unternehmen folgende Bewandniß: Cartouche war in
ein duͤſtres Behaͤltniß gebracht, und, wie gewoͤhnlich, ein andrer Gefang-
ner zu ihm geſetzt worden, der aber nicht von ſeinem Cameraden, ſondern
ein anderer Dieb war, ſo auf dem Lande geſtohlen hatte, und der Profeſ-
ſion
nach ein Fleiſcher ſeyn wolte. Dieſer war nicht geſchloſſen. Des
Nachts zwiſchen dem 21. und 22. hatte ein Thuͤrhuͤtter der Gefaͤngniſſe
mit beyden biß nach 1. Uhr Brandtewein getruncken, worauf derſelbe weg
gieng und die Gefangenen allein ließ. Cartouche hatte ſich indeſſen die
Gelegenheit des Gefaͤngniſſes genau beſehen, wie nun der Aufſeher weg
war, machte ſich derſelbe ſo gleich von der Wand loß, an die er geſchluſſen
war, und tappete allenthalben mit den Fuͤſſen und Haͤnden auf dem Fuß-
Boden und an der Mauer herum. Da er nun einen gewiſſen Platz an
der Mauer gefunden, der ihm etwas hohle klang, ſo ſagte derſelbe zu ſei-
nem Mitgefangenen, ich urtheile, daß allhier ein Schlund von einem Se-
cret durch gehen muß, und dieſes ſoll die Thuͤre ſeyn, durch welche wir zu
unſerer Freyheit gelangen wollen; wir muͤſſen folglich allhier, es ko ſte
was es wolle, ein Loch machen. Beyde arbeiteten hierauff ſo lange, biß
ſie Oeffnung in die Maure erlangten und an den Schlund vom Secret
kamen. Dieſer Schlund war zu ihrem Gluͤck mit halb verroſteten eiſer-
nen Baͤndern umfaſſet, ſolche brach Cartouche mit leichter Muͤhe und um
ſo viel vergnuͤgter loß; weil er dadurch Werckzeug bekam, mit welchem
er ſich weiter durcharbeiten konte. Wie nun das Loch groß genug und
nichts mehr uͤbrig war, als ſich in das Gewoͤlbe des Secrets hinein zulaſ-
ſen, ſagte Cartouche zu ſeinem Mitgefangenen: Er waͤre entſchloſſen, ſich
in den ſtinckenden Pful hinein zu laſſen, der Erfolg davon moͤchte ſeyn,
wie er wolte; indem er lieber im Kothe zu erſticken, als die vor ihn zube-
Brei-
[10] reitete harte Quaal auszuſtehen vermeynte. Als er nun hierauf ſeinen
Mitgeſellen ermahnet, ihm willig zu folgen, ließ er ſich durch den eroͤffne-
ten Schlund hinunter, da er in eine groͤſſere Oeffnung kam, die in den all-
gemeinen Zuſammenlauff der Secrete gieng. Wie dieſes ſo wohl und
nach Wunſch ablieff, folgte der Camerad gluͤcklich nach. Der Fuß-
Boden von dem Zuſammenlauff der Secrete war mit Steinen ausge-
leget, aber zu ihrem Gluͤck von dem durch lauffenden Waſſer ſo ausge-
ſpielet, daß ſie ſicher fuſſen konten. Sie tappeten hierauf an den Mau-
ren herum und funden endlich ein Loch. Cartouche urtheilete, daß ſol-
ches etwa in einen Keller gehen muͤſte, ſo aus dem Chatelet nach der Gaſ-
ſe zugienge. Das Loch ward hierauf durch das bey ſich habende Eiſen
groͤſſer gemacht und beyde kamen mit leichter Muͤhe in den Keller. Die
gluͤcklichen Arbeiter giengen ſo dann im Keller herum, funden endlich die
Treppe und die Thuͤre derſelben unten offen, allein die oberſte Thuͤre war
verſchloſſen, die ſie aber, wegen des ſchlechten Schloſſes, mit leichter Muͤhe
aufſprengeten. Durch dieſe Mittel kamen ſie in den Hof eins Futteral- und
Schachtel-Machers, deſſen Hauß auf die Gaſſe heraus gieng. Bißher
war alles ſehr gluͤcklich von ſtatten gegangen, aber nunmehr wendete ſich
das Blatt; denn in gedachten Hofe wurden ſie von einem Hunde ent-
decket, der jungen hatte. Dieſer machte einen ſo ſtarcken Lerm, daß der
Hauß-Herr und ſeine Tochter daruͤber erwacheten. Cartouche hatte
immittelſt, wie er nach der Zeit erzehlet, ſeinen aͤuſſerſten Fleiß angewen-
det, den Hund zu fangen; allein er war von ſelbigen ins Bein gebiſſen
worden und der Hund hatte ſich aus ſeinen Haͤnden entriſſen. Die
Tochter des Hauß-Herrn hatte immittelſt zum Fenſter herans geruffen:
Diebe! Diebe! Es war ohngefehr des Morgens gegen 4. Uhr, da die-
ſes Geſchrey aus dem Hauſe erſchallete. Vier Gerichts-Diener, ſo kurtz
vorher von der auſerordentlichen Wacht abgezogen waren, ſtunden
nicht weit davon und truncken mit etlichen Fleiſcher-Knechten Brandte-
wein. So bald dieſe das Geſchrey hoͤreten, lieffen ſie nach dem Hauſe
zu. Die Tochter des Hauß-Herrn, ſo mitlerweile mit einem Licht her-
unter gekommen war und die Thuͤre eroͤffnet hatte, fuͤhrete die ankom-
menden Gerichts-Diener und Fleiſcher-Knechte, wovon die letztern ihre
Beile in Haͤnden hatten, in den Hof, allwo ſie gleich den Reiſe-Camera-
den des Cartouche gewahr wurden und griffen. Man wolte hierauf
dieſem von neuem gefangenen Vogel wieder nach dem Chatelet fuͤhren;
Allein
[11] Allein die Tochter des Hauß-Herrn hielt inſtaͤndig an, man ſolte weiter
ſuchen, es waͤren 2. Perſonen geweſen und eine davon haͤtte mit Ketten
geklappert. Sie fiengen hierauf uͤberlaut zu ſchreyen, es wird warlich
Cartouche ſeyn, ſo zu entfliehen trachtet. Die Hof-Thuͤre ward ſogleich
beſetzet und der Hof ſehr genau durchſuchet. Man brachte lange Zeit zu,
ehe derſelbe gefunden wurde; Denn Cartouche hatte ſich mit dem Bauch
und Geſichte an die Wand des Hauſes geleget und dergeſtalt ausgeſtre-
cket, daß man im Duͤſtren nicht erkennen konnte, ob es Menſch, oder
Hauß waͤre; Endlich aber ward derſelbe, nach langem Herumtappen,
gefunden, gegriffen, und denen indeſſen herbey geholten Thuͤrwaͤrtern des
Gefaͤngniſſes uͤbergeben und ins Chatelet in ein ander Gefaͤngniß ge-
bracht, allwo er feſter geſchloſſen und nach der Zeit Tag und Nacht von
2. Gerichts-Dienern bewachet worden. Mit anbrechendem Tage kam
der Lieutenant des Criminal-Richters zu ihm, dem er, auf Befragen,
gar gelaſſen erzehlete, wie er mit ſeiner Befreyung zu Wercke ge-
gangen.


Man ſaͤumete indeſſen auch nicht noch immer Perſonen, die ver-
daͤchtig waren, aufzuſuchen und in Arreſt zu nehmen, da denn unter an-
dern auch 5. Archiers von der Wacht zu Fuß in Verwahrung genommen,
auch obſerviret worden, daß ſeit kurtzer Zeit mehr als 50. Soldaten vom
Regiment Gardes ausgeriſſen, auch daß eine gewiſſe Perſon, welche ſich
ſonſt vom Troͤdeln ernaͤhret, ſich unverſehens unſichtbar, und mit Hin-
terlaſſung aller ihrer Guͤter aus der Stadt gemacht, aus Furcht, von
Cartouche verrathen zu werden.


Cartouche war im̃ittelſt das gemeinſte, wovon geredet wurde, und ſo
gar die Comœdianten accommodireten ſich hierinnen nach dem Gouſt des
Volcks. Die Jtaliaͤniſchen ſtellten deßwegen am 20. Octobr. Harlequin
Cartouche,
aber mit ſchlechten Succeſs vor. Denn wie die Comoͤdie kaum
halb geſpielet war, muſten die Comoͤdianten die Vorhaͤnge des Schau-
Platzes herunter laſſen; weil die gantze Action denen Zuſchauern ſehr ab-
geſchmackt vorkam und ſie ihr Mißvergnuͤgen durch die allhier uͤbliche
Manier zu Pfeiffen zu verſtehen gaben, mit welcher ſchimpfflichen Muſic
aber denen Comoͤdianten nichts gedienet war. Der Zulauff bey dieſer
vermeinten curieuſen Action war ſo groß, daß die Leute einander trugen.
Harlequin ſolte die Perſon des Cartouche vorſtellen, ſo er aber nicht nach
dem Gutduͤncken der ſeltſamen und in ihren Meinungen ſehr delicaten
B 2Welt
[12] Welt verrichten konnte. Dieſen Fehler der Jtaliaͤniſchen, ſuchten die
Frantzoͤſiſchen Comoͤdianten folgendes Tages zu verbeſſern und verſpra-
chen in drey Auftritten: Das geſtraffte Schelmen-Stuͤcke, oder
den ungluͤcklichenCartouchevorzuſtellen, es hatte aber ein ſpitziger
Kopff hin und wieder unter die angeklebten Zettul geſchrieben: Wer
dieſe
Actionrecht natuͤrlich vorgeſtellet zu ſehen wuͤnſchet, der
beliebe ſich noch ein paar Tage zu gedulden, ſo dann aber auff
dem Platz
de Grevezu erſcheinen, allwo dieſem Titul und An-
ſchlag ein Genuͤgen geſchehen wird;
Allein das ungedultige
Volck wolte die allhier beſtimmte Zeit nicht erwarten, ſondern lieff in
groſſer Menge in die Frantzoͤſiſche Comoͤdie. Die Frantzoſen waren auch
in der That geſchickter, die Spitzbuben-Comoͤdie vorzuſtellen, als die
Jtaliaͤner, und haben, dem Anſehen nach, mehr Geld damit verdienet,
als Cartouche jemahls durch ſeine Buben-Stuͤcke gewonnen haben mag.
Ja es ſolten auch die Hunde zu Paris ein Andencken von dieſem beruffe-
nen Vogel haben, denn der Poͤbel fieng an dieſelben Cartouches zu nen-
nen.


So viel aber in Geſellſchafft von denen Verbrechen dieſes Ertz-Die-
bes geredet, ja ſelbſt in Comœdien vorgeſtellet wurde, ſo wolte er dennoch
nichts davon geſtehen und war beſtaͤndig ſehr froͤlich und gutes Muths.
Man fand deßwegen vor noͤthig, ihn auf die Tortur zu bringen, aber auch
dieſe war nicht vermoͤgend, ihm das geringſte Bekaͤnntniß abzunoͤthigen.
Er ſtand die voͤllige Tortur mit einer gelaſſenen Mine aus, und da er zum
andern mahl an dieſen Reihen muſte, ſo war derſelbe ſo frech, daß er die
leichtfertigſten Lieder ſunge und ſich die ſchmertzliche Zeit damit vertrieb.
Die Acten bey dieſer Diebs-Inquiſition waren in kurtzer Zeit ſo groß ge-
worden, daß ſie, ohngeachtet man bey uns in Franckreich die Acten nicht
ſo weitlaͤufftig, als an andern Orten, ſchreibet, mehr als 1000. geſchriebe-
ne Vlaͤtter ausmacheten.


Man hat indeſſen viel wunderliches Zeug von ſeinem Verbrechen
geſchwatzet. Die entſetzlichen Dinge, die er und ſeine Cammeraden mit
Frauens-Perſonen veruͤbet haben ſollen, verbietet die Schamhafftigkeit
zu erzehlen. Unter andern aber ſollen ſie das Blut derer von ihnen er-
mordeten Perſonen einander zu trincken gegeben haben, ſich dadurch zu
den groͤſten Grauſamkeiten anzureitzen, und ſoll dieſer Tranck, da ſie deſ-
ſen gewohnet geweſen, einen ſo hefftigen Trieb und Wuth und Grauſam-
keit
[13] keit in ihnen erwecket haben, daß ſie alle menſchliche Empfindung dadurch
verlohren. Aus faſt dergleichen raſenden Wuth hat ein gantzer Tropp
von den Cartouchiſchen Cameraden am 24. Octobr. eine von Meaux kom-
mende Weibes-Perſon [auf] oͤffentlicher Land-Straſſe angefallen und der-
ſelben das Jhrige genommen. Weil aber dieſer Straſſen-Raub juſt
an dem Orte geſchahe, wo einige Tage vorher einer von ihren Camera-
den war geraͤdert worden, ſo vermeynten die Boͤſewichter, ſich nicht beſ-
ſer raͤchen zu koͤnnen, als wenn ſie das ungluͤcklich Weib lebendig neben
ihren Cameraden auf das Rad anbaͤnden, welches ſie auch bewerckſtel-
ligten. Dieſe vor Schrecken und Marter halb todte Frau waͤre auch
gewiß geſtorben, wenn nicht ohngefehr einige Reuter daſelbſt vorbey gerit-
ten, die ſie zwar wieder loß gebunden, aber dadurch nicht verhindern koͤn-
nen, daß ſie ein paar Stunden darnach geſtorben. Cartouche ſelbſt hat
in allen Vorſtaͤdten von Paris 4. biß 5. Quartiere, auch viel alte Weiber
an ſich gehabt, die ſein geraubtes Gut vertroͤdelt. Von dieſen alten Vet-
teln wurden einige zu Eingang des Monats Novembr. von dem Scharff-
richter geſchoren, ihnen die Roͤcke unten abgekuͤrtzet und ſie in dieſer Poſi-
tur in das Spinnhauß eingeſperret.


Den 1. Novembr. ward Cartouche aus dem Chartelet in das Ge-
fangniß der Conciergerie, in einer Caroſſe gebracht. Bey ihm ſaſſen 2.
Officiers und ſeine Begleitung beſtund aus 8. Mann zu Pferde von der
Nacht-Wache und 8. biß 10. Gerichts-Dienern. Sobald ſie vor dieſer
neuen Reſidentz angelanget waren, ſtieg einer von denen Officiers ab, und
da er den Cartouche bey dem Ausſteigen ein wenig druͤcken mochte, ſo
hatte dieſer die Verwegenheit zu ſagen: Ey ihr Schelme gebt Ach-
tung, daß ihr mir nicht Schaden thut.
Der Officier fieng an
hertzlich daruͤber zu lachen, faſſete dem Cartouche um ſeinen ſchmahlen
Leib und trug ihn in das Gefaͤngniß. Man wolte ihm anfaͤnglich an den
Ort ſetzen, wo der bekannte Koͤnigs-Moͤrder Ravaillac geſeſſen, es ward
aber anders reſolviret, und der Maleficante in den Thurn von Montgo-
meri, in ein 18. Schuh dickes Gewoͤlbe gebracht, in welchem ihn weder
Sonne noch Mond beſcheinen und er, wegen Enge des niedrigen Platzes,
weder ſitzen, noch recht ſtehen, noch geſtreckt liegen konte, ſondern allezeit
krum gebuͤcket ſeyn muſte. Durch dieſe Veraͤnderung des Quartiers
ward Cartouche deſperat, daß er Gifft zu ſich nahm, ſo aber die erwuͤnſchte
Wuͤrckung nicht hatte; doch ward er einige Tage darauf von einem heff-
B 3tigen
[14] tigen Fieber angegriffen. Jn ſolchem Zuſtande gab ihm der General
Procurator, in Begleitung eines Medici und Gerichts-Schreibers, ei-
ne Viſite, und ordinirte, auf Einrathen des Medici, daß man Cartouche
in ein leidlicher Gefaͤngniß bringen und ihm zu ſeiner Nahrung nichts an-
ders, als Bouillons und Conſerve geben moͤchte.


So bald ſich derſelbe wieder ein wenig erholet, nahm er, mit Er-
laubniß der Richter, vom neuem Viſiten an. Er erwieß hierbey durch-
gehends einen aufgeweckten Kopff und guten Verſtand, ſchertzte bißwei-
len und war dabey froͤlich und fertig im Antworten. Wie ihn der Koͤ-
nigl.
Advocat le Nain beſuchte und zugleich bat, daß er ihm erzehlen
moͤchte, durch was vor Kuͤnſte er neulich aus dem Gefaͤngniß gekom-
men, that er die Relation mit einer gleichguͤltigen, doch angenehmen Ma-
nier und ſagte: daß wir nicht davon gekommen, ruͤhret nur bloß
von dem dummen Teuffel her, der mit mir entwiſchen wolte.
Wenn ich aber einen Cameraden von ſolchem Verſtand, als
mein Herr iſt, bey mir gehabt, wir wolten verſichert beyde frey
ſeyn.
Der Advocat lachte uͤber dieſe Antwort nicht wenig, gab dem
Maleficanten vor dieſe artige Vergleichung einen Louis d’Or und mach-
te ſein Adieu. Eben dergleichen wiederfuhr auch einer gewiſſen vorneh-
men Dame; dieſe war curieuſe, Cartouchen zu ſehen. Wie ſie nun ein
Exempt in das Gefaͤngniß fuͤhrete, allwo der Gefangene auf dem Stroh
lag, entſetzte ſich dieſelbe nicht wenig und tratt etwas zuruͤck; Cartouche
aber der ſolches merckte, zog die Decke von Beinen weg, wieß ihr ſeine Feſſel
und ſagte lachend: Madamehabt ihr auch ſo ſchoͤne Strumpff-
Baͤnder wie ich.


Ohngefehr am 12. Novembr. kam auch die Mareſchallin von Bouff-
lers, die ſonſten die Gefangenen zu beſuchen und zu beſchencken gewohnet
iſt, zu ihm. Sie ſchien uͤber die Art ſeiner Feſſelung ſehr geruͤhret zu ſeyn,
ſchenckte dem Gefangenen 30. Livres und rieth ihm zur Gedult. Car-
touche
erwiederte: Madameich dancke vor das Geſchencke, weiß
aber nicht, was Gedult ſey; weil ich die Zeit meines Lebens
keine Frau gehabt.


Mit den Gerichts-Dienern ſo ihn bewachet, hat er viel geredet, ge-
ſchertzet und unter andern geſaget: Er waͤre verſichert, wenn er die
Kunſt verſtuͤnde, ſein jetziges Geſchmeide in Gold zu ver-
wandeln, daß er ein milderes Urtheil, als wohl geſchehen

doͤrff-
[15]doͤrffte, wuͤrde zu erwarten haben. Wie die Frantzoͤſiſchen Co-
moͤdianten, ſo mit der Comoͤdie von ihm groſſes Geld verdienet, demſel-
ben ein Praͤſent von 50. Livres uͤberſchicket, hat er ſolches nicht annehmen
wollen und geſaget. Er brauchte nicht ſeinen Unterhalt von ſol-
chen Leuten zu nehmen, die ihr Geld damit verdienten, daß
ſie ſich andern Leuten zum Gelaͤchter machten; Er waͤre je-
tzo ein Koͤniglicher Koſtgaͤnger, der ihm ſo lange Brod ge-
ben, biß er in Stand gerathen wuͤrde, Paris die wahrhaffte
Tragoͤdie von
Cartouchevorzuſtellen.


Unter vielen andern Perſonen iſt auch der Pfarr von St. Bartho-
lomaͤus bey ihm geweſen. Als dieſer ihn gefraget, ob er leiden moͤchte,
wenn er ihn bißweilen beſuchte, mit ihm vom Geiſtlichen Sachen zu reden,
ſo hat er mit vieler Ehrerbietung geantwortet, daß ihm ſolches ein groſſes
Vergnuͤgen geben wuͤrde. Wie der Pfarr hierauff noch weiter gefra-
get, ob er ein geiſtliches Buch haben wolte, hat er geantwortet: Er koͤnte
weder ſchreiben noch leſen, da man doch das Gegentheil davon gar wohl
gewuſt; weil er aber bey der Verhoͤr jedesmahl alſo geredet, ſo hat er
auch hierinnen nicht variren wollen, wie er denn durchgehends groſſe Be-
hutſamkeit gebrauchet und allemahl in den Wein viel Waſſer gegoſſen,
damit er bey Verſtande bleiben und ſich nicht etwann verreden moͤchte.
Man hat auch Cartouchen, der ſich oben einen Koͤnigl. Koſtgaͤnger ge-
nennet, ſehr wohl tractiret und ihm taͤglich zum Fruͤhſtuͤck kleine Pa-
ſteten und ein gut Glaß Wein, des Mittags bey dem Eſſen eine Bou-
teille Wein und des Abends die Helffte von einem Huhn, oder ander Ge-
bratens gegeben.


Er iſt aber weder durch Schaͤrffe noch Guͤte zu einem Geſtaͤndniß
ſeiner Verbrechen zu bringen geweſen. Da er geſehen, daß es nicht moͤg-
lich waͤre, alles abzulaͤugnen, hat er allerhand artige Raiſonnements
uͤber ſeinen Proceß gefuͤhret und geſaget: Er waͤre einer der geringſten
Ubelthaͤter von dem Complot, darunter man ihn geweſen zu ſeyn beſchul-
digte; weil er nichts anders, als nur einige kleine Diebereyen, aber keine
Mordthaten begangen haͤtte; denn daß er den Exempt todt geſtochen,
waͤre eine Nothwere geweſen. Durch dieſe Halßſtarrigkeit iſt das Par-
lament bewogen worden, ihn zwey Tage vor ſeinem Tode nebſt denje-
nigen, die mit ihm hingerichtet werden ſollen, nochmahls auf die Tortur
bringen zu laſſen, die ſo ſcharff geweſen, daß einer von dieſen Boͤſewich-
tern
[16] tern unter waͤhrender Peinigung geſtorben, ſie haben aber dem ohnge-
achtet nicht das geringſte bekennen wollen. Nach der Tortur hat man
denſelben abermahls mit mehr als 40. Perſonen confrontiret, und da er
durch ſo viel Indicia genugſam uͤberwieſen worden, auf ſein eigen Bekaͤnt-
niß nicht reflectiret, ſondern der General-Fiſcal hat am 27. Novembr.
den wider ihn vor dem Criminal-Gerichte des Parlements formirten
Proceß geſchloſſen, worauf dem Cartouche ſein Urtheil vorgeleſen und
zugleich angedeutet worden, daß es folgendes Tages an ihm ſolte vollzo-
gen werden.


Den 28. des Morgens ſahe man auf den Platz de Greve 5. Raͤder
und 2. Galgen ſtehen, ſo des Nachts vorher aufgerichtet worden. Die
Obrigkeit war entſchloſſen zugleich nebſt Cartouche 6. ſeiner Cameraden
juſtificiren, und an dieſem Ertz-Dieb, zu ſeiner deſto groͤſſern Quaal, die
Execution zuletzt vollziehen zu laſſen. Weil aber die Cameraden des
Cartouche noch mehrere von ihren Diebs-Geſellen angaben, ſo hatte
das Criminal-Gericht vor rathſam befunden, dieſe Miſſethaͤter noch ei-
nige Tage beym Leben zu laſſen, damit man die angegebenen Diebs-Voͤ-
gel indeſſen greiffen und ſie mit ſelbigen confrontiren koͤnnte; und dieſes
war die Urſache, daß Nachmittags 4. Raͤder und 2. Galgen wieder
weggenommen wurden. Ohnfehr gegen 3. Uhr ward Cartouche unter
Begleitung aller Archiers und der Wacht zu Pferd und Fuſſe von der
Hauß-Vogtey auf den Platz de Greve gebracht, und von 6. Archiers
oder Stadt-Knechten auf das Chavot getragen. So bald er auf dieſes
zu ſtehen kam, wurden 4. von ſeinen Cameraden, die man zum Schein
hinauf gefuͤhret hatte, von dem Chavot herunter geſtoſſen. Wie nun
Cartouche fragte, was dieſes zu bedeuten haͤtte, ſo ward ihm zur Antwort
gegeben, dieſe haͤtten ihr Verbrechen freywillig geſtanden und waͤren par-
donir
et worden. Cartouche vermeinte durch ein freywilliges Bekaͤnnt-
niß gleichfalls Pardon, oder doch eine Milderung ſeines Urtheils zu er-
halten, und begehrte mit ſeinen Richtern zu reden, weil er noch wichtige
Dinge zu entdecken haͤtte. Er ward ſodann auf das Stadt-Hauß, und
vor die daſelbſt befindliche Gerichts-Perſonen gebracht. Zu dieſen ſagte
derſelbe: Weil er nunmehro ſehen koͤnnte, daß das Ende ſeines Lebens na-
he waͤre, ſo haͤtte er ſich auf dem Wege entſchloſſen, ein auffrichtiges Be-
kenntniß aller ſeiner Verbrechen und eine weitlaͤufftige Entdeckung ſeiner
Cameraden zu thun. Er rechtfertigte hierauff den Richter, ſo ihm ſein
To-
[17] Todes-Urtheil geſprochen, und ſagte, nachdem er alle ſeine Verbrechen,
weßwegen er zum Tode verurtheilet worden, geſtanden, daß er die aller-
ſchwerſte Straffe verdienet, die man nur erdencken koͤnnte. Hiernechſt
bekannte er auch, daß alle diejenigen, ſo in den Haͤnden der Juſtitz ver-
hafftet, und mit ihm confrontiret worden, ſeine Mitverbrecher waͤren.
Man ließ hierauff alle Gefangene auf das Stadt-Hauß bringen, um ſie
von neuem mit Cartouche zu confrontiren, der ſich indeſſen mit ſeinem
Beicht-Vater in einem Winckel des Saals begab, biß dieſelben alle her-
ein gebracht waren, ſo dann aber nahete er ſich zu ihnen und redete ſie mit
einer gelaſſenen Mine folgender maſſen an:


Verwundert euch nicht, meine Herren, daß ich allhier
vor oͤffentlichem Gerichte ſage, wer ihr ſeyd und was ihr ge-
than habt. Man hat mich zwar auf die Folter gebracht,
damit ich ausſagen moͤchte, was ihr gethan haͤttet; ich habe
aber um eurent Willen die groͤſte Marter ausgeſtanden, da
mit man euch vor unſchuldig halten ſolte. Jndeſſen da mein
Beicht-Vater zu mir gekommen und mir aus GOttes Wort
die Schwere meines Verbrechens vorgeſtellet, hat ſolches mein
Hertz dergeſtalt erweichet, daß ich entſchloſſen bin, alles zu ſa-
gen, was ich weiß. Hierzu beweget mich auch auſer dieſem
noch eine andre Urſache; weil unſre Freunde, welche noch
nicht in verhafft gebracht worden, ihr Wort von ſich gegeben,
uns auch mit Auffopfferung ihres Lebens aus dem Gefaͤngniß
zu erretten, welches ſie aber unterlaſſen, und eben deßwegen
will ich nun alles aufrichtig bekennen.


Hierauf ließ er alle Namen ſeiner Raub- und Diebs-Geſellen ins
Protocoll auf beſondere Blaͤtter niederſchreiben und ſagte ſo dann bey
Nennung eines jeden Namens aus, was jedweder gethan hatte. Fuͤnf-
fe von den Angegebenen, deren, auſer denen ſchon ſitzenden, mehr als 50.
und unter welchen auch 2. Laquayen der Hertzogin von Ventadour ge-
weſen, wurden noch dieſen Abend in Arreſt genommen, und die Ver-
hoͤr continuirte die gantze Nacht hindurch, da dann zwar einige von de-
nen viel 1000. Zuſchauern nach Hauſe giengen, die meiſten aber blieben
auf den Platze ſtehen, und wurden durch den beſtaͤndig anhaltenden Re-
Cgen,
[18] gen nicht wenig incommodiret, wie denn auch 16. biß 18. Perſonen theils
durch das groſſe Gedraͤnge, theils auch durch die ausgetheilten
Schlaͤge getoͤdtet und bleſſiret worden. Den 29. Nachmittags um 1.
Uhr ward endlich Cartouche wieder auf den Richt-Platz gebracht, all-
wo er von dem Scharffrichter 11. Schlaͤge mit einer eiſernen Keule,
nemlich 3. auf den rechten, 3. auf den lincken Arm, 2. auf das lincke, 2.
auf das rechte Bein und den letzten auf die Bruſt empfieng. Hierauf
ward der zertruͤmmerte aber noch lebende Coͤrper auf das Rad geleget,
auf welchem man ihn bey nahe noch eine Viertel-Stunde leben ließ,
endlich aber, auf Vorbitte des Beicht-Vaters, die ihm um den Halß
gemachte Schnure zuzog und ihn erdroſſelte. Dieſes war das ſchmertz-
liche Ende eines der groͤſten Raͤuber, Diebe und Spitzbuben in Franck-
reich, von welchem man noch eine ziemliche Weile in Paris zu reden
haben, biß etwann eine andere abenthenerliche Begebenheit ſein Anden-
cken verdunckeln wird. Der ungluͤckſeelige Leichnam blieb ſo dann noch
einige Zeit auf dem Rade liegen, ward aber endlich abgenommen, auf
eine Baare geleget und von den Henckers-Knechten auf den Kirch-Hof
der unſchuldigen Kinder gebracht; Allein es bekam auch hierdurch die
Tragoͤdie von Cartouche noch kein Ende, denn die Chirurgi von S.
Coſmo
kaufften dem Scharffrichter den Cartouchiſchen Coͤrper unter
dem Vorwand ab, daß ſie zum Nutzen ihrer Lehrlinge, eine Anatomie
oder Zerlegung damit anſtellen wolten; Allein ſie haben einen curieuſen
Wucher mit ſelbigem getrieben, und ihn vor Geld ſehen laſſen, da denn
der Zulauff ſo groß geweſen, daß man noch im Zweiffel ſtehet: Ob Car-
touche
bey ſeiner Freyheit mit ſeiner Mord- und Diebs-Profeſſion,
oder die Comoͤdianten bey ſeiner Gefangenſchafft mit der von ihm ge-
ſpielten Comoͤdie, oder die Chirurgi nach ſeinem Tode mit ſeinem Coͤr-
per mehr verdieuet.


Einige haben vor gewiß vorgeben wollen, daß Cartouche ſeine Rail-
leri
en auch mitten unter den Todes-Gedancken nicht laſſen koͤnnen, ſon-
dern etlichemal zu dem Beicht-Vater geſaget: Mein Syſtema iſt von kei-
ner groͤſſern Dauer, als des Herrn Law ſeines geweſen. Dieſen Tag
ward weiter nichts vorgenommen; weil die Gerichts-Perſonen ſehr er-
muͤdet waren, den folgenden Morgen aber ſahe man wieder 4. Raͤder und
2. Galgen auf dem Platz de Greve ſtehen.


Gegen
[19]

Gegen 9. Uhr aber kam Befehl, daß 3. Raͤder wieder weggenom-
men werden ſolten, weil etliche von denjenigen, an denen die Execution
vollzogen werden ſollen, auf der nochmahligen Tortur, noch mehr andere
angegeben. Die Execution verzohe ſich hierdurch biß in die Nacht, da
ein Goldſchmidts-Sohn, ein junger Menſch von 22. Jahren auf den
Richt-Platz gebracht und bey brennenden Fackeln geraͤdert wurde.
Wie dieſes geſchehen, wurden auch der Wirth und die Wirthen desjeni-
gen Diebs-Winckels, wo Cartouche ergriffen worden, an beyde Galgen
aufgehencket und die Execution vor dieſen Tag geendiget.


Unter den Angegebenen ſollen ſich auch ein Commiſſarius von einer
alten anſehnlichen Adelichen Familie, auch einige andre Perſonen von
Diſtinction befinden, die man aber wohl wird durchſchluͤpffen laſſen.
Seit dem 29. ſind mehr als 60. ſo wohl Manns- als Weibs-Perſonen zu
Paris in Arreſt genommen worden, welche dem Cartouche und ſeinen
Diebs-Geſellen dadurch Vorſchub gethan, daß ſie Knechte und Maͤgde
durch Beſtechungen zu bewegen geſuchet, die Wohnungen ihrer Herr-
ſchafften offen zu laſſen, damit ſie ihre Diebs-Profeſſion des Nachts in
ſelbigen exerciren koͤnten.


Hiernechſt hat man aus des Cartouche gefundenen Schrifften er-
ſehen, daß er nach Etampe, Meaux und an andre Orte eine ſtarcke Cor-
reſpondenz
gefuͤhret, Diebſtaͤhle dahin gebracht, Wechſel-Briefe davor
gezogen, und einen rechten Wechſel-Handel damit getrieben; Es haben
aber dergleichen Banquiers nunmehro ſchlechten Lohn zu erwarten. Es
ſind auch in unterſchiedene Provintzen des Reichs Befehle geſendet
worden, ſich daſelbſt derer von Cartouchen und ſeinen Cameraden ange-
gebenen Raͤuber und Diebe zu bemaͤchtigen. Ja ſelbſt von Paris hat
man ein ſtarckes Commando in den nach Meaux zu gelegenen Wald ge-
ſendet, die daſelbſt befindlichen Raͤuber und Diebe aufzuheben; Allein
dieſe haben ſich dergeſtalt gewehret, daß ſich die Archiers mit Verluſt von
3. Perſonen zuruͤck ziehen und leer wieder nach Paris zuruͤck marchi-
ren muͤſſen.


Sonſten hat man auch den Lieutenant des Cartouche, Namens
Pelißier, welcher ſich uͤber der Theilung eines Straſſen-Raubs mit ei-
C 2nem
[20] nem ſeiner Cameraden entzweyet und daruͤber von dieſem in den Arm
verwundet worden, ſich aber nach der Zeit ſehr praͤchtig aufgefuͤhret, auch
viel mit groſſen Herren umgegangen und geſpielet, endlich in dem Hauſe
des Herrn Jntendanten zu Lion arreſtiret, da man ihm geſaget, er gleiche
gar ſehr einem ſo genannten Pelißier, deſſen Beſchreibung von Paris
nach Lion geſendet worden: Pelißier haͤtte hierauf mit Trotz geantwor-
tet, daß viele von ſeinem Namen ihm gleich ſeyn koͤnten; man haͤtte ihm
aber verſetzet, er koͤnte ſich gar leicht rechtfertigen, wenn er ſich nur aus-
kleidete, und ſehen lieſſe, daß er ein gewiß Zeichen nicht an ſeinem Leibe
haͤtte, als er aber ſich deſſen geweigert, haͤtte man ihn mit Gewalt aus-
gezogen, und auf ſeinem Arm das Pflaſter noch auf der Wunde gefun-
den, welche ihm ſein Camerad in der Theilung beygebracht haͤtte. Die-
ſer iſt hierauf zu Lion gefangen genommen worden, um nach Paris ge-
bracht zu werden und ſeinen Lohn allhier zu empfangen. Es haben zwar
die Cameraden von der Cartouchiſchen Bande ausgebreitet, als wenn
dieſer Pelißier auf dem Wege hieher von ſeinen Mitgeſellen wieder be-
freyet und die bey ihm zur Bedeckung geweſene 8. Gerichts-Diener nie-
der geſchoſſen worden; es iſt aber ſolches falſch geweſen und vermuthet
man den Pelißier ſtuͤndlich allhier, allwo er auf einige Zeit 3. andern
Cameraden, die ſich gleichfalls allhier cavalierement aufgefuͤhret,
und in ſolcher Figur ergriffen worden, Geſellſchafft leiſten
kan.


So ſcharff man aber bißher mit dieſem gottloſen Geſindel verfah-
ren, ſo laͤſt es ſich doch nicht abſchrecken, Rauben und Stehlen noch ſtaͤr-
cker, als vormahls geſchehen, fortzuſetzen; wie denn am 5. Decembr. A-
bends um 10. Uhr der Artilleri Commiſſarius, Herr Baſſu, von 5. der-
gleichen Galgenvoͤgeln aufoͤffentlicher Straſſe angegriffen worden. Er
hat ſich zwar tapffer zur Wehre geſetzet, iſt aber endlich mit einem Saͤ-
bel hinterwaͤrts in Kopff gehauen worden, daß er darnieder geſuncken.
Die Raͤuber haben ihm hierauf Hut und Degen genommen und
ſich ſchleunig davon gemacht.


Auf dieſes entſetzliche Verbrechen war die Obrigkeit reſolviret
fol-
[21] folgendes Tages eine Execution vorzunehmen, und Abends um 9. Uhr
ward ein junger Meuſch auf den Platz de Greve gefuͤhret, daſelbſt mit
4. Pferden zerriſſen zu werden; weil er aber bey Erblickung des Richt-
Platzes, nach dem Exempel Cartouchens, Anſuchung that, nochmahls
vor die Richter gefuͤhret zu werden, ſo hat man ihm auch darinnen gewill-
fahret und ihn auf das Stadt-Hauß gebracht, allwo er noch vieles be-
kennet und erſt folgendes Tages, Nachmittags um 1. Uhr hingerichtet
worden; immittelſt aber hat man doch noch ſelbigen Abend, die Zuſchau-
er nicht leer weg gehen zu laſſen, eine alte Diebs-Vettel aufgehencket.
Man hat auch ſonſten noch in Erfahrung gebracht, daß am 18. Novembr.
zu Nacht, biß 80. Perſonen von der Bande des Cartouche bey Boulle-
gard zuſammen gekommen, und ein neues Ober-Haupt erwehlet, ſo St.
Etienne
heiſſen ſoll, der auch ſeine Untergebene ſogleich aus[c]ommandiret,
an unterſchiedenen Orten ſeine Befehle zu vollziehen, die ihm auch ſo gleich
gehorſamet.


Unter der Bande des Cartouche haben ſich auch Geiſtliche befunden,
von denen ein Abt ergriffen worden, welcher ſich Johann Caſpar von
Rougaime de la Mothe genennet, insgemein aber der Abt dela Mothe ge-
heiſſen worden, dieſer hat, auſer andern ſchweren Verbrechen, das Semi-
narium
der auslaͤndiſchen Miſſionen unterſchiedliche mahl beſtohlen. Die
Geiſtlichkeit iſt ſehr bemuͤhet geweſen, vor ihn bey dem Herrn Regenten,
in Anſehung ſeines Geiſtlichen Standes, Gnade auszuwuͤrcken, es iſt aber
ihre Bemuͤhung vergebens geweſen, und der Herr Regent hat ſich auff
ihr Anſuchen folgender maſſen erklaͤhret: Jch habe den Grafen von
Horn radern laſſen: dieſer ſoll hencken,
welches Urtheil auch am 11.
Decembr. gegen Abend, auf der Vorſtadt von St. Germain in der weiſſen
Creuß-Gaſſe an ihm vollzogen worden, nachdem er vorher faſt eine gantze
Stunde unter dem Galgen geprediget. Ein auslaͤndiſcher Edelmann,
dem der executirte Abt 1600. Livres geliehen, iſt von demſelben, ſo bald
dieſer in Verhafft gerathen, als ein Mitverbrecher angegeben und deßwe-
gen in die Baſtille gebracht worden. Man hat ihn aber, nach genauer
Unterſuchung, unſchuldig befunden und an dem Tage, da der Abt gehan-
gen worden wieder auf freyen Fuß geſtellet.


Bey dieſer blutigen Tragoͤdie hat Paris nichts mit groͤſſerm Er-
C 3ſtau-
[22] ſtaunen angehoͤret, als daß der Koͤnigl. General-Fiſcal am 10. Decembr.
einen Befehl von Parlament ausgebracht, daß ein Inquiſitions-Proceß
wider den Lieutenant des Criminal-Gerichts und den Fiſcal vom Chate-
let ſolte angeſtellet werden, welche durch einen von denen bereits geraͤder-
ten Cameraden des Cartouche beſchuldiget worden, daß ſie gewiſſe ihnen
bekante Verbrechen darum verſchwiegen, damit einige dabey intereſſir-
te vornehme Perſonen, ſo gedachte beyde Gerichts-Officianten beſtochen,
verſchonet werden moͤchten. Man erwartet daher recht ſehnlich wie die-
ſer Proceß ablauffen werde.


Den 12. Decembr. ſind einige Gefreyte, oder Exempten von denen Ge-
richts-Dienern zu Pferde an die Spaniſche Graͤntzen geſendet worden, um
9. Diebe von der Bande des Cartouche, ſo ſich unter dem Gefolg der
Mademoiſelle von Montpenſier befunden, und wovon ſonderlich zwey dero
Silber-Geſchirr ſtehlen helffen, nach Paris zu bringen. Den 15. ward
abermahls eine Frau von der Bande des Cartouche Chevaliere genannt
aufgeknuͤpffet, und nach der Zeit ſind durch das Criminal-Gerichte noch
2. Weibes- und 6. Manns-Perſonen von eben dieſer Bande zum Tode
verurtheilet worden, dem ohngeachtet iſt doch der Fleiß und Strenge der
Juſtitz nicht vermoͤgend geweſen, denen haͤufigen Mordthaten und Die-
bereyen Einhalt zu thun.


Den 20. Decembr. hat man abermahls verſchiedene Perſonen aus
ihren Haͤuſern, und unter dieſen auch einen Schloͤſſer geholet, der wie die
Rede gehet, dem hingerichteten Cartouche die Mittel angewieſen, gemaͤch-
lich und ohne vieles Geraͤuſch, in die Haͤuſer wohlhabender Leute zu
kommen.


Am 28. dito Abends um 6. Uhr kamen 3. wohlgekleidete junge Kerls zu ei-
nem auf dem Platz von Maubert wohnenden Kauffman, und forderten ihm
mit entbloͤſſetem Degen ſeine Gold-Boͤrſe ab, die er ihnen auch, ihrer loß
zu werden, willig auslieferte; Kaum aber waren ſie mit dem Raube weg,
ſo rieff der Kauffmann: Es ſind Diebe da. Die patronillirende Schaar-
Wache kam ohngefehr darzu, und holete noch 2. von dieſen Galgenvoͤgeln
ein, welche in das Chatelet gebracht wurden.


Dem
[23]

Dem du Chatelet, einem Cameraden des Cartouche, welcher ihn das
erſtemahl verrathen, hat zwar der Koͤnig das Leben geſchencket, doch ſoll er
in ewiger Gefaͤngniß bleiben, um welches er auch ſelbſt angehalten hat,
mit dem Vorgeben, daß ihn doch die uͤbrige Rotte, wenn er frey waͤre,
ermorden wuͤrde; Er begehret taͤglich nichts als 10. Sols, oder 4. gl. da-
von im Gefaͤngniß zu leben, und giebt vor, daß er ſich bekehren wolte.
Bey dieſem Verfahren wider den Cartouche und ſeine Cameraden ſind
uͤberhaupt drey Dinge merckwuͤrdig 1.) daß die Obrigkeit keine Koſten
noch Muͤhe geſcheuet, ſich dieſes Complots zu bemaͤchtigen, auch jetzo ſchon
wuͤrcklich 60000. Livres, oder 20000. Reichs-Thaler aufgewendet wor-
den 2.) daß man uͤber einem ſolchen wichtigen Proceß nicht laͤnger als
6. Wochen und etliche Tage zugebracht, und denen Delinquenten keine
ſchaͤdliche Bedenck-Zeit gelaſſen; 3.) daß man ſich allhier aus aber glaͤu-
biſchen Gebrauch mit denen Executionen nicht an eine gewiſſe Zeit binde,
ſondern dieſelbe, nachdem es denen Richtern gelegen faͤllt, Vor- und Nach-
mittags, auch wohl gar des Abends und um Mitternachts-Zeit vollziehe.
Ein gewiſſer Greffier des Criminal-Gerichts ſoll willens ſeyn, die Hiſtorie
des Cartouche und ſeiner Cameraden ausfuͤhrlich zu beſchreiben, welches
in der That etwas curieuſes ſeyn wird.


Nota. So bald nur gedachte Hiſtorie im Druck verhanden, wird
man nicht ermangeln, ſolche gleichfalls ins Teutſche uͤberſetzt denen
Liebhabern dergleichen Schrifften durch den
Druck mitzutheilen.


[[24]][[25]][[26]][[27]][[28]][[29]][[30]]

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CC-BY-4.0
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2025). Anonymous. Der berühmte Ertz-Dieb und Strassen-Räuber Cartouche, Derer Strassen-Räuber, Diebe und Spitz-Buben Ober-Haupt und Commandeur in Franckreich, in denen merckwürdigsten Begebenheiten seines bösen Lebens, endlichen aufrichtigen Bekäntnisses und schwehren Todes vorgestellet. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhhd.0