und heiligten sich selbst. (S. Bonaventura)
im Kampfe gegen feindliche Mächte.
über christliche Ehe und Erziehung
von
Gall Jos. Hug,
Domkapitular in St. Gallen.
Universitäts-Buchhandlung (B. Veith)
1896
IMPRIMATUR
[[III]]Friburgi Helvetiorum die 26 Decembris anno 1895.
Empfehlung.
Nachstehende Predigten des hochw. Herrn Domkustos
G. J. Hug behandeln, wie schon ihr Titel andeutet, einen
Gegenstand, dessen große Bedeutung allgemein anerkannt
ist. Sie sind von kirchlichem Geiste durchdrungen, ge-
haltvoll, praktisch und eindringlich und daher sehr geeignet,
zur Erneuerung des Familienlebens und der Erziehung
beantragen. Wir ertheilen darum denselben gerne unsere
Approbation und Empfehlung und wünschen denselben die
weiteste Verbreitung.
St. Gallen, den 24. Dezember 1895.
Vorwort.
[IV]Etwas mehr als die Hälfte dieser Vorträge erschien
vor 15 Jahren im Druck; war aber nur für enger
Kreise berechnet und bestimmt; gleichwohl verirrten sich
auch manche Exemplare ins Anstand. So war die Auf-
lage bald vergriffen und die Nachfragen wurden mit der
Zeit immer zahlreicher. Das war für den Verfasser eine
trostreiche Aufmunterung eine zweite vermehrte Auflage
vorzubereiten; das verlangt auch die von feindlichen
Mächten immer heftiger bestürmte christliche Familie.
Denn diese jüdisch-liberale Zeitströmung macht die
klare und kräftige Entwicklung all' jener geoffenbarten
Wahrheiten nothwendig, welche einzig und all ein den
Menschen aus der Tiefe des Fleisches und der Sinnlich-
keit auf die Lichthöhen des übernatürlichen Lebens empor-
zuheben und so die christliche Familie vor Verderbnis; und
Auflösung zu bewahren vermögen. Wie nämlich am Char-
freitag die Synagoge mit dem irregeleiteten Volke vor
dem Palaste des römischen Landpflegers Pilatus lärmte
und schrie: ‘„Kreuzige ihn!“’, so lärmt und schreit sie heute
mit ihrem allezeit getreuen Heergefolge ‘„Dem buntscheckigen
Liberalismus“’ vor dem Throne des allmächtigen alle
Freiheiten verschlingenden Staates: ‘„Kreuzige die christ-
liche Kirche! Kreuzige die christliche Staatsordnung!
Kreuzige die christliche Familie!“’
Auf der großen Weltbühne andere Schauspieler, aber
das gleiche Trauerspiel!
Im alten Bunde wurden die Juden, wenn sie den
Weg der Gebote Gottes verlassen hatten, von den
Philistern bedrängt, bekriegt, besiegt; jetzt haben sie durch
Gottes Zulassung und Fügung die Rolle der Philister
gegen jene Völker übernommen, welche im privaten und
öffentlichen Leben von Christus und der Kirche abgefallen
sind. Was daher der edle Graf Friedrich Leopold von
Stollberg am 17. Mai 1808 über die damaligen Verhält-
nisse schrieb, das gilt heute von den socialen vielleicht noch
mehr als den politischem ‘„Jetzt muß alles rückgängig sein,
auf daß es vorgängig werden könne, im Kleinen wie im
Großen. Was wird im ganzen Geäder der Verhält-
nisse nicht noch geschehen müssen, auf daß es einleuchtend
werde, wohin die erste Lüge, wie man in der Philosophie
den ersten Irrthum nennt, führt und führen müße. Ehe
man zum Worte Gottes zurückkehrt, wird
es noch ganz anders kommen. Ich sehe es
kommen und obschon mir die Haut schaudert, jauchzet doch
mein innerstes. Das tägliche ununterbrochene Studium
eines Buches giebt Aufschluß über Alles und bewährt dieses
Buch als Gottes Wort.“’ Stollberg, Entwicklungsgang
von Janssen, zweite Auflage, S. 367.
So Stollberg, als er, um seine Religionsgeschichte
zu schreiben, die hl. Bücher des alten Bundes studierte
und betrachtete.
Also zum Worte Gottes, zur geoffenbarten Wahrheit
zurückkehren, zum Vorbild der christlichen Familie, zur hl.
Familie von Nazareth! Mit noch so zierlichen Redens-
[VI] arten und geistreichen Gedanken der rein natürlichen Welt-
anschauung, wenn sie auch durch irgend einen Bibelspruch
noch einen pietistischen Anhauch haben, ist für die Erhal-
tung und Wiederherstellung der christlichen Familie zum
wenigsten nichts geleistet.
Wenn nun dies Buch in vielen Familien als Haus-
freund aufgenommen, berathen, befolgt wird, und so gute
Familien noch glücklicher macht, die Bedrohten rettet, die
Zerütteten wiederherstellt, die Jugend auf dem Wege des
Glaubens und der Unschuld bewahrt, die zum Ehestande
Berufenen zum würdigen Empfange des hl. Sakramentes
der Ehe anleitet, so kann ich die hl. Familie von Na-
zareth für ihre Liebe und Güte gegen die christlichen
Familien und gegen mich nie genug loben und preisen.
St. Gallen, am Feste der unbefleckten Empfängniß der
allerseligsten Jungfrau und Mutter Gottes Maria. 1895.
Inhaltsverzeichniß.
[VII]Vorwort.
Inhaltsverzeichniß Seite
- I. Der allgemeine fromme Verein der christl. Familie 1
- II. Die Mutterwürde 8
- III. Die Vaterwürde und ihre Gefahren 16
- IV. Das Opfer der Mutter 26
- V. Die Vatermacht 35
- VI. Die Unschuld der Weg zur Ehe 46
- VII. Die Bewachung der Kinder 55
- VIII. Die Bekanntschaften, eine heilige Ehrensache der
Familie 64 - IX. Wie wird die Bekanntschaft eine Ehrensache der
Familie 74 - X. Die Ehe ein heiliges Sakrament 83
- XI. Die christliche Ehe ist unauflöslich 94
- XII. Empfang des heiligen Sakramentes der Ehe 105
- XIII. Das Hochzeitsgewand der Brautleute am Altar 114
- XIV. Die Ehe, ein Abbild der Vereinigung Christi und der
Kirche – eheliche Liebe und Treue 124 - XV. Die Gewalt der Kirche betr. Ehehindernisse und die
Verwandtschaftsehen 133 - XVI. Kampf der Päpste für die Heiligkeit der Ehe 146
- XVII. Taufe, besonders Kindertaufe 157
- XVIII. Die Aufgabe der Erziehung 168
- XIX. Christus das Vorbild bei Erziehung der Kinder 178
- XX. Erziehung und Liebe 188
- XXI. Erziehung und Gehorsam 197
- XXII. Erziehung und Ruthe 206
- XXIII. Erziehung und Abtödtung 218
- [VIII] XXIV. Begriff und Schule der Ehrfurcht 228
- XXV. Erziehung und Ehrfurcht 235
- XXVI. Erziehung und Keuschheit 245
- XXVII. Erziehung und Beicht 255
- XXVIII. Keuschheit und Kommunion 265
- XXIX. Tischgebet 276
- XXX. Besuch des Gottesdienstes 285
- XXXI. Familie und Prüfungen Gottes 292
- XXXII. Erziehung und Familienfreuden 302
- XXXIII. Geschwisterliebe 312
- XXXIV. Stand und Beruf 322
- XXXV. Art und Weise der Standeswahl 332
- XXXVI. Standeswahl und Ehe 342
- XXXVII. Christliche Familie und Arbeiter, 1. Theil 353
- XXXVIII. Christliche Familie und Arbeiter, 2. Theil 363
- XXXIX. Ehe und Tod 373
- Anhang von Gebeten 387–403
I.
Der allgemeine fromme Verein
der christlichen Familie.
[1]Die hochheilige Familie von Nazareth muß eine ganz
außerordentliche Bedeutung haben, denn schon in der heiligen
Schrift wird sie uns oft und in den mannigfaltigsten
Lebensverhältnissen erwähnt und an die Spitze des Evan-
geliums gestellt. Der hl. Matthäus beginnt sein Evange-
lium mit den Worten: Buch der Abstammung Jesu
Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.
Dann zählt er die Stammväter Christi auf und schließt
mit den Worten: Jacob aber zeugte Joseph den Mann
Marias, von welcher geboren ist Jesus, welcher Christus
genannt wird.
Also am Anfang der frohen Botschaft haben wir die
heilige Familie in ihrer ganzen Herrlichkeit. Wiefern?
Während nämlich der heilige Matthäus bei Aufzählung der
Stammväter immer das Wort ‘„zeugte“’ gebraucht: Abraham
zeugte den Isaak, David der König zeugte Salomon,
Jacob aber zeugte den Joseph, läßt er auf einmal dies
Wort ausfallen und nennt Joseph den Mann Marias, von
welcher geboren wurde Jesus, der genannt wird Christus.
Zu welchem Zwecke? Um die jungfräuliche Mutterwürde
Marias zu verkünden. Da ist gar kein Zweifel möglich;
denn gleich berichtet er, wie Joseph Maria entlassen wollte
und dann vom Engel über das Geheimniß der Menschwerdung
Christi belehrt wurde. ‘„Joseph, Sohn Davids, fürchte dich
[2] nicht, Maria dein Weib zu dir zu nehmen; denn was in
ihr ist erzeugt worden, das ist vom heiligen Geiste.“’
Dann sehen wir die heilige Familie auf der Reise
nach Bethlehem; sehen sie im Stalle, wo der Sohn Gottes
als Menschensohn geboren und von den Hirten und den
Königen angebetet wird. Dann treffen nur nach der Erzäh-
lung des Evangeliums die heilige Familie im Tempel, wo
das göttliche Kind nach dem Gesetze dem himmlischen
Vater dargebracht wird; bald nachher auf der Flucht nach
Aegypten, später auf der Heimkehr nach Nazareth, dann
über die Osterzeit im Tempel zu Jerusalem, endlich im
stillen Hause zu Nazareth, wo das göttliche Kind seinen
Eltern unterthan war und mit ihnen in stiller Einsamkeit
arbeitete und betete. Während der ersten Zeit des öffent-
lichen Gebens Jesu wird die heilige Familie zum letzten
Male erwähnt. Als er nämlich in der Synagoge seiner
Vaterstadt lehrte, verwunderten sich alle und sprachen:
‘„Woher kommt diesem solche Weisheit und Wunderkraft,
ist dieses nicht des Zimmermanns Sohn? heißt nicht seine
Mutter Maria?“’ (Matth. XIII. 55.) So wurde Christus
der Herr, als er dreißig Jahre alt war, allgemein für
einen Sohn Josephs gehalten.
Aber warum wollte der Gottmensch, aus der Jung-
frau geboren, dennoch für einen Sohn Josephs gehalten
werden? warum wollte er wie ein gewöhnliches Kind in
der Familie aufwachsen? Die heiligen Väter haben von
alters her verschiedene Gründe aufgeführt. Wie es die Zeit-
verhältnisse verlangen, bleibe ich nur bei dem stehen, was
der heilige Thomas bemerkt: ‘„Die Mutter des Herrn war
mit Joseph vermählt und Jungfrau, weil in ihrer Person
die Jungfräulichkeit und die Ehe geehrt wird gegen Irr-
lehrer, welche auf die Jungfräulichkeit oder auf die Ehe
schmähen.“’ Die Ehe und mit ihr die Familie war zur
Zeit Christi so furchtbar zerfallen, daß man an ihrer Wieder-
[3] herstellung verzweifeln mußte; die Ehe und die Familie
wurde seither vielfach angegriffen und wird besonders heute
als die Feindin des gesellschaftlichen Glückes herabgewürdigt;
der Haß gegen Christus und seine Kirche hat die christliche
Ehe aus dem öffentlichen Leben durch die Civilehe ver-
drängt; aber auch mit dieser Civilehe werden die Fortschritte
der Revolution da und dort aufräumen, wie der Sturm
den Schnee von den Dächern wegwirbelt.
Da sehet ihr wieder die Allmacht und Weisheit Gottes
im Geheimnisse der Menschwerdung Christi. Die Weis-
heit. Der Sohn Gottes durch den heiligen Geist empfangen,
geboren aus der Jungfrau, wollte in seiner Demuth, daß
seine jungfräuliche Mutter mit einem Manne vermählt sei
und so längere Zeit als ein gewöhnliches Weib erscheine,
wollte selber in den Augen der Welt als Kind dieser Eltern
aufwachsen, wollte noch im Anfange seines öffentlichen Lebens
als Sohn Josephs angesehen werden, nur um der Ehe
und der Familie wunderbaren, übernatürlichen Adel und
Hoheit zu verleihen.
Aber auch die Allmacht. Denn einerseits hat er alles
so geleitet, daß zur rechten Zeit die jungfräuliche Mutter-
würde Marias bekannt und geglaubt wurde, anderseits
aber hat er die Hoheit und Würde der Ehe der Obhut
seiner unzerstörbaren Kirche anvertraut. Wie daher die
Revolution in ihrem Ansturme gegen die Kirche da und
dort Verwüstungen anrichten, aber die Kirche nicht zer-
stören kann, so mag es ihr auch gelingen, die christliche
Ehe herabzuwürdigen, da und dort aus dem öffentlichen
Leben zu verdrängen oder gar unmöglich zu machen –
aber niemals dieselbe aus der Welt zu verbannen.
Um nun einerseits diese entsetzlichen Strafgerichte
Gottes voll uns abzuwenden, anderseits den christlichen Adel
der Ehe und der Familie zu bewahren – was haben wir
zu thun? Jede christliche Familie soll die heilige Familie
[4] verehren und nach Kräften nachahmen, verehren den heiligen
Joseph, den Pflegevater Jesu Christi, verehren die makel-
reine Jungfrau in ihrer jungfräulichen Mutterwürde, an-
beten das göttliche Kind. Das thun wir so oft, als wir den
freudenreichen Rosenkranz beten und betrachten. Denn in
diesen ersten fünf Geheimnissen ist ja die Geschichte der
heiligen Familie enthalten. Also verehren, aber auch nach-
ahmen. Denn die heilige Familie ist nicht bloß der Adel,
sondern auch das Vorbild der christlichen Ehe und Familie.
Denn Christus der Herr wollte nicht bloß die einzelnen
erlösen und heiligen, und ihnen ein Beispiel geben, sondern
er wollte auch die Familie als Familie und durch die
Familie die ganze menschliche Gesellschaft aus dem Sumpfe
trauriger Verirrungen auf die Lichthöhen christlicher Voll-
kommenheit führen. Hiefür war auch ein leuchtendes Vor-
bild nothwendig in der heiligen Familie von Nazareth.
Wenn nun auch die Verehrung und Nachahmung der heiligen
Familie uralt wie das Evangelium, das die heiligen Apostel
auf der ganzen Welt verkündet haben, so ist doch diese
Andacht erst in unsern Tagen zur vollen Blüthe gelangt;
denn die heilige Kirche nimmt aus ihrem unermäßlichen
Schatze je nach den Zeitbedürfnissen Neues und Altes hervor.
Wer will leugnen, daß gerade die Familie heute vie-
len und großen Gefahren ausgesetzt ist. Das heutige Er-
werbsleben und die Unbeständigkeit des Wohnsitzes der
ärmeren Klasse sind, an und für sich, die kleinsten Gefahren.
Denn die göttliche Vorsehung, welche diese Uebelstände
einmal zugelassen, darf doch nicht zugeben, daß Fami-
lien, welche eines guten Willens sind, dadurch geschädigt
werden. Die eigentlichen Gefahren liegen viel tiefer; liegen
im Verstande, mit einem falschen Begriffe von der Ehe und
ihrer Heiligkeit, liegen im Herzen mit seinen Leidenschaften,
liegen in der Zerstreuungssucht im Bunde mit der Genußsucht.
Nicht wahr, je weniger die Familienglieder an Werktagen
[5] in Folge der Arbeit bei einander sein können, desto mehr
sollten sie am Sonntage mit einander sich freuen. Das
verlangt doch die gegenseitige Liebe der Eltern und Kinder
und der Geschwister. Und doch und doch! – So finden
denn so viele sogar scheinbar noch gute Katholiken keine
Freude mehr in der Familie; Wirthshaus, Vereine, Aus-
flüge, Theater, Unterhaltungen aller Art haben die Familie mit
Langweile erfüllt – und diese ist ein überaus böser Geist.
Was thut da die heilige Kirche? Sie stellt uns die heilige
Familie vor Augen, damit wir dieselbe mit neuem Eifer
verehren und nachahmen. Darum betet sie: ‘„Herr Jesus
Christus, der du Maria und Joseph unterthan, das Familien-
leben mit unaussprechlichen Tugenden geheiligt hast, mache,
daß wir mit beider Hilfe durch die Beispiele deiner hl.
Familie unterrichtet werden, und ihre ewige Gemeinschaft
erlangen.“’ Wozu also die hl. Familie verehren? Durch die
Gnade Jesu Christi gestärkt, mit der Hilfe von Maria
und Joseph sollen wir die Tugenden der heiligen Familie
betrachten, nachahmen, um so an der Herrlichkeit dieser
Familie im Himmel unsern Antheil zu haben.
Um diese Andacht recht zu pflegen, wünscht der heilige
Vater, ‘„daß der allgemeine fromme Verein der christlichen
Familien, zu Ehren der heiligen Familie von Nazareth in
der ganzen Kirche eingeführt werde.“’ Also schon wieder
ein neuer Verein, während nur deren, wie überlaut be-
klagt wird, schon zu viele haben. Nur getrost, denn es
handelt sich da um keim Verein, wo Comitesitzungen, beson-
dere Versammlungen, Wirthshaus, Ausflüge, Theater, Abend-
unterhaltungen die Familienglieder auseinanderreißen und
zerstreuen, es handelt sich um keinen Verein, wo der
Eintritt schon viel Geld kostet, wo man dem Vorstande
bei diesem und jenem Anlasse Geschenke zu machen hat;
sondern um einen Verein, der mit den altehrwürdigen
Bruderschaften viel Aehnlichkeit hat und den ersten von
[6] Gott selbst gegründeten Verein, die Familie nämlich, er-
halten, beglücken und heiligen soll.
Was soll zu diesem Zwecke geschehen? Vor einem
Bilde der heiligen Familie weiht sich die Familie der
heiligen Familie von Nazareth und betet vor demselben
wenigstens täglich ein Mal, wenn möglich Abends, gemein-
schaftlich. Das ist die Hauptsache. Warum?
Für's Erste werden Jesus, Maria und Joseph die
ihr geweihten Familien besonders beschützen und liebe-
voll pflegen, und das umsomehr, je andächtiger sie verehrt,
je vollkommener sie nachgeahmt werden. Welche Bedeutung
das für unser ewiges Heil hat, wisset ihr Alle. Und das
zweite? Die Familienglieder sollen sich wenigstens einmal
täglich, wenn möglich Abends, zum gemeinsamen Gebete ver-
sammeln. In den ersten Rundschreiben über den hl. Rosen-
kranz mahnte der hl. Vater, doch dahin zu wirken, daß der
Abendrosenkranz, wo er aus den Familien verschwunden,
doch wieder gebetet werde. Was setzt das voraus? Die
Familienglieder sollen, soweit es immer möglich ist, wenig-
stens Abends bei einander sein. Das verlangt das Bei-
spiel der hl. Familie. Denn betrachtet nur den Bericht des
Evangeliums. Als Jesus zwölf Jahre alt war, gingen
sie, wie gewöhnlich, zum Feste nach Jerusalem. Maria war
nicht verpflichtet auf das Opferfest nach Jerusalem zu
gehen; aber sie wollte sich von ihrem göttlichen Kinde und
dem hl. Joseph nicht ohne Nothwendigkeit trennen.
Da, christliche Familie, ist dein Vorbild. Der Werktag
mit seinen Arbeiten mag dich auseinander halten vom Morgen
bis zum Abend; aber der Sonntag soll dich wieder ver-
einen. Wo der Kindergottesdienst ein nothwendiges Uebel
geworden, können die Eltern allerdings nicht mit den
Kindern zur Kirche gehen; aber ihr, die ihr größer ge-
worden, gehet, soweit es die nothwendigen Hausgeschäfte er-
lauben, mit einander, um hier gleichsam familienweise zu beten.
[7] Kehret mit einander heim, um den Sonntag im Familienkreise
zuzubringen und dort die unschuldigen Freuden zu genießen.
Also keine Leidenschaft, keine Zerstreuungssucht darf
die Einheit der Familie verletzen und das Zusammen-
leben stören, sondern nur der Vater im Himmel hat
das Recht, das eine oder andere Familienglied für kürzere
oder längere Zeit oder für immer da oder dorthin zu
rufen, wie er auch seinen göttlichen Sohn, den zwölfjährigen
Knaben Jesu, ohne Wissen von Maria und Joseph im
Tempel zurückbehielt. Das beweist auch das Beispiel
Christi. Denn im Tempel wiedergefunden, ging er mit seinen
Eltern nach Nazareth, war ihnen unterthan, arbeitete und
betete mit ihnen, freute sich in ihrer Gesellschaft, bis zum
30. Jahre, wo er öffentlich auftrat und für einen Sohn
Josephs gehalten wurde. So lange das göttliche Beispiel
nicht nachgeahmt wird, ist ein Familienleben überhaupt
nicht möglich. In dieser Beziehung verspricht der fromme
Verein der christlichen Familien viele Früchte zu bringen.
Denn seiner Natur nach zerstreut er nicht, wie die
meisten Vereine, sondern sammelt nach der Art und Weise
der alterhrwürdigen Bruderschaften.
So verehrt denn diese heilige Familie von Nazareth
mit neuem Eifer und folget ihrem Beispiel: Eltern und
Kinder und Geschwister seid doch bei einander so oft und
so lange ihr könnt; betet mit einander, arbeitet so weit
möglich bei einander, gehet mit einander zur Kirche, kehret
mit einander heim, freuet euch mit einander im Herrn,
wenn auch in einer ärmlichen Wohnung. Aber warum
denn das ‘„Mit einander“’ so betonen? Ein wie weit ver-
breitetes Uebel ist doch das ‘„Ohne einander!“’ Nur mit
einander werdet ihr unter dem Schutze von Jesus, Maria
und Joseph den Engeln ein Schauspiel werden und bald
im Himmel mit einander ewig frohlocken – familienweise.
II.
Die Mutterwürde.
[8]Wie am Schluße, so auch im Anfang ihres Jahres
führt uns die heilige Kirche das jüngste Gericht vor Augen,
damit wir vom Schlafe aufwachen, den Ernst des Lebens
erkennen, unsern Herrn Jesus Christus anziehen und im
Lichte der Gottseligkeit ehrbar leben. Denn nahe ist mit
der heiligen Weihnacht unser Heil und nicht bloß für den
Einzelnen, sondern auch für die Familie. Denn Jesus
Christus ist uns zwar aus einer Jungfrau geboren, aber
diese jungfräuliche Mutter ist doch mit einem Manne ver-
mählt. Warum? Aus vielen Gründen gebe ich nur einen
an: Die heilige Familie von Nazareth soll das Vorbild
der christlichen Familien werden. Denn Jesus Christus
ist gekommen nicht bloß die Einzelnen zu erlösen, sondern
auch die Familie wieder herzustellen. So komme ich denn
auf die christliche Familie und Erziehung zu sprechen, um
über diesen Gegenstand euch nach und nach die wichtigsten
Wahrheiten zu entwickeln. In dieser hl. Adventszeit rede
ich von der Würde und Macht des Vaters, von der Würde
und dem Opfer der Mutter. Was ich von der Mutter
sage, dürfen und sollen auch die Männer wissen und um-
gekehrt, und was ich beiden sage, soll auch die Jugend,
wenn sie ihr Unglück nicht durch die Ehe vollenden will,
tief beherzigen. Weil wir alle den Anfang unserer Würde
der heiligen Mutter Gottes verdanken, beginne ich heute
mit der Würde der christlichen Mutter und werde darauf
die Vaterwürde behandeln. Die Nothwendigkeit diese Wahr-
heiten eindringlicher zu verkünden, bezeugen uns die Be-
strebungen, christliche Müttervereine zu gründen. Ob und
[9] in wie fern diese nützlich oder gar nothwendig seien, will
ich nicht untersuchen; aber soviel ist mir sonnenklar, daß
nur die tiefe Kenntniß und Verehrung Mariens die für
die Rettung und Heiligung der Familie geeigneten Mütter
uns geben kann. Daher will ich diese Wahrheit behandeln:
In der Würde der Mutter Gottes erkennt die
christliche Mutter auch ihre Würde.
Als die Fülle der Zeit gekommen war, wurde der
Erzengel Gabriel zur Jungfrau Maria gesandt. Er begrüßte
sie im Auftrage Gottes: ‘„Gegrüßt seist du voll der
Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den
Weibern.“’ Als Maria über dieses Lob erschrack, beruhigte
sie der Engel: ‘„Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast
Gnade gefunden bei Gott.“’ In diesen wenigen Worten
habet ihr die wunderbare Heiligkeit der Jungfrau. Aber
das ist nicht ihre höchste Auszeichnung, sondern nur die
nothwendige Vorbereitung, daß ein Geschöpf eine Art gött-
licher Würde erhalte. Denn betrachtet nur die Botschaft
des Engels. Er will nämlich sagen: ‘„Wundere dich nicht,
daß Gott dir eine solche Gnadenfülle gegeben hat; fürchte
dich nicht, als könnte da eine Täuschung sein; vor allem
mußt du die Gnadenvolle sein. Denn siehe du wirst em-
pfangen in deinem Leibe und einen Sohn gebären, und
du sollst seinen Namen Jesus heißen. Dieser wird groß
sein und der Sohn des Allerhöchsten genannt werden und
seines Reiches wird kein Ende sein.“’ Als dann die Gnaden-
volle fragte wie das möglich sei, da sie mit dem heiligen
Joseph in unversehrter Jungfräulichkeit zu leben gelobt
habe, sprach der Engel: ‘„Der heilige Geist wird über dich
kommen und die Kraft des Allerhöchsten dich überschatten;
darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren werden
soll, Sohn Gottes genannt werden.“’‘„Siehe ich bin eine
Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte.“’ Als
die Jungfrau diese Worte gesprochen, geschah was der hl.
[10] Johannes berichtet: ‘„Das Wort ist Fleisch geworden.“’
Wer ist dies Wort? Der hl. Johannes antwortet selbst:
‘„Im Anfange war das Wort; das Wort war bei Gott
und Gott war das Wort.“’ Dies Wort, dieser Gott, dieser
wahre Sohn Gottes ist also Fleisch geworden. Wo? ‘„Du
wirst empfangen in deinem Leibe; was aus dir geboren
werden soll, wird Sohn Gottes genannt werden.“’ (Luc.
1, Joh. 1.) O Abgründe der Liebe und Barmherzigkeit
Gottes!
Das erste Weib, ein Wunderwerk Gottes, will sein
wie Gott selbst – und wird die Mutter aller Sünden
und bringt über ihr Geschlecht soviel Bosheit und Verach-
tung und Schmach, daß der heilige Geist im Buche des
Predigers sagen mußte: ‘„Einen Mann habe ich unter
tausenden gefunden; ein Weib habe ich unter Allen nicht
gefunden.“’ Barmherzigkeit Gottes, die du aus Erbarmen
mit dem zertretenen Weibe eine segnest, damit alle in ihr
gesegnet werden! Heiliger Geist, anbeten können wir deine
Liebe, aber niemals begreifen dein größtes Wunderwerk,
die wunderbarliche Mutter, die Jungfrau und Mutter
zugleich!
Was ist nun unsere wahre Würde? – Die Ver-
einigung mit Gott. Je inniger aber diese Vereinigung,
desto höher die Würde. Wie aber unter den Menschen jede
Verbindung gleichsam ein Schatten ist gegen die Vereini-
gung der Mutter mit ihrem Kinde, ebenso verschwindet
jede Vereinigung mit Gott, sobald sie mit der Mutter-
würde der wunderbaren Mutter verglichen werden soll.
Denn zu allen Heiligen spricht Jesus Christus: ‘„Ihr seid
meine Freunde;“’ zu Maria, ‘„du bist meine Mutter. Dem
Fleische nach stehe ich in weit innigerer Beziehung und
Blutsverwandtschaft zu dir als jedes andere Kind zu seiner
Mutter. Denn wie ich im Himmel nur einen Vater,
so habe ich auf Erden nur eine Mutter.“’
Weil nun eine innigere Einheit des Geschöpfes, ohne
daß es aufhört eine Person zu sein, mit Gott unmöglich
ist, so besitzt auch Maria, als Mutter Gottes, unter allen
Geschöpfen die höchste Würde.
Da nun habet ihr auch den Ursprung jeder andern
Würde. Warum ist sie ohne Erbsünde empfangen? Das
Blut der Erlösung durfte nur aus dem reinsten Schooße
genommen werden. Warum ist sie, die Gnadenvolle, schöner
als der Himmel? – Damit der Sohn Gottes in ihr eine
würdige Wohnung finde. ‘„Du bist gebenedeit unter den
Weibern!“’ – Aber, denket ihr vielleicht, fast etwas un-
geduldig geworden, was hat denn dies Wunderwerk
Gottes mit der Würde der christlichen Mütter gemein-
sam? Sehet einmal und betrachtet die Erbarmung
Gottes! Im alten Bunde war eine Mutter, welche nur
das Wort des Propheten kannte: ‘„Siehe die Jungfrau
wird empfangen und einen Sohn gebären und sein Name
wird Emmanuel sein.“’ Der Glaube an diese kommende
wunderbarliche Mutter ließ sie ihre eigene Mutterwürde
ahnen. Wie nämlich die Sonne hoch am Himmel auf
diese Erde leuchtet, daß wir die Herrlichkeit Gottes in der
ganzen Schöpfung erkennen, so leuchtet auch dies Geheim-
niß jungfräulicher Mutterwürde, daß die natürliche Hoheit
einer jeden Mutter in ihrem wahren Lichte erscheint. Denn
betrachtet nur jene Heldenmutter des alten Bundes. Als
sie nämlich mit ihren sieben Söhnen vor dem Tyrann
Antiochus stand und jeden ermunterte, lieber alle Qualen
zu dulden, als die Gebote zu übertreten, sprach sie: ‘„Nicht
ich habe euch Geist, Seele und Leben gegeben, und nicht
ich selbst habe Glied an Glied gefügt, sondern der Schöpfer
der Welt, der den Menschen bei seiner Erzeugung bildet.“’
(Machab. I. II, c. VII, 22.)
Also erhebet euch einmal über Fleisch und Blut,
während gemeine Menschen Possen reißen, blicket mit heiliger
[12] Scheu auf die christlichen Mütter hin. Warum? ‘„Lasset
uns den Menschen machen nach unserm Ebenbilde.“’ So
sprach Gott im Paradies, bildete Adam, hauchte ihm die
unsterbliche Seele ein, bildete Eva. ‘„Lasset uns den
Menschen machen,“’ spricht heute noch der Schöpfer aller
Dinge; oder noch besser, jenes erste Schöpfungswort tönt
und wirkt fort durch alle Jahrhunderte. So schafft denn
Gott allem heute noch das Leben und die Seele mit all'
ihren Fähigkeiten und er allem fügt Glied an Glied. Was
muß er deßhalb von uns verlangen? Heilige Ehrfurcht
vor seiner nahen Majestät; Ehrfurcht vor dem Werke seiner
Hände; heilige Scheu vor der Werkstatt, wo er arbeitet
und sein Werk vollenden will.
Wie groß ist doch die Mutterwürde auf dem erhabenen
Standpunkte der Offenbarung, des Glaubens, der göttlichen
Wahrheit! Darum sage ich: Erhebet euch über die
Gemeinheit dieser Welt; entsetzet euch über ihre Zoten und
Greuel, über Ausschweifungen und Rohheiten, wodurch sie
den Schöpfer aller Dinge in der Mutter oder in der auf-
wachsenden Jungfrau verhöhnt und mißhandelt und so des
ewigen Feuers sich schuldig machen muß; erhebet euch
himmelhoch über diese Gemeinheiten einer unzüchtigen Welt,
über die Rohheiten leichtsinniger Männer und zittert voll
Scheu und Ehrfurcht in der Nähe der göttlichen Majestät;
glaubt wenigstens so viel, als jene machabäische Mutter
und lebet darnach.
Das nun sollte genügen, um in aller Ehrbarkeit und
Ehrfurcht zu wandeln und doch ist das nur ein schwacher
Anfang. Denn im neuen Bunde ist uns der heilige Geist
gegeben, daß er in uns wohne und Leib und Seele in
seinen Tempel verwandle. Wenn er auch allen Kindern
Gottes gegeben ist, so wird er doch der christlichen Mutter
besonders mitgetheilt. Aber woher kannst du das wissen?
Aus dem Geheimnisse der Menschwerdung Jesu Christi.
[13] Denn an der Spitze des neuen Bundes steht eine Jung-
frau wie das Morgenroth des werdenden Tages; über diese
Jungfrau, welche nach den Gesetzen der Natur nicht
Mutter werden kann, kommt der hl. Geist mit seiner
ganzen Herrlichkeit, daß sie in ihrer jungfräulichen Schöne
die wunderbarliche Mutter Gottes wird.
Wenn ihr doch das Geheimniß der Menschwerdung
Jesu Christi tiefer betrachtet, wie würdet ihr bitterlich
weinen über die Bildung und Erziehung und die Grund-
sätze der christusfernen Welt, wo die Mutter, lange bevor
sie Mutter wird, ihre Würde und Hoheit verlieren muß.
Ist man ja so tief gesunken, daß sogenannte Gelehrte
die Mutter nur das menschliche Mutterthier nennen. Mit
dem Abfalle von Jesus Christus und seiner Kirche greifen
diese abscheulichen Irrthümer immer mehr und mehr um
sich und tragen ihre Verwüstung nicht bloß in das Heilig-
thum der Mutterwürde, sondern sogar in den Tempel der
Unschuld heranwachsender Mädchen. Daher ist es hohe
Zeit, das Geheimniß der Menschwerdung Jesu Christi
nach allen Seiten zu entwickeln, die Herrlichkeit der Mutter
Gottes zu verkünden und euch auf das Vorbild der heiligen
Familie hinzuweisen.
Unbefleckt empfangene Jungfrau, jungfräuliche Mutter
Gottes, dir gelobe ich es feierlich, diese Geheimnisse hier
zu entwickeln, ohne Furcht in das Leben einzugreifen,
damit zu deiner Verherrlichung die Würde der christlichen
Mutter und die Unschuld der Jugend immer schöner sich
entfalte. Aber Mutter des ewigen Wortes gib du mir
das rechte Wort und diesen deinen Kindern das rechte
Verständniß und den guten Willen!
So blicket denn alle auf die wunderbarliche Mutter,
das Vorbild aller Mütter, welche in den Himmel gelangen.
Sie hatte die Fülle des heiligen Geistes in sich!
Euch, christliche Jungfrauen, ist der heilige Geist ge-
[14] geben worden in der heiligen Taufe, noch reichlicher in der
heiligen Firmung, und wird euch durch den Empfang der
heiligen Sakramente der Buße und des Altars immer
gnadenreicher mitgetheilt. Wenn ihr dann ganz unbefleckt
und rein in den Ehestand tretet, wird durch das heilige
Sakrament der Ehe die Gnaden des heiligen Geistes euch
noch reichlicher verliehen; wenn ihr dann nach den Plänen
Gottes anfanget, Mutter zu werden, wird euer Leib erst
recht ein Tempel des heiligen Geistes. Preiset und ver-
herrlichet deswegen Gott in euerem Leibe, daß ihr dieser
hohen Würde theilhaftig werdet. An wen soll ich mich da
zuerst wenden?
An euch, meine lieben Männer. Welche Ehrfurcht
sollet ihr vor der Mutter haben! Welche heilige Scheu
vor dem heiligen Geiste, der in ihr wohnt, vor dem
Schöpfer aller Dinge, der in ihr schafft und bildet! Welche
Vorsicht in Werken, in Worten, in Mienen, um das Werk
Gottes nicht in seinen Anfängen zu zerstören. Mein
Freund, lasse das Licht dieser Wahrheit in deiner Seele
leuchten und anstatt in den Wirthshäusern, in leichtfertigen
Gesellschaften, beim Zeitungslesen zu versimpeln, erforsche
doch ernstlich einmal dein Gewissen, bevor am Tage des
Zornes der Schöpfer aller Dinge Rache an dir nehmen
wird.
Und ihr alle, machet es wie der hl. Felix v. Canbli-
zio. Dieser verehrte besonders die Geburt Christi aus
der wunderbarlichen Mutter. Sah er dann eine Frau,
die bald Mutter werden sollte, hatte er die größte Achtung
vor ihr und verehrte in ihr die wunderbarliche Mutter
auf ihrer Reise nach Bethlehem. Wenn es alle so machten
wie viele Zoten und Possen, die eigentlich nur eine Ver-
höhnung Gottes und der wunderbarlichen Mutter sind,
würden dann auf einmal aufhören! Aber wenn wir
Töchter, die noch nicht verehelicht sind, in diesem Zustande
[15] sehen? Wollte Gott ich müßte auf diese Dinge nicht ant-
worten und könnte einfach sagen: ‘„Unter Katholiken kommt
das gar nicht vor“’; weil aber beim wachsenden Leichtsinn
diese Aergernisse immer mehr überhand nehmen, muß ich
doch einen Wink geben. Wenn ihr also eine solche Tochter
sehet, so weinet über ihre Sünden und Aergernisse, bittet
und betet zu Gott, daß doch die Gefallene in ihrem Leicht-
sinne nicht bis in die Hölle hinabfalle, und in eueren
Familien seid wahrhaft Väter und Mütter, daß nicht auch
eure Töchter bei eurer Nachlässigkeit aus dem Leichtsinne
in die Sünde und aus der Sünde in diese Schande gerathen
zum Aergernisse Vieler und zur eigenen Schmach am
jüngsten Tage.
Doch das angedeutet zu haben, soll genügen, um euch
nicht minder wichtige Wahrheiten an das Herz zu legen
und zwar denen, welchen Gott diese Mutterwürde schon
gegeben hat oder erst verleihen will. Weil Maria Mutter
Gottes werden sollte, blieb sie vor der Erbsünde ganz ver-
schont und war vom ersten Augenblicke ihres Daseins an
ganz schön und heilig; aber sie selbst wirkte mit der
Gnade mit, daß sie an Tugend und Heiligkeit täglich Fort-
schritte machte, bis sie durch den hl. Geist endlich die
wunderbare Mutter geworden.
Euch nun, die schon Mütter seid oder es noch werdet,
hat Gott durch die hl. Taufe die Erbsünde weggenommen
und die Gnade gegeben, damit ihr die bösen Neigungen
bekämpfet, unschuldig lebet, um der ganzen wahren Mutter-
würde theilhaftig zu werden. Da nun gilt euch das Wort:
‘„Traget und verherrlichet Gott in euerem Leibe!“’ Aller-
dings vor allem in eurer Seele, daß ihr vor jeder Sünde
frei bleibet; aber dazu auch in euerem Leibe, daß ihr diese
Wohnung des hl. Geistes und diese Werkstätte des Schöpfers
aller Dinge nicht durch die Sünde verwüstet, sondern durch
Nüchternheit, durch einfache, gesunde Kleidung, durch Keusch-
[16] heit immer schöner machet. Diese Wahrheiten könnet ihr
nicht vergessen, so lange ihr die Geheimnisse des freuden-
reichen Rosenkranzes betet und betrachtet; ihr dürft sie
nicht vergessen, wollet ihr euere Würde und mit ihr eure
Seligkeit nicht verlieren. Wunderbarliche Mutter! Siehe,
ohne die Gnade deines göttlichen Sohnes sind meine
Worte nur leerer Schall. Flehe daher du selbst zu ihm:
Er möge doch jeder Mutter ein Herz nach deinem Herzen
geben, daß sie voll Hoheit und Würde in der Familie da-
stehe, geliebt vom Manne, verehrt von den Kindern, den
Engeln und den Menschen ein Schauspiel. Wunderbarliche
Mutter, bitte deinen göttlichen Sohn, er möge den Jung-
frauen ein Herz nach deinem Herzen geben, daß sie die
jungfräuliche Würde und Hoheit unverletzt bewahren, bis
du sie für die Mutterwürde am Altare vorbereitest. Wunder-
barliche Mutter, bitt' für uns, daß nicht bloß die Mutter
in dir ihre Würde finde, sondern wir Alle in den Erbar-
mungen deines Herzens das ewige Leben erlangen.
III.
Die Vaterwürde und ihre Gefahren.
Der Heiland ist uns aus der Jungfrau geboren, und
da erkennt die christliche Mutter ihre Würde; aber diese
Jungfrau ist mit einem Manne namens Joseph vermählt,
und da erkennt der christliche Vater sein Ansehen.
Der Heiland redet (Luc. XII. vom treuen und klugen
Hausvater, den der Herr über seine Familie gesetzt hat.
Wenn auch diese Worte zunächst von den Bischöfen gelten,
so werden sie doch von der hl. Kirche mit viel mehr
Recht auf den hl. Joseph angewandt. Die katholische
Kirche ist allerdings die große Familie Gottes; denn ihre
[17] frommen Kinder sind zugleich Kinder Gottes, aber noch
weit mehr ist die hl. Familie von Nazareth, die Familie
Gottes, denn der Sohn der Jungfrau ist ja zugleich der
wahre Sohn Gottes. Wer nun war über diese Familie
gesetzt? Der hl. Joseph von Gott auserwählt und bestimmt
zum Manne Mariens. Wenn er auch an Würde, an Gnade
und Heiligkeit die Mutter Gottes nicht erreichte, so über-
ragte er sie doch durch seine Oberherrlichkeit in der
Familie. Denn er war ja recht eigentlich der Stellver-
treter des himmlischen Vaters, dem Jesus und Maria
unterthan waren. Welche Fülle von Gnade und Heilig-
keit mit dieser Würde verbunden war, können wir vielleicht
ahnen, aber niemals begreifen.
Warum ist uns diese Wundergestalt gegeben? (Es sind
viele Gründe, aber einer ist gewiß auch folgender: Im
Geheimniße der Menschwerdung Jesu Christi soll der
christliche Vater seine Würde wieder erkennen und jene
Ehrfurcht finden, welche der Sohn Gottes seinem Pflege-
vater bezeugte. Sehet nur! Ueber wen soll der christliche
Vater nach den Anordnungen Gottes gestellt werden? Ich
frage nicht, über wen er gar oft gestellt werde, sondern
über wen er gesetzt werden soll. Denn wir sind nur zu
oft nicht das, was wir nach dem Willen Gottes eben sein
sollten, sondern was unsere Leidenschaften verlangen. Ueber
wen sollte also der christliche Vater gesetzt sein? Oder
mit wem sollte sich der Jüngling am Altare vermählen?
Nicht mit einem Mädchen, das eine mehr oder weniger
traurige Vergangenheit hinter sich hat, sondern mit einer
Jungfrau, die Jungfrau ist, nicht bloß vor den Menschen,
sondern auch vor Gott.
Wenn du, christlicher Jüngling, mit einer solchen
Jungfrau vor dem Altare kniest, redet dich Gott der
Vater gleichsam mit folgenden Worten an: ‘„Siehe, diese
Jungfrau habe ich nach meinem Ebenbilde erschaffen; die
[18] Kraft und Schönheit ihrer Jugend, ihr Gemüth mit all'
den edlen Gefühlen, ihr Geist mit dem klaren Verstande
und dem guten Willen ist mein Werk. Siehe, diese Jung-
frau gehört auch meinem göttlichen Sohne; denn er hat
sie, als sie verloren war, mit seinem Blute erkauft. Sie
gehört dem hl. Geiste; denn er hat sie schon in der hl.
Taufe zu seinem Tempel geweiht. Diese Jungfrau ist
unser ausschließliches Eigenthum, das nie durch die Sünde
verunstaltet, sondern durch die Tugend immer schöner ge-
worden.“’ So spricht gleichsam Gott der Vater und fügt
dann bei: ‘„Siehe, wir treten dir einen Theil unserer
Rechte ab: übergeben sie dir, damit sie in deinem Hause
die reine, unbefleckte Werkstätte des Schöpfers aller Dinge
werde. Sie wird deine trostreiche Hilfe sein; du aber
wirst unsere Stelle an ihr vertreten.“’
Wohlan, christliche Jünglinge und Väter, betrachtet
ihr diese Wahrheiten auch hie und da, um eure Würde zu
begreifen und Gott dafür zu danken, oder lebt ihr nur so
in den Tag hinein? Und doch ist das erst der Anfang
der Würde, zu der euch Gott berufen hat. Denn am
Altare seid ihr erst Männer, aber noch nicht Väter. Was
erst, wenn euch das erste Kind entgegenlacht! Ist
das nicht die Fortsetzung eurer Person? Müßet ihr nicht
mit dem ägyptischen Joseph dankbar sagen: ‘„Es sind
meine Söhne und Töchter, die mir Gott auf dieser Erde ge-
geben hat.“’ Und welche Kinder? Allerdings nicht der wahre
Sohn Gottes, wie er aus der Jungfrau dem hl. Joseph
geschenkt wurde; aber doch Ebenbilder Gottes, wie sie seit
dem Sündenfalle unter Thränen und Schmerzen zur Welt
kommen; angenommene Kinder und Erben Gottes und
Mitbrüder Jesu Christi, wie sie euch in der Taufe aus
dem Wasser und dem hl. Geiste wiedergeboren werden.
Nicht wahr, eine ganz außerordentliche Würde, wenn ihr
wie der hl. Joseph den Sohn Gottes in euer Haus auf-
[19] nehmen und darin verpflegen könntet? Wohlan, was sagt dieser
Sohn Gottes? ‘„Wer ein Kind, wie dieses, in meinem
Namen aufnimmt, der nimmt mich auf.“’ (Match. XVIII.)
Wer also aus Liebe zu Jesus Christus ein Kind
aufnimmt, für dessen Leib und Seele zu sorgen, der
beherbergt den göttlichen Heiland unter seinem Dache.
So oft euch daher Gott, der Schöpfer aller Dinge, ein
Kind schenkt, sagt er euch: ‘„Nimm dies Kleine an aus
Liebe zu mir; und du nimmst meinen eingebornen Sohn in
dein Haus!“’ Aber noch mehr! Euer Haus ist eine Woh-
nung der Engel. ‘„Ihre Engel schauen alle Zeit das Ant-
litz meines Vaters, der im Himmel ist,“’ so der göttliche
Kinderfreund. Darum, christliche Väter, schauet euch heute
Mittag euere Haushaltung an! Betrachtet die Mutter,
die euch Gott gegeben, als seine Werkstätte und als einen
Tempel des hl. Geistes, beherziget was sie euch zu Liebe
schon gethan und gelitten, betet an die Güte Gottes, der
euch eine solche Hoheit gegeben. Dann betrachtet die
Kinder! Je mehr ihrer sind, desto größer eure Würde.
Denn, so viel Kinder, so viel Schutzengel; so viel Kinder,
so viel mal wohnt Jesus Christus in euerem Hause.
Was seid ihr aber in Mitte der Familie, in Mitte
dieser hl. Schutzengel?
In den ältesten Zeiten war der Familienvater der
eigentliche Priester. So opferte Noa nach der Sündfluth,
so opferte Abraham. Als dann später das eigentliche
Priesterthum des alten und neuen Bundes gestiftet wurde,
ging zwar diese Opfergewalt für den Vater verloren, aber
nicht die hohe Würde, die ihm Anvertrauten zum gemein-
samen Gebete zu versammeln. Wohl mochte der hl. Joseph
zittern, als er mit Jesus und Maria nicht bloß gemein-
sam beten durfte, sondern als Hausvater die Hausandachten
zu leiten hatte; er that es aber gleichwohl, um den Willen
Gottes zu erfüllen.
Das nun, christliche Hausväter, ist derart eure Würde,
daß der hl. Augustin euch nicht bloß die Priester, sondern
sogar die Bischöfe der Familie nennt. Wenn nämlich der
hl. Petrus alle Gläubigen ein auserwähltes Geschlecht und
ein königliches Priesterthum nennt, so gilt das ganz be-
sonders von euch. Aber mit dieser Würde ist die hl. Ver-
pflichtung verbunden für die gewissenhafte Abhaltung der
Hausandachten zu sorgen. Kommt mir da nicht mit dem
Vorwande, das sei unmöglich. Das mag Ausnahme sein,
aber niemals Regel.
Oder soll etwa die Mutter beten? Freilich soll sie
beten und viel beten und den ganzen Tag bei ihren Ar-
beiten beten, und beten, wenn sie die Kleinen in's Bett legt;
aber bei den gemeinsamen Andachten soll der Vater beten;
denn der Vater ist der Priester des Hauses und nicht die
Mutter. Wenn ihr diese Würde zur Geltung bringet, werden
die Kinder leicht mit Ehrfurcht gegen euch erfüllt; der
Segen Gottes wird nicht ausbleiben und viele Aergerniße
weniger sein.
Nehmet nur eines! Jeden Abend versammelt ihr zur
bestimmten Zeit die Haushaltung – das ist der beste
Verein aller Vereine. Bei diesem Vereine habet ihr keine
andern nothwendig, ohne diesen aber helfen euch alle andern
nichts. Dann betet ihr das Abendgebet, und wenn's euch
die Zeit erlaubt, den Rosenkranz und nachher geht alles
gleichzeitig zu Bette, die größern und kleinern Kinder und
zuletzt Vater und Mutter, in diesem Falle wie viel tausend
Todsünden würden nur in dieser Pfarrei jeden Monat
oder vielleicht jede Woche weniger vorkommen, wie viel
Schande würde der Jugend, und den Familien wie viel
Elend erspart?
Oder wollet ihr etwa sagen, das sei nicht mehr
Sitte. Das wäre wohl das Traurigste. Denn welche
Väter und Mütter müßten wir da erst nach zwanzig Jahren
[21] haben, wenn die Gerechtigkeet Gottes uns so lange
verschonte? – Das ist nicht mehr Sitte! – Dann, dann
liebe Väter, dann bei der hohen Würde, die euch Gott
gegeben hat, bei der schweren Verantwortung, die ihr mit
in die Ewigkeit nehmet, bei der Himmelskrone, die dem
treuen Hausvater bestimmt ist, bei den ewigen Peinen,
die den treulosen Verwalter treffen, bei eueren Kindern,
bereu Glück und Unglück für Zeit und Ewigkeit zum größten
Theile in eurer Hand liegt, bei den heiligen Schutzengeln,
welche in euren Familien mit den Kindern beten, bei
jener Freude in der Ewigkeit, wenn ihr mit der Mutter
und mit den Kindern wieder eine Familie bildet vor dem
Trone Gottes und des Lammes – aber auch bei jenem
Jammer, wenn ihr am Gerichtstage auseinander gerissen
oder mit einander in die ewigen Flammen solltet geworfen
werden – bei all' dem, liebe, liebe Väter – bitte und
beschwöre ich euch in der Liebe und Zärtlichkeit Jesu
Christi, seid Väter nach dem Beispiele des hl. Joseph, seid
wieder Priester in den Familien, und wie Bischöfe, feiert
mit Allen den gemeinsamen Hausgottesdienst. –
Wenn euch diese Sprache vielleicht kühn erscheint, ist denn
die volle Wahrheit nicht immer kühn? Wenn euch diese
Sprache streng erscheint, werdet ihr an jenem so thränen-
reichen Tage auch noch dieser Ansicht sein?
Die Liebe zu den Seelen und zu den Familien, wenn
ihr Gott irgendwie die Gabe des Wortes gibt, kennt keine
andere Sprache.
Zwei Gefahren bedrohen die Vaterwürde, eine mehr
allgemeine und eine besondere, welche aber aus der ersten
hervorgeht. Die allgemeine Gefahr ist der Abfall von
Jesus Christus, der immer allgemeiner wird. Das ist über-
aus traurig; aber ebenso traurig, daß so viele noch gläubige
Katholiken bei der Einrichtung des Lebens und der Familie
nicht auf Jesus Christus und die heilige Familie hin-
[22] schauen, sondern nach dem Beispiele und den Grundsätzen
der Welt sich regeln. Werdet ihr in jeder Familie katho-
lische Erbauungsbücher finden? Und wenn ihr sie noch
findet, – wohl noch in einem verborgenen Winkel. Da-
gegen werdet ihr ohne viel Suchen allerlei Bücher und
Zeitschriften finden, welche den Glauben offen oder ver-
steckt angreifen. Was ist die Folge davon? – Vater,
Mutter und Kinder verlieren nach und nach den Begriff
von der christlichen Vaterwürde.
Gut, denkst du vielleicht, der Vater steht ja von der
Natur aus über Mutter und Kinder, und das wird so
bleiben, auch wenn es keine Christen mehr gibt.
Wird es so bleiben, was verlangt denn dieser Wider-
christ seit Jahr und Tag? – Die Befreiung des Weibes
von der Hoheit des Mannes und den heiligen Banden
der unauflöslichen Ehe und dazu die frühzeitige Befreiung
der Kinder vom Vater.
Das nun ist die allgemeine Gefahr, welche, je weniger
wir daran denken, nur um so drohender wird. Verbannet
daher aus euren Familien alle Schriften und Bücher,
welche von Jesus Christus, von der hl. Familie, vom
Papste, von der Kirche nichts wissen wollen oder gar
darüber spotten. Ja, über die hl. Kirche! Oder wer
verkündet heute noch die hl. Familie und ihr Beispiel?
Die katholische Kirche allein. Wer sichert den Glauben an
die Gottheit Jesu Christi, an die hl. Familie gegen all'
die offenen und versteckten Feinde? – Die Bischöfe unter
dem unfehlbaren Papste. Darum, liebe Väter, fliehet
doch alle Verbindungen, wo die katholische Kirche nicht
geliebt wird; und wenn in euerem Hause christusfeindliche
Schriften und Bücher sich finden, räumet damit auf, heute
noch; seid nicht wie ein Schilfrohr, das von jedem Winde
hin und her bewegt wird, sondern im Bewußtsein euerer
Würde seid unerschütterlich, unverwüstlich wie ein Granit-
felsen im Wintersturm.
Denn aus dieser allgemeinen Gefahr entsteht nur zu
leicht eine besondere für euch wie für eure Söhne, die
nach euch Väter werden sollen. Wenn nämlich viele den
Glauben nicht ganz verlieren, so werden sie doch darin
gleichgültig, leichsinniger im Besuche des Gottesdienstes,
nachläßig im Empfang der hl. Sakramente. So bekommt
die Sinnlichkeit nur zu leicht und zu oft die Oberhand.
Was aber ist die Folge hievon zunächst für die Jüng-
linge? Wie die Jungfrau, wenn sie eine Mutter voll
Hoheit und Würde werden will, von Jugend auf in aller
Unschuld und Nüchternheit zu leben hat, so auch der auf-
wachsende Jüngling, wenn er der Vaterwürde theilhaftig
werden will. Warum gab Gott dem hl. Joseph eine so
wunderbare Würde in der hl. Familie? Weil er von Kind-
heit an wie die aufgehende Sonne an Schönheit und
Klarheit zunahm; dies Vorbild hat Gott euch gegeben,
liebe Jünglinge. Allerdings könnet ihr in Sünden und
Ausschweifungen, in Genuß und Trunksucht Väter werden;
aber ist da noch eine Würde möglich? Daher wandelt in
aller Unschuld und Nüchternheit und Frömmigkeit und jede
Tochter, welche für ihre Unschuld nicht wie für ihren
Augapfel besorgt ist, fliehet auf hundert Stunden weit.
Denn der Anfang eurer Würde ist ja die Unschuld der
Braut. Wenn ihr euch aber in eurer Sinnlichkeit mit
jenen abgebet, die euch aufsuchen, die durch die Eitelkeit,
und Frechheit ihres Gesichtes, ihres Leibes, ihrer Stellung,
ihres Ganges, ihrer Kleidung eure Aufmerksamkeit auf sich
zu ziehen versuchen, welche immer bei Tanz und Genüssen
sein wollen, werdet ihr nicht bloß ohne Würde bleiben,
sondern wie der heilige Geist sagt, werden Jammer und
Fäulniß euer Lohn sein, und ihr werdet zur großen Warnung
dienen und aus der Zahl der Lebendigen genommen
werden! (Sir. XIX. 2. 3.) Doch, das soll heute für euch
genügen; es wird schon Gelegenheit geben, wo ich
einzelne Punkte genauer behandeln kann.
Dafür muß ich noch ein Wort sagen über die besondere
Gefahr, welche die Väter in ihrer Würde bedroht. Je
größer die Würde, desto mehr muß sie mit Selbstverläug-
nung und Tugend verbunden sein.
Wenn ihr nun, liebe Väter, in diesen betrübten, arm-
seligen Zeiten schwach im Glauben und nachlässig in Er-
füllung der religiösen Pflichten werdet, so wird die Sinn-
lichkeit erwachen und Viele zur Vernachlässigung der Arbeit,
zur Trunksucht, zur Rohheit, vielleicht gar zur Untreue
gegen die Gattin führen. Wo wird dann die zertretene
Vaterwürde noch Ehrfurcht finden? Um diese Gefahr von
euch abzuwenden höret doch fleißig und aufmerksam das Wort
Gottes. Denn ohne daß ihr in die Geheimnisse des Glaubens
tiefer eingeweiht, und von Zeit zu Zeit für die Ausübung
eueres hohen Amtes begeistert werdet, wie wollet ihr als
Bischöfe in der Familie walten? Es ist aber auch Lieb-
lingssache eines wahrhaft männlichen Geistes vom Gelehrten
an bis zum einfachen Bauern hinab die großen Wahrheiten
des Evangeliums nicht bloß zu ertragen, sondern zu lieben.
Aber höret nicht bloß fleißig und aufmerksam das Wort
Gottes, sondern in euren Familien leset und betrachtet wieder
jenes wahrhaft goldene Buch von Goffine, oder eine Legende,
oder die Erbauungsbücher von Cochem.
Damit ihr aber die Sinnlichkeit beherrschet, empfanget
doch hie und da die heiligen Sakramente. Saget ja nicht,
das sei nur Sache der Frauen. Ja es ist ihre Sache und
wehe jenen Männern, welche ihre Würde längst verloren
haben, wenn ihre Frauen nicht durch den Empfang der
hl. Sakramente sich stärkten, um ihr Kreuz geduldig zu
tragen; weil aber der Vater an Würde die Mutter über-
trifft, sollte das ebenso sehr, ja noch weit mehr seine Sache
sein. Christliche Väter, lasset euch nicht irre führen,
durch die Grundsätze, wie sie jetzt in der Welt gelten; lasset
euch nicht täuschen durch Beispiele, wie man sie allerorts
[25] findet, Euer Beispiel ist die heilige Familie mit dem hl.
Joseph an der Spitze.
‘So werdet ihr Männer und Väter wie der vielselige
Nikolaus von der Flüeh. Von ihm heißt es in den Pro-
zeßakten: Nikolaus vermählte sich mit einer ehrbaren
Jungfrau aus dem Volke, mit Namen Dorothea Wißling;
mit dieser lebte er in bester christlicher Frömmigkeit, in
ehelicher Keuschheit, Treue und Ehrbarkeit.“’ Als dann
der Heilige von ihr und den zehn Kindern nach zwanzig-
jähriger Ehe voll Frieden und Glück und Segen Abschied
nahm, sprach die betrübte Frau: ‘„O mein Gott, von dir
hab' ich ihn empfangen; nie war ich seiner würdig; daher
kann ich dir nie genug für das Glück und die Ehre danken,
daß ich so viele Jahre an seiner Seite leben konnte.“’ Wer
war diese Dorothea? Vor der Ehe eine gottselige Jung-
frau, in der Ehe eine keusche Mutter im schönsten Tugend-
schmuck. Aber bei all' ihren Tugenden glaubte sie sich
nicht würdig, einen Nikolaus als Mann an ihrer Seite zu
haben. Wie groß war die Vaterwürde des Vielseligen in
seinem Tugendglanze, wie tief die entsprechende Ehrfurcht
seiner Gattin und Kinder! Wie glücklich die Familien wo
solche Väter! Aber wie unglücklich jene Häuser, wo schon
die kleinen Kinder sagen: ‘„Mein Vater kommt mit einem
Rausch nach Hause, schlägt uns und die Mutter, füllt das
Haus mit Flüchen, ißt am Freitag Fleisch, geht am Sonn-
tag nicht in die Kirche.“’
Arme Mutter, noch ärmere Kinder! Wenn euer Vater
schon seine Würde vergißt und entehrt, so verachtet ihn
doch nicht; er ist ja immer noch Vater, wenn auch ein
höchst unglücklicher; betet und bittet für ihn, daß er doch
nicht ewig unglücklich werde. Wenn ihr nun selbst diesen
Vätern noch Ehrfurcht schuldig seid, wie solltet ihr erst gegen
jene gesinnt sein, welche bei allerlei Schwächen dennoch
redlich bemüht sind, nach dem Vorbilde des hl. Joseph an
euch Stellvertreter Gottes zu sein.
Zum Schlusse empfehle ich dir, o hl. Joseph, Bräu-
tigam der unbefleckt empfangenen Jungfrau, Nährvater
Jesu Christi, Haupt der hl. Familie, all' die Jünglinge
dieser Pfarrei, führe du sie auf dem Wege der Unschuld,
daß sie würdig werden, die Vaterwürde aus der Hand
Gottes zu empfangen. Dir empfehle ich all' die Väter,
welche Gott über seine Familien gesetzt hat. Wenn sie
ihre hohe Würde vergessen, führe du sie auf bessere Wege;
wenn sie nach deinem Vorbilde leben, erhalte du sie im
Guten.
IV.
Das Opfer der Mutter.
Seitdem die Jungfrau die wunderbarliche Mutter
Gottes geworden, wird auch die christliche Mutter hoch-
verehrt als die Werkstätte des Schöpfers aller Dinge, als
die Wohnung des hl. Geistes. Das ist, christliche Mütter,
eure Würde, die um so größer wird, je mehr ihr von
Jugend auf Gott in euerem Leibe traget und verherrlichet
in aller Nüchternheit und Keuschheit. Das ist für euch
um so nothwendiger, als euere Natur viel zarter gebildet
als die des Mannes, durch Ausschweifungen viel grauen-
voller und für die Kinder viel verhängnißvoller verwüstet
wird.
Aber mit dieser Würde sind viele und schwere Opfer
verbunden. Da wir nun in diesen Tagen die liebe Mutter
Gottes betrachten, wie sie ihre armen Bequemlichkeiten in
Nazareth verläßt, mit dem hl. Joseph nach dem fernen
Bethlehem reist, dort kein Obdach findet, in einem Stall
übernachtet, den unter dem Jubelgesang der Engel gebo-
renen Heiland in die Krippe legt, bald darauf nach Ae-
[27] gypten flieht, so ist die Zeit wie gemacht, das Opfer
der christlichen Mutter zu betrachten, und euer Herz für
die hochwichtigen Wahrheiten ganz besonders empfänglich.
Das Opfer der christlichen Mutter ist ein zweifaches,
nämlich das Opfer des Gehorsams gegen den Mann und
das Opfer der Schmerzen und Entbehrung für die Kinder.
Der hl. Evangelist Matth. (c. II. 43) erzählt fol-
gendes: ‘„Da erschien der Engel dem Herrn dem Joseph
im Schlaf und sprach: Steh' auf und nimm das Kind
und seine Mutter und fliehe nach Aegypten und bleibe all
da, bis ich dir's sage. Denn Herodes wird das Kind
suchen, um es zu tödten.“’ Da stand er auf, nahm das Kind
und seine Mutter in der Nacht und zog fort nach Aegypten.
So erzählt das Evangelium. Wem erscheint der Engel?
Dem hl. Joseph. Warum nicht der Mutter Gottes?
Uebertraf sie ihren Bräutigam nicht hundertfach an Würde
und Heiligkeit? Aber dennoch war nicht sie das Haupt
der hl. Familie, sondern der hl. Joseph.
Oder hätte der Engel den Befehl Gottes nicht beiden mit-
theilen können? Das wollte Gott nicht; denn es war
ein großes Beispiel nothwendig, wie die Mutter ihrem
Manne gehorsam sein soll.
Denn betrachtet nur den Auftrag des Engels. ‘„Nimm
das Kind und seine Mutter und fliehe nach Aegypten.“’
Was that er? Er stand auf, weckte die jungfräuliche
Mutter und sprach: ‘„Soeben erschien mir der Engel des
Herrn und gebot mir, mit dir und dem Kinde nach Aegypten
zu fliehen. Steh auf, nimm das Allernothwendigste und folge
mir gleich; denn in dieser Nacht noch haben wir die Reise
anzutreten.“’ Fühlte sich Maria etwa verletzt, daß der
Engel nicht ihr erschienen? Oder machte sie etwa wohl-
begründete Einwendungen: ‘„Du hast dich im Schlafe wohl
getäuscht; du siehst einen Traum für eine Engelserschei-
nung an. Oder das Ding hat nicht so Eile; gönne
[28] mir und dem Kinde die Nachtruhe; dann kann ich für die
weite Reise das Nothwendigste noch bereiten.“’ Sprach sie
etwa so? Bei weitem nicht. Auch sie stand gleich auf,
nicht bloß ohne Widerrede, sondern in freudigem Gehorsam
und floh in dunkler Nacht an der Seite ihres Mannes.
Sollte dies Beispiel nicht genügen? Allerdings; weil aber
Gott weiß, wie schwer oft das Opfer des Gehorsams,
wollte er das Vorbild so vollkommen als möglich machen,
daß keine Widerrede möglich ist. Als nämlich die Zeit
der Heimkehr aus Aegypten gekommen war, erschien der
Engel wieder dem hl. Joseph und nicht der Mutter Gottes:
und Joseph gab den Befehl zur Heimkehr und Maria
war ihm wieder gehorsam.
Warum also, christliche Mütter, sollt ihr eueren
Männern unterthan sein? – Nicht weil sie stärker, nicht
weil sie von Natur aus zum Befehlen wie gemacht sind,
nicht weil ihr der schwächere Theil, der sich dem stärkern
Theile anschmiegt, ja nicht einmal den Frieden zu er-
halten und die Liebe der Männer euch zu bewahren,
sondern wollet ihr wahrhaft christliche Mütter und große
Frauen sein, bringet das Opfer des Gehorsams im Hin-
blick auf das Vorbild der allezeit reinen Gottesmutter
Maria. Das aber ist keine Erniedrigung für euch, sondern
Adel und Hoheit. Sehet nur! Wem war Maria auf's
Wort gehorsam? Dem hl. Joseph, der an Würde, Weis-
heit und Heiligkeit so tief unter ihr stand. Aber wem
war sie eigentlich gehorsam? Gott selbst. Denn Gott leitete
durch den hl. Joseph seine Familie. Und heute noch will
er durch die Väter die Familien regieren. Wenn ihr
daher dem Manne nach dem Vorbilde Mariens gehorsam
seid, so unterwerfet ihr euch Gott selbst. Damit aber die
Frauen so gehorsam sein können und dürfen, so vergesset
liebe Männer doch niemals, daß der hl. Joseph euer Vor-
bild und daß ihr deßhalb von euern Gattinnen nur das
verlangen dürfet, was recht ist vor Gott.
Gott sei Dank, daß noch so viele Mütter das Opfer
des Gehorsams tagtäglich bringen und oft in solchen Ver-
hältnissen, daß man diese Wunder der Gnade wirklich an-
staunen muß. Daß es aber auch so viele giebt, welche in
ihren Launen von keinem Opfer des Gehorsams etwas
wissen wollen, vielleicht gar boshaft ungehorsam sind, ist
aller Thränen werth. Denn mit diesem Familienunglück
ist die größte Gefahr ewiger Verdammniß verbunden.
Oder glaubet ihr etwa dies Beispiel gelte nicht für uns?
‘„Jesus fing an zu thun und zu lehren!“’ Er wollte näm-
lich zuerst ein Beispiel geben; und dann erst lehren:
‘„Wer diesem Beispiele nicht nachfolge, werde verloren gehen.“’
So mit der Familie. Auch hier kommt zuerst das Bei-
spiel von Joseph und Maria und der ganzen hl. Familie.
Dann aber mahnt Jesus Christus durch seinen hl. Apostel
Paulus: ‘„Ihr Weiber seid unterthan euern Männern, wie
sich's geziemt im Herrn.“’ Damit euch aber dies Opfer
des Gehorsams nicht zu schwer werde, fügt er bei: ‘„Ihr
Männer liebet euere Weiber und seid nicht bitter gegen
sie.“’ (Col. III., 18. 19.) Wenn euch daher dieses Opfer
hie und da schwer fallen sollte, denket an die wunderbarliche
Mutter und betet zu ihr. Dann werden euch sogar die
schweren Opfer nicht bloß leicht, sondern sogar angenehm
werden. Wendet doch euere Augen nie von der schmerz-
haften Mutter ab; denn nur in diesem Falle könnet ihr
auch das zweite Opfer bringen: nämlich das Opfer der
Schmerzen und Entbehrungen für euere Kinder.
Seit dem Sündenfalle ist die Mutter ohne Schmerz
und Entbehrung gar nicht mehr möglich. Denn mit der
Sünde geht von Geschlecht zu Geschlecht die Ausführung
des göttlichen Strafgesetzes: ‘„Ich will vervielfältigen deine
Beschwerden und in Schmerzen sollst du Kinder gebären.“’
(Gen. III. 16.) Die Welt mag die Erbsünde leugnen,
aber dieses Gesetz kann sie nicht aufheben; die Medicin
[30] mag ihrer Fortschritte sich rühmen; aber die durch die
Sünde verwüstete Natur wird sie nie dem Gesetze der
Schmerzen entreißen. Die Menschen mögen auf ihre
Wissenschaft sich viel einbilden; aber von Beschwerden und
Entbehrung werden sie die Mutter nie befreien. Nur die
Jungfrau, welche schon im Paradies der gefallenen Eva
versprochen wurde, war frei vom Fluche der Sünde und
daher auch frei vom Gesetze der Schmerzen. Aber je
größer ihr Jubel war, als sie in himmlischer Jungfräulich-
keit den Heiland gebar, desto größer sollten ihre beiden
gerade dieses göttlichen Kindes wegen für sie werden.
Daher feiern wir sie als die Königin der Märtyrer,
welche als die schmerzhafte Mutter unter dem Kreuze ihres
Sohnes steht. Das ist die Vollendung all' ihrer Schmerzen
und Entbehrungen! Um in einem Stalle das göttliche Kind
in eine Krippe zu legen, muß sie ihre arme Wohnung ver-
lassen und eine lange Reise machen, um den Heiland dem
Tode zu entreißen, muß sie aus dem Vaterlande fliehen,
um als jungfräuliche Mutter desto leichter gehalten zu werden
muß sie den hl. Joseph durch den Tod verlieren und allein mit
ihrem göttlichen Sohne die Verfolgung und Schmach des
öffentlichen Lebens theilen; um unsere Mutter zu werden,
mußte sie unter dem Kreuze Jesu stehen. Warum mußte
die Unbeflecktempfangene als jungfräuliche Mutter nach
dem Willen Gottes diese Opfer der Schmerzen und der
Entbehrungen bringen? Aus vielen Gründen gebe ich
nur einen an: damit ihr, christliche Mütter, ein Beispiel
habet, wie auch ihr leiden und entbehren sollet.
Wo immer noch dieser Glaube lebendig und wirk-
sam ist, welch' erhebende Opferbeispiele in den Familien!
Im Hinblick auf die schmerzhafte Mutter flieht und haßt
die kathol. Mutter jede Sünde, welche die Ordnung der
Natur umwälzt, sie will entweder in jungfräulicher Ehe
leben oder aber als Mutter, so oft der Ruf Gottes an
[31] sie ergeht, das Opfer der Schmerzen bringen. Aber
mitten im christlichen Volke wie traurig sieht es dort aus,
wo man diese Geheimnisse nicht mehr glaubt oder oft
nicht mehr betrachtet und beherziget! Diese Frauen,
welche nur Frauen sein wollen in Freuden und Ge-
nüssen, aber ja nicht Mutter in Schmerz und Entbehrung!
Diese armen Frauen, welche nur in's heidnische Rom
paßten, wo schwer zu entscheiden war, ob die Ausschwei-
fungen in oder außer der Ehe größer waren! Da gilt
auch das Wort: ‘„Den Heiden wird's am Gerichtstage
erträglicher ergehen als diesem Geschlechte, das nur die
Freude sucht, den Schmerz aber flieht, das nur die Ge-
nüsse liebt, aber von Entbehrungen nichts wissen will.“’
Und doch sind diese Entbehrungen vielleicht noch das
größere Opfer, als die Schmerzen; denn diese sind vor-
übergehend, jene aber dauern gewöhnlich das ganze Leben
hindurch.
Blicket nur auf euer Vorbild hin: ‘„Nimm das Kind
und seine Mutter und fliehe nach Aegypten.“’ Und er floh
in der gleichen Nacht. Wo war also die Mutter? Beim
Kinde und das Kind bei der Mutter und beide im Hause
des hl. Joseph. Durchgehet nur das ganze Leben Jesu
Christi; allüberall ist seine Mutter bei ihm: bei ihm in
Aegypten, ferne vom Vaterlande, bei ihm in Nazareth in
der stillen Arbeiterwohnung, bei ihm unter dem Kreuze.
Wie sie von ihrem Sohne nicht zu trennen, so auch nicht
von seinen Leiden und Schmerzen.
Wohin also, christliche Mutter, gehöret ihr? In die
Familie, in die Kirche, unter das Kreuz, zu euern Kindern:
an jedem andern Orte leidet euere Würde und Hoheit
Schaden und werden euere Pflichten vernachlässiget. Ihr
gehöret zu eueren Kindern und euere Kinder gehören zu euch.
Gott hat in euer Herz eine zarte Liebe gelegt, welche
sprichwörtlich geworden, genügen sollte, jedes Opfer für
[32] euere Kinder zu bringen; weil aber der Leichtsinn, die Ge-
nußsucht, die Eitelkeit diese natürliche Liebe oft derart
schwächen, daß die Mutter ihre Kinder und oft ihre kranken
Kinder bei den Freuden vergißt, oder nicht zu denselben
heimkehren mag, hat uns Gott das Beispiel seiner Mutter
gegeben.
Wenn nun der Familienengel in der Nacht oder auch
bei Tag den Eltern etwas zu melden hätte, wo müßte er
oft nicht bloß die Väter, sondern sogar die Mütter suchen?
Wo? Bei welchem Besuche? In welchem Wirthshause?
In welcher Gesellschaft? In welchem Zustande wird er
sie antreffen? –
Aber ich habe ja für die Kinder eine Magd. Aber
bist du deshalb nicht mehr Mutter, und die Mutter Gottes
nicht mehr dein Vorbild? – Darfst du deswegen den
Genüssen, der Ruhe dich hingeben oder deine Zeit mit
Klavierspiel und mit Lesen von Modejournalen und Ro-
manen todtschlagen? Wenn nun die geplagte christliche
Magd zum Himmel steigt und die Mutter in den ewigen
Abgrund begraben wird? ‘„Aber meine Kinder sind ja
schon größer.“’ Gut, darfst du deßwegen den Freuden
und Bequemlichkeiten nachgehen? Ich rede da gar nicht
von dem Aergerniß, das eine solche Mutter ihren Kindern
gibt; denn schon die Kinder verlangen von der Mutter
mehr Opfersinn als von dem Vater; aber um alles andere
zu übergehen auf das Beispiel Mariens wollen wir
Hinblicken. Warum ging Maria mit ihrem göttlichen Sohne
und dem hl. Joseph alljährlich auf das Osterfest nach
Jerusalem, obwohl sie nicht dazu verpflichtet war? Aller-
dings um Gott im Tempel anzubeten; aber christliche
Mütter sehet ihr da nicht euer Vorbild? Auch ihr sollet
bei euern Kindern sein, auch wenn diese größer geworden;
aber nicht um zu genießen, sondern um euer Opfer zu
vollenden.
Das scheint eigenthümlich, aber schau einmal, ob unsere
Vorbilder das nicht verlangen. An allen Leiden des öffentlichen
Lebens ihres Sohnes nahm Maria den innigsten Antheil;
aber die Verklärung auf Tabor schaute sie nicht. Warum?
Die Mutter soll und muß entbehren, sonst ist sie keine
Mutter im Sinne und Geiste Jesu Christi. Unter dem
Kreuze steht Maria; aber mit dem Heilande darf sie nicht
gen Himmel fahren. Warum? Die Mutter soll nicht
bloß entbehren, sondern auch leiden, will sie eine Mutter
nach dem Evangelium Jesu Christi sein.
Wenn ihr nun etwa glaubet, daß ich übertreibe, so
betet den Psalter und betrachtet die einzelnen Geheimniße
und wendet sie auf eure Verhältniße an. Dann werdet
ihr aber auch begreifen, welch' ungeheuren Gefahren die
Familie jetzt ausgesetzt ist und warum ich rede, wie ich
rede oder besser, warum das Geheimniß der Menschwer-
dung Jesu Christi laut seine Stimme erhebt. Wisset ihr,
warum man in früher Zeit so viele, viele Mütter hatte,
voll Würde und Opfergeist? Väter und Mütter waren
nicht in Gesellschaft zu suchen, Söhne und Töchter kneipten
nicht herum, waren nicht in zahllosen Vereinen, gaben den
Eltern noch kein Kostgeld; sondern alle waren unter dem
Schutze des Familienengels bei einander, beteten Abends
gemeinsam den Rosenkranz, betrachteten die Geheimniße
und gingen dann unter dem Walten des hl. Engels zur
Ruhe. Aber heute? Ach, ich darf nicht daran denken!
Denn wenn Gott nicht durch das äußerste Elend gar viele
Menschen zur Besinnung bringt, wird es noch viel schlimmer
kommen. Ich rede jetzt nur von den Müttern. Welche
Aussichten für die Zukunft haben wir also bezüglich der
Mütter?
Ich gebe nun gerne zu, es gibt noch viele Jung-
frauen voll kerngesunder Frömmigkeit; aber gibt es nicht
auch Mädchen, welche, bevor sie der Schule entlassen,
[34] schon über die Priester spötteln? Und Predigt und
Christenlehre? Wie manche gehen aus Leichtsinn nicht?
Wie wenige nehmen sich die Wahrheiten wirklich zu Herzen?
Wie vielen ist die Kirche nur der Ort, ihre Eitelkeit zu
entfalten? Es ist lange nicht alles Gold, was glänzt.
Und die sollen Mütter werden voll Opfergeist? –
Wie viele Mädchen werden durch eine falsche Erziehung
zur Genußsucht, zur Eitelkeit, zur Frühreife, zum beschäf-
tigten Müssiggange eigentlich dressiert, und diese sollen
Mütter werden voll Opfergeist!
Aber das hl. Sakrament der Buße? Wie viele die
es nothwendig haben, empfangen es nicht? Wie manche
empfangen es, aber so schlecht vorbereitet, das sie besser
nicht gingen? Und dann erst so manche Bekanntschaften
in Sünden und Ausschweifungen auf Tanzböden und bei
Trinkgelagen; ferner alle diese Leidenschaften, denen so
Viele nicht bloß widerstandslos, sondern sogar freudig
sich hingeben. Und alle diese sollen Mütter werden voll
Opfergeist?
Wohl bekämpfe ich da Lieblingsleidenschaften, welche
beim herrschenden Leichtsinne in Vielen unbesiegbar zu sein
scheinen; allein die Guten werden doch aufmerksam gemacht
und gestärkt, und manche sonst verlorene Seele wird ge-
rettet, wenn nicht heute doch später, und wäre es erst zur
Zeit des Unglückes. Woher habe ich diese trostreiche
Hoffnung? Nicht ich rede eigentlich zu euch, sondern das
Geheimniß der Menschwerdung Jesu Christi; dies Geheim-
niß aber übt einen solchen Zauber auf die Seelen, theilt
ihnen, auch den verlorensten, so viel Gnaden mit, daß alle
Guten gestärkt und viele Sünder wirklich gerettet werden.
Daher wird aber auch über die Unbußfertigen an jenem
so thränenreichen Tage das furchtbarste Weh hereinbrechen.
Betrachtet daher alle diese Geheimnisse während der heilg.
Weihnachtszeit und betet, damit eure Familien der hl.
Familie immer gleichförmiger werden.
Zum Schluße wend' ich mich an dich, göttlicher Hei-
land. Um des Geheimnisses deiner Menschwerdung aus
der jungfräulichen Mutter willen, stärke und segne diese
wahrhaft katholischen Mütter, daß sie ihre Würde immer
bewahren und bis zu ihrem seligen Hinscheiden das Opfer
des Gehorsams, der Entbehrung und Schmerzen freudig
darbringen; lasse aber den leichtsinnigen und genußsüchtigen
Müttern keine Ruhe, bis sie mit deiner schmerzhaften
Mutter unter dem Kreuze stehen, um in aufrichtiger Buße
ihre Seelen zu retten und die Aergernisse wieder gut zu
machen. Um deiner Geburt aus der Jungfrau willen leite
die Männer, daß sie von ihren Gattinen nicht zu schwere
Opfer verlangen; beschütze die unschuldigen Jungfrauen,
daß sie in deiner Gnade ausharren, erschüttere du die ver-
dorbenen Töchter, daß sie aufrichtige Buße wirken; wollen
sie aber das nicht, laße sie nicht in den Ehestand treten;
es ist ja doch besser sie gehen allein verloren, als mit
Kindern. Göttliches Kind, lehre du alle Kinder, die
Mutter zu ehren ihrer Würde wegen, ihr dankbar zu
sein, ihrer Opfer wegen.
Jesus, Maria und Joseph, gebet doch dem Einzelnen
wie jeder Familie eine gnadenreiche Weihnacht!
V.
Die Vatermacht.
Nachdem das Evangelium die Ereigniße bei der Dar-
stellung Jesu im Tempel erzählt hat, berichtet es, wie
Maria und Joseph mit dem Kinde nach Nazareth zurück-
kehrten. Dort waltete Joseph als Hausvater; unter seiner
Leitung erstarkte das göttliche Kind, ward voll Weisheit
[36] und Gnade. – Dies bietet mir den Anlaß dar, noch ein
Wort über die Vatermacht zu sagen.
Groß ist eure Würde in der Oberherrlichkeit über
Gattin und Kinder, in deren Mitte ihr wie Bischöfe da-
stehet. Weil aber eine Würde ohne Macht bedeutungslos
ist, so müßet ihr eine der Würde entsprechende Gewalt
besitzen. Da nun bitte ich alle, ob Väter oder Mütter,
ob Söhne oder Töchter, diesem Gegenstande eure volle
Aufmerksamkeit zu schenken. Denn soll die Familie und
die Erziehung nicht immer mehr in Brüche gehen, müssen
wir nicht bloß Mütter, sondern vor allem Väter haben.
Daher wollen wir jetzt die Machtstellung des Vaters in
bezug auf das leibliche und geistige Wohl der Fa-
milie betrachten.
Gott, als der Schöpfer aller Dinge und der Vater
aller Menschen, hat die unbeschränkte Macht, Alles zu
erhalten und Alle zu ernähren. Sobald er daher einen Mann
als seinen Stellvertreter über eine Familie setzt, muß er
ihm auch von dieser Macht etwas mittheilen. Daher seht
ihr auch den hl. Joseph, wie er die Mutter und das Kind
nimmt, durch die Flucht nach Aegypten sie dem Tode zu
entreißen, und wie er in seiner Werkstätte arbeitet, die ihm
anvertraute Familie zu ernähren. Weil aber der Einzelne
oft zu wenig Macht besitzt, um seine Familie zu beschützen,
und zu erhalten, hat es Gott gefügt, daß Millionen Väter
zu einer Familie, welche man das Vaterland nennt, sich
vereiniget haben. Daher ist denn auch die Liebe zum
Vaterlande mit der Liebe zur Familie jedem Menschen
angeboren, und diese Liebe wächst in dem Grade als die
Familie vom Vaterlande den von Gott gewollten Schutz
und Schirm findet, muß aber auch erkalten, sobald ihre
höchsten Güter unter dem Vorwande des Vaterlandes in
Gefahr kommen.
Damit ist natürlich keineswegs gesagt, daß der Vater
[37] Alles vom Vaterlande erwarte und selbst nichts thue, sondern
vielmehr ist klar und ausgemacht, daß er zuerst für das
leibliche Wohl der Familie zu sorgen habe. Blicket daher
in der Familie um euch. Ihr sehet lauter schwache
Wesen, die bittend nach euch die Hände ausstrecken. Ver-
langt nicht die Mutter, von Arbeit und Nachtwachen ab-
gemüdet Brod und Kleidung und eine warme Stube?
Die Kinder lachen euch zwar entgegen, aber bitten sie
nicht um Milch und Brod?
Daher habet ihr nicht bloß das Recht zu arbeiten
und den nothwendigen Unterhalt der Familie zu verdienen,
sondern sogar die hl. Pflicht. Ihr gehöret nicht mit gott-
vergessenen Männern in die Wirthshäuser, in alle Vereine,
sondern mit dem hl. Joseph in die Werkstatt. Ich weiß
zwar wohl, daß in diesen Zeiten, wo der große Reichthum
einzelner Weniger auf himmelschreiende Weise den furcht-
barsten Umwälzungen ruft, wo Gott durch Erscheinungen in
der Natur und durch diesen Wirrwarr im Völkerleben wie
zum letzten Male warnt*), daß in dieser traurigen Zeit gar
mancher Vater seine Familie nur mühsam durchbringen kann,
weiß ich zwar wohl; aber wenn ihr wirklich arbeitet, den
Segen Gottes anflehet, euch und die Familie von der
Genußsucht fern haltet, könnet ihr doch das Allernoth-
wendigste immer noch aufbringen. Aber da bedenket auch,
wie unglücklich jene Väter, welche entweder gar nicht
arbeiten oder in Saus und Braus und Spiel mehr ver-
brauchen als sie verdienen und Weib und Kind darben
lassen! Ist das nicht ein Verbrechen gegen Gott, dessen
Stellvertreter sie sind? Nicht ein Verbrechen gegen die
Gattin, deren Herz sie allzufrüh brechen? Nicht eine him-
melschreiende Sünde gegen die Kinder, welche sie, anstatt
wie den Heiland aufzunehmen, mißhandeln wie ein Stück
Holz. Und doch handelt es sich erst um das leibliche Wohl
[38] der Familie! Diese Kinder, wenn sie wegen Elend und
Noth frühzeitig sterben, kommen doch in den Himmel;
was aber, wenn ihre Seele in solchen Familien von
Sünde zu Sünde stürzt, bis sie ewig verloren geht?
Christliche Familie, wo bist du denn hingekommen? Immer
mehr Familien – und Rettungs- und Besserungsanstalten
für die Jugend; allüberall und täglich werden neue noth-
wendig; es fehlt das Geld, all' die verdorbenen Knaben
und Mädchen unterzubringen; und erst jenes sittliche Ver-
derben, das in den Familien entweder ganz verborgen
bleibt oder nie recht an's Licht kommt. Christliche Familie,
wo bist du denn hingekommen? Wohl hast du von außen
mit großen Gefahren zu kämpfen; aber dein größtes Un-
glück, aller Thränen werth, ist in deinem Schooße. Wie
viele Mütter, nicht Mütter, sondern Puppen, Sünderinnen!
Und die Väter, welche nicht bloß für das leibliche Wohl
der Kinder sorgen, sondern auch die Lehrer, Erzieher, die
Könige, die Priester der Familie sein sollten, haben gar
oft ihre Macht vergessen, sind oft nicht Väter, sondern
Taugenichtse, vielleicht Verbrecher! Wenn ich daher mit
allem Nachdrucke von der Vatermacht rede, wundert euch
nicht. Ihr habet also die Macht und daher auch die
Pflicht, für das zeitliche Wohl der Familie zu sorgen, aber
noch weit mehr gilt das, wenn es sich um das geistige
Wohl der euch Anvertrauten handelt.
Da nun habet Ihr vor Allem die Macht zu lehren
und zu erziehen. Gott ist die Wahrheit und deshalb der
oberste Lehrmeister aller Menschen. In dem Augenblicke
aber wo er Euch Kinder schenkt, verleiht er Euch die Macht,
dieselben in seinen Wahrheiten und in seinen Geboten
zu belehren. Obwohl nämlich Gott im alten Bunde das
Priesterthum eingesetzt hatte, zu opfern und das Volk zu
lehren, sprach er gleichwohl durch Moses zu allen Vätern:
(V Mos. VI. 6) ‘„Und es sollen diese Worte, die ich dir
[39] heute gebiete, in deinem Herzen sein und du sollst sie
deinen Kindern einschärfen und betrachten, wenn du in
deinem Hause sitzest.“’
Was that also der hl. Joseph als Vater, den der
Herr über seine Familie setzte? Die Gebote und Lehren
Gottes trug er in seinem Herzen, betrachtete sie, um sie
dem göttlichen Sohne, der Jungfrau mittheilen zu können.
Aber war denn Jesus Christus nicht die Weisheit des
Vaters? Allerdings, aber diese innere Weisheit, welche
nicht zunehmen konnte, offenbarte sich mit den Jahren
immer herrlicher nach Außen. (S. Th. p. III, q. VII ar. 12 ad 3)
Daher berichtet der Evangelist: ‘„Er war voll Weisheit,
und nahm zu an Weisheit vor Gott und den Menschen.“’
Daher konnte er sich, um das wunderbare Geheimniß seiner
Menschwerdung aus der Jungfrau noch zu verbergen, um
ferner die hl. Familie zum vollkommenen Vorbilde für die
christliche Familie zu machen, von seinem Pflegevater wie
ein anderes Kind unterrichten lassen. Wollet ihr also in
den Himmel kommen, so blicket hin auf den hl. Joseph
und erkennt eure Macht, welche keine Gewalt dieser Welt
euch beschränken darf, so lange ihr dieselbe nicht mißbrauchet,
um eure Kinder in Sünde und Irrthum zu stürzen.
Ich stelle mir also den christlichen Vater wenigstens
am Sonntag also vor: Er hat seine Kinder um sich ver-
sammelt: fragt sie über das, was sie in Predigt oder
Christenlehre gehört, zeigt ihnen, wie sie das im täglichen
Leben zu befolgen haben. Dann nimmt er den Katechis-
mus zur Hand, frägt die Schulkinder, hilft ihrem Ver-
ständnisse nach. Dann verlangt er, daß die größern
Kinder in einem Erbauungsbuche wenigstens eine Zeit lang
aufmerksam lesen, um in der hl. Religion immer besser
unterrichtet zu werden. Denn Gott hat Euch nicht bloß
diese Macht gegeben, sondern damit die strenge Verpflich-
tung verbunden, so seine Stellvertreter in der Familie zu sein.
[40] Was wollet ihr gegen diese Anordnung Gottes vorbringen?
Nicht wahr, die Wirthschaften, die Gesellschaften, das Spiel
sind kurzweiliger? Ob aber, wenn Gott die verlorenen
Kinder aus eurer Hand zurückverlangt, die Hölle auch kurz-
weiliger sein wird, als der Himmel? – Aber ich kann
ja die Kinder nicht unterrichten; ich weiß ja selbst von
der Religion sehr wenig. Aber warum bist du in's
Heiligthum der Familie eingedrungen? Warum nicht
wenigstens jetzt noch das Versäumte nachholen durch auf-
merksames Anhören der Predigt und Christenlehre; durch
das Lesen guter Bücher?
Aber ich lehre doch meine Kinder nichts Schlechtes,
bringe sie doch nicht um den Glauben. Ja dieser Miß-
brauch der Vatermacht fehlte noch, um in die Hölle zu
versinken, bodenlos. Beherziget doch diese Wahrheiten in
den Tagen der Barmherzigkeit, bevor der große und schreck-
liche Tag des Herrn über einen jeden hereinbricht.
Bevor ich aber diesen Punkt verlasse, muß ich noch
etwas berühren. Allerdings ist der Vater an Gottesstelle
der Religionslehrer in der Familie; aber gleichzeitig ist
er auch berechtigt und verpflichtet, die Kinder in andern
Sachen zu belehren. Aber wozu haben wir denn die
Schule? Die Schule ist nur die Magd der Familie;
einer Magd überläßt man aber nicht alles ganz und gar,
ohne irgend welches Nachsehen, besonders nicht die Kinder.
Da nun, wenn ihr immer mehr an Ansehen verlieret, seid
ihr selbst schuld! Immer nur Schule; alles nur Schule,
noch einmal nur Schule in allen nur möglichen Formen,
als wären die Kinder dem Vater nur gegeben, nur in die
Schule zu gehen; daher kommt denn diese Jugend nach
und nach zur Ansicht: Ich verdanke dem Vater eigentlich
gar nichts, sondern alles der Schule. Ich mache euch da
nur auf eine Gefahr aufmerksam, die um so größer wird,
je weniger sie beachtet wird.
Aber was sollen wir denn thun? Wir verstehen ja
kaum, was heute Alles gelehrt wird. – Was ihr thun
sollet? fraget eure Kinder, was sie denn in der Schule
auch hören und lernen, schaut euch ihre Schriften an, lasset
sie eine Geschichte lesen und euch dann erzählen; lasset sie
die Predigt schreiben, gebt ihnen eine Rechnung auf, be-
lehret sie, wie sie diese und jene Arbeit zu machen haben.
Der Vater ist der von Gott bestimmte Lehrer, ohne den
die Schulen vieles verderben, aber selten etwas dauerhaft
Gutes stiften kann. Der Vater ist der beste Schulrath, der
mit der Mutter am sichersten entscheiden kann, was seine
Kinder in der Schule wirklich gewinnen oder auch nicht,
oder gar an Verstand und Einsicht, an Gemüth und Ge-
sundheit oder vielleicht an Religion und Sittsamkeit
verlieren.
Doch was nützen am Ende alle Kenntniße wenn das
Kind dabei in Folge ungezügelter Leidenschaften verwildert?
Dann habt ihr von Gott die Macht erhalten, euere Kinder
zu leiten und zu führen, zu warnen, zu strafen, damit sie
an Gnade zunehmen vor Gott und den Menschen, nach
dem Vorbilde des göttlichen Knaben unter der Führung
des hl. Joseph.
Wohl haben die Mütter euch da behülflich zu sein;
aber ihr habet von Gott derart die Macht und die Gewalt
erhalten, daß die Hauptverantwortung auf euch lastet.
Denn das Weib ist nur die Gehilfin des Mannes, wie
Gott schon im Paradiese gesprochen. Wo immer diese
Ordnung Gottes in der Natur nicht beobachtet wird, und
die Mutter die Hauptrolle spielt, da geht es im besten
Falle lange nicht so gut, als wenn der Vater nach dem
Willen Gottes seine Macht milde und stark entfaltet. Denn
die Ordnung Gottes und der Natur, läßt sich nicht unge-
rächt umkehren, selbst in Frankreich nicht, wo man die
Mutter oft oben an stellen muß, weil dort die wahrhaft
christlichen Väter immer seltener werden.
Wie aber steht's heute mit dieser Vatermacht? Sie
ist wie ein durchlöchertes Schiff auf stürmischer See: das
eindringende Wasser beschleuniget mit jedem Augenblicke
dessen Untergang. Oder saget, was verkündet man all-
überall? Die Unabhängigkeit von der Kirche, ich frage
ihr nichts darnach; die Unabhängigkeit vom Papste; ich
frage ihm nichts darnach; die Unabhängigkeit vom Evan-
gelium, von Jesus Christus; ich frage ihm nichts darnach;
die Unabhängigkeit von Gott; ich gehe nach meiner per-
sönlichen Ueberzeugung. Aber warum sollen die Kinder
in diesem Falle dem Vater noch etwas darnach fragen?
Ist etwa sein Wort ansehnlicher als das Evangelium?
Sein Befehl wichtiger als die zehn Gebote? Seine
Macht größer, als die Allmacht Gottes? Seine Ruthe
schmerzlicher, als die Hölle? Oder glaubt ihr etwa, wenn
euere Söhne und Töchter solche Grundsätze lesen und
hören, solche Beispiele sehen, glaubt ihr etwa, es werde
ihnen nicht schwindelig! Oder wenn es eine Ehre ist, ja Fort-
schritt und Bildung bedeutet, so früh als möglich über Priester,
Bischöfe, Papst, Kirche, über das Evangelium, ja über Jesus
Christus selbst zu spotten – warum sollte es wenigstens
nicht eine ebenso große Ehre sein, den leiblichen Vater
auf Gleiche Art zu behandeln? Wer da keine Gefahr sieht,
sollte wahrlich nicht in dieser Zeit leben. Denn sein Geist
ist viel zu klein, um die Gewalt des Umsturzes nur von
ferne zu ahnen. Man hat da gut klagen über Unbändig-
keit, Kostgängerei und Fortlaufen der Kinder: Die ge-
rufenen Geister sind schaarenweise da und werden durch
keine Klagen, durch keine Gesetze, durch keine Polizei, durch
keine nüchterne Sittlichkeitspredigt gebannt; da hilft nur
mehr die katholische Kirche durch wahrhaft große, wahr-
haft apostolische Männer, welche die nothwendige Freiheit
des Wortes und der That zum Heile der Familie und
des Vaterlandes sich einfach nehmen, ohne irgendwo an-
zufragen.
Was habet ihr da zu thun, christliche Väter? Ver-
bannet aus euern Familien alle Bücher, welche die katho-
lische Kirche anfeinden. Machet doch euere ganze Macht
geltend, daß euere Kinder von zartester Kindheit an, die
heilige katholische Kirche lieben und als die Stellvertreterin
Gottes auf Erden betrachten, daß sie wirklich katholisch leben
in Gehorsam, in Gebet, in Unschuld, im öftern Empfange
der hl. Sakramente; da stehet hoch auf der Warte, um
allüberall Alles, was das katholische Gefühl der Kinder
verletzen oder schwächen kann, ferne von ihnen zu halten.
Denn auf den Trümmern der Confessionen kann nie und
nimmer das wahre Menschenthum sich erheben, sondern
nur eine nie gesehene, aber täglich wachsende Barbarei
des Wuchers, der Habsucht, der Unzucht, des Ehebruches,
der Grausamkeit, des Mordes auf dem Trümmerhaufen
der Vater- und Mutterwürde und der ganzen christlichen
Familie. Welche Aussichten haben wir nun da für die
Zukunft? Wie es noch viele Jungfrauen von kerngesunder
Frömmigkeit gibt, so auch viele Jünglinge, welche treu
zur Kirche halten, den Gottesdienst fleißig besuchen, in
Nüchternheit und Unschuld beten und arbeiten. Diese sind
in Zukunft die Träger der christlichen Familie.
Aber so viele Jünglinge? – Sie gehen selten zur
Kirche und dann noch, um herum zu gaffen; am Vormit-
tage vielleicht noch in der Kirche, am Nachmittag im
Wirthshaus bis spät in die Nacht; sie trinken viel, arbeiten
wenig; leben vielleicht in Unzucht und Verführung, spotten
vielleicht über Religion. Und sie sollen einst Väter werden?
– Nein, nicht Väter voll hoher Würde, sondern würde-
lose Burschen, welche über ihr Weib die wohlverdiente
Geißel schwingen; nicht Väter voll Macht und Ansehen,
sondern ein fürchterliches Aergerniß für die unschuldigen
Kinder! Die sollen die Kleinen lehren? Die sollen
Söhne und Töchter für Gott erziehen? Die sollen den
[44] Kleinen zur rechten Zeit das Brod der Wahrheit brechen –
und sie haben keines, wollen keines haben, haben sogar
Eckel davor! Großer Gott, wie langmüthig bist du in
deiner Barmherzigkeit, wie unergründlich in deinen Gerichten!
Oder glaubst du etwa in deinem Leichtsinne, daß ich über-
treibe? Fraget die Thränen mancher Mütter, was ant-
worten sie euch? Fraget die Sünden, die Ausschwei-
fungen, die Verbrechen der Jugend, was antworten sie euch?
Fraget so manche Familien, ohne Gebet vom Morgen
früh bis abends spät – was antworten sie euch?
Fraget so manche Familien, wo die Kinder ihrer
Mutter, der heiligen, katholischen Kirche entrißen werden –
was antworten sie euch?
Doch wenden wir unser Auge weg von diesem
Jammerbild menschlichen Elendes und schauet wieder auf
die heilige Familie von Nazareth. Denn sie ist unser Vor-
bild für Vater, Mutter und Kinder und die ganze Haus-
haltung. Soweit sind wir wirkliche Christen, als wir dem
göttlichen Heilande gleichförmig werden, und der Haus-
vater, insofern er seine Würde und Macht nach dem Vor-
bilde des hl. Joseph zur Geltung bringt, – nur insoweit
kann er auf die Gnade und den Segen Gottes in der
Familie und auf die Herrlichkeit im Himmel hoffen.
Je unähnlicher aber ein Vater dem hl. Joseph ge-
worden, desto größer muß das Unglück in der Familie
und in der Ewigkeit werden.
Ich weiß warum ich so rede; denn ich kenne die
Gefahren für Eltern und Kinder und Dienstboten. Ich
weiß, warum ich so rede; denn da drinnen blutet es so
oft seit Jahr und Tag und blutet immer mehr. Denn
nirgends ist der Glaube, die Unschuld, das christliche Leben
ohne große Gefahren, nur die Familie ist noch die letzte
Zufluchtsstätte – aber nur dann, wenn der Vater seine
Macht und Würde geltend macht, und die Mutter der
[45] jungfräulichen Mutter ähnlich wird – sonst aber wird
selbst die Familie eine Brutstätte der Sünden und Greuel
und jeglichen Unheiles.
So erforschet denn, christliche Väter, am Schluße des
Jahres ernstlich euer Gewissen, und wenn vielleicht
Manches in Unordnung, so thuet Buße, und beginnet das
neue Jahr als wahrhaft christliche Vater; wenn ihr aber
bis jetzt nach dem Vorbilde des hl. Joseph gute und
treue Haushalter waret, so danket Gott und bittet um die
Gnade der Beharrlichkeit.
Ihr aber, Mütter, Söhne und Töchter, habet ihr
etwa Väter, die in Wahrheit nicht Väter sind? Lasset
euch durch ihr Beispiel nicht irre leiten, sonst gehet ihr
mit ihnen verloren. Je weniger Sicherheit euch die
Familie bietet, desto inniger schließet euch an die katho-
lische Kirche und an ihre Priester an. So werdet ihr
den Glauben und die Unschuld bewahren um für die
Bekehrung des unglücklichen Vaters zu beten. Bei all'
dem aber folgt dem Vater in aller Ehrfurcht, so lange der
Glaube und die Tugend nicht in Gefahr kommen. Aber
welche Ehrfurcht schuldet ihr erst dem Vater, der wirklich
an euch Vater ist! Danket dem Herrn alle Tage, für
diese große Gnade; ihr könnet ihm ja niemals genug
danken.
Jesus, Maria und Joseph, euch empfehle ich diese
Vorträge über die Würde und Macht des Vaters; über
die Würde und das Opfer der Mutter; sorget doch ihr,
daß am Schluße des Jahres dieser Same allüberall auf
gutes Erdreich falle und dann im neuen Jahre hundert-
fältige Frucht hervorbringe: – hiefür sorget doch ihr,
Jesus, Maria und Joseph!
VI.
Die Unschuld der Weg zur Ehe.
[46]Wenn auch der hl. Joseph nach der Größe seiner
Würde und Heiligkeit von jeher in der katholischen Kirche
gefeiert wurde, so ist doch seine Verehrung in unserer Zeit
ganz besonders verbreitet und vermehrt worden. Da sehet
ihr die Vorsehung Gottes, welche für neue Krankheiten
auch neue Heilmittel dem Menschen anbietet. Allerdings
ist Jesus Christus das eigentliche Vorbild, dem wir ähnlich
werden sollen, aber für uns arme und kurzsichtige Menschen
ist das nicht genug. Denn in allen nur möglichen Verhält-
nissen konnte er uns nicht selbst das Beispiel geben. Da-
mit deshalb die Menschen ein Vorbild haben, wie sie vor
und in der Ehe zu leben haben, wählte er den hl. Joseph
zu seinem Nährvater und zum Bräutigam seiner jung-
fräulichen Mutter. Das ist die tiefe Bedeutung der hl.
Familie von Nazareth für alle Zeiten.
Ich wende mich da zunächst an die Jugend, welche
nur zu oft glaubt, sie komme nur in den Ehestand, wenn
sie recht früh daran denke und mehr oder weniger der
Ausgelassenheit und der Gefallsucht sich ergebe. Das nun
ist eine arge Täuschung, an welcher nur der Satan seine
Freude hat, um recht viele Seelen in's ewige Feuer zu
stürzen. Denn Niemand war heiliger, Niemand dachte
weniger an eine Vermählung, als Maria und Joseph und
doch wurden sie durch die wunderbare Vorsehung Gottes
zum heiligen Ehebunde vereint. Daher ist die Unschuld
der von Gott bestimmte Weg zur Ehe.
Bevor ich mit der Unschuld und der Gottseligkeit der
Jugend beginne, weise ich auf einen Umstand hin, der in
[47] diesen Sachen und Träumereien gar oft eine verhängnis-
volle Rolle spielt – auf die Armuth. Wie nämlich Ver-
mögen leicht zur Ehe führt, so scheint die Armuth ein
Hinderniß zu sein. Ist das wirklich wahr?
Was lehrt uns die heilige Familie? Der hl. Joseph
war aus dem königlichen Geschlechte Davids und verdiente
doch als Zimmermann mit rauher Handarbeit mühsam
sein tägliches Brod. Und Maria? Auch sie ward aus
dem Geschlechte Davids, aber ebenso arm wie Joseph.
Woher wissen wir das? In Bethlehem finden sie kein
Obdach. Bei der Darstellung Jesu opfern sie wie die Armen
ein Paar Turteltauben. Aber wozu diese Armuth nach
dem Rathschluße Gottes? Allerdings auch zur Verherr-
lichung der Armuth, welche kein Gegenstand der Verach-
tung, sondern der Ehrfurcht sein soll, dann aber auch, zum
Troste und Belehrung der armen Jugend. Denn, wenn
ihr auch arm seid, könnet ihr dennoch von Gott für die
Ehe berufen und bestimmt sein; bleibet nur arm in Ehren,
in Unschuld, und Gott führt euch zum Ziele. Aber ent-
ehret die Armuth niemals durch die Sünde, sonst wird
die Schande und vielleicht dazu noch eine unglückliche
Ehe euer Unglück vollenden. Bleibet also wie Maria und
Joseph arm in aller Unschuld, und Gott führt euch zur
Ehe, wenn ihr dazu wirklich berufen seid.
Aber, denket ihr vielleicht, wenn wir so still in Un-
schuld und Gottseligkeit leben, wie ist da eine Bekannt-
schaft möglich oder gar eine Heirath? Die Sünde und
eine unglückliche Ehe ist allerdings nicht leicht möglich;
aber warum nicht eine glückliche Vermählung? Lasset ein-
mal diese falschen Ansichten der Welt fahren und betrachtet
die Wahrheit in den Geheimnißen Gottes.
Wer war denn Maria? Eine Tochter aus dem
Hause Davids; bis zu ihrem 14. Jahre im Tempel auf-
erzogen, war sie so rein, so heilig, daß sie nicht bloß an
[48] keinen Mann und keine Ehe dachte, sondern Gott sogar
die Jungfräulichkeit gelobte. Wie nun die hochheilige
Dreifaltigkeit dies Wunderwerk der Gnade sah, hielt sie
nach unserer Anschauung gleichsam Rath, und Gott der
Vater sprach zu seinem Sohne: ‘„Siehe, diese Jungfrau
schön! Die ganze Herrlichkeit der Gnade und der natür-
lichen Schöne habe ich ihrer Seele und ihrem Leibe mit-
getheilt, so viel bei einem Geschöpfe nur möglich ist: sie
hat durch ein Gelübde ihren Leib und ihre Seele mir
geschenkt, beide für immer rein und jungfräulich zu erhalten.
Siehe, die Fülle der Zeit ist gekommen, wo du als
Menschensohn auf der Welt erscheinen sollst, um die
Menschheit zu erlösen; diese Jungfrau soll deine Mutter
sein, daß du durch die Ueberschattung des hl. Geistes aus
und in ihr Mensch werdest!“’
So sprach Gott der Vater.
‘„Ich bin bereit, war die Antwort des Sohnes, und
schrecke nicht zurück vor dem Schooße dieser gnadenreichen
Jungfrau.“’‘„Und ich will sie überschatten, sprach der hl.
Geist, damit das ewige Wort aus der Jungfrau geboren
werde.“’‘„Nun bleibt noch eine Sorge, begann wieder der
himmlische Vater, du mußt als hilfloses Kind in die
Welt eintreten, das Geheimniß deiner Empfängniß und
Geburt aus der Jungfrau soll für viele Jahre verborgen
bleiben. Wo nun finden wir für deine Mutter einen
Mann, damit deine und ihre Ehre unversehrt bleibe?
Wo finden wir für die Jahre deiner Kindheit einen Nähr-
vater und Beschützer?“’
Was glaubt ihr wohl, mochten die zwei göttlichen
Personen Gott dem Vater antworten? ‘„Die Mutter deines
Sohnes, begann der hl. Geist, ist also meine Braut; ich
soll ihren Leib und ihre Seele so verklären, daß sie nach
der Geburt deines Sohnes eine unversehrte Jungfrau
ist, wie jetzt, wo sie die Freude der Engel geworden. Um
[49] ihre Ehre vor den Menschen zu schützen, gib ihr einen
Mann – einen Jüngling, so keusch und jungfräulich, daß
er ihr zwar die eheliche Treue für immer gelobt als ihr
wirklicher Mann, aber so rein und himmlisch mit ihr lebt,
wie die Engel vor deinem Angesichte wandeln. Nicht bloß
seine Seele sei jungfräulich, frei von allen nur irgend wie
bösen Gedanken, sondern auch sein Leib sei mehr himm-
lisch als irdisch, mehr Verklärung als Fleisch, frei von
jeder Sinnlichkeit. Meine Braut sei im stillen Hause wie
auf der belebten Gasse, in der volkreichen Stadt, wie in
der einsamen Wüste, bei Tag und bei Nacht, so sicher, so
getrost, so ruhig bei ihm, als wäre der reinste Seraph
an ihrer Seite. Wo ist dieser Engel im Fleische? Ich
will ihm alle Gnadenschätze mittheilen, ihn erleuchten, daß
er das Geheimniß der Menschwerdung deines Sohnes
begreift, so weit es einem Menschen möglich ist.“’
Nicht wahr, so mochten die drei göttlichen Personen,
um nach unserer Anschauung zu reden, mit einander rath-
schlagen. Dann endlich sprach der Sohn Gottes: ‘„Wir
kennen ihn ja von Ewigkeit her diesen Sohn David's,
der nicht wie sein Ahnherr als König auf dem Throne sitzt,
sondern als Zimmermann sein Brod in der Werkstatt
verdient.“’
gewachsen ist sein Leib zur vollen Kraft und Schönheit des
Mannes, verklärt durch den Glanz vollendeter Jungfräu-
lichkeit; gewachsen ist seine Seele im Glauben an meine
Menschwerdung, in der Hoffnung auf die nahe Erlösung,
verklärt ist sie im Strahlenglanze aller Tugenden. Er
denkt zwar nicht bloß an keine Ehe, sondern hat das Ge-
lübde ewiger Jungfräulichkeit gemacht, aber gerade des-
wegen sei er der wahre Mann meiner jungfräulichen
Mutter und mein Pflegevater; wie ich vor dem Schooß
der Jungfrau nicht zurückschrecke, so schäme ich mich nicht,
[50] vor den Menschen als der Sohn Josephs angesehen zu
werden.“
Das nach unserer Anschauung der Rath und die
Entscheidung der heiligsten Dreifaltigkeit. Wohlan nun,
glaubet ihr an dieses Geheimniß? Warum denn so thö-
richt und so verblendet sein, als könntet ihr nach einer
Jugend voll Unschuld und Gottseligkeit nicht in den Ehe-
stand treten? Glaubet ihr aber nicht daran, so glaubet
ihr auch nicht an das Geheimniß der Menschwerdung des
Sohnes Gottes und könnet nicht selig werden.
Denn um selig zu werden, ist uns kein anderer Name
gegeben als der Name Jesus. Im Glauben an diese
Geheimnisse frage ich nun euch Alle: ‘„Kann eine Jung-
frau so rein, so himmlisch sein wie Maria?“’ Und doch
war sie für den Ehestand berufen. ‘„Kann ein Jüngling
so unschuldig und gottselig sein wie der hl. Joseph?“’ Und
doch war auch er für den Ehestand berufen und wurde
von Gott wunderbar hineingeführt.
Wie weit kommen wir doch in der Verwirrung aller
Begriffe, wenn wir die Geheimnisse der Religion nicht
mehr glauben oder nicht mehr beherzigen? Oder saget ein-
mal, wenn von diesen Jünglingen und Jungfrauen, welche den
Gottesdienst fleißig besuchen und die heiligen Sakramente
hie und da würdig empfangen, welche bei gründ-
licher Frömmigkeit die Freuden und Genüße der Welt
und die Eitelkeit des Gewandes fliehen, welche allüberall
in Unschuld und Ehrbarkeit des Leibes wandeln, – wenn
von diesen keine für den Ehestand berufen sind – welche
fürchterliche Aussicht für die Zukunft; aber auch welch'
trostreiche Hoffnung, wenn solche Jünglinge und Jung-
frauen einst Väter und Mütter werden, und in ihren
Familien die heilige Familie von Nazareth wieder auflebt!
Nein, solche Seelen gehören nicht Alle in's
Kloster oder in den ledigen Stand, bei weitem nicht; da-
[51] für bürgt die heilige Familie von Nazareth, dafür bürgt
die Vorsehung Gottes. Denn wehe der Gesellschaft, wehe
der Kirche, wenn nur eine leichtsinnige Jugend, welche
den Gottesdienst versäumt, und die heiligen Sakramente
selten und dann noch unwürdig empfängt, wenn eine
Jugend, welche in Ungehorsam und Ungebundenheit, in
Eitelkeit und Gefallsucht, in Tanz und Spiel, in Wein
und Bier, in Unzucht und Ausgelassenheit, für die Ehe
reif geworden ist, – wenn eine solche Jugend für den
Ehestand berufen wäre – wehe dann der Kirche, wehe
der Gesellschaft! Denn das kommende Geschlecht leidet
durch die Sünde bevor es das Licht der Welt erblickt, um
dann am Lichte der Sonne in der Nacht der Aergerniße
und der Sünde ganz zu verkümmern. Eine solche Jugend,
wenn sie nicht vorher würdige Früchte der Buße bringt,
kann von Gott unmöglich für den Ehestand berufen sein.
Zulassen kann er schon solch unbußfertige Sünder – aber
wollen kann er sie nicht. Denn durch die Wahl seiner
Mutter und seines Pflegevaters, welche ehelich mit ein-
ander verbunden waren, hat Jesus Christus gleich anfangs
klar und bestimmt verkündet, welche Jünglinge und welche
Jungfrauen im neuen Bunde für die Ehe von Gott be-
stimmt sind. Wohl weiß ich, daß Manche über diese
göttliche Lebensweisheit nur lachen und in ihrem Leicht-
sinne, in ihrer Sinneslust auf ganz andern Wegen in den
Ehestand sich drängen, aber wenn einst euere Familie voll
Zank und Streit, voll Unglück und Ehebruch, voll unge-
rathener Kinder, oder wenn ihr unverheirathet in Armuth
und Schande jammert, werdet ihr dann noch lachen?
Daher gilt denn heute viel mehr als im alten Bunde
(Sir. XXVI. 3.) ‘„Ein gutes Weib ein gutes Loos; sie
wird dem Gottesfürchtigen zu Theil und dem Manne um
seiner guten Werke willen gegeben.“’ Wer ist das gute
Weib? Jene Jungfrau, welche in aller Unschuld und
[52] Züchtigkeit, in aller Frömmigkeit und Demuth aufwächst,
welche ihr Herz vor aller Begierlichkeit und Genußsucht
bewahrt, welche, ferne von Eitelkeit und Gefallsucht nicht
unter die Ausgelassenen sich mengt, und nicht in der Ge-
sellschaft der Männer und Jünglinge zu treffen ist. Ist
sie etwa für ein Kloster bestimmt? Und wenn auch, wäre
es ein Unglück? Manche mögen allerdings wirklich diesen
Beruf haben; aber gar Viele sind von Gott für gottes-
fürchtige Männer bestimmt. ‘„Sie wird dem Gottesfürch-
tigen zu Theil.“’
Wer sind diese Gottesfürchtigen?
Jünglinge, welche immer die Sünde fürchten. Sind
sie für den Ehestand berufen, so gibt ihnen Gott eine
Jungfrau, von welcher der heilige Geist sagt: ‘„Wie die
aufgehende Sonne an Gottes hohem Himmel, so ist die
Schönheit des guten Weibes zur Zierde des Hauses!“’
Welche Schönheit? Wohl redet der hl. Geist auch von
der leiblichen Schönheit in den besten Jahren, die der
glänzenden Lampe auf dem hl. Leuchter gleicht; allein die
besten Jahre gehen vorbei und mit ihnen welkt diese Schön-
heit! – aber wie die aufgehende Sonne strahlt immer mehr
die Schönheit der Zucht und Scham, der Sanftmuth und
Geduld, strahlt immer herrlicher die wahre Frömmigkeit
und Opferliebe über das ganze Haus mit den sich mehren-
den Kindern. Gnade über Gnade ein heiliges und scham-
haftes Weib. Sie wird dem Gottesfürchtigen zu Theil!
Was bleibt dir also übrig, christliche Jugend, wenn
du von Gott für die Ehe berufen sein und darin einst
dem Glück finden willst?
Christlicher Jüngling! Suche dem hl. Joseph immer
ähnlicher zu werden, dann wird Gott selbst dir eine
Braut besorgen, welche in deinem Hause Gnade über
Gnade sein wird.
Christliche Jungfrau! Strebe der Jungfrau schön
[53] nachzufolgen, in Demuth und Reinheit, in Bescheidenheit
und Frömmigkeit – und Gott wird dir für einen Bräu-
tigam sorgen, welcher dem hl. Joseph nachfolgt.
Aber, denket ihr vielleicht, warum werden denn so viele
junge Leute, welche gute Schulen besuchten, welche die
heiligen Sakramente recht oft empfangen, dennoch nur zu oft
wie vom Wirbel erfaßt, und in den Abgrund der Sünde oder
einer unglücklichen Ehe fortgerissen? – Es fehlt ihnen das
Auge, welches ihre Seele und Leidenschaften durchschaut, es
fehlt ihnen die Hand, welche sie fest anfaßt und leitet; wenn
ihnen aber jenes Auge und diese Hand nicht fehlt, so ent-
ziehen sie sich dem scharfen Blicke und der starken Leitung.
Zufrieden bei einer Art süßlicher Andacht oder bei allerlei
äußern Uebungen, unbekümmert um scheinbar unschuldige
aber in Wirklichkeit sehr gefährlichen Zuneigungen, lassen
sie ihre Leidenschaften motten, bis deren Feuer so-
bald es eine Oeffnung findet, qualmend hervorbricht und
ihre Hochzeitsfeier oder ihre Schande umwirbelt. Darum,
christliche Jugend, laß dich warnen – und warnen zur
rechten Zeit, laß dich warnen von einem Priester, der
unter Jammergestalten zertretener Unschuld in den Woh-
nungen unglücklicher Familien reden gelernt hat, wie er
jetzt zu dir spricht.
Aber, denket ihr vielleicht, auf dem Wege der wahren
Unschuld nicht zur Ehe gelangen? Wie konnten Maria
und Joseph sich finden, da doch beide das Gelübde ewiger
Jungfräulichkeit abgelegt hatten? Gott, der sie für ein-
ander bestimmt hatte, brachte sie zusammen. Der hl. Tho-
mas (p. III. q. 29. ar. 1) bemerkt, daß Maria von dem
hl. Geist erleuchtet und geführt wurde, den hl. Joseph zu
ihrem Manne zu nehmen, in der festen Ueberzeugung,
ihre Jungfräulichkeit werde unversehrt bleiben. Daher
betet die Kirche: ‘„Gott, der du durch deine unaussprech-
liche Vorsehung den seligen Joseph zum Bräutigam deines
[54] allerseligsten Mutter zu erwählen dich gewürdiget hast,
verleihe, daß wir ihn, den wir als Beschützer auf Erden
verehren, im Himmel als Fürbitter zu haben verdienen.“’
Gott selbst hat also durch eine ganz wunderbare Vor-
sehung, welche kein Verstand begreifen, keine Rede dar-
stellen kann, den hl. Joseph der unbefleckt empfangenen
Jungfrau zum Manne auserwählt und gegeben. Die Art
und Weise, wie Gott beide zusammenführte, wird in der
heiligen Schrift nicht erwähnt; nur die Legende, welche
aber nicht Gegenstand des göttlichen Glaubens ist, erzählt
uns Folgendes:
Als Maria im Tempel vierzehn Jahre alt geworden,
wollte sie dort bleiben, Gott allein lieben, wie sie es durch
das Gelübde der Jungfräulichkeit versprochen. Ihre Ver-
wandten, worunter der hl. Priester Zacharias, drangen
aber auf ihre Verehelichung. Aller Widerstand der zarten
Jungfrau half nichts. Der hohe Priester Abiathor fragte
Jehovah, wer denn der glückliche Bräutigam sein soll. Der
göttliche Ausspruch lautete: ‘„Und ein Reis wird hervor-
kommen aus der Wurzel Jesse und eine Blume aufgehen
aus seiner Wurzel.“’ (Is. XI., 1.) Nun ließen die Priester
alle Jünglinge aus dem Stamme Davids kommen. Jeder
mußte einen dürren Oelzweig vor dem Altare niederlegen.
Derjenige, dessen Zweig in der Nacht zu grünen anfängt,
soll die Jungfrau heimführen. Doch keiner grünte. Die
Priester beteten wieder, und Gott gab ihnen zu verstehen,
der für die Jungfrau bestimmte Jüngling sein noch nicht
gekommen. Man suchte wieder und fand den hl. Joseph.
Wie derselbe seinen Zweig vor dem Altar niederlegte, fing
derselbe gleich zu blühen an. (Josephi-Buch von Ott).
Ob nun Gott auf diese oder eine andere Weise beide
zusammengeführt, daran liegt nichts, – uns genügt die
Wahrheit: Gott hat Maria und Joseph, welche in ihrer
Jungfräulichkeit von keiner Ehe etwas wissen wollten,
[55] durch eine wunderbare Vorsehung mit einander dennoch
verbunden.
Welche Schwierigkeiten möget ihr noch haben? Etwa
daß Gott nicht für euch und für euere Verehelichung sorge?
Allerdings wenn ihr durch Sünde und Ausschweifungen
euch den Weg zur Ehe bahnet, kann Gott nicht mit euch
sein; wenn ihr aber in aller Unschuld, in wahrer Frömmigkeit
wandelt, nicht bloß vor den Menschen, sondern auch vor dem
Himmel, so wird Gott euch wunderbar leiten, wie Maria
und Joseph, wie Tobias und Sara.
Folget also Maria und Joseph in der Unschuld, em-
pfehlet euch ihrem Schutze und Schirm – dann wird euch
die Vorsehung Gottes – falls ihr wirklich berufen seid –
derart leiten, daß ihr auf dem Wege der Unschuld zu
einer glücklichen Ehe in den Himmel gelanget.
VII.
Die Bewachung der Kinder.
Die Unschuld ist also der von Gott gewollte Weg
zur Ehe. Daß nun die Jugend die Pfade der Unschuld
wandle, liegt den Eltern die heilige Pflicht ob, ihre Kin-
der zu bewachen. Damit ihr nun Alle den ganzen Ernst
dieser Wahrheit auffasset, wollen wir an der Hand des hl.
Evangelisten Lucas sehen, wie die Eltern ihre Kinder zu
bewachen, und wie die Kinder sich da zu fügen haben.
‘„Und da sie am Ende der Festtage wieder zurückkehrten
blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, ohne daß es seine
Eltern wußten. Da sie aber meinten, er sei bei der
Reisegesellschaft, so machten sie eine Tagreise und suchten
ihn unter den Bekannten und Verwandten“’ (Luc. II. 44.)
So berichtet das Evangelium des hl. Lucas.
Aber, denket ihr, wie konnte denn Jesus zurückbleiben,
ohne daß es die Eltern bemerkten? Sie mußten also
doch den Knaben nicht recht im Auge behalten haben?
Das Evangelium löst diese Frage: ‘„Sie meinten, er sei
bei der Reisegesellschaft.“’ Es war nämlich Sitte, daß die
Wallfahrer sich nach Geschlecht und Alter vereinigten und
so die Reise mit einander machten. So konnte also auch der
Knabe Jesus sich seinen Altersgenossen anschließen und doch
so im Tempel zurückbleiben, ohne daß Maria und Joseph
nur eine Ahnung davon hatten. Weil sie ihn daher bei
der Reisegesellschaft glaubten, waren sie am ersten Tage
ihrer Heimreise ganz beruhigt.
Wenn also euere Knaben und Jünglinge in guter
Gesellschaft ihresgleichen sind, wenn euere Töchter bei
andern sittsamen Mädchen und Jungfrauen sich aufhalten,
dürfet auch ihr beruhigt sein. Aber wenn es Abend gewor-
den? Seien sie dann wo immer, auch in der besten
Gesellschaft, wenn sie nicht heimkommen, suchet sie. Denn
mit Anbruch der Nacht dürfen sie euch nicht mehr ferne
sein. Blicket nur hin auf Maria und Joseph! Als sie
Abends in das Dorf gekommen, wo die verschiedenen Ab-
theilungen der Reisegesellschaft sich wieder trafen, suchten
sie gleich bei den Verwandten und Bekannten nach ihrem
Kinde. War es denn bei diesen nicht gut aufgehoben?
Freilich; aber sie waren die Vorbilder aller christlichen
Eltern, deren Kinder auch bei Bekannten und Verwandten
oft gar nicht versorgt sind, sondern den größten Gefahren
ausgesetzt. Aber noch ein Zweites: Maria und Joseph hatten
alle Gründe zu glauben, der Knabe Jesu sei wirklich in
der Reisegesellschaft, und gleichwohl war er nicht dabei.
Väter! Mütter! habet auch ihr immer alle Gründe
zu glauben, daß euere Kinder wirklich dort seien, wo ihr
sie zu sein glaubt, oder sind nicht oft Gründe vorhanden, sie
ganz anderswo zu suchen? Oder siehst denn du allein an
[57] deinem Sohne, an deiner Tochter lauter Licht der Wahr-
heit und der Tugend, während doch die Lüge und die
Sünde sie bereits umnachtet? – Und doch suchet ihr sie
nicht, und wenn ihr vielleicht einmal suchet und nicht gleich
findet, was dann?
Oder glaubet ihr diejenigen, bei welchen euere Kinder
etwa sind, könnten dadurch beleidiget werden? Eitler Vor-
wand! Konnten nicht Maria und Joseph auch so sagen
– und dennoch suchten sie das Kind bei ihren Bekannten
und Verwandten. – Habet ihr den Knaben nicht gesehen?
So lautet die Frage und wird immer ängstlicher gestellt,
bis endlich beide nicht mehr reden, sondern nur schluchzen
können.
Oder weinet und trauert ihr nicht, wenn ihr das
Liebste auf Erden verlieret? – Der Knabe Jesus war
für Maria und Joseph die einzige Freude, der einzige
Trost, die einzige Liebe – ohne ihn waren sie schlimmer
bestellt als die Engel ohne Gott und die Welt ohne Sonne.
Aber was denn thun? Sie kehrten nach Jerusalem zurück
und suchten ihn.
Aber wozu denn diese Mühsal? Sie konnten ja
denken: Der Knabe ist Gott; er wird den Weg schon
finden; es kann ihm ja nichts Böses begegnen; wir wollen
hier warten, bis er kommt. So rechnet der kalte Verstand;
aber das Herz mit seiner Liebe kann sich damit nicht zu-
frieden geben. Diese Liebe will das Kind, und wagt das
scheinbar Unmögliche, dasselbe so bald als möglich zu
finden und wieder zu besitzen!
Christliche Eltern! Wenn ihr in der Bewachung euerer
Kinder vielleicht bequem und gleichgültig seid, selbst dann,
wenn die Schlangen der Verführung und der Leidenschaften
dieselben tödtlich vergiften, betrachtet das heiligste Ehepaar,
das Vorbild aller Väter und Mütter, welche in den
Himmel gelangen – betrachtet Maria und Joseph auf
[58] ihrer Rückreise nach Jerusalem. Rechts und links späht
ihr thränengefülltes Auge nach dem Knaben: ‘„Habet ihr
ihn nicht gesehen, nichts von ihm gehört?“’ So schluchzen
sie jeden Wanderer an, so weinen sie vor jedem Hause,
in allen Dörfern und Flecken an der Landstraße. Und
erst in Jerusalem! Dort gingen sie wohl zuerst in die
Herberge – keine Auskunft. Sie gehen in den Tempel;
dort finden sie ihn mitten unter den Lehrern.
‘„Kind, warum hast du uns das gethan? Siehe dein
Vater und ich suchen dich mit Schmerzen.“’ Diese Worte
der jungfräulichen Mutter sind nicht Worte des Tadels,
sondern des Schmerzens.
‘„Warum hast du uns das gethan?“’ Warum ließ
der göttliche Knabe über Mutter und Pflegevater, welche
er doch so innig liebte, diese Betrübniß kommen? Aus
Liebe zu Allen, welche Väter und Mütter werden, damit
ihr ein Beispiel habet, mit welcher Sorgfalt, mit welchem
Kummer und Schmerz ihr euere Kinder bewachen und
aufsuchen sollet. – Aber wenn ihr dennoch euere Pflichten
vernachläßiget, welche furchtbare Verantwortung nehmet
ihr mit in die Ewigkeit?
‘„Aber wir müssen unsere Kinder nicht suchen; wir
wissen ja, wo sie sind; sie sagen es uns jedesmal, bevor
sie fortgehen.“’ Gut, aber sagen sie euch jedesmal die
Wahrheit? – Wenn sie's etwa machen wie jene Töchter,
welche ihrem Vater vorgaben, sie wollen ein Mission
besuchen und dafür auf den Tanzplatz gingen! Was dann!
Doch gut, die Kinder sollen wirklich dort sein, wo
ihr sie glaubet. Aber wisset ihr auch, wer noch mehr
dort ist? Wisset ihr auch was dort gelesen, geredet, ge-
sungen, gespielet, getrunken, gethan wird? Wisset ihr das
auch? Und wenn nicht, wie könnet ihr denn bei all' diesen
Aergernissen, die täglich allüberall vorkommen, beruhiget
sein? Und wenn diese Söhne und Töchter am Abend
[59] nicht zu Hause sind, seid ihr dennoch beruhiget? Warum
denn nicht nachfragen, nachschauen wo sie etwa seien, in
welcher Gesellschaft, mit wem sie etwa bis in die Nähe
des Hauses kommen?
‘„Ich frage sie jedesmal entweder am Abend oder
doch am Morgen, wenn ich etwa bei ihrer Heimkehr schon
schlafe?“’ Gut, aber wie viel Mal wirst du angelogen
werden?
Sagten etwa Maria und Joseph auch: ‘„Wir wollen
warten bis er kommt und ihn dann fragen, wo er gewesen
sei. Er ist ja die Heiligkeit selbst, und kann nicht
verführt werden; er ist die Allmacht selbst und es kann
ihm kein Leid widerfahren; er ist die Wahrheit selbst und
wird uns auch die Wahrheit sagen.“’ Nein, nein, nichts
von all' dem; sondern nach Jerusalem geht die Reise
zurück.
Aber deine Söhne? deine Töchter? Sie sind nicht die
Heiligkeit, sondern voll der gefährlichsten Leidenschaften; nicht
die Allmacht, sondern die Schwäche. Oder wenn euer Kind
unglücklich wird, entschuldiget ihr seinen Fall nicht mit der
Schwäche, mit einem schwachen Augenblicke, mit dem Bei-
spiele Anderer, die auch gesündigt haben? Aber ist das
nicht gerade euere Verurtheilung? Denn, obwohl ihr also
die Gefahren kennet, wollet ihr dennoch nicht nachschauen,
nicht nachfragen, nicht suchen, nicht wachen. ‘„Aber meine
Kinder sind ja meistens zu Hause.“’ So lange sie noch
klein, mag die Sorge nicht so groß sein; aber wenn sie
einmal größer geworden? Sind sie allein zu Haus?
– Schauet ihr bei Nacht auch hie und da nach, ob sie
noch zu Hause sind? Ob sie allein sind? – In dieser
Beziehung gibt der hl. Geist schon im Buche Sirach
Winke und Belehrung. Zuerst mahnt er, eine Tochter, welche
nicht eingezogen ist, besonders bei Nacht in strenger Hut
zu halten; dann spricht er ganz allgemein, ‘„eine Tochter
[60] verursacht dem Vater heimliches Nachtwachen und die
Sorge für sie raubt ihm den Schlaf, daß sie nicht im Vater-
hause entehrt werde und ihren Vater nicht zum Gespötte
seiner Feinde und zum Gespräche der Stadt mache.“’ (Si-
rach 26 und 42).
Oder glaubet ihr etwa, das sei denn doch zu viel
verlangt? Das machet mit dem hl. Geiste aus, wenn
ihr in die Ewigkeit hinüberkommet; ich habe euch die
Wahrheit zu verkünden und zwar die ganze. ‘„Aber was
kann denn in meinem Hause Böses geschehen?“’ Das weiß
ich nicht; mir genügt das Wort des hl. Geistes, der von
Ewigkeit her alle Familien überschaut hat. Eine Tochter
verursacht dem Vater heimliches Nachtwachen. Warum?
– Damit sie nicht im Vaterhaus in Sünde und Elend falle.
‘„Aber meine Tochter ist brav, war in guten Schulen,
in einem Institut, ist in guten Vereinen, steht auch bei
Geistlichen in Achtung.“’ Meinetwegen; aber bei alldem
ist sie eine Tochter mit allen Schwächen, vielleicht noch
etwas eitler als viele andere, und der hl. Geist macht
keine Ausnahme, wenn er sagt: ‘„Eine Tochter verursacht
dem Vater heimliches Wachen.“’
Wenn nun Gott diese Fürsorge von dir in deinem
Hause verlangt, was erst wenn deine Kinder außer dem
Hause, wenn sie in der Fremde sind als Dienstboten,
Lehrlinge, Fabrikarbeiter, als Zöglinge auf diesen und
jenen Anstalten! Da nun könnet ihr allerdings nicht per-
sönlich Nachschau halten, aber was thun? Wäre es zu-
viel oder nur das allernothwendigste verlangt, wenn euere
Söhne und Töchter beim Eintritt in eine Pfarrei sich dem
Seelsorger zu stellen hätten, wenn ihr nachfragtet, wie es
in der Familie stehe, in deren Mitte sie leben, ob sie auch
den Gottesdienst fleißig besuchen, in welche Gesellschaft
sie gehen, wie es in den Fabriken hergehe, wo sie arbeiten,
[61] welch' ein Geist herrsche in Schulen und Anstalten, welche
sie ihrer Ausbildung wegen zu besuchen haben, – wenn
ihr diesem nachfragtet, wäre das zu viel oder nur das
Allernothwendigste verlangt? Oder denket ihr etwa, dies alles
verursache zu viel Mühe und Arbeit? Aber, saget einmal,
wer aus euch machte schon unter Thränen und Angst eine
mühsame Tagreise wie Maria und Joseph? Wer aus
euch brachte jemals eine Nacht zu wie Maria und Joseph
als sie an jenem Abende das göttliche Kind nicht mehr
hatten? Wer weinte und betete jemals nur eine halbe
Stunde für seine Kinder, welche in später Nacht
noch nicht heimgekommen waren? Wer ging nur einige
hundert Schritte vom Hause weg, um wenigstens zu sehen,
woher sie etwa kommen und in welcher Gesellschaft? Ach
Gott, wie wirds so vielen Eltern sammt ihren Kindern
in der Ewigkeit ergehen? Sie wollen dem Beispiele von
Maria und Joseph nicht folgen und werden daher keinen
Antheil haben an Gottes Herrlichkeit.
Die Eltern haben also die schwerste Verpflichtung,
über ihre Kinder zu wachen, wenn auch allerlei Mißhellig-
keiten damit verbunden sind. Diese Sorge kann viel
Böses verhindern, aber nicht alles, wenn nicht auch die
Jugend das Ihrige thut. Was nun diese zu thun habe,
wird uns klar aus der Antwort des göttlichen Knaben
Jesus.
Betrachtet also die Antwort des göttlichen Knaben:
‘„Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines
Vaters ist?“’ Das sind Worte nicht des Tadels, sondern
der Belehrung und des Trostes. Was will denn der
Heiland damit sagen? In euerer Liebe suchet ihr mich
mit Schmerzen; aber ihr hättet nicht so betrübt sein
sollen; denn ihr wisset doch, wie ich euch gehorsam bin,
wie ich aber in Allem den Willen meines himmlischen
Vaters und all jene Thaten ausführen soll, welche er mir
[62] aufgetragen hat. Es war nun der Zeitpunkt gekommen,
wo ich nach seinem Willen meine Weisheit zum ersten
Male offenbaren sollte, damit die Menschen auf meine
Predigt vorbereitet werden. Ohne euer Wissen bin ich
zurückgeblieben, damit ihr wisset, im großen Werke der
Erlösung dürfe ich nicht auf euch hören, sondern nur auf
meinen himmlischen Vater. Endlich solltet ihr in euerem
Kummer und Aengstlich – Suhen das Vorbild werden
für alle Eltern. Das die Bedeutung seiner Worte.
Dann ging er mit ihnen nach Nazareth und war
ihnen unterthan.
‘„Ich habe euch ein Beispiel gegeben; folget mir nach.“’
So, christliche Jünglinge und Jungfrauen, ruft euch der
göttliche Heiland zu; ihr aber schauet nach, in wie fern ihr
Christen seid oder nicht. Durch die heilige Taufe seid
ihr allerdings Christen geworden; aber wenn ihr dem
göttlichen Heilande nicht nachfolgt, seid ihr nicht mehr
seine Schüler und das unauslöschliche Merkmal der heiligen
Taufe wird wie ein Centnerstein, der die Seele nur tiefer
in den Abgrund der Hölle versenken wird.
Jesus Christus ist immer bei Maria und Joseph; ist
immer dort wo sie es wünschen; nur wenn der himmlische
Vater selbst ruft, handelt er gegen die augenblicklichen
Wünsche seiner Eltern. Ich sage ‘„gegen die augenblicklichen
Wünsche,“’ denn auch Maria und Joseph waren ja bereit,
allen Anordnungen des himmlischen Vaters sich vollkommen
zu unterwerfen, sobald sie seinen Willen erkannten.
Was folgt nun hieraus für die christliche Jugend?
Also dürfet ihr nirgends hingehen, wo die Eltern es nicht
haben wollten und ihr sollet dort sein, wo sie es verlangen.
Wenn sie euch in die Kirche schicken, gehet in die Kirche,
aber nicht spazieren, noch viel weniger in die Wirthshäuser;
wenn sie euch ein Haus, eine Gesellschaft verbieten, gehet
nicht hin; sie wollen euch Abends frühzeitig zu Hause haben
[63] – und im Bette bevor sie selbst gehen – füget euch.
So bleibet ihr vor Verführung und Sünde und Schande
leichter bewahrt.
Aber wem liegt alles daran, daß ihr in den Tagen
euerer Jugend diese göttliche Ordnung durchbrechet? Wem
liegt alles daran, daß ihr gegen den Willen der Eltern
und der Vorgesetzten nicht die Kirche, sondern Wirthshäuser
und Tanzplätze besuchet, daß ihr nicht in gute, sondern
in zweideutige Häuser gehet, bei Nacht nicht zu Hause
seid, sondern herumschwärmet; wem liegt Alles daran,
daß ihr gegen den Willen der Eltern oder der Vorgesetzten
allerlei Leute ins Haus ziehet – ganze Nächte mit ein-
ander zubringet? Wer ist für dies alles besorgt? Der
Teufel. In dieser Auflehnung kann dann mancher Jüng-
ling und manche Jungfrau sagen: ‘„Wisset ihr nicht, daß
ich in dem sein muß, was des Teufels ist.“’ Denn ent-
weder mit Jesus Christus durch den Gehorsam in dem sein
was des Vaters ist, oder durch den Ungehorsam in dem
‘„was des Teufels ist“’ – ein drittes ist nicht möglich.
Saget nun, ist es noch auffallend, wenn so manche Söhne
und Töchter alles Gefühl für Ehre und Scham verlieren,
tief fallen, unglücklich heirathen, in alles Elend stürzen –
ist das noch auffallend oder ganz natürlich?
Oder willst du etwa sagen: Es ist meinen Eltern
gleichgültig wo ich bin, wann ich heimkomme, wer
bei mir im Hause ist; – sie fragen mich höchstens:
Wo warst du? Wann bist du heimgekommen? Ich
kann antworten was ich will; man forscht nicht nach,
ob dem wirklich so sei oder nicht. Arme Jugend! Arme
Eltern! Unglückliches Vaterhaus! Wo keine Spur mehr
ist von der heiligen Familie, da folgt Sturz über Sturz
immer tiefer ins Elend der Sünde, der Schande, der
Armuth, der Verzweiflung. – Es mag vielleicht noch
etwas äußerer Anstand vorhanden sein; vielleicht noch hie
[64] und da ein Kirchenbesuch; aber im Innern ist lauter Fäul-
niß und Leichenmoder.
Darum christliche Eltern, fanget doch mit neuem Eifer
an, euere Kinder immer und allüberall zu bewachen,
ihnen nachzufragen, sie aufzusuchen, wo es immer noth-
wendig ist; denn nur so könnet ihr hoffen, daß sie nicht
frühzeitig an Leib und Seele verdorben werden, sondern
in aller Unschuld aufblühen, euch und sich selbst zum Glück
und Heil. Ihr aber, Jünglinge, Jungfrauen, gehet doch
euern Eltern und Vorgesetzten nicht aus den Augen, ent-
ziehet euch nicht ihrer Wachsamkeit, außer wenn Gott der
Herr es von euch verlangt, oder was Gott verhüten möge,
wenn euere Eltern und Vorgesetzte schlecht an euch handeln
wollten. In diesem Falle fliehet die Eltern, fliehet die
Vorgesetzten und suchet anderswo ein Obdach.
Damit ihr dann diese Wahrheiten immer besser ver-
stehet, euch tiefer einpräget, vollkommener darnach lebet,
so betet und betrachtet doch oft das Geheimniß: ‘„Den du,
o Jungfrau, im Tempel gefunden hast.“’ Denn so werdet
ihr vom göttlichen Heiland in Gnaden gestärkt, unter dem
Schutz und Schirm der jungfräulichen Mutter Maria und
des hl. Pflegevaters Joseph auf Erden dem Beispiele der
heiligen Familie so nachfolgen, daß ihr dieselbe dort
oben bald finden werdet, um euch immerdar zu freuen in
der Gesellschaft von Jesu, Maria und Joseph.
VIII.
Die Bekanntschaften, eine heilige Ehrensache
der Familie.
Wenn das Familienleben überall in Ordnung wäre,
wenn die Eltern ihre Pflichten kennten und erfüllten, so
[65] würde mehr als genügen was ich über die Bewachung
der Jugend sagte. Weil aber Mißbräuche, Unsitten ein-
geschlichen, welche das Recht der Sitten und Gebräuche
sich anmaßen, muß ich noch mehr in das Einzelne ein-
gehen.
In diesen Unsitten rechne ich die sogenannten Bekannt-
schaften, welche vor der Ehe eine so große und nur zu
oft für Zeit und Ewigkeit eine so unglückliche Rolle spielen.
Damit nun die Jugend vor vielgestaltigem Elende bewahrt
bleibe, muß die Bekanntschaft eine heilige Familiensache
sein.
Was ist denn eine Bekanntschaft? Da sind manche
mit der Antwort bald fertig: ‘„Bekanntschaft ist ein Ver-
hältniß zweier Personen verschiedenen Geschlechts, die sich
lieben, miteinander Ausflüge machen, zum Tanze gehen,
Abends spät heimkommen, einen großen Theil der Nacht
allein bei einander sind.“’ Mag sein, aber diese können
nicht Ehrensache der Familie werden, sondern nur ihre
Schmach und Schande. Das sind nämlich nur nächste
Gelegenheiten zur Sünde.
Aber, denkst du vielleicht, das ist nun einmal vielfach
Sitte und Gewohnheit; desto beklagenswerther ist das, sag
ich mit dem hl. Chrysostomus (Homilia 12, No. 6, in
1. Cor.), weil es der Teufel zur Gewohnheit gemacht.
‘„Weil nämlich die Ehe eine heilige Sache, ein Glück für
unsere Gesellschaft, ein Rettungsmittel gegen die Unzucht,
führt er in anderer Weise jegliche Unzucht wieder ein.“’
Von was redet der hl. Chrysostomus? Von einer Un-
sitte, welche damals die Hochzeitsfeier begleitete, und nur
einen Abend und eine Nacht dauerte. Was erst
würde er von diesem Herumtreiben junger Leute sagen,
welche nicht nur einen Abend und eine Nacht so allein
beisammen sind, sondern hundert und abermal hundert?
Würde er nicht voll Schmerz und Trauer, voll Unwille
[66] und Zorn ausrufen: ‘„Der Teufel hat diesem Treiben den
Stempel der Gewohnheit und Sitte aufgedrückt.“’ Von
diesen Bekanntschaften kann also nicht die Rede sein.
Aber was ist denn eine Bekanntschaft. Ein Ver-
hältniß zweier ledigen Personen, welche sich bald ehelichen
können und wirklich sich ehelichen wollen. Sich ehelichen
können. Also nicht diese Kinder von 14 bis 16 Jahren,
welche durch die Schule, durch die Erziehung, früh reif
geworden, nicht diese Kränklichen, welche übermorgen schon
an der Auszehrung sterben, nicht die Leichtfertigen,
welche eine Familie unmöglich ernähren und die Kinder
nicht erziehen können; nicht diese, welche durch die Bande
des Blutes und der Verschwägerung einander zu nahe
stehen, nicht solche, welche verschiedener Religion sind. Denn
alle diese können sich nicht heirathen, ohne gewöhnlich in
großes, unheilbares Unglück zu fallen. Sich ehelichen
können! Personen, welche an Leib und Seele so beschaffen
sind, daß sie vor Gott und der Kirche glückliche Eheleute
und Väter und Mütter werden können. Sich ehelichen
können und zwar nicht erst nach vier, fünf und sechs und
mehr Jahren, sondern bald.
Aber ebenso wichtig ist der zweite Punkt, daß solche
Leute sich wirklich Heirathen wollen. Denn es gibt eben
nur zu viele Verhältnisse, wo das eine oder andere oder
vielleicht gar beide gar nicht an die Ehe denken, sondern
nur an die eigentliche Sinnenlust. Oder gibt es heute,
wo in Folge der Arbeit und Verbindungsmittel die Leute
so untereinander gewürfelt werden, nicht gar viele Burschen,
welche bald da bald dort arbeiten und überall eine Weibs-
person haben müssen, und nur zu oft auch finden?
Gibt's nicht andere, welche mit jedem Mädchen anbinden?
Aber gibt's nicht auch Mädchen, die an jeden sich hängen?
Aber denket ihr vielleicht, wenn auch diese beiden
Leute sich wirklich ehelichen können und wollen, scheint es
[67] doch sonderbar, wie ihr Verhältniß eine Ehrensache der
Familie sein kann. Sehet einmal! Ist es für jede Familie
nicht eine Ehre, Söhne und Töchter erzogen zu haben,
welche mit Liebeleien sich nicht frühzeitig abgeben, sondern
ihre sinnliche Natur so in der Gewalt haben, daß sie zu-
warten, bis der von Gott und der Natur bestimmte Zeitpunkt
für den Eintritt in den Ehestand gekommen ist? Das ist
eine Ehre und ein Glück zugleich: Ein Glück, weil Gott
ihnen solche Kinder gegeben; eine Ehre, weil die Erzieh-
ung dies Geschenk ansgebildet hat. Daher freuen sich die
Eltern, wenn ihre fromme Tochter von einem wackern
Jüngling geliebt ist, und wenn ihr gottesfürchtiger Sohn
an gefallsüchtigen Puppen mit Verachtung vorübergeht, und
eine sittsame Jungfrau liebt, die beten und arbeiten kann.
Aber noch mehr, ihr betrachtet es als Ehrensache, daß
euer Namen und eure Tugend auf dieser Welt fortleben
nicht bloß in den Kindern, sondern auch in den kommenden
Geschlechtern. Denn wir wollen nicht bloß für den
Himmel, sondern auch für diese Welt, jeder in seiner Art,
unsterblich sein. Was nun gibt und befestigt euch diese
Hoffnung? Eben dies Verhältniß, das zu einer glücklichen
Ehe, und dadurch zu neuen Verbindungen und Verwandt-
schaften führen soll. Diese Verbindungen aber sind wieder
eine Ehrensache nicht bloß des Sohnes und der Tochter,
sondern der ganzen Familie. Oder rühmt man sich denn
nicht, mit guten und frommen und edeln Menschen ver-
wandt und befreundet zu sein.
Und endlich noch ein Umstand, der, obwohl von großer
Bedeutung, dennoch oft gar nicht berücksichtigt wird; aber
gerade deswegen muß ich die ganze Wahrheit verkünden.
Denn eingelebte Mißbräuche werden nicht auf einmal
gehoben, und die Wunden des Familienlebens nicht auf
einmal geheilt und gar nie, wenn wir nicht wie der barm-
herzige Samariter Essig und Oel verwenden, und zwar
soviel Essig als nothwendig ist.
Was will ich denn sagen? Ihr wisset doch, wie
man von manchen zu behaupten pflegt: ‘„Die müssen eben
einander heirathen.“’ Wohl wird das oft mit Unrecht be-
hauptet, aber doch leicht geglaubt. Das ist nun ein sehr
böses Zeichen. Warum? Ich sage den Grund mit be-
trübtem Herzen.
Die Leichtfertigkeit, mit der man einerseits solche
Reden ausstreut und anderseits als glaubwürdig aufnimmt,
beweist ja die allgemein verbreitete Ansicht, daß diese
Bekanntschaften ein gewisses Gebot vielfach zu vergessen
scheinen. Wie es daher für jede anständige Familie Trauer
und Schande ist, wenn es mit ihren Söhnen und Töchtern
nicht mehr in Ordnung, so muß es auch eine Ehre und Aus-
zeichnung und Freude sein, wenn die Braut mit wohlver-
dientem Jungfraukranze am Altare kniet. Ihr möget also
diese Bekanntschaften betrachten wie ihr wollet, ihr könnet
nur zu dem Schluße kommen: Die Bekanntschaft soll
eine Ehrensache der Familie sein. Diese Familienangelegen-
heit ist aber zudem noch eine heilige.
Wer etwa diese Behauptung nach Sitte der Welt
als übertrieben oder gar lächerlich finden sollte, der beher-
zige einmal, was ich zu sagen habe. Diese Ehrensache
der Familie ist eine heilige in Rücksicht auf die Braut-
leute und den Zweck der Bekanntschaft.
Nehmet zuerst diese beiden jungen Leute. Ihr kennet
wohl alle die Geschichte vom jungen Tobias und der
Sara. Tobias ehrte seine Eltern alle Tage seines Lebens,
hütete sich vor aller Unkeuschheit, hatte Gott in seinem
Herzen, und lobte ihn zu aller Zeit. Sara mischte sich
nie unter die Tanzenden und Muthwilligen, hielte ihre Seele
rein vor aller Begierlichkeit, begehrte nie einen Mann;
und wenn sie auch sieben Männer nacheinander hatte, so
nahm sie dieselben nicht aus Lust, sondern aus Furcht,
gegen den Willen Gottes zu handeln; diese, ihrer unwür-
[69] dig starben jeweilen plötzlich in der ersten Brautnacht. In
all' ihrem Unglücke lobte sie Gott, zufrieden und geduldig
wie Job.
Diese zwei nun führte der Erzengel Raphael zusammen.
Obwohl schon ehelich verbunden, blieben sie doch
drei Nächte ganz enthaltsam, und beteten miteinander.
‘„Denn, sprach Tobias, wir sind Kinder der Heiligen und
dürfen nicht zusammenkommen, wie die Heiden, welche Gott
nicht kennen.“’ Da nun habet ihr das Bild der Jünglinge
und Jungfrauen, welche eine ernstliche Bekanntschaft mit
einander anfangen. Oder ist das zu viel verlangt?
Tobias und Sara hatten nicht Christus den Gekreuzigten,
nicht die jungfräuliche Mutter Maria, nicht den hl. Joseph,
nicht Millionen Heilige als Vorbilder, nicht die katholische
Kirche, nicht die hl. Sakramente, nicht diesen Gottesdienst
– sondern sie glaubten nur an den kommenden Erlöser;
ja sie konnten nicht einmal im Tempel zu Jerusalem beten,
sondern lebten während der Gefangenschaft mitten unter
Heiden und allen nur möglichen Aergernissen, – und doch
waren sie so enthaltsam, so unschuldig, so fromm.
Wenn nun die christliche Jugend nur so enthaltsam,
so fromm wie die jüdische im alten Bunde, ist das zu viel
oder zu wenig verlangt? Wenn daher christliche Jüng-
linge und Jungfrauen eine Bekanntschaft anfangen, sollen
sie zu einander in Wahrheit sagen können: ‘„Wir sind
Kinder der Heiligen, fromm und brav sind unsere Eltern,
wir sind Kinder der katholischen Kirche, geheiliget, gestärkt,
genährt mit den heiligen Sakramenten, berufen, heilig zu
werden nach dem Vorbilde Christi. Wenn wir daher dies
Verhältniß anknüpfen, wollen wir zusammenkommen nicht
wie Heiden, welche weder Gott noch seine Gebote kennen,
sondern nur ihre Gelüste; nicht wie so viele Christen, welche
durch ihre Ausschweifungen Gott und den Glauben ver-
läugnen; – sondern wir wollen zusammenkommen, als
[70] reine, unbefleckte Glieder am Leibe Christi, um uns gegen-
seitig gegen die Sünde und die Aergernisse zu beschützen,
zum Guten aufzumuntern und, wenn es der Wille Gottes
ist, wollen wir nach einer Bekanntschaft voll Unschuld und
Sittsamkeit uns ehelich verbinden, wie Maria und Joseph
und wie Christus mit seiner Kirche vereint ist.“’
So sollen christliche Jungfrauen und Jünglinge in
den Tagen der Bekanntschaft miteinander reden und handeln.
Das, und das, allein ist eine Bekanntschaft, wie sie unter
Katholiken möglich, gestattet und geboten ist. So aber
wird sie in Wahrheit eine heilige Ehrensache der Familie.
Da nun sehet ihr wieder, wie Christus alles adelt,
heiliget, verklärt. Auf diesen Lichthöhen der Wahrheit und
des Glaubens können und dürfen und sollen die zartesten
und schwierigsten Punkte der Familie nach dem Beispiele
der heiligen Väter behandelt werden; das ist überall noth-
wendig. So nothwendig es aber auch sein mag, so ist
auch viel Verständniß dafür vorhanden. Denn als ich
vielleicht den zartesten Punkt, die Mutterwürde voll diesen
Lichthöhen aus beleuchtete, da drückten mir so manche
Männer ihre Freude und ihren Dank dafür aus. Be-
greiflich. Denn auf diesen Höhen athmet die edel ange-
legte Seele gleichsam reine Himmelsluft und fühlt sich in
die Nähe der Engel versetzt.
Deshalb dringet noch tiefer in den Gegenstand, den
ich jetzt behandle. Die Bekanntschaften sollen also eine
heilige Ehrensache der Familie sein. Denn das verlangt
auch ihr Zweck. Ihr Hauptzweck nämlich ist nicht, sich
gegenseitig kennen zu lernen; denn diese Kenntniß soll
schon vorher gewonnen sein, um nöthigenfalls noch ergänzt
zu werden. Warum denn? Diese Verhältnisse beruhen
auf gegenseitiger Liebe; diese sieht nur die Vorzüge, welche
sie noch vergrößert, ist aber gewöhnlich ganz oder halb
blind gegen Leidenschaften, Fehler und Sünden. Saget
[71] nur einer Verliebten; ‘„Dein Bursche ist ein Trinker, ein
Spieler, ein Geizhals, ein Raufbold, ein Unzüchtiger, ein
Religionsspötter,“’ – was wird sie euch antworten? ‘„Alle
haben gute und böse Leüte, und wenn auch etwas daran
ist, wird er schon besser werden, sobald wir einmal ver-
heirathet sind.“’ Ich will damit nicht behaupten, daß eine
vernünftige Bekanntschaft nicht etwas beitragen könne, sich
gegenseitig besser kennen zu lernen, aber dies wird immer
Nebensache bleiben.
Denn auch das ist nicht zu vergessen. Solche Leute
verbergen sich gegenseitig ihre schwache Seite und lassen
nur die schöne hervortreten.
Es geht ungefähr wie mit einer Fabrikarbeiterin;
diese glänzt am Sonntage in ihrer Eitelkeit wie ein reiches
Fräulein; aber in welchem Gewande erscheint sie am Mon-
tag in der Fabrik? – Geht es nicht auch so, wenn auf
die Sonntage der Bekanntschaft, wo man sich gegenseitig
täuscht, die Werktage der Ehe folgen, wo man sich gibt,
wie man wirklich ist.
Was ist denn ihr eigentlicher Zweck? Die Vorbe-
reitung für den würdigen Empfang des hl. Sakramentes
der Ehe, um die göttliche Gnade reichlich zu empfangen.
Denn so gnadenreich wird im allgemeinen das hl. Sakra-
ment als die Bekanntschaft unschuldig und mackellos war.
Oder glaubet ihr etwa nach einer vieljährigen Bekannt-
schaft, wo Greuel auf Greuel sich häuften, wo man die
hl. Sakramente ohne aufrichtiges Bekenntniß oder ohne
ernstlichen Vorsatz der Besserung unwürdig empfängt, werde
man auf einmal vor der Hochzeit aufrichtig beichten, oder
seine Sünden von Herzen verabscheuen?
So wird auch das hl. Sakrament der Ehe nur zu
oft entweiht. Wenn dann in so vielen Ehen der eigent-
liche Fluch zu herrschen scheint, und Glück und Segen fehlt,
ist das noch auffallend oder ganz natürlich? Denn, sprach
[72] der Erzengel Raphael zu Tobias: ‘„Ueber jene, welche so
in den Ehestand treten, daß sie Gott von sich und ihrem
Herzen ausschließen und ihre Wohllust pflegen, wie Roß
und Maulthier, welche keinen Verstand haben – über
solche hat der Teufel Gewalt.“’ Um daher diesem Unglücke
vorzubeugen, und den Gnadenreichthum Gottes als himm-
lische Aussteuer zu erhalten, sorgt doch, daß ferne vom
Geiste der Unlauterkeit jede Bekanntschaft eine heilige
Ehrensache der Familie sei und bleibe.
Denn nur so könnet ihr später in der Familie Würde
und Hoheit bewahren. Denn diese erste reine Liebe im
Strahlenglanze der Jungfräulichkeit ist wie die aufgehende
Sonne, welche später am Himmel der Familie als Mit-
tagssonne leuchtet und endlich euren Uebergang in die
Ewigkeit wie mit glühendem Abendroth verklärt. Wenn
aber diese erste Liebe nicht Liebe war, sondern Haß im
Dunkel der Ausschweifung; wenn dieser Haß, den die
Sinnlichkeit als Liebe sich vorlügt, zwei Tempel des hl.
Geistes durch Unlauterkeit verwüstet hat, wenn vielleicht
das erste Kind der lebende Zeuge trauriger Verirrungen
ist, – wo dann eure Würde und Hoheit als Väter und
Mütter? Wo? – Die Bekanntschaft ist also eine heilige
Ehrensache der Familie: unter dem Dache des Vaterhauses,
vor den Augen der Eltern und Geschwister soll das Liebes-
paar in der schönsten Blüthe der reinsten Jungfräulichkeit
für den Hochzeitstag heranreifen den Engeln und den
Menschen ein Schauspiel. –
So gerne ich auf dieser Lichthöhe mit diesen Gedanken
schließen möchte, muß ich vorher noch mit dem menschlichen
Elende rechnen. Ja menschliches Elend! Denn Christen,
Katholiken vergessen im Taumel der Leidenschaft ihren
Adel in der Herrlichkeit der heiligmachenden Gnade und
der Unschuld, stürzen in den Tagen der Bekanntschaft in
die Gruben der Unreinigkeit. Und das ist wohl aller
[73] Thränen werth, aber das Traurigste von allem Traurigen?
Sie lügen sich gegenseitig an, das sei keine Sünde. Was
soll ich diesen Verblendeten sagen?
Was einst der göttliche Heiland den Pharisäern:
‘„Ich aber sage euch, viele werden vom Aufgang und
Niedergang kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob
im Himmelreiche ruhen; die Söhne des Reiches aber
werden in die äußersten Finsternisse geworfen; dort wird
Heulen und Zähneknirschen sein.“’ Die Juden nämlich
durch Abraham und die Beschneidung Söhne des Reiches
werden ihres Unglaubens wegen verworfen, die Heiden
hingegen kommen, glauben, werden selig.
In welcher Beziehung diese Worte zur Ehe und zur
Bekanntschaft stehen, zeigt Cardinal Massaia. Dieser, vier-
zig Jahre lang Missionär in Afrika, der erste Bischof der
Gallas, von Leo XIII. zum Cardinal ernannt, veröffent-
lichte 1885 einen Brief über die Ehescheidung. Darin
zieht er einen Vergleich zwischen den christlichen Sekten
Abessiniens einerseits, wo infolge der Ehescheidung das
Sittenverderben und die Zügellosigkeit alles verwüstet, und
dem Heidenstamme der Gallas anderseits, wo in Folge
der Heiligkeit der Ehe das Weib unverletzlich, die Frau
geachtet und die Tochter unbefleckt zur Ehe gelangt.
Also ein Heidenstamm, Barbaren ohne Christus,
ohne Kirche, ohne Schule, ohne Bildung, und doch gelangt
jede Tochter unbefleckt in den Ehestand. Diese Heiden
werden Christen, Söhne des Reiches, gelangen in den
Himmel, – aber so viele Katholiken? – Nicht wahr ich
muß dieses Trauerbild nicht weiter ausmalen?
Also entweder die Bekanntschaft zur heiligen Ehrensache
der Familie machen und selig werden – oder –! Wählet
in den Tagen eurer Jugend, aber wählet zu eurem ewigen
Heile. Wer immer aber durch sündhafte Verhältnisse
sündenbefleckt geworden, durch Unglück und Angst vielleicht
[74] niedergebeugt und der Verzweiflung nahe, der gehe zum
Priester, offenbare ihm sein Elend mit dem besten Vorsatze,
alle bösen Gelegenheiten zu meiden, um wenigstens als
Büßer mit den Reinen noch selig zu werden.
IX.
Wie wird die Bekanntschaft eine Ehrensache
der Familie.
Die Bekanntschaft soll eine heilige Ehrensache der
Familie sein. So wird die Unschuld der Weg zur
Ehe. Zu diesem Adel sind alle, welche sich verehelichen,
von Gott berufen; aber auch hier sind nicht alle auser-
wählt, sondern gar viele entehren ihren Adel, verscherzen
ihr Glück. Denn wie jene Arbeiter im Evangelium stehen
viele müßig da, sie thun nichts, um ihre Bekanntschaft zur
heiligen Ehrensache der Familie zu gestalten, ja viele thun
sogar alles, um das Maaß ihrer Sünden und ihres Un-
glückes voll zu machen.
Daher denn die Frage, was ist zu thun, daß die Be-
kanntschaft eine hl. Ehrensache der Familie werde und bleibe?
‘„Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet,
denn der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach.“’
In diesen Worten Christi ist so ziemlich alles enthalten.
Wachen ist vorzüglich die Pflicht der Eltern und Vorge-
setzten, beten und betrachten vorzüglich Sache der Jugend.
Daher wollen wir sehen, was erstens Eltern und Vorge-
setzte und zweitens die Jugend zu thun habe.
Die Bekanntschaften sind eine heilige Ehrensache der
Familie. Also sind sie nicht allein ein Verhältniß zwischen
zwei Personen, sondern auch eigentliche Familienangelegen-
[75] heit, womit die Ehre und das Glück von Vater und
Mutter und Geschwistern, von Freunden und Bekannten
auf's innigste verflochten ist. Was folgt hieraus? Also muß
auch jede Bekanntschaft Familiensache bleiben, und darf
niemals in eine Art von Heimlichkeiten ausarten. Hiefür
nun zu sorgen ist vor allem eure Pflicht – Väter und
Mütter. Ihr habet eine Tochter: ein Jüngling will sie
heirathen, und besucht sie in der Woche ein, zwei Mal,
gut, aber wo? wie lange seid ihr in der Stube bei ein-
ander, gehet ihr nicht zu Bette, bis eure Tochter auch
schläft? Betrachtet ihr es als eine Ehrensache, den künf-
tigen Schwiegersohn aus dem Hause zu begleiten? Lasset
ihr eure Tochter mit ihrem Liebhaber nirgends hingehen,
es sei denn in Familiengesellschaft.
Ihr habet einen Sohn, der zu einer Jungfrau geht:
Haltet ihr Nachschau, ob dieses Verhältniß auch als
Familiensache gehalten wird? Und wenn nicht, lasset ihr
ihn nicht mehr hingehen?
Aber, denket ihr, ‘„das ist nun einmal nicht Sitte,
so werden die wenigsten Bekanntschaften gehalten.“’ Warum?
Weil ihr diese Verhältnisse nicht als Familiensache betrachtet,
sondern als Angelegenheit dieser zwei jungen Leute. Des-
halb sieht es aber auch aus, wie es vielfach aussieht. –
Wohl berühre ich unangenehm, weil ich diese Lebensfreuden
der Jugend angreife; weil sie aber nur zu oft Anlaß der
Sünde werden, muß es doch sein. Wenn ich euch sagte,
‘„es darf überhaupt keine Bekanntschaft mehr geben,“’ dann
könntet ihr zürnen; wenn ich aber sage, ihr habet zu
wachen und zu sorgen, daß für die Ehre des Hauses, für
die Bewahrung der Unschuld, für das Glück der künftigen
Ehe diese zwei Leute nur im Schooße der Familie mit-
einander verkehren, wer kann mir da grollen, als diejeni-
gen, welchen Sünde und Bekanntschaft als das Gleiche
gilt?
Oder glaubet ihr etwa, die Sache sei doch nicht so
gefährlich. Ach Gott, denket an euere Erfahrungen und
dabei klaget ihr selbst, daß es von Jahr zu Jahr schlimmer
werde. Und dann soll's nicht gefährlich sein. Ueberall
gilt des Herrn Wort, aber hier tausendfach: ‘„Willig ist
der Geist, aber das Fleisch ist schwach.“’ Und wenn gar
oft selbst der Geist nicht mehr für das Gute willig –
sondern boshaft – und dann soll keine Gefahr sein! –
Wenn man nur Tauf- und Ehe- und Familienbücher in
den Pfarreien durchgeht, – welch' tief eingewurzeltes und
weitverbreitetes Verbrechen! Wer zählt diese Betrogenen,
die jammern, verzweifeln? Wer zählt diese Auszehrigen,
welche die Ausschweifung für den Tod frühreif gemacht?
Und Selbstmord? – Und wenn Gott am Ende der Tage
jenes fürchterliche Buch öffnet in dem alles enthalten –
und dann soll's nicht gefährlich sein! –
Aber meine Kinder sind ‘„unschuldig und brav“’.
Gut, das freut mich. Dann werden sie von selbst die
Bekanntschaft zur Ehrensache der Familie machen, und
wenn ihr Abends zu Bette gehen wolltet, werden sie sagen:
‘„Bleibet noch einige Augenblicke bei uns, sonst machen auch
wir Feierabend, denn wir wollen nicht allein bei einander sein.“’
Wenn sie aber von dieser Familiensache nichts mehr wissen
wollen, sondern allerlei, oft sogar fromme Schliche suchen,
um allein reden und handeln zu können, dann kommet mir
ja nicht mit ihrer Unschuld, mit ihrer Frömmigkeit –
selbst dann nicht, wenn sie weit und breit als die frömmsten
geachtet sind. Dann gilt hundertfach die Mahnung des
hl. Geistes: ‘„Eine Tochter verursacht dem Vater heimliches
Wachen und die Sorge um sie raubt ihm den Schlaf.“’
Denn, wenn ihr dann nicht wachet und sorget und kämpfet,
daß die Bekanntschaft wahre und ganze Familiensache
bleibe, werdet ihr nicht bloß an der Schande und dem
Unglücke der Kinder die Hauptschuld tragen, sondern seid
[77] auch in äußerster Gefahr, den Himmel zu verschlafen,
während die wachenden Kinder durch ihre Ausgelassenheit
die Hölle sich öffnen. Warum? – Ihre Ausschweifungen
stehen vor Gott als fremde Sünden auch auf euerer Rech-
nung. Denn, während die Eltern schliefen, kam der Teufel
und säete Unkraut. Denn dieser ist, wie der große Bischof
Fénelon bemerkt, bei diesen Zusammenkünften der Dritte
im Bund. Wenn nämlich bei der aufgeregten Sinnlichkeit
diese wüste Liebe oder besser dieser Haß von der einen
Seite Alles verlangt und von der andern nichts verweigert
– wie gewinnreich wird sein Spiel ausfallen? Also zu
wachen habt ihr und zu sorgen, daß diese jungen Leute immer
mit und in der Familie seien, und niemals sich selbst über-
lassen. Die gleiche Pflicht haben auch Herrschaften und
Vorgesetzte ihren Dienstboten und Arbeitern gegenüber.
Aber was haben nun Söhne und Töchter zu thun?
Vor allem dürfet ihr eine Bekanntschaft niemals den
Eltern verheimlichen. Ist sie gut, warum verbergen, ist
sie schlecht, warum ein Todsündenleben führen? Oder ist
die Bekanntschaft eine Schande? Ebensowenig als die
Heirath, vorausgesetzt, daß sie eine hl. Ehrensache der
Familie sei. Warum also verheimlichen? Warum? Wollet
ihr vielleicht Eheleute werden, bevor ihr die Kinderschuhe
abgelegt? Aber dann ist der Widerstand der Eltern
euer Lebensglück. ‘„Aber wir wollen ja noch nicht heirathen,
sondern nur Bekanntschaft haben.“’ Aber das kann so
wenig Sache der Kinder sein, als die Ehe selbst. – Wenn
ich heute diesen Punkt wieder andeute, weiß ich warum.
Dieser Gegenstand berührt nämlich nicht bloß Vater und
Mutter und die herangereifte Jugend, welche an den Ehe-
stand denkt, sondern auch Alle, welche in und außer der
Schule an der Erziehung der Jugend arbeiten. Wer das
nicht einsieht, oder vielleicht glaubt, ich sollte hierüber gar
nichts sagen, oder wenigstens nicht so tief in's Leben greifen,
[78] der kennt weder die Jugend nach dieser Seite, noch viel
weniger die Aufgabe und die Verantwortlichkeit des katho-
lischen Predigers! Doch weiter!
Warum also verheimlichen? Ist der Bursche viel-
leicht ein Trunkenbold, der gerne blauen Montag macht,
ein leichtfertiger Mensch, der den Altar selten oder niemals
sieht, oder so ein herumfahrender Ritter, der schon überall
angebunden, ein dahergelaufener Mensch, von dem man
nichts Bestimmtes weiß; oder ist das Mädchen eine eitle
Puppe, eine Tänzerin, ein leichtfertiges Mensch ohne
Gebet, ohne tiefreligiösen Grund, oder vielleicht eine gebildete
Tochter, die eine Magd braucht, bevor sie verheirathet ist?
Wenn euch da die Eltern von keiner Bekanntschaft etwas
wissen wollen, so ist das euer Lebensglück.
Warum also verheimlichen? Die Eltern werden uns
nicht mehr beieinander lassen. Aber das ist ja die Rettung
euerer Unschuld, die Hoffnung auf eine glückliche Ehe.
Warum also verheimlichen? Ich weiß wohl, daß
die Eltern auch unvernünftiger Weise gegen eine Bekannt-
schaft und die Eingehung der Ehe sein können; aber diese
Fälle sind gar selten, und auch dann seid mit ihnen offen,
wollet ihr unschuldig und nicht sündenbefleckt den Hoch-
zeitstag erleben. Denn seid ihr zur Ehe berufen, werdet
ihr trotz Schwierigkeiten dennoch zusammenkommen, wie
Tobias und Sara und zwar noch früh genug. Denn es
kann euch ergehen wie den Zugvögeln, welche im Früh-
ling bei ihrer frühen Ankunft oft noch in Schneegestöber
hineingerathen.
Also ganz offen sollet ihr mit den Eltern sein und zwar
von Anfang an, und euch dann gehorsamst in die von
ihnen verlangte christliche Hausordnung fügen.
Damit ihr nun dies um so leichter thuet, habet Ehr-
furcht vor einander, daß ihr voll heiliger Scheu einander
ferne bleibet, bis ihr endlich am Altare verbunden werdet,
[79] wie Christus mit seiner Kirche vereinigt ist und bleibt. Wie
das möglich? Diese Jugend, diese Schönheit, dieser Leib,
diese Seele sollen niemals die wüste Begierlichkeit in euch
erwecken, sondern euch gegenseitig mit Hochachtung und
Ehrfurcht erfüllen. Denn dieser Leib mit seiner jugend-
lichen Schönheit und Kraft, diese Seele mit ihren Vor-
zügen ist Eigenthum Gott des Vaters; denn er hat sie
erschaffen; ist Eigenthum Gott des Sohnes; denn er hat
sie aus der Knechtschaft Satans erkauft und mit seinem
Blute gekennzeichnet: ist Eigenthum Gott des hl. Geistes;
denn er hat sie zu seinem Tempel geweiht. Daher sollet
ihr die einzige Furcht haben, dieses Eigenthum des drei-
einigen Gottes durch eine Sünde irgendwie zu schädigen;
und die einzige Sorge, an Leib und Seele unbefleckt und
rein am Altare den vollen Segen des dreieinigen Gottes
zu erhalten.
In diesem Glauben, in dieser gegenseitigen Ehrfurcht,
wachet, wachet über Gedanken und Begierden, über euere
Regungen und Blicke, über euere Worte und Handlungen.
Denn wenn auch die Seele willig, ist doch das Fleisch
schwach. Oft artet bei anfänglich frommen Seelen die
Frömmigkeit in sinnliche Liebe und Zuneigung und Freund-
schaft aus, daß nicht mehr der Weihrauch der Tugend,
sondern der Qualm der Sinnlichkeit zum Himmel empor-
steigt. – Wie groß wird diese Gefahr erst bei Bekannt-
schaften?
Seid daher offen gegen Eltern und Vorgesetzte,
habet gegenseitige Ehrfurcht, wachet – aber sorget auch,
daß euch die hilfreiche Gnade Gottes reichlich gegeben
werde.
Daher betet; und wenn ihr vorher viel gebetet,
betet jetzt noch mehr; denket nicht an die Eitelkeit des
Gewandes, nicht an den Schmuck der Haare, nicht an die
Gestalt des Leibes, nicht an die Freuden der Ausflüge,
[80] oder Gesellschaft, sondern denket an das Gebet, damit ihr
auf dem schlüpfrigen Wege nicht ausgleitet. Daher betet
und empfanget oft und würdig die hl. Sakramente. Wenn
ihr bis zur Bekanntschaft die Unschuld bewahrt, oder nach
der ersten Sünde nicht mehr gefallen seid, so verdanket
ihr das dem Gebete, und den hl. Sakramenten. Doch
erst jetzt tritt die Gefahr in ihrer ganzen Größe an euch
heran, selbst dann, wenn ihr wachtsame und brave Eltern
habet, – wenn aber die Eltern nachlässig und ihr leicht-
fertig, was dann erst? Die tägliche Erfahrung ruft zu
laut, als daß ich da nur ein Wort zu sagen habe.
Daher sollet ihr nicht bloß oft die hl. Sakramente
empfangen, sondern noch dazu, wenn ihr vor der Bekannt-
schaft, bald da bald dort gebeichtet habet, euch einen be-
ständigen Beichtvater wählen. Diesem nun saget gleich
anfangs: ‘„Ich will eine Bekanntschaft anfangen.“’ Aber
das sage ich nicht gerne! Warum? Es ist ja keine Sünde
noch eine Schande, es ist doch leichter, jetzt das zu sagen,
als später vielleicht schwere Sünden zu beichten. Ja bei dem
Leichtsinn, der vielfach nicht bloß bei der Jugend, sondern
auch bei Eltern und Vorgesetzten sich findet, ist das oft
die einzige Rettung. Nicht wahr, aus Unkenntniß oder
Sinnenlust oder Sorge für ein Unterkommen fangen Viele
Bekanntschaft an mit Andersgläubigen, oder mit nahen
Verwandten, oder mit schlechten Leuten, oder gar
mit Geschiedenen. Wenn nun diese das Glück und die
Gnade haben, einem erfahrenen und klugen Beichtvater
gleich im Anfange dies mitzutheilen, so werden viele vor
Sünde und Elend und ewiger Verdammniß bewahrt
bleiben; wenn sie aber ein solches Verhältniß längere Zeit
verheimlichen, wird die Leidenschaft so gewaltig, daß sie
angesichts der offenen Hölle der sichern Verdammniß den-
noch heirathen wollten. Wenn euch also ein Beichtvater
eine solche Bekanntschaft nicht eingehen läßt, ist ja das
[81] euer Lebensglück, ist aber das Verhältniß gut und recht,
die Ehe erlaubt, wird auch gewiß kein verständiger Beicht-
vater dagegen sein. Aber er wird mir sagen: ‘„wir dürfen
nicht allein bei einander sein.“’‘„Nein, nicht der Beichtvater,
sondern dein Herr und Gott durch ihn.“’
Aber ich gehe überhaupt zu keinem, der in diesem
Punkte mit mir genau ist und das von mir verlangt.
Dann magst du auch die Verzeihung deiner Sünden nie-
mals erlangen, selbst wenn dir die Lossprechung jedesmal
gegeben wird.
‘„Aber das ist nicht möglich,“’ denkst du bei dir.
Nicht möglich? Sehet einmal! Dieses allein Beieinander-
sein ist gewöhnlich die nächste freiwillige Gelegenheit zur
Sünde. Wenn du aber diese Gelegenheit nicht meiden
willst, so ist auch kein Vorsatz der Besserung vorhanden;
wo aber der Vorsatz fehlt, da ist auch keine Reue, und
wo keine Reue, da ist niemals eine Nachlassung der Sünden
möglich, selbst dann nicht, wenn der hl. Petrus selbst die
Lossprechung gäbe.
Daher gehe ich noch weiter und sage: wenn ihr das
Unglück habet, in eine schwere Sünde zu fallen, so gehet
nie zu einem Beichtvater, der euch vielleicht einen recht
schönen Zuspruch gibt, dabei aber von euch nicht mit allem
Ernste verlangt, daß ihr nicht allein bei einander seid. Denn
ihr beide seid in großer Gefahr ewiger Verdammniß:
Der Beichtvater, weil er das Allernothwendigste nicht von
euch verlangt; ihr, weil ihr ruhig in der nächsten
Gelegenheit zur Sünde fortlebet, und vielleicht schon am
Communionstag wieder in die alte Sünde zurückfallet.
Wenn ihr aber mit euerem Beichtvater in allem aufrichtig
seid und seinen Räthen folget, und er euch alle nothwendigen
Mittel angibt die Sünde zu meiden, so werdet ihr dann
durch die würdige heilige Communion wieder so gestärkt,
daß ihr wenigstens wieder für einige Zeit euere Bekannt-
[82] schaft mit Leichtigkeit als heilige Ehrensache der Familie
fortführet.
Oder wird die Gnade Gottes durch all unser Wirken
niemals diesen Triumph über die Bosheit des Fleisches
und seiner Gelüste davon tragen? Die Gnade fehlt Nie-
mandem, denn alle sind berufen; aber so viele fehlen der
Gnade, denn wenige sind auserwählt. So wird auch,
was ich über die Bekanntschaften sagte, wohl für manche
nicht bloß verloren sein, sondern ihre Verantwortung in
der Ewigkeit nur noch größer machen. Denn der Knecht,
welcher den Willen seines Herrn kennt und ihn gleichwohl
nicht thut, verdient doppelte Streiche. Aber in so manchen
Herzen und Familien wird der Widerhall dieser Worte
noch lange forttönen, und, wenn auch nicht jede Bekannt-
schaft heilige Ehrensache der Familie wird, so doch die
eine und andere; und wenn viele nicht heilig werden,
so wird doch manches Sündenmaaß nicht zum Ueber-
laufen voll.
Was soll ich nun zum Schlusse sagen? Es wundern
sich vielleicht einige, daß ich derart in's einzelne einge-
gangen bin. Allein am Tage der Ewigkeit wird sich
niemand mehr darüber aufhalten. Denn dort werden so
viele ihr Sündenelend damit zu entschuldigen suchen, daß
wir Priester nicht nach dem Beispiele der hl. Väter über
schwierige Punkte die volle Wahrheit verkündet, sondern
aus allerlei Rücksichten geschwiegen haben. Wird diese
Entschuldigung die Rettung der Sünder und damit unsere
Verurtheilung sein, oder werden beide verloren gehen?
Daher bitte und beschwöre ich euch alle in der Liebe und
Zärtlichkeit Jesu Christi, euch liebe Eltern und Vorgesetzte,
dann euch, die ihr jetzt Bekanntschaften unterhaltet oder
früher oder später anfangen werdet, euch alle bitte und
beschwöre ich beim Glücke der Familie, bei der Unschuld
der Jugend, beim Blute Jesu Christi, das ihren Leib und
[83] ihre Seele ziert bei der Segensfülle des heiligen Sakra-
mentes der Ehe, bei der Herrlichkeit des Himmels, – bei
all' diesen Früchten und Segnungen einer keuschen unbe-
fleckten Bekanntschaft bitte und beschwöre ich euch alle –
aber auch bei der Schande der Familie, beim Sünden-
elende des verwüsteten Leibes, bei der Gefahr durch un-
würdigen Empfang des hl. Sakramentes der Ehe einen
Gottesraub zu begehen, beim Fluche einer unglück-
lichen Ehe, welche an die Sündenkette der Jugend stets
neue Ringe schmiedet, bei der fürchterlichen Gefahr ewiger
Verdammniß für die wachende Jugend und die schlafenden
Eltern – bei all diesem Fluch und diesen Gefahren un-
reiner Bekanntschaften bitte und beschwöre ich euch alle
in der Liebe und Zärtlichkeit Jesu Christi: – sorget doch
mit allen nur möglichen Mitteln, daß die Bekanntschaften
für euere Familien immer mehr eine hl. Ehrensache werden
und bleiben.
X.
Die Ehe ein hl. Sakrament.
‘„Jesus wurde für ein Sohn Josephs gehalten.“’ So
meldet das Evangelium, aber nicht ‘„Jesus war ein Sohn
Josephs“’: Denn von Ewigkeit her der eingeborne Sohn
Gott des Vaters, war er in der Zeit durch die Ueber-
schattung des hl. Geistes Menschensohn aus der Jungfrau
geboren. Er wurde aber für den Sohn Josephs gehalten.
Denn Maria und Joseph lebten in wahrer, wenn auch
jungfräulicher Ehe. Daher nennt auch die heilige Schrift
den hl. Joseph den Mann Mariens.
Ihr wisset nun alle, wie diese jungfräuliche Ehe,
diese heilige Familie von Nazareth das Vorbild der christ-
[84] lichen Familie geworden ist. Wie aber, denket ihr vielleicht,
ist es denn bei der menschlichen Schwäche möglich, daß
jede Familie gleichsam ein Abbild dieser hl. Familie
werden kann. In seiner Liebe und Weisheit hat Jesus
Christus für den neuen Bund die Ehe zu einem gnaden-
reichen Vertrage, zu einem heiligen Sakramente gemacht.
Warum ich unter dem Schutz und Schirm der hl. Familie
diese Wahrheit behandle, und mir so den Weg immer
tiefer ins Heiligthum der Familie bahne, habe ich unter
Anderem diese Gründe.
Schon vor 15 Jahren mahnte Leo XIII. in seinem
Rundschreiben über die Ehe die Bischöfe und durch sie
alle Priester, sie sollen doch, so viel als ihre Anstrengung
und ihr Ansehen vermöge, dahin wirken, daß die Glaubens-
lehre über die Ehe ganz unverfälscht bei den Völkern be-
wahrt bleibe. Der zweite Grund seid ihr selbst. Denn
so oft ihr glaubet, es werden große, tief ins Leben ein-
greifende Wahrheiten behandelt, erscheint ihr auch zahl-
reicher und werdet ganz Aug' und Ohr. Daß nun die
Ehe eine brennende Tagesfrage, und die Begriffsverwir-
rung eine unglaubliche geworden, sagen und jammern alle.
Wenn ich daher die christliche Wahrheit nach und nach
tiefer und allseitiger entwickle, und an die Operation von
Krebsgeschwüren mich wage, mag das vielleicht da und
dort wehe thun; soll aber der Einzelne, die Familie,
die Völker nicht zu Grunde gehen, ist eine gründliche
Entwicklung dieser Wahrheiten durchaus nothwendig. Für
heute bleibe ich bei der oben angedeuteten Wahrheit
stehen und sage: Christus hat die Ehe zu einem heiligen
Sakramente gemacht und die Sorge für dieselbe der hl.
katholischen Kirche anvertraut und zwar
1) als der Verwalterin der hl. Sakramente,
2) als der tauglichsten Beschützerin der Ehe.
Die Kirche hat ein unveräußerliches Recht auf die
[85] hl. Sakramente. Oder kommt es jemandem von der Welt
und wär's ein Kaiser in den Sinn; die hl. Sakramente
der Buße und des Altars zu verwalten. Wenn also die
Ehe ein hl. Sakrament geworden, so hat die Kirche ein
Recht darauf, wie auf das Sakrament der Buße. Daß
nun die Ehe wirklich ein hl. Sakrament sei, will ich
nicht eigentlich beweisen, denn ich rede zu Katholiken;
vielmehr möchte ich andeuten, wie sie ein hl. Sakrament
sei. Denn dies ist für das Verständniß schwieriger Punkte
heute außerordentlich wichtig.
Bis zum Ausbruche der Reformation war der Glaube
an die Ehe als Sakrament ziemlich unangefochten geblieben;
als dann dies hl. Sakrament mit andern geleugnet wurde,
prüfte das hl. Concilium von Trient, was die hl. Väter,
die Concilien, die Ueberlieferung aller Zeiten geglaubt hatten
und verkündete dann den von den Aposteln erhaltenen
Glauben in folgenden Worten: ‘„Wenn jemand behauptet,
die Ehe sei nicht wahrhaft und eigentlich eines von den
7 Sakramenten des neuen Bundes, von Christus dem
Herrn eingesetzt, sondern von Menschen in der Kirche er-
funden und verleihe keine Gnade, der sei ausgeschlossen.“’
Was lehrt also der hl. Geist? Die Ehe ist wahr-
haft ein hl. Sakrament, von Christus eingesetzt und ver-
leiht Gnade. Nicht die Menschen haben das erfunden,
sondern die hl. Väter hahen nur treu bewahrt und über-
liefert, was sie von den Aposteln erhalten. Um nun diese
geoffenbarte Wahrheit für unsere Zeit recht zu verstehen,
müssen wir bei der Ehe den Vertrag und das Sakrament
wohl unterscheiden und dann sehen, in welchem Verhält-
nisse sie zu einander stehen.
Was ist denn ein Vertrag? Im Allgemeinen eine
Uebereinkunft zwischen zwei oder mehreren Personen, welche
in Bezug auf eine bestimmte Sache sich gegenseitig ver-
pflichten. Ihr gebet z. B. einem Meister einen Sohn in
[86] die Lehre; ihr verpflichtet euch das Lehrgeld zu bezahlen
und ihm das Kind für eine bestimmte Zeit zu überlassen;
er aber macht sich verbindlich, für euern Sohn zu sorgen
wie für sein Kind, und ihn das Handwerk gründlich zu
lehren.
Was ist nun die Ehe? Auch ein Vertrag; denn die
Brautleute verpflichten sich gegenseitig zu den Pflichten
und Rechten des ehelichen Lebens. Damit ihr euch aber
verpflichten könnet, müsset ihr euch verpflichten wollen und
diesen Willen durch Zeichen kundgeben. Nicht wahr?
Daher fragt dann die Kirche die Brautleute, ob sie einander
aus freiem Willen als Eheleute annehmen wollen.
Dieser Vertrag nun ist vor allem ein natürlicher;
warum? Er wurde geschlossen, bevor nur irgend eine
Gesellschaft bestand, bevor nur irgend ein kirchliches oder
bürgerliches Gesetz war, oder besser nur sein konnte.
Nicht wahr? Er wurde ja geschlossen zwischen Adam und
Eva, beruhte in der Verschiedenheit ihres Geschlechtes, in
ihrer Bestimmung, die Stammeltern des Menschengeschlechtes
zu werden.
Aber war dieser Vertrag nicht zugleich ein göttlicher?
Freilich. Denn im Paradies erscheint Gott nicht bloß als
der Erschaffer Evas, sondern auch als der erste Braut-
führer. Denn er selbst führt Eva zum Adam und segnet
beide. Daß Adam diese That Gottes verstand, bezeugt
seine Rede: ‘„Das ist nun Bein von meinem Bein, Fleisch
von meinem Fleische. Darum wird der Mensch seinen
Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe an-
hangen, und es werden zwei in einem Fleische sein.“’
(Gen. 2, 23.) Was bedeutet also diese Gegenwart Gottes,
der die erste Braut dem ersten Bräutigam zuführt, und
beide segnet. Will er nur dies erste Paar segnen? Will
er etwa später den Ehevertrag der menschlichen Willkür
überlassen, oder für alle Zeiten an eine sittliche Ordnung
[87] binden? Adam selbst antwortet: ‘„Der Mann wird Vater
und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen.“’
Adam hatte nicht Vater und Mutter, daher gilt dies Wort
den kommenden Geschlechtern, die wie Adam an diesen
göttlichen Vertrag gebunden sind, so lange Gott nicht
anders verfügt. Das erklärt und bestätigt der Heiland
selbst, in den Worten: ‘„Was Gott verbunden hat, soll
der Mensch nicht trennen.“’ So ist denn die Ehe ein
natürlich-göttlicher Vertrag zwischen Mann und Weib zur
unauflöslichen Lebensgemeinschaft. So war es bis auf
Christus; seither aber ist die Ehe ein natürlich-göttlicher-
sakramentaler Vertrag.
Diese Wahrheit nun betrachtet etwas tiefer, um euch
gegen Irrthümer zu schützen. Es gibt nämlich Katholiken,
welche glauben, die Ehe sei allerdings ein Vertrag, aber a
auch ohne Sakrament eine gültige Ehe; dazu komme dann
als eine Art Schmuck- und Zierart das hl. Sakrament.
Das nun ist ein verderblicher Irrthum. Denn die Ehe ist
ein hl. Sakrament; die Ehe aber nichts anderes als dieser
natürlich-göttliche Vertrag. Also ist eben dieser Vertrag
auch das hl. Sakrament. Diese uralte Wahrheit verkündete
Pius IX. in seiner Allocution v. 27. Sept. 1852 mit folgen-
den Worten: ‘„Jeder Katholik weiß, daß die Ehe wahrhaft
und eigentlich eines der 7 Sakramente des neuen Bundes
von Christi eingesetzt ist, daß es also unter den
Gläubigen keine Ehe geben kann, die nicht zu
gleicher Zeit im Sakrament ist, und daß also jede
andere Verbindung zwischen Mann und Weib außerhalb
des Sakramentes ein abscheuliches und verderbliches Con-
kubinat ist – das von der Kirche ausdrücklich verdammt
wird, und daß folglich das Sakrament vom Ehebunde
niemals getrennt werden kann.“’ Die gleiche Wahr-
heit verkündet Leo XIII. in seinem Rundschreiben über
die Ehe und verlangt, daß sie allüberall gepredigt werde.
Da nun habet ihr die göttliche Wahrheit über das
Verhältniß des Ehevertrages zum hl. Sakrament. Ihr
könnet also diesen Vertrag vom hl. Sakramente ebenso
wenig trennen, als die Wärme vom Feuer. Wenn ihr
also die Ehe unter einander abschließet, so ist gerade dieser
Abschluß das hl. Sakrament – oder es ist dann gar
keine Ehe vor Gott und der Kirche, sondern ein abscheu-
liches Conkubinat, d. h. ein unzüchtiges Zusammenleben.
Was hat also Christus mit der vorchristlichen Ehe gethan?
Sie zur Würde eines hl. Sakramentes erhoben, indem er
sie zu einem gnadenreichen Vertrage machte. Welche Gnaden
mit diesem hl. Sakramente verbunden, unter welchen Be-
dingungen sie mitgetheilt werden, wollen wir später sehen.
Aber was folgt nun aus den entwickelten Wahrheiten?
Die Kirche hat als Verwalterin der hl. Sakramente auch
auf die Ehe ein unveräußerliches Recht. Das ist die ewige
Rechtsordnung Gottes, welche von ungeweihter Hand nur
zum Verderben der Seelen, zur Auflösung der Familie,
zur Vernichtung der Gesellschaft verletzt werden kann.
Aber hat denn die weltliche Gewalt gar nichts zu sagen?
Schon der hl. Thomas (c. g. l. IV. 7) hat die richtige
Antwort gegeben: ‘„Freilich, insofern sich die Ehe auf das
zeitliche Wohl der Völker bezieht.“’
‘„Aber,“’ denket ihr vielleicht ‘„so dürfen wir ja nicht
mehr auf's Rathhaus gehen der Civilehe wegen.“’ Das
nun weniger. In Rom hat man ähnliche Gesetze wie bei
uns; dort werden die Gläubigen ermahnt, die Gesetze zu
beachten, aber nachher wie Brautleute getrennt zu leben,
bis sie den sakramentalischen Ehevertrag in der Kirche ab-
geschlossen, auch Leo XIII. verlangt in seinem Rund-
schreiben, daß die Gläubigen diesen Gesetzen allüberall
nachkommen: ‘„Damit die Wirkungen der Ehe nach allen
Seiten hin gewahrt seien und den Kindern kein Nachtheil
erwachse.“’ Da sehet die Weisheit und Ruhe der katho-
[89] lischen Kirche, welche dem Kampfe mit der weltlichen Ge-
walt, die auch von Gott ist, so lang als möglich auszu-
weichen sucht.
Damit ihr in dieser Sache ganz klar werdet nur
noch einen Vergleich. Stirbt euch jemand, so müßet ihr
beim Civilstand Anzeige machen, und euch den Schein
holen, wann der Verstorbene beerdigt werden dürfe. Ob
ihr dann eine kirchliche oder bürgerliche Beerdigung ver-
langet, läßt euch das Gesetz vollkommen frei.
So gehet auch mit der Braut auf das Rathhaus
nicht in der Absicht, den von Christus gewollten sakra-
mentalischen Ehevertrag abzuschließen; denn das verlangt
kein weltliches Gesetz und kann es nicht verlangen; sondern
in der Absicht, die von der bürgerlichen Gesellschaft vor-
geschriebenen Bedingungen zu erfüllen; denn sonst würde
euere in Christo und der Kirche geschlossene Ehe vom
Staat nicht anerkannt und euere Kinder nicht als eheliche
gelten. Was ihr hernach thuet, um das kümmert sich kein
weltliches Gesetz, wohl aber die katholische Kirche, die sich
ebenso wenig ändert als das Gesetz Jesu Christi; die
katholische Kirche, welche mit ihrer gottgeweihten Jung-
frauhand, die einzige Verwalterin dieses hl. Sakramentes
ist, und zugleich die tauglichste Beschützerin der Ehe.
Die Ehe ist eine Einrichtung Gottes für alle Zeiten,
für alle Orte, für alle Menschen. Damit will ich natür-
lich nicht behaupten, daß jeder Mensch zur Ehe verpflichtet sei
sondern nur, daß er ein Recht darauf habe, so lange er nicht
durch das Gelübde der Keuschheit darauf verzichtet, oder
aus irgend einem Grunde untauglich ist, dies Recht zu
beanspruchen. Die Ehe ist somit kein Vertrag, der auf
den Eigenthümlichkeiten dieser oder jener Nation beruht,
sondern in der Natur des Menschen und der beiden Ge-
schlechter begründet ist. Wer kann daher diese Ordnung
Gottes am besten bewachen? Jene Gesellschaft, welche
[90] alle Völker zu umfassen bestimmt ist, – die katholische
Kirche. Den so ist auch das Eherecht allüberall eines
und dasselbe wie auch Gott und Christus überall dieselben
sind. Und die Folge? So nur behält die Ehe ihren rein
menschlichen und durch Christus verklärten Charakter bei
und nimmt nicht je nach Verschiedenheit der Völker und
der weltlichen Gesetze wieder andere Farbe und Gestalt an.
Doch was red' ich da von der natürlichen Bestim-
mung und Schönheit der Ehe; betrachtet vielmehr ihren
übernatürlichen Adel und ihre gnadenreiche Schöne. Gilt
hier nicht die ebenso alte als immer neue Wahrheit, ausge-
sprochen von einem der größten Denker dieses Jahrhun-
derts, Graf de Maistre: ‘„Die Sittlichkeit der Menschheit
findet nur Sicherheit in den Händen des Alten im Vatikan.“’
Sehet nur! Wie die ganze Geschichte bis auf den heutigen
Tag allüberall, auch bei uns mit lauter Stimme bezeugt,
ist die Sittlichkeit oder auch die Vollkommenheit der Ein-
zelnen, der Familien, ja ganzer Völker von der Heiligkeit
oder dem Zerfalle der Ehe bedingt. Was nun, glaubet
ihr, ist vor allem nothwendig, daß die Ehr die sittliche
Würde des Menschen bewahre und mehre? Der Glaube
an dies heilige Sakrament muß unversehrt und rein be-
wahrt und eindringlich gepredigt werden, und was ist hie-
für nothwendig? Eine göttliche, unfehlbare Autorität,
welche mit keinem Irrthum, mit keiner Leidenschaft je einen
Vergleich allschließen kann. Was ist deßhalb ferner noth-
wendig? Ein Prophet wie Johannes der Täufer; der
auch dem Könige zuruft: ‘„Es ist dir nicht erlaubt, deines
Bruders Weib zu haben!“’ Ein Prophet der unerschrocken
ruft: ‘„Wenn ihr euch scheiden lasset und bei Lebzeiten des
anderen Theiles euch wieder verheirathet, seid ihr nicht mehr
Eheleute, sondern Ehebrecher auf dem Wege in's ewige
Feuer!“’
Aber warum diese Autorität? Dieser Prophet? Es
[91] handelt sich da um eine Leidenschaft, welche einmal ent-
fesselt, den Verstand verwirrt, das Urtheil trübt, die Erin-
nerung auslöscht, den Willen schwächt, Pflichten und Rechte
mit Füßen zertritt, die zartesten Bande zerreißt, die Hölle
bevölkert; es handelt sich um eine Leidenschaft, welche
gegen alles ausschlägt, was ihr nur irgendwie in den
Weg tritt, welche das blutige Haupt des Propheten
sogar beim Gastmahle auftischt. Wer vermag da noch die
ganze Wahrheit zu beschützen? Wer wagt sie ohne Rück-
halt, ohne Schleier ganz zu enthüllen? Wer vermag
wenigstens die Auserwählten noch auf dem Himmelswege
zu bewahren? Die katholische Kirche allein; einzig der
hl. Vater. Denn sie allein haben eine unfehlbare Lehr-
gewalt; nur wenn sie in Sachen des Glaubens und der
Sitte das letzte Wort gesprochen haben beugt sich die
katholische Welt vor Gott und der einmal geoffenbarten Wahr-
heit. Und mit vollem Recht. Da müsset ihr nämlich noch
einen ganz eigenthümlichen Umstand beachten, um die un-
endliche Weisheit Jesu Christi in der ganzen Heilsordnung
immer mehr zu bewundern.
Er hat nämlich die Beschützung der Ehe einem
Hohenpriester und einem Priesterthum übergeben, denen
die Ehelosigkeit als heilige Pflicht auferlegt ist. Da nun
habet ihr das Spiel der Leidenschaften nicht zu fürchten.
Warum denn? Wir dürfen ja keine Weiber nehmen;
haben deßhalb mit keinen zu leben und können keine ent-
lassen. Daher kann uns nicht einmal die Versuchung
kommen, an der ewigen Weltordnung Gottes zu rütteln,
oder auch nur rütteln zu lassen. Um die Bedeutung dieser
Thatsache zu verstehen, werfet einen Blick auf die griechische
Kirche.
Sobald sie sich von Rom getrennt hatte, verlor sie
nach und nach Ansehen und Macht, daß sie die Ehelosig-
keit der Geistlichen und damit die Heiligkeit der Ehe nicht
[92] mehr behaupten konnte. Welche Ausdehnung dies Uebel
im Laufe der Zeit genommen, beklagte Fürst Cusa, als er
vor etwa 35 Jahren in der Ständeversammlung der
Moldau-Walachai folgendes sprach: ‘„Die Familie und
mithin die Gesellschaft kann nur unter der Bedingung be-
stehen, daß die Ehe kein Spiel sei, in dem die Brautleute
sich nehmen und trennen unter den eitelsten Vorwänden.
Welchen Namen soll man jenen Frauenzimmern beilegen,
welche am Morgen sich scheiden und am Abend wieder
heirathen, welche in ihrem zartesten Alter die Reihe jener
Verbindungen durchgemacht haben, welche ein kirchliches
oder vielmehr bis zum Uebermaaße nachsichtiges und
schwaches Gesetz duldet? Durch diese Ehescheidung wird
die öffentliche Sittlichkeit verletzt, die Erziehung der Kinder
vernachläßiget.“’ So Fürst Cusa.
Wohin ist also die griechische Kirche gekommen? Die
Ehe ist nur mehr ein Spiel. Was trennt die Eheleute?
Die eitelsten Vorwände. Aber wie? Scheiden am Morgen
abends wieder heirathen. Wer treibt's derart? Etwa
ausgereifte und ältere Sünder und Wüstlinge? Mädchen
im zarten Alter. Wer ist verletzt? Die öffentliche Sitt-
lichkeit. Aber, besitzen denn die Griechen nicht die 7
heiligen Sakramente? Allerdings! Glauben sie nicht an
Himmel und Hölle? Freilich. Haben sie nicht die zehn
Gebote und das Evangelium? Auch das. Aber was
fehlt ihnen denn? Sie haben nicht den Alten im Vatikan,
in dessen Händen die Sittlichkeit der Menschen ihre
Sicherheit findet – und finden muß, Ja, ja, finden muß!
Sehet einmal! Das dl. Sakrament der Ehe ist eine
wahre Lebensfrage für die Kirche. Denn so lange Mann
und Weib dies hl. Sakrament nach Gottes Anordnung
empfangen, können sie aller Tröstungen der hl. Religion
bis zum christlichen Begräbniß und zum Opfer für die
Abgestorbenen theilhaftig werden; sollte die Jugend so ver-
[93] dorben werden, daß sie von keinem sakramentalen Ehever-
trag etwas wissen wollte, müßte diesen Unglücklichen, so
lange sie in diesem Elende bleiben, jedes heilige Sakra-
ment, jede Segnung verweigert werden.
Und woher endlich die Priester nehmen? Oder soll
ans den Sümpfen des Unglaubens und der Greuel aller
Art ein jungfräuliches Priesterthum emporblühen? Was
ist daher dieser Weltkampf um das hl. Sakrament der
Ehe? Der Kampf um Sein oder Nichtsein der Kirche.
Daher muß sie die unbesiegbare Beschützerin dieses hl.
Sakramentes sein und bleiben. Denn wie die ganze Kirche
unerschütterlich fest begründet ist auf den hl. Petrus und
seinen Nachfolger, auf den Alten im Vatikan, so ruht
sicher gegen alle Gewalt der Welt und der Hölle in der
päpstlichen Hand die Sittlichkeit der Menschen mit der
Heiligkeit der sakramentalen Ehe. Wie dann die Päpste
von jeher für die Heiligkeit der Ehe gekämpft haben, will
ich später einmal auseinandersetzen. Denn dieser Kampf
ist so großartig, daß man unwillkürlich ausruft: ‘„Wahr-
haft der Papst, dieser Alte im Vatikan, muß der Statt-
halter Jesu Christi des großen und wahren Gottes sein.“’
Ihr aber bewahret mit der Gnade diesen Glauben
unverfälscht und rein; empfehlet euch dem Schutze der hl.
Familie, daß ihr bei der jetzigen Verwirrung aller Begriffe
doch nicht vom Irrthum angesteckt werdet. Wachet und
betet; denn auch über euch kann die Versuchung der ent-
fesselten Leidenschaft hereinbrechen. Beobachtet einerseits
die Verfügungen der weltlichen Gesetze; denn das könnt
ihr mit ruhigem Gewissen thun; anderseits aber sucht die
Gnade Gottes, wo sie zu finden ist, in Christo und seiner
Kirche; denn sonst wäre euere Verbindung vor Gott keine
Ehe, sondern ein trauriges Sündenleben, der Vorbote
ewiger Verdammniß. Wenn ihr so nach dem Beispiel
unserer Väter vor Gott und der Kirche den gnadenreichen
[94] Ehebund abschließet, dann wird euere Ehe, wie die Ver-
mählung Josephs (p. III. qu. 29 art. 1) mit Maria ein
Vorbild der Verbindung Christi mit seiner Kirche war,
in der Nachfolge der hl. Familie ein Abbild der gleichen
Verbindung werden, bis ihr den göttlichen Heiland für
die Wunder seiner Liebe und Weisheit im Himmel loben
und preisen könnet.
XI.
Die christliche Ehe ist unauflöslich.
Ihr wisset nun wie die Ehe derart ein Sakrament
ist, daß sie unter den Gläubigen notwendig ein Sakrament
sein muß, und wenn das nicht der Fall, daß sie nur ein
verabscheuungswürdiges Conkubinat d. h. ein unzüchtiges
Zusammenleben ist.
Ihr habet nun die vollste Freiheit, euch zu verehe-
lichen oder nicht; aber nach Eingehung der Ehe liegt es
auch in euerer Hand, dieselbe wieder aufzulösen, wie etwa
einen weltlichen Vertrag? Bei weitem nicht. Denn wie
ihr diese von Gott hergestellte Verbindung des Leibes mit
der Seele nicht durch Selbstmord auflösen dürfet, ebenso
wenig dürfet ihr dies vom dreieinigen Gotte geschlungene
Eheband eigenmächtig zerreißen. Beides müßt ihr Gott
überlassen, der dem Tode diese Aufgabe gegeben hat. So
will ich denn die Glaubenslehre von der Unauflöslichkeit
der christlichen Ehe in folgenden zwei Punkten behandeln:
1) Die Ehe ist nach Gottes Anordnung unauflöslich,
2) und zwar zum Wohle der Menschen.
Betrachtet vor allem die Ehe in ihrer Einsetzung durch
Gott. Denn die Natur der Dinge wird am leichtesten in
ihrem Ursprunge erkannt. Gott erschuf nur zwei, Mann
[95] und Weib. Also darf der Mann nur ein Weib haben
zur unauflöslichen Lebensgesellschaft. Denn diese zwei
sind Eins in einem Fleische, nachdem sie eins geworden
in gegenseitiger Liebe. Daher sprach Adam: ‘„Der Mensch
wird Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe an-
hangen und es werden zwei in einem Fleische sein.“’
Dies Urtheil Adams bestätigt Christus in jener Unterredung
mit den Pharisäern: ‘„Was Gott verbunden hat, soll der
Mensch nicht trennen.“’ Gott hat somit im Paradiese die
Ehe zu einem unauflöslichen Lebensbunde gemacht, daß
kein Mensch diese göttliche Ordnung stören darf.
Stellet euch dies erste Ehepaar einmal vor, so schön
so heilig, daß die Unschuld im Glanze der heiligmachenden
Gnade auch das Gewand ihres Leibes war; wo daher
noch keine Leidenschaft und keine Begierlichkeit sich fand,
da konnte diese Unauflöslichkeit auch mit keiner Schwierig-
keit verbunden sein. Als aber nach der Sünde das Gewand
der heiligmachenden Gnade von der Seele wie vom Leibe weg-
fiel und die Stammeltern in der Scham über die Erwachung
der Sinnlichkeit sich Schürzen machten, da waren allerdings
die Träger der Ehe andere geworden; aber die Unauflös-
lichkeit der Lebensgesellschaft blieb dieselbe. Aber hat denn
Gott nicht durch Moses den Juden erlaubt, der Frau
den Scheidebrief zu geben und eine andere zu heirathen?
Um einerseits diese Erlaubniß Gottes und anderseits das
Gesetz des neuen Bundes recht zu verstehen, betrachtet
nun jene berühmte Unterredung des Heilandes mit den
Pharisäern.
Diese kamen einmal, um ihn in einem Worte zu fangen.
Sie thaten deßhalb sehr fromm und frugen: ‘„Ist es einem
Manne erlaubt, sein Weib um jeder Ursache willen zu
entlassen?“’ (Math. 19, 3–9.) Betrachtet wohl diese Frage!
Die Pharisäer fragen nicht, ob der Mann aus dieser
oder jener Ursache, sondern aus jedem Grunde sein Weib
[96] entlassen dürfe. Auf diese Frage antwortet Christus.
Zuerst erzählt er die Schöpfung der Stammeltern, dann
die Rede Adams und schließt: ‘„So sind sie also nicht
mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was Gott verbunden,
soll der Mensch nicht trennen.“’
Aber hiemit waren die Pharisäer nicht zufrieden und
frugen weiter: ‘„Warum hat denn Moses befohlen, einen
Scheidebrief zu geben und das Weib zu entlassen?“’ Schon
glauben die Pharisäer, den Heiland als einen Feind des
Gesetzes ausposaunen zu können; allein die ewige Weisheit
welche durch Moses gesprochen, findet auch für diese
Heuchler die richtige Antwort: ‘„Moses hat euerer Herzens-
härtigkeit wegen euch erlaubt, euere Weiber zu entlassen,
aber im Anfange war es nicht so.“’ Im Anfange also
war der Ehebund unauflöslich; weil ihr aber so hart und
gefühllos wäret, hat euch Moses erlaubt, euere Weiber zu
entlassen, aber ja nicht jeder Ursache willen, wie ihr
glaubet, sondern nur wenn das Weib eine Ehebrecherin
geworden. Denn betrachtet nur was der Heiland beifügt:
‘„Ich aber sage euch, wer immer sein Weib entläßt, es
sei denn um des Ehebruches willen, und eine andere
heirathet, der bricht die Ehe, und wer die Geschiedene
nimmt, der bricht die Ehe.“’
Also um des Ehebruches willen, aber täuschet euch
da ja nicht. Das ist nur die Erklärung des mosaischen
Gesetzes, welches die Scheidung nicht jeder Ursache, sondern
nur des Ehebruches wegen gestattete; für den neuen Bund
gilt ein ganz anderes Gesetz, das der Heiland beim hl.
Lucas (16, 16 u. s. w.) feierlich verkündet. Ihr aber be-
haltet für diese Zeit der Verwirrung aller Begriffe, der
Auflösung aller Familienverhältnisse ein jedes Wort.
‘„Das Gesetz und die Propheten reichen bis auf
Johannes; von da an wird die frohe Botschaft des
Reiches Gottes verkündet, und jeder wendet Gewalt an,
[97] es zu erlangen.“’ Das Gesetz Moses mit der Erlaubniß
der Scheidung und Wiederverheiratung im Falle des Ehe-
bruches geht also bis auf Johannes den Täufer. Von
Johannes findet die Hartherzigkeit nicht mehr Nachsicht
sondern muß mit Gewalt überwunden werden.
Wie lautet daher für den neuen Bund das Ehegesetz?
Christus verkündetes allsogleich: ‘„Ein jeder, der sein Weib
entläßt und eine andere heirathet, der bricht die Ehe;
wer eine vom Manne Geschiedene heirathet, der bricht
die Ehe.“’ Wo ist da noch eine Ausnahme zu finden?
Ein jeder, der sein Weib entlaßt und eine andere heirathet,
der bricht die Ehe! Ein jeder, der eine Geschiedene
heirathet, der bricht die Ehe!
Wer sagt das? Kein Bischof, kein Papst, keine
katholische Kirche, sondern Christus der große und wahre
Gott, der Richter über die Lebendigen und Todten. Wer
hat das Gesetz aufgestellt? Kein Syllabus, kein Conzil,
sondern Christus, dem alle Macht gegeben ist im Himmel
und auf Erden. Ein jeder! Vergesset das nicht! Und
das ist nicht einmal das ganze Gesetz.
Denn beherziget nur, was Christus in seiner göttlichen
Vollmacht weiter verordnet. ‘„Ich aber sage euch, daß
ein jeder, der ein Weib mit Begierde ansieht, schon
die Ehe mit ihr gebrochen hat in seinem Herzen.“’
(Math. 5, 28). Auch da gebet wohl Acht auf jedes Wort.
Ein jeder! Wenn du also mit freiwilliger Begierde
auf andere hinschauest, was entschuldigt dich? Nicht
das Alter, nicht die Krankheit, nicht die Armuth, nicht
die Trunksucht, nicht der Zorn, ja nicht einmal die Untreue
deines Mannes oder deiner Frau. Ein jeder, eine jede,
eine jede, ein jeder!
Wenn aber diese freiwillige Begierde schon ein Ehe-
bruch, was erst die That, was erst nach der Scheidung
die Wiederverheirathung. Da erscheint der Ehebruch nicht
[98] mehr eine nur so vorübergehende That, sondern als blei-
bender Zustand, als ein öffentliches Aergerniß, das diese
Unglücklichen vom Empfange der hl. Sakramente, von der
kirchlichen Beerdigung ausschließt.
Oder glaubet ihr etwa, diese Worte Christi seien
nicht so aufzufassen? Wenn bei so viel Klarheit noch
irgend ein Zweifel möglich wäre, geben uns die hl. Apostel
die Erklärung. Was lehrt uns der hl. Paulus? (1 C. VII. 10.)
‘„Denen, welche verheirathet sind, gebiete nicht ich, sondern
der Herr, daß das Weib sich nicht vom Manne scheide.
Wenn sie aber geschieden ist, so bleibe sie ehelos oder ver-
söhne sich mit ihrem Manne.“’ Auch der Mann entlasse
sein Weib nicht. Aber was ist sie, wenn sie bei Lebzeiten
des Mannes sich zu einem andern gesellt? Eine Ehe-
brecherin. (R. VII. 3.)
Aber warum redet der hl. Paulus vom Scheiden,
wenn doch die Wiederverheirathung Ehebruch ist? Jenes
Scheiden löst nie und nimmer das Eheband, sondern
trennt nur zeitweise die Eheleute, wenn ihre Bosheit das
Zusammenleben zu schwierig macht.
Wie wird's aber den Ehebrechern in der Ewigkeit
ergehen? Bis zur Hölle geht ihre Sünde antwortet Job.
(XXIV, 8.) Denn die Ehebrecher werden das Reich
Christi nicht sehen, sondern ihr Antheil ist im Pfuhle, der
mit Feuer und Schwefel brennt, welches der andere Tod
ist. (Apac. XXI. 8.) Das ist die Anordnung Christi für
den neuen Bund, keine Macht der Welt kann nur einen
Buchstaben davon wegnehmen, so wenig als sie den Himmel
öffnen und die Hölle verschließen kann. Der Mensch mag
darüber spotten und lachen, oder auf ein menschliches
Gesetz gestützt über das Ehegesetz Christi sich hinwegsetzen;
– aber die Hölle brennt fort und weitet und tiefet sich
aus, um all' die Gräuelhaften, ob Männer oder Weiber,
ob Burschen oder Dirnen, ob Alte oder Junge in Feuer
und Schwefel zu verschlingen.
Wohl verkünde ich da ernste Wahrheiten, aber ich
muß es thun, im Auftrage dessen, der da spricht; ‘„Mir
ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, lehret
sie alles halten, was ich euch befohlen;“’ wohl verkünde
ich da erschütternde Wahrheiten, aber ich muß es thun
aus Mitleid mit jenen, welche sich scheiden lassen und sich
wieder verehelichen und so als Ehebrecher der Hölle ent-
gegentaumeln; wohl verkünde ich da furchtbare Wahrheiten,
aber ich muß es thun, aus Liebe zu Euch, damit ihr zur
Zeit der Versuchung nicht wanket, und auch andere vor
der Hölle bewahrt, ich muß es thun, denn diese Unauf-
löslichkeit der Ehe gereicht dem Menschen zum Wohle.
Wie die Unauflöslichkeit der Ehe zum Heile der Men-
schen gereiche, darüber kann ich natürlich nur die nothwen-
digsten Andeutungen geben. Nehmen wir zuerst diese jungen
Braut- und Eheleute. Von was liest man in den Ge-
schichten? Von ewiger Liebe. Von was reden diese Ver-
liebten? Von ewiger Treue. Was steht am Schluße so
vieler Briefe? Wieder ewige Liebe und Treue. Reden
sie etwa am Hochzeitstage von Scheidung und Wiederver-
heirathung nach einigen Jahren? Vor diesem Gedanken
schrecken sie zurück.
Was beweisen diese und ähnliche Erscheinungen?
Die eheliche Liebe kennt ihrer Natur nach nie und nimmer
eine Scheidung; nur in diesem Glauben ist sie glücklich
und zufrieden, lebt und erstarkt sie. Wer nun sichert
diese zarten Gefühle und diese heiligen Rechte der Natur?
Christus, wenn er nicht bloß die Scheidung und Wieder-
verheirathung verbietet, sondern sogar die ehebrecherischen
Blicke. Wie lange halten und arbeiten diese Eheleute im
Frieden zusammen? So lange das unauflösliche Band
in ewiger Treue sie umschlingt. Sobald aber die Leiden-
schaft erwacht und der Gedanke an die nur mögliche Schei-
dung und Wiederverheirathung lebendiger wird, dann öffne
[100] sich ein Riß, der sich ausklüftet, bis endlich Eltern und
Kinder im Abgrunde versinken.
Ja, ja, an die Kinder denket! Wenn noch unerzogene
Kinder am Grabe frühverstorbener Eltern weinen, das ist
überaus traurig, aber noch viel trauriger, wenn Vater
und Mutter nach der Scheidung wieder heirathen. Welche
nimmt der Vater, die Mutter verwünschend? Welche nimmt
die Mutter, dem Vater fluchend? Wie geht's diesen Würm-
chen in der neuen Haushaltung, wo nicht der Segen der
Ehe waltet, sondern der Fluch des Ehebruches haust?
Wie wird's diesen Kleinen nicht bei der Stiefmutter, sondern
bei der Ehebrecherin, nicht beim Stiefvater, sondern beim
Ehebrecher ergehen? Oder sollen die Gemeinden diese
Kinder in den Waisenhäusern versorgen? Wir sind durch
Christus und seine Kirche auf eine Höhe der Sitte gelangt,
daß wir von diesem Unglücke der Kinder uns jetzt noch
keine klare Vorstellung machen können.
Damit wir also diese Gesittung ja nicht verlieren,
haben wir den Kampf für die göttliche Rechtsordnung
heldenmüthig zu kämpfen, und den Sachen ihre wahren
Namen wieder zu geben. Denn Rücksicht ist hier nicht
Klugheit und Vorsicht, sondern Feigheit und Verrath. Rückt
nämlich der Barbar in voller Schlachtordnung heran, so
donnern ihm die schweren Geschütze entgegen, wenn auch
nervenschwache Personen darob klagen und lieber einen
sentimentalen Gesang hörten.
Gut, erwidert die Welt, aber wenn die erste Liebe
erkaltet, die Ehe unglücklich wird, die Leute sich nicht
trennen dürfen, oder nach der Scheidung nicht mehr hei-
rathen können, ist das nicht grausam und hart? Was ist
da zu antworten? So lange die Maschine mit ihrer
furchtbaren Triebkraft die Bahn einhereilt, ist alles in
Ordnung: sobald sie aber an einem festen Punkt anstößt,
oder über das Geleise fährt, werden die Verwüstungen
[101] furchtbar. So liegt auch in der Sinnlichkeit des Menschen
eine wilde Gewalt, und sobald sie die Schranken der
sittlichen Ordnung durchbricht, werden die Verwüstungen
grauenvoll. In dieser Beziehung schreibt Cardinal Massaia
der die Folgen der Ehescheidungen unter den christlichen
Sekten Abessyniens mit eigenen Augen gesehen: ‘„Wo
keine christliche Ehe, kann keine Familie sein; daher keine
Erziehung, keine Treue, keine Gerechtigkeit, sondern Eigen-
nutz, Unordnung, Barbarei und das schönste Land wird
ein Wald voll Räuber.“’
Soll nun Gott dem sinnlichen Menschen die Freiheit
lassen, durch die Befriedigung seiner Gelüste sich selbst
und andere in namenloses Unglück zu stürzen? – Des-
halb spricht er zum Menschen: ‘„Siehe, wenn du nicht
die Gnade hast, außer der Ehe jungfräulich zu leben, so
trete in den Ehestand: aber wenn du dennoch deine
Freuden anderswo suchen willst, so magst du für den
Augenblick nach deinen Gelüsten leben, aber für den Ehe-
bruch wirst du ewig in der Hölle jammern.“’
Dieser ewige Feuerwirbel allein vermag die Leiden-
schaft innert der Grenzen der sittlichen Ordnung zu bannen;
sobald ihr aber derselben Spielraum gewährt, greift sie
unbändig um sich. Wo daher Sitte und Gesetz die Zer-
reißung des Ehebandes gestatten, da nimmt das Uebel
furchtbar zu, lockert die Ehe und zerfrißt wie ein Krebs-
schaden Familie und Gesellschaft.
520 Jahre waren nach Erbauung Roms verflossen
als dort unter allgemeiner Mißbilligung die erste Schei-
dung vorkam. Bald jedoch nahm das Uebel derart über-
wand, daß Seneca schreiben konnte: ‘„Gibt es noch irgend
eine Frau, welche der Ehescheidung sich schämt? Sie
zeigen sich in der Oeffentlichkeit, um zu heirathen und sie
heirathen der Scheidung wegen. Man fürchtete dieselbe,
solange sie selten war, weil es aber keine Gerichtsverhand-
[102] lungen ohne Ehescheidung mehr gibt, so haben sie üben
gelernt, was sie so oft gehört.“’ (de benef. l. III. 16.) Die
Scheidung ist also kein Heilmittel für die Leidenschaft,
sondern nur ein fürchterliches Gift in die Wunde der
Familie und Gesellschaft.
Oder glaubet ihr etwa, unsere Zeit habe das nicht
zu fürchten? Kann es, wie Juvenal von den Römern
schreibt, heute keine Männer mehr geben, welche keine
Frau, sondern nur ein Gesicht suchen. Hat dieses drei
Runzeln, werden die Zähne dunkler und die Augen kleiner,
heißt es gleich: ‘„Schnüre das Bündelchen und geh'.“’
(Satyra 6, v. 142.)
Oder wird etwa die Leidenschaft die Schranken der
sittlichen Ordnung heute nicht so weit durchbrechen? –
Beherziget folgendes: Wenn auch das ganze öffentliche
Leben von Christus abgewichen ist, so zehrt es doch heute
noch von der Wahrheit und dem Geiste Christi, wie auch
der verlorene Sohn in Ausschweifungen die väterliche
Erbschaft verschleuderte. Aber wartet nur, bis dies christ-
liche Erbgut ganz aufgezehrt ist und mit ihm die letzte
Scham und Scheu verloren und das begierliche Fleisch
in den vollkommenen Besitz seiner vermeintlichen Rechte
gelangt ist, dann könnt ihr Dinge hören und sehen, daß
euch Sehen und Hören vergehen wird.
Schon vor 30 Jahren zählte man in Preußen jähr-
lich 5000 Ehescheidungsprozesse, ebensoviel gab es in den
Vereinigten Staaten Amerikas; schon vor 30 Jahren
bildeten sich dort Genossenschaften der freien Liebe, wo
man die Ehe nach Belieben schließt und auflöst und die
Kinder der Gemeinde übergibt: dort blüht die Sekte der
Mormonen mit ihrer Vielweiberei.
Doch was rede ich vom Auslande. Stehen wir nicht
vor der thränenreichen Thatsache, daß unser Vaterland in
Sachen der Ehescheidungen in wenigen Jahren alle andern
[103] Länder weit überholt hat. Schon vor fünf Jahren, also
während 14 Jahren unserer bürgerlichen Ehe waren
16331 Ehescheidungsklagen gerichtlich erledigt worden.
Darunter wie viele Urtheile auf gänzliche Scheidung?
13132. Also über 26,000 Geschiedene! wenn nun von
diesen nur 20000 wieder geheirathet haben! – Welch'
ein Abgrund von Elend und Zerüttung – von Sünde
und Gräuel! Wie weit mag seit den letzten 5 Jahren
die Wüste sich hinausgedehnt haben!
Wohl schlagen tiefer blickende Männer aller Richtungen
entsetzt die Hände ob den Häuptern zusammen und denken
auf Abhilfe; aber so lange nicht das Ehe- und Sitten-
gesetz Christi ganz und voll zur Geltung kommt, so lange
die Schule nicht wieder christlich geworden, geht Familie
und Gesellschaft nur schneller oder langsamer der Auflösung
entgegen. Denn die Leidenschaft betrachtet alle Zugeständ-
nisse nur als Abschlagsumme und ruhet nicht, bis sie end-
lich ohne Schranken schalten und walten kann.*)
Saget nun, ist es nicht eine außerordentliche Liebe
Gottes, daß er rundweg erklärt: ‘„Du darfst das Eheband
niemals zerreißen, du darfst bei Lebzeiten des andern
Theiles niemals heirathen und wenn du meiner Weltord-
nung dich nicht unterwirfst, wirst du nach einigen Augen-
blicken als Ehebrecher den ewigen Flammen übergeben.
Ist das nicht eine große Liebe und Güte Gottes!’
Aber, sagt man, diese lebenslängliche Verpflichtung
ist doch eine unerträgliche Last. Gut, sind wir nicht ver-
pflichtet, die Gebote lebenslänglich zu beobachten, sind
nicht oft schwere Kämpfe damit verbunden? Nehmet nur
arme Leute, welche das ganze Jahr armselig leben, viel-
leicht oft hungern, während vor ihren Augen die Reichen
im Ueberfluße schwelgen. Da nun sagt so ein hungriger
Mensch auf einmal: ‘„Ich halte es nicht mehr länger aus,
ich fühle einen unwiderstehlichen Drang, den Reichen zu
erschlagen, zu berauben.“’ Würden die Gerichte die Aus-
rede gelten lassen und den Mörder und Räuber freisprechen?
– Und dann soll der allheilige Gott der Ehebrecher
wegen sein Eyegesetz aufheben oder das höllische Feuer
auslöschen?
Endlich aber beherziget, was die hl. Väter lehren.
Unmögliches verlangt Gott nicht, und wenn er Schwieriges
auferlegt, gibt er die Gnade, es zu thun oder zu ertragen.
So hat Christus zwar die Unauflöslichkeit der Ehe wieder
hergestellt, aber dafür die Ehe auch zum hl. Sakramente
gemacht, damit die Eheleute die Kraft haben, bis in den
Tod einander treu zu bleiben.
Zum Schluße nur noch zwei Winke. Christliche
Jünglinge und Jungfrauen, nehmet euch in diesen Tagen
wohl in Acht, wem ihr die Hand zum ewigen Bunde
reichet. Wo nicht lebendiger Glaube, wo nicht tiefkatho-
lisches Leben sich findet, sondern nur diese armselige Bil-
dung, diese Manieren der Welt, nur ein bischen Geld
oder Gestalt oder Geschäft: da ziehet eure Hand recht-
zeitig zurück, wollet ihr dieselbe nicht verbrennen und viel-
leicht für immer und ewig.
Ihr alle aber, die ihr schon in den Ehestand getreten,
erneuert doch täglich die Gnade, welche durch das hl. Ehe-
Sakrament in euch ist; betet, daß Gott sie euch täglich
vermehre. Denn in dieser Zeit unerhörter Gräuel und
[105] Aergernisse kann auch über euch die Versuchung kommen,
auf der breiten Heerstraße zu wandeln. Mit jener sakra-
mentalen Gnade kämpfet die ersten Versuchungen und Ge-
danken und Begierden und Regungen siegreich nieder: so
wird euere Ehe ein Abbild der Vereinigung Christi mit
seiner Kirche zu euerem und euerer Kinder Heil.
XII.
Empfang des hl. Sakramentes der Ehe.
Die Ehe ist also nach der Anordnung Christi ein
sakramentaler Vertrag zwischen Mann und Weib zur un-
auflöslichen ehelichen Lebensgemeinschaft.
Man predigt so oft, wie man die hl. Sakramente
der Buße und des Altars zu empfangen habe. Das ist
heilsam und nothwendig; aber ebenso nothwendig und
heilsam ist die Predigt über den Empfang des heiligen
Ehesakramentes.
Weil nun dieser Gegenstand so wichtig und inhaltsreich,
kann ich denselben heute nur theilweise behandeln, aber
doch immerhin so, daß jedermann klar wird, wie die Braut-
leute mit hl. Scheu und Ehrfurcht im Tempel zu erscheinen
haben, um den Ehevertrag vor Gott und der Kirche ab-
zuschließen.
Denn dieser Vertrag ist heilig 1) an und für sich
2) in der sakramentalen Gnade.
Ich könnte mich sehr kurz fassen, der Ehevertrag ist
ein hl. Sakrament und zwar so, daß der hl. Thomas von
Aquin (in Ep. ad. Eph. C. V L. 10) dasselbe mit der Taufe
mit der Firmung und dem hl. Altarssakrament zu den vier
größten zählt.
Also ist auch der Ehevertrag heilig wie die übrigen
Sakramente. Weil es sich aber um eine Wahrheit handelt,
von deren genauen Kenntniß das zeitliche und ewige
Wohl Vieler abhängt, habet ihr ein Recht auf die volle
Entwicklung derselben, und diesem Rechte [entspricht] meine
Pflicht, die Wahrheit [lichtvoll] vor euer Auge zu stellen.
Nach der Anordnung der hl. Kirche, welche von Christus
zur Behüterin und Wächterin der Ehe bestimmt worden,
sollen die Brautleute vor ihrem Seelsorger und zwei
Zeugen die Ehe schließen, nur so ist unter Katholiken eine
rechtmäßige Ehe möglich. So erscheint ihr denn am Altare
Gottes vor dem Priester, um vor dem allmächtigen Gott
die Ehe einzugehen. Er ist euer Zeuge. Was fragt euch
der Priester am Altare? ‘„Ich frage euch jetzt vor Gott
dem Allmächtigen und allen Anwesenden.“’ (Rit. Rom. Sang.)
Welch' ein Wort! Vor Gott dem Allmächtigen, welcher
anwesend ist wie die Zeugen, welche ihr Gespiel nennet.
Was fragt der Priester den Bräutigam? Nehmet ihr
diese hier gegenwärtige Braut zu euerer [rechtmäßigen]
Ehefrau an und wollet ihr euch gegen dieselbe jeder Zeit
betragen, wie es Gott in seinem hl. Gesetze befohlen hat?
Aehnlich fragt er die Braut in Bezug auf den Bräutigam;
vor wem? Vor dem dreieinigen Gotte, und ihr ant-
wortet: ‘„Ja“’ und reichet einander die Hand zum ewigen
Bunde! Vor wem? Vor dem dreieinigen Gotte und
seinem Gesalbten Jesus Christus. Sobald beide dies ‘„Ja“’
vor dem allmächtigen Gotte ausgesprochen habet ihr auch
das hl. Sakrament der Ehe empfangen.
Was nun ist die nächste Folge hievon? Der hl.
Paulus antwortet: ‘„Das Weib hat keine Macht über
ihren Leib, sondern ihr Mann. Ebenso hat auch der
Mann kein Recht über seinen Leib, sondern das Weib.“’
(I Corr. VII, 3.) Was will das sagen? Der hl. Chry-
sostomus erklärt diese Stelle wunderschön. (H. XIX, in
[107] I. C. VII, u 1) ‘„Keines ist Herr über seinen Leib, sondern
in dieser Beziehung Unterthan des andern.“’ Will dich
daher eine Person zum Ehebruche verführen, so sage ihr:
‘„Das ist nicht mein Leib, sondern der gehört der Gattin.“’
Wollen dagegen Männer die Keuschheit der Frau zum
Falle bringen, soll sie antworten: ‘„Dieser Leib gehört
nicht mir, sondern dem Manne.“’
Aber wie ist das möglich? Wie könnet ihr gegen-
seitig zu solchen Hoheitsrechten gelangen? Gehört denn
der Leib durch die Erschaffung, durch die Erlösung, durch
die Heiligung nicht dem dreieinigen Gott? Freilich. Aber
wie kann denn der hl. Chrysostomus sagen: Der Leib des
Weibes gehört dem Manne, er hat ein hl. Recht darauf?
Hat er etwa zu viel gesagt? – Er hat die reinste Wahr-
heit ausgesprochen; aber eine Wahrheit, welche die Braut
wie die Eheleute mit Furcht und Zittern erfüllen soll.
Sehet einmal! Ihr erscheinet am Altare nicht bloß
um unter euch vor Gott einen Vertrag zu schließen, sondern
sogar mit dem dreieinigen Gott. Wie so? ‘„Siehe,“’
spricht gleichsam Gott zum Bräutigam, ‘„siehe, der Leib
dieser Braut gehört mir, ich habe ihn erschaffen, gebildet;
er gehört meinem göttlichen Sohne, der ihn mit seinem
Blute erlöst und erkauft hat; er gehört dem hl. Geiste,
der ihn schon bei der hl. Taufe zu seinem Tempel geweiht
hat: Du hast bis jetzt Ehrfurcht und Scheu vor ihm ge-
habt, um ja nicht unser göttliches Eigenthumsrecht irgend
wie zu verletzen; aber siehe von jetzt an trete ich dir von
unsern Hoheitsrechten so viel ab, daß diese Braut die
Mutter glücklicher Kinder werden kann,“’ Aehnlich sagt
der allmächtige Gott zur Braut, um ihr das entsprechende
Eigenthumsrecht über den Leib ihres Bräutigams abzu-
treten. ‘„Aber so haben wir jene Handlungen nie aufge-
faßt.“’ Mag wohl sein. Denn je weniger wir nach dem
Beispiele der Väter den Rosenkranz andächtig beten und
[108] tiefer betrachten, und je mehr wir fade Bücher und
Schriften und Blätterchen durchlesen, desto gedankenloser
werden wir Tag für Tag. Aber ob wir daran denken
oder nicht, das ändert die Sache nicht, setzt uns
aber der Gefahr ewiger Verdammniß aus. Gott tritt
also Rechte ab, – das ist die eine Seite des Ver-
trages. Wo ist die andere? Der allmächtige Gott fragt
euch durch den Priester: ‘„Wollet ihr nach meiner Anord-
nung die Ehe eingehen? Wollet ihr vom Rechte, das ich
euch abtrete, nur nach meinen Geboten Gebrauch machen?“’
Und ihr antwortet? ‘„Ja!“’ Was heißt das? Wir wollen
einander die eheliche Treue halten in allen Versuchungen,
wir wollen in aller Liebe bis zum Tode vereinigt bleiben
wie Christus mit seiner Kirche verbunden ist; wir wollen
in ehelicher Keuschheit miteinander leben, wie es Kindern
der Heiligen geziemt; wir wollen unsere Kinder als Glieder
der einen hl. katholischen Kirche für den Himmel erziehen.
Das ist die andere Seite des Vertrages, den euere
Schutzengel für euch unterschreiben; er bleibt aufbewahrt
für den Gerichtstag, um einst im Himmel euere Freude
zu sein oder – was Gott verhüten möge – in der Hölle
das ewige Feuer zu nähren.
Saget nun selbst, ist es noch auffallend, daß manche
Braut am Altare weint, oder ist es nicht vielmehr
unbegreiflich, daß nicht alle weinen? Doch was sag'
ich weinen? Warum nicht beben im Angesichte Gottes,
der dem Menschen feierlich Hoheitsrechte abtritt, um ihn
über deren Gebrauch bald zur Rechenschaft zu ziehen nach
dem Wortlaute des Vertrages? Welches Brautpaar sollte
nicht wie jener Zöllner weit hinten im Tempel stehen
bleiben, ausrufen: ‘„Herr, Gott, sei mir armer Sünder
gnädig!“’ Wer sollte nicht zittern? Der Gedankenlose,
der Leichtfertige, der Sinnenmensch, der Ungläubige –
aber ist das nicht wie ein Vorzeichen ewiger Verdammniß?
[109] – Wem sollte da nicht bangen? Es fürchtet der Gerechte;
aber er verzagt nicht: denn Gott erscheint nicht bloß,
diesen Vertrag mit den Brautleuten abzuschließen, sondern
auch ihnen reichliche Gnade mitzutheilen, denselben genau
und gewissenhaft zu erfüllen.
Nach der Lehre des hl. Apostel Paulus, nach der
einstimmigen Ueberlieferung der hl. Väter ist die christliche
Ehe das Abbild der Vereinigung Christi mit seiner Kirche.
‘„Wie daher Christus und die Kirche in ihrer Vereinigung
das Licht der Welt und das Salz der Erde sind, welcher
sie alle Wahrheit und Gnade vermitteln, so bringen Mann
und Weib in ihrer sakramentalen Verbindung in ihre
häusliche Welt ein übernatürliches Lebenselement, das auf
alle Verhältnisse des Familienlebens einen segensreichen
Einfluß ausübt. (Rive p. 113.) Was ist die Folge
hievon? Vom Altare aus führt in jede christliche Familie
ein dreiarmiger Gnadenstrom, solange er durch das Tod-
sündenleben der Eheleute in seiner Strömung nicht
gehindert wird. So wird die Herrlichkeit des Ehevertrages
durch den Gnadenreichthum vollendet.’
Um nun diese ebenso erhabene als trostreiche Wahr-
heit klar zu verstehen und für das Leben zu verwerthen,
betrachtet sie in jenem Lichte, welches der hl. Geist in der
Kirchenversammlung von Trient, über dieselbe so reichlich
ausgegossen hat.
Diese Gnade nämlich vervollkommnet und befestigt nach
der Lehre jener hl. Kirchenversammlung die natürliche
Liebe der Ehegatten. Ihr alle, die ihr nicht mehr in den
Tagen der Bekanntschaft lebet, wo die sinnliche Liebe in
ihrer Gewalt nur zu oft alle Schranken der Gebote durch-
bricht, ihr alle, die ihr schon Jahre lang im Ehestand
gelebt, wo Alter oder Mühsal oder Sorgen und Kummer
euch die Schönheit und Kraft der Jugend weggenommen,
wo ihr durch die gegenseitigen Leidenschaften und Sünden
[110] einander vielleicht oft überdrüssig werdet, nicht wahr, ihr
Alle wisset aus eigener Erfahrung, wie nothwendig ihr die
Gnade habet, um in der vertragsgemäßen Liebe auszu-
harren. Und diese Gnade wirkt heute noch ihre Wunder.
Alban Stolz (Wand und Sand S. 244) erzählt aus
der Neuzeit ein rührendes Beispiel. In einem Städtchen
Bayerns lebte ein kinderloses Ehebar. Beide konnten bei
schönem Vermögen glücklich sein; allein der Mann, ein
Trunkenbold, beschimpfte und mißhandelte im Rausche sein
braves Weib. Anfänglich machte die Frau bescheidene
Vorstellungen. Alles umsonst. Nachher schwieg sie als
fromme Dulderin. Eines Sonntags kam der Mann voll-
getrunken heim, fing an sein Weib zu schlagen, an den
Haaren zu zerren, auf sie einzuschlagen, bis das Blut in
Strömen floß. Das Opfer schwieg; aber desto lauter
schrie die Blutlache. Erschüttert fällt der Mann vor der
totschwachen Frau in die Knie mit den Worten: ‘„Verzeihe
mir, ich will alles thun, was du nur verlangst.“’ Die
Frau, sobald sie wieder reden konnte, antwortete: ‘„Lieber
Mann, Alles sei dir verziehen; nur um das eine bitt' ich
dich; gehe mir nicht mehr in das Wirthshaus; ich will dir,
soviel dir beliebt Getränke bringen; wir wollen uns gewiß
gut miteinander unterhalten.“’ Von jenem Augenblicke an
lebte der Mann, wie er vor dem allmächtigen Gott am
Altare versprochen hatte.
Wer nun konnte dieses Weib in jener Liebe erhalten
welche nicht bloß keine Gegenliebe empfängt, sondern nur
Schmähung und Schläge, und welche dabei nicht klagt,
und murrt, sondern betet, leidet, schweigt? Die Gnade
des hl. Sakramentes hielt diese Liebesflamme hoch über
vielen Wassern. Wenn auch solche Wunderbeispiele viel-
leicht etwas selten, wie viel tausend und abertausend
gewöhnliche!
Sehet nur! Die Schönheit verbleicht, das Alter
[111] kommt; aber die Liebe bleibt; die Kraft verschwindet, die
Schwäche tritt ein, aber die Liebe bleibt; die Gesundheit
flieht, Krankheiten kommen, aber die Liebe bleibt; die ersten
Monate, wo man nur Vorzüge sah, die ersten Jahre, wo
Kummer und Sorgen noch nicht so groß, sind vorbei; es
kommt die Zeit, wo die beiderseitigen Schwächen und
Leidenschaften mit ihren Unbilden offenbar und lästig
werden, wo mit der Zahl der Kinder auch die Kümmer-
nisse wachsen; aber die Liebe bleibt und wird inniger.
Wie wollt ihr mir dies alles erklären? Die Gnade
Gottes hat am Altare die Natur und die Liebe verklärt.
Und damit auch die Unauflöslichkeit der Ehe und die
eheliche Treu befestigt. Das ist die zweite Gnade. Auch
diesen Segen könnt ihr im katholischen Volke betrachten.
Denn die Unauflöslichkeit der Ehe wird mitten unter
tausend Irrthümern nicht nur geglaubt, sondern auch
mitten unter großen Versuchungen treu festgehalten. Warum
gibt es so wenige Katholiken, welche bei Lebzeiten des
andern Theiles wieder heirathen. Doch, was sage ich,
Katholiken? Nein, die meisten dieser Unglücklichen sind
kaum dem Namen nach katholisch – und haben wohl
schon bei der ersten Heirath Fluch und Unsegen sich auf-
geladen. Des ist eine Wahrheit, welche viel zu wenig
gepredigt und von einer Großzahl sonst guter Katholiken
entweder nicht gewußt, oder nicht recht verstanden wird.
Deshalb wollen wir dieselbe das nächste Mal näher be-
trachten. Also weiter. Wenn auch die eheliche Treue viel-
fach verletzt werden mag, warum nicht viel mehr? Warum
sind viele Eheleute von derartigen Versuchungen ihr ganzes
Leben lang vollkommen frei? Warum überwinden andere
die heftigsten Versuchungen wie Susanna im Garten?
Und wenn manche fallen, warum stehen sie bald wieder
auf, um ihr ganzes Leben hindurch Buße zu thun?
Alles kommt voll der Gnade des hl. Sakramentes. Wenn
[112] ihr daher dieselbe nur recht gebrauchet, so könnet ihr nicht
bloß in unverletzter Treue und Liebe bis zum Tode aus-
harren, sondern in euerem Stande sogar heilig werden.
Denn sie ist endlich gegeben, euch zu heiligen. Denn
dies hl. Sakrament vermehrt die heiligmachende Gnade
und gibt das Recht auf alle jene Gnaden, welche die
Eheleute für ihre Heiligung nothwendig haben. Denn
das vergesset doch nie! Wir sind nicht auf der Welt, um
in diesen oder jenen Stand einzutreten, sondern um Gott
zu dienen und dadurch ewig selig zu werden. Die ein-
zelnen Stände sind für uns nur Mittel, die ewige Selig-
keit im Dienste Gottes zu erlangen So treuet ihr auch
in den Ehestand, um Gott zu dienen, und euch zu
heiligen. Wenn aber mit diesem Stande viele und
große Gefahren und Versuchungen und Mühseligkeiten und
schwere Pflichten verbunden, so gibt euch Gott am Altare
alle jene Gnaden, die nothwendig sind, jene Gefahren zu
bestehen, jene Versuchungen zu überwinden, jene Mühselig-
keiten zu tragen, jene Pflichten zu erfüllen. Diesen Triumph
der Gnade könnt ihr immer noch in so vielen christlichen
Familien betrachten. Die Mutter fürchtet nicht den Kinder-
segen, nährt sich kümmerlich, daß die kleinen weniger
darben; arbeitet bei Tag; bei Nacht wacht sie beim kleinsten;
sie vergißt ihre Schmerzen in der Sorge für den Gatten
und die Kinder; sie steht mit Maria unter dem Kreuze
voll Geduld und Zufriedenheit, in Gebet und Flehen.
Und wenn auch die Ungeduld sich regt, und der Mißmuth
sie niederbeugen will – sie betet, und von der Gnade
gestärkt steht sie wieder auf. Sie ist noch nicht vollkommen,
aber auf dem Wege der Vollkommenheit. Der Vater
arbeitet im Schweiße seines Angesichts, für den Haushalt
zu sorgen, er kennt nicht die Wirthshäuser, sondern Kirche
und Familie; er wartet nicht bis Ostern die hl. Sakra-
mente zu empfangen, sondern von Zeit zu Zeit stärkt er
[113] sich mit dem Brote des Lebens; in der Familie, um mit
dem hl. Augustin zu reden, waltet er wie ein Bischof und
Lehrer: so wachsen die Kinder auf als Lieblinge Gottes,
mit der Aussicht, eine fromme, sittsame Jugend zu werden.
Das ist der Triumph der Gnade, welche Jesus Christus am
Altäre Euch verliehen hat durch das hl. Sakrament der
Ehe und immerdar in euere Familie fortströmen läßt.
Also welch' ein feierlicher Augenblick, wo ihr das hl.
Sakrament empfanget. Ihr erscheint vor Gott dem All-
mächtigen, der nicht bloß Zeuge ist, wie ihr den Ehebund
miteinander schließet, wo er euch einen Theil seiner Hoheits-
rechte abtritt, ihr aber versprechet, dieselben heilig zu gebrau-
chen. Endlich gibt er euch die Fülle seines Segens und
seiner Gnade, um nach seinem Gesetze im Ehestande zu
leben und denselben zu einem treuen Abbild der Vereini-
gung Christi mit seiner Kirche gestalten zu können.
Wenn auch aus dieser einzig wahren, und deshalb
so großartigen Anschauung der Ehe die Folgerungen für
das Leben gegeben zu sein scheinen, so muß ich doch deren
tiefere Entwicklung noch kurze Zeit verschieben; für heute
sage ich nur den Eheleuten: Ihr Alle, die ihr einst am
Altare nicht den Unsegen, sondern die Gnade des heiligen
Ehesakramentes empfangen habet, betet demüthig mit dem
Zöllner: ‘„Gott sei mir armen Sünder gnädig, vermehre
uns Tag für Tag die sakramentale Ehegnade, damit unsere
Familie immer mehr die Kirche im Kleinen werde, schön,
herrlich, rein, unbefleckt in allen Gliedern, um bald ganz
in's himmlische Jerusalem versetzt zu werden.“’
XIII.
Das Hochzeitsgewand der Brautleute
am Altar.
[114]Ihr wisset nun, wie Christus der Herr in seiner
wunderbaren Güte die Ehe zu einem überaus gnadenreichen
Vertrag gemacht, um die Eheleute zu heiligen und ihren
Bund zu einem Bild seiner Vereinigung mit der Kirche
zu machen. Ist dies Wunder für brave Eheleute nicht
wie ein Unterpfand der ewigen Seligkeit?
Ich sage für brave Eheleute. Denn wollen die
Brautleute jenen Gnadenreichthum erhalten, müssen sie vor
dem Altare im Hochzeitsgewand der hl. Gnade erscheinen,
wenn sie aber bei den vielfachen Gefahren der Gegen-
wart, wie jener Geladene im Evangelium, ohne hochzeit-
liches Gewand erscheinen, ist nur Unsegen und Fluch ihr
trauriger Antheil.
Ich sage also zuerst, um die Gnade des hl. Sakra-
mentes zu empfangen, müssen die Brautleute im Hochzeits-
gewand der hl. Gnade erscheinen. Es geht da nämlich
ungefähr wie bei jenem Hochzeitsmahle, das der König
seinem Sohne bereitete. Dieser König tritt in den Fest-
saal, sich die Gäste anzuschauen; wer hochzeitlich bekleidet
ist, darf an die reichbesetzte Tafel sich setzen, die andern aber
werden gebunden und in die äußerste Finsterniß hinaus-
geworfen.
Wenn ihr nun diese irdische Hochzeit feiert, seid ihr
auch eingeladen, am reichbesetzten Gnadentische des Herrn
zu erscheinen und euch dort für euer ganzes eheliches Leben
zu stärken – aber wie gekleidet? –
Auf den Hochzeitstag bereitet ihr das schönste Kleid;
Die Armen thun mehr als ihre Noth erlaubt; die Reichen
treiben's weiter, als der christliche Anstand es gestattet.
Aber seid oder waret ihr auch alle so bekümmert um das
hochzeitliche Gewand der Seele? Ihr erscheint vor dem
allmächtigen Gott, aber wie gekleidet? Ihr schließet mit
ihm einen Vertrag, aber wie gekleidet? Ja, wie gekleidet!
Da müßt ihr nothwendig im Hochzeitsgewand der heilig-
machenden Gnade erscheinen.
Was ist also durchaus nothwendig? Daß ihr wenigstens
frei seid von jeder schweren Sünde. Entweder müßet ihr
an den Altar treten mit dem unbefleckten Taufgewand der
Unschuld oder, wenn ihr dasselbe durch Todsünden ver-
unreiniget habet, es zuerst reinigen im hl. Sakramente
der Buße. Oder saget einmal, wenn die Braut am Hoch-
zeitsmorgen in einem befleckten und zerissenen Kleide mit dem
Bräutigam gehen wollte, würde dieser nicht als beschimpft
und verhöhnt sich ansehen und die Braut von sich stoßen?
Wer wollte ihm nicht Recht geben? Doch so frech und
ausgeschämt ist keine.
Gut. Aber wo ist unsere Ehrfurcht, wenn es sich um
den allmächtigen Gott handelt, oder darf man vor ihm
sündenbefleckt in Abscheu und Greuel erscheinen? Was
würde und müßte er euch sagen? ‘„Freund, wie bist du
hereingekommen ohne hochzeitliches Gewand? Bindet ihm
Hände und Füße und werft ihn hinaus in die äußersten
Finsternisse, da wird Heulen und Zähneknirschen sein.“’
Was will das in diesem Falle sagen? Gebunden mit den
Ketten der Sünden, ein Sklave Satans bedeckt mit dem
Unrath der Greuel wagt er vor mir zu erscheinen, das hl.
Sakrament zu entweihen. Noch dunkler und schwärzer
sollen die Finsternisse seiner Sünde werden, in dieser
Nacht soll Unglück und Elend sein Ehebett umschweben,
bis er entweder aufrichtige Buße wirkt, oder wenn er das
[116] nicht thun will, bis er von den ewigen Finsternissen ver-
schlungen wird.
Also frei von jeder Todsünde sollen die Brautleute
am Altare erscheinen; das ist durchaus nothwendig, um
die Gnade des hl. Sakramentes zu empfangen, aber noch
nicht genug, um dessen ganzen vollen Segen zu gewinnen.
Denn je reiner das Herz auch von läßlichen Sünden, je
schöner im Tugendglanze, je reiner die Absicht, mit welcher
ihr in den Ehestand tretet, desto reicher die Gnadenfülle,
welche euch zu theil wird. Aber warum glaubet ihr
wohl, zählt die katholische Kirche so viele hl. Väter und
Mütter? Weil sie ebenso viele hl. Brautleute hatte.
Wer also immer in den Ehestand tritt, hat vor dem
Altar im Hochzeitsgewand der hl. Gnade zu erscheinen.
Wenn aber gar viele mit Sündenunrath bedeckt, dieses hl.
Sakrament empfangen und entweihen, ist das zwar über-
aus traurig und verhängnißvoll, aber bei den Gefahren
der Zeit nicht so auffallend. Ich will euch daher jetzt
auf die wichtigsten davon hinweisen, daß niemand wegen
Unkenntniß verloren geht.
Die erste Gefahr ist eine Jugend, welche man mehr
oder weniger in Gottvergessenheit verlebt, schon vor den
Tagen der eigentlichen Bekanntschaft. Ich rede da nicht
einmal von jener Frühreife, welche, sonst nur in südlichen
Ländern üblich, bei uns in Folge einer falschen Erziehung,
der Schulverhältnisse, in Folge der Genußsucht, der Kleider-
hoffahrt, der Lesewuth, der Aergernisse in und außer der
Familie, wenn nicht früher, doch mit dem 13. und 14.
Jahre immer häufiger zu werden beginnt; also das will
ich nur angedeutet haben; aber schon mit dem 14. und
15., gar oft mit dem 16. und 17. Jahre wird der Glaube
schwächer, die Andacht, der Gehorsam, die Zucht nimmt
ab; das tägliche Gebet hört auf, die hl. Sakramente
werden vernachläßiget, die Warnungen und Bitten der
[117] Beichtväter verachtet, der Gottesdienst wird unterlassen,
die Christenlehre versäumt, man geht in leichtfertige Ge-
sellschaften, schwärmt bei Nacht herum, ergibt, sich der
Eitelkeit, der Gefallsucht, der Genußsucht, zu wüsten Reden
in und außer den Geschäften kommen wüste Thaten. Die
Sünde wird oft Gewohnheit, bevor man nur recht sündigen
kann. Wenn dann solche Leute eine Bekanntschaft anfangen,
wie wird das enden? Am Hochzeitstage nur zu oft mit
einem dreifachen Gottesraube und vielleicht mit der ewigen
Finsterniß in der Todesstunde.
Doch setzet den Fall, die Jugend vor der Bekannt-
schaft sei nicht so böse, vielleicht sogar gut verlebt, zu was
wird das Verhältniß führen? Wenn es nicht als hl.
Ehrensache der Familie gehalten wird, gestaltet es sich zu
einer langen und schweren Sündenkette. Denn wie ein
mit dem Leben erfahrener Gelehrter bemerkt ‘„alle Entschul-
digungen und Beschönigungen helfen da nichts; das ist
Flittergold, welches einen Abgrund von Sünden und Un-
sittlichkeiten verhüllt.“’ (Rive, Ehe, S. 36.) Das nun ist
freilich aller Thränen werth, aber noch lange nicht das
Traurigste. Denn wie beichten solche Leute, wenn sie zur
Seltenheit noch gehen? Verschweigen sie nicht oft ihre
Sünden, oder ihren wahren Zustand? Und wenn sie noch
aufrichtig sind, verabscheuen sie ihre Sünde? Und wenn
sie noch irgend welche Neue aus Furcht vor der Hölle
haben, wie steht's mit dem Vorsatze und dem ernstlichen
Willen, die böse Gelegenheit zu fliehen und nie mehr
allein beieinander zu sein? Dieser mag unter hundert
Fällen wohl neunzig mal fehlen. Und die Folge? Der
Empfang der hl. Sakramente der Buße und des Altars
wird zum Gottesraub und ein Abgrund ruft dem andern.
Nach einem, zwei, drei oder noch mehr Jahren eines
so traurigen Lebens folgt endlich der Hochzeitstag, wo die
hl. Sakramente wieder empfangen werden sollten. Es ist
[118] allerdings wahr, die nächste Gelegenheit zur Sünde hört
jetzt auf; denn diese Leute dürfen und müssen jetzt allein
mit einander arbeiten und wohnen; aber ist damit alles
schon in Ordnung? – Nein. Denn deswegen ist die
Beicht noch lange nicht aufrichtig, sondern die Sünden
können doch verschwiegen bleiben; deswegen ist die wahre
Reue doch ein schweres Stück Arbeit, welche diesen leicht-
fertigen Seelen nicht so leicht gelingt. Denn was Jahre
lang ihre Freude war, jetzt als größtes Unglück von
Herzen verabscheuen und hassen – ist doch kein Kinderspiel.
Was nun ist nur zu oft die Folge hievon? So er-
scheinen diese Unglücklichen am Altare ohne hochzeitliches
Gewand, im veralteten Unrath aller nur möglichen Sünden
und Ausschweifungen. Diesen nun, welche bis anhin in
die Hoheitsrechte Gottes eingegriffen, jetzt ohne Reue über
so viel Greuel frech vor ihm erscheinen, was muß diesen
der höchste König Himmels und der Erde sagen? ‘„Freund,
wie bist du ohne hochzeitliches Kleid hiehergekommen?
Hinaus in die äußerste Finsterniß!“’
Welch' ein Hochzeitstag mit einem dreifachen Gottes-
raub! Nach der ungültigen Beicht, nach der gottesräu-
berischen Communion wird noch das hl. Sakrament der
Ehe entweiht. Mit einem dreifachen Gottesraube beginnt
man den Ehestand, und Jahr und Jahrzehnte schleppt
man vielleicht diesen Fluch durch's Leben, nimmt ihn viel-
leicht mit hinüber in die unglückliche Ewigkeit. Wenn es
dann so manche Ehe gibt, ohne Frieden, ohne Treue, ohne
Segen, ohne Glück; so manche Ehen, wo die Gatten sich
das Haus in eine Hölle verwandeln, wo die Kinder miß-
rathen, wo ein Unstern über allem zu walten scheint, so
hat dies Alles in dieser Entheiligung der hl. Sakramente
nur zu oft seinen Grund.
Deshalb bitte ich euch Alle, die ihr schon im Ehe-
stande seid, fragt euch doch: ‘„Wie erschienen wir vor
[119] dem Altare? Nahmen wir die Jugendsünden mit in den
Ehestand? Lasten sie heute noch auf uns?“’ Wenn ja,
thuet jetzt Buße, thuet sogleich Buße, um wenigstens jetzt
noch den Gnadenreichthum des hl. Sakramentes der Ehe
zu empfangen.
Das ist nun eine Gefahr, welche die Menschen immer
mehr oder weniger bedroht hat. Aber heute kommt eine
zweite.
Da ist z. B. wenigstens dem Namen nach ein katholisches
Brautpaar. Die Braut hat vielleicht noch ein bischen
Glauben, hat bisher um die Uebungen der Religion
wenigstens äußerlich noch ein wenig sich bekümmert; der
Bräutigam ist längst ganz über den Glauben hinaus; vom
Gottesdienst ist bei ihm keine Rede mehr. Was gilt ihm
und vielleicht auch ihr die kirchliche Ehe? Ist das eine
übliche Sitte? Ist's Heuchelei, ist's Kommödie? Oder
etwa Poesie zur Prosa der Civilehe? Möglich, daß es
etwas von allem ist. Was thun? Man geht vielleicht
noch in den Beichtstuhl, nicht um die Verzeihung der
Sünden zu erhalten, sondern eine Formalität zu erfüllen;
man erscheint am Altar, nicht um Gnade zu erhalten,
sondern um der nun einmal noch üblichen Sitte nachzu-
kommen. Der Priester empfängt das Versprechen der
Brautleute, spricht die Worte des Segens über sie; die
Feier ist beendet; das junge Ehepaar geht aus der Kirche
mit dem entweihten Segen, der sich in einen Fluch ver-
wandelt, geht aus der Kirche zu den Freuden des Hoch-
zeitsmahles, da ist alles fröhlich und heiter, Toaste voll
Schmeichelei und Segenswünsche fallen, die Musik spielt
fröhliche Weisen, aber die Schutzengel trauern. Und mit der
Gesellschaft frohlockt – wer? Der Erzfeind alles Guten und
Freund alles Bösen. Wenn dann später in solchen
Familien mancherlei Unglücke, der Ehebruch einzieht, wenn
vielleicht Scheidung und Wiederverheiratung erfolgt, ist
[120] das noch auffallend oder leicht erklärbar? Diese Ge-
fahr wird um so drohender, je mehr die religiöse Gleich-
gültigkeit und der eigentliche Unglaube ihre Verwüstungen
ausdehnt.
Endlich ist noch eine Gefahr. Wenn alljährlich die
Ehesatzungen verlesen werden, so höret ihr, wie die katho-
lische Kirche ihr Verbot der gemischten Ehe auf die über-
wiegenden Gründe der Religion, des Seelenheiles, des
ehelichen Glückes und der Erfahrung stützt. Wenn die
Brautleute das Versprechen ablegen, all' ihre Kinder ohne
Ausnahme im katholischen Glauben zu erziehen, so gibt
zwar die Kirche bei überwiegenden Gründen aber auch
dann nur ungerne Dispens vom Verbote. Warum
noch ungern? Diese Dispens kann nämlich die Natur
der gemischten Ehe nicht ändern, deren Uebelstände nicht
entfernen, ebensowenig als sie bei nahen Verwandtschafts-
graben die rächenden Gesetze der Natur aufheben kann.
Aber wie manche Söhne und Töchter, – sogar
fromm sein wollende, kümmern sich um diese Gesetze der
Kirche rein bichts? Warum sage ich fromm sein wollende?
Ob nämlich die Frömmigkeit der Töchter Schein oder
Wirklichkeit, Wahrheit oder Heuchelei, die gesunde Frucht
eines kräftigen Glaubens oder eine Seifenblase der Ge-
fühlsduselei, offenbart sich vor Allem, wenn es sich um
die Eingehung und Heilighaltung einer Bekanntschaft, um
den Abschluß der Ehe handelt.
Was geschieht aber, leider Gott nur zu oft, wenn
eine katholische Tochter mit einem Protestanten, einem
Stündler, einem Altkatholik sich verehelicht? Die katho-
lische Kindererziehung können oder wollen sie nicht ver-
sprechen. Dispens können sie nicht erhalten, aber geheirathet
muß doch sein – geheirathet. Ist das etwa eine Kleinig-
keit? Das ist nach den Entscheidungen der katholischen
Kirche eine Sünde wider den Glauben, und wer sie begeht,
[121] ist der Exkommunikation verfallen. Wollen solche Sünder
sich später mit der Kirche aussöhnen, so haben sie sich
zuerst ihrem Pfarrer zu stellen; dieser kann sie mit Voll-
macht des Bischofs von der Exkommunikation lossprechen
– und erst dann können sie beichten und die hl. Communion
empfangen.
Warum sage und betone ich das? Damit in Zukunft
sich niemand entschuldige, er habe diese Entscheidung der
katholischen Kirche nicht gewußt, und damit jedermann
wisse, welch' große Sünde er begehe, wenn er gegen die
Gesetze der Kirche eine Mischehe eingeht.
Kann mit dieser Sünde der Segen und die Gnade
Gottes im hl. Ehesakramente verbunden sein? Urtheilet
selbst im Lichte des Glaubens aber ja nicht im Dunkel
[religiöser] Gleichgültigkeit, nicht im Rausche der Leidenschaft.
Wenn daher ein großer Theil der Scheidungen und Wieder-
verheirathungen auf solche Mischehen fällt, ist das einer-
seits einem denkenden Katholiken nicht sonderbar, ander-
seits aber wieder ein schlagender Beweis für die Weis-
heit der katholischen Kirche, wenn sie ihre Stimme immer
lauter und ernster gegen die Eingehung solcher Ehen
erhebt.
Um aber die ganze Größe all' dieser Gefahren irgend
wie zu ahnen, müssen wir die Geschichte des Reiches
Gottes in ihrer ganzen Tiefe auffassen. Satan nämlich
war von jeher der geschworene Feind des menschgewordenen
Gottes, der uns erlöst hat, und da er ihn aus dem Throne
seiner Herrlichkeit zur Rechten seines Vaters nicht mehr
erreichen kann, so verfolgt er ihn in seinen Abbildern auf
Erden und besonders in der Ehe, dem Bilde der Mensch-
werdung und der Vereinigung Christi mit seiner Kirche.
Sobald daher der Sohn Gottes in seinem Reiche die Ehe
zu einem hl. Sakramente d. h. zu einer Quelle der Gnaden
erhebt, welche über Mann und Weib und Kinder sich er-
[122] gießen, so beginnt auch Satan in seinem Reiche sofort den
Kampf, um die Ehe zu entwürdigen, die Familie zu
verderben. Denn er weiß, daß nirgends größeres Unheil
gestiftet werden kann als hier, wo Natur und Gnade sich
so innig durchdringen und wo die ersten Anfänge des
menschlichen Daseins liegen. Daher suchte er von den
Tagen der Apostel an alle nur möglichen Irrthümer und
Gräuel wider die Heiligkeit der Ehe zu verbreiten. (Rive 201)
Was aber bis anhin mehr lose, mehr zerstreut, mehr ört-
lich war, das ist heute von einer kühnen, christusfeindlichen
Partei zum System erhoben, und wird von allen Dächern
verkündet, in allen Tonarten gesungen, vielerorts in den
namenlosen Gräueln der Prostitution geübt.
So wird dann kommen der Tag, wo in irgend einer
Weltstadt, in irgend einem Lande, unter dem Hohngelächter
Satans die letzten Spuren der Ehe verschwinden, wo das
Weib von der betagten Frau bis zum zarten Mädchen
herab heulen und wehklagen wird, wo unter der Herrschaft
des Schreckens und unter dem Schrecken der Unzucht flieht,
was noch fliehen kann, kommen wird der Tag, wo dies
reine Menschenthum für einige Zeit in Blut und Raub
und Schändung hausen wird wie die Brüderlichkeit vor
bald einem Jahrhundert in Frankreich. Denn im Abfalle
von Gott, im Hasse gegen Christus wird der Christ kein
Barbar wie der Heide – sondern grausamer, wilder als
Tiger und Hyäne.
So lange aber Satan die Greuel der Irrthümer noch
nicht mit der Macht des Sittenverderbens, noch nicht mit
den Thränen und dem Blute des schwachen Geschlechts
vollkommen verbinden kann, da bietet er alles auf, daß die
noch gläubigen Brautleute im Zustande der Todsünde das
hl. Sakrament entweihen und so ihr Haus auf Gottes
Fluch aufbauen.
Wem nun gelten diese ernsten und tiefen Wahrheiten,
[123] welche ihr heute gehört? Allen, aber nicht Allen auf die
gleiche Weise. Sie gelten euch, christliche Jünglinge und
Jungfrauen: fanget doch nie eine Bekanntschaft an, wo ihr
nicht nach den Vorschriften der hl. Kirche in die Ehe ein-
treten könntet; wenn ihr aber nach den Gesetzen der Kirche
Heirathen könntet, jedoch auf dem langen Wege zum Altare
das Taufgewand verlieren müßtet, so löset dieses Verhält-
niß gleich auf. Denn es ist für euch besser mit dem Taufkleid
unverheirathet in den Himmel zu gelangen, als totsünden-
befleckt in Gefahr zu sein, nach einer unglücklichen Ehe
vielleicht noch mit Kindern in die Hölle zu stürzen. Wenn
aber manche mich hören, welche vielleicht bis anhin traurig
gelebt und doch über kurz oder lang das hl. Sakrament
der Ehe empfangen wollen, so thuet Buße, aufrichtige
wahre Buße, – und von heute an begehet keine Tod-
sünde mehr.
Wem gelten diese Wahrheiten? All' jenen Eheleuten,
welche ohne Buße, ohne Reue mit ihren Jugendsünden
auch den Fluch Gottes in die Ehe gebracht haben. Thuet
Buße, thuet aber sogleich Buße, um wenigstens jetzt noch
den Gnadenreichthum der Ehe von Gottes Erbarmung zu
erhalten. Wenn euch aber die Sprache der Aufrichtigkeit
und der Reue fehlt, so lasset euch von der gnadenvollen
Mutter Gottes, von euern Schutzengeln und hl. Namens-
patronen zum göttlichen Heilande führen, damit er euch
die Zunge löse, und ihr dann im hl. Bußsakramente die
Sprache der Reue und der Aufrichtigkeit recht sprechet und
nach Verzeihung der Sünden der dreiarmige Gnadenstrom
in euere Familie hineinströme.
Wem gelten diese Wahrheiten? Allen – auch denen,
welche von der Ehe gar nichts wissen wollen und jung-
fräulich zu leben gedenken. Aber wie ist das möglich?
Ihr sollet es machen wie das Volk, das die Wunder
Christi immer weiter verbreitete: so sollet auch ihr diese
[124] Wahrheiten bei Zeit und Gelegenheit andern mittheilen;
ja ihr könnet leicht in Fälle kommen, wo ihr dieselben
nicht bloß Söhnen und Töchtern und Brautleuten, sondern
sogar Verheirateten zurufen sollet. Ob verheirathet oder
nicht, haben wir alle Gott zu danken für das heilige
Sakrament der Ehe und für die darauf gegründete christ-
liche Familie.
Ob verheirathet oder nicht, sollen wir zu Gott, der
seine Allmacht besonders durch Schonen und Erbarmen
offenbart, täglich beten: Er möge doch seine und seines
Gesalbten Feinde demüthigen, daß jene Tage des Blutes
und der Thränen nicht bloß nicht über uns, sondern über
gar kein Volk, über gar keine Stadt hereinbrechen, sondern
daß alle ein ruhiges und stilles Leben führen in aller
Gottseligkeit und Ehrbarkeit, und so nach dem Willen
Gottes zur ewigen Glückseligkeit gelangen.
XIV.
Die Ehe, ein Abbild der Vereinigung Christi
und der Kirche – eheliche Liebe und Treue.
Maria war mit Joseph, wenn auch in jungfräulicher
doch in wahrer Ehe vermählt. Diese Geheimnisvollste
aller Ehen behandelt jener große hl. Thomas mit der ihm
eigentlichen Klarheit und Tiefe au einigen Stellen seiner
unsterblichen Werte (p. III. q. 29; in Mth. E. I) und wenn
er nach den Gründen fragt, warum Maria mit Joseph
vermählt war, findet er auch einen in der Beziehung
dieser Ehe zur hl. Kirche; denn durch sie wird die
Kirche gleichsam vorgebildet; denn auch die Kirche ist
Jungfrau und mit einem Manne, mit Christus vermählt.
Wie nun die jungfräuliche Vermählung Marias mit
Joseph das Vorbild der Vereinigung Christi mit seiner
Kirche ist, so muß die christliche Ehe das Abbild jener
Vereinigung sein. So wird die Ehe zum großen Geheim-
niß in Christo und in der Kirche. Um dies Geheimniß
so weit nothwendig, recht zu verstehen, erkläre ich die
Epistel (Eph. V.) aus der Brautmesse und mache die ehe-
liche Liebe und Treue zum Mittelpunkt des Ganzen.
Betrachtet nun nach der Lehre des hl. Paulus die
gegenseitige Verbindung und Liebe Christi und seiner Kirche.
Christus ist das Haupt der Kirche, diese sein Leib. Er
selbst aber der Erlöser dieses Leibes. Er hat seine Kirche
geliebt und seinen Vater im Himmel durch die Mensch-
werdung gleichsam verlassen und verlassen seine Mutter
die Synagoge, um sich für seine Braut hinzugeben, die-
selbe in der Wassertaufe durch das Wort des Lebens zu
heiligen und sich dieselbe ohne Mackel und Mängel herr-
lich darzustellen. So hat er sich mit seiner Braut für
immer vermählt. ‘„Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis
an's Ende der Welt.“’ Ganz natürlich. Oder ist denn das
Haupt nicht dort, wo der Leib?
Die Liebe und Treue der Kirche zu Christus könnet
ihr wie mit leiblichen Augen sehen und betrachten. Sie
offenbart sich, wie der hl. Paulus schreibt, in Gehorsam,
in Unterwürfigkeit. Was hat die Kirche nur für die
Heiligkeit der Ehe bis auf diese Stunde schon gekämpft
und gelitten? Warum leidet sie heute so viel in ihrem
Oberhaupte, in ihren Bischöfen und Priestern, in so vielen
frommen Seelen? Warum fließt das Martyrblut ihrer
edelsten Kinder heute noch? Warum will sie lieber noch
weit mehr leiden, als mit der Welt und den Irrthümern
der Neuzeit sich aussöhnen? Warum? Die Braut
Jesu Christi liebt ihren Bräutigam so innig, so treu, daß
sie lieber alles leiden will, als ihren Blick nur irgendwie
[126] auf einen andern werfen oder nur irgendwie auf das Wort
eines andern hören. Sie kennt nur einen Bräutigam,
indem sie als Braut ganz aufgeht, nur ein Haupt, dem sie
als Leib ganz unterworfen ist. Das ist das Vorbild christ-
licher Ehe, welche diese geheimnisvolle Verbindung im
Leben darstellen soll, um so das große Geheimniß in
Christo und der Kirche zu werden.
Daher sagt denn der hl. Paulus, der Mann ist das
Haupt des Weibes, wie Christus das Haupt der Kirche;
aber wie die Kirche Christus unterworfen, so seien es die
Frauen den Männern. Männer, liebet euere Weiber, wie
Christus seine Kirche geliebt. Weiber, liebet euere Männer,
daß ihr ihnen gehorcht wie die Kirche Christo.
Männer liebet euere Weiber wie Christus seine Kirche
geliebt. Was suchte Christus? Nicht seinen Ruhm, nicht
seine Bequemlichkeit, nicht Genüsse, nicht Reichthümer –
sondern in Schmach, in Armuth, in Verachtung, in Blut,
in Wunden suchte er seine Braut; heiligte sie, um in ewiger
Vermählung bei ihr zu bleiben. Aber hat er denn selber
gar keine Freude? Eine unendliche; aber diese ist das
Glück seiner Braut und ihrer Kinder in der Herrlichkeit
des Himmels: seine Freude ist die Liebe, der Gehorsam,
der Opfergeist seiner Braut und ihre Mutterliebe zu all'
den Millionen Kindern, ihre Ausdauer, ihre Geduld in
zahllosen Leiden.
Männer liebet euere Weiber wie Christus seine Kirche
geliebt. Suchet also nicht euern Vortheil, nicht Geld,
nicht Genüsse, sondern einzig und allein das Wohl euerer
Weiber. Vergesset daher nicht die Worte des hl. Chry-
sostomus: ‘„Die Genossin deines Lebens, die Mutter
deiner Kinder, den Grund und die Gelegenheit jeglicher
Freude darfst du nicht mit Furcht und Drohungen an dich
binden, sondern mit Liebe und Wohlwollen. Deswegen
sei sie dir unterworfen, daß sie um so mehr geliebt werde.“’
(Chrys. in Eph. V.)
Wenn ihr nun gegen euere Weiber so gesinnt seid,
werden diese auch gegen euch sich verhalten, wie die Kirche
gegen Christus, daß euere Familien gleichsam die katho-
lische Kirche im Kleinen wird. Denn, christliche Frauen,
beherziget die Worte des hl. Chrysostomus: ‘„Deswegen
läßt euch Gott von den Männern geliebt werden, damit
ihr desto besser gehorchet.“’ Denn euch gilt das Wort:
wie die Kirche Christo unterworfen, sollen die, Frauen ihren
Männern unterthänig sein. Was ist denn dieser Gehorsam
der Kirche? Die zärtlichste Liebe, welche einerseits nichts
fürchtet, als durch Ungehorsam ihrem Bräutigam zu miß-
fallen, anderseits aber alles aufbietet, dessen Willen auf's
vollkommenste zu erfüllen. Das soll auch euere Liebe gegen
euere Männer sein.
Erhebet euch doch wenigstens einen Augenblick über
all' dies Elend des ehelichen Lebens, diese Streitigkeiten
diese Reibereien, diese Lieblosigkeiten – und betrachtet zu
welcher Liebe und Freundschaft ihr berufen seid und wie
ihr darin bei manigfachem Elende doch so leicht glücklich
sein könntet.
Um nämlich dies große Geheimniß in Christo und
seiner Kirche noch tiefer zu erklären, mahnt der hl. Paulus
ferner: Die Männer müssen ihre Weiber lieben wie ihren
eigenen Leib. Wer sein Weib liebt, liebt sich selbst. Denn
niemand haßt sein eigenes Fleisch, sondern nährt und pflegt
dasselbe wie auch Christus seine Kirche.
Wie also die Natur uns antreibt, uns selbst zu lieben,
für unsern Leib zu sorgen, so zwingt auch die eheliche
Gemeinschaft den andern Theil als sein Fleisch und Blut
zu betrachten, zu lieben, zu pflegen. In dieser Liebe ver-
lasset ihr Vater und Mutter, gebet alle Verbindungen auf,
werdet Eines mit einer Person, die euch früher ganz un-
bekannt war. Euere Eltern und Geschwister zürnen euch
nicht ob dieser Liebe, welche alles andere zu vergessen
[128] scheint, sondern werden vielmehr betrübt, wenn euere Ehe
kein Abbild der Vereinigung Christi mit seiner Kirche.
Ihr alle, die ihr nach jenen Flitterwochen vielleicht
viel Unfrieden erlebtet, erhebet euch jetzt einige Augen-
[blicke] über dies menschliche Elend und betrachtet diese Liebe
in ihren Früchten.
Sie ist die Mutter der Eintracht, die so lieblich ist,
daß der hl. Geist davon spricht: ‘„In drei Dingen gefällt
sich mein Geist: Eintracht unter Brüdern, die Liebe des
Nächsten, und Mann und Weib die gut übereinstimmen.“’
(Eccl. XXV, 1 u. 2) Eintracht! Nach einem und demselben
Dinge trachten, das gleiche Ziel verfolgen! Was will das
Haupt? Das Glück des Leibes. Und der Leib? Das
Wohl des Hauptes. Haupt und Leib wollen ein und das-
selbe. Denn sie bilden nur ein Ganzes und so ist kein
Widerstreit ihrer Vortheile möglich. So in den Familien,
wo die gottgewollte eheliche Liebe waltet. Daher dann
jener Friede, wo eines die Last des andern trägt. Denn
die wahre Liebe ist ja geduldig. Sie muß zwar oft
warnen und mahnen, aber sie duldet.
An wen soll ich da erinnern. Es duldete jener
Philosoph Sokrates, dessen Weib Xantippe ihrer Zanksucht
wegen zum Sprichworte geworden bis auf den heutigen
Tag. Sokrates war ein Heide.
Der alte Tobias duldete und betete und seufzte, als
sein zorniges Weib über sein Unglück, seine Frömmigkeit,
seine Almosen spottete. Tobias war ein Jude. Eine
hl. Monika lebte in großer Liebe und großem Frieden mit
ihrem zornmüthigen Manne und bekehrte ihn durch das
Beispiel ihrer Liebe zum Christenthum. Eine Johanna
Rodriguez duldete von ihrem Manne jahrelang Schläge
und Mißhandlungen aller Art und opferte alles für dessen
Bekehrung auf. Reumüthig starb er in ihren Armen.
Aber, denket ihr vielleicht in solchen und ähnlichen Fällen
[129] gestattet die katholische Kirche doch auch das Getrenntleben
der Gatten. Allerdings, aber mit blutendem Herzen, und
macht es den Getrenntlebenden zur Gewissenspflicht, ihre
Leidenschaften zu bändigen, um mit einander friedlich leben
zu können. Denn, vergesset es doch nie, wenn nur eines
eine wahrhaft gründliche Frömmigkeit hätte, würde niemals
auch nur eine augenblickliche Trennung erfolgen, ebenso-
wenig als die Kirche der Leiden und Verfolgungen wegen
auch nur einen Augenblick von Jesus Christus sich entfernt.
Betrachtet nur ein wahrhaft katholisches Weib: Keine,
die von Frömmigkeit redet, sondern sie übt, keine, die euch
schön redet, den Mann in allem beschuldiget, während sie
eine halbe Heilige ist – sondern eine solche, welche nicht
heuchlerisch, sondern wirklich in sich nur Sünde und Elend
erblickt, ja nehmet ein solches Weib: Ihr Mann ist alles
– ein Trinker, ein Spieler, ein Rasender und vielleicht
noch mehr – nur kein Gatte, nur kein Vater; aber dieses
Weib läuft euch nicht vom Manne weg, geht zu keinem
Advokaten, erscheint vor keinem Vermittler sondern spricht:
‘„Ich will unter dem Kreuze stehen, wie die schmerzhafte
Mutter, ich will büßen für meine Sünden, ich will durch
Liebe und Geduld und Gebet meinen Mann auf bessere
Wege bringen; um dafür Licht und Kraft zu erhalten,
will ich öfters die hl. Sakramente empfangen – aber
scheiden auch nur für einen Augenblick werde ich nie und
nimmer.“’
Wer spricht so? Die wahre Frömmigkeit. Alles
andere ist mehr oder weniger Schein, geeignet die zu
täuschen, welche von der ächten Frömmigkeit und der Ver-
stellungskunst gewisser Leute keine Ahnung haben.
Aber kann es denn nicht auch eine wahre Frömmigkeit
geben, welche das Kreuz des Unfriedens nicht mehr tragen
kann und Scheidung verlangt? Hierüber will ich nicht
entscheiden; aber so viel muß ich doch bemerken: haben
[130] solche Eheleute nur noch einen Schatten von Frömmigkeit
und katholischem Leben, so werden sie nicht beruhiget sein,
wenn sie bloß durch das weltliche Gericht getrennt sind,
sondern ihre Hauptsorge wird sein, von der hl. Kirche
die Erlaubnis; für das Getrenntleben zu erhalten. Denn
wer immer in dieser Sache um die Verordnungen der
Kirche sich nicht kümmert, ihren Mahnungen vielleicht
widersteht, wandelt den Weg der Todsünde, wohin aber
dieser führt, wisset ihr alle. –
Nicht wahr, angesichts der katholischen Kirche von
solchen Sachen nur reden zu müssen, ist schon überaus
traurig; wenn aber in Trunksucht, in Streit und Zank
und Schlägen, in Haß und Toben – wenn in all diesem
Aergerniß für die Kinder die Ehe vom Abbilde der Ver-
einigung Christi mit seiner Kirche zum Vorbild der Hölle
verwüstet wird – ist das nicht noch viel trauriger? –
Und doch noch lange nicht das Traurigste. Denn wie weit
gehen oft diese Verirrungen? Wenn die Kirche zwar von
Christus sich nicht ganz trennte, dabei aber einem Muha-
med gleiche Verehrung zollte – welch ein unnatürliches
Verbrechen! Aber was ist denn der Ehebruch? Du magst
vielleicht äußerlich mit deinem Gatten oder deiner Gattin noch
zusammenleben, noch irgend welche eheliche Liebe haben –
aber wenn du diese Liebe, dies Herz, diesen Leib mit
andern theilest, gleicht denn deine Sünde nicht dem Ab-
falle der Kirche von ihrem göttlichen Bräutigam und ihre
Hingabe an einen Betrüger? So verglichen schon die
Propheten den Abfall von Gott und den Götzendienst mit
dem Ehebruch. Wenn aber erst diese Sünde die letzte
menschliche Regung erstickt, das letzte Roth der Scham
verwischt, aus dem Dunkel heraustritt, wie ein Mittags-
teufel einherschreitet in Scheidung und Wiederverheirathung
oder in ähnlichen Greueln ihre Orgien feiert wahr-
haft da würde einem hl. Chrysostomus bei allem Fluß
[131] seiner Rede doch das Wort fehlen, da würde jenem großen
hl. Chrysologus im Feuer der Rede auf einmal die
Stimme versagen – da würde vielleicht jener gewaltige
Bischof und Kirchenvater von Nazians ausrufen: ‘„Nur
das ewige Wort, das in der Fülle der Zeit Fleisch ge-
worden, wird und kann die für solche Greuel nothwendige
Beredsamkeit am jüngsten Tag entfalten, daß selbst die
Engelchöre und die Heiligen erzittern bei jenen Worten:
Weichet von mir, ihr Verfluchten ins ewige Feuer.“’
Verblendung der Menschen! Wie nahe das Glück
den Eheleuten in der kath. Kirche! Vor euch steht sie
sichtbar, strahlend die Braut Jesu Christi, vor euch steht
sie iu ihrer Liebe und Treue gegen ihren göttlichen Bräu-
tigam. Das ist euer Vorbild, ihr könnet es nicht aus den
Augen verlieren. Aber auch die hl. Familie von Naza-
reth muß euch stets gegenwartig sein. Warum? Der
ganze Weihnachtskreis mit all seinen Festen bewegt sich
um dieselbe wie um den gottgegebenen Mittelpunkt; so
viele Feste der Mutter Gottes und des hl. Joseph ver-
setzen uns in jenes Heiligthum von Nazareth. Auch
den freudenreichen Rosenkranz betet ihr. Was sind jene
Geheimnisse? Die Geschichte der hl. Familie, vom hl.
Geiste in ein wunderbares Schauspiel von fünf Akten
zusammengefaßt! Betrachtet daher diese Geheimnisse oft,
besonders zur Zeit der Gefahr und der Versuchung, damit
ihr in der Nachahmung der hl. Familie in ehelicher Liebe
und Treue mit einander verbunden bleibet, wie Christus
mit seiner Kirche vereiniget ist. Wie nahe das Glück Ehe-
leuten in der katholischen Kirche! Und dieses Glück wie
gesichert! Denn auf der Felsenhöhe der tiefsten Glaubens-
wahrheiten ist die christliche Ehe und Familie aufgebaut
und mitten im Felsen strahlt die Gnadenquelle für Eltern
und Kinder unversiegbar. Keine Macht der Welt ragt da
hinauf. Da mag die glaubensarme und deßwegen trostlose
[132] Gesellschaft für die Ehe alle nur möglichen Formen er-
finden oder auch die letzte Form derselben zerschlagen:
so lange es eine katholische Kirche giebt, – eben so lange
ist auch deren Abbild zu finden.
Damit ist natürlich nicht gesagt, daß die einzelnen
Ehen nicht in Gefahr – daß sie nicht auf die traurigste
Weise verwüstet und zerrissen werden können – aber daran
sind die Eheleute selber Schuld, indem sie ihren Leiden-
schaften freien Lauf gestatten. Trachtet daher in den Tagen
euerer Jugend nach einer gründlichen Frömmigkeit voll
lebendigen Glaubens, voll Demuth, voll Selbstverleugnung,
voll Gehorsam im Strahlenglanze der Jungfräulichkeit.
Mit angelernten Uebungen, mit einer süßlich sentimentalen
Andacht, mit frommen Romanen und Liebeleien ist da
nichts gethan – das heißt nur mit Zucker einen Strom
eindämmen. Trachtet nach jener wahren Frömmigkeit in
gegenseitiger Liebe und Geduld – ihr, die ihr schon im
Ehestande lebet, damit euere Familie in der Nachfolge
der hl. Familie von Nazareth ein Abbild der Vereinigung
Christi mit seiner Kirche werde.
Wie nahe das Glück den katholischen Eheleuten! Ich
will das Geheimniß Gottes vor euch nicht verbergen
(Sap. VI.) Diese Worte aus dem Buche der Weisheit,
führt S. Thomas (in Eph. V, lect. X) an, wenn er das
Geheimniß der Ehe erklärt. Ich habe euch das Geheim-
niß nicht verborgen – und durfte es nicht verbergen.
Was ist also der Mann? Gleichsam ein zweiter Christus.
Und das Weib? Wie eine zweite katholische Kirche. Und
ihre Ehe? Ein Abbild der Vereinigung Christi mit seiner
Kirche, ein großes Geheimniß. Und euere Kinder? Die
Himmelsfrucht dieser Liebe und Vereinigung. Ich will
das Geheimniß Gottes vor euch nicht verbergen. Welch
ein Heiligthum der Familie!
XV.
Die Gewalt der Kirche betr. Ehehindernisse
und die Verwandtschaftsehen.
[133]Wir bestehen aus Leib und Seele; beide wollen
glücklich sein, sowohl auf dieser Welt, als in der Ewigkeit.
Weil aber in Folge der Sünde uns der Himmel ver-
schlossen und die Erde ein Jammerthal geworden ist, kam
der Sohn Gottes, nicht bloß um den Himmel wieder zu
öffnen, sondern auch das zeitliche Elend zu mindern oder
ganz zu heben. Daher sehet ihr denn, wie er nicht bloß
die Wahrheit lehrt, die Sünden verzeiht, die hl. Sakra-
mente einsetzt, das Opfer am Kreuze darbringt, sondern
auch wie er die Krankheiten und Gebrechen der Menschen
heilt, ihnen Winke gibt, wie sie auch für dies Leben
glücklich sein können.
Auf ähnliche Weise handelt auch die katholische Kirche.
Denn sie ist nur der auf Erden fortlebende und fort-
wirkende Christus. Diese Muttersorge der hl. Kirche könne
ihr im hl. Sakrament der Ehe betrachten. Denn sie will
die Eheleute durch dies hl. Sakrament nicht bloß heiligen,
und für den Himmel vorbereiten, sondern so weit es
möglich ist, auch für diese Welt glücklich machen. Um deß-
halb alles zu entfernen, was das eheliche Glück stören
könnte, hat sie Ehehindernisse aufgestellt, dispensirt aber
auch in gewissen Fällen davon. Da nun komme ich auf
einen Gegenstand, dessen Verständniß so vielen fehlt, ob-
wohl er von außerordentlicher Wichtigkeit und Bedeutung
ist. Viele, wenn sie nicht gleich heirathen können, glauben,
die Laune des Pfarrers sei daran Schuld, während es sich
um ein hl. Recht der Kirche handelt, bei dessen Gebrauch
[134] sie eine wahrhaft göttliche Weisheit entfaltet. Ich kann
natürlich heute nicht von allen Ehehindernissen reden; es
ist aber auch nicht nothwendig. Daher will ich denn nur
das Verbot der Ehen zwischen nahen Verwandten näher
beleuchten. Daher rede ich: 1. vom Rechte der Kirche,
Ehehindernisse überhaupt aufzustellen und davon zu dis-
pensiren; 2. von der Weisheit der Kirche im Verbote der
Verwandtschaftsehen.
Die Ehe ist von Jesus Christus zu Würde eines
hl. Sakramentes erhoben worden. Also hat die Kirche
Gewalt über die Ehe, wie über jedes andere hl. Sakrament.
Jesus Christus hat nur die Einheit und Unauflöslichkeit
näher bestimmt, so daß die Kirche in diesen Punkten nie-
mals eine Abänderung treffen oder gestatten kann; dagegen
hat er es ihrer Weisheit überlassen, andere Bestimmungen
zu treffen, je nachdem die mannigfaltigen Verhältnisse von
Zeit und Ort, von einzelnen Menschen, von Familien,
oder auch ganzer Völker es verlangen sollten.
Von dieser Gewalt machte auch die Kirche wirklich
Gebrauch, ohne daß es in den ersten Jahrhunderten
Jemanden eingefallen wäre, über Anmaßung zu klagen.
Wenn nun auch schon in den apostolischen Zeiten die
Priesterweihe als Ehehinderniß aufgestellt wurde, müßet
ihr euch doch die Sache nicht so vorstellen, als hätte die
hl. Kirche so auf einmal eine vollständige Ehegesetzgebung
gemacht. Das ist niemals ihre Sache. Denn sie wirft
ihre Gesetze niemals unter das christliche Volk, sondern
ihre Bestimmungen wachsen gleichsam aus dem Glauben
und den Sitten des Volkes heraus. Will nur ein Beispiel
anführen. Wie der hl. Augustin (de civit. Dei XV, 16)
berichtet, war zu seiner Zeit noch kein ausdrückliches
Gesetz, welches die Ehen zwischen Geschwisterkindern
verbot; aber dennoch verabscheute man nach damaliger
Sitte dergleichen Ehen fast wie die Ehen unter Geschwistern.
Welche Bedeutung hatte diese Gewohnheit in Ehe-
sachen? Der hl. Augustin (ibd) sagt: ‘„Wenn es unrecht
ist, aus Habsucht die Grenzen der Aecker zu überschreiten,
wie viel mehr ist es unrecht, aus Fleischeslust die
Grenze der Sitte zu unterwühlen.“’ Was will er mit
diesen Worten? Es ist ein Unrecht, wenn ihr das siebente
Gebot aus Habsucht übertretet und euch fremdes Eigen-
thum anmaßet; aber es ist ein noch viel größeres Unrecht
wenn aus Fleischeslust Geschwisterkinder gegen die Sitte
sich ehelichen. Als aber diese Sitte nicht mehr stark genug
war, kamen die eigentlichen Gesetze und Verordnungen,
welche die Verwandtschaftlichen nach und nach bis zum
siebenten Grade verhinderten und verboten.
An wen aber wandte man sich in all' diesen Fragen
und Schwierigkeiten? An den Stellvertreter Jesu Christi
in Rom. So verlangten die Bischöfe Frankreich's gegen
Ende des vierten Jahrhunderts vom damaligen Papste
Siricius Auskunft, wie es nach Uebung und Recht mit
den Verwandtschaftsehen zu halten sei. Als der Glaube
in England und Deutschland verkündet wurde, wandten
sich die Missionäre und Bischöfe an die damaligen Päpste
mit der Anfrage, welche Geltung die Ehehindernisse unter
den bekehrten Völkern habe.
Was folgt nun aus diesen und ähnlichen Thatsachen?
Die Ehegesetze der Kirche wurden früher beobachtet, als
geschrieben, und erst eingeschärft, als man anfing, die
Sitte außer Acht zu lassen. Weil aber dem Papste die
ganze Fülle der Binde- und Lösegewalt übergeben ist, lag
auch in all diesen Sachen die Entscheidung bei ihm. Die
Kirche hat also von alten Zeiten her Ehehindernisse auf-
gestellt, aber auch davon dispensirt.
Gregor II. erlaubte den neubekehrten Deutschen, im
fünften und sechsten und siebenten Grade der Blutsverwandt-
schaft zu heirathen; Gregor III. hob diese Dispens wieder
[136] auf, indem er an den hl. Bonifaz schrieb: Wir beschließen,
daß sie die Abstammung berücksichtigen bis auf den siebenten
Grad. Als erste eigentliche Dispens gilt gewöhnlich die,
welche Innocenz III. dem Kaiser Otto IV. bewilligte, im
fünften Grade der Blutsverwandtschaft. (1207.) Der Papst
wurde von allen Seiten gebeten und bestürmt; die wich-
tigsten Gründe wurden geltend gemacht. Und doch ließ
sich der hl. Vater erst nach langer Zeit und trotz der
wichtigsten Gründe nur äußerst ungerne, wie gezwungen
und nur unter schweren Bedingungen zur Dispens be-
wegen. Der Kaiser mußte zwei große Klöster stiften, reiche
Almosen geben, der Kirche seinen Schutz versprechen. Die
Aebte von Clugny und Ateaun mußten sich verpflichten,
die Gebete und Bußwerke ihrer Ordensleute zu verdoppeln,
um die der Kirchenzucht geschlagene Wunde zu
heilen. Da nun sehet ihr auch den Ursprung und die
Bedeutung der Dispensgelder. Es gibt so unwissende
Katholiken, welche meinen, es handle sich da um einige
Franken, man müsse dem Pfarrer nur ein Goldstück geben,
damit gehe es schon Dispensen werden nicht
gekauft und nicht verkauft, sondern gratis ab-
gegeben Aber wozu denn Geld? Das ist gleichsam
eine Buße für die der Kirchenzucht geschlagene Wunde.
Wenn aber die Kirche in dieser Beziehung nicht mehr so
strenge ist wie früher, liegt der Grund in der Schwäche
und Gleichgültigkeit ihrer Kinder. Sie will den glimmenden
Docht nicht ganz auslöschen. Aber wozu dies Geld?
So kann nur jener Katholik fragen, der von der Geschichte
der Missionen, der Anstalten, der zahllosen Liebeswerke
seiner Kirche nichts weiß, oder auch nichts wissen will.
Die hl. Kirche übte also von jeher das Recht, Ehe-
hindernisse aufzustellen und auch davon zu dispensiren.
Bis zum Ausbruch der Reformation war sie in ruhigem
Besitze dieses Rechtes; denn es kam niemanden in den
[137] Sinn, dasselbe irgendwie anzugreifen. Ja diese kirchliche
Gesetzgebung war in die bürgerlichen Bücher der ganzen
christlichen Welt übergangen. Als dann das hl. Sakra-
ment der Ehe geleugnet und als ein weltlich Ding erklärt
wurde, mußte natürlich auch jene Gewalt der Kirche weg-
geleugnet werden, Daher mußte denn die hl. Kirchen-
versammlung von Trient die Sache genauer untersuchen,
und erklärte dann, es sei eine göttlich geoffenbarte Glaubens-
wahrheit, daß die Kirche von sich aus Ehehindernisse auf-
stellen und davon dispensiren könne, und daß die Kirche
in der wirklichen Aufstellung nicht geirrt habe.
Wenn wir also Katholiken bleiben und auch katholisch
handeln wollen, ist für uns die Sache ausgemacht und
bestimmt. Denn nicht bloß die alte Sitte und Uebung
von jeher, sondern der hl. Geist selbst verkündet uns diese
Gewalt der Kirche. Uns bleibt nur mehr die demüthige
Unterwerfung unter dieselbe. Dies wird uns um so
leichter, wenn wir den weisen Gebrauch dieser Gewalt
betrachten.
Wenn ich nun von der Weisheit der Kirche im Ver-
bote der Verwandtschaftsehen rede, thue ich es nicht, um
die Kirche zu rechtfertigen; denn der erste und letzte Grund
etwas für gut und wahr und weise und ersprießlich zu
halten, soll für uns der Entscheid der heiligen Kirche sein.
Katholisch nämlich ist nur folgende Art Beweisführung:
Die Kirche hat so entschieden, also ist es wahr;
die Kirche hat es so verordnet, also ist es gut.
Wenn ich daher diesen Punkt gleichwohl berühre, thue ich
es nur, um die Schwachen zu belehren, und alle zu be-
stimmen, sich den Anordnungen der Kirche bereitwilligst zu
fügen. Geht die Blutsverwandtschaft und Verschwägerung
aus der Ehe hervor, so sind die Verwandten und Ver-
schwägerten bis zum vierten Grade verhindert, sich zu ehe-
lichen, und zwar so, daß nach der Verordnung der hl.
[138] Kirchenversammlung von Trient im zweiten Grade der
Blutsverwandtschaft nie dispensirt werden soll,
außer bei großen Fürsten und auch das nur dann,
wenn es sich um das allgemeine Wohl des
Vaterlandes handelt. In den übrigen Graden soll
selten und aus wichtigen Gründen Dispens gegeben werden.
Was ich nun zu sagen habe, gilt natürlich um so mehr,
je näher die Verwandtschaft, gilt um so weniger, je ent-
fernter sie geworden. Was mag also die Kirche zu dieser
Handlungsweise bestimmen?
Vor allem sociale oder gesellschaftliche Gründe. Wie
so? Sehet einmal. Schon der hl. Augustin redet in
seinem unsterblichen Werke über die Stadt Gottes von
diesem Punkte (XVI, 16). Die Menschheit soll nach dem
Plane Gottes und nach den Absichten der Kirche eine
Familie bleiben, wie sie auch von einem Vater abstammt,
und was die Sünde zerrissen, soll die Liebe wieder an-
knüpfen und verbinden. Und ein Mittel sollte unter andern
auch die Ehe sein. Daher ist sie für die Menschheit eine
wahre Pflanzschule der Liebe, der Vereinigung, der Ver-
brüderung. Wie das? Wenn du eine Person ehelichst,
der du bis jetzt ganz ferne gestanden, werden ihre Eltern
ihre Brüder und Schwestern, ihre Freunde und Verwandte
gleichsam auch deine Eltern, deine Brüder, deine Schwestern,
deine Freunde und Verwandten. Ist das nicht trostreich
in den Tagen des Glückes wie des Unglückes? Wenn du
aber aus deiner Verwandtschaft heirathest, wo sind deine
neuen Freunde? Wo deine neuen Brüder und Schwestern?
Warum willst du wie eine Schnecke dich in dein enges
Haus eindeckeln? Warum willst du dies weite Feld der
Liebe einschränken? Warum dich stets in derselben Freund-
schaft bewegen, während dem du durch eine fremde Gattin
ganze Schaaren neuer Freunde haben kannst? (Chrys. h.
34, n. 4, in I. Cor.) Urtheilet nun selbst, meint es die
[139] Kirche nicht gut und weise mit uns, mit unsern Familien,
mit unsern Nachkommen, wenn sie uns zwingen will, den
Kreis unserer Freundschaft und Verwandtschaft immer
weiter auszudehnen?
Wenn euch das nicht genügt, so betrachtet einmal die
Ordnung der Sitten. Da nun sind verschiedene Punkte
wohl zu beachten. Warum wird die Sünde der Unzucht
mit nahen Verwandten als abscheulicher angesehen und
von weltlichen Gesetzen auch schärfer bestraft? Wer hat
dies gelehrt? Warum findet sich diese Anschauung und
dies Gefühl allüberall? Die Natur selbst ruft überall
wie mit lauter Stimme: ‘„Das geht zu stark gegen meine
Gesetze; das ist eine zu greuliche Verletzung jener Pietät
und Ehrfurcht, welche ihr diesen Verwandten schuldet.“’
Aber was hat denn das mit diesen Ehen zu thun? Der
große Denker Augustinus hat es ausgesprochen (ibd):
‘„Es liegt in der menschlichen Schamhaftigkeit ein natür-
liches, lobenswerthes Gefühl, das sich der ehelichen Ver-
bindung mit denen enthält, welchen es um der Verwandt-
schaft willen eine gewisse Verehrung und Pietät schuldet.“’
Ein natürliches Gefühl! Bemerket wohl diesen Ausdruck!
Wir haben es von der Natur ererbt; die christliche Reli-
gion hat es nur ausgebildet, nur empfindsamer und feiner
gemacht. Selbst unchristliche Schriftsteller, wie Montes-
quieu, geben ihm Ausdruck in den Worten: ‘„Diese Gründe
sind so mächtig und so natürlich, daß sie beinahe über die
ganze Erde, unabhängig von jeder Mittheilung, sich geltend
gemacht haben.“’ (Esprit des lois XXVI, 24.)
Was ist also die katholische Kirche?
Die Wächterin der Natur, die Beschützerin
ihrer Rechte und ihrer zartesten Gefühle!
Der Engel Gottes, der über die Sittlich-
keit im Heiligthum der Familie Wache
hält. Sehet einmal was in dieser Beziehung der hl.
[140] Thomas (II. II. 9, 154, a. 9) bemerkt: ‘Blutsverwandte
Personen stehen nothwendig in vielfachem Verkehre, deßhalb
wäre die Gelegenheit zur Verführung zu groß, wenn die
Ehe unter ihnen erlaubt wäre, und die Menschen unsittlich.
Darum scheint im alten Bunde besonders die Ehe der-
jenigen Personen verboten zu sein, die nothwendig zu-
sammen wohnen müssen.“’ Beachtet wohl diese Wahrheit,
um die weise Fürsorge der Kirche nicht bloß zu verstehen
sondern zu würdigen. Ihr wisset es wohl, in wie viel-
fachem Verkehre die Verwandtschaften stehen und häufig
stehen müssen! Ihr arbeitet mit einander, helfet einander,
machet gegenseitig Besuche und mit einander Ausflüge,
wohnet unter demselben Dache, müsset häufig allein bei
einander sein in Folge von Krankheiten und Geschäften
und Besuchen. Wenn nun bei solchen Anlässen, trotz der
natürlichen Ehrfurcht vor dem verwandten Blute, trotz
der Heiligkeit der Ehe, trotz des Schutzes, den man nach
göttlichem und natürlichem Rechte bei Verwandten
finden muß, dennoch die zartesten Gefühle oft ver-
letzt und die hl. Rechte zertreten werden, was würde
erst geschehen bei der Aussicht, daß man sich gegenseitig
ehelichen könne? O, wäre das Uebertreibung, wie glück-
lich wären wir! Aber es ist nicht einmal die ganze Wahr-
heit. Montesquieu behauptet geradezu: Man müßte durch
Eheverbote eine unübersteigliche Schranke zwischen den
beiden Geschlechtern aufrichten, um jede Art Sittenver-
derben zu verhüten. (XXVI, 14.)
Ja noch weit mehr. Als in der französischen Revo-
lution nicht bloß die katholische Religion, mit den letzten
Spuren des Christenthums vernichtet schien, sondern sogar
Gott im Himmel abgeschafft und abgesetzt war, soweit es
die menschlichen Gesetze vermochten, konnte die Stimme
der Natur doch nicht vollkommen erstickt werden, wenn auch
die Menschen wie wilde Bestien geworden zu sein schienen.
[141] Als nämlich damals die Bestimmungen betreffend Ver-
wandtschaftsehen getroffen wurden, bemerkte Gillet in seinem
Berichte: ‘„Es ist von Interesse für die Gesellschaft, daß
die Vertraulichkeit in den Familien keine Gelegenheit werde
für verbrecherische Verführungen, Anschläge und Eifersucht,
da vielmehr in der Familie die Sitte und Zucht, wie in
ihrer natürlichen Zufluchtsstätte dienen soll.“’ (23 ventose
an. XI). Wenn nun selbst die Gottlosigkeit
für die Wahrheit Zeugniß ablegen muß,
was ist denn von jenen Katholiken zu
halten, welche gleich lästern und schimpfen
und drohen, wenn ihnen eine Dispens ver-
weigert wird? Kämpfen sie nicht gegen ihre Kirche,
ja gegen die Natur selbst und ihre unverwüstlichen Hoheits-
rechte? Es mag nun allerdings wahr sein, daß dieser
Grund nicht bei allen Familien eintrifft; allein die Kirche
schaut bei ihrer Gesetzgebung, wie jede andere Gesellschaft,
nicht auf die Einzelnen, sondern auf das allgemeine Wohl,
um die Unschuld und Keuschheit, soviel an ihr liegt, in
allen Familien zu erhalten.
Aber noch ganz Anderes beabsichtigt die hl. Kirche.
Beobachtet nur einen Punkt, dessen Mißachtung schon so
viel Thränen in unglücklichen Ehen verursacht hat und
immer noch hervorbringt.
Als was nämlich betrachten so häufig Eltern und junge
Leute die Ehe? Als ein Geschäft, um schnell
reich oder noch reicher zu werden. Da gibt
es nun nahe verwandte Familien, welche Geld und Vermögen
nicht aus ihrem Zauberkreis herauslassen wollen. Was
thun? Man verschachert eine Tochter all ihren Vetter,
damit ja zusammenbleibe, was ihre Eltern ererbt und
auf jede Weise zusammengeschachert haben. Trotz des
kirchlichen Verbotes kommen solche Fälle vor. Wenn aber
die Habsucht und der Geiz alle Wege offen und frei
[142] hätten, was würde dann erst geschehen? Welche Aus-
schreitungen? Und dann murrt und klagt man
noch, wenn die katholische Kirche nicht
allen Launen nachkommen will: wenn sie
für die freie Selbstbestimmung des Men-
schen in seiner wichtigsten Lebenssache
alle Vorsichtsmaßregeln trifft und nur
wie gezwungen, um größere Aergernisse
zu verhüten, hie und da nachgibt! Und
dann murrt man noch!
Sollte aber die Erweiterung der Freundschaft, die
Verbrüderung der Familien, die Gefahren der Sittlichkeit,
die zartesten Gefühle der Natur, die Freiheit der Ehe
nicht genügen, um die Weisheit der Kirche zu verstehen,
so betrachtet endlich noch die natürliche Ordnung der
Dinge. Während nämlich die Leidenschaft der katholischen
Kirche vorwirft, sie verletze die Rechte der Natur, zeigt
die ungetrübte Vernunft, wie gerade die Ordnung der
Natur durch die Kirche Gottes beschützt und erhalten bleibt.
Und das muß auch so sein. Denn der gleiche Gott, wel-
cher die Gesetze und die ganze Natur wie in den Leib
und das Blut des Menschen gelegt hat, der hat auch
durch seine hl. Kirche das Gesetz für das sittliche Leben
verkündet. Es kann natürlich hier nicht der Ort sein,
diesen Punkt tiefer und allseitiger zu entwickeln; nur was
die Erfahrung lehrt, will ich andeuten.
Es können allerdings aus allen Ehen Kinder mit
allerlei Gebrechen abstammen, besonders wenn die Eltern
unvernünftig handeln, sich der Trunksucht, dem Zorne, der
Wohllust oder Leidenschaften hingeben; aber die Beobach-
tung und Erfahrung lehrt, daß dies bei Verwandtschafts-
ehen weit mehr der Fall, ja daß selbst gesunde Kinder
geistig und körperlich noch kräftiger sein würden, wenn
ihre Eltern nicht verwandt wären. Diese Erfahrung hat
[143] ihren Ausdruck im bekannten Sprichwort gefunden:
‘„Keine Erben, oder Verderben, oder früh
sterben.“’ Solch' traurige Erfahrungen zeigt die Beob-
achtung besonders in Bezug auf Taubstumme, Blödsinnige
und Geistesschwache. Je öfter diese Gesetze der Natur
und der Kirche in einer Familie übertreten werden, desto
trauriger sind die Folgen bis zum gänzlichen Verderben
und Aussterben. In dieser Beziehung erhebt de Maistre,
einer der größten Denker der Neuzeit, warnend und
bittend seine Stimme betreff der Verwandtschaftsehen der
Könige und Fürsten, mit einem Freimuthe, der an die
Propheten des alten Bundes erinnert. Er wünscht, sein
Mahnruf möchte ein lautes Echo finden in den Hallen
der Königspalaste und in den Säälen des Vatikans, daß
die Fürsten keine derartige Dispens mehr
verlangen, und die Päpste keine mehr
geben.
Und doch droht die Ausnahme immer mehr wieder
Gesetz zu werden! Mit Geschwisterkindern
soll nur bei Fürsten dispensirt werden und
nur dann, wenn das öffentliche Wohl ge-
fährdet ist – sonst aber gar nie! So lautet
die Vorschrift der Kirche! Aber heut zu Tage? Da sind
so viele Bettler Fürsten geworden! Und oft welche Fürsten?
Ich weiß wohl, daß nahe Verwandte ganz ehrfurchtsvoll
um Dispens bitten und auch zufrieden sind, wenn dieselbe
verweigert wird; aber wie oft und wie traurig gilt auch
jenes Wort: ‘„Man muß nur schlecht sein, um Dispens
zu erhalten“’ oder ‘„wir heirathen civil.“’
Oder ist es nicht traurig und aller Thränen werth,
wenn Zucht und Sitte unter den nächsten Verwandten der-
art gesunken, daß nur die Ehe den Sünden und Aerger-
nissen ein Ende macht. Ist es nicht überaus kläglich,
wenn man mit der Civilehe droht, falls keine Dispens
[144] gegeben werde! Denn was will das sagen? Meine
Leidenschaft ist so groß, meine Sinnlichkeit so unbändig,
mein Wille so schwach, mein Glauben und mein katho-
lisches Leben so verlottert, daß wenn die Kirche mir nicht
erlaubt, was selbst die Natur verbietet, will ich von ihren
Gnaden und Sakramenten auch nichts mehr wissen; ich
will ohne Kirche leben und ohne sie in die Ewigkeit hin-
über. Heirathen will ich, alles andere hat für mich keine
Bedeutung. Das ist mehr oder weniger die Sprache der-
jenigen, welche Dispens der hl. Kirche abtrotzen. Handelt
es sich da um das Wohl der Völker, oder ausschließlich
um den Triumph des Fleisches oder den Sieg der Habsucht?
Wenn nun euch die Anwendungen fürs Leben aus
dem Gesagten klar sein sollen, will ich doch die wichtigsten
Punkte noch berühren. Für's erste fanget nie eine Bekannt-
schaft an und duldet keine zwischen Leuten, welche im
zweiten Grade blutsverwandt, oder im ersten Grade ver-
schwägert, oder mit andern Worten, zwischen Geschwister-
kindern und Schwager und Schwägerin. Den Anfängen
nämlich muß man widerstehen, sonst wird das Heilmittel
zu spät bereitet. Das ist die Aufgabe der Eltern wie der
Jugend, wenn ihr nicht erfahren wollet, wie unselig das
Wort: Man muß nur schlecht sein um Dis-
pens zu erhalten! Aber wenn ihr etwa im dritten
Grade verwandt seid? Auch hier ist noch viele Vorsicht
nothwendig. Wenn nämlich die Natur hier nicht mehr so
traurig sich zu rächen pflegt, ist doch nicht jede Befürchtung
grundlos, wenn vielleicht weniger wegen der Ehe, doch
wegen der Sittlichkeit in den Familien. Was daher thun?
Fraget den Seelsorger um Rath, leget ihm euere Gründe
auseinander, und er wird euch die rechte Antwort geben,
und daran haltet euch. Aber er wird sagen: ‘„Nein!“’
Gut! wenn er auch wirklich abrathet, was dann? Erspart
er dir nicht ein Unglück? Wenn er aber einverstanden,
[145] ist das für dich nicht ein großer Trost? Denn er schaut
einzig und allein auf jene Gründe, welche die hl. Kirche
bestimmen, Dispens zu ertheilen.
Was dann endlich den vierten Grad betrifft, ist Dis-
pens noch leichter zu erhalten. Denn die Gefahren sind
schon in den meisten Fällen sehr klein geworden. Aber
immerhin habet ihr die heiligste Pflicht, auch diese schon
entfernte Verwandtschaft anzugeben, ob man euch darum
frage oder nicht. Denn ohne Dispens wäre die Ehe eben
ungültig. In dieser Beziehung habet ihr vollkommen auf-
richtig zu sein. Denn der Seelsorger kann ja oft nicht
wissen, ob und wie ihr miteinander verwandt seid, besonders
in den entfernteren Graden. In all' diesen Fällen ist es
durchaus nothwendig, daß ihr zuerst zum jeweiligen
Pfarrer geht und nachher auf's Rathhaus. Denn ihr
könnet ja nicht wissen, ob ihr Dispens erhaltet oder nicht;
und wenn ihr sie erhaltet, kann es ziemlich lange gehen,
wenn nach Rom berichtet werden muß.
Bei all' dem aber vergesset nie: wenn auch der hl.
Vater vom kirchlichen Verbote dispensieren kann, kann er
doch niemals die Gesetze der Natur auch nur für einen
Augenblick aufheben. Daher rächt sich denn auch die
Natur, trotz der Dispens, in so vielen Verwandtschaftsehen.
Die Welt ist ja groß, die Menschen zahllos: suchet
euch daher Frauen und nehmet euch Männer, wo Fleisch
und Blut voll Natur aus für den Segen Gottes und der
Kirche empfänglich ist. Lasset euch dabei nicht täuschen,
indem ihr etwa saget: Diese und diese haben doch auch
Dispens erhalten und sind glücklich. ‘„Haben Dispens
erhalten!“’ Weißt du alle Gründe? Hast du die
gleichen? ‘„Sind glücklich!“’ vielleicht nach außen;
aber wie viel Unglück deckt oft der äußere Schein? Und
wenn sie auch wirklich glücklich sind, wird's dir auch so
[146] ergehen, oder wirst du der weit größern Zahl der Un-
glücklichen beigezählt werden?
Endlich vergesset auch Folgendes nicht. Die Gründe,
welche ihr angebt, um Dispens zu erhalten, müssen wahr
sein; ihr habet dem Seelsorger auf seine Fragen gewissen-
haft zu antworten. Warum? Wenn ihr in dieser Sache
nicht mit der Wahrheit umgehet, so ist eine allfällige Dis-
pens ungültig und die Ehe ist keine Ehe, sondern ein fort-
gesetztes Sündenleben. ‘„Aber wenn ich in diesem Unglücke
bin, was hab' ich dann zu thun?“’ Rede mit deinem
Beichtvater oder deinem Seelsorger; es wird dir auch in
diesem Falle noch geholfen werden.
Präget euch diese Wahrheiten recht tief ein: handelt
darnach und haltet nach euern Kräften auch Andere dazu
an. Aber noch mehr. Das Gebot der Kirche soll euch
auf's neue belehren, mit welcher Weisheit und Mutterliebe
die hl. Kirche für unser ewiges und zeitliches Wohl besorgt
ist. Daher sollen wir ihren Anordnungen uns bereit-
willig fügen, um das zu erreichen, was sie uns geben
will – die zeitliche und ewige Wohlfahrt.
XIV.
Kampf der Päpste für die Heiligkeit der Ehe.
Ihr wisset, wie das katholische Bewußtsein von der
christlichen Ehe vielfach bedroht ist, wie Scheidung und
Wiederverheirathung d. h. Ehebruch in Gesetzesform immer
häufiger wird, wie katholische Brautleute mit bloßer Civil-
ehe oft Jahre lang in Unzucht dahinleben. Ihr wisset
aber auch, wie ich diese Irrthümer und Verirrungen
gegen die von Christus geoffenbarte Wahrheit und sittliche
[147] Ordnung ohne Rückhalt verkündet habe. So leicht es nun
ist, die Unauflöslichkeit und Heiligkeit der Ehe zu beweisen,
ebenso schwierig ist es, dieselbe als Gesetz geltend zu
machen im Sturme der heftigsten Leidenschaften, wo die
Grundwellen sittlicher Verkommenheit emporsteigen und das
Schifflein Petri bedrohen. Was in dieser Beziehung ein-
zelne Priester und Bischöfe gethan, gelitten, geduldet, oft
bis zum blutigen Martyrium, will ich übergehen und nur
auf den Riesenkampf der Päpste für die Heiligkeit der
Ehe hinweisen.
Warum rede ich nur vom Papste? Jener tiefe
Denker de Maistre gibt den Grund an, wenn er sagt:
‘„Die ganze Macht der Kirche würde nichts sein, wenn sie
nicht im Papste zusammengefaßt wäre. Denn Bischöfe
und Priester, so viel sie auch wagen, sind ihren Königen
und Fürsten und Obrigkeiten gegenüber ohnmächtig. Um
das große Werk der Ehe nicht bloß anzufangen, vorzu-
bereiten, sondern auch durchzuführen bedurfte es des
Papstes, des Statthalters Jesu Christi, der einerseits die
Fülle des hl. Geistes besitzt, anderseits aber durch seine
weltliche Herrschaft von allen unabhängig ist.“’ So fügt
denn de Maistre bei: ‘„Es genügt im Allgemeinen zu be-
merken, daß die Päpste gekämpft haben und allein ohne
Unterlaß kämpfen konnten, um auf dem Throne die Rein-
heit und Unauflöslichkeit der Ehe festzuhalten, und daß sie
schon aus diesem Grunde allein an die Spitze der Wohl-
thäther der Menschen gesetzt zu werden verdienen.“’ Doch
für unsere Zeit genügt diese Bemerkung nicht, obwohl sie
von einem der tiefsten Denker herkommt. Wir wollen und
müssen einzelne Beispiele betrachten und so den tieferen
Grund dieses allgemeinen Kampfes gegen das Papstthum
zu finden suchen.
Schon der hl. Hieronymus erzählt uns ein Beispiel
eiserner Festigkeit, womit die Päpste das christliche Gesetz
[148] zur Ausführung brachten. (Ad ocean ep. 78.) Fabiola,
eine der vornehmsten Frauen Roms, hatte einen durch
seine Laster unerträglichen Mann. Noch unbekannt von
der Strenge des Evangeliums ließ sie sich von ihm scheiden
und heirathete wieder. Was that Fabiola? wird sie lästern
über die Härte des Papstes, der auch gar keine Rücksicht
kenne? Wird sie pochen, sie werde es mit Gott schon
einmal ausmachen? Wird sie vielleicht gar von der Kirche
abfallen und sich über alles mit Spott und Hohn hin-
wegsetzen? Das überläßt sie denen, deren Gott der Bauch,
denen, deren hochstes Glück die Befriedigung der niedrigsten
Gelüste. Obwohl sie nach den römischen Gesetzen wieder
heirathen kann, steht sie dennoch vor der Kirchenthüre im
Bußkleid, bereut ihre That als Ehebruch, vor dem ganzen
Volke steht sie schweigend, mit bloßem Haupte, mit auf-
gelösten Haaren, mit niedergeschlagenen Augen. Bischof,
Priester und Volk weinen bei diesem Anblicke. Das war
ein Ereigniß für die neubekehrten Heiden, welche auf diese
Weise die Unbeugsamkeit der Kirche erkannten. Was that
Fabiola nachher? Wieder in die Kirchengemeinschaft auf-
genommen, widmete sie ihr Leben nur der Buße und
Wohlthätigkeit, gab Alles den Armen, stiftete das erste
Krankenhospital, worin sie selbst die Unglücklichen bediente.
Wie manche mag es heute geben, welche dieser Fabiola
in der Sünde nachfolgten; aber wo sind diejenigen, welche
mit ihr Buße thun? – und doch ist das nothwendig,
wollen sie nicht in das ewige Feuer der Ehebrecher stürzen!
Alls diesem Beispiele glaubet ihr wohl ahnen zu
können, was die Päpste im Laufe der Zeit gethan haben;
aber wenn ihr euch die großen Kämpfe vorstellet, wie sie
nur einmal in einem Jahrtausend vorkommen, ist das
alles wie nichts gegen die Wirklichkeit, wie ein sanfter
Morgenwind im Vergleiche zum Meeressturm.
Betrachtet nur die Geschichte des Königs Lothar im
[149] Frankenland. Dieser heirathete 856 Theutberge; aber
Walrade, mit welcher er schon vorher unzüchtig gelebt
hatte, nahm ihn derart ein, daß er beschloß seine Gattin zu
entlassen. Selbst Bischöfe waren ihm behilflich, und die
Synode von Aachen löste die Ehe auf, der König heirathete
Walrade und ließ sie feierlich krönen.
Damals war Nikolaus I. Papst, ein Mann wie der
Prophet Elias, der Schrecken der Sünder, die Freude der
Gerechten. Zu ihm nahm die verstoßene Königin ihre
Zuflucht, aber auch Lothar wandte sich nach Rom. Der
Papst ließ durch zwei Gesandte in Metz eine Untersuchungs-
synode halten. Aber durch List und Ränke brachte es der
König mit seinen ihm ergebenen Bischöfen dahin, daß seine
Ehe mit Walrade auch hier anerkannt wurde. Nikolaus
aber erklärte diese Beschlüsse für null und nichtig, die
erste Ehe für gültig und unauflösbar, und entsetzte zwei
Erzbischöfe ihres Amtes. Der Bruder Lothars, Kaiser
Ludwig, führte ein Kriegsheer nach Rom, hauste darin
wie die Sarazenen, welche damals in Italien eingebrochen
waren und Stadt um Stadt eroberten: ohne Speise und
Trank blieb der Papst zwei Tage in der Peterskirche.
Der Kaiser erkrankte plötzlich, söhnte sich mit dem Papste
aus und zog mit seinem Kriegsheere weg. Indessen bat
die unglückliche Königin selbst um Scheidung, allein der
Papst konnte auf ihr Gesuch nicht eingehen und mahnte
sie zur Sündhaftigkeit. Als alle Versuche fehlschlugen,
belegte er endlich den königlichen Ehebrecher mit dem
Banne. Bald darauf starb der große Papst, aber nicht
das Papstthum. Denn sein Nachfolger Adrian II. führte
den gleichen Kampf nach den gleichen Grundsätzen. 869
schien der König bessere Gesinnung annehmen zu wollen
und zog nach Italien, um sich mit dem Papste auszusöhnen.
Auf die Erklärung, er habe mit Walrade seit dem Spruche
Nikolaus I. keinen Umgang mehr gepflogen, wurde er in
[150] den Kirchenverband wieder aufgenommen. Während der
hl. Messe reichte ihm Adrian in der Peterskirche die
hl. Communion mit den Worten: ‘„Wenn du seit dem Spruche
des Papstes Nikolaus mit Walrade nicht mehr im Ehebruch
gelebt, auch fest entschlossen bist, nicht mehr mit ihr Um-
gang zu pflegen, so tritt voll Vertrauen herzu und em-
pfange das hl. Sakrament. Der König that's. So hatte
der Papst gesiegt. Aber gleich nachher zeigte der König
seine geheuchelte Bekehrung, indem er die Hoffnung aus-
sprach, Walrade doch noch heirathen zu dürfen. Allein
der Zorn Gottes erreichte den Ehebrecher. Denn bald nach-
her starb er mit den meisten seines Gefolges an einem
bösartigen Fieber im fremden Lande. Alle betrachteten
diesen unerwarteten Tod als ein gerechtes Strafgericht
Gottes über den Schänder der hl. Sakramente des Altars
und der Ehe. So handelte der Papst vor 1000 Jahren.’
Doch betrachtet nun etwas genauer diesen Kampf der
Wahrheit und der Sitte gegen die vereinigte Macht der
Waffen und der Fleischeslust. Wer will seine rechtmäßige
Gattin verstoßen und eine andere heirathen? Kein
Bettler, der keine Bedeutung hat, kein Reicher, der nicht
wenig zu fürchten, sondern ein König, der einen Kaiser
zum Bruder hat. Wer soll da nicht fürchten, nicht ein
Auge zudrücken? Nicht schweigen, wenn er im Herzen
das Unrecht auch nicht billiget? So sind dann wirklich
Bischöfe und Erzbischöfe dem Könige behilflich; aber auf
einmal ertönt die Stimme des großen Propheten: ‘„Es
ist dir nicht erlaubt! Denn für dich, den König, wie für
deinen geringsten Unterthan gilt die Heiligkeit der Ehe;
das ewige Feuer brennt für den Ehebrecher auf dem
Throne ebensolange und noch viel grimmiger, als für den
Wüstling ohne Haus und Hof.“’
Aber, hl. Vater, verwüsten die Söhne Muhameds
nicht Italien? Wer wird dich beschützen, wenn auch christliche
[151] Fürsten deine Feinde sind? Um diese zu gewinnen, solltest
du doch ein Auge zudrücken. ‘„Das ist Verrath an meiner
Sendung.“’ Aber der christliche Kaiser zieht mit einem
Kriegsheer in deine Stadt, überall Mord und Plünde-
rung; die Kirchen werden gleich verächtlichen Hütten be-
handelt, du selbst im Tempel eingeschlossen vergißest
ob dem Jammer über dein Volk deinen Hunger,
deine Todesgefahr. Warum denn das Band einer un-
glücklichen Ehe nicht lösen? Ist es nicht besser, der
wohllüstige König, der doch im Ehebruch lebt, heirathe
die Ehebrecherin, als daß die ganze Christenheit so viel
leide und die Kirche selbst untergehe eines Weiber wegen?
Nicht wahr, gerade so rechnet menschliche Klugheit heute
wie damals denn sie fürchtet bei der Ohnmacht des
Fleisches die Gefahr des Augenblickes. Aber der hl. Vater?
Sehet die größten Helden aller Jahrhunderte! Mögen
die Söhne Muhameds von Süden und die christlichen
Heere vom Norden her diese hl. Stadt bedrängen, dem
Erdboden gleichmachen – sie gehen zu Grunde auf dem
Felsen, den Christus hingelegt, damit die Heiligkeit der
Ehe ebensowenig wie der Felsen selbst überwältigt werden
kann. Aber, hl. Vater, wenn alle diese Schrecken dich
nicht wankend machen, siehe die verstoßene Königin kommt
selbst zu dir, bittet und beschwört dich unter einem Thränen-
strom, doch das unglückliche Eheband zu lösen. Rührt
dich nicht diese Jammergestalt und erschüttern dich nicht
diese Thränen? – Wenn so manche die Großthaten, die
eiserne Festigkeit, die Heldensprache der großen Päpste
unserer Zeit nicht verstehen, so denket an diese ehernen
Gestalten vergangener Jahrhunderte. Groß und tief haben
sie ein Herz, nicht wie gewöhnliche Menschen, denen sinn-
liche Liebe als Gemüth und Herz gilt, oder denen ihr
Eigennutz, ihre Selbstsucht als Friedenliebe erscheint, –
sondern wie ein Statthalter Christi, der über die Sünder
[152] und die Unglücklichen weint wie einst Christus über Jeru-
salem. So weint Nikolaus mit der unglücklichen Königin,
aber ihrem Wunsche kann er nicht willfahren, sondern
spricht zu ihr: habe Geduld, harre aus: du mußt mit mir
kämpfen für das Gesetz Jesu Christi, für die Heiligkeit
der Ehe, für die Ehre deines Geschlechtes. Denn sobald
die Männer nach ihrer Lust euch verstoßen oder andere
nehmen können, wie elend, wie verächtlich, wie gemein
euere Person, euere Stellung? Theuberge, getröstet und
muthigt, harrte in ihrem Unglücke aus.
Aber können denn die Päpste nicht nachgeben? Den
Ehebruch können sie niemals billigen, sondern stets ver-
dammen, auch wenn er im Modegewand der Civilehe auf-
tritt – aber den reumüthigen Ehebrecher nehmen sie auf
wie der Vater den verlorenen Sohn. So wird auch
Lothar vom Vater der Christenheit wieder in Gnaden auf-
genommen. Doch seine Besserung ist Heuchelei; Gott aber
läßt seiner nicht spotten, läßt nicht ungestraft seinen Statt-
halter verfolgen, die Heiligkeit der Ehe schänden, die hl.
Sakramente mißbrauchen; wenn die Zeit der Barmherzig-
keit unbenutzt vorbeigegangen, beginnen die Gerichte seiner
Gerechtigkeit. Der Ehebrecher mit seinen Gehilfen sieht
sein Vaterland nicht wieder, und die ganze Christenheit
ruft entsetzt aus: ‘„Da sehet den Finger Gottes!“’ Dies
traurige Ende sollen alle beherzigen, besonders aber die-
jenigen welche von der Leidenschaft geblendet in Verhält-
nissen leben, welche vor Gott keine Ehe sind – auch für
sie kommt das Ende!
Wenn wir in gewöhnlichen Zeiten lebten, wo ein
einfaches Wort für die Bekehrung der Sünder und für die
Beharrlichkeit der Gerechten ausreichte, so dürfte ich hier
vielleicht abbrechen; da wir aber in Verhältnissen sind,
wo wir die Propheten des alten Bundes und jene großen
hl. Kirchenväter wir einen Ephrem von Syrien, einen hl.
[153] Gregor von Nazianz, einen hl. Chrysostomus von Anti-
ochia von Tag zu Tag nothwendiger haben, so muß ich
nothwendig noch ein Beispiel anführen und zwar wieder
einen König. Philipp August, König von Frankreich, wollte
1193 seine edle Gattin Ingeburga verstoßen und eine
andere heirathen. Als seine Höflinge die Ehe wirklich als
ungültig erklärten, rief die unglückliche Königin: ‘„Böses
Frankreich! Böses Frankreich! Rom! Rom!“’ Was be-
zeugen diese Worte? Also war Rom schon damals die
Zufluchtsstätte aller Unglücklichen, die Hilfe aller Verstoßenen,
die Rächerin der geschändeten Ehe. Rom! Rom! Inge-
burga täuschte sich nicht; denn 20 Jahre führten die Päpste
den Kampf für sie wider den königlichen Ehebrecher.
Jener große Papst Innocenz III. schrieb an seinen
Gesandten in Frankreich: ‘„wir setzen, wenn es sein soll,
unser Blut an Wahrheit und Recht und wollen mit
Gottes Hilfe hier nichts durch Täuschung oder zum Scherze
beginnen.“’ Unser Blut setzen wir daran? Woran? An
die Heiligkeit der Ehe. Nicht zum Scherze, nicht zum
Scheine führen wir den Kampf, sondern im hl. Ernste.
Und welch' ein Ernst! Ueber ganz Frankreich spricht der
Vater der Christenheit das Interdict aus: Kein Gottes-
dienst wird mehr gehalten, keine Glocke mehr geläutet, kein
hl. Sakrament mehr gespendet, mit Ausnahme der Taufe
und der Sterbesakramente. Der König gerieth in Wuth,
und rief das denkwürdige Wort: ‘„Ich will ein Ungläu-
biger werden; wie glücklich war Saladin; er hatte keinen
Papst!“’
Wer war denn Saladin? Ein Großsultan, glücklich
in Krieg und Frieden; der konnte sich Weiber nehmen so
viel er wollte; denn er hatte keinen Papst; ihm stand
kein Nikolaus, kein Innocenz, kein Gregor, kein Pius, kein
Leo als Statthalter Christi gegenüber – als Felsen, an
dem die Wogenbrandung der Leidenschaft sich bricht. Wie
[154] glücklich war Saladin, er hatte keinen Papst! Was wäre
also aus den christlichen Fürsten ohne Papst geworden?
Wie der Großtürke hätten sie längst ihren Harem mit
Weibern angefüllt – und nach ihrem Beispiele würde
ein jeder nach Vermögen und Lust sich Weiber nehmen
und wieder verstoßen.
Wem also, ich wende mich an euch, christliche Frauen
und Mütter und Töchter – wem also habet ihr euere
Würde und eueren Adel zu verdanken? Wer setzte Gut
und Blut daran, daß ihr nicht eine verächtliche Waare
geworden seid? Wer trotzte auf schwachem Schifflein
allen Stürmen und Wettern für euere Ehre? Der Statt-
halter Jesu Christi in Rom! Und wenn außerhalb der
katholischen Kirche das Weib noch ein menschenwürdiges
Dasein genießt, so ist es dafür dem hl. Vater zum Danke
verpflichtet. Warum? Das Beispiel der katholischen
Kirche wirkte segnend weit über ihre Grenzen hinaus.
Denn im Angesichte dieser leuchtenden Sonne der Wahr-
heit und der Gerechtigkeit, der Heiligkeit und der Keusch-
heit wagt es die Finsterniß der Lüge, der Unzucht, des
Ehebruches noch nicht recht, aus ihren Schlupfwinkeln her-
vorzubrechen.
So verdienen die Päpste, wie de Maistre bemerkt,
schon aus diesem Grunde an die Spitze der Wohlthäter
der Menschheit gestellt zu werden.
Aber begreifet ihr denn auch, warum dies sinnliche
Fleisch, das schon vor der Ehe oft thierisch lebt und ge-
nießt, das in der Ehe keine Schranken kennt, das von
allen verbotenen Bäumen die Frucht genießt, das im
Garten Gottes die Blumen zertritt; – begreifet ihr nun,
warum dies Fleisch sich ärgert am Statthalter Christi?
Begreift ihr nun, warum dieses Fleisch tobt und rast im
Kampfe gegen die Machtfülle des hl. Vaters und mit
Philipp ausruft: ‘„Ich will ein Ungläubiger werden, wie
[155] glücklich war Saladin, er hatte keinen Papst!“’ Begreifet
ihr nun, warum dieses Fleisch keine Ruhe findet, bis es
ungestört ein Saladin sein kann?
Ich sage ungestört. Denn was jenen Königen noch
nicht möglich war, das ist heute in einem gewissen Sinne
jedem Bettler leicht erreichbar. Denn nach bürgerlichen
Gesetzen kann er sich von seinem Weibe trennen, und er
und sie können sich mit andern wieder verheirathen, – aber
nicht ungestört. Denn im Namen und Auftrag Christi
läßt der hl. Vater die sittliche Weltordnung verkünden mit
den Worten des Gottmenschen: ‘„Ein jeder, der sein Weib
entläßt und eine andere heirathet, der bricht die Ehe, und
wer eine vom Mann Geschiedene heirathet, der bricht die
Ehe. Und die Ehebrecher werden das Reich Gottes nicht
sehen.“’
Aber was beweisen uns all' diese kämpfe der Kirche
durch alle Jahrhunderte? Warum ist sie so unbeugsam?
Warum ließ sie zur Zeit der Reformation als die Wogen
in das Schifflein Petri hineinschlugen, Heinrich VIII. von
England eher abfallen, als daß sie ihm die Auflösung
der Ehe und die Verheirathung mit jener Anna gestattet
hätte? Welchen Vortheil hat sie denn? Leiden und Ver-
folgungen, Armuth und Elend, Blut und Wunden. Setzet
einmal den unmöglichen Fall, Leo der XIII. würde etwa
Folgendes verkünden: ‘„Ich sehe, wie die Menschheit große
Fortschritte gemacht hat, und wie mit diesem Fortschritte
die Unauflöslichkeit der Ehe nicht mehr bestehen kann; da-
her ist es in Zukunft gestattet, aus wichtigen Gründen die
Ehe aufzulösen, und beide dürfen mit ruhigem Gewissen
mit andern sich wieder verheirathen.“’ Welch' ein Jubel auf
der ganzen Welt! Der Ungläubigste glaubte auf einmal
an die Unfehlbarkeit des Papstes. Hosanna, tönt's von
allen Seiten, Hosanna dem größten Papste, Hosanna der
Kirche, dieser Freundin des Menschengeschlechtes!
Warum denn nicht nachgeben? Warum Krieg statt
Frieden? Was beweist dies alles? Die christliche Ehe
ist der lebende Zeuge für die Heiligkeit der Kirche, die
lieber alles duldet, als nur einen Finger breit von Gottes
Wegen abweichen; sie ist der lebendige Zeuge für die Gött-
lichkeit der Kirche, welche arm und waffenlos alle Macht
und Grausamkeit des Fleisches überwunden hat, und heute
noch bekämpft und besiegt. Sie fürchtet nicht Könige und
Kaiser, nicht Kriegsheere und Flotten, nicht Christen und
Türken, nicht die geheimen Gesellschaften und ihre Droh-
ungen, nicht die öffentliche Meinung und ihren Blödsinn
– sondern eines verstoßenen Weibes wegen tritt sie in
den Kampf mit der ganzen Welt und mit den Pforten
der Hölle, um die Heiligkeit der Ehe zu beschützen und
damit Familie und Gesellschaft vor der Auflösung zu
bewahren.
Präget euch diese Wahrheiten tief ein; denn in gegen-
wärtiger Zeit kann das katholische Bewußtsein so leicht
geschwächt werden, und wenn dann die Leidenschaft erwacht,
wird das Sündenelend bald voll. Redet euern Söhnen
und Töchtern oft von diesen Wahrheiten, besonders den
Töchtern. Denn die Frömmigkeit dieser geht bei allem
äußern Schein nur zu oft und zu schnell im Feuer der
Leidenschaft in Rauch auf, sobald sie nur irgend wie Aus-
sicht haben, zu heirathen. So werden dann unglückliche
oder sündhafte oder gar ungültige Ehen geschlossen.
Wenn ihr aber, um mit Leo XIII. zu reden, höchst
Unglückliche kennt, welche von Begierlichkeit entbrannt und
hingerissen und ihres Heiles gänzlich uneingedenk in sünd-
hafter Weise zusammenleben, ohne durch das Band einer
rechtsmäßigen Ehe verbunden zu sein, so suchet doch auf
jede Weise dahin zu wirken, daß diese Unglücklichen aller
Unglücklichsten Buße thun, den Gesetzen Gottes und der
Kirche sich fügen, und so dem ewigen Verderben entrissen
werden.
Mögen diese Worte etwas beitragen, daß wir wachsen
in der Liebe und Begeisterung für die hl. Kirche und den
hl. Vater, daß wir in treuer Anhänglichkeit an die Braut
Christi in den Stürmen der Gegenwart unsere eigene Seele
retten, viele unglückliche Sünder zur wahren Buße bestimmen
und so für den Himmel gewinnen.
XVII.
Taufe, besonders Kindertaufe.
Die Frucht der Ehe sind die Kinder. Da diese mit
der Erbsünde befleckt das Licht der Sonne erblicken, müssen
sie im hl. Sakramente der Taufe gereiniget und geheiliget,
Kinder und Erben Gottes werden. Bei der wachsenden
Gefahr, den Glauben an dies hl. Sakrament zu verlieren,
bei der großen Gleichgültigkeit, welche die Taufe der Kinder
zu lange verschiebt, ist es durchaus nothwendig, dies Ge-
heimniß einmal tiefer zu entwickeln.
Zuerst rede ich natürlich vom Wesen der Taufe und
dann von der Taufe der Neugebornen. Da sage ich mit
dem hl. Augustinus: ‘„Für diese Kleinen müssen wir um
so nachdrücklicher reden, als sie es für sich selbst nicht
können.“’ So bin ich denn so recht der Anwalt dieser
kleinen, die mit Thränen an das Licht kommen, und so
mit der ganzen Schöpfung nach Erlösung seufzen.
Was ist also die Taufe? Sie ist das Sakrament
der Wiedergeburt durch das Wasser im Worte des Lebens.
Wenn der Mensch durch die leibliche Geburt in's Dasein
tritt, so begegnet er an der Schwelle des Lebens einer
neuen Ordnung der Dinge. Wie er nämlich durch seine
fleischliche Abstammung die Sünde und den Fluch Adams
[158] geerbt, so muß er durch eine geistige Wiedergeburt diesem
Elende entrissen, und Christo dem geistigen Stammvater
des Menschengeschlechts einverleibt werden. Das nun ge-
schieht im hl. Sakramente der Taufe durch den hl. Geist
und das in der Taufe Christi geheiligte Wasser, welches
der Taufende über den Täufling gießt und dabei die
Worte spricht: ‘„Ich taufe dich im Namen des Vaters,
und des Sohnes und des hl. Geistes.“’
Aber ist das wirklich nothwendig? Der vornehme
Nikodemus, ein Pharisäer, kam aus Furcht vor den Juden
Nachts zu dem göttlichen Heilande. Er war also nicht gerade
ein Held, aber doch heilsbegierig. Deshalb nahm ihn
der Heiland liebevoll auf, um mit der Zeit noch einen
Helden aus ihm zu machen. Im Verlaufe der Unterredung
sprach er zu ihm: ‘„Wahrlich, wahrlich sag' ich dir, wenn
jemand nicht neu geboren wird, so kann er das Reich
Gottes nicht sehen.“’
Nikodemus faßte diese Worte fleischlich auf und sagte:
‘„Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist.“’
Christus antwortet: ‘„Wahrlich, wahrlich sag' ich dir, wenn
jemand nicht wieder geboren wird, aus dem Wasser und
dem hl. Geiste, so kann er in das Reich Gottes nicht ein-
gehen.“’ (Joh. III. 3.)
Wenn auch diese Worte klar sind, so will ich doch
die Worte des hl. Augustinus noch beifügen: ‘„Du verstehst
eine fleischliche Geburt, aber aus dem Wasser und dem
hl. Geiste muß der Mensch wegen des Reiches Gottes
geboren werden. Wenn jemand wegen der zeitlichen Erb-
schaft des menschlichen Vaters, aus dem Schooße der
Mutter geboren wird, so wird er wegen der ewigen Erb-
schaft Gott des Vaters aus dem Schooße der Kirche wieder-
geboren. Der dem Tode geweihte Vater zeugt durch seine
Gattin einen Sohn, der ihm nachfolgen soll; Gott aber
zeugt durch die Kirche Söhne, die ihm nicht nachfolgen,
sondern bei ihm bleiben sollen.“’ (Tract. XIII. in Joh.)
Aber warum wählte der Heiland gerade das Wasser?
Die hl. Väter geben viele tiefsinnige Gründe an, allein
ich kann dieselben hier nicht alle aufführen. Denn hier
ist nicht der Ort, für eine gelehrte Abhandlung, sondern
nur für die allen nothwendige Erklärung dieses Geheim-
nisses.
Also nur eines. In der Religion der Juden wie
der Heiden galt das Wasser als Reinigungsmittel, als
werde durch die leibliche Waschung im Schmerze über
begangene Missethat auch die Seele vor der Gottheit
gereiniget. Dieser Zug ist in die Menschennatur hinein-
gelegt durch Gott den Vater, diesen Zug hat Gott der
Sohn in der Erlösung geheiliget, und es dem hl. Geiste
übergeben, im Wasser das sündenbefleckte Menschenkind rein
zu waschen und zu einem Kinde Gottes umzugestalten.
Aber ist denn ohne die Taufe die Erreichung des
ewigen Lebens wirklich nicht möglich? Urtheilet nun
selbst, aber ja nicht gegen die ausführliche Lehre Christi.
Erwachsene, welche glauben und getauft zu werden ver-
langen, aber vor dem Empfang der Taufe wegsterben,
werden durch diese Begierdtaufe gerettet, oder durch die
Bluttaufe, wenn sie ihr Blut für Christus vergießen; aber
ist den kleinen Kindern auch eine Begierdtaufe möglich?
Wenn sie daher ohne diese Wiedergeburt wegsterben, werden
sie niemals den Himmel besitzen. Da mag eine falsche
Sentimentalität wimmern wie sie will, hilft alles nichts.
Aber werden denn diese Kinder verdammt? Die
Ansichten der Gottesgelehrten sind da sehr verschieden und
die Kirche hat noch nichts entschieden; ich aber habe euch
nicht die Meinung der Gelehrten, sondern die Glaubens-
wahrheiten zu verkünden. Nur so viel ist sicher und aus-
gemacht: ‘„Ungetaufte Kinder kommen nicht in den Himmel
zur Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht.“’
Wenn ich nun da gleich gewisse Mißbräuche berühren
[160] könnte, so will ich doch an der Hand des hl. Chrysosto-
mus noch tiefer in das Taufgeheimniß eindringen. Denn
bevor wir Thaten verlangen können, muß der Verstand
von der Wahrheit überzeugt, der Wille erwärmt und be-
geistert sein.
Der Zug der Israeliten durch das rothe Meer wird
voll der hl. Schrift und von allen Vätern und von der
ganzen Kirche als Vorbild der Taufe angesehen. So
schreibt der hl. Paulus an die Gemeinde zu Corinth:
‘„Ich will euch nicht vorenthalten, daß unsere Väter Alle
unter der Wolke waren, und Alle durch das Meer gingen,
und Alle in Moses durch die Wolke und in dem Meere
getauft wurden, und Alle dieselbe geistige Speise aßen,
und Alle denselben geistigen Trank tranken, sie tranken
nämlich Alle aus dem geistigen Felsen, der ihnen folgte,
und der Felsen war Christus.“’ (I. C. X, 1–4.)
Als einst der hl. Chrysostomus eine besondere und
ziemlich lange Predigt über diese Stelle des hl. Paulus
hielt, (T III. Mauriner) fragte er zuerst, warum wieder-
holt der hl. Paulus so oft das Wort ‘„Alle“’. Dieser
Zug durch das rothe Meer ist ein Vorbild der Taufe.
Wie dort alle durch das Meer ziehen mußten, so sollen
im neuen Bunde alle der Taufgnade theilhaftig werden.
Dort Wasser, hier Wasser, dort steigen Alle in das Wasser;
hier ebenso: dort werden sie durch das Wasser von der
Knechtschaft Aegyptens befreit; hier von der Sünde, von
der Abgötterei; dort wird Pharao versenkt, hier der
Teufel; dort ertrinken die Aegypter, hier wird der alte
sündenbeladene Mensch begraben; von der Sklaverei be-
freit, erhielten jene die Freiheit, auch wir, aber eine viel
schönere, die Freiheit der Kinder Gottes.
Aber wie wurden die Juden in Moses getauft? Als
keiner wagte, die trockene Meeresstraße zu betreten, ging
Moses voraus und alle folgten ihm muthig. Christus
[161] aber ist uns auf dem Himmelswege nicht bloß vorange-
gangen, sondern in seinem Leiden und Sterben blutüber-
ronnen, ließ er sein göttliches Taufblut gleichsam in das
Taufwasser strömen, um damit, so viel von ihm abhängt,
alle Menschen von der Sünde zu reinigen, dem ewigen
Verderben zu entreißen, mit dem Strahlenglanz der gött-
lichen Gnade, dieser übernatürlichen Ausstrahlung der
Schönheit Gottes, zu verklären, und so für den Eintritt in
den Himmel mit dem Hochzeitsgewande zu schmücken.
Wie sehr das sein Herzenswunsch war, bezeugte er mit
den Worten: ‘„Ich muß mich mit einer Taufe taufen lassen,
und wie drängt es mich, bis es vollbracht ist.“’ (Luc. VII. 50)
Doch wir folgen Christus nicht nur wie die Juden
dem Moses, sondern wir sind wirklich auf seinen Namen
getauft, und nicht bloß in seinem, sondern auch im Namen
des Vaters und des hl. Geistes. Warum wählte Christus
diese Form? Wir sollen wissen, woher die hl. Taufe diese
Wunderkraft besitzt. Vom Vater, der seinen Sohn in die
Welt gesandt, vom Sohne, der die Taufe eingesetzt und
mit seinem Blute fruchtbar und wirksam gemacht, vom
hl. Geiste, der, wie das Wasser äußerlich den Menschen
reiniget, innerlich die Seele wäscht und heiliget; so haben
wir denn nicht die Taufe des Johannes, nicht die Taufe
eines Menschen, sondern die Taufe des dreieinigen Gottes.
Wie wir daher schon durch die Erschaffung Eigenthum
Gottes, so noch weit mehr durch diese Wiedergeburt aus
dem Wasser und dem hl. Geiste.
Damit wir aber jetzt schon Kinder und Hausgenossen
Gottes die Vollendung der himmlischen Herrlichkeit er-
langen, ist die Taufe nur der große Anfang neuer Gnaden-
wunder ähnlich wie beim Zuge durchs rothe Meer. Alle
nämlich aßen dieselbe geistige Speise, das Manna vom
Himmel, und du, ruft der hl. Chrysostomus, und du ge-
nießest nach der Taufe das Fleisch deines Erlösers: Alle
[162] tranken denselben geistigen Trank, das Wasser aus dem
Felsen, und nach der Taufe trinkst du das Blut deines
Gottes und Erlösers.
Aber wiedergeboren aus dem Wasser und dem hl. Geiste
als Kinder Gottes, gereiniget von der Erbschuld, im Besitze
aller Gnadenmittel – sind nur damit schon gerettet? Was
thaten die Israeliten nach dem Zuge durch das rothe Meer?
Sie sündigten vielfach. Deßhalb bemerkt der hl. Paulus;
‘„In der That kamen von 600,000 Männern, welche durch
das Meer gezogen waren, nur Josue und Kaleb in das
gelobte Land.“’ Alles dies, bemerkt der hl. Paulus, wider-
fuhr ihnen zum Vorbilde, d. h. zum warnenden Beispiele
für uns, die wir in den letzten Zeiten leben. Warum dies
warnende Vorbild? Wenn wir auch durch die Taufe
rein gewaschen, Kinder Gottes geworden sind, so lebt
doch in den Getauften noch die Sinnlichkeit. Deshalb
haben wir im Kampfe gegen die Begierlichkeit der sinn-
lichen Natur ein reines, unschuldiges Leben zu führen,
sonst hilft uns weder die Taufe, noch die Theilnahme an
den Geheimnissen, noch irgend etwas anderes – sondern
wir gehen in der Wüste dieser Welt elendiglich zu Grunde.
Aber warum diese Wahrheiten so betonen? Vor allem,
daß wir selbst mit der Gnade Gottes den guten Kampf
gegen die Begierlichkeit und all' die bösen Neigungen sieg-
reich auskämpfen, den von den Vätern erhaltenen Glauben
mitten unter tausenderlei Gefahren unverletzt bewahren
und auch den Neugebornen gegenüber darnach handeln.
Ihr wisset doch Alle, wie der Unglaube, wie das
sog. Reformerthum immer weiter um sich greift, wie die
Gottheit Christi, die hl. Taufe auf die frechste Weise ge-
leugnet wird, wie religiöse Gleichgültigkeit auch viele
Katholiken bedroht und schon manche von der Kirche los-
gerissen hat.
Daher ist das Auftauchen zahlloser Sekten ganz
[163] natürlich und zum Theil ein gutes Zeichen. Warum?
Die Christusgläubigen Elemente außer der katholischen
Kirche, um nicht von der Strömung nach links mitgerissen
zu werden, sammeln sich. So bewahren sie wenigstens
das noch, was ihre Väter zur Zeit des Abfalles an
Wahrheit und Gnade aus den Schatzkammern der Kirche
mitgenommen haben. Das ist ein Lebenszeichen der un-
verwüstlich katholischen Natur der Menschenseele. So
werden viele Kinder noch gültig getauft und fliegen in
den Tagen ihrer Unschuld in den Himmel als Glieder des
geheimnißvollen Leibes Christi – der einen heiligen katho-
lischen Kirche. Denn wie nur ein Gott, so auch nur eine
Taufe, nur ein Christus, nur eine Kirche. Wer daher
immer gültig getauft ist, der ist und bleibt Katholik, so
lange er nicht die Kirche verläßt und so dem Unglauben
oder einer Sekte anheimfällt.
Aber wie lange darf man mit der Taufe der Neu-
gebornen zuwarten? Etwa Wochen und Monate? Da
könnte ich einfach auf den römischen Katechismus hin-
weisen. Dieser auf Befehl des hl. Papstes Pius V. her-
ausgegeben, lehrt nämlich, daß diejenigen, welche ihre
Kleinen länger als die Nothwendigkeit verlangt, der Tauf-
gnade entbehren lassen, sich einer schweren Sünde schuldig
machen. Also kein Vorwand, sondern nur die Nothwendig-
keit, aber eine wirkliche, kann die Verschiebung der Taufe
entschuldigen.
Allein um euch von der Influenza der rein bürger-
lichen Luftströmungen zu bewahren, wollen wir aus alter
Zeit einen glorreichen Martyrer und lichtvollen Lehrer,
wie der hl. Augustin ihn nennt, berathe und mit ihm ein
afrikanisches Concil von 66 Bischöfen. Wer ist dieser?
Der hl. Cyprian, Bischof von Carthago, gestorben als
Martyrer im Jahre 258.
Ein gewisser Priester, Fidus mit Namen, war damals
[164] der Ansicht, man solle die Kinder nicht am ersten oder
zweiten Tage nach ihrer Geburt taufen, sondern erst am
achten Tage nach dem Vorbilde der jüdischen Beschneidung.
Er fragte den hl. Cyprian um seine Meinung.
Was folgt hieraus? Also brachte man damals wie
heute, wo der Glaube noch lebendig, die Kinder am ersten
oder zweiten Tage nach der Geburt zur hl. Taufe.
Welche Verschiebung verlangt Fidus? Etwa von Wochen
und Monaten? Von einigen Tagen. Dafür glaubte er
zwei Gründe zu haben: er stützte sich nämlich auf die
Zeit der jüdischen Beschneidung und meinte dazu, das
Kind sei in den ersten Tagen nach der Geburt unrein.
Wie wird die Antwort lauten? Der hl. Cyprian
brachte die Sache in einer Versammlung von 66 Bischöfen
zur Sprache, und schrieb dann dem Priester Fidus:
‘„Keiner war deiner Ansicht, keiner; sondern im Gegentheile
urtheilten wir alle, keinem gebornen Menschen dürfe die
Barmherzigkeit und Gnade Gottes verweigert werden.“’
(Lib. III. ep. 8. edit. Erasmi Basel 1525). Also nicht
bis auf den 8. Tag warten, sondern wie der hl. Augustin,
welcher diesen Entscheid anführt, scharfsinnig bemerkt, ‘„an
jedem Tage soll man dem Neugebornen zu Hilfe eilen,
damit er nicht ewig verloren gehe; denn gleich vom
Mutterschooße weg sind die Kinder für die Taufgnade
fähig.“’ (l. III. C. de merit. et remiss peccat.)
Doch kehren wir zum hl. Cyprian zurück? Warum
also am ersten oder zweiten Tage nach der Geburt taufen?
Da der Menschensohn nicht gekommen ist, die Seelen zu
verderben, sondern zu retten, so darf was von uns abhängt,
keine Seele verloren gehen. Aber ist denn diese Gefahr
bei Verschiebung der Taufe wirklich vorhanden? Die
Taufe ist die reinste Gnade Gottes, welche diese Kleinen
unmöglich verdienen können. So kommt dann, wie der
hl. Augustin bemerkt (Contr. Ep. Pelag. l. II, C: 6.) das
[165] Kind frommer Eltern oft nicht zur Taufe, wohl aber das
Kind der Feinde Christi; eine keusche Mutter beweint das
Kind, das die Taufe nicht erlangen konnte und nimmt
das ausgesetzte Kind einer Dirne an und läßt dasselbe
taufen.
Ist es daher nicht die heiligste Pflicht christlicher
Eltern ihre Kinder so bald als möglich taufen zu lassen?
Wenn sie aber damit nicht bloß Tage sondern Wochen und
Monate zuwarten, sind diese Kinder nicht in beständiger
Gefahr, ohne die Taufgnade wegzusterben? Wenn aber
dieser Trauerfall nicht eintritt, sondern das Kind endlich
doch zur Taufe gelangt, ist dann die Verantwortung der
Eltern vor Gott weniger groß? Und welche Erziehung
haben dann diese Kinder zu erwarten oder besser zu be-
fürchten? Urtheilet selbst. Und wenn dann die rein
bürgerliche, religionslose Schule das Unglück noch vollendet?
Doch kehren wir zum hl. Cyprian zurück, um in
seiner erhabenen Weltanschauung uns einmal wieder recht
hoch über alles Menschliche zu erheben. ‘„Das Kind ist
in den ersten Tagen nach der Geburt noch unrein; des-
halb schickt es sich nicht, ihm in der Taufe den Friedens-
kuß zu geben.“’ So meinte Fidus. Was antwortete ihm
Cyprian? ‘„Wenn auch das Kind erst neugeboren, so ist
es doch nicht so beschaffen, daß jemand bei Verleihung
der Gnade und des Friedens sich schämen soll, dasselbe
zu küssen. Warum? Denn beim Küssen des Kindes soll
ein jeder nach seiner Frömmigkeit die noch frischen Hände
Gottes sich denken, welche wir in dem neugebildeten und
soeben gebornen Menschen gleichsam küssen, wenn wir das
umarmen, was Gott gemacht.“’
Welche Erhabenheit der Auffassung! Dort, wo der
Sinnenmensch Possen reißt, und eine falsche Frömmigkeit
sich beleidigt zeigt, da erhebt sich die reine Seele im
Adlerfluge des Glaubens je nach der Schwungkraft ihrer
[166] wahren Frömmigkeit in die Lichthöhen des Himmels,
schaut Gottes allmächtige Hand, wie sie das Kind bildet
und formt, und dem Sonnenlichte schenkt. Dann schaut
sie an Neugebornen die noch frischen Spuren der all-
mächtigen Hand, welche ihr Werk in der Wiedergeburt
des Kindes aus dem Wasser und dem hl. Geiste sofort
vollenden will – sofort.
Wenn diese erhabene Weltanschauung über das Wirken
Gottes in der natürlichen wie übernatürlichen Ordnung
allgemein wäre, so hätte kein Kind lange auf die Taufe
zu warten, und gleichzeitig würden zahllose Greuel und
Ausschweifungen in und außer der Ehe auf einmal ver-
schwinden. Denn der Gerechte lebt nach den Grundsätzen
des Glaubens. Je heftiger und schlauer daher die christ-
liche Weltanschauung heute angegriffen wird, desto noth-
wendiger ist es geworden, die hl. Väter alter Zeiten reden
zu lassen, damit wenigstens die Auserwählten gerettet
werden.
Aber das Gesetz der Beschneidung am achten Tage?
Der achte Tag war das Vorbild des ersten nach dem
Sabath, an welchem Christus von den Todten auferstehen
und den hl. Geist senden sollte, um uns die geistige Be-
schneidung im hl. Sakrament der Taufe zu geben. So
ist denn heute für die Neugebornen der erste Tag schon
der achte, und noch weit mehr der zweite, der dritte. Zu-
dem bemerkt der hl. Cyprian, verdienen diese Kleinen um
so mehr unsere Hilfe und Gottes Erbarmen, als sie im
ersten Augenblicke nach der Geburt mit Klagen und Thränen
bitten.
Woher diese Thränen? Von der ersten Sünde,
welche auf alle übergeht und so alle dem Gesetze der
Schmerzen unterwirft. Was sind daher diese ersten Thränen?
Gleichsam ein Bitten, ein Flehen, um durch unsere Hilfe
im hl. Sakramente der Taufe die Gnade Gottes sofort zu
erlangen.
Manche meinen, ich sei doch zu wenig maßvoll und
vorsichtig und schonlich. Allein ich will nicht schonlicher,
vorsichtiger, maßvoller sein als die hl. Väter, besonders
heute als Anwalt ungetaufter Kinder. Und wenn erst
die Seelen jener Kinder, welche durch die Schuld und
Sorglosigkeit ihrer Eltern ohne Taufe weggestorben, hier
erscheinen könnten, wie würden sie klagen? Würden sie
die Schuld mehr auf die Eltern oder auf uns Priester
werfen? Würden sie vielleicht uns vorwerfen: ‘„Unter
dem Vorwande, diese und jene nicht abzustoßen, habet ihr
die volle Wahrheit nicht verkündigt, nicht die Sprache der
Väter geredet, so habet ihr jene nicht gewonnen, uns aber
dem Verderben überlassen.“’ Würden sie etwa derart klagen?
Wer deshalb da eine andere Rücksicht kennt, als das
Wohl dieser hilflosen Würmchen, ist der gefährlichste
Kinderfeind. Wenn daher der hl. Cyprian, gleich hoch
gefeiert durch die Heiligkeit seines Lebens, durch den Ruhm
des Martyriums, durch die Tiefe der Wissenschaft, durch
den Zauber seines Gemüthes, durch die Gewalt seiner Rede
hier über diesen Gegenstand predigte, so würde der Boden
dieses Domes von unsern Thränen befeuchtet. Deshalb
christliche Eltern rufe ich euch zu: habet doch Mitleid mit
den Neugebornen! Gott der Vater will das Kind heute
schon zu seinem Kinde, Gott der Sohn zu seinem Bruder,
der hl. Geist zu seinem Tempel machen – heute schon.
Wer wollte ihm diese Freundschaft des dreieinigen Gottes
verschieben, das Himmelsthor verschlossen halten und das
nicht bloß Tage, sondern Wochen und Monate lang?
Wäre das nicht eine verächtliche Behandlung des dreieinigen
Gottes, ein entsetzliches Spiel mit dem Kinde?
Aber zu welchem Danke sind wir Alle für die erhaltene
Taufgnade Gott dem Herrn verpflichtet? Wir konnten ja
dieselbe gar nicht verdienen; wir konnten uns nicht so
christliche, brave, vielbesorgte Eltern geben. Aber welches
[168] ist der schönste Dank? Lebet unsträflich als vielgeliebte
Kinder Gottes, als Glieder am geheimnisvollen Leibe
Christi. Welches der schönste Dank? Wandelt als lebendige
Tempel des hl. Geistes und verherrlichet Gott in euerem
Leib und in euerer Seele, durch Unschuld und Reinheit.
Und die Folge hievon? Wie Felsen werdet ihr dastehen
wider den Ansturm der Leidenschaften der Versuchungen,
der religiösen Gleichgültigkeit, des Unglaubens, und mit
aller Entschiedenheit allüberall dahin wirken, daß die Neu-
gebornen nach alter Vätersitte sobald als möglich durch
die Taufgnade Kinder Gottes und Erben des Himmels
werden. Hiefür gebe uns den reichlichen Segen der
dreieinige Gott, der Vater, der Sohn, der hl. Geist.
XVIII.
Die Aufgabe der Erziehung.
Wenn nun auch die Kinder in der hl. Taufe von
der Erbsünde gereinigt und durch die heiligmachende
Gnade Kinder Gottes geworden sind, so sind sie doch nicht
frei von der Begierlichkeit des Fleisches und allerlei bösen
Neigungen; diese müssen bald bekämpft werden; die guten
Anlagen sind im Keime vorhanden, müssen aber bald ent-
wickelt werden. Das wird Aufgabe der Erziehung sein.
Wenn ich daher auf die Erziehung zu sprechen komme,
werde ich nicht die verschiedenen Methoden behandeln,
all' die Tagesmeinungen berühren, sondern einfach die
ewigen Grundsätze der Natur, des Evangeliums und der
katholischen Kirche entwickeln, dabei aber auf diejenigen,
denen Christus wieder ein Aergerniß geworden, mehr oder
weniger zu sprechen kommen. Für heute nun behandle
ich folgende zwei Fragen:
- 1) Was ist denn Erziehung überhaupt?
- 2) In welcher Verbindung steht sie im Allgemeinen
zu Jesus Christus?
Was heißt also erziehen? Erziehen heißt alle guten
Anlagen des Menschen pflegen, üben, entwickeln, daß die-
selben sich vollkommen entfalten, um den Menschen aus-
zurüsten für das irdische Leben und für die Ewigkeit vor-
zubereiten.
Ihr habet also die guten Anlagen der Kleinen zu
entwickeln. Daß auch die Pflege des Leibes zur Erziehung
gehört, versteht sich von selbst. Wie aber Eltern oder Vor-
gesetzte durch entsprechende Nahrung und Kleidung, durch
Reinlichkeit, durch Arbeit für die leibliche Entwicklung der
Kinder zu sorgen haben, will ich für heute übergehen,
und nur die Erziehung der Seele und ihrer Anlagen etwas
näher betrachten.
Da nun lasset euch nicht täuschen, durch eine ober-
flächliche Wissenschaft, welche träumt, der Fortschritt liege
schon im Kinde, man dürfe ruhig zusehen, wie es sich
selbst entwickle. Das ist wahr von den Thieren, welche
bei gesunder Nahrung und Luft ohne unser Zuthun zu
ihrer naturgemäßen Kraft und Schönheit gelangen; wollen
wir sie dann für unsern Dienst gebrauchen, haben wir sie
nur noch zu dressiren. Aber so könnet ihr mit euern
Kindern nicht verfahren, obwohl es vielfach so geübt wird.
Denn diese polizeiliche Dressur läßt im Herzen die ganze
Barbarei der Leidenschaft, welche früher oder später aus-
bricht wie ein wilder Bergbach.
Wollet ihr also erziehen, so habet ihr die edlen An-
lagen des Kindes zu üben, zu entwickeln. Es ist da ähn-
lich wie bei der Rebe. Man schneidet, bindet, bricht sie,
aber das bringt keine Trauben, sondern dient nur zur
fruchtbaren Entwicklung des Rebstockes, der selbst wachsen,
blühen und Frucht bringen muß. Da nun habet ihr die
[170] einzig richtige Art und Weise der Erziehung. Denn diese
ist gerade so viel werth, als das Kind dabei thätig ist.
Ihr gebet den Anstoß von Außen; die Entwicklung kommt
von Innen heraus. Wenn ihr zum Beispiel den Verstand
des Kindes zu früh mit schwierigen Sachen oder mit
einem bunten Allerlei überladet, so erziehet ihr frühreife
Stölzlinge, aber den Verstand entwickelt ihr nicht, sondern
schlaget ihn gleichsam wie todt. Daher können dann solche
Leute allerdings lesen, vielleicht noch etwas mehr oder
weniger unsinniges oder oberflächliches Zeug reden oder
schreiben, aber wirklich denken werden sie niemals und
sollten sie hundert Jahre alt werden. Solcher Beispiele
ist heute die Welt voll.*)
Das gleiche sage ich von der Erziehung des Willens.
Es handelt sich da nicht um lange Predigten über Gehor-
sam, Friedfertigkeit, Geduld, Schamhaftigkeit, sondern um
die Uebung des Willens in diesen Tugenden. Ihr habet
nämlich die Kinder anzuhalten, daß sie wirklich gehorsam,
liebevoll, demüthig, schamhaft in allem und überall handeln
und so durch wiederholte Handlungen zur guten Gewohn-
heit gelangen.
Aber wofür habet ihr die Kinder derart zu entwickeln,
zu erziehen? Für das zeitliche und ewige Vaterland.
Ja für das irdische Vaterland, damit einst vor ihren
Fingern die Kassen, vor ihrem Auge die Unschuld, vor
ihrer Zunge die Ehre, vor ihrem Spotte die Religion, vor
ihrer Herrschsucht die Freiheit gesichert sei. Ja für das
irdische Vaterland, damit die Zuchthäuser, die Besser-
ungsanstalten, die Irrenhäuser immer leerer werden und
jenes Glück, welches nach der Erbsünde in Christo Jesu
noch möglich ist, uns erhalten bleibe.
Aber gerade deswegen habet ihr euere Kinder vor
[171] allem für das ewige Vaterland heranzuziehen. Denn auch
hier gilt Gottes Wort: ‘„Suchet zuerst das Reich Gottes und
seine Gerechtigkeit, und alles übrige wird euch umsonst beige-
geben.“’ Wenn ihr nämlich euere Kinder nur für diese Welt
und nach den Grundsätzen des Zeitgeistes erziehet, werden sie
schon für dieses Leben unglücklich, wenn ihr aber die Jugend
für den Himmel erziehet, nach den Grundsätzen Jesu Christi,
werden sie das ewige Leben erlangen und irdisches Glück wird
als Beigabe umsonst gegeben. Wer daher nicht für den
Himmel erzieht, erzieht überhaupt gar nicht; denn als
schwacher Mensch versucht er das Unmögliche, den Umsturz
der ewigen Weltordnung Gottes.
Wenn ihr endlich bei der Erziehung Glück haben
wollet, so vergesset doch nie, daß der Mensch verdorben
zur Welt kommt mit mannigfaltigen Anlagen zum Bösen.
Auch da täuscht sich die Welt, der Christus ein Aergerniß
geworden. Sie leugnet nämlich die Erbsünde und um
dies leichter zu thun – die Verdorbenheit der Natur.
Daher will sie das Kind ruhig aufwachsen lassen, mit
allem was in ihm liegt und keimt. Ist das nicht die Zer-
störung jeder Erziehung? Ist das nicht der Anfang
der gebildeten Barbarei? Denn diese bösen Neigun-
gen kann Niemand leugnen, als wer die Arbeit scheut,
dieselben in den Kindern zu bekämpfen, oder wer nicht den
Muth hat, denselben in der eigenen Person zu widerstehen.
Freilich wenn Ehebruch, Unzucht, Verführung, Schändung
der eigenen Person, Trunksucht, feiner Betrug keine Sünde
und Schmach des Menschen mehr ist, sondern ein Bedürf-
niß der unverdorbenen Natur, und diese gesunde Sinnlich-
keit in mannigfacher Form gefeiert wird, dafür aber der
kindliche Glaube, die Frömmigkeit des Jünglings, die
Unschuld der Jungfrau, die Treue der Eheleute ein
Gegenstand des Spottes wird – dann lasse man nur den
Leidenschaften freien Spielraum – ihr aber beginnt erst
[172] recht den hl. Kampf gegen die bösen Neigungen der Kinder,
damit bei diesem Andrang der neuen Barbarei euere Söhne
einst für den Glauben und euere Töchter für ihre Unschuld
bis aufs Blut zu kämpfen bereit sind.
Was ist also eigentlich die Erziehung? Ein Kampf
wider die Barbarei der Leidenschaft und der Sünde.
Denn täuschet euch nicht, die Bildung und der Fortschritt
der Einzelnen wie der Völker ist unendlich erhaben über
Telegraph und Eisenbahn, über Dampfschiffe und Fabriken,
über Kanonen und Kriegsheere, über Schulgebäude und
Spitäler, unendlich erhaben über Moden, Complimente,
Verbeugungen, über Lesen und Schreiben, über die Kennt-
nisse der neuen und alten Sprachen, über Chemie, Physik,
Vaterlandskunde und wie dies Zeug alles heißen mag.
Denn bei all dem kann die Barbarei der Leidenschaften
und der Sitten bestehen. Die Barbarei der Unzucht,
welche die Jugend verwüstet und die Familie zerstört,
die Barbarei der Genußsucht, welche die Familie in Elend
und Jammer stürzt, die Barbarei der Habsucht, welche
auf feine Art die Gesellschaft ausbeutet und die Armen
zu Feinden derselben macht, die Barbarei der Herrschsucht,
welche den Staat zum Götzen erhebt und ihm alle Rechte
und Freiheiten der Einzelnen, der Familien, der Genossen-
schaften, ja der Kirche selbst als Brandopfer auf den
Altar hinlegt, die Barbarei der Herrschsucht, welche gar
oft muthwillig die Brandfackel des Krieges unter sonst
friedliche Völker wirft – endlich die Barbarei des Eigen-
nutzes, der Verleumdung, des Hasses, der Gottlosigkeit,
der Hartherzigkeit – die Barbarei aller Leidenschaften
und Sünden. Gegen dies Unglück sichert uns einzig jene
Erziehung, welche den Verstand durch die Wahrheit gegen
die Lüge beschützt und das sittliche Leben über die Ge-
meinheit der Leidenschaft und der Sünde erhebt, damit
es wie eine Rose schön aufgehe im Wohlgeruche aller
[173] Tugenden. Diese Erziehung ist aber nur möglich in
Jesus Christus.
Die Erziehung, welche die bösen Keime im Menschen
ausrottet und die edlen Anlagen entwickelt und so das
Kind wirklich adelt, ist nur in Jesu Christo möglich –
d. h. die Erziehung muß eine christliche sein.
De Maistre, einer der tiefsten Denker neuerer Zeit
schrieb an eine christliche Mutter betreff ihrer gut erzogenen
Kinder: ‘„Wenn die Tugend in ihnen tiefe Wurzel gefaßt,
wenn das Laster dieselben immer unverwundbar findet, wenn
sie in der Gesellschaft mit jeder Waffe ausgerüstet erscheinen
so verdanken sie das Ihrem Muthe, mit dem Sie den
falschen Anschauungen Ihres Jahrhunderts widersprochen
und Ihren Kindern eine vorzüglich religiöse Erziehung
gegeben haben. Die neuen Marktschreier, welche den
Namen der Philosophie in einen bösen Ruf bringen, haben
ganz andere Erziehungsmethoden angegeben, sie haben uns
vor Allem anempfohlen, die ersten Jahre des Menschen
nicht dem Priester anzuvertrauen. Einer von ihnen be-
hauptet sogar, man dürfe den Kindern nicht von Gott
reden, ein Unsinn der bereits an die Tollheit grenzt.“’ So
de Maistre.
Zwei Punkte berührt der tiefe Denker. Vorab lobt
er die Mutter, daß sie den Kindern eine durchaus religiöse
Erziehung gegeben hat unbekümmert um die Grundsätze
und den Spott der Welt; denn nur so sind ihre Kinder
sittlich und brav geworden. Dann tadelt er jene Markt-
schreier, die nach Art der Quacksalber ihre unfehlbaren
Mittel ausschreien – die unchristlichen Grundsätze der
Erziehung für Schule und Haus. Seit den Tagen de
Maistre's ist's wahrscheinlich nicht besser geworden. Denn
immer mehr sucht man die Jugend von Priester und
Religion zu trennen. Welch' ein Glück aber eine solche
Erziehung schon für die Welt sei, verkündet die Gegen-
[174] wart, und wird die geschulte und gebildete Barbarei der
Zukunft erst vollkommen darthun und auch den Unver-
ständigen und Boshaften klar machen, daß ohne Religion,
ohne Christus unsern Gott und Heiland keine Erziehung
möglich sei.
Um diese Wahrheit zu verstehen, ist keine Wissenschaft
nothwendig, es genügt der unverbildete Verstand. Ohne
Tugend kein sittliches Leben, ohne sittliches Leben keine
Erziehung, keine Erziehung sondern nur die Barbarei der
Leidenschaft und der Sünde. Den Beweis habet ihr im
ersten Theile gehört und könnet ihn trauriger Weise im
täglichen Leben sehen und betrachten. Wenn jemand ein
Trunkenbold, ein Geizhals, ein roher Mensch, ein Ehe-
brecher, ein Dieb, ein Spötter, so sagt man gar oft: ‘„Er
hatte eben keine Erziehung, oder was noch schlimmer, eine
schlechte.“’ Das sittliche Leben aber und die Tugend sind
ohne Religion unmöglich. Daher muß die Erziehung
nothwendig religiös und christlich sein. Wohl schwefelt
man heute von Erziehung, Bildung, Schule auf den
Trümmern der Confessionen, zwar nicht, wie man mit einem
Anflug von Gelehrsamkeit sagt, ohne Religion, aber ohne
Confession. Aber das ist ein Widerspruch in sich selbst,
ein Rechnen ohne 1 X l, das sind Behauptungen, für solche
welche noch nicht zwischen Rechts und Links unterscheiden
können.
Was ist denn Confession? Confession bedeutet auf
ordentlich deutsch Bekenntniß gewisser religiöser Anschauun-
gen und Grundsätze, welche sich auf die Verehrung Gottes
beziehen; wo also die religiösen Grundsätze fehlen, da ist
auch keine Confession mehr, da ist keine Religion mehr
möglich, so wenig als ohne Gold eine goldene Kette.
Eine Erziehung, eine Bildung, eine Schule ohne Confession
ist daher eine Erziehung, eine Bildung, eine Schule ohne
Religion überhaupt.
Daher scheinen viele nur die Religion zu haben,
auf feine oder grobe Weise jede Religion aus der Welt
zu schaffen und damit auch jede Erziehung. Denn dringt
nur etwas tiefer in diesen hochwichtigen Gegenstand ein.
Was ist also die Erziehung? Die Entwicklung aller edlen
Anlagen des Menschen und damit die Befriedigung seiner
rechtmäßigen Bedürfnisse. Was ist nun die vorzüglichste
Anlage des Menschen und sein tiefstes Bedürfniß? Reli-
gion und Gottesverehrung und noch einmal Gottesvereh-
rung und Religion. Tertullian aus alter Zeit lehrt diese
Allen so leicht erkennbare und doch so tiefe Wahrheit. Er
frägt nämlich eine Seele, die nicht in Schulen gebildet,
nicht in Büchern bewandert, er frägt die ungebildete,
unwissende Seele jener Leute, die von der Gasse,
von den Straßenecken, aus der Werkstatt herkommen, er
frägt sie über Gott. Nachdem diese ungebildete Seele ihm
geantwortet, ruft er aus: ‘„O menschliche Seele, von Natur
aus christlich!“’
Was will er hiermit sagen? Tritt sie etwa rein ins
Dasein? Nein. Bringt sie einen angebornen Reichthum
voll Kenntniß zur Welt? Nein. Aber diese Seele hat
ein natürliches Bedürfnis nach Gott, ihn zu erkennen,
ihn zu lieben, ihn zu besitzen; diese Seele findet ihre
Freude im fleischgewordenen Worte, diese kindliche
Seele frohlockt im Glauben, daß Gott selbst ein Kind
geworden. Die Seele ist von Natur aus christlich;
Gott hat sie für Christus erschaffen und wie sie nur im
Namen Jesu selig werden kann, so findet sie ihre Ruhe,
ihren Frieden, ihren Adel und ihre Hoheit nur im Ein-
gebornen vom Vater.
Diese gleiche Wahrheit verkündet der Heiland, wenn
er sagt: ‘„Lasset die Kleinen zu mir kommen und wehret
es ihnen nicht.“’ Wehret es ihnen nicht! Sehet, diese
Kleinen haben ein Bedürfniß nach mir, sie fühlen sich zu
mir hingezogen; lasset sie kommen, haltet sie nicht zurück.
Und heute noch? Warum sind die Kleinen dem
Priester so anhänglich? Sie betrachten ihn als den
Mann, der dem göttlichen Heilande am nächsten steht und
die hl. Bedürfnisse ihrer Seele befriediget. Das ist auch
in den Landgemeinden bei allen Schwierigkeiten die himm-
lische Poesie des Seelsorgerlebens! Was müssen nur aus
all diesen Erscheinungen schließen? Also ist das tiefste,
heiligste, natürlichste Bedürfnis der Seele, Gott und sein
Gesalbter Jesus Christus – die Religion. Was ist daher
eine Erziehung ohne Gott und seinen Gesalbten Christus?
Eine Verkennung des Menschen, eine Verkümmerung der
Seele, eine Mißachtung ihrer hl. Ansprüche, eine unwür-
dige Dressur, eine Verkehrung und Verwüstung des gan-
zen Menschen.
Man wettert heute in Wort und Schrift so gewaltig
gegen Alkohol, Fusel, Genußsucht, Entheiligung der Sonn-
tage – man ruft den Gesetzen, – alles recht und gut.
– Aber was ist weit gefährlicher als Fusel und Alkohol,
als Trunksucht und Tanz, als Entweihung der Sonntage
durch Genußsucht und Arbeit – was ist weit gefährlicher?
Eine Erziehung ohne Gott und seinen eingebornen Sohn
Jesus Christus, eine Schule auf den Trümmern der Con-
fessionen! Oder ist das Elend, über welches alle jammern
nicht vielfach die Folge einer mehr oder weniger unchrist-
lichen Erziehung und Bildung? – Sollen die Ströme
in der Ebene nicht alles überfluten, muß man die Wild-
bäche im Hochgebirge verbauen, damit sie nicht zu viel
Geschieb in die Ebene wälzen. Wollet ihr, daß diese
trüben Wildbäche der Leidenschaften nicht groß werden, nicht
Land und Volk verwüsten, verbauet sie in ihren Anfängen,
d. h. durch eine tiefe, wahrhaft christliche Erziehung,
bändiget diese Leidenschaften in den zarten Kinderseelen.
Das ist die Hauptaufgabe Aller, welche an der Bildung
und Erziehung der Jugend zu arbeiten haben. Daher
[177] möchte ich mit denjenigen, welche diese Wahrheit nicht
verstehen oder nicht begreifen wollen, und doch an der
Bildung der Jugend arbeiten, wahrlich nicht vor Gottes
Richterstuhl Red' und Antwort geben.
Ihr möget also die Erziehung betrachten wie ihr
wollet, immer bildet die Religion die Grundlage. Aber
nehmet auch den letzten Endzweck der Erziehung. Ihr
müßet nämlich euere Kinder für den Himmel heranbilden.
Denn sie sind geboren, nicht Schätze zu sammeln, Aemter zu
bekleiden, Gelehrte zu werden, eine gute Parthie zu machen,
die Freuden dieser Welt zu genießen – sondern Gott
zu dienen und selig zu werden ist ihre Bestimmung. Gebet
ihnen durch eine falsche Erziehung alle Freuden dieser
Welt mit ihrer Gleichgültigkeit, mit ihrem Unglauben oder
mit ihrer verschleierten Verkommenheit – sie werden euch
und euere Erziehung bald ewig verfluchen. Denn sie
können nur in Jesus Christus selig werden. Daher müssen
sie wachsen in der Lehre, in der Liebe, in der Ehrfurcht,
im Gehorsam, in der Heiligkeit Jesu Christi und zwar
in allen Stücken; daß sie aber wachsen, habet ihr durch die
Erziehung auch beizutragen.
Daß wir diese einzig richtigen Grundsätze der Bil-
dung und Erziehung klar verstehen und von jedem Irr-
thum rein erhalten, möge uns erleuchten das fleischge-
wordene Wort voll der Wahrheit; daß wir dieselbe überall
muthig bekennen und vertheidigen und in der Erziehung
darnach handeln, möge uns stärken das fleischgewordene
Wort voll der Gnade.
XIX.
Christus das Vorbild bei Erziehung
der Kinder.
[178]Je mehr der Mensch auf allen Gebieten ohne Jesus
Christus fertig werden will, desto nothwendiger ist es ge-
worden, ihm bei jedem Anlasse zuzurufen: ‘„Das ist rein
unmöglich, außer wenn ihr aus dem zeitlichen Unglück in's
ewige Feuer stürzen wollet: das bringet ihr fertig ohne
Jesus Christus den großen und wahren Gott – aber
sonst gar nichts.“’ Damit nun die Erziehung und Ent-
wicklung euerer Kinder für ihr zeitliches und ewiges Heil
gelinge, ist das göttliche Kind selbst das Vorbild, dem die
Kinder ähnlich werden sollen. Ihr habet deßhalb durch
die Erziehung dahin zu wirken, daß die Kinder dem Vor-
bilde des göttlichen Kindes gleichförmig werden.
‘„Lasset uns den Menschen machen nach unserem
Bilde.“’ So sprach Gott und bildete das erste Menschen-
paar, das an Leib und Seele vollkommen vor ihm stand,
– als sein treues Abbild. ‘„Lasset uns den Menschen
bilden nach Gottes Ebenbild, daß er ihm so ähnlich werde
als unser Elend es gestattet.“’ So lautet der oberste
Grundsatz jeder wahren Erziehung. Zu diesem Zwecke
sind die Leidenschaften zu bekämpfen und die edeln An-
lagen zu entwickeln. Gott ist also das Vorbild, dessen
Abbild durch die Erziehung geliefert werden soll. Nach
dem Sündenfalle, der Leib und Seele so furchtbar ver-
wüstete, ist diese Aufgabe schwierig geworden. Wie fürchter-
lich es mit der Erziehung der gebildeten Heiden aussah,
will ich um so weniger andeuten, als ich euch einmal ein
Bild vom Zustand der alten Römer und Griechen ent-
[179] worfen habe.*) Dabei ist noch zu bemerken, daß die
allen Heiden von einer konfessionslosen Bildung und Er-
ziehung nichts wußten – für solche Kindersprüche war
ihr Verstand noch nicht verdunkelt oder verkrüppelt genug
– sie kannten nur den wahren Gott nicht und damit
das Vorbild eines menschenwürdigen Daseins und Lebens.
Damit aber nicht das ganze Menschengeschlecht in
seiner Bildung verwildere, wählte sich Gott das Juden-
volk aus, sich ihm zu offenbaren und den Samen für eine
bessere Zukunft aufzubewahren. Diesem rief er vom Berge
Sinai: ‘„Ihr sollet mir sein ein heilig Volk.“’ Um diesen
Zweck zu erreichen, gab er die Gebote, verhieß den Erlöser,
sandte von Zeit zu Zeit große Propheten. Aber bei all'
diesen Erziehungsmitteln blieben die Juden so sinnlich,
wurden oft so schlecht, so verdorben, so gottlos, daß Gott
der Herr oft die Ruthe gebrauchte. So seufzten die Aus-
erwählten: ‘„Thauet ihr Himmel den Gerechten und die
Erde sprosse den Erlöser.“’ Den Gerechten selbst kam es
fast unmöglich vor, das Ebenbild Gottes in sich wieder
herzustellen; nur die Hoffnung auf den Erlöser ließ sie
nicht muthlos werden. Diese Hoffnung ist längst erfüllt:
‘„denn das Wort ist Fleisch geworden, hat unter uns gewohnt
und wir haben seine Herrlichkeit gesehen voll der Gnade
und der Wahrheit, die Herrlichkeit des Eingebornen vom
Vater.“’
Das ist nun das Vorbild, auf das ihr hinschauen
sollet, wollet ihr nicht bloß Menschen erziehen, welche
nur zu oft Scheusale werden, sondern Christen, welche
das Ebenbild Gottes in sich tragen. Ob dieser wahre
und ewige Sohn Gottes, aus der Jungfrau Menschensohn
geworden, wirklich das Vorbild sei, dürfen wir wahrhaft
keinen Augenblick bezweifeln. Oder warum ist er ein
Kind geworden? Warum ging er mit Maria und Joseph
[180] in den Tempel? Warum war er ihnen unterthan? Warum
nahm er mit den Jahren zu an Gnade und Weisheit?
Gilt nicht auch hier sein Wort: ‘„Ich habe euch ein Bei-
spiel gegeben“’; ‘„Willst du mein Schüler sein, folge mir
nach.“’ Will also die Jugend selig werden, so muß sie wie
die Erwachsenen dem Sohne Gottes gleichförmig werden.
Hiefür besorgt zu sein, christliche Eltern, ist euere Pflicht,
euere Aufgabe und zwar derart, daß die hl. Kirche diese
Pflicht den Pathen auferlegt, wenn ihr sterben oder euch
nachlässig erweisen solltet.
Wie glücklich seid ihr und euere Kinder, sobald ihr
euer Glück verstehet und zu gebrauchen wisset. Denn
sobald es sich um ein Vorbild handelt, gilt das Wort:
‘„Für die Jugend ist nur das Beste gut genug!“’ Nun
kann man allerdings streiten, wer der größte Feldherr,
oder Redner, oder Dichter, oder Maler, oder Philosoph
gewesen, sobald man aber fragt: ‘„Wer war der voll-
kommenste Mensch?“’ – so müssen vor einer Persönlich-
keit alle in den Hintergrund treten, wie vor der Morgen-
sonne alle Sterne verschwinden. Was sind nämlich alle
Menschen? Sünder. ‘„Wer da sagt, er sei ohne Sünde,
der ist ein Lügner, die Wahrheit ist nicht in ihm.“’
Selbst die Heiligen sind dieser Regel unterworfen, es
gibt nur eine Ausnahme, nämlich die seligste Jungfrau
Maria, und diese ist nur deßhalb ausgenommen, weil sie
die wahre Mutter des Gottmenschen ist und deßwegen
nach ihrem göttlichen Sohne unser erstes Vorbild. Daher
hat denn dieser Menschensohn nicht bloß keine Unvoll-
kommenheit, sondern er kann auch keine haben, weil er
zugleich der Sohn Gottes ist.
Oder ist vielleicht dies Vorbild zu vollendet, zu
erhaben, unerreichbar und deßhalb auch unbrauchbar?
Ich hörte selbst einmal so ungelehrte Gelehrte, welche
die Gottheit frech leugneten und dabei mit philosophischer
[181] Miene bemerkten: ‘„Wenn Christus bloßer Mensch ist, so
kann er unser Vorbild sein; aber nicht wenn er Gott ist.“’
Wahrlich, mit dem Glauben scheinen diese Leute auch
den natürlichen Verstand nach und nach zu verlieren.
Oder wenn die Schüler das Schönschreiben, das Zeichnen,
das Malen, die Redekunst erlernen sollen, gibt man
ihnen etwa Muster und Vorlagen voll Fehler und Mängel
mit dem Bemerken: ‘„So weit könnt ihr's etwa bringen,
aber nicht weiter; der Spatz fliegt nicht mit dem Adler.“’
Nicht wahr, solche Leute würde man für halb närrisch
anschauen! Aber wenn es sich und die Erziehung handelt,
um die Entwicklung aller edlen Anlagen, um die Heran-
bildung des Kindes nicht bloß für diese Spanne Zeit,
sondern für die lange Ewigkeit, da soll auf einmal jedes
Vorbild gut genug sein? Da soll der Grundsatz gelten:
Je unvollkommener desto besser, desto brauchbarer; je
vollkommener desto schlechter, desto unbrauchbarer! Wo
liegt da der tiefere Grund?
Die schönsten Vorlagen für Schreiben, Zeichnen,
Malen legen der sinnlichen Natur keine Opfer auf; die
herrlichsten Bilder in der Rede–, Dicht- und Tonkunst
verlangen nicht die Abtötung der bösen Neigungen, sondern
gestatten, so lange wenigstens der äußere Anstand nicht
zu grob verletzt wird, den Gelüsten freien Raum; ja
selbst diese Dichter und Schriftsteller und Redner und
Staatsmänner, welche man als Vorbilder gebrauchen
will, lassen der gesunden Sinnlichkeit so viel Spielraum,
daß sie gewisse Gebote Gottes nicht zu fürchten hat.
Das Evangelium Christi ist gewichen dem Evangelium
der fünf Sinne! Aber jenes Vorbild, das der himm-
lische Vater uns gegeben, als er sprach: ‘„Das ist mein
geliebter Sohn, den sollet ihr hören,“’ jenes Vorbild, das
von zarter Kindheit auf an Weisheit und Gnade zunahm
vor Gott und den Menschen, dies einzige Vorbild einer
[182] menschenwürdigen Erziehung, will das Kind nach dem
Ebenbilde Gottes bilden und wird keine Befriedigung
der bösen Neigungen nur von ferne gestatten, sondern
ruft überlaut: ‘„Verläugne dich selbst; kreuzige das
Fleisch mit all' seiner Begierlichkeit!“’ Das ist der einzige
wahre Grund, warum Jesus Christus nicht mehr das
Vorbild der Jugend sein soll; aber das ist gerade
wiederum der Grund, warum er es sein muß, soll nicht
das Fleisch mit seiner Begierlichkeit den Menschen zum
Barbar machen.
‘„Wer das Vorbild kann ja von keinem erreicht
werden.“’ Wer sagt denn ‘„Ja“’. Wer kann denn die
Vollkommenheit des himmlischen Vaters erreichen? –
Und doch sagt der Heiland, ‘„seid vollkommen wie euer
Vater im Himmel.“’ Das ist auch gar nicht nothwendig.
Aber so weit kann jeder dem Menschensohne gleichförmig
werden, daß er für Zeit und Ewigkeit glücklich wird.
Das nun ist nicht schwer und braucht kein tiefes
Forschen, was man zu thun und nicht zu thun habe. Da
brauchet ihr den Kindern keine Gelehrsamkeit mühsam
beizubringen, sondern sie einfach auf ein lebendiges Vor-
bild hinzuweisen, auf ein Kind, dem nichts Menschliches
ferne geblieben außer die Sünde ganz allein – und die
richtige Antwort für euere Kinder wird euch niemals
fehlen. Will nur ewige Andeutungen machen.
Was lieben die Kinder? Die Sinnlichkeit im Essen
und Trinken, in Spielen und Genüssen aller Art. Das
Christkindlein liegt in der Krippe. Ich habe euch ein
Beispiel gegeben. Was lieben die Kinder, besonders die
Mädchen? Eitles Gewand! Das Christkindlein, in arme
Windeln gewickelt, liegt auf Heu. Ich habe euch ein
Beispiel gegeben. Was lieben die Kinder? Den Eigen-
sinn, den Ungehorsam. Der Knabe Jesu war ihnen
unterthan. Ich habe euch ein Beispiel gegeben. Was
[183] liebt die Jugend? Die Abwesenheit der Eltern, die
Sonntagsgenüsse. Oft sogar die Vernachlässigung des
Gottesdienstes. Der Knabe Jesu ging mit Maria und
Joseph in den Tempel. Ich habe euch ein Beispiel ge-
geben. Was liebt die Jugend nur zu oft? Die Sünde.
Und Jesus Christus? ‘„Wer aus euch kann mich einer
Sünde beschuldigen?“’ Ich habe euch ein Beispiel ge-
geben.
‘„Aber denkst du vielleicht, das ist alles recht und
gut, für unsere Kinder sogar nothwendig; aber für diesen
Unterricht haben doch die Geistlichen zu sorgen.“’ Aber
nicht allein, nicht zuerst. Denn ihr, christliche Eltern, ihr
habet die Kinder Jahre lang, bevor wir sie in die
Hände bekommen. Der Heiland ladet diese Kleinen zu
sich – und ihr wollet ihnen nichts vom Jesukindlein
sagen? Ihr wollet sie nicht anhalten, nach diesem gött-
lichen Beispiele zu beten, zu gehorchen, zu entbehren, be-
scheiden und eingezogen zu handeln? Warum ist er denn
ein so kleines Kind geworden? Warum hat er das
menschliche Elend von zarter Kindheit an getragen? –
und ihr wollet dies Beispiel den Kleinen verbergen,
vorenthalten? –
Oder verstehen sie es nicht? Ein Kind versteht
ein Kind, so weit es nothwendig ist. Die Kleinen nennen
euch Vater und Mutter; kennen sie die tiefe Bedeutung
dieser Worte? – und doch mit welcher Liebe und An-
hänglichkeit sprechen sie diese Namen aus! – Warum
das Christkindlein für ihr zartes Alter nicht verstehen?
– Erleuchtet es doch jeden Menschen, der in diese Welt
kommt und besonders diese Kleinen in den Glanzjahren
ihrer Taufunschuld.
Wer daher seine Kinder nicht so bald als möglich
auf dies göttliche Vorbild hinweist, der ist, um wenig
zu sagen, ein jämmerlich unwissender Christ und Erzieher.
[184] Denn betrachtet nur noch Folgendes. Schon ein alter
Heide gab den Rath, in seinem Thun und Lassen sich so
zu benehmen, als ob man in Gegenwart eines ehrwür-
digen Mannes stände, denn so werde man alles Unge-
ziemende und Gemeine fliehen.
Welche Bedeutung wird daher das Bild Jesu Christi
im Geist und Herz des Menschen haben? Denn dies
göttliche Kind ist in seiner Allgegenwart überall, sieht
in seiner Allwissenheit Alles. Wenn nun der Eingeborne
vom Vater in seiner verklärten Menschennatur sichtbar
vor uns stände, wer würde wagen, etwas Unrechtes, Un-
sittliches nur zu denken? Wer? Warum also den
Glauben an die Allgegenwart und Allwissenheit des
göttlichen Kindes nicht in jedem Kinde so früh als mög-
lich recht lebendig machen und erhalten? Das ist um
so nothwendiger, als ihr ja nicht immer bei euern Kindern
sein könnet und, wenn ihr noch bei ihnen seid, nicht sehet
was in ihrem Innern vorgeht.
Und doch ist dies alles nur wie ein schwacher Anfang!
Denn dies alles ist mehr Unterricht als Erziehung und
doch ist die Erziehung die Hauptsache. Ihre ganze Kunst
beruht eigentlich auf dem einfachen Satze: ‘„Durch wieder-
holte Handlungen kommt man zur Gewohnheit.“’ Nicht
daß man hie und da das Gemeine und Wüste fliehe,
sondern immer; nicht daß man nur vor ordentlichen Leuten
bescheiden und sittsam handle, sondern auch wenn man
allein ist, oder durch Zufall für den Augenblick in böser
Gesellschaft sich befindet: Das soll die Erziehung bewirken.
Daher muß das göttliche Kind so recht in Mitte der Familie
sein, und die Eltern haben die hl. Pflicht, ihre Kinder
anzuleiten und anzuhalten, all ihre Gedanken und Reden,
all ihr Thun und Lassen so nach dem Beispiel des all-
wissenden, göttlichen Kindes einzurichten, daß ihnen diese
Handlungsweise zur unverwüstlichen Gewohnheit wird
– zur zweiten Natur.
Da nun möget ihr einmal begreifen, wie wenig der
Religionsunterricht nützt, wenn nicht Alle, denen Kinder
so oder so anvertraut sind, mitwirken, wenn wenigstens
nicht die Familie ein wahres Heiligthum wird und bleibt.
Denn durch den Religionsunterricht in der Schule werden
zwar alle so weit unterrichtet, daß sie das Nothwendigste
wenigstens wissen könnten und sollten – aber werden
sie in der Nachfolge Christi auch so gestärkt, daß sie
selig werden?
Ich will euch nur den Sachverhalt vorlegen, und
dann urtheilet selbst.
Die kleinen Schulkinder haben jede Woche eine
Stunde Religionsunterricht, die größern zwei. Diese
Kinder sind oft von andern Unterrichtsstunden ermüdet,
verurtheilt, ganze Fuder von Gelehrsamkeit zu verschlingen,
daneben mitten in allerlei Zerstreuungen, vielleicht von
schlechten Kindern, von jungen Spöttern umgeben, mit
13–14 Jahren, wenn nicht schon früher, voll erwachter
Leidenschaften, viele schon in der ganzen Frühreife des
Leibes und der Seele; zu Hause wenig oder kein Gebet,
kein Unterricht, keine Fragen über Religionsunterricht,
vielleicht noch gefährliche Schriften, Bilder, Reden über
Geld, Gewinn, Geschäft, über Moden, Theater, Tänze,
Liebschaften, Ehen; – in der Schule kein christliches
Zeichen. Wer denkt da nicht unwillkürlich an das Gleich-
niß vom Sämann? In diesen Religionsstunden wie viel
Samen fällt neben den Weg? Viele Kinder hören das
göttliche Wort; aber es kommt der Teufel und nimmt
es ihnen. Wie viel Samen fällt auf felsigen Boden!
Viele Kinder nehmen den Unterricht mit Freuden auf;
er schlägt in ihnen keine Wurzeln: so fallen sie früher
oder später zur Zeit der Versuchung in Sünde und Elend!
Wie viel Samen fällt endlich zwischen die Dornen, zwischen
die Leidenschaften, wo er bald erstickt? Das ist bei
[186] einer Unzahl von Kindern der Fall. Hier liegt also eine
ungeheure Gefahr für die Jugend und für die Zukunft
dieser Stadt und Pfarrei; eine Gefahr um so größer, als
viele noch gutgesinnte aber kurzsichtige Katholiken dieselbe
gar nicht zu ahnen scheinen.
Wer wird diese Gefahr, wenn nicht heben, doch
weniger drohend machen? Nicht der Religionsunterricht.
Denn mehr ist nicht möglich. Nicht die Schule; denn
sie wird ihr Angesicht nicht so bald ändern. Nicht all'
unsere Vereine; denn diese beschäftigen sich nicht mit der
Erziehung der Kinder. Woher kann die Rettung noch
kommen? Von der christlichen Familie – von euch,
christliche Väter und Mütter! Ihr Väter, Lehrer und
Priester der Familie, ihr habet euere Kinder auf das
göttliche Kind hinzuweisen, ihr habet sie zu unterrichten
in den Religionswahrheiten, in der biblischen Geschichte
– ihr habet zu sorgen, daß euere Kinder nach dem Bei-
spiele des göttlichen Knaben ihr Leben einrichten. Euere
Gehülfin hiebei – euere Gehülfin – verstehet wohl, ist
die Mutter. Wenn ihr dem Wirthshause, den Vereinen,
den Gesellschaften, den Theatern, den Bällen ferne bleibet,
wenn ihr wenigstens am Sonntag einige Stunden den
Kindern widmet, ist das leicht möglich. Wer aber in
dieser zerrissenen, oberflächlichen, gedankenlosen, genuß-
süchtigen Zeit nicht die Familie zum Mittelpunkt einer
tief religiösen Erziehung macht, der ist in großer Gefahr
mit seinen Kindern für Zeit und Ewigkeit ins Unglück
zu stürzen.
Warum verkünde ich diese Wahrheiten? Mich er-
barmet die Jugend, die Familie, mir graut vor der
Zukunft! Warum verkünde ich diese Wahrheiten? Ich
möchte die Verantwortung nicht tragen, das Grundübel
nicht in seiner Wurzel bloßgelegt und das einzige Heil-
mittel angegeben zu haben.
Ihr habet also die heilige Pflicht, in euerer Familie
Alles zu thun, daß euere Kinder nach dem Vorbilde des
göttlichen Knaben aufwachsen. Die Vernachlässigung
dieser Pflicht ist eine um so größere Schuld, als die
Kinder so leicht für die Liebe Jesu Christi eigentlich be-
geistert werden. Gott, ein Kind in der Krippe, ein
Kind auf der Flucht, ein Kind voll Gehorsam in Naza-
reth, ein Kind voll Andacht im Tempel, Gott, der
Menschensohn, der die kleinen zu sich ruft, segnet, ihnen
den Himmel verspricht; der Menschensohn der am Kreuze
stirbt, aus Liebe zu allen, zu allen Kindern und zu jedem
Einzelnen: wenn diese göttliche Person in Menschengestalt
von einem Kinde nicht glühend geliebt wird, so muß
dasselbe wahrhaft verdorben sein, bevor es nur verdorben
werden kann. In dieser Liebe wird die Nachfolge Christi
leicht und in der Nachfolge Christi die Erziehung, die
Entwicklung des Kindes zu seiner vollen Himmelsschöne.
Aber wehe all' denen, welchen dies Geheimniß ver-
borgen ist. Denn da erfüllt sich das Wort des heiligen
Paulus: ‘„Verflucht, wer unsern Herrn Jesum Christum
nicht liebt!“’ Wer aber liebt ihn nicht? Gewiß jene Eltern,
welche es ihren Kindern wehren, zum Heiland zu gehen,
jene Eltern, welche dies göttliche Vorbild ihren Kindern
vorenthalten; jene Familie, wo die Kleinen von Jesus
Christus gar nichts oder gar wenig hören, jene Familie, wo
das Christkindlein den Kindern Geschenke bringt – aber
ein Christkindlein, durch den Unglauben seiner göttlichen
Majestät und Herrlichkeit entkleidet! –
Verflucht wer unsern Herrn Jesum Christum nicht liebt.
O, dies Brandmal des Fluches auf so mancher Haus-
thür! Auf der Kainsstirne der ganzen christusfeindlichen
Zeit. Denn je mehr sie für die Bildung und Erziehung
und Schulung des Kindes zu arbeiten scheint, desto gott-
loser, verkommener, frecher, ungehorsamer, unzüchtiger
[188] wird die Jugend von Tag zu Tag! Wenn das nicht
Gottes Fluch ist, wo ist er dann noch zu treffen! Sollte
aber dieser Fluch wie ein böser Geist in einer Familie
hausen, so thuet doch Buße in dieser hl. Zeit, sorget doch
daß auf Weihnacht das Christkindlein mit seinem Segen
in euer Haus einziehe und darin wohne mit der Herr-
lichkeit des Eingebornen vom Vater voll der Gnade und
der Wahrheit. Wo der Heiland schon in Mitte der
Familie von allen geliebt, angebetet und nachgeahm
wird, dort lasset (Philip. IV.) euer Anliegen in Gebet
und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden;
damit die Herrlichkeit des Eingebornen vom Vater im
Tugendglanze euerer Kinder immer schöner und voller
leuchte, und der Friede Gottes, der allen Begriff über-
steigt, euere Herzen und eueren Sinn beschirme in
Christo Jesu.
XX.
Erziehung und Liebe.
‘„Geliebteste, lasset uns einander lieben, denn die Liebe
ist aus Gott.“’ So mahnt der hl. Johannes die Gläubigen
(I. Joh. IV., 7.) Diese Nächstenliebe aus Gott ist nicht
diese Sentimentalität, dieser Gefühlsdusel, dieser Welt-
schmerz eines Geschlechtes, dem die Gottheit Christi ein
Aergerniß geworden oder das Evangelium in seinem
richtigen Verständniß ein verschlossenes Buch; sondern
diese Nächstenliebe aus Gott ist nach dem hl. Johannes
jenes thatkräftige Wohlwollen, das die Werke des Teufels,
die Sünde zerstört, die Gebote Gottes beobachtet, dem
Nächsten nach Kräften beisteht, ihn zeitlich und ewig
glücklich zu machen. Wenn nun diese Liebe auch Pflicht
[189] Aller gegen Alle ist, so doch besonders der Eltern und Aller,
welche an der Erziehung der Jugend zu arbeiten haben.
Was ist denn Erziehung? Der Kampf wider die Bar-
barei der Leidenschaften, die Entwicklung aller guten
Anlagen; das Vorbild, dem das Kind ähnlich werden
soll, ist das göttliche Kind. Wie die Verhältnisse heute
liegen, ist diese einzig wahre und menschenwürdige Er-
ziehung Hauptaufgabe der Familie geworden. Damit
diese Erziehung gelinge, soll die Liebe der Mittelpunkt
derselben sein. Um diese Wahrheit zu verstehen, betrachten
wir das Kind in seinem ersten Dasein, dann in seinem
Beruf für die Gesellschaft und in seiner geistigen Ent-
wicklung.
Was ist dies zarte Kind? Eine Frucht der Liebe
des Vaters und der Mutter. Wenn die Ehe nicht un-
glücklich ist, so wächst das Kind in der Liebe auf wie der
Baum in der Luft. Denn im Herzen des Kindes treffen
sich die Strahlen der Vater- und Mutterliebe; an der
Wiege des Kindes liebt der Gatte die Gattin und die
Mutter ihren Mann inniger und beide lieben ihr Kind.
Und dies zarte Kind, was lernet es zuerst? Die Liebe,
das werkthätige Wohlwollen. Was bedeutet sein erstes
Lächeln? Die Liebe zum Vater, zur Mutter, zu andern,
deren Wohlwollen es ahnt und fühlt. Wenn es die Zeit
erlaubte, wollte ich hier das Schönste und Lieblichste
aus den Dichtungen der alten Griechen ausführlich er-
zählen, jenen Abschied des Helden Hektor (Ilias VI. 475)
von seiner Gattin Andromache, wie er dabei sein kleines
Söhnchen auf den Händen schaukelt, zu den Göttern für
dessen Heil betet, wie er dann dasselbe auf die Arme
seiner Mutter legt, und diese das Kind an ihre Brust
drückt, lächelnd mit Thränen im Auge. Allein ich muß
eilen; denn ich darf durch die Länge des Vortrages nicht
ermüden, ich darf eilen; denn unsere erste Erinnerung
[190] ist diese von Gott selbst im Heiligthum der Familie an-
gezündete Liebesflamme.
Aber was folgt hieraus für euch, christliche Eltern?
Vor allem, daß ihr einander aufrichtig liebet. Denn sonst
verkümmert euer Kind vor der Geburt und stirbt nach-
her ganz ab in euerm Zank und Streit, in euerer gegen-
seitigen Abneigung. Was folgt noch mehr? Ihr wisset,
daß viele trübe Stunden auch über junge Eheleute
kommen, wo sie mißmuthig, traurig, niedergeschlagen,
zornig, unwillig werden. Lasset das euere kleinen Kinder
niemals fühlen, sie können ja noch nicht unterscheiden
und deßhalb glauben sie leicht, sie seien euch nicht mehr
lieb. Endlich übergebt doch in den ersten Jahren euere
Kinder, so wenig als möglich, fremden Händen. Denn
je mehr ihr selbst euch mit ihnen abgebet, je mehr ihr
selbst bei Tag und Nacht für sie sorget, je mehr ihr
selbst sie heranziehet und ihnen Freude machet – desto
mehr wächst die gegenseitige Liebe, in deren Wärme euch
das Kind aufgeht wie die Rosenknospe im Sonnenstrahl.
So wird dies Kind immer größer. Es ist nicht für
die Familie allem, sondern auch für große Gesellschaft be-
rufen. Daher muß sein Sinn und seine Befähigung
für das gesellschaftliche Leben ausgebildet werden.
Worauf beruht dies gesellschaftliche Leben? Auf
der Befolgung der Mahnung des hl. Johannes: ‘„Geliebteste
lasset uns einander lieben“’ oder wie der hl. Paulus mahnt
(Gal. V. 6.) ‘„Dienet einander durch die Liebe des
Geistes.“’ Es gibt gewisse Manieren und Anstands-
regeln, mit deren Kenntniß und Uebung ihr euch in jeder
Gesellschaft anständig bewegen könnet; aber das ist eitel
Schein und Flitter. Denn das gesellschaftliche Leben
beruht nicht auf einigen Komplimenten und Schmeicheleien,
das mag genügen für einen Besuch, für einen Ausflug,
für eine Abendunterhaltung, für einen Tanz, für Neu-
[191] jahrswünsche; aber im öffentlichen Leben kommt der täg-
liche Verkehr in Handel und Wandel, die Berührung
mit den manigfaltigsten Charaktern; da kommt oft ein
Kampf zwischen deinem Vortheil und dem des Nächsten;
da kommt das ganze öffentliche Leben mit all seinen
Dornen und Hacken ohne Zahl. Wer nun besähiget
euch, in dieser Gesellschaft zu leben zu eurem Heil und
zum Wohle des Nächsten? Jene Liebe allein, welche den
Eigennutz, den Krämergeist, diesen Todfeind jeder geord-
neten Gesellschaft tödtet; jene Liebe allein, welche Un-
recht und Sünde muthig bekämpft, aber die Ungerechten
und die Sünder zu retten sucht; jene Liebe allein, welche
wenn sie auch Unrecht leidet, geduldig bleibt, Zorn und
Haß ferne hält, oder in den ersten Keimen erstickt.
Damit nun das Kind für diese Liebe heranwachse,
will ich auf einige Uebelstände und Verpflichtungen auf-
merksam machen.
Nicht wahr, zwischen einzelnen Familien waltet
oft Spannung, Feindschaft; es entstehen Zwistigkeiten,
Prozesse. Was geschieht nun oft? Vor den Kleinen
bespricht man den Haß und die Feindschaft, läßt seinen
Zorn aus über wirkliches oder vermeintliches Unrecht.
Das ist vom Bösen für die Erziehung. Denn die reine
Luft der Liebe wird verpestet und die Kinder solcher
Familien wachsen in gegenseitiger Abneigung auf.
Gibt es ferner nicht auch Mütter, welche ihren Kinden
den Umgang mit andern Kindern nur deßwegen ver-
bieten, weil deren Mutter ihnen verhaßt ist? So ver-
kümmert bei diesen Weiberlaunen manches Kind in der
Blüthe seines Lebens und tritt mit dem Eigennutz, mit
der Unverträglichkeit aber nicht mit der Liebe, nicht mit
der Geduld in die Gesellschaft. Ja wenn ihr euerem
Kinde den Umgang mit einem schlechten Kinde zu ver-
bieten habet, seid dann noch vorsichtig und saget etwa:
[192]‘„Siehe, jenes Kind ist ein böses; es thut diese Sünde:
du darfst nicht mit ihm gehen, sonst wirst auch du böse;
aber bete für dasselbe täglich ein Vater-unser zum Christ-
kindlein, damit es wieder brav werde.“’ So nährt ihr
im Kinde den Haß gegen die Sünde und zugleich die
wahre Liebe gegen die Sünder.
Wollet ihr, daß die Kinder in der reinen Atmosphäre
der Liebe für das öffentliche Leben heranreifen, so haltet
doch diese unreinen Ausdünstungen der Politik von euerer
Wohnung ferne. Ich gehöre keiner politischen Partei
an, sondern nur Gott und der Kirche und dem Vater-
lande, aber allen Parteien habe ich bis heute das Evan-
gelium Jesu Christi verkündet und gezeigt die Herrlich-
keit der Braut Christi frei von Ketten im Strahlenglanze
himmlischer Freiheit. So hab ich mir die für einen
Priester unschätzbare volle und ganze Freiheit des Wortes
bewahrt bis auf den heutigen Tag. Politische Parteien
gab es immer, und wird auch immer solche geben; das
ist an und für sich kein Unglück; aber ein großes Unglück,
daß die christliche Liebe und Achtung gegen den Gegner
vielfach vergessen ist, daß der politische Haß den Gegner
nur zu oft bekleckst bis zur Verletzung und Vernichtung
des natürlichen Anstandes.
Das nun ist überaus traurig und für das öffentliche
Wohl verderblich; – wenn aber erst solche Dinge vor
den Kindern verhandelt werden, wie unheilvoll wirkt
das für die Entwicklung derselben? Hasdrubal nahm
seinen neunjährigen Sohn Hannibal an den Altar der
Götter und ließ ihn dort tötlichen und ewigen Haß gegen
die Römer schwören. Wenn auch das jetzt in den Familien
nicht gerade vorkommt, so werden doch, um wenig zu
sagen, durch unvorsichtiges Reden, die Keime des poli-
tischen Hasses in gar viele Kinderherzen hineingelegt.
Ja, wenn ich noch weiter gehen muß, soll ein jeder
[193] mein Wort wohl überlegen, bevor er mir Uebertreibung
vorwirft. Denn was ich sage, hängt zusammen wie die
Ringe einer Kette, Fast in jeder Familie gibt es
politische Zeitungen. Was die neben der täglichen
Verbrecherchronik, neben mehr oder weniger unglücklichen
Witzen und Anekdoten und allerlei Liebesgeschichten und
Ankündigungen – was alles für den Geist des Kindes
nur zu oft die gleiche Bedeutung hat, wie eine giftige
Sumpfung oder verunreinigtes Quellwasser für den Leib
– was diese sonst auch in politischer Beziehung bringen,
wissen wir alle; wie politische oder auch geschäftliche
Gegner in allen Lagern da wegkommen, wissen wir alle.
Wenn man den offenen oder versteckten Haß und Eigen-
nutz und Neid aus all diesen Blättern destillieren könnte,
das würde ein ungeheures Quantum Fusel geben –
und diesen trinken zahllose Kinder!
Daher, christliche Eltern, haltet doch all diese Blätter
aller Farben fern von euern Kindern, auch wenn die-
selben 14, 15 Jahre alt geworden. Und wenn sie mit
20 Jahren noch keine Zeitung gelesen, so haben sie rein
nichts verloren. Aber das ist streng! Aber ist es nicht
so? – Aber das ist neu! Aber ist es nicht wahr? –
Aber die gute Presse! Aber für die Kinder gibt es
nur eine gute Presse: – Das Evangelium des gött-
lichen Kindes. Denn nur so wird Eigennutz und Haß
und Gefühlsduselei und Schwärmerei in ihren Herzen
erstickt und das Feuer der göttlichen Liebe, welche das
Christkindlein vom Himmel gebracht, in ihrer Seele zur
hellen Flamme angefacht. In dieser Liebe reifen sie
dann nicht bloß für die bürgerliche Gesellschaft heran,
sondern finden auch das Gedeihen für ihre geistige Ent-
wicklung.
Wir haben das Kind in seinem ersten Dasein, dann
in seiner Bestimmung für die Gesellschaft betrachtet: über-
[194] all bildet die Liebe den Mittelpunkt der Erziehung; das
gleiche ist bei der geistigen Entwicklung der Fall.
Ihr müsset das Kind nach dem Vorbilde des gött-
lichen Kindes heranziehen. Ihr habet also euern Kindern
das Leben des Christkindleins zu erzählen, ihnen die noth-
wendigsten Glaubens- und Sittenlehren beizubringen,
einzuprägen – aber genügt das? Genügt euch das
trockene Wort, oder wollet und müsset ihr für dasselbe
begeistert, entflammt werden? – Das gilt noch weit
mehr von den Kindern. Diese Liebe zum göttlichen
Kinde, diese Begeisterung für die Wahrheiten des Glaubens
könnet ihr ihnen desto leichter beibringen, je aufrichtiger
ihr sie liebet und je zärtlicher ihr von ihnen geliebt
werdet. Deßwegen geht selten ganz verloren, was das
Ansehen des Vaters und die Liebe der Mutter in das
Kinderherz gepflanzt hat. Wenn ich verlorene Söhne
und Töchter oft fragte: Was sagten deine Eltern, als
du in die Fremde gingest? – ‘„Sei doch brav!“’ –
Und jetzt? – Da rollten die hellen Thränen über das
Angesicht.
Begreifet ihr nun, warum Satan zuerst durch un-
selige Bekanntschaft und dann – durch Zank und Streit,
durch Ehebruch und Scheidungen und Wiederverheirathung
diese erste und letzte Stätte der Liebe zerstören will?
Wenn ihr dann etwa euere Kinder für ihre Bildung
weiter zu schicken habet, so sorget doch, daß sie diese Liebe
in der Person ihrer Lehrer wieder finden. Wenn ihr
nur an die Liebe des hl. Columban gegen seinen Schüler
Gallus und an die Liebe dieses Schülers gegen seinen
hl. Lehrer deutet, an die Liebe der Söhne des hl. Gallus
in jener gefeierten Klosterschule gegen ihre Schüler und
an die Begeisterung jener Jugend gegen ihre Lehrer,
und dann jener großen Männer der Heiligkeit, der
Wissenschaft, der Kunst euch erinnert, so werdet ihr wohl
[195] begreifen, von welcher Bedeutung die Liebe für die Er-
ziehung und Bildung der Jugend ist. Daher sprach selbst
Rousseau bei all' seinen falschen Grundsätzen: ‘„Es ist
schwer, daß eine Erziehung, an welche das Herz gebunden
ist, für immer verloren sei.“’
Doch wendet euern Blick himmelwärts. Gott der
Vater will uns für den Himmel erziehen – was thut
er? ‘„So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen
eingebornen Sohn gesandt.“’ Was that das fleischgewordene
Wort, uns für den Glauben zu gewinnen, für den Himmel
zu erziehen? Er hat uns geliebt bis zum Tod am
Kreuze. Was thaten die hl. Apostel? Mit dem Liebes-
jünger liebten sie alle Menschen und erwiesen sich als
Diener ungeheuchelter Liebe. (II. C. IV. 6.) So habet
ihr euere Kinder zu lieben und diese sollen wissen, daß
sie euch lieb sind. Wohl sagt man von manchem ver-
dorbenen Kinde: ‘„Es weiß eben, daß es lieb ist.“’
Allein schütten wir das Kind nicht mit dem Bade
aus! Es gibt nämlich eine falsche Liebe, welche allen
Launen und Gelüsten des Kindes willfahrt, eine Liebe
wo das Kind befiehlt und die Eltern gehorchen. Sobald
ein Kind nun weiß, daß es so geliebt, oder um das
richtige Wort zu gebrauchen, gehaßt wird, verwildert
es natürlich, um die Geißel für Vater und Mutter zu
werden. Sobald aber die Kinder wissen, daß ihr für
ihr zeitliches und ewiges Wohl ängstlich besorgt und
bereit seid, jedes Opfer hiefür zu bringen, daß ihr aber
im Falle des Ungehorsams und der Sünde auch die
Ruthe in Bereitschaft haltet, ist das für sie ein kräftiger
Ansporn dem göttlichen Kinde wirklich nachzufolgen, und
zugleich nothwendig für einen entscheidenden Punkt der
Erziehung – nämlich für die Oeffnung und Erschließung
des Herzens.
Wer immer an der Erziehung der Jugend gearbeitet,
[196] und nicht etwa bloß hölzernen Unterricht gegeben und den
Gehalt dafür eingezogen hat, kennt die Bedeutung dieser
Erziehung des Herzens. Denn das Kind soll offen, treu-
herzig, durchsichtig werden, daß es kein Geheimniß in
sich verschließt. Wo aber die Erziehung das nicht leistet,
verschließt sich das Kind in sich selbst und das meistens
mit seinen Leidenschaften und Sünden, wird einsam, sucht
die Winkel, flieht die Gesellschaft, wird voll Heuchelei
und Lüge – ist vielleicht mit 10 Jahren schon ein ab-
geriebener Diplomat. Woher diese traurige Erscheinung?
Die Belehrung hat vielleicht den Verstand mit allerlei
Material bereichert, aber die Erziehung hat das Herz
nicht geöffnet.
Wer nun hat den Schlüssel zum Herzen? Die
Liebe allein. Man muß lieben und fühlen, daß man
geliebt wird, dann öffnet sich das Herz von selbst. Da
schaut wieder auf den göttlichen Heiland. Warum stürzt
M. Magdalena, die öffentliche Sünderin, mitten während
des Festmahles vor den Augen der Pharisäer dem Hei-
land zu Füßen? Der Heiland liebt die Sünder und sie
liebt den Heiland. Diese Liebe öffnet die Abgründe
ihres Herzens und vertreibt daraus die sieben Teufel
der Sünde. Wenn nun eine Sünderin in der Vollblüthe
ihres Lebens aber auch in der Tiefe ihrer Verkommenheit
ihr Herz in der Liebe öffnet, wie viel mehr ein Kind,
das noch in keine schwere Sünde gefallen – und wenn
auch – doch an dieselbe noch nicht gewohnt ist?
Darum bitte und beschwöre ich euch alle, die ihr an
der Erziehung der Jugend arbeitet, liebet doch die Kinder
mit jener Liebe, die aus Gott stammt. Denn hievon
hängt nicht bloß ihr zeitliches Glück, sondern oft das
Los der Ewigkeit ab. Ach! wie viele – die nie auf-
richtig geliebt werden! Sie haben vielleicht Vater und
Mutter kaum gekannt und wurden unter fremden Leuten
[197] hin und hergeworfen, und wo sie leiblich noch irgendwie
versorgt waren, wurden sie vielleicht um Glaube oder
Unschuld betrogen. Andere kannten Vater und Mutter;
aber diese lebten im Kriege und hatten kein Herz für
ihre Kinder. Wenn solche später geliebt werden, werden
sie nur zu oft geliebt nicht in der Liebe, welche von
Gott stammt, sondern aus Sinnenlust: So stürzen sie
nur um so tiefer in die Abgründe der Sünde und der
Verkommenheit, der Angst und Verwirrung, des Elendes
und des Jammers – vielleicht der Verzweiflung!
Wenn solche Seelen mich hören, verzaget nicht.
Denn jene Liebe, welche das göttliche Kind vom Himmel
gebracht, welche der Liebesjünger mit den übrigen Aposteln
nicht bloß gepredigt, sondern geübt, wird heute noch vom
katholischen Priesterthum nicht bloß verkündet, sondern
auch geübt, je nach dem Gnadenmaße, das der Einzelne
von Gott empfangen hat. Ich kenne das menschliche
Elend; deßhalb suche ich das gepreßte Herz zu erweitern;
ich kenne das menschliche Elend, deßhalb bitte und be-
schwöre ich euch noch einmal, euch christliche Eltern, dann
euch Alle, welche ihr an der Erziehung arbeitet: Liebet
die Kinder, daß sie in der Liebe aufwachsen; sorget, daß
sie zunehmen in der Liebe des Nächsten, in der Liebe
des göttlichen Kindes und so mit uns für den Himmel
heranreifen durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit
unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus.
XXI.
Erziehung und Gehorsam.
Die thatkräftige, ernste Liebe, welche alles aufbietet,
um das Kind dem göttlichen Kinde ähnlich zu gestalten,
[198] ist so recht der Mittelpunkt der wahren Erziehung. Wenn
dieser Gegenstand an und für sich sympatisch in Allen
die manigfaltigsten Gefühle erweckt und in vielen einer
eigentlichen Begeisterung gerufen, so ist mir dies nur der
Beweis, daß ihr ein großes Verlangen nach der tiefen
Entwicklung der ernsten Glaubenswahrheiten habet und
deßwegen mit meiner Redefreiheit auch einverstanden seid.
Was ich nun über den Gehorsam zu sagen habe,
ist allerdings nicht so anziehend und lieblich, aber doch
von außerordentlicher Bedeutung und Tragweite, besonders
jetzt, wo der Empörungsschwindel sich immer mehr der
aufwachsenden Jugend bemächtigt, und so viele Eltern
es nicht verstehen oder nichts thun, um zum Gehorsam zu
erzielen. Daher will ich zuerst einige Worte an die
Jugend und dann zum Schlusse an die Eltern richten.
Was ist denn Gehorsam? Da müssen wir klar sein.
Denn die meisten Irrthümer kommen aus dem Mangel
klarer Begriffe. Gehorsam ist die freiwillige Unterwerf-
ung des Willens unter die Auktorität, welche das Recht hat,
uns zu befehlen. So ist der Wanderer, der dem Räuber
sein Geld gibt, nicht gehorsam, sondern weicht einfach
der Gewalt. So sind auch Kinder, welche in die Ord-
nung sich zwar fügen, aber innerlich widerstreben, nicht
eigentlich gehorsam, und verwildern früher oder später.
Wenn ihr also den Gehorsam übet, so thuet ihr nicht
bloß äußerlich, sondern wollet auch im Herzen, was die
Eltern von euch verlangen.
Betrachte nun, christliches Kind, dein göttliches Vor-
bild. Und er zog mit ihnen hinab und kam nach Naza-
reth und war ihnen unterthan. (L. II. 51.) So berichtet
das Evangelium. Wer also war unterthan? Der Knabe
Jesus. Wer ist unterthan? Jesus Christus, allmächtig
wie Gott der Vater, ist unterthan Maria und Joseph,
die schwach wie andere Menschen, Jesus Christus all-
[199] wissend wie Gott ist unterthan Maria und Joseph, denen
die Gegenwart beinahe so dunkel wie die Zukunft; Jesus
Christus der Schöpfer des Himmels und der Erde ist
zwei Geschöpfen unterthan! Unterthan war ihnen der
Sohn Gottes!
Wenn also Kinder auch weiser, angesehener, frömmer
als ihre Eltern, bleiben sie doch Kinder und sind Gehor-
sam schuldig. Was soll ich erst von diesen sagen, welche
unwissend, unerfahren, aber im Hochmuthe ihrer Flegel-
jahre nicht mehr gehorchen wollen? Christen dem Namen
nach, in Wirklichkeit Heiden! Oder wollet ihr etwa
sagen: ‘„Der Gehorsam verlangt zu große Opfer!“’ Be-
trachtet euer Vorbild. Und er zog mit ihnen hinab und
kam nach Nazareth. Der zwölfjährige Knabe blieb ohne
Wissen seiner Eltern im Tempel zurück, weil es so der
Wille seines himmlischen Vaters war; er blieb überaus
gerne, weil er am liebsten im Hause seines Vaters war.
Konnte er nicht für immer in Jerusalem wohnen?
Nicht täglich im Tempel beten und bei den Lehrern weilen?
Konnte er sich auf diese Weise nicht glänzend auf sein
öffentliches Leben vorbereiten? Konnte er die Annehmlich-
keiten Jerusalems nicht in der unschuldigsten Weise genießen?
– Und doch verläßt er diesen Tempel, an den er wie
angewachsen; verläßt die Herrlichkeit und Schönheit Jeru-
salems, geht nach dem verachteten Nazareth, woher nach
allgemeiner Ansicht nichts gutes kommen konnte. Aber
wußte er denn nicht, daß er gerade deßwegen bei seinem
öffentlichen Auftreten verachtet sein werde? – Und doch
geht er mit Maria und Joseph nach Nazareth. Warum?
Er war unterthan, wenn auch große Opfer, ja Spott und
Hohn mit dem Gehorsam verbunden waren.
Wo also findet ihr den Sohn Gottes? Im verach-
teten Nazareth, in der Werkstatt des hl. Joseph, nicht
als müßigen Zuschauer, sondern als thätigen Gehilfen
[200] Aber ist diese Arbeit nicht gemein, nicht hart für den
Sohn Gottes? Wo der Gehorsam ruft, das hört das
Gemeine und Harte auf, und es beginnt der wahre Adel
und die wahre Größe.
Aber wußte er denn nicht, daß er bei seinem öffent-
lichen Auftreten für einen Zimmermannssohn gehalten
werde, und daß gerade deßwegen sich viele an ihm ärgern,
wußte er das nicht? – Aber warum denn gleichwohl neben
dem hl. Joseph als Zimmermann arbeiten? – Er war
ihnen unterthan! Und wie lang? –
Christliche Jünglinge und Jungfrauen, die ihr mit
15 und 16 Jahren von den Banden des Gehorsams euch
frei träumt, und dabei doch auf dem Himmelsweg zu
wandeln glaubet, verlasset wenigstens für einen Augenblick
dies große Irrenhaus, welches man Welt heißt, und
tretet in die einzige Hochschule der Weisheit, in die Werk-
statt von Nazareth, betrachtet den Sohn Gottes, wie er
als Menschensohn zum Jünglinge, zum Mann heranreift,
Maria und Joseph noch unterthan ist. Wie lange? Bis
zum dreißigsten Jahr, wo er nach dem Willen seines
himmlischen Vaters das öffentliche Leben beginnt. So
lange ist er gehorsam in der Werkstatt!
Warum? Etwa um der Spott seiner Zeitgenossen
zu werden als armer Zimmermann? Oder zum Zeit-
vertreib? Oder daß heute die Jugend über den Gehor-
sam sich lustig mache? Man sollte es fast glauben, wenn
man an die Verwüstung der Familie denkt. Und doch
befiehlt und bittet Jesus Christus: ‘„Folge mir nach.“’
‘„Wenn mir jemand dienen will, der folge mir nach und
wo ich bin, da soll auch mein Diener sein.“’ (Joh. XII. 25)
Wer also wird bei ihm sein in der Herrlichkeit des Himmels?
Seine Diener. Wollet ihr aber seine Diener sein, müßt
ihr ihm nachfolgen, müßt ihr in den Jugendjahren nach
seinem Beispiele leben – in allem gehorsam gegen euere
Eltern.
Mit was wollet ihr euch da noch länger ausreden?
willst du etwa sagen: ‘„Diese und jene gehen auch ins
Wirthshaus, kehren auch spät in der Nacht heim, besuchen
auch keine Christenlehre – und fragen dabei den Eltern
nichts darnach; diese und jene haben auch ihre Kleider
und Tänze und Feste und Bekanntschaften und fragen da-
bei ihren Eltern auch nichts darnach.“’ Verblendete
Jugend! Gott gibt dir seinen eingebornen Sohn zum
Vorbilde und du wagst deinem Schöpfer und Herrn und
Richter zu antworten: ‘„Diesen will ich nicht zum Vorbilde:
ich richte mein Leben ein wie jener unbändige Bursche,
wie dies freche Mädchen.“’ Nicht wahr, für Heiden wäre
eine solche Sprache wüst und sündhaft – aber im Munde
der christlichen Jugend! Ist sie da nicht eine Art Gottes-
lästerung?
Aber ich rede ja nicht so! Das fehlte noch. Aber
handelst du nicht so? Arme Jugend! So folgt Sturz
über Sturz von Abgrund zu Abgrund.
Oder wollet ihr euch noch länger mit dem Opfer
des Gehorsams entschuldigen? Müsset ihr etwa die
Herrlichkeit Jerusalems verlassen und vielleicht in einem
verächtlichen Städtchen wohnen? Und wenn auch, der
Sohn Gottes ist vorangegangen.
Wenn der reichste Jüngling in einer armseligen
Werkstatt mühevoll zu arbeiten und die vornehmste Tochter
in der Küche die gemeinsten Arbeiten zu verrichten hätte,
dürfet ihr klagen, oder den Gehorsam anstünden? Als
armer Zimmermann arbeitet der Sohn Gottes aus Gehor-
sam! Aber ich bin schon bald zwanzig Jahre alt. Bist
du? Also gerade alt genug, um so recht zu verstehen,
daß du noch lange gehorsam sein sollst. Aber ist es
denn keine Schande, wenn so große Kinder noch gehorsam
sind? Wo Gott vorausgeht, ist das Nachfolgen der höchste
Ruhm. Man wird mich auslachen. Wer? Leute, welche
[202] von Jesus Christus nichts wissen, oder in ihrer Bosheit
nichts wissen wollen.
Das sollte genügen. Denn der wahre Christ fragt ein-
fach: Was verlangt das Beispiel Christi von mir – und
dann weiß er augenblicklich, was er zu thun hat. Weil aber
der Freiheitsschwindel Lucifers immer mehr die Familien
verwüstet, und die Hölle zu bevölkern droht, so dringet
noch etwas tiefer in das Geheimniß des Gehorsams.
‘„Ich muß in dem sein, was meines Vaters ist.“’
So spricht Jesus, als er im Tempel von Maria und
Joseph gefunden wird. Was will er damit sagen? Ich
muß in allem den Willen meines Vaters thun. Er wollte,
daß ich ohne euer Wissen hier im Tempel zurückbleibe;
jetzt will er, daß ich nach Nazareth gehe und euch dort
in allem unterthan sei. Denn ihr vertretet ja seine
Stelle an mir.
So, christliche Jugend, mußt auch du gesinnt sein.
Denn auch du sollst in der Person deiner Eltern Gott
selbst gehorsam sein. Daher ist der Gehorsam gegen die
Eltern Gehorsam gegen Gott – der höchste Ruhm und
der schönste Adel des Menschen. Denn was ist eigentlich
der Gehorsam in seinem tiefsten Wesen betrachtet! Aller-
dings die Unterwerfung des Willens unter die Auktorität
aber zugleich der glorreichste Sieg: Der Sieg über sich
selbst, über die und Begierden!
So erstarkt denn der Wille durch den Gehorsam wie
zu einem gewaltigen Krieger und einem unbesiegbaren
Feldherrn im Kampfe gegen alles Böse und Schlechte
und Gemeine und in der Ausführung edler Großthaten.
Vor etwa 34 Jahren sprach einer der größten Redner
Frankreichs auf der Kanzel von Notre Dame folgendes,
wenn auch für die Bildung der Gegenwart beschämendes,
doch allzuwahres Wort: ‘„Die Männer fehlen der Gesellschaft,
weil den Männern die Willenskraft fehlt, und es fehlt den
[203] Männern die Willenskraft, weil den Kindern der Gehor-
sam fehlt.“’ (Felix) Diese zu frühe Unabhängigkeit in
der Familie, in der Schule, im Verkehr mit der Welt
schafft niemals Männer und Frauen, baut nicht auf,
sondern reißt nieder, was Gott Großartiges in uns
erschaffen: Männer und Frauen mit 15 Jahren aber mit
40 Jahren noch Burschen und Mädchen, das ist die
Frucht der heutigen Erziehung, welche die Willenskraft in
die Unabhängigkeit von Vater und Mutter, von Priester
und Kirche setzt. Wollten wir daher von der Ewigkeit
absehen und nur auf die natürliche Entwicklung des Willens
schauen, so wären wir dem Menschensohn für das Beispiel
des Gehorsams zu unendlichem Danke verpflichtet.
Aber da sehet ihr auch wieder, wie oberflächlich die
wichtigsten Fragen behandelt, oder besser, mißhandelt werden,
und wie nothwendig es deßhalb war, daß Gott einen
Wundermann von Gelehrsamkeit auf den Stuhl des hl.
Petrus erhob. Dieser Wundermann erkannte seine Auf-
gabe und rief schon vor 16 Jahren diesem gelehrten
Jahrhundert zu: ‘„Du hast keine Philosophie mehr –
gehe wieder in die Schule zum großen hl. Philosophen
von Aquin.“’ Mit diesen Worten will ich weniger eine
Großthat Leo XIII. verherrlichen, als euch auf den nahen
und ganzen Bankerott dieser un- und widerchristlichen Er-
ziehung und Bildung hinweisen, damit ihr und euere
Kinder wenigstens nicht euer ganzes sittliches und geistiges
Vermögen dabei verlieret.
Aber dieser Gehorsam, durch dessen Uebung der
Wille zu einer königlichen Gewalt und Herrschaft gelangt,
ist mit vielen Kämpfen und Opfern verbunden. Denn
von Natur aus sind wir alle zur Empörung geneigt. Was
daher thun? Christus ist nicht bloß der Weg d. h. unser
Vorbild, sondern auch das Leben. ‘„Ich bin der Weg,
die Wahrheit und das Leben.“’ Dieses Leben findet ihr
[204] in der würdigen hl. Communion. Von einem einsichtigen
Beichtvater geleitet, durch das Brod des Herrn gestärkt,
werdet ihr in den schwierigsten Verhältnissen den Gehor-
sam üben. Von welch' außerordentlicher Bedeutung diese
hl. Sakramente für die Erziehung der Jugend sind, werde
ich später entwickeln. Indessen will ich euch, Väter und
Mütter, nur Folgendes sagen: ‘„Wenn ihr schulpflichtige
oder schon größere Kinder habet, welche trotzig, ungebunden
werden, so klaget euere Noth einem erfahrenen Beichtvater
und übergebet dann euere Kinder seiner Leitung.“’ Das ist
in den meisten Fällen die einzige und beste Rettungsanstalt,
wenn Vater und Mutter das Ihrige dabei auch thun.
Damit komme ich zum Schlusse, was ihr zu thun habet,
damit euere Kinder im Gehorsam aufwachsen.
Gar oft ist der Ungehorsam der Kinder eine größere
Sünde für die Eltern als für die Kinder. Maria und
Joseph behielten den Knaben Jesu in der Werkstatt, in
bescheidenen Verhältnissen, ihr aber verhätschelt so häufig
die Kinder, gewöhnt sie an Genußsucht, an Hoffahrt, lehrt
sie über ihren Stand hinaustrachten – und die Folge
davon? So nähret ihr in ihnen den Geist der Unzu-
friedenheit und ziehet groß den Teufel der Empörung,
des Ungehorsams. Der hl. Joseph hatte die tiefste Ehr-
furcht vor der Würde und Hoheit Mariens, und Maria
war voll gleicher Ehrfurcht vor der Würde und Macht des
hl. Joseph ihm unterthan. Wohlan, ihr Väter, achtet
ihr euere Gattinnen als die Werkstätte des lebendigen
Gottes, liebet ihr sie wie euern eigenen Leib?
Und ihr Mutter, achtet ihr euere Männer als euer
Haupt, als die Bischöfe, die Lehrer, die Könige der
Familie? Seid ihr ihnen in Liebe unterthan wie die
Kirche Christo? Seid ihr so gegen einander gesinnt,
daß die Kinder von euerer gegenseitigen Ehrfurcht auch
Gehorsam lernen und Ehrfurcht? Oder verachtet ihr
[205] einander? Verlästert ihr euch gegenseitig vielleicht vor
oder gar bei den Kindern? Oder machet ihr euch durch
Trunksucht, durch Haß und Feindschaft, durch Streit und
Zank, durch Sünde und Laster selbst verächtlich? Auch
so traurigen Eltern sollten freilich Kinder gehorsam sein,
so lange dies ohne Sünde möglich ist; wenn sie aber
ungehorsam, ungebunden werden und in alle Laster hinein-
fallen; werden dann solche Kinder oder solche Eltern
tiefer in die Hölle stürzen? Urtheilet selbst.
Aber begreifet ihr nun auch Alle, warum ich jene
Predigten über Vater- und Mutterwürde, über die Be-
kanntschaft als einer hl. Ehrenfache der Familie, über die
Heiligkeit und Hoheit der Ehe nothwendig vorausschicken
mußte? Denn alle Klagelieder und Jammerpredigten
über den Zerfall der Erziehung und Familie helfen rein
nichts; alle Moralpredigten über Elternpflichten verschallen
wirkungslos, so lange in den Eltern nicht das lebendige
Bewußtsein der Vater- und Mutterwürde in den tiefen
Geheimnissen der Natur und der Gnade und der Offen-
barung geweckt und wach erhalten wird.
Wenn ihr nun, christliche Eltern, im Bewußtsein
dieser Würde und Hoheit vor euern Kindern wandelt, ist
für den Gehorsam schon vieles, wenn auch nicht alles
gethan. Denn ihr sollet nach der Mahnung des heiligen
Geistes handeln: ‘„Lasse ihm seinen Willen nicht in der
Jugend.“’ Wem? Deinem Sohne, deiner Tochter. Beuge seinen
Nacken und schmeidige seine Lenden. Nie und nimmer
dürfet ihr gestatten, daß die Kinder ihren Willen durch-
setzen, nach ihren Launen handeln. Sobald sie weinen
oder gar murren, wenn nicht nach ihrem Willen geschieht,
so tröstet sie ja nicht, gebet ihnen ja keinen Zucker –
sondern nehmt die feste Ruthe in die Hand. Folgen sie
nicht gerne, so versprecht ihnen im Falle des Gehorsams
ja nicht eine Freude, oder einen Genuß – sonst wird
[206] die Genußsucht einst alles verwüsten; – und du wirst
dich nicht vor deinem Sohne, vor deiner Tochter fürchten.
Gestatte doch nie, daß unter den Kindern eines den
Herrscher spiele, oder daß euere Kinder den Dienstboten
befehlen – sonst sind 14 jährige Knaben und Mädchen
eigentliche Tyrannen!
Lasse ihm seinen Willen nicht in der Jugend! Sie
haben ihren Willen euch und durch euch Gott zu unter-
werfen. Aber hieraus folgt auch, daß ihr von euern
Kindern nie etwas gegen den Willen und die Gebote
Gottes und der Kirche verlangen dürfet. So habet ihr
den Willen des Kindes Tag für Tag zu üben und zwar
um so häufiger, um so ernster, um so nachdrücklicher, als
ein Kind von Natur aus mehr zum Eigensinn geneigt
ist; so habet ihr den Willen des Kindes zu üben, indem
ihr dasselbe auf das göttliche Kind hinweiset, dem es ähn-
lich werden soll, auf seine ewige Bestimmung, welche nur
in Gehorsam erreicht wird.
Was ihr heute gehört, bewahrt es in euerm Herzen;
überlegt und betrachtet es oft und handelt darnach: Dann
werden euere Kinder wie an Alter so auch an Weisheit
und Gnade zunehmen vor Gott und den Menschen –
und euere Familie wird immer mehr ein schöneres
Abbild der hl. Familie von Nazareth. Diese Gnade gebe
uns durch die Fürbitte der allerseligsten Jungfrau Maria
und des hl. Joseph Jesus Christus, der dem Fleische nach
aus den Vätern stammt, aber Gott ist über alles hoch-
gelobt in Ewigkeit.
XXII.
Erziehung und Ruthe.
‘„Die Ruthe rechtzeitig gebrauchen,“’ deutete ich im
letzten Vortrage an. Dies Mittel wirkte einst Wunder
[207] seit aber falsche Grundsätze und eine Affenliebe dieselbe
vielerorts verdrängt haben, wird sie nur zu oft von den
Kindern gegen die Eltern gebraucht. Und doch verlangt
gerade die wahre Liebe nach der Ruthe. Daher sagt der
hl. Geist im Buche Sirach: ‘„Wer seinen Sohn liebt,
halt ihn beständig unter der Ruthe.“’ Die Ruthe beein-
trächtigt also die Liebe nicht bloß nicht, sondern die Liebe
bindet die Ruthe an die Wand und nimmt sie rechtzeitig
in die Hand.
Weil nun in diesem Punkte unglaublich viel gefehlt
und gesündigt wird, sollen die Aussprüche des hl. Geistes
uns drei Fragen beantworten:
1) Soll man die Ruthe überhaupt gebrauchen?
2) Wie soll man sie gebrauchen?
3) Was soll man damit bestrafen?
Die erste Frage ist bald gelöst. Denn im Buche
der Sprichwörter mahnt der hl. Geist: ‘„Entziehe einem
Knaben die Züchtigung nicht; denn wenn du ihn mit der
Ruthe schlägst, wird er nicht sterben. Schlägst du ihn
mit der Ruthe, wirst du seine Seele von der Hölle er-
lösen.“’ (Prov. XXIII. 13.) geachtet wohl die Worte,
welche der hl. Geist gewählt hat. Also entziehe
einem Kinde die Züchtigung nicht – entziehe. Also be-
trachtet Gott die Züchtigung als Wohlthat, welche man
den Kindern ebenso wenig als die nothwendige Nahrung
entziehen darf. Er wird nicht sterben! d. h. die Ruthe
vernünftig gebraucht, wird seinem Leibe nicht schaden und
seine Seele vor Todsünden und so vor dem ewigen Tode
in der Hölle bewahren.
‘„Denn,“’ sagt der hl. Geist, ‘„die Thorheit ist fest-
gebunden an das Herz des Knaben; aber die Zuchtruthe
treibt sie davon.“’ (Prov. XXII.) Wenn aber die heilige
Schrift von Knaben redet, so dürfet ihr ja nicht glauben,
daß sie die Mädchen verschollt wissen wolle. Wenn näm-
[208] lich die Knaben im Allgemeinen die Ruthe vielleicht etwas
nothwendiger haben als die Mädchen, sind dann diese lauter
Engel? Die Thorheit ist also festgebunden an das Herz
der Knaben und der Mädchen; aber die Zuchtruthe treibt
sie davon. Wenn nämlich euere Kinder trotz Mahnen und
Warnen und Drohen dennoch lügen, sich unschamhaft be-
tragen, stehlen, trotzig antworten, zu spät heimkehren, vor
Zorn Dargebotenes zurückstoßen, die Thüre zuschlagen, auf
den Boden stampfen, über Geschwister boshaft herfallen,
fluchen, den Katechismus nicht lernen, den Gottesdienst
versäumen – dann ist die Thorheit an ihr Herz ge-
bunden und nur mit der Rute könnt ihr sie noch weg-
treiben. Und wenn ihr das unterlasset, so könnt ihr euch
leicht sehr schwer versündigen und die Rache Gottes über
euere Familien herausfordern.
Ihr erinnert euch doch auf der biblischen Geschichte
noch an jenen alten Heli, der seine beiden boshaften Söhne
zwar mahnte, aber nicht bestrafte. Entschädigte ihn sein
graues Haar oder das Alter der Söhne? Durch den
Propheten Samuel ließ ihm Gott den Untergang seines
Hauses verkünden. Warum? – Weil er wußte, daß seine
Söhne Schändliches thaten und er sie nicht bestrafte.
So vielen beide Söhne in der Schlacht und bei der Nach-
richt von ihrem Tod starb auch der schwache Vater in
Folge eines unglücklichen Falles. Beherziget das wohl;
denn Gott und sein Gesetz sind seit jenen Tagen sich gleich
geblieben. Beherzigt das wohl. Denn wenn ihr die Ruthe
sparet, hasset ihr euere Kinder. (Prov. XIII.) Denn so
werdet ihr mitschuldig an allem Bösen, das euere Kinder
später thun, an allem Verderben, das über sie hereinbricht.
‘„So werden, wie der hl. Chrysostomus sagt, Eltern,
welche ihre Kinder nicht in strenger Zucht halten und
nicht den Gott schuldigen Dienst von ihnen verlangen
wie Heli Kindermörder.“’ Aber erschlug denn Heli seine
[209] Söhne? ‘Durch seine Nachlässigkeit in ihrer Bestrafung
beraubte er sie der Hilfe Gottes, daß sie wie waffen-
und wehrlos von den Feinden getötet wurden. So stürzte
er nicht blos die Söhne, sondern auch sie selbst ins Ver-
derben.“’ (t. III. p. 318 Mauriner.)
Nicht wahr, ihr hörtet oder laset dieser Tage, wie
jüngst in Berlin ein gewisser Kuhn wegen Raubmord
zum Tode verurtheilt wurde. Vor der Hinrichtung durfte
er noch seine Mutter empfangen. Diese wollte ihm wei-
nend um den Hals fallen, er aber wehrte es ihr und
sprach schluchzend: ‘Mutter, wenn du mich bestraft hättest,
als ich zum ersten Male gestohlene Eier heimbrachte, so
müßte ich morgen nicht das Schaffot besteigen.“’ Ein
wahrer und gerechter Vorwurf, aber auch ein schrecklicher
und furchtbarer! Wenn ihr zur unrechten Zeit die Ruthe
spart – was wird auf euren Kindern endlich werden?
Welche Verantwortung nehmt ihr mit in die Ewigkeit?
Dieser überaus traurige Fall machte auf mich einen
so tiefen Eindruck, daß ich mich wie gezwungen fühlte,
diese Wahrheiten einmal einläßlicher und eindringlicher zu
behandeln. Wohl wird dieser Gegenstand auch in den
Müttervereinen zur Sprache kommen, aber nicht wenige,
sondern alle Mutter, und nicht bloß die Mütter, sondern
vor Allem die Väter, und nicht bloß Väter und Mütter,
sondern Alle, welche in den Ehestand zu treten gedenken,
sollen mit der Bedeutung der Ruthe vertraut sein. Aber
noch mehr! Was denn? Auch ihr, auch ihr heran-
wachsende Söhne und Töchter, auch ihr sollet wissen,
welche Macht Vater und Mutter über euch haben und
welche Pflicht, davon Gebrauch zu machen, wenn es noth-
wendig werden sollte. Wem das Gesagte wie das Fol-
gende als unpassend, oder zu strenge, oder nicht zeitgemäß
vorkommt, der mache es mit dem hl. Geiste aus, dessen
Lehren ich entwickle.
Aber klagt da ein Vater, jammert eine Mutter: Aber
meine Söhne und Töchter laufen mir davon, wenn ich
zur Ruthe greifen wollte. Aber ist das vielleicht eine
Folge jener Nachlässigkeit mit der ihr früher die Ruthe
spartet? Ist das nicht die gerechte Strafe euerer Saum-
seligkeit. Doch sei dem, wie ihm wolle, ihr habet die
Pflicht, im Nothfalle mit der Ruthe Zucht und Ordnung
aufrecht zu erhalten; wenn auch dann Sohn und Tochter
davonlaufen, lasset sie laufen und betet für sie, daß der
verlorene Sohn, die verlorene Tochter beim Hüten der
Schweine das Elend erkenne und reumüthig ins Vaterhaus
heimkehre. Daß ihr also zu strafen habet, unterliegt keinem
Zweifel. Aber wie ist zu bestrafen?
Wenn der hl. Geist Ruthe und Züchtigung empfiehlt,
warnt er gleichzeitig vor unvernünftigem Prügeln und
Strafen. Denn beides ist Sünde, nicht strafen und nicht
auf die rechte Weise. Die hl. Schrift redet zunächst von
der Ruthe, welche bei den Kleinern vollkommen genügt;
Größere mag man, wie's selbst die feinen Athener thaten,
mit einem spanischen Rohre oder Riemen bestrafen. In
dieser Beziehung sagt die hl. Schrift: ‘„Striemen reinigen
vom Bösen, und Schläge, welche in das Innerste des
Leibes eindringen.“’ (Prov. XX.) Aber hütet euch wohl,
mit dem ersten besten Stück Holz auf die Kinder zu
schlagen, oder auf Körpertheile, wo die Gesundheit ge-
fährdet wird.
Ferner hütet euch, gleichsam den ganzen Tag zu
lärmen und zu schlagen. Zum Vorbilde nehmt euch da
den Künstler, der aus Gold oder Silber ein Bild ver-
fertigen will. Er hämmert nicht immer auf das edle
Metall, sondern nur solange es roh, ungeformt, unbieg-
sam; nachher drückt er dasselbe oder glättet es sanft. Ist
das Kind unbeugsam, ist die Ruthe nothwendig; nachher
genügt ein ernstes Wort, ein Fasten, ein Spielverbot.
[211] Denn vergesset nie, die Ruthe ist nicht das einzige Straf-
mittel.
Wenn ihr aber strafen müsset, so strafet doch nie
im Zorn, unter Fluchen und Schmähreden. Ich begreife
wohl, das Eltern oft im hl. Zorn aufflammen wie der
Heiland, als er mit Stricken die Käufer und Verkäufer
aus dem Tempel trieb oder in längerer Rede den Schrift-
gelehrten und Pharisäern achtzehn Mal zurief. ‘„Wehe
euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer!“’ Das ist ein
hl. Zorn, von dem die hl. Schrift sagt: ‘„Zürnet, aber
sündiget nicht.“’ Je größer daher die verschiedenen Sünden
kleiner oder auch erwachsener Kinder, desto mehr dürfet
ihr im hl. Zorn aufflammen und die Ruthe mit kräftiger
Hand führen – aber nie mit Fluchen und Verwünschen
begleiten. Denn in diesem Falle ist die Züchtigung nicht
bloß vergeblich, sondern schädlich.
In einem Städtchen der Diverse Lüttich weinte und
heulte einst ein Knabe, der sich von Hause verirrt hatte
Gute Leute wollten ihn heimführen und fragten ihn des-
halb: Wie heißt dein Vater? Satan. Deine Mutter?
Satan. Dein Haus? Satanshaus. Gehörte dieser Knabe
etwa einer Familie, in welcher, wie heute im tiefsten Dunkel
geheimer Gesellschaften, Satan verehrt wurde? Nein, nein!
Aber Vater und Mutter waren äußerst zornmüthig. Kam
der Mann Abends benebelt heim, fuhr ihn die Frau an:
‘„Du bist ein wahrer [Satan].“’ Bestrafte sie in ihrem Zorn
den Knaben, tobte sie: ‘„Dein Vater ist Satan, du bist ein
Satanskind.“’ Wenn der Zorn seinen Höhepunkt erreicht
hatte, tönte es voll allen Seiten: ‘„Ein ächtes Satans-
haus.“’ Diese Stammtafel und Ortsbeschreibung hatte der
Knabe unter den Schlägen von Vater und Mutter gelernt.
Nicht wahr, so grauenvoll sieht es wohl selten in einer
Familie aus, aber welche Worte, welche Flüche, welche
Verwünschungen haben Kinder oft wegen kleinster Fehler
oder Versehen von ihren Eltern zu hören?
Deshalb mahnt der hl. Paulus: ‘„Väter, erbittert
euere Kinder nicht, damit sie nicht muthlos werden.“’
(Col. III. 21.) Erbittert sie nicht durch unvernünftigen
Zorn, durch Schmähworte, durch zu harte oder gar un-
gerechte Strafe, sonst werden sie muthlos, verlieren die
Liebe zu euch, jedenfalls die Achtung und verfallen in eine
verhängnißvolle Gleichgültigkeit und Verbissenheit.
Wenn ihr aber die Kinder mit Ruhe, mit Ernst, ich
möchte sagen mit Würde bestrafet, so dürfet ihr einen
wichtigen Punkt nicht vergessen. Vater und Mutter sollen,
in der Bestrafung einig sein, besonders wenn die Kinder
nicht auf der gleichen Ehe stammen. Wenn nämlich ein
Kind glaubt, es werde nur deswegen so häufig und so
hart bestraft, weil das sein Stiefvater, seine Stiefmutter,
dann ist es um seine Erziehung regelmäßig geschehen.
Wer daher, sei es Vater oder Mutter, nach dem Tode
des ersten Gatten eine zweite Ehe eingehen will und schon
Kinder hat, der mag es tausend Mal überlegen, mit wem
eine zweite Ehe für die jetzigen und vielleicht für die
noch zu erwartenden Kinder glücklich sein könnte. Aber
nicht bloß Vater und Mutter sollen in der Bestrafung
der Kinder einig sein, sondern auch Alle, welche so oder
anders zur Familie gehören. So darf ein bestraftes
Kind nie Zuflucht und Trost und Zucker finden bei einer
Magd, oder Großmutter, oder Tante oder Base – das
hieße die Kinder gründlich verderben.
Aber sind denn, wie angedeutet worden, erwachsene
Söhne und Töchter auch noch zu bestrafen? Warum
denn nicht, wenn sie es verdienen? Christliche Väter,
behauptet jenes Ansehen und jene Macht des Vaters, wo-
von ich seiner Zeit ein Bild euch entworfen, und ihr könnt
das 20jährige Kind noch ebenso leicht strafen wie das
kleine, und die Strafe wird ebenso heilsam werden.
Vor Jahren erzählte mir ein berühmter Missionar
[213] folgende Thatsache. Im Elsaß hörte ein Vater bei einer
Mission, wie man auch erwachsene Söhne und Töchter
zu bestrafen habe. Er hatte zwei etwas leichtfertige Töchter;
als diese die Mission in der Nachbargemeinde besuchen
wollten, freute er sich und ließ sie getrost hingehen. Als
sie spät in der Nacht ganz erhitzt heimkehrten, sprach der
Vater voll hl. Zornes: ‘„Nicht von der Mission kommt
ihr, sondern vom Tanze.“’ Als sie erschrocken die Wahr-
heit gestanden, nahm er einen Riemen und stäubte sie ge-
hörig durch, daß er am Morgen glaubte, zu weit gegangen
zu sein. Deswegen legte er den Fall einem Missionar
vor, der ihm sagte: ‘„Nein, nein, nicht zu viel, Sie haben
es ganz recht gemacht.“’
Christliche Eltern, vergesset das nicht, denn auch ihr
könnet in diese Nothlage kommen, wenn ihr in euerem
Hause Zucht und Ordnung aufrecht erhalten und Söhne
und Töchter vor zeitlichem und ewigem Unglücke bewahren
wollet. Damit wir nun diese Pflicht immer klarer ver-
stehen, komme ich jetzt zur Beantwortung der dritten
Frage: Was ist zu bestrafen?
Aber das wissen Alle. Und doch wird in dieser
Hinsicht so viel gesündigt zum Verderben der Jugend.
Seht nur!
Von allem darf nichts Gutes bestraft werden. Aber
das ist ja unmöglich. Unmöglich? Wenn ein Kind am
Freitag kein Fleisch essen, am Sonntag nicht ohne Noth
arbeiten, dafür aber den Gottesdienst fleißig besuchen,
die hl. Sakramente oft empfangen, vor und nach Tisch
beten will, darf man es deswegen anfahren, hart behandeln
oder gar mit der Ruthe schlagen? Wenn man ein größeres
Mädchen seiner Sittsamkeit wegen mit Strafen bedroht
oder schlägt, – Tag des Herrn, wie groß und schrecklich
in seinem Augenblicke, wo die Flammenruthe Gottes daher-
blitzt im Donner der Verurtheilungsworte: ‘„Weichet von
[214] mir in das ewige Feuer!“’ Wohl hören mich diese Un-
glücklichen nicht, aber desto unglücklicher für sie ist die
schreckliche, Nacht der Ewigkeit.
Also das Gute darf nie bestraft werden. Dann
nehmet euch wohl in Acht, bloßer Gebrechen wegen die
Ruthe zu gebrauchen. Ein Kind kann nicht recht laufen:
es wird geschlagen, weil es in seinem Elende zu spät
kommt. Ein anderes kann in seiner Schwäche nicht nach
den Launen der Eltern arbeiten, und wird deswegen ge-
züchtigt. Ein drittes ist schwachen Geistes und begreift
deshalb alles sehr langsam und manches gar nicht: darf
es deswegen in oder außer der Schule geprügelt werden
oder verdienen all diese Gebrechen Erbarmen und Mitleid?
Endlich haben die Kinder allerlei Unvollkommenheiten,
welche mehr oder weniger freiwillig sind. Fast alle sind
zerstreut und flatterhaft, vergeßlich und schwatzhaft, zu
Lärm und Spiel geneigt. Dies sollt ihr ihnen allerdings
abgewöhnen, aber deswegen keine Ruthe an ihnen zer-
schlagen. Ist ein Kind flatterhaft, so lasset es erst nach
Vollendung der Arbeit spielen, ist es unbeholfen, so machet
ihm die Sache vor, bis es darin irgendwie gewandt ist.
Eine Beschämung, ein kleines Fasten, ein bischen Haus-
arrest kann auch vom Guten sein. Nicht wahr, es ist
doch nicht so selbstverständlich, was der Ruthe und der
Züchtigung ruft? Wenn auch das auf den Bisherigen
klar, müssen wir gleichwohl noch einen hochwichtigen Punkt
betrachten.
Von der Sünde nämlich sollet ihr das Schädliche und
Schimpfliche wohl unterscheiden. Es giebt nämlich Dinge,
welche Schaden und Schande bringen, und doch nicht
Sünde sind, z. B. ein Verstoß gegen den Anstand, eine
unvorsichtige Rede, das Zerbrechen eines Geschirres, das
Alles wird oft sehr schwer bestraft, während offenbare
Todsünden kaum getadelt werden. Was ist die Folge hier-
[215] von? Weil die Kinder alles nach der Strafe beurtheilen,
werden ihre Gewissen gefälscht. So ist man mit siebzehn,
achtzehn Jahren in jeder Gesellschaft recht artig, in dem
Complimentemachen zu Hause wie der Fisch im Wasser,
aber dabei an Leib und Seele vielleicht verdorben, in
religiösen Uebungen ein Fremdling wie die Rebe auf den
Hochalpen. Hiermit will ich natürlich nicht sagen, daß
man den Kindern diese Unarten gestatten solle. Das sei
ferne von mir. Im Gegentheile sollet ihr dieselben ihnen
mit allem Ernste abgewöhnen; aber dabei vergesset ja
nicht, daß nur die Sünde eine eigentliche Strafe verdient
und zwar eine verschiedene, je nach ihrer Größe.
Aber wie himmelweit ist die Handlungsweise Vieler
von diesem Grundsatze entfernt! Wenn durch die Sünde
großer oder kleiner Kinder Schande und Schaden über
eine Familie kommt, warum so viel Zorn, so viel Un-
willen, so viel Toben, so viel Schläge? Etwa wegen
der Sünde, wegen der Beleidigung Gottes, wegen der
verlorenen Unschuld? Bei weitem nicht. Nur von Schande
und Schaden kommt dieser Sturm. Werden auf diese
Weise Söhne und Töchter gebessert, oder nur vorsichtiger
im Sündigen? So ist denn die größte Sünde des öffent-
lichen Lebens, der bürgerlichen Gesellschaft, welche um
Gott sich rein nichts kümmert und seine ewigen Hoheits-
rechte verkennt und fein oder grob bespötteln und ver-
höhnen läßt, auch vielfach Familiensünde geworden. Wie
gut ist Gott? Denn auch in dieser Gegenwart straft er
nur langsam, läßt immer heller leuchten die Blitze und
immer mächtiger rollen die Donner seiner Gerichte, damit
die Völker und ihre Regierungen wieder zum Verstande
kommen und er nicht gezwungen werde, die gewaltige,
große und volle Schale seines Ingrimmes über sie aus-
zuschütten.
Oder, um alles Andere zu übergehen, ist es etwa
[216] eine Kleinigkeit, wenn die Eltern ihre Kinder der Sünde
wegen nicht mehr züchtigen? Höret nur, was schon in
alter Zeit jener große hl. Chrysostomus mit der ihm
eigenthümlichen Gewalt den Eltern auf Herz legte. (Hom.
in Viduæ elig. t. III, p. 311 n. 7.) ‘„Gott befiehl dir, nicht
bloß deine Kinder zu erziehen und zu züchtigen, sondern er
hilft dir sogar bei diesem Werke. Wie? Durch Moses
verkündet er: ‘„Wer seinem Vater oder seiner Mutter flucht,
soll sterben.“’ (Exod. XXI 17.) Siehe, welche Furcht er
ihnen einjagt, welche Schrecken er ihnen vor Augen stellt!
Welche gewaltige Macht er in deine Hand legt! Wenn
nun wir, während Gott nicht einmal das Leben jener
Kinder, welche die Ehrfurcht gegen die Eltern schwer ver-
letzten, verschont, wenn nun wir, während Gott von unsern
Kindern schwer beleidigt wird, nicht einmal zürnen –
welche Entschuldigung können wir vorbringen? ‘„Den,
der dich übermüthigt behandelt, zu töten, weigere ich mich
nicht,“’ spricht Gott der Herr, ‘„du aber wagst den, der
meine Gesetze frech übertritt, nicht einmal mit einem Worte
zu betrüben.“’ Verdient das auch Verzeihung? Bedenke
doch, daß, wer gegen Gott sich auflehnt, noch weit mehr
gegen die Eltern, gegen sein eigenes Seelenheil freveln
will.“’ So der hl. Chrysostomus. Nicht wahr, das ist
doch etwas ganz Anderes, als die rein bürgerliche Moral
von heute? Als Gefühlsduselei?
Sünden also habet ihr an euern Kindern zu bestrafen,
und wenn ihr das unterlasset oder nicht auf die rechte
Weise thuet, so könnet ihr euch an euern Kindern und
gegen Gott schwer versündigen. Vergesset daher nie die
Mahnung des hl. Geistes: ‘„Wer seinen Sohn lieb hat,
hält in beständig unter der Ruthe, daß er zuletzt Freude
an ihm erlebe, und nicht an die Thüre der Nachbarn
klopfen muß.“’ (Sirach XXX.)
Die Wiege ruft der Ruthe, doch schlagen sollet ihr
[217] euere Kinder selten; aber sie sollen wissen, daß die Ruthe
der Lohn der Sünde, wie die Hölle die Strafe des un-
bußfertigen Sünders ist.
So werdet ihr sie unter der Ruthe haben, nicht aus
Zorn, nicht aus Rache, sondern in der wahren Liebe zu
Gott und zu euerem Kinde. Und die Folge hievon? Sie
werden euere Freude. Wenn ihr aber nicht so handelt,
so verkündet euch der gleiche hl. Geist die düstere Zukunft.
‘„Ihr werdet an die Thüre des Nachbarn zu klopfen
haben.“’
Diese wenige Worte bilden den Inhalt von abermal-
tausend Tragödien, wo ein schwacher oder gar religions-
loser Vater, eine blinde oder gar gottvergessene Mutter,
ein frecher Sohn oder eine ausgelassene Tochter die Haupt-
rolle spielen. An fremde Thüren klopfen, nach verlorenen
Söhnen und Töchtern fragen; an fremde Thüren klopfen,
den Kummer auszuweinen, Trost zu suchen; an fremde
Thüren klopfen, gegen Mißhandlungen Sicherheit, oder
im Elend ein Stück Brot zu finden.
Wenn daher dein Kind und du selbst dir lieb, so
gebrauche die Ruthe zur rechten Zeit und in der rechten
Weise. Wenn ihr aber die Ruthe selten in die Hand
nehmen wollet, so sorget mit allen Kräften, daß die
Kleinen in der Furcht Gottes, in der Liebe zum göttlichen
Kinde aufwachsen, den Himmel als ihre Heimat, diese
Erde als ihren Verbannungsort betrachten, alle Güter
und Freuden und Genüsse dieser Welt wie Gassenkot ver-
achten und nach der Herrlichkeit des Himmels sich sehnen:
Wenn ihr unter dem Walten der hl. Schutzengel euere
Kinder so erziehet, dann wird die Liebe und Furcht Gottes,
die Verachtung dieser Welt und das Heimweh nach dem
Himmel den Gebrauch der Ruthe zur Seltenheit machen.
Denn so wird euere Familie ein Abbild der hl. Familie
von Nazareth, wo für die Ruthe kein Platz war.
Hl. Joseph, Pflegevater Jesu, hl. makellose Jungfrau
Maria, Mutter Jesu, bittet für uns, daß unser menschen-
freundliche Gott und Erlöser diese Gnade und dies Glück
einer jeden Familie verleihe.
XXIII.
Erziehung und Abtödtung.
Während die Leute schliefen, kam der Feind und
säete Unkraut. Diese Leute sind nach Erklärung der hl.
Väter die Vorgesetzten geistlichen und weltlichen Standes.
Wenn diese nicht wachen, sondern nachläßig handeln,
kommt der Feind, säet den schlechten Samen und bald
wuchert das Unkraut der Sünde empor. Das gilt auch
von den Eltern bei Erziehung ihrer Kinder.
Freilich liegt der Samen des Unkrautes – die Sinn-
lichkeit in Folge der Erbsünde schon in der Natur des
Kindes; allein der Feind pflegt diesen Samen, erregt
diese Sinnlichkeit, und wenn die Eltern nicht wachen,
stehen sie auf einmal vor einem unbändigen Sohn, einer
ausgelassenen Tochter. Warum? Während sie vielleicht
manches für die christliche Erziehung ihrer Kinder thaten,
übersahen sie dabei: Die Abtödtung und die Selbstver-
leugnung. Um euch die Wichtigkeit dieser Aufgabe klar
zu machen, rede ich zuerst von der Nothwendigkeit und
dann der Art und Weise der Abtödtung bei der Erziehung.
Was ist denn Abtödtung und Selbstverlaugnung?
Mit dem Apostel Paulus fühlen alle ein anderes Gesetz
in ihren Gliedern und ein anderes in ihrem Geist: jenes
andere Gesetz find die Neigungen zum Bösen; diese
gleichen zwar kleinen, aber wilden Tieren; verweigern
wir ihnen die Nahrung, so ertödten wir sie allmälig.
[219] Das ist die Abtödtung. Diese Neigungen bilden den sinn-
lichen Theil unserer Natur. Wenn wir nun dieser zurufen:
Du bist gar nicht sinnlich und, wenn du noch sinnlich
sein willst, so darfst du nicht mehr nach deiner Sinnlich-
keit handeln, so verleugnen wir dieselbe nach der Mah-
nung Jesu Christi. Diese Kunst der Selbstverleugnung
und Abtödtung ist auf dem Gebiete der Erziehung heut-
zutage fast ganz verloren gegangen, und wo sie noch
geübt wird, ist das nur um Ueberwindung vieler Schwie-
rigkeiten möglich.
Oder was sehen die Kinder oft an ihren Eltern?
An größern Geschwistern? An Verwandten und Be-
kannten? Welche Beispiele der Genußsucht, der Feigheit,
der Trägheit, der Ausschweifungen? Da stehen wir
schrecklich tief. Vor einigen Jahren wurde in einer
katholischen Schweizer Stadt ein Theaterstück aufgeführt,
das selbst für die Erwachsenen mit größten Gefahren
verbunden ist, ganz geeignet, die schlimmsten Leidenschaften
fürchterlich aufzuregen. Um ein volles Haus zu erhalten
wurde gestattet, je einen Repräsentanten der häuslichen
Jugend gratis ins Theater zu führen. Um Erwachsene
für ein gefährliches Spiel zahlreich zu gewinnen, ist man
bereit, in den Herzen der Jugend das gefährliche Feuer
anzuzünden: Ein katholisches Blatt trägt diese Einladung
in katholische Familien! Ist das Kurzsichtigkeit, Gedanken-
losigkeit, Geldliebe – oder alles zusammen? –
Es ist jedenfalls ein Zeichen, wie bei der Erzie-
hung der Jugend nicht bloß die christliche Weltanschauung,
sondern sogar der gesunde Menschenverstand vielfach
Schiffbruch gelitten; wie man zum Verderben der Jugend
auffordern darf, ohne einen allgemeinen Sturm des Un-
willens fürchten zu müssen. Und das geschieht an jenem
Holze, welches, ich sage nicht – wirklich grün ist –
aber doch als solches gelten will.
Wie weit sind wir gekommen? Der Feind säet
Unkraut, nicht während die Leute schlafen, sondern ruhig
zusehen, nicht während sie ruhig zusehen, sondern sogar
mithelfen. Was ist daher schreiende Nothwendigkeit ge-
worden? Ohne Rücksicht auf allerlei Parteien und Zei-
tungen, ohne Rückhalt für die eigene Person auf die all-
gemeine Gefahr hinzuweisen, die Kunst der christlichen
Selbstverläugnung bei der Erziehung mit apostolischem
Freimuthe zu verkünden.
Denn sollen euere Kinder in der Nachfolge Jesu
Christi für den Himmel heranreifen und nicht durch Pflege
der Sinnlichkeit für die Hölle heranfaulen, ist die beständige
Abtödtung und Selbstverleugnung die Grundbedingung.
Oder warum mahnt der Heiland: Willst du mein Schüler
sein, nimm das Kreuz auf dich, verleugne dich selbst und
folge mir nach. Warum mahnt der hl. Paulus: ‘„Pfleget
nicht die Sinnlichkeit zu Erregung der Lüste, sondern
ziehet an unsern Herrn Jesum Christum! Traget die
Abtödtung Christi an euerm Leibe.“’ Oder gilt dies
Gesetz nicht für die Kinder, nicht für die Jugend? Der
Antheil des Heilandes in seiner Kindheit und Jugend
ist Armuth, Entbehrung, Verfolgung, Flucht, zurück-
gezogenes Leben bei anstrengender Arbeit in der Werkstatt
seines Nährvaters. Er hatte diese Mittel der Abtödtung
nicht nothwendig; denn er war die Heiligkeit selbst; aber
wir hatten dies Beispiel überaus nothwendig, denn nur
wenige wollen die Nothwendigkeit der Abtödtung begreifen
Daher, christliche Eltern, habet ihr die heiligste Pflicht,
in den zarten Kindern die Sinnlichkeit zu bekämpfen,
dieselben an Entsagung und Entbehrung zu gewöhnen,
damit die bösen Lüste nicht erregt werden. So werden
sie dann in ihrer Jugend und im reifern Alter euere
Freude und euer Trost werden und bleiben. Denn im
Glanze der Unschuld und im Wohlgeruche aller Tugenden
werden sie selbst die Freude der Engel sein.
Wenn aber die Abtödtung nicht geübt wird, so werden
wir immer mehr und mehr wie Sodoma. Warum ver-
sanken jene Städte immer tiefer in Sünde und Laster, bis
sie endlich unter gottgesandtem Feuerregen von der Erde
verschlungen wurden in einem Augenblick? Den Grund
und die Veranlassung gibt der Prophet Ezechiel an (XVI 49)
Sodoma hatte Ueberfluß an zeitlichen Gütern, an Speis
und Trank: so ergaben sich die Bewohner dem Fraß und
der Völlerei; in dieser Genußsucht wuchs die Jugend heran:
so erwachten all die bösen Gelüste, die sie in ihrem Ueber-
muthe befriedigten; die Töchter waren ohne Arbeit und
Sorge ungefähr wie es heute so viele Töchter gibt, deren
größter Lebensgedanke ist: Etwas Klavierklimpern und
schrecklich viel Putz, Tanz und Gesellschaft, Roman und
Liebschaften.
Endlich dürfet ihr nicht vergessen: Das Lebensglück
des Einzelnen hängt nicht davon ab, was er besitzt und
genießt, sondern was er entbehren kann. Je größer die
Bedürfnisse, desto leichter kommt Unzufriedenheit und damit
das Unglück. So lange eine Tochter mit einfachem
Gewande zufrieden, ist sie auch glücklich, sobald sie aber
modesüchtig geworden, um sich Gestalt und Form zu
geben und fremde Augen auf sich zu ziehen, ist die
Zufriedenheit und der Frohsinn fort, und die Unzufrieden-
heit und das Murren und Klagen eingezogen.
Was ist daher eine durchaus nothwendige Aufgabe
nicht bloß der christlichen, sondern jeder nur irgendwie
vernünftigen Erziehung? Gewöhnt die Kinder schon in
den ersten Jahren an jede Art von Enthaltsamkeit und
Abtödtung und Selbstverleugnung, daß sie einst mit dem
[Völkerlehre] sagen können: ‘„Ich habe gelernt, wie's immer
mit mir steht, zufrieden zu sein und mich mit dem was
ich habe zu begnügen.“’ (Philipp. IV. 11.) Wenn ihr in
Wahrheit so reden könnet, was fehlt noch zu euerem
[222] Glücke? Nichts. Denn nur der Zufriedene ist glücklich.
Bist du mit der Armuth zufrieden, bist du auch glücklich;
bist du im Ueberfluß unzufrieden, bist du doch unglücklich.
Damit also dies wahre Glück möglich werde, muß die
Jugend von Kindheit an in jeder Art Abtödtung und
Selbstverläugnung geübt werden. Aber wie hat dies zu
geschehen?
Wenn ich nun auf scheinbare Kleinigkeiten zu sprechen
komme, so vergesset nicht, daß in der Erziehung auch das
Kleinste eine große Bedeutung hat, und wartet mit dem
Urtheil bis zum Schlusse. Wollet ihr also die Kinder in
der Abtödtung üben, so dürfet ihr ihren Körper nicht ver-
zärteln, sondern äußerlich abhärten. Denn in einem ver-
weichlichten Körper erwacht die Sinnlichkeit zu früh und
zu gewaltig, während die Abtödtung den Körper in das
Tugendjoch hineinfügt, bevor noch der Tugendsinn erwacht.
Lasset daher die Kinder nicht in allzuwarmen und
allzuweichem Federbette schlafen, hüllet sie im Winter
nicht ganz ein, haltet sie nicht in allzuwarmen Stuben.
Im Sommer lasset sie die Kleider nicht so wegwerfen;
kleidet sie nicht so leicht und so kurz, daß vielleicht
noch Scham und Anstand verletzt wird. Sie sollen Kälte
und Hitze ertragen lernen.
Was den Schlaf betrifft, bemerke ich nur soviel:
Abends sorget, daß die Kinder früh ins Bett gehen und
duldet durchaus nicht, daß sie bis tief in der Nacht bei
Spiel oder Schmausereien oder sonstigen Lustbarkeiten
zugegen seien, oder gar außer dem Hause Freude und
Erholung suchen, sonst wird das Schulkind schon zum
Nachtschwärmer; am Morgen – soweit das Alter des
Kindes es immer gestattet, sollen sie gleichzeitig aufstehen
nicht wach im Bette bleiben, sich waschen mit kaltem
Wasser und nach dem Morgengebet gleichzeitig beim
Essen erscheinen.
Kleinigkeiten! Aber Kleinigkeiten deren Vernach-
lässigung vielen kurzsichtigen und nachlässigen Eltern später
große Thränen ausgepreßt hat.
Ein anderes Mittel, die Sinnlichkeit zu bekämpfen
und die Abtödtung zu üben ist die Arbeit. Den Beweis
habt ihr im bekannten Sprichwort: Müßigang ist aller
Laster Anfang – die Laster aber kommen alle aus der
Sinnlichkeit heraus. Daher klaget vor den Kindern nie
über die Beschwerlichkeit der Arbeit, lobet nie das Nichts-
thun und die Gemächtichkeit. Bedienet euere Kinder nie
wo sie sich selbst helfen können; gestattet auch das den
Dienstboten nicht; ferner halte sie zu allerlei Arbeiten an
in und außer dem Hause. Das ist der wahre Turnplatz
besonders für Mädchen, welchen alles andere Turnen die
zarte Scham mehr oder weniger abstreift. So viele
Kinder werden auf den Schulbänken, in Instituten 15 und
16 und noch mehr Jahre alt – haben vieles gelernt,
was sie nie brauchen – nur nicht das allernothwendigste,
das Arbeiten; dabei frühreif, vornehm, verweichlicht ge-
worden, sind sie gegen ihre Leidenschaften nicht mehr
widerstandsfähig. –
Aber wozu haben wir denn Mägde? Doch nicht
um die Kinder zu verweichlichen und die Gesundheit armer
Dienstmädchen durch übermäßige Anstrengung zu ver-
derben? Wozu denn? Daß sie euch und den Kindern
bei der Arbeit behülflich seien. Aber diese Arbeiten schicken
sich doch nicht für uns und unsere Kinder! Gibts eine
Mutter vornehmer als die Mutter Gottes, gibts einen
Vater vornehmer als der hl. Joseph, aus dem königlichen
Hause Davids, gibt's ein Kind vornehmer als das gött-
liche Kind? Und diese alle, welch' gemeinen Arbeiten haben
sie sich unterzogen! Daher sehen wir auch, wie, ich will
nicht sagen heilige, sondern nur wahrhaft fromme Seelen
aus den höchsten Ständen ihre größte Freude an den
[224] gemeinsten Arbeiten hatten. Wo aber der Glaube an
Christus verschwunden, oder wo bei äußerlichen Formen
der Frömmigkeit der wahre christliche Geist fehlt, scheinen
jene Arbeiten manchen Leuten ihrer Stellung und ihrem
Adel nicht mehr zu entsprechen. Die wahren Begriffe des
Adels und der Größe haben wir vielfach verloren und
daher auch die wirksamsten Mittel der Abtödtung und
Selbstverleugnung. Arbeit ist also ein vortreffliches Mittel,
die Kinder in der Abtödtung zu üben; aber ebenso heilsam
und nothwendig die Mäßigkeit in Speis und Trank, die
Bescheidenheit in der Kleidung.
Weil nämlich, wie der hl. Paulus (R. III, 14)
lehrt, nichts die Sinnlichkeit zur Erregung böser Gelüste
derart pflegt, wie die Unmäßigkeit im Essen und Trinken,
hat die Erziehung diesem Punkte eine besondere Aufmerk-
samkeit zu schenken. Nur wenige aber nothwendige An-
deutungen. In Bezug auf Genuß von Speis und Trank
muß feste Ordnung und Zeit bestimmt sein. Gesunde
Kinder sollen sich mit der Mahlzeit am Morgen, Mittag
und Abend begnügen; daneben kann man ihnen am Vor-
und Nachmittag noch ein Stück Brot geben. Alles andere
ist vom Bösen und für die Zukunft des Kindes verhäng-
nißvoll.
Wenn euch die Kinder diese oder jene Speise oder
Leckereien ertrotzen wollen, so gebet doch niemals nach.
Ferner hütet euch, die Sinnlichkeit durch die Sinnlichkeit
zu besiegen, wie es kurzsichtige Eltern oder Basen nur
zu oft thun. Ein Kind ist nicht fleißig, hat Abscheu vor
einer Arbeit, macht ein saures Gesicht: Da ist die Ruthe
oder Fasten nothwendig; aber dafür verspricht man dem
Kinde, wenn es brav und artig sei – was? Zucker und
Süßigkeiten! Daß heißt den Teufel durch den Teufel
austreiben, die Sinnlichkeit durch die Sinnlichkeit bekämpfen.
Diese Kinder, welche um ihr Leckermaul zu befriedigen, sich
[225] in einem Punkt überwinden, werden einst große Jünglinge
und Männer, edle Töchter und Frauen sein – nicht wahr?
Das Gleiche gilt vom Gewande, das der Gefallsucht,
der Sinnlichkeit, der Frühreife zu rufen pflegt.
Redet nie vor den Kindern von Kleidern und Moden;
lobet nie andere der Kleider wegen, und wollten euere
Kinder das thun, duldet es durchaus nicht; macht sie auf-
merksam auf die Dummheit derjenigen, welche mehr zu
sein glauben, weil sie einen schönern Fetzen als andere
tragen. Adel und wahre Größe ist nicht Geld und
Reichthum, nicht Mode und Gewand, nicht Palast und
Einrichtung, nicht Amt und Würde, sondern die Groß-
thaten des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe in der
Nachfolge Christi, der von der Krippe an bis zum Kreuz
das Vorbild der Entsagung und der Abtödtung und der
Selbstverleugnung geworden.
Daher versprechet den Kindern nie ein neues, noch
viel weniger ein schönes Kleid, wenn sie brav seien. Denn
das Kleid darf nie eine Belohnung der Tugend sein,
sonst wird es in den Augen des Kindes werthvoll, und
größer geworden trotzt es auch das Gewand ab, vielleicht
unter Androhung, das Elternhaus zu verlassen. Nie vor-
sichtig genug könnet ihr da sein, besonders den Mädchen
gegenüber; denn mit diesen scheint so oft schon in der
Wiege zu liegen, jedenfalls im Kinderwägelchen zu sitzen
– wer? – Der Modeteufel.
Wenn dann euere Söhne und Töchter mit 16, 17
Jahren oder schon früher unbändig werden, wenn ihre
Leidenschaften nach allen Seiten herauszüngeln wie Flammen
auf einem brennenden Hause, habet ihr gut sagen: Wir
schickten sie doch in die Kirche und Schule, wir hielten
sie zum Beten an Gut, aber wie hast du mit ihnen
Morgens und Abends Ordnung gehalten? Wo, wie und
wann hast du sie zur Arbeit angehalten? Die Kinder
[226] mußten beten. Gut. Aber hast du nicht ihren Leib ver-
weichlichet? Hast du nicht die Sinnlichkeit durch thörichte
Reden, durch Unordnung in Speise und Trank, durch eitles
Gewand geweckt?
Aber das hat nicht geschadet; sie waren ja so ein-
gezogen. Nicht geschadet. Warum sind 10 und 1l jährige
Kinder oft schon so verwildert? Ihre Leidenschaften
wurden nie abgetödtet. Nicht geschadet? Das Unkraut
der künftigen Ausschweifung wuchert schon in ihrer Seele;
mit 13 und 14 Jahren beneiden sie die Größern um den
vollen Lustbecher – sind vielleicht schon in ein tiefes,
wenn auch noch verborgenes sittliches Elend versunken.
Mit 17 Jahren sind sie am Ziele ihrer Gelüste, unbe-
kümmert um das zeitliche Elend, das ihrer wartet, unbe-
kümmert um den Himmel, der ihnen entflieht, unbekümmert
um die Hölle, die unter ihren Füßen gähnt. Väter,
Mütter, – ihr jammert und weint vielleicht, daß euere
Söhne und Töchter in ihren Leidenschaften und Gelüsten
unbändig geworden wie Roß und Maulthier – warum
habet ihr ihnen in den Tagen zartester Kindheit nicht die
Zügel der Abtödtung und der Selbstüberwindung und der
Entsagung angelegt und fest in der Hand gehalten?
Und wie leicht ist es auf christlichem Boden, die
Kinder zur Abtödtung und Entsagung anzuhalten! Steht
nicht vor ihrem Auge das Vorbild des göttlichen Kindes?
Ist das Kinderherz nicht wie geschaffen für die Liebe des
göttlichen Heilandes? Drängt diese Liebe nicht zur Ent-
behrung, zur Entsagung? Aus der Liebe Christi flammt
die Nächstenliebe empor – und verlangt diese Liebe nicht
manche Opfer und Entbehrung in Bezug auf Freuden
und Genüsse, auf Speise und Trank, auf Kleidung und
Moden – verlangt sie nicht diese Opfer für die Bekeh-
rung der Heiden, für Rettung der gefährdeten Unschuld,
für die Unterstützung würdiger Armen? Aber die Kinder
[227] müssen hiefür erzogen werden – und daß sie leicht
dafür gewonnen werden, hat Christus gesorgt durch sein
Beispiel von der Krippe bis zum Kreuze, und vom Kreuze
an, wo seine Braut auf der Seitenwunde hervorging, bis
auf den heutigen Tag durch die Gnadenherrlichkeit seiner
hl. katholischen Kirche. Endlich will ich zum Schlusse noch
auf die natürlichste Schule der Abtödtung und Entsagung
hinweisen – auf Armuth und Leiden. In der Schule
der Leiden sind wir Alle; in der Schule der Armuth die
Meisten – und wie die Verhältnisse liegen, werden noch
weit mehr in diese beiden Schulen hineinkommen, wenn
die Auserwählten gerettet werden sollen.
Was nun thun, ihr Armen, ihr Geplagten? Haltet
euere Kinder an, daß sie aus der Noth gerne eine Tugend
machen. Gehet deshalb selbst mit dem guten Beispiele
voraus; klagt nie über Armuth, beneidet ja nicht die Reichen,
sondern saget mit Tobias zu euern Kindern: ‘„Fürchtet
nicht, wir führen zwar ein armes Leben; aber wir werden
viel des Guten haben, wenn wir Gott fürchten, ferne
bleiben von jeder Sünde und Gutes thun. Richtet daher
die Augen nicht auf Güter, die ihr nicht haben könnet.“’
So saget euern Kindern, ihr ohne Kapitalien und
Aktien, aber auch ohne Geiz und ohne Habsucht: ‘„Fürchtet
Gott, fliehet die Sünde; liebet die Tugend und die Armuth,
diese Braut Christi von der Krippe bis zum Kreuze, Gott
wird euch segnen: aber schauet nicht auf Güter, die ihr
nicht haben könnet: nicht auf Geld, das euch fern liegt;
nicht auf Genüsse, auf Tanz, auf Spiel, auf Theater, auf
Ausflüge, die nicht euer Antheil – nicht auf Kleider, die
euer Stand nicht tragen darf, nicht auf Kleider und Moden,
woran nur ein Schädel ohne Inhalt Freude hat.“’
So lehret euere Kinder; aber mit der vollen Vatermacht
und dem ganzen Opfersinn der Mutter stehet dafür ein,
daß euere Kinder so leben und die Abtödtung Christi an
[228] ihrem Leibe tragen. Wenn sie aber dennoch Ansprüche
machen, welche mit der Armuth sich nicht vertragen, so
gebet doch niemals nach; denn sonst seid ihr mitschuldig
am vollständigen Ruin der Familie wie am ewigen ver-
derben der Kinder. Pfleget daher der Sinnlichkeit nicht
zur Erregung der Gelüste, sondern kreuziget das Fleisch
und seine Begierlichkeit in euch und in euern Kindern,
damit wir dem Bilde des Gottmenschen ähnlich geworden,
am großen Erntetage aufgenommen werden unter die
Zahl der Auserwählten.
XXIV.
Begriff und Schule der Ehrfurcht.
Ehrfurcht! Respekt! Heilige Scheu! Schöne Worte,
deren herrlicher Inhalt aber vielfach verloren. So klagt
man ja sogar in der Presse, daß Anstand und Sitte und
guter Ton in allen Gesellschaftskreisen immer mehr ver-
schwinde und der Gemeinheit weiche. Das wundert mich
gar nicht, aber das ist mir auffallend, daß bei dieser Ver-
nachlässigung der häuslichen Erziehung, bei dieser Ent-
christlichung der Schule mitten unter tausenderlei Aerger-
nissen das Uebel nicht schon größer geworden. Denn
ohne Ehrfurcht kommt der Mensch auf allen Schulen nur
als geschulter Barbar heraus. Daher ist es wohl an der
Zeit das Wort ‘„Erweiset Ehrfurcht, wem Ehrfurcht gebührt“’
(R XIII. 7), in alle Gesellschaftskreis hinein zu rufen.
Ehrfurcht aber kann nur erweisen, wer in und zur Ehr-
furcht erzogen worden. Um diesen Gegenstand gründlich
und für das Leben nutzbringend zu entwickeln, fragen wir
zuerst: Was ist denn Ehrfurcht? Welches ist die Schule
der Ehrfurcht?
Obwohl wir leichter fühlen als sagen, was Ehrfurcht
ist, so hat doch jener tiefe und scharfe Denker der heilige
Thomas (II. II. art. 3) dieselbe genau bestimmt und
erklärt. Er spricht zunächst von der Aeußerung der Ehr-
furcht, nämlich von der Ehre, welche man einem erweist.
Diese Ehre ist eine Art Zeugniß der Tugend dessen,
welchen man ehrt. Und deswegen ist die Tugend allein
der würdige Gegenstand der Ehre. Man muß jedoch
wissen, daß einer nicht bloß der persönlichen Tugend halber
geehrt werden kann, sondern auch wegen der Auszeich-
nung eines andern. So werden Fürsten und Vorgesetzte
geehrt, weil sie die Stelle Gottes vertreten, auch wenn
sie böse sind. Auf gleiche Weise sind Eltern und Herr-
schaften zu ehren, weil sie an der Würde Gottes Theil
haben, welcher Vater und Herr Aller ist. So der hl.
Thomas. Der Grund der Ehrenbezeugung ist also ent-
weder die persönliche Tugend des Geehrten, oder dann
die Würde, die er von Gott erhalten. Daß aber jemand
zugleich wegen seiner Tugend und wegen der von Gott
erhaltenen Auszeichnung geehrt werden kann, ist klar.
Denn so viele Eltern und Vorgesetzte verbinden ja mit
der Würde die Tugend.
Wenn wir aber jemanden äußerlich ehren, so muß
auch im Herzen etwas sein – sonst ist alles nur Heuchelei
und angelernte Complimentmacherei, wie sie in jeder Art
Hofluft und im Sumpfe der Selbstsucht und des Eigen-
nutzes zu gedeihen pflegt. Was muß dan in unserm
Herzen sein? Die Ehrfurcht. Also ist auch der
Grund der Ehrfurcht der gleiche wie der Ehrenbezeugung.
Ihr könnet also nur Ehrfurcht haben vor einem Menschen,
der durch seine Tugend oder seine Würde oder durch beides
Gott ähnlich ist; ihr könnt also nur Ehrfurcht haben vor
der Tugend, vor der Heiligkeit, vor Würde und Hoheit
– wie sie von Gott ausstrahlen. Diese Ehrfurcht ist
[230] dann ein Staunen, eine hl. Scheu, Freude, Liebe, Bewun-
derung, kindliche Furcht beim Anblick einer wahren Größe.
Die Ehrfurcht ist also nichts Irdisches, sondern etwas
Himmlisches, nichts Menschliches, sondern etwas Göttliches,
nichts Weltliches, sondern etwas Religiöses. So wagt wohl
niemand zu sagen: ‘„Ehret meinen Reichthum, meine
Kleider, meine Pferde, meine Gewaltthat.“’ Wenn
aber einer dennoch wegen solchen oder gleichwertigen
Dingen z. B. wegen wichtigthuender Geschäftelei, wegen
Treiberei in Politik und Vereinen, wegen modernem
Bildungskram, wegen schriftstellerischen Kleinigkeiten, wegen
Zeitungslobhudeleien Ehrfurcht verlangt – ist der nicht
ein Thor und für was für Thoren hält er andere? Da
täusche sich nur Niemand, als hätten die Menschen, wenn
sie auch solcher Thorheiten wegen aus selbstsüchtigen
Beweggründen äußerlich jemandem Ehrfurcht erweisen,
nicht einen unfehlbaren Instinkt für wahre innere Ehr-
furcht oder auch Verachtung.
Welches ist nun die Schule dieser Ehrfurcht?
Der gelehrte Protestant Guizot that einst den berühmt
gewordenen Ausspruch: ‘„Die katholische Kirche ist die
größte und herrlichste Schule der Ehrfurcht, welche die
Welt jemals gesehen hat.“’
Warum ist die katholische Kirche die größte Schule
der Ehrfurcht? Weil sie die wahre und erhabenste Religion
ist und eine ganz besondere Fähigkeit besitzt, die Menschen
mit der Religion zu durchdringen und so mit Ehrfurcht
zu erfüllen vor Gott und vor allem, was mit Gott ver-
bunden und verwandt ist.
Was zeigt die Religion dem Kinde? Gott in seiner
Herrlichkeit, in seiner Allmacht und Weisheit, in seiner
Güte und Langmuth, in seinen Erbarmungen wie in seiner
Gerechtigkeit. Was zeigt die Religion dem Kinde? Die
Schöpfung Gottes vom Gestein an bis hinauf zum
[231] Menschen, dem Ebenbilde des dreieinigen Gottes. Was
ist die Folge hievon? Die Seele des Kindes wird mit
hl. Scheu und Furcht vor Gott erfüllt; es fällt nieder
und betet an; so wird die Ehrfurcht Anbetung. In
dieser Anbetung Gottes erscheinen die Menschen dem
Kinde als Ebenbilder Gottes und um so ehrwürdiger, je
ähnlicher sie Gott geworden und erfüllen so die Kinder-
seele mit Ehrfurcht.
Aber welche Religion kann diese Ehrfurcht am leich-
testen geben und immer schöner in den Herzen entfalten!
Man macht heute so gewaltigen Lärm mit dem Anschauungs-
unterricht in der Schule; nun, der ist so alt wie das
Menschengeschlecht, und der göttliche Heiland hat demselben
in seiner katholischen Kirche die höchste Vollendung gegeben
und so die größte und heiligste Schule der Ehrfurcht er-
richtet. Betrachtet also die von Christus gestiftete Schule
der Ehrfurcht! ‘„Das Wort ist Fleisch geworden und hat
unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit gesehen
als die Herrlichkeit des Eingebornen vom Vater voll der
Gnade und der Wahrheit, und von seiner Fülle haben
wir alle empfangen Gnade über Gnade.“’ So erzählt der
heilige Johannes die Menschwerdung Jesu Christi und
sein stetes Fortleben in der katholischen Kirche. Es kommt
Weihnacht; Gott mit uns im Stalle von Bethlehem; denn
Gott ist in der Person Christi ein Kind geworden; es kommt
Ostern; Gott mit uns auf Golgatha; denn Gott selbst
hat am Kreuze seine Arme ausgestreckt; es kommt das
Fronleichnamsfest; Gott mit uns; denn Gott selbst ist
uns gegeben unter den Gestalten des Brodes; wir werfen
uns auf die Knie, wenn er in feierlicher Prozession durch
Gassen und Straßen zieht. So oft ihr in die Kirche
geht, was verkünden euch die Altäre mit ihrem Schmucke,
was die brennenden Kerzen und das ewige Licht, was
der ernste feierliche Gesang, dem nichts Weltliches, Pro-
[232] fanes, Opernmäßiges beigemischt wird – was verkündet
euch das alles: Gott mit uns im allerheiligsten Altars-
sakramente, fallet nieder, betet an voll Ehrfurcht!
Wenn ihr nun euere Kinder in diesem Glauben er-
ziehet, wie tief, wie unverwüstlich muß nicht die Ehrfurcht
in ihr Herz eingepflanzt werden? Und doch ist das bei
weitem nicht alles. Denn Gott ist nicht bloß so in un-
mittelbarer Nähe, sondern durch die hl. Sakramente will
er sich auf's innigste mit uns vereinigen. Diese Gnaden-
mittel haben zwar alle die Kraft, uns mit hl. Ehrfurcht
zu erfüllen aber doch ganz besonders das hl. Altarssakra-
ment in der hl. Communion. Erinnert euch einmal an
jenen Freudentag, wo ihr durch eilte reumüthige Beichte
das Herz von allen Sünden der Kindheit gereiniget, wo
ihr die Gnade und Herrlichkeit Gottes so recht in euch
gefühlt, wo ihr voll Ehrfurcht und Freude die hei-
mathliche Pfarrkirche betratet – mit welcher Ehrfurcht,
mit welcher Scheu, mit welcher Anbetung traten wir an
jenem weißen Sonntage zum ersten Male an die Com-
munionbank? Mit welcher Anbetung schauten wir Gott
an in der hl. Hostie? Mit welcher Ehrfurcht begrüßten
wir im Herzen den göttlichen Heiland? Schauten wir
uns gegenseitig nicht voll Ehrfurcht an? Deutet nur an
diesen großen Tag und ihr begreifet, wie die katholische
Kirche die größte und heiligste Schule der Ehrfurcht ist.
Das ist das einfache und doch so tiefe Geheimniß
katholischer Erziehung. Aber diese Erziehung hat noch
andere Mittel. Wie sie nämlich in Jesus Christus uns
die Nähe Gottes zeigt, so zeigt sie in der sichtbaren
Kirche die Majestät Christi: Die sichtbare Kirche erscheint
als Mutter in der Zartheit himmlischer Mutterliebe;
Christus aber erscheint in der Herrlichkeit göttlicher
Majestät: So verschmelzen sich im Kinderherz die Liebe
zur Kirche und die Ehrfurcht vor Christus zu einem
[233] neuen Gefühle der Verehrung und dieses wendet sich
nicht gegen etwas, das man nicht sehen, nicht hören,
nicht greifen kann – sonst wäre das für die Erziehung
wie werthlos – sondern gegen erhabene Personen, welche
die Stelle des Gottmenschen vertreten.
In dieser Zeit, wo die Großen sich selbst erniedrigen
und ihre Sendungen von Oben vergessen, wo so viele
Throne in wenigen Augenblicken einstürzen, um die
meisten ihrer Herren für immer zu begraben, in dieser
Zeit, wo alles wackelt und nichts fest dasteht, wo über Nacht
das mächtigste Reich zusammenstürzen kann – in dieser
Zeit, wo Gemeinheit und Niedertracht vielfach zur vollen
Herrschaft gelangt sind: In dieser Zeit führt die katho-
lische Schule und Erziehung die Jugend hinweg über
diesen traurigen Anblick von Kriegsheeren und Kanonen,
von Ruinen und Trümmern, von Hunger und Elend,
von Schlachten und Gemetzel, führt sie hinweg über
Jammerfiguren des Unglaubens, der Sittenlosigkeit, der
Habsucht, des Eigennutzes – und zeigt ihr dafür eine
hehre Gestalt, einen 80 jährigen Greis: Auch dieser hat
Land und Volk verloren, sucht wie Noa's Taube eine
trockene sichere Stelle und findet sie nicht; aber nur desto
großartiger erhebt sich diese Majestät wie einst Noa's
Arche über die Fluth und wie unsere Alpenfirnen über
ein herbstliches Nebelmeer: Vor dieser Majestät beugt
sich die katholische Welt voll Ehrfurcht – beugt sich selbst
der Ungläubige, der Heide, der Türke, der noch einen
Sinn für das Erhabene und Große in der geistigen
Welt bewahrt hat.
Aber nur wenige haben das Glück, denjenigen zu
sehen, gegen welchen die Pforten der Hölle zur Ohn-
macht verdammt sind – die wenigsten haben das Glück,
am Ostertage oder am Feste der Fürstapostel auf dem
Petersplatze mit 100,000 Menschen zu knieen und in
[234] geisterhafter Stille der tiefsten Ehrfurcht den Segen des
hl. Vaters vom Balkon der Peterskirche zu empfangen.
Und doch soll die katholische Kirche die größte und heiligste
Schule der Ehrfurcht auf der ganzen Welt sein und bleiben.
Daher muß die Herrlichkeit Gottes diese Kinder-
herzen ganz in der Nähe berühren und zwar durch lebende
Personen, welche Antheil haben an der Sendung Jesu
Christi. So kommen denn nach dem hl. Vater die
Bischöfe, diese Nachfolger der Apostel als Hirten über
einzelne Theile der einen großen Herde Jesu Christi:
Welch' ungeheuchelte, naturwüchsige Ehrfurcht nicht bloß
die Kinder vor dem Bischöfe haben, sondern auch das
gläubige, durch kein Wirthshausleben verdorbene Volk,
das vom Bischof weder Ehre noch Auszeichnung noch
andere zeitliche Vortheile erwartet – das wissen diejenigen,
welche das Glück hatten, mit diesem edelsten Theile näher
zu verkehren.
Aber auch das genügt noch nicht, denn der Bischof
ist der Jugend eine noch zu fern stehende Person; sie
muß täglich in der Ehrfurcht erzogen werden. Daher soll
sie auch täglich mit dem Priester Gottes in Berührung
kommen. Daher werden Priester vom Bischöfe in einzelne
Gemeinden gesendet. Wenn nun ein Priester mit seiner
Würde, welche ihn hoch über alle irdische Herrlichkeit er-
hebt, noch einen wahrhaft priesterlichen Wandel verbindet,
werden dann die Kinder nicht mit heiliger Ehrfurcht erfüllt?
Denn mit der Anbetung Christi lernen sie Ehrfurcht und
Verehrung gegen seine Priester und fühlen sich dabei nicht
kleiner, sondern größer, nicht verdemüthiget, sondern gehoben,
und Vater und Mutter sehen die schönen Früchte dieser
Ehrfurcht und Verehrung. Und dann diese religionslose
Schule, deren bloßer Bestand schon eine Verachtung
Gottes und der hl. Kirche! Diese moderne Schule! –
[235] Wie sie nicht auf einmal zur Herrschaft gelangt ist, so
wird sie auch nur durch einen langen aber steten Kampf
auf ihrer Stellung verdrängt werden.
So hat denn Guizot wirklich Recht, wenn er die
katholische Kirche die größte und heiligste Schule der Ehr-
furcht nennt: Habet also selbst Ehrfurcht vor Gott, vor
Christus, vor seiner hl. Kirche, vor dem Papste, dem
Bischof, dem Priester; und zeiget diese Ehrfurcht vor
euern Kindern und Geschwistern: So wird euch am Tage
der Rechenschaft die Verantwortung für euere Haushal-
tung leichter werden in den Erbarmungen Gottes.
XXV.
Erziehung und Ehrfurcht.
Die Ehrfurcht ist eine hl. Scheu vor Gott, vor dessen
Größe und Majestät, dann vor jeder Tugend und Aus-
zeichnung, welche von Gott kommen und den Menschen
Gott ähnlich machen. Mit dieser hl. Scheu ist eine Freude,
ein Staunen, eilte Bewunderung der Seele verbunden, eine
Sehnsucht, den Gegenstand dieser hl. Scheu zu ehren, eine
kindliche Furcht, derselben etwas Unwürdiges zu thun. Die
katholische Kirche ist die größte und heiligste Schule der
Ehrfurcht, die es je auf der Welt gegeben hat. Denn in
ihr steigt die Herrlichkeit Gottes in Christus, in den hl.
Sakramenten, in dem Priesterthum vom Himmel herab vor
die Augen des Kindes und dann in dessen Seele: So
wird die Ehrfurcht vor Gott im Kinde geweckt und mit
ihr jede andere.
Jetzt wollen wir einen Schritt weiter gehen, und sehen,
[236] welche Bedeutung die Ehrfurcht für die Erziehung habe.
Zu diesem Zwecke behandle ich folgende zwei Punkte:
1) Mit der Ehrfurcht kommt die Erziehung,
2) aber ohne dieselbe die Barbarei.
Mit der Ehrfurcht kommt also die Erziehung oder
die Ehrfurcht macht die Erziehung erst möglich. Was
bedeutet denn eigentlich das Wort ‘„erziehen“’? Fast in
allen Sprachen ist seine Grundbedeutung ‘„in die Höhe
ziehen, heben.“’ Das ist wirklich die Hauptarbeit der
wahren Erziehung, das Kind auf die naturgemäße Höhe
der Menschen- und Christenwürde zu bringen. Die Er-
ziehung ist also wie ein Aufflug der Seele von der Welt
zu Gott, vom Gemeinen zum Erhabenen, von der Sünde
zur Tugend, von der Unvollkommenheit zur Vollendung.
Die Ehrfurcht nun, von Gott in die Seele gelegt, wird
in ihr zur Kraft, welche sie auf jene Höhe der Voll-
kommenheit hinaufführt. Sehet einmal.
Die Erziehung darf das Kind nicht nach Schablonen,
nicht nach den glänzenden Irrthümern einer gottlosen Schule
behandeln, sondern nach den wahren und berechtigten Be-
dürfnissen, welche Gott in dessen Seele gelegt hat. Ein
solches Bedürfniß und damit auch ein Gesetz der Erziehung
ist die Ehrfurcht, und dies Gesetz kann ohne das tiefste
Verderben der Jugend nicht verletzt werden. Betrachtet
nur das Kind in seinen ersten Jahren. Redet ihm von
Gott, der die Welt erschaffen, von Christus, der in der
Krippe liegt, vom Schutzengel, der die Kinder beschützt,
vom Himmel, der die frommen Kinder erwartet: die Ehr-
furcht äußert sich unwillkürlich im Staunen der Augen, im
Falten der Händlein, im Gebete der Lippen. Hat ferner
das Kind nicht ein wahres Bedürfnis, den Eltern die
Huldigungen seiner Ehrfurcht darzubringen? Welch' heilige
Scheu hat es vor dem Priester? Welche Ehrfurcht vor
der Kirche? Daher hören die Kinder so gerne Geschichten
[237] von außerordentlichen Personen und Thaten; sie scheinen
dabei kaum mehr athmen zu dürfen, um nicht die feier-
liche Stille der hl. Ehrfurcht zu unterbrechen. Das ist
weniger Befriedigung der Neugierde als der Ehrfurcht,
welche in ihrem innersten Wesen religiös und himmlisch
und göttlich ist.
Als einst ein Knabe auf einer von Lehrschwestern
geleiteten Kleinkinderschule in die confessionslose, rein
bürgerliche Schule kam, sagte er nach einigen Tagen:
‘„Aber, Mutter, wir hören nicht mehr so schöne Geschichten
wie bei der Schwester.“’ Aber hörte der Knabe denn keine
Geschichten mehr? Freilich, aber nicht mehr religiöse,
sondern rein bürgerliche, und so blieb sein tiefstes Bedürf-
niß der Ehrfurcht unbefriedigt; statt Brod erhielt er
Steine.
Die ältern Leute auf uns können da auf Erfahrung
reden. Als wir vor 50 Jahren die Schule zu besuchen
hatten, war die biblische Geschichte sozusagen das einzige
Buch, mit dem wir uns beschäftigten. Mit welcher Freude
lasen wir Kinder das alte Testament? Die ausführliche
Geschichte des ägyptischen Joseph, den Heldentod der
machabäischen Mutter und ihrer Söhne und die Kämpfe
und den Heldentod der Machabäer für Gott und Vater-
land. Wir lasen die gleiche Geschichte hundert Mal.
Warum? Immer schöner traten jene Gestalten vor unsern
Geist; wir hatten das Bedürfniß, ihnen die Huldigungen
unserer Ehrfurcht darzubringen.
Aber warum hat Gott uns dies Bedürfniß gegeben?
Wenn ihr das Leben eines großen Menschen mit all seinen
Tugenden und Großthaten leset und betrachtet, tönt es
nicht in der mit Ehrfurcht erfüllten Seele: ‘„Das ist die
Größe, die Würde, der Adel des Menschen! Auf! Das
ist auch dein Beruf; du darfst diese Größe nicht bloß
verehren, du mußt sie auch erreichen. Auf! Verlasse diese
[238] Niederungen des gewöhnlichen Lebens, und steige auf die
Höhen der Tugend, des Adels!“’ Wohlan, ist nicht dies
der Eindruck einer jeden wahren Größe auf jede noch
unverdorbene Seele? Das ist eine Wahrheit, die wir
Alle schon erfahren und gefühlt haben; wer sie nicht mehr
versteht, muß verzweifelt tief herabgekommen sein. Ob
und wie weit man dies Grundgesetz der wahren Erziehung
vergessen hat oder nicht beachtet, will ich nicht berühren;
aber hieraus wird hoffentlich manchem klar, mit welcher
Unwissenheit, mit welcher Oberflächlichkeit heute über Er-
ziehung und Bildung der Jugend vielfach geschrieben und
geredet wird. Und doch ist die Kinderwelt nicht so eine
Art Versuchsfeld! Mir genügt indessen diese Wahrheit:
‘„Ehrfurchtsvolle Kinder haben ein unwiderstehliches Be-
dürfniß, das, wovor sie Ehrfurcht haben, auch zu er-
reichen.“’
Was folgt nun hieraus für euch, christliche Eltern,
für Alle, die sich irgendwie mit der Erziehung zu be-
schäftigen haben? Setzet einmal den eigenthümlichen Fall.
Wenn ihr den schönsten Menschen gefunden, der je war,
und ihr könnet die ganze Schönheit und Kraft seiner
Gestalt auch euern Kindern mittheilen, falls ihr ihnen den-
selben nur recht oft sehen lasset: – würdet ihr das nicht
mit aller Sorgfalt thun, so oft es nur möglich wäre?
Wenn ihr ihnen auf gleiche Weise die Seelengröße, den
Geistesadel, die Herzensschöne eines hl. Paulus, eines
hl. Chrysostomus, eines hl. Aloysius, eines hl. Vinzenz von
Paul, einer hl. Cäcilia, Agatha, Agnes, einer hl. Catharina
von Siena geben könntet, wie würdet ihr frohlocken?
Wohlan nun, was ich da sage, ist kein Traum, keine
Täuschung, keine bloße Voraussetzung, sondern Wahrheit,
Wirklichkeit. Zeigt euern Kindern nur was wirklich groß,
wirklich erhaben, heilig und göttlich ist, haltet sie an, dies
Alles mit Ehrfurcht zu verehren und diese Größe, dieser
[239] Adel, diese Heiligkeit wird euere Kinder nach ihrem Vor-
bilde umgestalten und bilden.
Also weg mit allen Büchern, wo nur von Möbeln,
von Pflanzen, von Thieren die Rede, wo langweilige,
inhaltsarme Geschichten mit einer ganz nüchternen Moral
erzählt werden, weg aus der Kinderwelt mit allen Büchern
und Schriften und Gemälden, wo nicht die Herrlichkeit
Gottes wiederstrahlt, also weg auf der Kinderwelt jede
Unterhaltung, wo Geld und Reichthum und Kleider und
Moden und Menschenlob und Genuß die Hauptrolle
spielen – weg damit – sonst geht die Ehrfurcht weg.
Aber das ist noch lange nicht genug. Denn euere
Kinder sehen und hören eben auch viel Gemeines, Böses,
Schlechtes und Niederträchtiges; gegen dies Alles müsset
ihr ihnen Verachtung und Abscheu einpflanzen. So wird
euer Kind wahrhaft groß und schön und herrlich und
adelig werden, weil es das Große und Göttliche gesehen
und verehrt hat, aber auch verachtet und verabscheut jede
Gemeinheit.
Soll ich euch nun von diesen Schülern der Ehrfurcht
irgend ein Bild entwerfen? Ihre Gedanken fliehen das
Gemeine, und suchen das Erhabene; ihre Gefühle verab-
scheuen das Niedrige, und lieben das Göttliche; ihr Wille
strebt nach oben, wo die Tugend, wo die Vollkommenheit
des Menschen und des Christen. Wenn dann mit diesem
Adel der Jüngling später die Vaterwürde verbindet und
wie ein Bischof in der Familie waltet, wenn die Jung-
frau mit dieser Hoheit die Mutterwürde vermählt und in
Mitte der Kinderschaar ihre Opferliebe entfaltet – welch'
zaubervolles Schauspiel, welch eine Schule der Ehrfurcht
für das werdende Geschlecht! Wenn ferner solch' ein
Mann im Dienste des Vaterlandes oder der Kirche mit
seinem Adel Aemter und Würden verbindet, welche An-
muth in der Würde, und welche Bescheidenheit in der
[240] Größe! Ja selbst wenn er im hl. Zorne gegen Sünde
und Unordnung sich erheben muß, wie einst der Heiland,
als er mit Stricken die Tempelschänder vor sich her
jagte – entfaltet er nur Hoheit und Würde. Diese
Männer sind wirklich groß, und haben deshalb nicht
nothwendig, sich aufzublähen und mit Kleinigkeiten zu
prahlen, Zeitungslob zu betteln, wie es die kleinen Gern
Groß treiben; sie sind wirklich groß und suchen deshalb
nicht Würden, nicht Aemter, nicht Auszeichnungen; sondern
sie müssen vielmehr gesucht werden und gestoßen und ge-
drängt, bis sie ein Amt, eine Stelle übernehmen; sie sind
wirklich groß, und kennen deßhalb keine Schmeichelei und
Kriecherei, sondern auch Großen und Mächtigen und
Reichen und Vornehmen gegenüber bewahren sie sich die
volle Freiheit des Wortes und der That – sie sind
wirklich groß und verkehren am liebsten mit Armen, mit
Niedern, mit Verlassenen, mit gewöhnlichen Arbeitern und
verlieren dabei nichts an Adel, sondern gewinnen nur
an Hoheit. –
Doch, um viele andere Züge zu übergehen, wessen
ist dies Bild? Ist es nicht das Bild Gottes, nicht das
Bild Christi, von der Ehrfurcht in der Menschenseele
ausgemalt? Wenn daher die Jugend allgemein und
kräftig in der Ehrfurcht erzogen wird, welche Umwand-
lung muß in den Familien, in den Gemeinden, in den
Völkern vor sich gehen? Damit wir nun noch tiefer in
diesen so hochwichtigen Gegenstand eindringen, wollen
wir die Erziehung ohne Ehrfurcht betrachten – wenn
eine solche überhaupt möglich ist.
Was ist denn der Gegensatz der Ehrfurcht? Die
Verachtung. Wer keine Ehrfurcht mehr hat vor Gott,
vor Christus, vor der hl. Kirche, vor den hl. Sakramenten,
vor den Priestern, vor den Eltern, vor Tuend und Recht,
der ist vielleicht einige Augenblicke gegen dies Alles gleich-
[241] gültig, aber bald kommt die Verachtung, dann der Spott,
endlich der Haß.
Damit nun eine Erziehung ohne Ehrfurcht sei, ist
es gar nicht nothwendig, vor dem Kinde über Religion
und Glaube, über Titte und Tugend, über Kirche und
Priester spöttisch die Lippen zu verziehen, oder zu lästern
oder dem aufwachsenden Kinde zu sagen: ‘„Verachte, ver-
höhne, verspotte,“’ wie es in dieser traurigen Zeit nur zu
oft vorkommt, sondern um sie die Verachtung zu lehren,
genügt es, wenn ihr sie nicht in der Ehrfurcht auferziehet,
wie es ja auch für den Unglauben der aufwachsenden
Jugend hinreicht, wenn man ihr von der Gottheit Christi
einfach nichts mehr sagt. Was in dieser Beziehung ge-
sündigt wird, ist unglaublich und kann nur in der Kurz-
sichtigkeit der Katholiken irgendwelche Entschuldigung finden.
Die katholische Kirche ist die größte und heiligste
Schule der Ehrfurcht. Für diese Wahrheit mußte der
gelehrte Guizot Zeugniß ablegen. Wo daher diese Kirche
in ihrer Freiheit beschränkt wird, wo katholische Schulen
nicht mehr möglich sind, dort schwindet allmählig die Ehr-
furcht, auch wenn der äußere Schein der alten Ordnung
sich noch einige Zeit erhalten kann. Das ist das Trau-
rigste. Denn, wären die Folgen wie beim Hagelwetter
im Augenblick Allen sichtbar, würden selbst den Blinden
die Augen geöffnet, und auch dem Feiglinge würde der
Heldenmuth kommen, so aber gehen wir einer Zeit ent-
gegen, daß wir den Spätgeborenen wie zur Fabel werden.
Denn euere Kinder können in Bezug auf euch selbst, auf
die Geistlichen, auf die Kirche, in Bezug auf den Gottes-
dienst, den Empfang der hl. Sakramente, in Bezug auf
die Tugenden des Glaubens, der Mäßigkeit, des Gehor-
sams, der Sittsamkeit, in Bezug auf Recht und Gesetz
der bürgerlichen Gesellschaft nicht gleichgültig bleiben, sie
[242] müssen sich nach und nach ein Urtheil darüber bilden, und
dies Alles entweder verachten oder verehren.
Weil aber im Herzen das Streben nach Größe und
Auszeichnung immer noch bleibt, vollzieht sich in diesen
Unglücklichen eine furchtbare Umwälzung von oben nach
unten. Denn je mehr ein Mensch das Gute und Er-
habene verachtet, desto mehr huldigt er dem Bösen und
Gemeinen und wird so ein Barbar, bereit die Welt mit
Trümmern zu erfüllen. In Italien sind Gesellschaften,
welche auf ihrer Fahne das Bild des Satans haben und
mit dieser Fahne erschienen sie öffentlich. Der Satanskult
der geheimen Gesellschaften ist eine ausgemachte Thatsache.
‘„Aber so weit ist es bei uns noch nicht gekommen.“’
In der Oeffentlichkeit allerdings nicht – was im Dunkel
da und dort geschehen mag, weiß ich nicht. Aber die
Ehrfurcht vor allem Göttlichen schwindet auch bei uns –
und wie weit dies Uebel sich ausbreiten wird – weiß
Gott. Gleiche Ursachen und Systeme haben auch die
gleichen Wirkungen, nur kommen diese nicht überall gleich
schnell und bleiben dem oberflächlichen oder vertrauens-
seligen Menschen ziemlich lange verborgen.
Um aber diese gemeinsame Gefahr Aller besser zu
verstehen, betrachtet nur einzelne Fälle aus dem gewöhn-
lichen Leben. Nehmet also einen Jüngling, der ohne
Ehrfurcht Herangewachsen: Er verachtet den Priester;
dafür hört er auf jeden dahergelaufenen Spötter; er
verachtet den Jüngling, welcher fleißig den Gottesdienst
besucht, und Abends ohne Wirthshausbesuch frühzeitig zu
Hause ist; dafür geht er mit schlechten Kameraden, welche
dem Gottesdienste ferne bleiben, sich voll trinken und die
Nächte durchschwärmen; er verachtet Vater und Mutter,
überhäuft sie mit Schmähreden, verläßt sie im Alter, in
der Armuth; er verachtet die züchtige Jungfrau, die nichts
Ungeziemendes duldet, und sucht und findet schlechte Mäd-
[243] chen, welche die Ehrfurcht vor der Jungfräulichkeit längst
verloren haben; er verachtet am Ende Alles, die Gebote
Gottes und der Kirche, geistliche und weltliche Obrigkeit
und all ihre Anordnungen, Vater und Mutter, Bruder
und Schwester, Gattin und Kinder – und jeden Menschen,
der in Christo noch gottselig leben will. Was wird erst
geschehen, wenn ein Mädchen ohne Ehrfurcht aufwächst?
Die Verwüstung ist so tief, so grauenvoll, die Scham-
losigkeit oft so frech, daß ich kein Wort darüber verlieren
darf. Denn euch Allen bin ich auch Ehrfurcht schuldig;
und beim Anblicke solcher Greuel wird die Zunge wie
gelähmt, nur das Auge kann noch weinen, wenn der
Schmerz nicht etwas zu groß geworden.
Dafür vergleichet lieber den Schüler der Ehrfurcht
mit dem Schüler der Verachtung. Jener schaut ehrfurchts-
voll aufwärts zum Himmel, dieser auf die Erde und auf-
wärts nur, um zu spotten; jener wird in seiner Ehrfurcht
für alles Heilige und Göttliche warm begeistert und strebt
immer höher und höher, um jene göttliche Majestät end-
lich zu erlangen und ihr Bild vollkommener in seine
Seele zu drücken. Das ist Excelsior! Immer höher und
höher, immer erhabener und erhaben. Dieser aber ent-
fernt sich in seiner Verachtung von Allem, was Größe
und Heiligkeit und Gerechtigkeit heißt, und nähert sich
immer mehr und mehr dem Abgrunde der sittlichen Ver-
sunkenheit; er wollte Alles erniedrigen, hat nur sich selbst
erniedrigt; er hat Alles verspottet und verachtet, aber die
Tugend und Heiligkeit und Gerechtigkeit und die großen
Männer und Frauen sind noch unversehrt in ihrer Schöne
und Majestät; er aber ist ein Gegenstand der Verachtung
geworden. Da hilft keine Feinheit der Mode, des Welt-
toues, des sogenannten Anstandes; über all diesen glänzenden
Firniß lagert sich dennoch die Nacht der Gemeinheit ähn-
lich wie bei aller Kunst der Moden und der Schmücke
[244] das traurige Alter einer gefallsüchtigen Frau dennoch sicht-
bar bleibt und dazu noch ekelhaft wird, während es sonst
ein Gegenstand der Ehrfurcht wäre.
Die Ehrfurcht kann durch nichts ersetzt werden wie
die Kraft und die Schönheit der Jugend; während aber
diese mit den Jahren altert und schwindet, entfaltet jene
mit dem Alter nur voller ihre Schönheit. Das einfache
Hirtenmädchen, das nur eine Winterschule besuchte, aber
in Ehrfurcht erzogen ist, und am Sonntag in alter Tracht
den Rosenkranz in der Hand in das einfache Kirchlein
geht, ist voll Adel und Hoheit; aber gemein die vornehme
Institutstochter, die, ohne Ehrfurcht aufgewachsen, den
Sonntag nur für die volle Entfaltung ihrer Modepracht
zu gebrauchen pflegt. Der Hirt auf hoher Alp singt voll
Ehrfurcht sein letztes Ave in die Nacht hinein, und wie
seine Alp die Thaldünste überragt in reiner Himmelsluft,
so steht er hoch erhaben über dem vornehmen Stadtsohn,
der, ohne Ehrfurcht erzogen, zur gleichen Stunde eine
unglückliche Person aufsucht.
Darum, Jünglinge, Jungfrauen, fraget euch ernstlich,
wie es mit euerer Ehrfurcht stehe. Wenn in und außer
der Schule manches versäumt worden – ein bischen
Religionsunterricht genügt bei weitem nicht – so holet
das Versäumte selbst nach. Wie? Höret aufmerksam
und fleißig das Wort Gottes in Predigt und Christen-
lehre, meidet leichtfertige Gesellschaften, und suchet ernste
und gottesfürchtige, werfet weg alle faden Geschichts-
bücher und Schriften – leset wieder Bücher ernsten,
religiösen Inhaltes – nehmet die biblische Geschichte zur
Hand und die Legende. Ich weiß – es hat hier viele
edel angelegte Seelen; lasset euch heute begeistern, hin-
reißen: das ist ja euer Adel, euere Hoheit – euer
Glück.
XXVI.
Erziehung und Keuschheit.
[245]Wenn auch der Verstand des Kindes durch den
Glauben erleuchtet, der Wille durch den Gehorsam gestählt,
das Herz in seinen edelsten Gefühlen durch die Liebe er-
wärmt und erschlossen ist, wenn dann dies Kind in seiner
Ehrfurcht vor Gott und der Kirche, vor den Eltern und
den Vorgesetzten, in seiner Ehrfurcht vor den Armen
und Unglücklichen, vor Tugend und Recht selbst ein Gegen-
stand der Ehrfurcht geworden, so fehlt diesem Meister-
werke göttlicher Gnade und menschlicher Erziehungskunst
noch der Glanz und die Verklärung der in der Versu-
chung erprobten Unschuld und Reinigkeit des Leibes
und der Seele. Daß nun die Jugend diesen Kampf,
wo das Fleisch wieder den Geist gelüstet, unter der
Führung der Eltern und Vorgesetzten siegreich durch-
kämpfe, hat Christus in seiner hl. katholischen Kirche mit
verschwenderischer Freigebigkeit gesorgt. Wie wichtig
diese Wahrheiten für das Heil der Kinder und der reiferen
Jugend, für das Glück der Eltern und der Familie, für
die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit, das ist wohl
allen klar. Deshalb empfehle ich euerem Gebete die
Entwicklung dieser Wahrheiten, daß ich dieselben dar-
stellen kann, wie die Verherrlichung Christi und seiner
Braut, endlich unser Aller zeitliches und ewiges Wohl es
verlangt. So haben wir dann die selige Hoffnung, daß
Alle im Glanze der Unschuld und der Reinigkeit Gott
und den Menschen lieb geworden, heranreifen für die
himmlische Herrlichkeit. Heute nun behandle ich zuerst die
Gefahr der Jugend und dann die entsprechende Pflicht
der Eltern und der Vorgesetzten.
Der Heiland wurde nach 40tägigem Fasten von
Satan in der Wüste versucht. Von Innen konnte er
nicht versucht werden; denn er war und ist ja die Heilig-
keit selbst, nur von Außen war eine Versuchung möglich.
Diese Versuchung wollte er zulassen, um uns in Allem
ähnlich zu werden. Denn an jeden Menschen tritt die
Versuchung, die Krisis heran früher oder später, von
Innen und von Außen, und das ist auch die große Gefahr
der Jugend.
Betrachtet nun zuerst die Gefahr von Innen. Die
Schönheit der Seele strahlt durch den Leib; denn beide
sind zur Einheit der Person verbunden. Die Natur hat
das Wachsthum des Leibes beinahe ganz übernommen, so
daß die Erziehung sehr wenig damit zu thun hätte, wenn
der Leib nicht eine sehr leicht verwundbare Stelle hätte.
Und das ist? Die Sinnlichkeit, die Begierlichkeit des
Fleisches, das wider den Geist gelüstet. Beim Erwachen
dieser Leidenschaften kommt für das Kind, für die Jugend
die Entscheidung, ob der Weg der Sünde oder des
Lasters, des Glückes oder des Unglückes eingeschlagen
werde.
Betrachtet das Kind in seinem zartesten Alter: Die
Gedanken, die Wünsche, die Einbildungskraft, die Blicke,
das Antlitz ist noch ruhig, rein, schön, daß die Unschuld
der Seele durch den reinen Leib zu strahlen scheint, wie
die Sonne durch ein reines Glas. Allein diese Unschuld
ist noch mehr ein Zauber, eine Schönheit als eine Tugend;
denn es fehlt ihr die Siegespalme der überwundenen
Versuchung. Doch diese Versuchung kommt, und in dieser
ausgelassenen Zeit gewöhnlich viel früher, als in den
Gesetzen der Natur zu liegen scheint. Wie das?
In diesem zarten Leibe, der bisan im tiefsten Frieden
mit der Seele lebte, zeigen sich neue Erscheinungen, regt
sich eine neue Begierlichkeit. Das Kind in seinen Reden
[247] so einfältig und kindlich, wird versteckter, vorsichtiger; es
ahnt Geheimnisse, und möchte seine eigene Natur und die
ganze Umgebung um das letzte Wort fragen: Deshalb
forscht es nach den Reden und Handlungen seiner Eltern,
seiner größern Geschwister, seiner Umgebung. Das ist
der verhängnißvolle Zeitpunkt, wo das Gesetz in den
Gliedern wider das Gesetz des Geistes sich aufzulehnen
beginnt. Wäre das nicht schon eine ungeheuere Gefahr?
Oder gilt hier nicht das Wort des hl. Ambrosius: ‘„Leicht
halten wir uns von andern Lastern frei, aber dieser Feind
liegt in uns hinter Schloß und Riegel; diesen Feind tragen
wir mit uns.“’ (Ad. Eustach. Ep. 22.) So wird das
Kinderherz der Kampfplatz, wo die Leidenschaften sich
herumschlagen und die Neugierde ein immer weiteres
Feld sich sucht.
Ist dieser Hausfeind nicht stark genug, die reine
Seele zu trüben, zu beflecken? Allerdings – und dazu
findet er noch Bundesgenossen von Außen. Denn be-
trachtet nur die Umgebung des Kindes, wo es so oft
Antwort auf Fragen findet, welche es noch nicht stellen
kann. Denn es ist zwar traurig, aber doch wahr: Bei
der Großzahl der Jugend wird die böse Lust von Außen
geweckt und das oft lange bevor die Reife der Natur es
zu verlangen scheint.
Nehmet zuerst das Elternhaus. Wie unvorsichtig
sind oft Eltern vor ihren Kindern? Unvorsichtig im
Reden, im Handeln – unvorsichtig bei Tag und bei
Nacht. Werden vor Kindern nicht allerlei Aergernisse,
Liebschaften, Heirathen, Tänze, Moden weit und breit
verhandelt? Eine bloße Andeutung kann schon Zündstoff
werden. – Betrachtet noch mehr das Elternhaus! Es
ist Abend, Nacht geworden: Kinder schwärmen noch außer
dem Hause herum, oder das eine liegt auf dieser Bank,
das andere dort, in jenem Winkel langweilen sich andere;
[248] Vater und Mutter, größere Geschwister sind vielleicht in
Vereinen, in Abendunterhaltungen abwesend oder im Hause
mit allem Möglichen beschäftigt, nur nicht mit den Kindern:
So könnet ihr die Kinder nicht überwachen und mit der
Nacht entwickelt sich auch deren Nachtseite. Aber noch
mehr. Die Kinder gehen ins Bett; herrscht da Zucht
und Ehrbarkeit? Welche schlafen in derselben Kammer?
– Wie gekleidet oder auch nicht gekleidet erscheinen sie
am Morgen? – Mit der natürlichen Scham geht da
oft Zucht und Ehrbarkeit verloren.
Aber noch nicht genug. Welche Kalender habet ihr?
Welche Geschichten, welche Witze sind darin? Welche
Zeitungen habet ihr? Welche Aergernisse berichten diese?
Selbst unter den Anzeigen kommt oft manches vor, das
für die Kinder wie tötliches Gift wirkt. Als ich sagte,
man sollte der Schuljugend gar keine Zeitung in der
Hand dulden, machten manche große Augen, aber ich
wiederhole das heute wieder, wenn auch aus einem ganz
andern Grunde. Ferner, welche Bücher kommen denn
in die Hände der Jugend? Oder ist diese Gefahr bei
uns nicht vorhanden? Sind wir zu weit von der großen
Welt weg? Oder ist die Sinnenlust mit der Neugierde
nicht auch in unserer Jugend?
Wer da wissen will, welch' verhängnisvollen Einfluß
das moderne Schulsystem auf die geschlechtliche Frühreife
ausübe, der lese die historisch-politischen Blätter von 1876
– und traurige Erscheinungen werden ihm leicht zu er-
klären sein. Schon vor Jahren wurden bei Buchhändlern
der Stadt New-York über 15,000 Briefe aufgefunden,
worin unzüchtige Schriften bestellt waren. Von wem
waren diese Briefe? – Von wem? Von Schülern und
Schülerinnen auf dem ganzen Lande, von Schülern und
Schülerinnen der konfessionslosen Schule. Und in Deutsch-
land? Da rühmt man sich ja auch, von schändlichen
[249] Werken 30 und 40 und noch mehr tausend Exemplare
an den Mann gebracht zu haben. Kann solch' ein Schand-
buch nicht auch in die Hände der Kinder gelangen? – Und
wenn dein Sohn, deine Tochter in der Fremde weilt? Auf
einer Schule? In einem Institute? – Und wie werden
oft durch Packpapier, durch Geschirre lüsterne Bilder, freche
Zoten und Witze in die abgelegenen Häuser verbreitet? –
Das Geheimniß der Bosheit hat System in die Ver-
führung hineingebracht, unser Geschlecht von zu viel Licht
geblendet, sieht das Verderben nicht mehr – will mit
offenen Augen nicht mehr sehen. Gefahren in der
Familie, Gefahren außer dem Elternhaus für das Kind
wie für die reifere Jugend.
Dein Kind ist nicht immer allein; es kommt mit
andern in Berührung, bald mit gleich alten, bald mit
ältern: Wenn nun unter diesen nur Eines ist, das von
der Sünde schon angesteckt – welche Gefahr für dein
Kind, das vielleicht sündiget, bevor es sündigen kann.
Wie häufig gerathen Kinder in die Hände erwachsener
Verführer!
Aber, setzen wir den trostreichen Fall, das Kind sei
15, 16 Jahre alt geworden, ohne je in eine Gefahr ge-
kommen zu sein. Was hört und sieht es jetzt in den
Verschiedenen Geschäften, Fabriken, Werkstätten, Familien?
Man glaubt oft eine Tochter in einer gut kathol. Familie
untergebracht zu haben – und es haust ein alter oder
junger Verführer darin. Man redet viel von den Ge-
fahren der Fabrikarbeiter und vergißt dabei die bösen
Geister, welche den Dienstboten sich nahen. So kommt
dann für viele, viele Jünglinge und Jungfrauen schon
mit 15, 16 Jahren der Satan der Sinnenlust, gaukelt
ihnen um den Preis der Sünde alle Freuden dieser Welt
vor. Das ist dann der Höhepunkt der Gefahr und der
Versuchung, wenn die Sünde nicht schon ihren nächtlichen
Einzug in das jugendliche Herz gehalten hat.
Da nun sehet ihr die Versuchung, die Krisis, die
entscheidende Wendung schon in der Kindheit, oder in der
etwas reifern Jugend. Nun kommt die Frage, welche
Mittel haben wir also, um dieser Krisis eine glückliche
Wendung zu geben? Für heute will ich nur von der
entsprechende Pflicht der Eltern etwas sagen.
Mit der ersten Sünde ist auch die Begierlichkeit in
das Fleisch gefahren; mit der Erbsünde wird sie fort-
gepflanzt von Geschlecht zu Geschlecht. Damit aber der
Mensch den Kampf gegen die Fleischeslust leichter führe,
hat ihm Gott das Schamgefühl eingepflanzt. So deckten
sich schon die Stammeltern gleich nach der ersten Sünde
mit Feigenblättern. Obwohl nun der Mensch aller
Sünden sich schämt, so erötet er doch besonders wegen
der Unlauterkeit. Daher ist denn auch die Scham un-
zertrennlich mit der Reinigkeit verbunden, und die Worte
Scham und Keuschheit werden oft gebraucht, um die gleiche
Tugend der Reinigkeit zu bezeichnen. Das war schon
jenem heidnischen Philosophen Aristoteles klar, und nach
ihm hat der hl. Thomas diese Wahrheiten noch tiefer
entwickelt (II. II. q. 151 art. 4.)
Wollet ihr daher euere Kinder in der Unschuld be-
wahren, erhaltet sie schamhaft und zwar von den ersten
Jahren ihres Daseins an. Aber was thun? Ihr müsset
selbst vor euren Kindern in aller Sittsamkeit wandeln;
seid daher von ihnen immer vollständig angekleidet, daß
jedermann euch sehen darf; alles was ihr vor den Kindern
thuet, sei rein, sei unbefleckt, und was ihr vor mir nicht
thun dürfet, thuet auch niemals vor einem zwei- oder drei-
oder vierjährigen Kinde. ‘„Aber, sagt man, das ist denn
doch zu strenge, darauf geben die Kinder gar nicht acht,
das verstehen sie gar nicht.“’ So reden viele gedankenlose
Christen; aber die alten Heiden hatten den richtigen
Grundsatz: ‘„Reverentia puero habeatur!“’‘Vor dem
[251] Kinde muß man Ehrfurcht haben und sich in Obacht
nehmen!“’‘„Aber sie verstehen das Gesagte nicht.“’ Mag
sein, aber sie sprechen es nach, kommen zu andern Kindern,
die schon mehr verstehen und erhalten vielleicht die Erklärung.
Sie verstehen das Gesehene nicht. Mag sein, aber sie
ahmen es nach, allerdings im Anfang ohne Sünde –
aber dabei geht die Scham verloren. So hat man dann
jene frühreifen Kinder, welche oft mit 10, mit 12 Jahren
wissen und treiben, was unsere heidnischen Vorfahren mit
20 Jahren noch nicht kannten.
Aber früher oder später werden sie doch Alles er-
fahren. Früher oder später? Ist das etwa gleichgültig?
Je früher desto schlimmer, je später desto besser. Denn
je zarter die hl. Scham ausgebildet, je stärker das
Gnadenleben entwickelt, je mehr der Verstand im Glauben
erleuchtet, je reiner das Herz durch das hl. Sakrament
der Buße, je stärker der Wille durch die hl. Communion,
desto entschiedener wird die Jugend zur Zeit der Ver-
suchung und Gefahr ausrufen: Weiche von mir Satan!
Daher haltet doch von euern Kindern alles ferne,
wodurch die hl. Scham geschwächt werden könnte. Keine
Vorsicht ist da zu groß. Ein junger Mensch pflegte nach
seiner Bekehrung warnend zu erzählen, daß in seiner
Kindheit einer seiner Kameraden in der Schule auf eine
den Anstand sehr verletzende Weise bestraft worden sei.
Dieser Vorfall habe sein Schamgefühl derart verletzt, daß
dieser Augenblick der Anfang all seiner sittlichen Verir-
rungen geworden sei. Um was handelte es sich? Um
eine Bestrafung. Sollte diese nicht auch andere vom
Bösen abschrecken? Allerdings: aber der Anstand wurde
dabei verletzt, und mit ihm das Schamgefühl, mit diesem
die Unschuld. Wenn nun eine Bestrafung so verhängnis-
voll werden kann – was erst andere Sachen? – Deshalb
will und muß ich da besondere Winke geben. Kleidet die
[252] Kinder nicht neben einander auf und an; lasset sie nur
ganz gekleidet umherlaufen und vor andern erscheinen,
duldet an ihnen nie eine Kleidung, die nicht ehrbar genug,
denket an die Ewigkeit, wo die Eltern zur Rechenschaft
gezogen werden über gewisse zu kurze Röcklein; wenn die
Kinder im Liegen, im Sitzen, im Stehen, im Spielen, im
Laufen, die Schamhaftigkeit irgendwie verletzen, tadelt sie
unverzüglich und wenn das nicht hilft, straft sie nur strenge.
‘„Aber den Kindern fällt dabei nichts Böses ein,
durch Tadeln und Strafen macht man sich nur aufmerk-
sam.“’ Ja, auf Erklärung darf man sich nicht einlassen,
sondern hat einfach zu sagen: ‘„So was darf man vor Gott
dem Herrn, vor dem hl. Schutzengel nicht thun; solche
Kinder straft Gott.“’ Wenn ihr so erfahret, stärket ihr
das Schamgefühl, gebet demselben einen solchen Zartsinn,
daß es später vor jeder Verletzung zurückbebt, bei jedem
zweideutigen Worte errötet, bei jedem unreinen Gedanken
zittert, den Verführer wegstößt wie Christus den Satan
in der Wüste. Wenn ihr so handelt, wird kein schamloses
Kind Jammer und Elend über euch bringen, sondern ein
keusches Geschlecht mit seinem Tugendlanze euer Alter
erfreuen und erquicken.
Wer aus euch wollte nicht Kinder haben wie der
fromme Oliver, Gründer von St. Sulpice war. Als zarter
Knabe war er wie eine Himmelsblume der Gnade und
der christlichen Erziehung verklärt mit der schönsten Farbe
hl. Scham. Denn betrachtet nur einen Zug aus seiner
Kindheit. Eines Tages badete er sich in einem Flusse
und übte sich im Schwimmen. Um ein wenig auszuruhen
wollte er an das gegenüberliegende Ufer gelangen. Matt
und fast unfähig, sich über dem Wasser zu halten, kam er
dort an; da bemerkte er in der Nähe Leute. Wiewohl
er das anständige Schwimmkleid trug, scheute er sich doch
in solchem Zustande sich sehen zu lassen. Schnell kehrte
[253] er um und schwamm nicht ohne Lebensgefahr dem andern
Ufer zu. In der Mitte des Flusses verließen ihn die
Kräfte und er begann zu sinken. Zum Glücke kam sein
Fuß auf einen Pfahl der verborgen unter dem Wasser
hervorragte – so wurde er wie an der Hand seines hl.
Schutzengels wunderbar gerettet. Wollet ihr solche Kinder
haben? Thuet und meidet alles, was ich euch angedeutet.
Nicht als wäre das Alles; aber doch ein großer Anfang.
Denn seine Verklärung findet das Kind und die
Jugend und das ganze Menschengeschlecht erst im tiefen
und im ganzen Geheimnisse der Erlösung durch den Gott-
menschen. Wollet ihr solche Kinder haben? Das ist im
Allgemeinen gar keine Frage; im Allgemeinen; denn es
gibt auch da noch Ausnahmen, wenn auch ebenso seltene
als überaus traurige.
Wer aber die Arbeit scheuen sollte, der denke an das
Beispiel der frommen Magd und Dienerin Isabella Ubedia.
Ihre Gebieterin, eine sehr vornehme Matrone Ursula
Gusmania wurde 1397 auf Befehl des Königs Peter
von Castilien in Spanien auf einen Scheiterhaufen ver-
brannt. Als sie vor Schmerzen sich stark bewegte und
ihr Gewand in Unordnung kam und so ihr nackter Fuß
sichtbar wurde, da sprang die hochherzige Jungfrau selbst
in das Feuer, hielt das aufgelöste Gewand ihrer Gebieterin
fest zusammen und zwar so lange, bis sie selbst mit der
Matrone verbrannt war. Diese Magd wollte lieber
sterben, als ihre Gebieterin weniger schamhaft sterben
lassen. (Rosae Drexell p. 546).
An wen soll ich mich zuerst wenden? Wer soll
denn wachen und sorgen, daß die schönste der Farben –
die Farbe der hl. Scham die irdische Schöne der Jugend
überirdisch verkäre? Vor allem, ihr christliche Eltern, in
eueren Familien. Und wenn das oft mit viel Mühen
und Wachen verbunden ist, so steht ihr noch lange nicht
[254] mit Ubedia im Feuer. Aber unsere Kinder gehen in die
Schule, kommen in diese und jene Häuser, spielen da
und dort, mit 14, 15 Jahren müssen sie auch helfen das
Brod verdienen und gewöhnlich außer dem Elternhause:
In allen diesen Verhältnissen habet ihr durch kein Feuer
zu gehen, um die Kleider euerer Kinder zu ordnen –
wohl aber nachzufragen, nachzuforschen, ob die zarte Scham
nicht verletzt und abgestumpft werde. Das kann euch
niemand zürnen, als diejenigen, welche weder die Welt
noch die Jugend kennen, oder mit gewissen Sachen es
nicht genau nehmen, oder gar auf Verführung losgehen.
In dieser Angelegenheit haben alle, welche mit der Jugend
in Berührung kommen, euch mit Rat und That beizustehen
und gegen alles zu eifern, wodurch das Schamgefühl
geschwächt werden könnte.
Ihr kennet nun die Gefahr des Kindes und der
Jugend; die Begierlichkeit des Fleisches erwacht und be-
ginnt wider den Geist zu gelüsten. Zu dieser innern
Gefahr kommt die Versuchung von Außen, Gefahren im
Hause, Gefahren außer der Familie. Um all' diese mannig-
faltigen Gefahren zu beschwören, haben Eltern und Vor-
gesetzte, endlich Alle die heilige Pflicht, das Schamgefühl
des Kindes zart auszubilden und alles ferne zu halten,
wodurch dasselbe irgendwie geschwächt werden könnte.
Helfet dem Kinde, helfet der Jugend so die Versuchungen
überwinden – und die Engel Gottes kommen auch zu
euch – und werden euch dienen, bis euch der himmlische
Vater mit dem Siegeskranze im Himmel krönen wird.
XXVII.
Erziehung und Beicht.
[255]Es kommt für die Jugend die Stunde, wo das
Fleisch sich wider den Geist empört und die Versuchung
von außen die innere Gefahr geradezu verhängnißvoll
macht. Damit die Jugend diese Versuchungen überwinden
könne, haben Eltern, Lehrer, Vorgesetzte die hl. Pflicht,
das natürliche Schamgefühl der Kinder zu stärken. Aber
das genügt noch lange nicht. Was denn thun? Etwa
die Gefahr leugnen und die Natur des Kindes mit all'
ihren Trieben als unschuldig, als ungefährlich hinstellen?
Aber dies ist krasse Unwissenheit und der sichere Ruin
der Jugend. Oder das Heil von der rein menschlichen
Bildung erwarten? Aber bei all' ihrer Bildung versanken
die Heiden in die schändlichsten Laster.
Oder ist es etwa in der Neuzeit anders geworden?
Der christliche Botschafter, ein Methodistenblatt, berichtete
schon vor Jahren, über die Jugend der konfessionslosen
Schule Amerikas folgendes: ‘„Es ist eine bekannte That-
sache, daß unter der amerikanischen Jugend die Unsittlich-
keit in einer erschreckenden Weise herrscht und immer mehr
zunimmt. Knaben und Mädchen unterhalten sich miteinander
über Dinge, über welche bei ihnen noch Unschuld und
Unkenntniß herrschen sollte. Nur wenige gibt es, die eine
Ahnung haben von der Sittenlosigkeit der Jugend.“’ So
ein Methodistenblatt. Also genügt auch heute keine Schul-
bildung und am allerwenigsten die konfessionslose, um ein
reines Geschlecht heranzubilden. Sollen wir denn ver-
zweifeln und mit der Welt ausrufen: ‘„Die Reinigkeit
ist unmöglich, es gibt keine unbefleckten Seelen.“’ Niemals!
Denn, wenn auch das Menschenherz zum Bösen geneigt,
[256] von Jugend auf, wenn auch Aergernisse und Verführung
von allen Zeiten ihre Netze auswerfen, so gibt es doch
immer noch viele viele Seelen, welche sich und ihren Leib
von jeder Befleckung rein erhalten – es wachsen und
gedeihen noch immer Lilien unter den Dornen.
Wie ist das möglich? Christus hat in seiner hl.
Kirche alle Mittel niedergelegt, um ein reines Geschlecht
heranzubilden. Wie er nämlich die Apostel auf Tabor
führte, ihnen seine Herrlichkeit zu zeigen, so führt er heute
noch die Jugend auf den hohen Berg der Verklärung
unbefleckter Reinheit des Leibes und der Seele, führt sie
hinauf im Lichte übernatürlicher Erleuchtung und Beleh-
rung, führt sie hinauf in der Kraft himmlischer Gnade.
Für heute bleibe ich beim ersten Punkte stehen nämlich
bei der Belehrung. Diese ist zweifach, eine allgemeine
und dann eine ganz besondere im Sakrament der Buße.
Ich gebrauche absichtlich das Wort ‘„Belehrung“’;
denn ich denke da nicht ausschließlich an Predigt und
Christenlehre und den eigentlichen Religionsunterricht,
sondern an jede Art Belehrung, zu welcher auch Eltern,
Lehrer, Vorgesetzte, herangereifte Leute zum Heile der
Jugend berufen sind.
Wohl weiß auch die bloße Vernunft vieles zu
sagen zum Lobe der Menschenwürde, der Reinheit des
Leibes und der Seele; aber dies alles kennt auch die
katholische Kirche und dazu führt sie die Jugend bei-
seits auf den hohen Berg, wo der Glaube in seiner
ganzen Herrlichkeit strahlt und im Lichte dieses Glaubens
leuchtet das Antlitz der Jugend und ihr Leib wie die
Sonne und erlangt ein Gewand der Unschuld weiß wie
Schnee. So wird dann die Jugend nicht nur belehrt,
sondern auch begeistert, hingerissen – was durchaus noth-
wendig ist. Denn, wo diese Begeisterung in der Jugend
fehlt, da mangelt so ziemlich alles, und wer diese Begeiste-
[257] rung nicht zu wecken vermag, der sollte sich mit der Jugend
gar nicht abgeben; denn all' seine Arbeiten werden so
ziemlich verlorene Liebesmühe sein.
Was lehrt uns denn der Glaube, um nicht bloß die
Jugend, sondern auch alle Menschen für die Reinheit des
Leibes und der Seele zu begeistern? Der hl. Paulus
verkündet es (I. Cor. VI. 15) ‘„wisset ihr nicht, daß euere
Leiber Glieder Christi sind, daß euere Glieder ein Tempel
des hl. Geistes sind, der in euch, den ihr von Gott habet
und daß ihr nicht euch selbst gehöret? Der Leib ist nicht
für die Unlauterkeit, sondern für den Herrn. Denn ihr
seid um einen theuren Preis erkauft. Verherrlichet und
traget Gott in euerem Leibe!“’
Was will der hl. Paulus mit diesen Worten sagen?
Nicht bloß euere Seele ist Gott geweiht und durch die
Gnade geheiliget, sondern auch euer Leib hat eine höhere
Weihe, einen himmlischen Adel. Denn er ist mit dem
Blute Christi erkauft, durch die hl. Taufe als Glied in
den geheimnißvollen Leib Christi eingefügt worden, daher
wohnt der hl. Geist nicht bloß in euerer Seele, sondern
auch in euern Gliedern, welche der lebendige Tempel des
hl. Geistes geworden sind. Aber was folgt auf diesem
Adel des Leibes? Der hl. Paulus selbst zieht den Schluß:
‘„Fliehet die Unreinigkeit; verherrlichet und traget Gott
in euerem Leibe.“’ Also nicht bloß in der Seele sollet
ihr Gott tragen, sondern auch im Leibe, nicht bloß mit
der Seele sollet ihr Gott verherrlichen durch Glaube,
Hoffnung und Liebe, sondern auch mit dem Leibe durch
Unschuld und Reinigkeit. Wohlan, christliche Eltern, wenn
euere Kinder in diesem Glauben heranwachsen, werden sie
dann ihren Leib nicht als Glied Christi, nicht als Tempel
des hl. Geistes hochachten und heilig halten und aus-
schmücken mit der Herrlichkeit der Unschuld und Reinigkeit?
Oder, warum glaubt ihr, fällt die Jugend so häufig,
[258] so leichtsinnig, so ohne Gewissensbisse in die Arme der
Verführung, oder in die Gewalt der eigenen Begierlichkeit?
Warum öffnen so viele durch ihr eitles Gewand, durch
die Frechheit des Blickes und der Rede, durch den Leicht-
sinn des Umganges alle Thore dieses Tempels? Schwäche
und Leichtsinn und böse Beispiele sind gewiß auch daran
schuld, aber ein Hauptgrund ist gewöhnlich auch dieser:
Diese jungen Leute kennen nicht die Würde ihres Leibes,
sie betrachten ihn nicht als Tempel des hl. Geistes, nicht
als ein Glied am geheimnisvollen Leibe Christi, sie sehen
an ihm nicht das Blut Christi, welches die Wonne der
Engel und der Schrecken der bösen Geister ist, sondern
nur die Jugend, nur die eingebildete Schönheit, welche
Freude und Genüsse verlangt.
Aber woher kommt diese traurige Erscheinung?
Die Eltern haben ihre Kinder nicht unterrichtet; sie selbst
hatten vielleicht nicht einmal eine Ahnung von diesem
Himmelsadel des Leibes. Und wir Priester – wir wagen
es vielleicht aus tausenderlei Rücksichten auch nicht, die
volle Wahrheit zu verkünden, in alte Geschwüre zu schneiden
– oder es fehlt uns die Tiefe der Wissenschaft, um die
Herrlichkeit der Unschuld zu entfalten, oder die Begeiste-
rung, um vor allem die Jugend zu entflammen zum hl.
Kampf für die Bewahrung der Unschuld und Reinheit
des Leibes und der Seele; oder es fehlt uns die Zeit
und die Ruhe, um das rechte Wort zu finden. Ich weiß
es nicht. Betet, daß Gott der Herr euch Priester sende,
die durch die kunstgerechte Entwicklung der tiefen Glaubens-
wahrheiten diese Söhne und Töchter und euch alle für
Unschuld und Reinigkeit begeistern, die großartigen That-
sachen und hinreißenden Beispiele euch vor die Augen
stellen und so das Feuer hl. Begeisterung immer mehr ent-
flammen. Diese sollen euch hinweisen auf den Sohn
Gottes, der nur auf einer Jungfrau geboren sein wollte,
[259] dann auf die makellose Mutter Gottes, die Jungfrau der
Jungfrauen, auf die Maiandacht, auf das Rosenkranzgebet,
wo ihr Bild in seiner ganzen Schöne vor unsere Augen
tritt. So werdet ihr denn alle, von hl. Begeisterung hin-
gerissen, euere Kinder, euere kleineren Geschwister warnen,
belehren, aufmuntern, daß sie schön wie Lilien aufwachsen
und Lilien bleiben mitten unter den Dornen. –
Doch wir haben noch ganz andere Vorbilder, die
uns näher stehen, Vorbilder, die auch mit der Erbsünde
in diese Welt eingetreten sind, und deshalb mit der ver-
dorbenen Natur zu kämpfen hatten. Denket nur an eine
hl. Agnes, welche, um ihre Jungfrauschöne zu bewahren
mit dreizehn Jahren freudiger in den grausamsten Tod
ging, als andere zum fröhlichen Tanze; denket an eine
hl. Potamia, welche lieber in ihrem Gewande langsam in
siedendes Oel gesenkt werden wollte, als schnell aber
ohne Gewand; denket an einen hl. Stanislaus Kostka, der
ohnmächtig wurde, wenn nur ein zweideutiges Wort ge-
sprochen wurde; dann redet eueren Kindern von der un-
aussprechlichen Herrlichkeit, die Gott den reinen Seelen
und dem unbefleckten Leibe bereitet hat. So werdet ihr
die Jugend leicht begeistern, in aller Zucht und Ehrbar-
keit zu wandeln.
Aber noch eines, – das vergesset weder für euch
noch für die Kinder besonders zur Zeit der Gefahr und
der Versuchung. Die Unreinen werden das Reich Gottes
nicht sehen, sondern die ewige Pein erdulden. Diese
Wahrheit muß allen tief eingeprägt werden. Denn gar
viele werden nur auf Furcht vor der Hölle von der
Sünde zurückgehalten.
Das nun ist die allgemeine Belehrung, an der alle
je nach ihrer Stellung und ihren Fähigkeiten theilnehmen
können, und die auch an viele zugleich gerichtet werden kann.
Wenn nun auch diese Wahrheiten in der rechten Weise
[260] entwickelt, geeignet sind, die Jugend für die Bewahrung der
Reinheit des Leibes und der Seele zu begeistern, so reichen
sie doch bei der Größe des menschlichen Elends im All-
gemeinen nicht aus, sondern es ist noch eine ganz beson-
dere Belehrung nothwendig.
Christus, der einerseits mit seiner Menschenfreund-
lichkeit alle im Himmel haben will, anderseits aber die
großen Gefahren der Sinnlichkeit kennt, will alle nur
möglichen Mittel der Heiligung und Rettung uns an die
Hand geben. Es ist nothwendig, die Kinder zu bewachen
und ihr Schamgefühl zur vollen Zartheit zu entwickeln.
Allein gar manches entzieht sich der Wachsamkeit. Denn
die Gefahren sind ja nicht bloß äußere, sondern auch
innere, und selbst die äußern bleiben oft lange ver-
borgen. Denn schon die Kinder verheimlichen aus Furcht
oder Scham allerlei. Belehrung ist nothwendig; allein
oft muß eine Stimme ertönen, welche nur einem Kinde
vernehmbar ist im tiefsten Heiligthum seines Herzens.
Warum das? Schon das Kind ist oft in mancherlei
Gefahren, hat allerlei Gedanken, Wünsche, Begierden. Es
fühlt das Bedürfniß, all' das zu offenbaren. Aber wem?
Den Eltern? Es schämt oder fürchtet sich. Dem Lehrer?
Es fehlt das wahre Vertrauen – besonders in der reli-
gionslosen Schule. Beim Seelsorger. Aber es scheint
ihm das vollkommene Geheimniß zu fehlen; auch Furcht
und Scham spielen mit. Und doch hat das Kind ein
Bedürfniß, sich ganz zu offenbaren; es hat keine Ruhe,
bis es von jemanden sichere Auskunft hat, ob es auf
dem Himmelswege sei oder nicht. Wo nun findet es eine
Seele, die rein, edel, verschwiegen, erfahren, erleuchtet,
voll Mitleid und Menschenfreundlichkeit ist, eine Seele,
die es nicht einmal, sondern 100 Mal um Rath fragen
darf und kann? Diesen Führer und Rathgeber findet das
Kind in seinen ersten Gefahren, findet die Jugend im
[261] gefährlichsten Zeitpunkt des Lebens im Beichtvater. Denn
im Auftrage Christi soll er im hl. Sakramente der Buße
das Elend aller Menschen anhören; aber besonders der
Jugend soll er zurufen: ‘„Kommt alle zu mir; kommet ihr
Kinder, die Stunde der Gefahr hat vielleicht schon ge-
schlagen; komme reifere Jugend, schon brennt die Begier-
lichkeit, schon droht die Verführung; kommet, offenbaret
den ganzen Sturm, der drinnen und draußen tobet, daß
ihr nicht bloß auf dem Berge der Verklärung bleibet,
sondern immer schöner werdet. Kommet, fürchtet euch
nicht; denn ihr tretet hier in das Heiligthum eines un-
durchdringlichen Geheimnisses, in ein hl. Dunkel, aus
dem von euerem Elende niemals etwas an das Licht
kommen wird.“’
So tritt dies hl. Sakrament vor die Augen des
Kindes und der Jugend. Was ist die natürliche Folge?
Das Kind, die Jugend offenbart die Gefahr und bleibt
vor der Sünde bewahrt. Ja, wenn noch keine besondere
Versuchung da ist, sieht der erfahrene Beichtvater in den
Falten der Seele die drohende Gefahr und kann ihr
vorbauen.
Das ist die außerordentliche Tragweite der hl. Beicht
für die Erziehung. Denn da kann und muß der Jugend
Manches gesagt werden, was man im Religionsunterrichte
nicht mittheilen kann. Denn hier muß jede Seele nach
ihren Kenntnissen, nach ihren Versuchungen, nach ihren
Sünden behandelt werden. Endlich hat diese Belehrung
noch einen ganz andern Werth. Bei jedem andern Unter-
richte sind immer Manche zerstreut, oder wenden die
Wahrheiten auf andere an, anstatt auf sich selbst, wie es
in Predigt und Christenlehre oft vorkommt – aber in
der hl. Beicht kannst du nicht wohl zerstreut sein, nicht
an andere denken; denn alle Worte sind dir und deinen
Bedürfnissen angepaßt. Daher habe ich die unerschütter-
[262] liche Ueberzeugung, daß die Jugend, so lange sie dieses
hl. Sakrament in der rechten Weise empfängt, entweder
in gar keine schwere Sünde fällt, oder, wenn mehr aus
Unkenntniß, oder aus Uebereilung, oder aus Furcht etwas
vorgekommen ist – sie doch von der eigentlichen Ver-
wüstung des Lasters verschont bleiben wird.
Aber, denket ihr vielleicht, warum verirren sich den-
noch kath. Söhne und Töchter oft in so trauriger Weise?
Christus hat uns die Gnadenmittel gegeben, aber der
Jugend die Freiheit gelassen. Wenn daher junge Leute
das hl. Sakrament nicht zur rechten Zeit oder in der
rechten Weise empfangen, oder um die Mahnungen und
Warnungen des Beichtvaters sich nicht kümmern, ist es
leicht zu erklären, wenn sie mit andern den Weg des
Fleisches wandeln. Denn solche Leute suchen auch keine
Aufmunterung zum Muthe, zur Ausdauer im hl. Kampfe
für den Besitz oder die Wiedereroberung der Reinheit.
Darum betrachtet neue Vortheile dieses hl. Sakra-
mentes nicht bloß für die Jugend, sondern auch für das
reifere Alter. Manche nämlich werden nur zu oft ganz
kleinmüthig, muthlos, niedergeschlagen. Warum? Die
innern Versuchungen werden heftiger, das Fleisch ge-
lüstet immer mehr wider den Geist, und so kann durch
das Zusammentreffen voll allerlei Umständen ein wahr-
haft unheimlicher Sturm sich erheben. – Dazu werden
böse Beispiele immer gefährlicher, die Gefahren von Außen
immer drohender: So gibt es denn Stunden, wo der
Widerstand unmöglich zu sein scheint, wo manche wie
mit Zaubermacht zur Sünde sich hingerissen fühlen. Wo
sie in solchen Zeiten die Siegeskraft finden, will ich das
nächste Mal sagen; aber Muth und Vertrauen und Hoff-
nung flößt ihnen der Beichtvater ein.
Denn was wird er Dir sagen? ‘„Siehe, mein Kind,
– sei doch nie verzagt. Denn Gott läßt dich niemals
[263] über deine Kräfte versucht werden; dein hl. Engel steht
an deiner Seite; die makellose Mutter Gottes kämpft
mit dir und streitet für dich: denke an die Himmelskrone,
welche dir schon entgegenstrahlt! Verliere den Muth
nicht, und du wirst die Unschuld nickt verlieren! Denke
nur an die hl. Agnes – das 13jährige Kind. Ihrer
Kleider beraubt ward sie in ein Haus der Verführung
und der Sünde gestellt. Gott aber läßt ihr das Haar
wunderbar wachsen, ihren jungfräulichen Leib zu decken,
und den ersten Jüngling, welcher ihr naht, läßt er todt
zu ihren Füßen hinstürzen. So wird Gott auch dich retten
am Tage der Versuchung und in der Nacht der Aerger-
nisse; aber vertraue auf ihn, und sollte rohe Gewalt
dich überwältigen, wirst du im Heldenkampf die Unschuld
doch nicht verlieren sondern vermehren.“’ So und auf
ähnliche Weise entflammt ein guter Beichtvater die ver-
zagten Seelen zu neuem Kampfe, und führt sie von
Sieg zu Sieg.
Wer könnte daher die Kinder zählen, welche mit
Hilfe dieses hl. Sakramentes aufblüten, schöner als die
Lilien? Wer die Jünglinge und Jungfrauen, die Männer
und Frauen, welche mit hl. Begeisterung erfüllt die
schwierigsten Kämpfe siegreich bestanden, oder vielleicht
auf einem großen Sündenelend sich wieder herausge-
arbeitet haben? Aber wie viele vortreffliche Priester sind
auch gerade deswegen ein Gegenstand des Hasses und
der Verfolgung geworden?
Zum Schlusse nun wende ich mich vor Allem an
euch, christliche Eltern. Belehret euere Kinder selbst
wie ich im ersten Theile angedeutet; dann flößet ihnen
eine hohe Achtung vor dem hl. Bußsakramente ein;
spottet nie über solche, die oft beichten und doch traurig
leben. Gott wird einst urtheilen. Gehet den Kindern
mit gutem Beispiele des öftern Empfanges der hl. Sa-
[264] kramente voraus. Wenn euch ein Schulkind ungehorsam,
trotzig wird, so nehmet es mit zur hl. Beicht; saget dem
Beichtvater: ‘„Jetzt kommt mein Knabe, mein Mädchen
so und so“’ – und in den meisten Fällen wird dein Kind
gerettet sein. Hilft das nicht, so gehe mit deinem Schul-
kinde zu einem erfahrenen Geistlichen, klage ihm all' deine
Noth und das Elend des Kindes, und es wird dir ge-
holfen werden – falls deine Familie in Ordnung
ist. Das ist die vorzüglichste Rettungsanstalt, wie eine
reiche Erfahrung mir bis heute bewiesen hat. Je mehr
diese von den einen verkannt von den andern verspottet
wird, desto mehr mag dieser rein bürgerliche, moderne,
von Gott und Christus abgefallene Staat an die Grün-
dung rein bürgerlicher Anstalten denken; diese werden
so viel Heil und Rettung bringen als die confessionslose
rein bürgerliche Schule. Wenn dann euere Kinder der
Schule entlassen sind, dann schicket sie doch oft zur hl.
Beicht, damit der Feind nicht das Unkraut säe und die
ganze Erziehung verwüste; schicket sie oder noch besser,
nehmet sie mit zur hl. Beicht, besonders wenn sie an-
fangen, nicht mehr gerne zu beten, sich eitel und gefall-
süchtig zu kleiden, euch grob zu begegnen, oder spät heim-
zukehren.
Endlich wende ich mich an euch, christliche Jüng-
linge und Jungfrauen. Was will der Beichtvater mit
euch thun? Was der Heiland mit Petrus, Jacobus
und Johannes. Er will euch bei seite führen, weg von
allen Menschen, von allen Büchern und Schriften und
Reden und Gelegenheiten, wo euere Unschuld gefährdet
ist; er will euch auf den hohen Berg führen, wo ihr
mit reiner Seele schon hier die Herrlichkeit Gottes
sehet, wo ihr im Frieden, im Jubel, in der Unschuld
der Seele euch Hütten bauen werdet, um dort zu ver-
kosten, wie süß der Herr ist. Die leuchtende Wolke der
[265] Gnade und Güte und der Menschenfreundlichkeit unseres
großen Gottes und Erlösers wird euch umschweben und
aus der Lichtwolke höret ihr die Stimme Gottes des
Vaters: ‘„Das ist mein geliebtes Kind, das ich aus
Liebe an Kindesstatt angenommen; an ihm habe ich mein
Wohlgefallen; denn sein Taufgewand leuchtet weiß wie
der Schnee, und sein Angesicht wie die Sonne in der
Schönheit der Unschuld.“’
Möget ihr Alle diese Worte aufnehmen als das
Unterpfand meiner aufrichtigsten Liebe gegen euch Alle
besonders aber gegen die reifere Jugend. Möge Gott
diese Worte derart segnen, daß wir Alle miteinander
durch die Verdienste Christi unseres großen Gottes und
Erlösers und durch die Fürbitte seiner makellosen Mutter
auf den Tabor ewiger Verklärung gelangen.
XXVIII.
Keuschheit und Kommunion.
Als der Heiland einmal einen Teufel ausgetrieben
hatte, staunte das Volk, die Pharisäer aber lästerten, in
der Macht Belzebubs treibe er die Teufel aus. Dann
suchte er diese Unglücklichen zu belehren, wie das unmög-
lich sei, da Satan gewiß nicht an der Zerstörung seiner
Herrschaft arbeite; weil er daher in der Macht Gottes
die Teufel austreibe, sei offenbar auch das Reich Gottes
gekommen. Dann zeigte er ihnen die Gewalt Satans,
der den Menschen so lange in ruhigem Besitze hat, bis
ein Stärkerer über ihn kommt und ihm die Beute ab-
nimmt. Aber wenn Satan auch vertrieben ist, hat er
keine Ruhe; er nimmt andere Geister zur Hilfe, um
[266] wieder in die Seele einzudringen; gelingt ihm das, so
werden die letzten Dinge des Menschen ärger als die
ersten.
So geschieht es heute immer noch. Denn durch die
hl. Taufe wird der Mensch der Herrschaft Satans ent-
rissen und durch die hl. Gnade ein Kind Gottes; aber
der böse Geist sucht später dies Kind, diesen Jüngling,
diese Jungfrau wieder in Besitz zu nehmen; gelingt ihm
das mit Hilfe der Fleischeslust, so werden die letzten
Dinge dieser Menschen ärger als die ersten. Damit das
nicht geschehe, hat Christus in seiner hl. Kirche die Schätze
göttlicher Wahrheiten und das hl. Bußsakrament nieder-
gelegt. Allein um einen Weg zu gehen, brauchen wir
nicht bloß Licht, sondern auch Kraft. Diese nun finden
wir in der hl. Kommunion, im Genusse des Fleisches und
Blutes Jesu Christi und so wird es leicht, die Verwüstung
der Unlauterkeit von uns ferne zu halten.
Um diese Wahrheiten anschaulicher und eindringlicher
zu erklären, nehme ich ein Ereigniß des alten Bundes zu
Hilfe. Ihr wisset, wie einst der Würgengel in Aegypten
herumzog um Mitternacht, und die Erstgeburt der Aegypter
erwürgte und so alle Familien mit Trauer und Jammer
erfüllte. So geht heute der Würgengel der Unlauterkeit
herum, und sucht in der Nacht der Fleischeslust und der
Aergernisse und sündhafter Verbindung die Erziehung zu
verwüsten, die Jugend zu verderben, die Seelen zu ver-
unreinigen, die Familien mit Jammer und Elend und
Thränen zu erfüllen. Ihr wisset aber auch, wie die
Häuser der Israeliten, deren Thüren mit dem Blute des
Osterlammes bestrichen waren, vor dem Unglücke bewahrt
blieben. So muß auch heute noch an jenen Leibern, welche
in der hl. Kommunion mit dem Blute des göttlichen Oster-
lammes bezeichnet sind, der Würgengel vorbeigehen. Diese
Wahrheiten behandle ich in diesen zwei Punkten:
1) Der Würgengel der Fleischeslust verwüstet die
Erziehung und die Jugend.
2) Aber das Blut des göttlichen Osterlammes schreckt
ihn davon ab.
Wenn ich über die Verwüstung, welche die Unreinig-
keit über die Erziehung und die Jugend bringt, etwas
sagen muß – so will ich kurz sein; denn die Sache ist
überaus traurig – aber etwas muß ich wenigstens an-
deuten, um zu warnen.
Die Seele der Erziehung ist Religion und Frömmig-
keit. So lange nun die Jugend rein bleibt, liebt sie die
Religion und die Erfüllung ihrer Pflichten, hat Freude
am Gebete, am Kirchenbesuch, am Empfang der heiligen
Sakramente; aber in dem Augenblicke, wo sie von der
Unreinigkeit befleckt wird, nimmt die Freude am Gebete
und die Liebe zur Frömmigkeit ab. Man geht noch der
Sitte gemäß zur Kirche, aber weniger um zu beten, als
um zu sehen und gesehen zu werden. So wird der Glaube
geschwächt und geht oft ganz verloren.
Solange nämlich die Jugend in Unschuld wandelt,
ihre Freuden im Elternhause genießt, ist der Glaube mit
all seinen Wahrheiten ihr Trost und ihre Freude, und es
ist ihr rein unbegreiflich, wie diese göttlichen Wahrheiten
Widerspruch finden. Sobald aber die Unlauterkeit in das
Herz dringt, wird der Glaube verdunkelt. Warum? Fleisch
und Evangelium kommen in Widerspruch; jenes genießt
in Sünden – dieses ruft: Die Unreinen stürzen in das
ewige Feuer! So kommt dann der Zweifel, dann der
Spott, dann der Unglaube: das ist oft die ganze Philo-
sophie junger und alter Sünder.
Und die weitere Folge? Ihr wisset noch, welche Be-
deutung die Ehrfurcht für die Erziehung, für die Jugend,
für alle Menschen hat. So lange die Jugend in Rein-
heit wandelt, haßt und verachtet sie alles Gemeine, Nieder-
[268] trächtige und Wüste, und steigt wie die aufgehende Sonne
auf die Mittagshöhe der Unschuld und der Herrlichkeit; aber
in dem Augenblicke, wo sie ein Raub der Fleischeslust
geworden, wird sie gemein und frech und ausgelassen.
Betrachtet nur diese erst sechzehn–, achtzehnjährigen Burschen
und Mädchen, wenn sie der bösen Lust nicht mehr wider-
stehen. Wo ist ihre Ehrfurcht vor Gott? Sie thun vor
seinen Augen, was sie einem braven Menschen nicht ein-
mal sagen dürften. Wo ihre Ehrfurcht vor dem Leibe,
diesem Tempel des hl. Geistes? Er ist ein Werkzeug
geworden für das, was unter Christen nicht einmal ge-
nannt werden soll. Wo die Ehrfurcht vor den Eltern?
Der Vater warnt, befiehlt, es weint und jammert die
Mutter: aber der Sohn und die Tochter schlagen fluchend
die Thüre zu, wild rollt ihr Auge, ihre Stimme kreischt;
sie verlassen das Vaterhaus, ihr Brod selbst zu verdienen,
d. h. in ungezügelter Lust leben zu können.
Kann eine solche Jugend noch liebenswürdig sein?
Ihr könnt über sie weinen – aber zu ihr hingezogen
fühlet ihr euch nicht mehr. Denn, wo keine Ehrfurcht
mehr, da ist auch die Liebe und das Herz durch die
Sünde verwüstet. Ihr wisset noch, wie die Erziehung
das Kind lieben und durch die Liebe sein Herz öffnen soll.
So lange nun das Kind in Unschuld aufwächst, ebenso
lange glänzt in seinem Auge das Feuer der reinsten Liebe,
und leuchtet die Klarheit der edelsten Offenheit. Ob eine
solche Jugend liebenswürdiger durch die Reinheit ihrer
Liebe, oder durch den Zauber ihrer Offenheit, oder durch
den Glanz der kampferprobten Unschuld, daß ist nicht leicht
zu entscheiden; nur himmlisch wohl wird es einem in der
Nähe einer solchen Seele, denn sie ist wie der Wieder-
schein himmlischer Herrlichkeit.
Aber nehmet nun einen Jüngling, eine Jungfrau,
welche der Würgengel der Unlauterkeit, der unreinen Liebe
[269] erfaßt hat. Haben denn diese kein Herz mehr, keine Liebe?
Freilich, aber nur für die Sünde, nur für die Ausschwei-
fung, nur für einen traurigen Menschen – aber nicht für
Vater und Mutter und Geschwister – nicht für den
Schutzengel, nicht für die makellose Mutter Gottes, nicht
für den gekreuzigten Heiland. Der Vater trauert und der
Sohn lacht, die Mutter weint und die Tochter spottet.
So kann mancher Vater mit dem Patriarch Jakob jammern:
‘„Ein wildes Thier hat meinen Sohn Joseph zerrissen.“’
‘„Das wilde Thier der Unlauterkeit zerreißt meinen Sohn,
zerreißt meine Tochter.“’ Ja, ja, zerreißt. Denn es bleibt
nichts mehr von der alten Schönheit und Anmuth.
Denn wie die reine Seele das Bedürfnis hat, mit
der vollsten Offenheit sich zu offenbaren, so wird die un-
reine Jugend heimtückisch, verschlossen, verlogen, daß der
Sohn Gottes in seiner Menschenfreundlichkeit auch nicht
ein Wort der Wahrheit herausbrächte. Da ist es oft, als
hätte der Vater der Lüge mit sieben Geistern Besitz von
einer unzüchtigen Seele genommen. Wer mit solch' un-
glücklichen Seelen nur einmal in Berührung kam, um an
ihrer Bekehrung zu arbeiten, aber all seine Versuche ver-
eitelt sah, der möchte, von Schmerz zerrissen, Klagelieder
singen wie einst der Prophet Jeremias über die Ver-
wüstung der Stadt Jerusalem und das Elend ihrer Be-
wohner. Denn, wo es sich nicht mehr um die eine oder
andere Sünde handelt, welche vielleicht mehr eine Folge
der Schwäche oder Ueberraschung als eine That der Bos-
heit ist, sondern um eine Gewohnheit, um das eigentliche
Laster, das in Leib und Seele haust, da ist der Wille
schwach und matt und kraftlos geworden, die Sinnenlust
regiert ohne Widerstand – und wenn dann erst noch
Krankheiten des Leibes oder der Seele oder des Gemüthes
hinzukommen, oder Alles miteinander? – Ich könnte da
Beispiele anführen, die ich selbst gesehen, einen Jüngling,
[270] der auf seiner Fahrt nach Pfäffers in einem Eisenbahn-
wagen sich zu mir heranschlich – tiefe Geistesstörung lag
auf seinem Angesicht wie finstere Nacht. – ‘„Ach, seufzte
er, ich bin selbst daran Schuld; ich habe meinen Leib
nicht heilig gehalten, sondern mißbraucht“’ – ich könnte
Töchter anführen, die bei all ihren wüsten Krankheiten
doch keine Spur von Reue und gutem Willem zeigten;
doch was ich über diese traurige Verwüstung angedeutet,
soll genügen zur Warnung – zur Warnung für die Un-
schuldigen, daß sie vor diesem Würgengel sich hüten, zur
Warnung für die Sünder, daß sie wie Maria Magdalena
die bösen Geister der Sünde noch zur rechten Zeit aus
ihrer Seele verbannen. Damit aber Alle, Schuldige wie
Unschuldige, voll Muth und Vertrauen werden, will ich
nun zeigen, wie durch das Blut des göttlichen Oster-
lammes dieser Würgengel voll uns ferne gehalten werde.
Als Pharao trotz aller Plagen sein Herz verhärtete
und das Volk Israel nicht ausziehen ließ, da beschloß
Gott den Tod aller Erstgeburt. Um Israel vor diesem
Unglücke zu bewahren, befahl er dem Moses, jede Familie
solle ein Lamm schlachten, essen, dessen Blut mit Ysop an
die Oberschwelle und die Pfosten der Hausthüre sprengen.
Warum? Gott werde in jener Nacht in Aegypten herum-
gehen und die Erstgeburt schlagen, wo immer aber das
Blut an der Thürschwelle gesehen werde, da werde der
Verderber nicht in das Haus kommen, sondern vorbei-
gehen. (II. Mos. XII.) In jener Nacht wurde wirklich
die Erstgeburt in jedem Hause der Aegypter getötet, nur
Israel blieb verschont. Zum Andenken an dies Ereigniß
mußten dann die Israeliten zur Osterzeit jedes Jahr ein
Lamm schlachten und essen. Das that auch der Heiland
mit fernen Aposteln am Vorabende seines Leidens – es
war das Abendroth des untergehenden alten Bundes; dann
opferte er sich selbst, das wahre Opferlamm unter den
[271] Gestalten des Brodes und des Weines, und gab sich selbst
als Speise hin – das ist das Morgenroth des auf-
steigenden neuen Bundes – und am folgenden Tage
opferte er sich in Menschengestalt am hl. Kreuze. Dieses
wahre Osterlamm wird täglich auf unsern Altären ge-
opfert, und wir essen sein Fleisch und trinken sein Blut.
In Folge dieser Geheimnisse also strahlt unser Leib
geröthet vom Blute Christi, das den Würgengel der Un-
lauterkeit ferne zu halten bestimmt ist. Da sehet die
Weisheit der Kirche. Wenn die Kinder zwölf, dreizehn
Jahre alt geworden, und ihre Sinnlichkeit zu erwachen
beginnt, die Gefahren von Außen größer werden, dann
nimmt sie dieselben sorgfältiger in die Hand, führt sie
ein in die tiefsten Glaubensgeheimnisse und bereitet sie
vor für den schönsten Tag ihres Lebens, damit sie ge-
röthet mit dem Blute des Lammes die Begierlichkeit
ihres Fleisches und die Aergernisse der Welt siegreich
überwinden. Warum denn nicht? Wer ist nämlich
stärker, der Mann oder sein Schatten? – Was war das
Osterlamm und sein Blut? Ein Schatten. Wer aber
die Wirklichkeit? Das Lamm Gottes und sein Blut.
Wenn nun das Blut eines Lammes, weil es das Vor-
bild des göttlichen Blutes war, kräftig genug war, den
Verderber von Israels Häusern ferne zu halten, welche
Wunder der Allmacht wird erst das göttliche Blut wirken,
um den Würgengel der Unlauterkeit von dem lebendigen
Tempel des hl. Geistes abzuschrecken? Denn Alle, welche
diese hochheiligen Geheimnisse feiern, sollen wie Löwen
muthig und stark vom Tische des Herrn weggehen, um
den Kampf mit allen Feinden der Unschuld siegreich zu
führen.
Denn beherziget nur die Worte des Propheten Zacha-
rias (Cap. IX). Nachdem er die Ankunft des Erlösers
vorherverkündet und den Segen seines Reiches geschildert,
[272] fragt er hochbegeistert: ‘„Was ist sein Gut und seine
Schöne? Das Getreide der Auserwählten und der Wein,
aus dem Jungfrauen sprossen?“’ Was ist das Getreide
der Auserwählten? Das Fleisch Christi, das die Seelen
stärkt und den Leib heiliget. Was ist dieser Wein? Der
heilige Kelch seines Blutes, der die Jugend berauscht und
begeistert, den hl. Kampf für ihre Unschuld auch gegen
sieben böse Geister und alle Verführer siegreich zu
schlagen.
Das könnt ihr täglich bestätiget sehen. Oder warum
haßt die Welt diejenigen, welche die hl. Kommunion öfter
empfangen? Sie weiß nur zu gut, daß an all diesen
der Würgengel vorbeigehen muß. Wenn man ferner die-
jenigen, welche anfangen, mit dieser Sünde sich zu ver-
unreinigen, welche in bösen Gelegenheiten leben, unerlaubte
Verbindungen unterhalten, wenn man solche und ähnliche
Sünder und Sünderinnen fragte, ‘„warum geht ihr so
selten zur hl. Kommunion“’ – was müßten sie im Falle
der Aufrichtigkeit darauf antworten? ‘„Wollten wir die
hl. Kommunion öfter und würdig empfangen, müßten wir
mit der Sinnenlust, mit verdorbenen Menschen einen
Kampf auf Tod und Leben anfangen und durchkämpfen,
müßten wir mit dieser Lieblingssünde ernstlich brechen.
Denn ein unreiner Leib und das jungfräuliche Fleisch und
Blut des Gottmenschen vertragen sich nicht.“’ So müßten
diese Sünder antworten, wenn sie aufrichtig sein wollten
– und müßten leider Gott noch beifügen – für jetzt
denken wir noch an keine gründliche Bekehrung – für
jetzt wollen wir noch nicht gesunden, für jetzt wollen wir
noch nicht als vielgeliebte Kinder Gottes, wie es Heiligen
ziemt, in Unschuld wandeln, deshalb bleiben wir jetzt dem
Tische des Herrn ferne (ad. Eph. V). Doch was führe
ich den Beweis aus dem täglichen Leben in seinen trau-
rigen Erscheinungen, während großartige Beispiele und
Thatsachen zur Verfügung stehen.
Denken wir an jene hl. Agnes. Warum steht sie
mit dreizehn Jahren vor dem Richter? Was ist ihr
Verbrechen? Sie will nicht in den Ehestand treten,
sondern ihrem göttlichen Bräutigam in unversehrter
Jungfräulichkeit anhangen. Man verspricht ihr Reich-
thümer und Ehren – sie bleibt standhaft; sie wanket
nicht; sie steht mitten im Feuer und bleibt unversehrt
wie ihre Jungfräulichkeit in der Gluth der Verfolgung;
man schlägt ihr das Haupt ab, und sie fliegt mit der
Doppelpalme der Jungfräulichkeit und des Martyriums
zu den Höhen des Himmels.
Woher all' diese Wunder? Sie selbst gibt die Er-
klärung mit den Worten: ‘„Honig und Milch habe ich
von seinem Munde erhalten und sein Blut hat meine
Wangen geziert, und so hat er in mein Antlitz ein Zeichen
gesetzt, daß ich keinen andern Liebhaber zulasse.“’ (Cf.
Off. S. Agnes.) Was ist Milch und Honig? Die
Süßigkeit göttlicher Gnade und Tröstung, welche sie in
der hl. Communion gleichsam auf den Wunden Christi
empfangen. Daher sind ihr selbst die erlaubten Welt-
freuden Ekel und Bitterkeit. Sein Blut hat meine
Wangen geziert. Wie ist das möglich? In der heiligen
Kommunion habe ich dasselbe empfangen; es durchdrang
gleichsam meinen Leib und gab ihm die überirdische
Schönheit und Anmuth, und die Kraft dieses Blutes ver-
scheucht jeden Würgengel von meiner Seele und meinem
Leibe. Oder warum sank jener freche Jüngling vor
ihren Füßen plötzlich zusammen. Aus dem mit dem
Blute Christi gerötheten Antlitze der Jungfrau traf es
ihn wie ein Blitzstrahl.
Wohlan nun, christliche Söhne und Töchter, wenn ihr
Alle wie die hl. Agnes die hl. Communion empfinget,
wenn ihr sagen könntet: ‘„Honig und Milch hab' ich aus
seinem Munde empfangen, und sein Blut röthet meine
[274] Wangen,“’ müßten euere Eltern, die vielleicht in ferner
Heimat und euch beim Abschiede so ernstlich sagten:
‘„Seid doch brav?“’ – müßten diese Eltern euretwegen
jemals in Angst sein? Oder würdet ihr nicht jede Ver-
suchung überwinden, jeden Verführer abweisen? Die
Begierlichkeit bezähmen? Vor jeder Gesellschaft, wo
euere Unschuld in Gefahr kommt, zurückschrecken? Würden
nicht Satan selbst und andere böse Geister, welche heute
die Welt zum Verderben der Seelen durchstreifen – an
euch entsetzt und erschrocken vorübergehen? Warum denn
nicht? Denn die Kraft des göttlichen Blutes ist ewig
dieselbe; nur der Leichtsinn oder die Bosheit des Menschen
kann dessen Wirksamkeit beschränken oder ganz verhindern,
oder gar durch Mißbrauch die himmlischen Güter in töt-
liches Gift verwandeln. So ist denn heute noch wahr,
was der hl. Cyrill in alter Zeit mit den großen Vätern
der hl. Kirche gelehrt: ‘„Die hl. Communion beruhiget
das tobende Gesetz unserer Glieder, kräftiget die Frömmig-
keit, löschet aus die Begierlichkeit.“’
Sehet, das Gesetz unserer Glieder ist die Sinnlich-
keit. Ihr könnt das Schamgefühl der Kinder stärken,
Aergernisse verhüten, die Kinder belehren; aber dies durch
die Erbsünde kranke Fleisch heilen, die tobende Sinnlich-
keit beruhigen, der Seele die nöthige Widerstandskraft
geben – das wirkt Christus allem durch die hl. Com-
munion. Das ist so wahr und so ausgemacht, daß selbst
ein durch Ausschweifungen verdorbenes Fleisch durch die
öftere hl Communion wieder geheilt werden kann. Oder
was thaten von jeher Männer von Wissenschaft, von Er-
fahrung, von Heiligkeit? All' den Sündern, die gar tief
in diesem Sündenelende lagen, sich aber ernstlich bekehren
wollten, gaben sie den Rath der öfteren hl. Communion.
Und die Folge davon? Das unreine Feuer löschte wieder
aus, und Leib und Seele erhielt wieder den Frieden und
[275] die Ruhe und die Schöne der Reinigkeit. Wenn aber der
unreine Geist aus einem Leibe, den er vielleicht durch die
Sünde jahrelang ruhig besaß, auf einmal weichen muß
und nicht mehr zurückkehren kann, auch wenn er sieben
ärgere Geister zu Hilfe nimmt, um so viel mehr wird
er vor jenem Leibe zurückschrecken, dessen Wangen von der
ersten hl. Communion an das Blut Christi röthet und ziert.
Denn zitternd fliehen die bösen Geister, wenn sie das
Blut des Erlösers erblicken; die Engel aber eilen freudig
herbei. (Chrys. hom. 46 n. 3, 4 in Joh.)
Aber warum fallen denn immer so viele? Der
Würgengel geht nicht zu ihnen, so wenig als der Graben
zu dem, der hineinfällt; im Gegentheil, er will an ihnen
vorbeiziehen, aber so viele rufen ihn selbst, wischen durch
ihre Leidenschaften, durch den Verkehr mit Unreinen, end-
lich durch Sünden das Blut Christi gleichsam aus. Ist
das nicht aller Thränen werth? Wird es Sodoma am
Gerichtstage nicht erträglicher ergehen als diesen Unglück-
lichen? Auch diejenigen, welche außer der katholischen
Kirche sich Christen nennen, aber unrein leben und nicht
wahre Buße wirken, werden in die Hölle versinken –
aber weit tiefer solch' traurige Katholiken, welche im Besitze
aller Gnadenmittel vor der Unlauterkeit sich nicht bewahrten,
oder davon nicht geheilt werden wollten, oder nicht den
Muth dazu hatten.
Deswegen rufe ich aus der Tiefe meines Herzens
in diese so zahlreiche Versammlung: Muth, Vertrauen!
Denn wohl manch' armer Sünder hört mich. Vertraue
dich der kräftigen und kundigen Hand eines Beichtvaters an
und laß dich dann dort an der Communionbank mit dem
Blute des göttlichen Osterlammes bezeichnen – und du
bist gerettet. Selig, daß ihr dies Wort Gottes angehört,
noch seliger, wenn ihr dasselbe für euch und Andere in
euerem Herzen bewahret und betrachtet – unaussprechlich
[276] selig, wenn ihr darnach lebet und so in der Reinigkeit
des Leibes und der Seele zur seligsten Anschauung Gottes
gelanget.
XXIX.
Tischgebet.
Als einmal 4000 Männer mit Weibern und Kindern
beim göttlichen Heilande drei Tage ausharrten, um sich
belehren und Stumme, Blinde, Lahme und Kranke aller
Art heilen zu lassen, und am dritten Tage die Nahrungs-
mittel ausgingen, da hatte Christus Erbarmen mit dem
Volke, speiste und sättigte dasselbe mit sieben Broden und
einigen Fischlein so wunderbar, daß die übrig gebliebenen
Stücklein noch sieben Körbe anfüllten. (Math. XIV. 20.)
Aber wie wirkte er dies Wunder? Er schaute gen
Himmel, woher jede gute Gabe kommt – und dankte
deshalb dem Vater; dann segnete er Brod und Fisch,
d. h. er betete, daß die wenigen Brode so an Ausdehnung
und Kraft gewinnen, um damit die Volksmenge voll-
kommen zu sättigen. Aber ist er denn als Sohn Gottes
nicht allmächtig wie der Vater? Warum denn noch
danken und beten, anstatt in aller Selbstherrlichkeit zu
handeln? Als Menschensohn wollte er uns ein Beispiel
geben, was wir beim Genusse der Nahrung zu thun haben.
Was denn? Zum Himmel emporblicken, Gott danken für
die Gaben, ihn um den göttlichen Segen anflehen. Das
ist Sache des Tischgebetes, das in einer christlichen Familie
nicht fehlen darf. Da die Familienglieder am Morgen
fast nie, am Abend vielleicht selten, wohl aber beim Essen
regelmäßig alle bei einander sind, so ist das Tischgebet
wohl das einzige, welches Tag für Tag von allen gemein-
[277] sam verrichtet werden kann. Es hat aber auch eine außer-
ordentlich tiefe Bedeutung.
Es ist nämlich der lebendig gewordene Glaube, daß
Speis und Trank eine Gabe Gottes ist. Betrachtet in dieser
Beziehung den Ps. 146, V. 7 sq. ‘„Singet dem Herrn mit
Danksagung und lobsinget unserm Gott mit der Harfe!“’
Wozu diese Aufforderung? Etwa weil Gott der unermeß-
liche Ocean aller Vollkommenheit und aller Schöne ist? Oder
weil er diese Erde gebildet und die Himmelsräume mit
Gestirnen ausgeschmückt? Eine ganz andere Antwort gibt
der Psalmist. ‘„Er decket den Himmel mit Wolken und
bereitet Regen der Erde. Er läßt wachsen Gras auf den
Bergen und Kräuter zum Dienste der Menschen; er gibt
dem Vieh seine Speise und den jungen Raben, die zu
ihm rufen.“’ Daher die Frage des Dulders Job: ‘„Wer
bereitet dem Raben seine Speise, wenn seine Jungen zu
Gott schreien und unstät sind, weil sie nicht zu essen
haben.“’ (Job XXXVIII.) Daher sagt der Psalmist so
schön: ‘„Aller Augen warten auf dich, Herr, und du gibst
ihnen Speise zur rechten Zeit; du thuest auf deine Hand
und sättigest alles Lebendige mit Segen.’ (Ps. 144, V. 15.)
Zu wem also ruft der junge Rabe in seinem Hunger?
Zu Gott dem Herrn. Das thut er allerdings unbewußt,
wie alle Vögel des Himmels, wie alle Thiere des Fest-
landes, wie alle Fische in den Gewässern; naturnothwendig,
unbewußt warten die Augen der gesammten Thierwelt auf
den Herrn, um zur rechten Zeit Speise zu erhalten: und
dann soll die Krone der Schöpfung, der König und Herr
der Thierwelt, der Mensch, dessen Gestalt zum Aufblick
nach dem Himmel geschaffen, dessen Geist die Urquelle
aller Güte und alles Segens erkennt, – dann soll der
Mensch allein nicht himmelwärts blicken, soll allein nicht
zum Herrn um Nahrung rufen – soll allein ihm nicht
mit Danksagung lobsingen? – Urtheilet selbst!
Was ist also der sogen. gute Ton, kein Tischgebet
mehr zu machen? Ich sage absichtlich ‘„guter Ton“’.
Denn dies Gebet hie und da auslassen, gehört jedenfalls
zu den kleinsten Fehlern, wovon ich nicht einmal rede;
aber jahraus, jahrein an reichlicher oder auch gewöhnlicher
Tafel sitzen und niemals beten, vielleicht dazu noch murren
und klagen, daß man nicht mehr und bessere Speisen
habe – was ist das? Ist das nicht eine Art thatsäch-
liche Leugnung, daß Wachsen und Gedeihen, daß die
Früchte der Erde von Gott herkommen, ist das nicht eine
Art Verherrlichung der Mutter Natur, oder auch des
goldenen Kalbes? Dies Kalb und die Mutter Natur,
sind sie da nicht an die Stelle des lebendigen Gottes
getreten?
Um aber noch tiefer in diese Wahrheit einzudringen
und die leichtsinnige Oberflächlichkeit einer gebildeten und
ungebildeten Welt zu begreifen, betrachtet ein Ereigniß
aus dem Leben des Völkerapostels. Als der hl. Paulus
mit Barnabas nach Lystra kam und dort einen Mann
heilte, der von Geburt an lahm war, da glaubte das
Volk, die beiden seien Götter, und war im Begriff, ihnen
zu opfern. (Act. Ap. XIV 7 sq.) Da erhob sich der
hl. Paulus und sprach: ‘„Ihr Männer warum thut ihr
das? Auch wir sind Menschen wie ihr. Wir verkünden
euch, daß ihr euch von diesen Richtigkeiten, diesen eitlen
Götzenbildern zu dem lebendigen Gotte bekehren sollet, der
gemacht hat den Himmel und die Erde und das Meer
und Alles, was darin ist.“’
Hat dann Gott nach der Schöpfung Alles dem Zu-
falle und den Naturkräften überlassen? So blödsinnig
waren nicht einmal die alten Heiden. Denn sie verehrten
eine Göttin, Ceres, Demeter genannt, welche für das Ge-
deihen der Früchte besorgt war, und deswegen als eine
milde, segenbringende Göttin und Ernährerin der Menschen
[279] verherrlicht wurde. Doch wollen wir uns nicht vom hl.
Paulus zu den Heiden verirren. Was sagte also der
Völkerlehrer weiter?
In den vergangenen Zeiten ließ Gott alle Völker
ihre eigenen Wege wandeln, d. h. er sandte ihnen keine
Propheten wie den Juden, sondern ließ sie auf dem Wege
der Abgötterei und der Ausschweifungen einherirren. Aber
hat er denn gar nicht für sie gesorgt? – Er ließ sich
doch nicht unbezeugt. Aber wie bezeugte er den Heiden
sein Dasein, seine Macht, seine Güte, seine Herrlichkeit?
Wirkte er etwa außerordentliche Wunder? Nichts von
all' dem; sondern erspendete Wohlthat vom Himmel aus,
gab Segen und fruchtbare Zeiten, erfüllte die Herzen
mit Speise und Freude. So wunderbar also waltet Gott
in der Natur, so läßt er die Jahreszeiten aufeinander-
folgen, so wechselt er Sonnenschein mit Regen und Thau,
eine solche Menge Früchte von mannigfaltiger Güte und
Schönheit läßt er wachsen und reifen, und erfüllt auf
diese Weise unsere Herzen mit Speise und Freude, daß
diese Naturerscheinungen für die Heiden genügten, um
den wahren, lebendigen und ewigen Gott zu erkennen.
Und dann sollte der Christ diese Hand Gottes nicht er-
kennen!
Und dann sollte er zu diesem ewigen Gott nicht
beten um die Früchte der Erde! Und dann sollte der
Christ alle Tage diese Gaben Gottes genießen, ohne je an
den himmlischen Vater zu denken, ohne je ein Wort des
Dankes auszusprechen! Wenn ein Kind so gegen seine
Eltern handelte, würde das auch zum guten Tone gehören?
Was aber unter Menschen Unverschämtheit, das soll Gott
gegenüber Anstand sein!
Aber wir haben auch Andersgläubige bei Tische,
Gut. Was folgt hieraus? Andersgläubige; also doch
Gläubige. Also glauben sie, was einst der hl. Paulus
[280] in Lystra predigte ‘„Gott spendet Wohlthat vom Himmel
aus, gibt Regen und fruchtbare Zeiten; er erfüllt mit
Speise und Freude unsere Herzen.“’ Wenn du also bei
Tisch? nicht betest, um diese nicht zu beleidigen, so thust
du ihnen damit die ärgste Schmach an; denn in Sachen
der Religion stellest du sie weit unter die alten Heiden.
Wie so? Wenn Staatsmänner, wie jener edle Aristides,
wenn Philosophen, wie Plato und Sokrates, Heiden des
alten Athen, an deiner Tafel erschienen, würden sie den
ersten Wein auf den Boden schütten als Opfergabe für
ihre falschen Götter und so ihr Tischgebet verrichten –
und du, der aufgeklärte Christ und gebildete Katholik!
Wenn dann diese alten Heiden dich fragten: Warum
schaust du nicht gen Himmel? Warum kommt kein Gebet
über deine Lippen? Warum hast du keinen Opferwein
für die Gottheit? Hat nicht eine menschenfreundliche
Göttin all' diese Gaben uns geschenkt? Machte sie nicht
die Erde unfruchtbar, bis der oberste Gott ihren Zorn
beschwichtigte?
Was wollte da so ein urwüchsiger Zögling einer
konfessionslosen Schule der Neuzeit einem urwüchsigen
Heiden des alten Athens oder Roms antworten? Es
gibt keine Gottheit, von welcher das Wachsthum und Ge-
deihen der Früchte der Erde abhängig ist; über diesen
Glauben der alten Heidenwelt wie des Christenthums
sind wir mit unserer Wissenschaft längst hinaus. Was
würde dann jener lebensfrohe, heidnische Dichter Horatius,
wenn er sich nicht widersprechen wollte, dir antworten?
Wie ich mit keinem Gottlosen auf dem gleichen Schiffe
sein will, um nicht mit ihm vom Zorne der Götter ge-
troffen zu werden, so will ich auch nicht mit dir an
der gleichen Tafel sitzen.
Aber warum mit den alten Heiden die Christen be-
schämen? Wohl waren die letzten Ausläufer der heidnischen
[281] Irrthümer überaus traurig wie der Selbstmord ganzer
Völker – allein heute rede ich nicht von den letzen Aus-
läufern – und selbst diese waren nicht so verhängnißvoll,
wie der Wahnsinn eines vom gekreuzigten Gotte abge-
fallenen Geschlechtes. Denn je höher der Adel, von dem
du in die Gemeinheit versinkst, desto trauriger dein Fall.
Was ist also diese Unsitte, jahraus, jahrein zu essen,
zu trinken, zu genießen, ohne nur einmal an Gott den
Herrn zu denken, ohne nur einmal ihm zu danken? Die
Erscheinung einer schweren Krankheit, das Zeichen eines
traurigen Seelenzustandes, das gilt aber, ich betone es
noch einmal, nicht von jenen, welche nur hie und da dies
Gebet vernachlässigen, sondern von jenen, welche dasselbe
grundsätzlich nicht üben.
Werden denn diese überhaupt noch beten? Die
Religion solcher Leute sind gewöhnlich die Zahlen. Aber
wenn Gott der Herr dir alle bis auf die Nullen streicht?
Aber wenn eine Umwälzung Paläste, Banken, Geschäfte,
Millionen fortschwemmt wie ein reißender Strom Bäume,
Häuser und Ställe und Herden fortwirbelt? Wenn die
Mißjahre immer häufiger und schlimmer werden? –
Denn Gott kann doch über ein undankbares, von ihm
abgefallenes Geschlecht das Füllhorn seines Segens nicht
immer ausgießen, wenn die Verehrung der Mutter Natur
und die Anbetung des goldenen Kalbes ihre Verwüstungen
nach unten und oben, nach rechts und links nicht immer
weiter ausdehnen soll. Was ist also das Tischgebet, so
unbedeutend es an und für sich zu sein scheint? Eine
beständige Uebung des Glaubens, daß Gott der einzige
Herr über die ganze Natur mit all ihren Kräften und
Erscheinungen und Früchten; die Leugnung aber all dieser
trostreichen und tiefen Wahrheiten ist die grundsätzliche
Vernachlässigung dieses Gebetes.
Aber das ist noch lange nicht die ganze Bedeutung
[282] dieser Andacht. Denn was nützt uns die Speise, wenn
sie uns nicht sättiget und kräftiget und gesund erhält?
Das aber hängt wieder vom Segen Gottes ab, der
mit Wenigem, wie mit Vielem, ja sogar mit Nichts die
Seinen ernährt und stärkt. Deshalb betet die Kirche in
ihrem Tischgebete: Herr, segne uns und diese deine Gaben,
welche wir von deiner Freigebigkeit empfangen werden.
Segne uns! Segne den Leib, daß er in der rechten
Verfassung die Nahrung empfange und verarbeit und so
gestärkt werde; segne die Seele, daß sie die Sinnenlust
bezähme. Segne diese deine Gaben! Wozu? Leute,
welche die Hungerjahre im Anfange dieses Jahrhunderts
durchmachten, erzählten mir oft, auch nach reichlichem
Essen hätten sie immer noch gehungert. Warum? Es
war eben kein Segen Gottes dabei.
Um das recht zu verstehen, betrachtet das Wunder
der Brodvermehrung. Weiber und Kinder nicht gerechnet,
zählte die Volksmenge bei 4000 Männer. Schon drei
Tage harren sie beim Heilande aus; wenn sie ungespeiset
heimkehren, werden sie auf dem Wege verschmachten; den
Jüngern scheint es unmöglich, für diese Menge Brod
genug zu erhalten. Was thut Christus? Er segnet sieben
Brode und zwei Fische; das Volk ißt, wird satt und
von den übrig gebliebenen Stücklein werden noch sieben
Körbe voll.
Was bewirkt also der Segen Gottes? Einige Brode,
sonst von wenigen Hungrigen gleich verschlungen, reichen
hin, um Tausende zu sättigen und nachher noch sieben
Körbe zu füllen. Warum diese sieben Körbe? Zum
Zeichen, daß Alle wirklich gesättigt waren und gestärkt,
die Heimreise glücklich zu vollenden. Das ist der Segen
Gottes über Speis und Trank, und um diesen Segen
haben wir zu bitten. Um ihn aber voll und ganz zu er-
halten, was weiter thun?
Auch da antwortet das Evangelium. Oder warum
erbarmt sich der Heiland des Volkes? Schon drei Tage
harren sie bei mir auf und haben nichts zu essen. Mit
solcher Lieb und Luft weilten sie also beim Heiland und
hörten seine Predigt, so waren sie um die Kranken be-
sorgt, damit sie alle geheilt würden – daß sie Speis
und Trank vergaßen und an das Ausgehen der Nahrungs-
mittel nicht einmal dachten. Wollet ihr also den Segen
Gottes verdienen, harret aus beim göttlichen Heilande,
indem ihr die Gebote Gottes und der Kirche gewissenhaft
haltet.
Aber, denkest du vielleicht bei dir, solche, welche das
nicht thun, sammeln große Reichthümer, und ich bin arm
und jene schmausen wie der reiche Prasser und ich gleiche
so etwas dem armen Lazarus. Gut; aber diese Reichen
können sie mehr essen und trinken wie du? Haben sie
einen Magen groß wie das Heidelberger Faß? Das
nicht, aber sie haben feinere Speisen. Gut; aber wer
braucht die Bäder und den Arzt mehr, du oder sie?
Und wenn bald die Tage kommen, wo sich wieder erfüllt
das Wort des Apostels Jakobus: ‘„Jetzt heulet ihr
Reichen,“’ wer ist dann besser daran, diese oder du –
armer Knecht, arme Magd – oder arme Mutter, armer
Vater? Wer ist dann besser daran? Und erst die Ewig-
keit? Kommen nach dem Urtheil Christi die Armen oder
die Reichen leichter in den Himmel? Daher kommt uns
ein Armer, der beim Anblick des Reichen jammert, vor
wie ein Maulthier, das ohne Last leicht den Berg hinauf-
trabt, aber sich beim Anblick eines zweiten Maulthieres,
das schwer beladen kaum hinaufzukeuchen vermag, sich
selbst als unglücklich beklagt. Und von was hängt am
Ende die Kraft von Speis und Trank ab? Etwa von
der Feinheit derselben? Aber warum erreichten die
alten Mönche in der Wüste bei Kräutern und Wurzeln
ein Alter von über einem Jahrhundert?
Wem das heutige Evangelium nicht genügt, der be-
trachte noch ein Ereigniß des alten Bundes. Als in Folge
einer dreijährigen Dürre eine furchtbare Hungersnoth
über Israel kam, ging der Prophet Elias auf Befehl
Gottes nach Sarepta ins Land der Sidonier, wo eine
Wittwe für seinen Unterhalt sorgen sollte. Da er zum
Thore der Stadt kam, sah er ein Weib, eine Wittwe, die
Holz auflas, und er sprach zu ihr: ‘„Gib mir ein wenig
Wasser, daß ich trinke, und bring mir, ich bitte dich, einen
Bissen Brod in deiner Hand.“’ Was antwortete sie? ‘„So
wahr der Herr, dein Gott lebt, ich habe kein Brod, außer
eine Hand voll Mehl im Topfe und ein wenig Oel im
Kruge; ich lese ein paar Stücke Holz auf, es zu bereiten
für mich und meinen Sohn, auf daß wir noch einmal
essen und hernach vor Hunger sterben.“’ Welche Noth-
lage: noch einmal etwas Brod bereiten und dann hungern
und dann sterben, und diesen letzten Bissen sollte sie noch
mit einem Fremdling theilen! ‘„Fürchte dich nicht,“’ sprach
der Prophet, ‘„thue, wie du gesagt; aber mache mir von
dem Mehl zuerst einen kleinen Kuchen. Denn so spricht
der Herr, der Gott Israels: der Mehltopf soll nicht ab-
nehmen und der Oelkrug nicht leer werden bis zum Tage,
an dem der Herr Regen geben wird über das Land.“’
Und in der That nahm der Mehltopf nicht ab und der
Oelkrug ward nicht leerer. Das der Segen Gottes, der
mit Wenigem Viele und für lange Zeit erhalten und
nähren kann. (l. III, reg. XVII.)
Oder sind das etwa Wunder göttlichen Segens?
Freilich; aber der gleiche Gott wirkt das gleiche Wunder
heute noch, sobald es seine göttliche Weisheit für gut
findet, und wirklich finden wir im Leben der Heiligen
Gottes durch alle Jahrhunderte solche Segenswunder in
Menge; der gleiche Gott gibt heute noch seinen vollen
Segen Allen, die ihn darum bitten, ihm dafür danken
[285] und in der treuen Beobachtung der Gebote bei ihm
ausharren. Wenn mich daher solche hören, die bisan
von keinem Tischgebet etwas wissen wollten, so bitte und
beschwöre ich sie, Gott dem Herrn gegenüber doch etwas
Anstand zu lernen und zu üben. Sollte aber eine Familie
so unglücklich sein, daß ein gemeinsames Tischgebet nicht
einmal geduldet wird, dann sollen doch die, welche den
Glauben noch bewahrt haben, für sich im Stillen etwas
beten, damit der Segen nicht nach und nach ganz dem
Unsegen und dem Fluche weiche. Ihr Alle aber, die ihr
die Sitte frommer Ahnen noch bewahrt habet, haltet daran
fester als je, und so weit euer Einfluß reicht, sorget, daß
sie auch dort, wo sie längst verschwunden, wieder ihren
segensreichen Einzug halte.
Wenn ihr so familienweise mit euern Dienstboten
und Arbeitern betet und beim reichlich oder ärmlich be-
setzten Tische sitzet, dann blicket himmelwärts, wo die
Gerechten und Frommen an jener wonniglichen Tafelrunde
Gottes ewig frohlocken, und betet mit der hl. Kirche: Zur
Mahlzeit des ewigen Lebens führe uns der König der
ewigen Herrlichkeit und mache uns theilhaftig der himm-
lischen Tafelrunde.
XXX.
Besuch des Gottesdienstes.
Die christliche Familie ist verpflichtet, nicht bloß Haus-
andachten zu halten, zu denen auch das Tischgebet gehört,
sondern auch den öffentlichen Gottesdienst zu besuchen.
Ich betone ‘„christliche Familie“’; denn nicht bloß der
Einzelne ist verpflichtet, sondern so weit möglich die Familie
als Familie. Damit wir diese Wahrheit klar auffassen
[286] und dann darnach handeln, wollen wir das Beispiel der
hl. Familie betrachten. Es war bei den Juden strenge
Vorschrift für die Männer, jede Ostern nach dem Tempel
in Jerusalem zu wallfahren. Die Frauen waren diesem
Gesetze nicht unterworfen, durften aber die Feier doch auch
mitmachen. So ging denn Maria auch mit Joseph.
Aber warum geht auch der zwölfjährige Knabe? Was
prediget er in dieser Gesellschaft mit Maria und Joseph?
‘„Ich habe euch ein Beispiel gegeben, und nicht bloß ich
sondern auch meine Mutter, mein Pflegevater! Wir haben
euch ein Beispiel gegeben! Die ganze christliche Familie
gehört in die Kirche zum Gottesdienste: nicht bloß die
Eltern dahin und die Kinder dorthin, sondern alle sollen
soweit möglich, in der gleichen Kirche wieder eine Familie
bilden wie im Vaterhaus.“’ So ruft und mahnt das
Beispiel der hl. Familie.
In Pfarreien nun, wo der Kindergottesdienst wegen
Mangel an Raum ein nothwendiges Uebel geworden ist,
kann dies Beispiel nicht vollkommen nachgeahmt werden;
aber da sollen die Eltern ihre größeren Söhne und Töchter
mitnehmen, mit ihnen beten, mit ihnen das Wort Gottes
anhören, mit ihnen wieder heimkehren. Das ist der einzige
Verein, welcher für die Familie nicht bloß ohne Gefahr,
sondern voll Segen ist. Das betone ich immer mehr, je
krankhafter das Vereinswesen zu werden droht. Denn
auch gute Vereine entfremden oft junge Leute der Familie,
führen sie der Genußsucht in die Arme, auch gute Vereine
gewöhnen sie an späte Heimkehr, diesen Anfang und Anlaß
vielfachen Verderbens. Darum sage ich: Haltet doch fest
an dem durch den gemeinsamen Gottesdienst geheiligten
Familienverein.
Aber, denket ihr vielleicht, wie ist es denn möglich,
daß die ganze Familie dem Gottesdienste beiwohnen kann?
Nehmen wir zuerst jene Fälle aus, wo es wirklich un-
[287] möglich ist. Kleine Kinder können nicht gehen, ebenso
Kranke, Schwache, Arme, denen die nothwendigen Kleider
fehlen, solche, die gar zu weit von der Kirche entfernt
sind. Endlich muß in den meisten Familien jemand zu
Hause bleiben; aber diese sollen, wenn es möglich ist,
einem Frühgottesdienste beiwohnen.
Was nun wollen die andern vorbringen, um zu [Hause]
zu bleiben? Um dem Beispiele der hl. Familie nicht
nachzufolgen? ‘„Es ist mir unbequem. Ich muß früh
aufstehen, bin am Samstag abend müde, am Sonntag
morgen hab ich alle Hände voll Arbeit.“’ Gut, es ist
also unbequem. Aber betrachtet nur die hl. Familie. Für
die Reise braucht sie acht Tage; eine Woche bleibt sie
in Jerusalem, um das ganze Osterfest zu feiern. War
das bequem für die Mutter Gottes und das göttliche Kind?
Bequem für den hl. Joseph, der auf der weiten Reise
für beide zu sorgen hatte? ‘„Ich habe euch ein Beispiel
gegeben.“’ 15 Tage nicht bloß nicht arbeiten, sondern die
Kosten der Reise tragen, – war das bequem? Hätte
nicht die Mutter Gottes sagen können: ‘„Ich will das
Haus bewachen, euch bei der Heimkehr für die nothwendige
Erfrischung sorgen; ich bin ja ohnehin nicht verpflichtet
am Feste theilzunehmen.“’ Warum sprach und handelte die
makellose Jungfrau nicht so? Wie, christliche Mütter,
wollet ihr euch dies Beispiel zurecht legen?
Dürfet ihr euch am Sonntag von der Familie trennen,
ohne wichtigen Grund zu Hause bleiben? ‘„Aber ich
schicke die Kinder?“’ Der Knabe Jesus ging mit dem
hl. Joseph auch nach Jerusalem, blieb deßhalb seine
Mutter zurück? ‘„Aber ich wollte schon gehen, wenn nur
der Mann oder die größern Kinder mir am Sonntag
morgen [behilflich] wären.“’ Aber wenn dies vernachlässiget
wird, wenn der Vater oder die größern Kinder zu bequem
oder zu leichtsinnig geworden, wenn die größern Kinder
[288] den ganzen Morgen für ihre Trägheit oder ihre Eitelkeit
brauchen, wo ist dann noch die christliche Familie? Denn
wenn schon einzelne Glieder der Familie fleißig den
Gottesdienst besuchen, die andern denselben aber aus eigener
Schuld versäumen, so habet ihr wohl einzelne Christen,
aber noch lange keine christliche Familie. Daher werden
auch Einzelne selig werden – aber die ganze Familie
wird nicht zur hl. Familie in den Himmel gelangen.
Doch lassen wir das und betrachten wir lieber die
hl. Familie von Nazareth. Da sie also jedes Jahr 15 Tage
opferten, um die Osterfeier mitzumachen, mit welchem
Eifer wird sie den Sabbath gefeiert haben? Da war
keine Spur von Arbeit aber fleißiger Besuch der Syna-
goge, um zu beten und die Erklärung der hl. Schrift an-
zuhören.
Konnten Maria und Joseph zu Hause nicht das gött-
liche Kind anbeten? Es war ja in ihrer Mitte, nicht im
Tempel, nicht in der Synagoge. Warum also nicht zu
Hause anbeten oder in Gottes freier Natur? ‘„Ich habe
euch ein Beispiel gegeben.“’ Allerdings sollet ihr zu Hause
beten, wenn ihr den Gottesdienst nicht besuchen könnet;
wer aber aus Nachlässigkeit nicht in die Kirche geht, wird
auch zu Hause nicht beten. Ich könnte da auch noch
entwickeln, in welch' einfacher bescheidener Kleidung die
jungfräuliche Mutter im Hause Gottes erschien: allein
das würde doch nichts nützen; denn Personen, welche nur
der Hoffahrt wegen in die Kirche kommen, haben für
solche Wahrheiten ein viel zu kleines Gehirn, und die
andern haben das gar nicht nothwendig. Daher will ich
lieber einen andern Punkt aufgreifen.
Der Besuch des jüdischen Gottesdienstes war eine
beständige Demüthigung für Jesus, Maria und Joseph.
Warum? Der Knabe Jesus ist der wahre Sohn Gottes
und doch betet er im Tempel, als wäre er wie ein anderes
[289] Kind den Versuchungen ausgesetzt; Maria ist die makel-
lose Jungfrau und Mutter, der hl. Joseph ist ihr an
Heiligkeit ähnlich geworden, und doch beten sie beide im
Hause Gottes, als wären sie Sünder wie die übrigen
Menschen. Die ganze hl. Familie ist wie der Himmel
auf Erden und doch betet sie, als wäre sie voll Elend
und Sünde wie andere. Warum verlangt der himmlische
Vater dies außerordentliche Opfer der Selbstverläugnung
und Demuth? Damit die christliche Familie ihre Sonn-
tagspflicht genau und klar erkenne, aber auch gewissenhaft
erfülle. ‘„Ich habe euch ein Beispiel gegeben.“’ Und doch
wollen so viele Familien dies Beispiel nicht verstehen,
nicht befolgen, trotz des zeitlichen Elendes und trotz der
Verwüstungen der Sünde!
Großer Gott! Wie traurig werden so viele Familien
in der Ewigkeit auseinandergerissen, oder auch ganz in
den Abgründen verschwinden, mit Ausnahme der Kleinen,
welche in den Tagen der Unschuld zu sterben das Glück
hatten. Wenn aber durch deine Barmherzigkeit manche
vor dem Tode noch würdige Früchte der Buße bringen,
wie viel Unglück wohnt doch in solchen Häusern, und wie
geht dein Unsegen oft so tragisch von Geschlecht zu Ge-
schlecht, bis der letzte Sprößling im Unglück verschwindet!
Barmherziger Gott! Laß doch alle Familien das Ge-
heimniß deiner Familie wieder verstehen, wieder befolgen!
Habe doch Geduld mit vielen Familien, welche noch nicht
erkennen, was ihnen zum Frieden dient.
Warum denn nicht den Gottesdienst besuchen? Willst
du etwa sagen: Ich habe das Opfer der hl. Messe nicht
nothwendig, ich weiß schon lange, was in Predigt und
Christenlehre vorkommt. Gut, ich will dir noch vielmehr
zugeben. Du sollst ohne Versuchungen, ohne Gefahren
sein, rein, unbefleckt wie ein heute getauftes Kind, du sollst
alle Geheimnisse des Glaubens viel besser verstehen als
[290] der Papst, du sollst keine falschen und verschrobenen An-
sichten haben, wie dies bei Gebildeten und Ungebildeten
sonst nicht selten der Fall – und doch gehörst auch du mit
deiner Familie am Sonntag in die Kirche. Warum?
Ich begründe das nicht mit dem Kirchengebote, das uns
schwer verpflichtet, einer hl. Messe beizuwohnen, nicht mit
der gegenseitigen Erbauung – nicht mit dem Segen des
göttlichen Wortes – aber auf das Beispiel der hl. Familie
will ich einzig und allein hinweisen.
Wußten die Hohenpriester und Schriftgelehrten, daß
der Messias erschienen und aus der Jungfrau geboren
sei? Kaum verstanden sie die Weissagungen der Propheten,
deren Erfüllung war ihnen ganz unbekannt. Aber wer
wußte dies alles? Maria und Joseph – und doch hören
sie die Predigt der Priester! Und bei ihnen ist Christus,
die ewige Weisheit des Vaters und hört auf das Wort
armseliger Menschen. Wo ist ein Vater weise wie der
hl. Joseph? Wo eine Mutter gotterleuchtet wie Maria?
Wo ein Jüngling voll der Gnade und der Weisheit wie
der göttliche Knabe? Wo eine Familie, in welcher die
Weisheit, die Wahrheit, die Heiligkeit leibhaftig wohnt?
Zeiget mir eine solche, und auch diese hat dem Gottes-
dienste beizuwohnen, das Wort Gottes anzuhören. Da
können wir unmöglich vorbeikommen. Warum? Entweder
müssen wir die hl. Familie oder wenigstens ihre Bedeutung
für die christliche Familie leugnen, und dann sind wir
keine Christen mehr, oder wir müssen mit der katholischen
Kirche an diese hl. Familie glauben und ihrem Beispiele
gerne oder ungerne nachfolgen. Warum denn nicht?
Denn betrachtet nur in kurzen Zügen die Würde
und Auszeichnung, zu der wir berufen, von der aber so
viele gar nichts wissen wollen. Christus, die Sonne der
Gerechtigkeit, ist in der hl. Familie mit der ganzen Herr-
lichkeit des Himmels erschienen, und doch steht diese
[291] Familie im Tempel, um die matten Lichtstrahlen des
alten Bundes zu betrachten; Christus, das Lamm Gottes,
das blutige und unblutige Opfer der ganzen Welt, ist
mitten in der hl. [Familie] und doch nimmt diese Antheil
an den Opfern des alten Bundes! Und dann sollte es
für eine katholische Familie langweilig oder entehrend
sein, diese Himmelssonne im katholischen Tempel zu be-
trachten! Und dann sollte es für eine christliche Familie
langweilig oder gar eine Schande sein, das Lamm Gottes
auf unsern Altären anzubeten, es dem himmlischen Vater
voll Staunen und Ehrfurcht im Opfer der hl. Messe
darzubringen? Für die hl. [Familie] waren die Schatten
und Vorbilder des alten Bundes eine große Freude; aber
für die katholische Familie soll diese Mittagssonne des
Himmels mit all ihrer unbegreiflichen Herrlichkeit zur
Langweile werden – zum Eckel, zum Ueberdrusse! Wenn
dann solche Familien immer tiefer fallen, bis sie den
Glauben ganz verlieren, ist das nicht ein wohlverdientes
Strafgericht Gottes – und welche Vorbedeutung für die
Ewigkeit? –
Darum, christliche Väter, wende ich mich an euch:
Ist der Sonntag von eurer Familie bisan recht gefeiert
worden, so haltet daran fest mit unbeugsamer Strenge,
auch gegen erwachsene Söhne und Töchter. Wo aber die
Feier bisan ist vernachlässigt worden, da schaffet Ordnung.
Wo aber die Väter das nicht thun, sollen die Mütter
dafür einstehen; wo aber Vater und Mutter das vernach-
lässigen, da sollen Söhne und Töchter diesem verderblichen
Beispiele ja nicht folgen, sondern den Gottesdienst fleißig
besuchen und für die Bekehrung ihrer unglücklichen Eltern
beten – beten wie jenes fromme Kind, das auf den
Altar stieg, an die Thür des Tabernakels klopfte und
für seine schlechten Eltern den Heiland um Gnade und
Barmherzigkeit bat.
Zum Schlusse empfehle ich all euere Familien dem
Schutze des hl. Joseph, daß er in jeder Familie Haus-
vater sei. Ihr aber sollet das Beispiel der hl. Familie
immer vor Augen haben. Besuchet dabei fleißig den
Gottesdienst, so weit möglich familienweise, wenn das
nicht möglich, so besuche doch das eine oder andere den
Frühgottesdienst – und wenn auch das nicht möglich, so
saget es doch der ganzen Familie, um das Aergerniß zu
verhüten – und betet zu Hause um so mehr und um so
andächtiger. So habet ihr die seligste Hoffnung, unter
dem Schütze des hl. Joseph im Himmel einst das Wieder-
sehen zu feiern familienweise.
XXXI.
Familie und Prüfungen Gottes.
Auch von der hl. Familie gilt, was Christus den
Jüngern auf dem Wege nach Emaus sagte: ‘„Mußte nicht
Christus das leiden, so in seine Herrlichkeit einzugehen?“’
Denn nach den ewigen Planen Gottes sollte Christus der
Mann der Schmerzen werden, um für seine menschliche
Natur die Herrlichkeit des Himmels zu verdienen, für
unsere Sünden genug zu thun, uns ein Beispiel zu geben.
So mußte auch die hl. Familie leiden, um den
Himmel sich zu verdienen, um zu büßen für sündhafte
Familien, um der christlichen Familie in Kreuz und Leiden
ein Vorbild zu werden. Wie nämlich der einzelne Christ
seinem Gott und Erlöser das Kreuz nachzutragen hat, so
die christliche Familie der hl. Familie. Dieses Geheimniß
sollet ihr in den Geschicken der hl. Familie zu euerem
Heile immer besser verstehen. Zu diesem Zwecke behandle
[293] ich folgende zwei Wahrheiten: Seid ihr fromm, will euch
Gott durch beiden der hl. Familie ähnlicher machen, seid
ihr aber böse, will er euch zur hl. Familie zurückführen.
Die beiden der hl. Familie sind so bekannt, daß nur
wenige Andeutungen genügen. Denket zuerst an die
Armuth. Joseph, ein Nachkomme jener großen Könige
David und Salomon und doch ein Zimmermann, der
nicht durch andere ein großes Geschäft betreibt, sondern
selbst mühsam arbeitet, um das tägliche Brod zu verdienen.
Oder ist er durch die Verehelichung mit Maria wohl-
habend geworden? Kaum. Denn die nächsten Verwandten
in Bethlehem schämten sich ihrer Armuth und geben ihnen
nicht einmal den harten Boden ihres Hauses als Nacht-
lager. Und doch ist der Augenblick da, wo dies ärmste
Ehepaar durch den sichtbaren Besitz aller Reichthümer des
Himmels und der Erde in der Geburt des Sohnes Gottes
auf der Jungfrau beglückt werden soll.
Das Glück kommt und mit ihm eine größere Armuth.
Denn das Kind liegt in der Krippe. Wohl fühlt Maria
nicht die beiden und Schmerzen einer gewöhnlichen Mutter
und ihre Jungfräulichkeit leidet keinen Schaden, sondern
wird nur um so verklärter wie die Natur durch die auf-
steigende Sonne; aber dafür ist sie arm und verlassen und
verachtet wie nicht leicht eine andere Mutter. Oder wenn
ihr auch arm und geplagt seid, findet ihr in solchen Zeiten
nicht immer mitleidige Hilfe dieser oder jener Art? Nur
Maria und Joseph werden in ihrer Vaterstadt von Allen
abgewiesen und finden endlich Obdach in einem Stalle,
der ihrer Armuth sich nicht schämt und kein Geld von
ihnen verlangt.
Aber opfern die drei Könige nicht Gold, Weihrauch
und Myrrhen? Und doch besteht die Opfergabe bei der
Darstellung Jesu im Tempel auf einem Paar Tauben.
Bald darauf erscheint der Engel dem hl. Joseph
[294] mitten in der Nacht: ‘„Nimm das Kind und seine Mutter,
fliehe nach Aegypten; bleibe dort, bis ich es dir sage:
denn Herodes strebt dem Kinde nach dem Leben.“’ Welch'
ein Befehl? Nimm das Kind, nimm die Mutter, die
zarte Jungfrau; mitten in der Nacht brich auf, fliehe;
denn die Mörder sind schon bereit, das Kind zu morden.
Wohin. In ein Land, wo keine Freunde, sondern nur
Feinde der Juden. Wie lange dort bleiben? Auf un-
bestimmte Zeit. Und die Leiden der Flucht? Soweit
die Gegend bewohnt ist, muß die hl. Familie die Menschen
fliehen, um nicht in die Hände der Mörder zu fallen;
dann kommt die Wüste mit den unabsehbaren Sandflächen.
Aegypten ist erreicht, aber die Armuth bleibt. Ohne Ob-
dach, ohne Geld finden sie endlich das Nothwendigste durch
die Händerarbeit des hl. Joseph und die Milde guter
Menschen.
Ist es etwa später in Nazareth besser geworden?
Der göttliche Heiland war seinem Nährvater bei der
Arbeit behilflich. So ärgerten sich die Juden bei seinem
Auftreten; denn sie glaubten, ein Zimmermannssohn, der
wegen Armuth nicht die Prophetenschule besucht, sondern
in der Werkstatt gearbeitet habe, könne doch die heilige
Schrift nicht verstehen. Aber noch mehr! Warum stirbt
der hl. Joseph und wird die Mutter Gottes Wittwe?
Warum nimmt sie allein Antheil an den Leiden ihres gött-
lichen Sohnes bis unter das Kreuz? Warum überlebt
sie ihren Mann, ihren Sohn? Warum bleibt sie nach
der Himmelfahrt noch etwa 24 Jahre in diesem Jammer-
thale? Fraget doch nicht, wenigstens ihr nicht, christliche
Mütter. Denn, wenn auch schwere Prüfungen für ganze
Familien bestimmt sind, so kommen doch die größten
Schmerzen gewöhnlich über die Mutter. ‘„Ich habe euch
ein Beispiel gegeben.“’ Wer? Christus selbst durch die
hl. Familie. Wem? Allen christlichen Familien aller
[295] Zeiten. Wozu? Damit alle Familien der hl. Familie
durch Leiden ähnlicher werde.
Deshalb durchgehet nur alle Jahrhunderte, nirgends
findet ihr eine wahrhaft fromme Familie, welche nicht
auf dem Becher der Leiden getrunken und heute noch
trinkt. Jene Familien, deren Mütter in der Kirche als
Heilige verehrt werden, will ich nicht erwähnen, aber aus
dem Leben der hl. M. Anna von Jesu, die Lilie von
Quito genannt, ein rührendes Beispiel anführen. M. Anna,
von Pius IX. heilig gesprochen, hatte eine junge Nichte
Johanna Caso, welche ihr zur Erziehung übergeben wurde.
Diese machte in der Tugend so herrliche Fortschritte, daß
sie das Gelübde ewiger Jungfräulichkeit ablegen wollte.
Ihre Tante hielt sie davon ab mit der Versicherung, sie
sei für den Ehestand berufen. Wirklich verehelichte sie
sich mit einem durch Adel wie durch Frömmigkeit gleich
ausgezeichneten Mann. Gott schenkte ihnen fünf Kinder,
welche in Unschuld und Frömmigkeit aufwuchsen. Wie
ein Engel wachte Johanna über ihre Familie; sie war
immer durch Gebet mit Gott vereinigt, züchtigte ihren
Leib durch Fasten, Bußgürtel, Geiselstreiche. Gegen Arme
und Kranke hatte sie die wunderbarste Liebe. Hörte sie,
daß Reisende von Räubern erschlagen worden, wurde sie
zur Heldin, suchte die Leichen mit Lebensgefahr auf, sie
zu beerdigen.
Habet ihr da nicht jenes heilige, starke Weib, von
welchem der hl. Geist redet? Nicht eine Familie als
Abbild der hl. Familie? konnte je eine Haushaltung
würdiger sein, vor zeitlichem Unglücke bewahrt zu bleiben?
Und doch verliert ihr Vater bei Ausübung seines Amtes
sein Vermögen und befindet sich zuletzt im Kerker. Sie
leidet mit ihrer Familie große Verluste, und mitten in
allem Unglücke verliert sie ihre einzige Trösterin; denn
die Lilie von Quito wird in dem Himmel verpflanzt.
[296] Um noch größeren Gefahren zu entgehen und die Ver-
luste wieder gut zu machen, mußte sie sich auf das Land
begeben.
Mitten in so mannigfachem Unglücke machte Johanna
solche Fortschritte in der Vollkommenheit, daß sie den
Gatten inständig bat, mit ihren zwei Töchtern in ein
Kloster gehen zu dürfen. Natürlich folgte eine abschlägige
Antwort. ‘„Wohlan,“’ sprach sie prophetisch, ‘„du willst
mich nicht ziehen lassen: aber wisse, noch ein Kind werde
ich dir schenken und dabei sterben.“’ Gerade 33 Jahre
alt eilte sie mit ihrem blinde, das die Nothtaufe erhalten
hatte, in den Himmel. Welch ein Schlag für einen
jungen Mann und fünf Kinder, solch' eine Mutter und
Gattin zu verlieren.
Möget ihr also vor der Ehe fromm leben und dann
als christliche Eheleute gottselig wandeln, mögen euere
Kinder unschuldig sein, auch in den Tagen der reifern
Jugend: Heimsuchungen Gottes werden dennoch über euch
kommen und zwar zu euerm Heile. Denn desto glänzen-
der die Tugend wie die Krone, je mehr die Familie im
Glutofen der Leiden geprüft und gereinigt wird.
Oder wann betet ihr oft und viel und andächtig?
Zur Zeit der Leiden. Wann wendet ihr euch so recht
kindlich an Gott? Zur Zeit der Trübsal. Wo enfaltet
die Geduld ihre Größe? In Armuth und in Krankheit,
in Schmach und Verfolgung. Wer schlingt das Band der
Liebe fester um die Familienglieder? Unglück.
Darum, christliche Jugend, wandle in Unschuld vor
und während der Bekanntschaft, um in Reinheit des Leibes
und der Seele vor dem Altare zu erscheinen; denn nur
so werdet ihr in der Ehe leicht den Weg des Kreuzes
wandeln bis zur Verklärung im ewigen Vaterland.
Das ist die Lichtseite des Lebens, wo man auch im
Dunkel des Unglückes von Herrlichkeit zu Herrlichkeit
[297] wandelt im Lichte des Glaubens und am Stabe der Hoff-
nung auf den nahen Himmel; es gibt aber auch eine
Nachtseite, wo man in der Finsterniß der Sünde und der
Ausschweifungen schon vor der Ehe und nachher in der
Ehe sein Glück und Vergnügen sucht, und dem ewigen
Verderben gar oft familienweise entgegentaumelt. Um
nun solche Familien zur hl. Familie zurückzuführen und
für den Tag der Ewigkeit zu retten, läßt Gott in seiner
Barmherzigkeit über dieselben Leiden und Unglück herein-
brechen.
Wie frühzeitig und leichtfertig man Bekanntschaften
anknüpfe, beklagte ich schon oft. Es ist ja, als wären
wir auf der Welt, nicht um Gott zu dienen und selig zu
werden, sondern um Liebschaften zu unterhalten, in den
Ehestand zu treten und dabei nicht nach den Geboten
Gottes, sondern nach der Fleischeslust zu leben, als gäbe
es nach diesem Leben keine Rechenschaft und keine Ewig-
keit. ‘„Gut; denkst du vielleicht, wenn wir auch viel
sündigen, beichten wir doch wieder, wenigsten zur öster-
lichen Zeit.“’ Aber was beichtest du denn? Vielleicht
etwas Ungehorsam gegen die Eltern, etwas Zerstreuung
im Gebete, etwas Ungeduld, etwas Fluchen? Aber wo
bleibt deine sündhafte Bekanntschaft mit Allem, was drum
und dran hängt? Doch wenn du auch dies noch auf-
richtig bekennst, wo ist dein fester Vorsatz, diese Gelegen-
heit zur Sünde zu meiden? Was aber das für eine
Bedeutung habe, sagt dir der Erzengel Raphael in jenen
bekannten Worten an den jungen Tobias: ‘„Höre mich,
ich will dir diejenigen anzeigen, über welche der Teufel
Gewalt hat; über jene nämlich, welche so in den Ehestand
treten, daß sie Gott von sich und ihrem Herzen aus-
schließen und ihrer Wohllust also pflegen, wie Roß und
Maulthier, welche keinen Verstand haben; über diese hat
der Teufel Gewalt.“’ (Tob. VI 7.)
Beachtet wohl diese Worte. Durch jede schwere
Sünde schließen wir Gott von unserem Herzen aus. Wie
Viele thun das, bevor sie nur eine Bekanntschaft anfangen
können? Thun das durch Unzucht, Diebstahl, Vernach-
lässigung des Gottesdienstes, und stürzen sich gerade des-
wegen in abscheuliche Verhältnisse? Wenn dann solche
nach vielfältigem Mißbrauch der hl. Sakramente in den
Ehestand treten, mit dem Teufel als Begleiter, muß dann
nicht Unglück über Unglück kommen? Denn der Teufel
führt Elend herbei auf Haß gegen die Menschen, daß sie
Gott fluchen; Gott aber läßt das Unglück geschehen, da-
mit den verblendeten Familien die Augen wieder auf-
gehen. Doch setzet den tröstlichen Fall, solche Sünder
bekehren sich vor Eingehung der Ehe aufrichtig, haben sie
deswegen die zeitlichen Strafen schon abgebüßt? Bei
weitem nicht. Daher gilt denn jedes Wort: ‘„Wer vor
der Ehe Sünden säet, wird in der Ehe die Strafe ernten.“’
Oder, denkst du vielleicht, wenn auch über gottselige Ehe-
leute, die Gott nie schwer beleidigten, mannigfaches Unglück
hereinbricht, warum soll ich nicht nach meinen Gelüsten
leben. Ich kann ja den Drangsalen doch nicht zuvor-
kommen.
Zwei Herren bieten euch Arbeit an; der eine giebt
euch als Lohn Nahrung, Kleidung und noch Geld dazu,
der andere aber rein nichts: Gehet ihr nun zu diesem
zweiten, weil einmal gearbeitet sein muß? So einfältig
sind wir nicht. Aber wenn es sich um die Seele, um
die Ewigkeit handelt, dann werden Viele auf einmal wie
stumpfsinnig.
Sehet nur! Unglück kommt über fromme Eheleute
und ihre unschuldigen Kinder; das ist keine Zuchtruthe,
welche für die Bekehrung arbeitet, oder Schläge für frühere
Ausschweifungen austheilt. Daher ist diese Familie geduldig
wie die hl. Familie von Nazareth und verdient alle Tage
[299] eine unaussprechliche Herrlichkeit für den Himmel; ihr
Auge weint, aber ihr Herz ist voll göttlichen Trostes.
Aber jene Familie, wo die Eheleute die Jugend-
sünden als Aussteuer mit sich brachten, wo die Gebote
Gottes von Eltern und Kindern bis zur Stunde muth-
willig übertreten werden? – Auch sie ist im Unglücke;
auch sie leidet; aber für die Ewigkeit hat sie kein Ver-
dienst davon, so lange sie in Todsünden dahinlebt. Sie
leidet – und murrt gegen Gott und die Menschen: sie
leidet – und flucht und lästert – eines wirft die Schuld
auf das andere. Denn an das Unglück von Armuth oder
Elend oder Krankheit oder Schande hängt sich der Teufel
des Unfriedens. Oder ist es nicht vielfach so?
‘„Aber es gibt doch auch Familien, die nichts weniger
als ein Abbild der hl. Familie sind, und doch mit Reich-
thum und Glück gesegnet sind.“’ Ich weiß es nicht; aber
vor einigen Jahren traf ich sehr oft mit einem kranken
armen Familienvater zusammen, der bei einer sehr reichen
und scheinbar überglücklichen Familie Knecht gewesen war.
Was sagte dieser? ‘„Wenn ich schon die Reichthümer
jenes Hauses haben könnte, aber das Elend, welches darin
verborgen ist, mitnehmen müßte, ich wollte nichts davon
wissen.“’
Wenn ihr also in den Familien Unglück habet,
fraget euch heute: Welche Jugend, welche Bekanntschaft
ging der Ehe voraus? Habe ich vor Eingehung der
Ehe wirklich aufrichtig und reumüthig gebeichtet? Oder
ist dies Unglück der Gnadenruf Gottes, aus der fernen
Gegend endlich wie der verlorene Sohn reumüthig zum
Vater heimzukehren? – Wem gelten diese Wahrheiten?
Aber noch weiter müssen wir gehen. Denn an die
Sünden der Jugend und der Bekanntschaften reihen sich
gar häufig die Sünden der Ehe, und da muß Gott
doppeltes Unglück senden, wenn die christliche Ordnung
[300] in der Familie wieder hergestellt werden soll. Wenn
nun auch jede Todsünde dem Zorne Gottes ruft, wenn
besonders die Vernachlässigung der christlichen Erziehung
und die Gleichgültigkeit in der Bewachung kleiner und
erwachsener Kinder für Eltern und Kinder zur grau-
samen Zuchtruthe wird, so gibt es doch gewisse Sünden,
welchen Gott zeitliches Unglück ganz besonders angedroht
hat. Dahin gehört die Sonntagsentheiligung durch Arbeit,
durch Vernachlässigung des Gottesdienstes, durch Genuß-
sucht, durch Sünden aller Art. Denn beherziget nur,
was Gott schon durch den Propheten Jeremias (XVII 27)
androht: ‘„Wenn ihr nicht auf mich höret, daß ihr den
Sabbath heiliget, so will ich ein Feuer in Jerusalem
anzünden, das die Häuser fressen und nicht löschen soll“’
Warum nicht die ‘„Stadt“’, sondern die ‘„Häuser“’?
Gott droht zunächst den einzelnen Familien. Wie er
nämlich ganze Völker bis zur Vernichtung züchtiget, daß
sie den Sabbath wieder halten – ein trauriges Beispiel
haben wir heute an Frankreich – so die einzelnen
Familien, bis sie verderben oder zur hl. Familie zurück-
kehren.
Da nun fraget euch: Wie steht es mit der Arbeit
am Sonntage und mit dem Besuche des Gottesdienstes?
Scheint dir etwa Trägheit, Bequemlichkeit, Wirthshaus-
und Vereinsleben in der Nacht auf den Sonntag Grund
genug, nicht vor dem Altare Gottes zu erscheinen? Wie
Viele haben eine gründliche, einschneidende Predigt noth-
wendig, bleiben dennoch gleichgültig ferne und versimpeln
und versinken so immer trauriger und verhängnißvoller?
Wenn ferner die Genußsucht den Sonntag nicht noch weit
mehr entheiliget, wem haben wir das zu verdanken?
Wahrlich nicht dem guten Willen so vieler, sondern der
Verdienstlosigkeit, dem Elende, der Armuth. Und diese
müssen noch größer werden, bis manche Familien den
[301] Weg zur hl. Familie wiederfinden. Denn so lange bei
dieser Verdienstlosigkeit, bei diesen Aussichten in die Zu-
kunft der Sonntag Vielen nur der Genußsucht zu dienen
hat, was würde geschehen, wenn die Noth weniger drückend,
die Zukunft nicht so düster wäre?
Anstatt deshalb zu klagen und zu murren über
schlimme Zeiten, fragen wir uns ernstlich: Sind wir
nicht selbst daran schuld? Waren nicht gewinnreiche
Beschäftigungen nur zu oft Gelegenheit zur Jugend-
verführung, zu traurigen Bekanntschaften und Ehen, zum
Ehebruch, zu Ausschreitungen aller Art? Es gibt eine
Nemesis, sagten die alten Heiden, im Lichte der Vernunft,
d. h. christlich gesprochen: Gott entfaltet die Strenge
seiner Gerechtigkeit schon auf dieser Welt, um verlorene
Söhne und Familien wieder heimwärts zu führen und
die Auserwählten vor Verführung zu bewähren. Zu
diesem Zwecke braucht er nicht Wunder zu wirken,
sondern ein hochmüthiges Geschlecht nur sich selbst zu
überlassen. Daher gilt wie im Leben des einzelnen, so
im Leben der Familie und der Völker das bekannte
Sprüchwort: ‘„Womit man sündiget, damit wird man
bestraft.“’
Wohl spötteln gar Viele über diese Wahrheiten, aber
desto nothwendiger ist es geworden, dieselben eindring-
licher zu verkünden, daß sie nicht allgemein vergessen und
damit die Schleußen des Verderbens nicht breiter geöffnet
werden.
Fraget daher bei jedem Familienunglück; Sind wir
nicht selbst daran schuld? Riefen nicht unsere Sünden
dem Zorne Gottes? Wie lebten wir vor der Ehe?
Versündigten wir uns nicht schwer gegen die Eltern?
Wie leben wir in der Ehe? Wie heiligen wir die Tage
des Herrn? Tragen wir durch unsere Sorglosigkeit nicht
die Hauptschuld an der Sünde und Schande der Söhne
[302] und Töchter? Halten wir dir eheliche Treue? Besitzen
wir kein ungerechtes Gut? Haben wir nie Arbeiter und
Dienstboten hart behandelt, ihnen den Lohn herabgedrückt?
So und ähnlich fraget euch: aber machet einander keine
Vorwürfe, wenn ihr euch schuldig findet, sondern kehret
in Reue und Buße zur hl. Familie zurück, reumüthig und
demüthig – und Gott wird euch gnädig und barmherzig
sein. Findet ihr euch aber unschuldig, so vergesset nicht
das Wort: Mußte nicht Christus das leiden und so in
seine Herrlichkeit eingehen? Mußte nicht die hl. Familie
das leiden und so in ihre Herrlichkeit eingehen?
Darum, mein göttlicher Heiland, durch die Fürbitte
von Maria und Joseph erhalte doch alle wahrhaft christ-
lichen Familien in deiner Gnade, daß sie durch Geduld
in Leiden deiner Familie immer ähnlicher werden. O
mein Jesu, laß doch dein Leiden und Sterben an schlechten
Familien nicht verloren gehen, sondern durch die Fürbitte
von Maria und Joseph leite sie im Unglücke derart, daß
sie deine hl. Familie wiederfinden. Jesus, Maria und
Joseph seid doch mit uns Allen, daß wir Alle in den
Leiden dieser Welt würdige Früchte der Buße bringen,
uns Verdienste für den Himmel sammeln und so würdig
werden, in euerer Gesellschaft ewig glückselig zu sein.
XXXII.
Erziehung und Familienfreuden.
Die Freude hat für das Glück der Familie und für
die Erziehung eine ganz außerordentliche Bedeutung. Des-
wegen will ich über diesen Gegenstand etwas sagen und
zwar an der Hand des hl. Paulus, der also mahnt:
[303]‘„Freuet euch allezeit im Herrn und euere Bescheidenheit
sei allen Menschen offenbar.“’ (Phil. IV. 5). In diesen
Worten ist so ziemlich alles enthalten nämlich, daß man
1. sich freuen darf und soll, 2. aber auch die Art und
Weise dieser Freude.
Was ist denn Freude? Denn um etwas zu verstehen,
müssen wir klare und bestimmte Begriffe davon haben.
Was ist also Freude? Der Jubel der Seele über ein
gegenwärtiges Gut, das sie besitzt und genießt. So er-
klärten schon die Philosophen Griechenlands und nach
ihnen der Engel der Schule die Freude. So jubelten
Zacharias und Elisabeth über den Besitz des vom Engel
verheißenen Wunderknaben und über die wiedererlangte
Sprache. Aus diesem Begriff der Freuden ist klar, daß
sie ganz besonders Eigenthum der Kinder und der Jugend
ist. Denn die schweren Sorgen des Lebens und das Un-
glück der Sünde ist diesen in der Regel noch fremd.
Aber freut sich denn die Jugend nicht gar oft an
traurigen Ausschweifungen? Ich kann diese Freude nur
mit dem Jubel jenes Bettlers vergleichen, der im Irrsinn
an seiner vermeintlichen Königswürde sich freut. So ist
auch der Sünder, ob jung oder alt, nur um so trauriger
bestellt, je mehr er sich in seinen Ausschweifungen belustiget.
Ja belustiget. Denn ich will das edle Wort ‘„sich freuen“’
nicht mißbrauchet, wo das Wort sich belustigen um so
besser paßt, als es mit Lust verwandt ist und die Sünder
selbst sagen ‘„es war lustig“’ – und manche ihre Sünde
mit dem Ausdrucke entschuldigen ‘„ich bin eben lustig.“’
So geb' ich dem griechischen Weltweisen Demokrit
Recht, wenn er sagt: ‘„Wenn das Herz der Kleinen 100
Thore hätte wie Theben, so lasset die Freude herein zu
allen 100 Thoren, damit sie aus dem Garten der Jugend
recht viel Gutes mit sich nehmen in das Ackerfeld männ-
licher Thätigkeit und damit, wenn die Haare sich dunkler
[304] färben, nicht auch der heiterer Sinn sich trübe und
schwärze.“’ Nach diesem Grundsatze dürfen wir um so ge-
troster handeln, als auch der hl. Geist denselben lehrt mit
den Worten: ‘„Freue dich in deiner Jugend, und wohl-
gemuth sei dein Herz in deinen jungen Tagen, denn die
Freude im Herrn ist ja unsere Stärke und die Heiterkeit
des Herzens ein unerschöpflicher Schatz der Heiligkeit
(Ecc. XI. 95).“’ In diesem Punkte sind wir wohl alle einig,
aber sobald wir auf die Art und Weise der Freude kommen,
beginnen auch die Schwierigkeiten.
Die Grundregeln giebt uns der hl. Geist in den
Worten: ‘„Euere Bescheidenheit sei allen Menschen offen-
bar.“’ Er fordert zur Freude auf, knüpfte aber daran
die Bedingungen der Bescheidenheit. Worin besteht diese?
Nach dem hl. Thomas und den alten Philosophen darin,
daß wir in allem das richtige Maaß halten, wie es Sitte
und Gewohnheit und die Würde des Menschen, wie es
das Gesetz Gottes und unsere Verhältnisse verlangen.
(I. II. III. q. 160).
Daher habet ihr vor allem zu sorgen, daß die
Freuden auf kluge Weise beschränkt werden und besonders
die Kinder an Kleinigkeiten sich freuen Denn je beschei-
dener das Freudenmaß desto glücklicher und froher die
Kinderwelt und die Jugend. Um aber von diesen allge-
meinen Grundsätzen mehr zum einzelnen herabzusteigen,
muß ich vor allem folgendes bemerken. Lasset Kinder nie
an Freuden theilnehmen, welche nur Erwachsenen zu-
kommen. Dahin gehören [größere] Reisen und Ausflüge,
der Besuch weltlicher Feste, welche nicht gerade am Wohn-
orte abgehalten werden, dahin gehören Tanz, Hochzeits-
feste, Theater, im allgemeinen der Besuch der Wirths-
häuser. Warum? Wenn nämlich die Kinder schon die
Freuden der Erwachsenen genießen; welche Ansprüche
werden sie im reiferen Alter machen? Ich rede da gar
[305] nicht von Reden, welche oft Sitte und Anstand verletzen,
von Handlungen, welche für Kinder Aergernisse sind, von
Kleidungen, welche die Kinder reizen, sondern nur von
der Sinnlichkeit, welche über die Reife des Alters gepflegt
und aufgeregt wird; von der Einfalt, die verloren geht,
von der Sittsamkeit, die verletzt wird. Solche Freuden
sind für Knaben verderblich, für Mädchen geradezu ver-
hängnißvoll.
Machet also den Kindern Freude, aber wie es ihrem
Alter ziemt, machet ihnen Freude aber nur im Hause,
nur in der Familie. Das ist die goldene Regel, alles
andere nur eine äußerst seltene und nothwendige Ausnahme
– wenn es überhaupt eine Ausnahme geben darf. Man
klagt so viel über Abnahme des Familiensinnes, über die
Auflösung der Familie, über das Verschwinden der Haus-
freuden. Wie weit dies Uebel um sich gegriffen krebs-
artig, wollen wir nicht untersuchen, aber nach den Ursachen
und den Heilmitteln dieser Krankheit forschen.
Sorget also vor allem, daß euere Kinder von zarter
Kindheit an die Familie lieb gewinnen. Da nun kommen
jene Lehren in Anwendung, welche ich seiner Zeit bei
der Behandlung der Liebe in der Erziehung entwickelt
habe. Ihr müßt euere Kinder wahrhaft lieben, damit sie
euch lieben: ihr müsset ihnen die Familie angenehm machen,
damit sie dieselbe lieb gewinnen; ihr sollet die Geschwister-
liebe pflegen, damit die Kinder miteinander sich freuen.
So werden sie im Vaterhaus ihre Freude finden und
damit zufrieden sein.
Aber christliche Eltern, ihr sollet auch mit dem Bei-
spiele vorausgehen. Hiemit komme ich auf einen Punkt,
welcher das Nachdenken aller ernsten um das Familien-
wohl besorgter Männer verdient. Wenn der hl. Paulus
nicht sagte, man habe die Wahrheit, auch wenn sie unge-
legen komme, dennoch zu vekündern, so würde ich schweigen.
[306] Denn was ich zu sagen habe, wird wohl nicht allen ge-
nehm sein.
Was denn? Wohl ist der Vater hie und da ge-
zwungen, eine Freude außerhalb der Familie zu genießen;
aber das wird auch nicht schaden. Aber wenn er glaubt,
er müsse täglich im Wirthshaus sitzen, oder es sei nicht
Sonntag, wenn er nicht spät heimkommt, oder ohne ihn
könne kein Fest gehalten werden; wenn vielleicht die Frau
auch alles mitmacht, ihre Freuden außer dem Hause sucht,
die Kinder Tag und Nacht der Magd überläßt – und
dabei vielleicht Mitglied des Müttervereins ist – wundert
ihr euch, wenn die Kinder von Familienfreuden keine
Ahnung haben? Aber noch mehr. Es giebt viele gute
Vereine, deren Zweck an und für sich sehr zu loben; aber
vergesset nicht, auch die besten Vereine sind in der Regel
eine Gefahr für die Familie. Von den schlechten rede ich
nicht einmal, auch nicht von jenen, welche ihre Versamm-
lungen in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag
halten – also nur eines. Diese Vereine haben im
Winter etwa eine Abend- oder besser Nachtunterhaltung
– im Sommer ihre Ausflüge; dazu werden die Ehren-
mitglieder mit ihren Angehörigen eingeladen. Der Vater
geht, nimmt seine Frau oder größern Söhne und Töchter
mit sich – oder diese alle und läßt die Kleinern zu Hause
– und weil er Ehrenmitglied von verschiedenen Vereinen
ist – muß er eben um Niemanden zu beleidigen, oft
gehen; – dann wird zu Hause erzählt, wie schön, wie
unterhaltend es war: – Und dann, und dann wundert
man sich noch, – wenn schon die Kleinen die Freuden
überall suchen, und wenn der reifen Jugend das Vater-
haus wie zum Kerker geworden!
Oder willst du sagen, bei dieser Zeitströmung sei
das nicht zu ändern? Aber sind wir denn verurtheilt,
an der Auflösung der Familie mit eigener Hand zu arbeiten!
[307] Unter dem Scheine des Guten Unheil zu stiften? Das
wäre ja eine Lästerung auf die Vorsehung. Also muß
sich das ändern lassen; aber nicht nur viel Männermuth,
sondern auch viel Gnade von oben ist dazu nothwendig.
Doch genug hievon, um noch andere wichtige Punkte zu
berühren.
Wie viele Anlässe habet ihr, um den Kindern in
euerm Hause besondere Freuden zu bereiten? Es ist
Namenstag von Vater oder Mutter. Feiert denselben in
der Familie; es kommt das Fest des hl. Nikolaus; lasset
ihn euern Kindern Geschenke bringen: oder wo diese Sitte
voll Poesie verschwunden, so feiert Weihnachten mit dem
Christbaum – aber in der Familie. Wie sehr ich
da überhaupt eine zeitgemäße Wahrheit behandle, bezeugen
die protestantischen Stimmen aus Basel, welche den ge-
meinsamen Weihnachtsbaum der armen Kinder verwerfen
und verlangen, daß man die Gaben deren Eltern gebe
für eine Familienfreude, für ein Familienfest. Es giebt
gewisse Gefahren, ich möchte sagen – wie Schlangen
unter Blumen, welche vorurtheilsfreie Männer aller Reli-
gionen wie heransfühlen, und auch den Muth haben zu
verkünden, obwohl sie für den Augenblick vielleicht nur
ein mitleidvolles Lächeln als Anerkennung finden. Was
liegt daran? Mit der Zeit siegt doch die Wahrheit; aber
vorher kann, leider Gott, noch vieles zu Grunde gehen.
Also freuet euch in der Familie mit einander. Sind
die Kleinen damit nicht zufrieden, so ist es schon gefehlt,
murren die Größern, so sind sie schon verdorben, oder in
[äußerster] Gefahr, es zu werden. Wenn ihr daher euern
Kindern eine Freude versprechet, so sei es regelmäßig eine
Familienfreude, wo alle beieinander sind, sei es im Hause
oder in Gottes freier Natur.
Damit aber euere Bescheidenheit allen Menschen
offenbar werde, sind noch verschiedene Umstände zu berück-
[308] sichtigen. Dahin gehören die Vermögensverhältnisse. Seid
ihr arm, freuet euch wie es sich Armen ziemt: habet ihr
einige Franken, so gehören sie nicht der Freude, sondern
den nothwendigen Bedürfnissen, habet ihr Vermögen, sollen
eure Kinder das Elend der Armen nicht vergessen, sind
Mißjahre und verdienstarme Zeiten, so gestattet den
Kindern weniger Freude. Warum? Denn Gott selbst
schränkt ja die Freude ein. Die ganze Kunst aber zu
leben und zu erziehen besteht darin, daß wir die Absicht
Gottes verstehen und darnach handeln.
Endlich dürfet ihr auch die jeweilige Lage der
Kirche nicht vergessen: sie bildet ja mit dem hl. Vater
an der Spitze die große Volksfamilie Gottes. Mit dem
kranken Familienvater trauert die ganze Familie; ist ein
Kind unglücklich, trauern die Geschwister mit ihm. In
dieser Beziehung christliche Eltern, wirket auf eure Kinder
durch Wort und Beispiel. Durch euer Beispiel, indem ihr
in dieser Zeit ernster seid und euch diese und jene Freude
versaget; durch euer Wort, indem ihr euern Kindern
von der unglücklichen Lage des hl. Vaters, von der Ver-
folgung der Kirche, vom Elend der Heidenkinder erzählet
und sie auffordert, einer Freude zu entsagen, um dort zu
helfen, wo die Noth am größten.
Aber die Kleinen verstehen das nicht? Freilich, eben
so gut wie Pius IX. als kleines Kind es verstand, als
Pius VI. im Kerker war. Es ist nur eine Mutter noth-
wendig wie er eine hatte. Aber das paßt nicht für die
Kleinen? Wir wollen ihren Frohsinn nicht stören? Aber
wenn 6–8 jährige Kinder beim Unglück ihrer Eltern wie
bei deren Glücke jubeln, werdet ihr das in Ordnung finden?
Da nun wende ich mich besonders an euch christliche
Jünglinge und Jungfrauen. Auch ihr sollet euch freuen;
aber auch euere Bescheidenheit sei offenbar allen Menschen
und zwar nicht jene Bescheidenheit, welche fruchtbare Jahre
[309] und das Glück der Kirche erlaubt, sondern jene Beschei-
denheit, welche die ärmliche Lage und die Trauer der
Kirche verlangt. Denn ihr seid Kinder der Braut Christi,
jener Mutter, welche heute nicht für die Ruhe ihres Da-
seins, sondern gleichsam für die Erhaltung ihres Lebens zu
kämpfen hat. Freilich müsset ihr kein Trauergewand bereit
halten, um ihre Leiche zum Friedhof zu begleiten; denn
in der Würde ihres Alters und in der Kraft ihrer Jugend
überlebt sie die Stürme der Jahrtausende; aber frohlocken
dürfet ihr auch nicht, wenn sie weint, nicht jubeln, wenn
sie trauert, noch viel weniger lustig sein, wenn sie aus
1000 Wunden blutet. Wenn in dieser Beziehung vielleicht
manches zu wünschen übrig bleibt, so trägt daran eine
große Schuld, ich weiß nicht ob eine gewisse Furcht oder
Klugheit oder Berechnung oder Unwissenheit, in Folge
deren die wahre Lage des hl. Vaters, die bodenlose Ver-
worfenheit der italienischen Revolution bei uns in Wort
und Schrift ziemlich armselig oder auch gar nicht behandelt
wird. –
Doch sei dem wie wolle, christliche Jugend, für die
Freude bist du geboren, aber beherzige in welcher Zeit.
An Moses habet ihr ein Beispiel (Heb. XI. 24–28).
Moses von seiner Mutter am Ufer des Nils ausgesetzt,
von der Königstochter aufgefunden, wurde nicht nach dem
Befehl des Königs getödtet, sondern am Hofe auferzogen.
‘„Als er groß geworden, verneinte er im Glauben, daß
er der Sohn der Tochter des Pharao sei und wollte lieber
mit dem Volke Gottes Drangsal leiden als zeitliche
Freuden der Sünde haben; für größern Reichthum als
die Schätze Aegyptens hielt er die Schmach Christi; denn
er sah auf die Schmach Christi.“’ Wenn auch diese Worte
des hl. Paulus für unsere Zeit eine vielseitige Bedeutung
haben, so will ich sie doch nur aus unsern Gegenstand be-
ziehen. Moses am Hof des Königs, das Volk in Knecht-
[310] schaft, er in Freuden, seine Brüder in Elend. Weil er
an Gott und dessen Verheißungen glaubt, bekennt er offen,
daß er kein Sohn der Tochter Pharaos, sondern des vom
König so hartbedrängten Volkes sei. Mit diesem Volke
will er lieber leiden, als bei dessen Feinden sich freuen.
Die Schmach Christi war ihm ein größerer Reichthum
als alle Schätze Aegyptens. Wer war dieser Christus?
Das Volk Israel als Vorbild Christi, der auch einige
Zeit verbannt in Aegypten lebte.
Wir nun haben nicht das Vorbild Christi, sondern
die Braut Christi und diese unsere Mutter weint in Aegypten
bedruckt und geknechtet und geschlagen, ihr Pharao ist die
Revolution. Wohlan christliche Jugend, – rührt dich
nicht Moses' Beispiel? Willst du nicht wenigstens die
Freuden der Sünden meiden? Während deine Mutter
um dein Gebet bittet, kannst du durch deine Belustigungen
dem Zorn Gottes rufen? Während Jesus Christus in
der Person seines Statthalters, beraubt und ausgeplündert
und verhöhnt, dich um ein Almosen bittet, kannst du dein
Geld an die traurigen Freuden der Eitelkeit und der
Ausschweifungen, an Mitgenossen der Sünde werfen? –
Oder – im Vorbeigehen gesagt – bezahlst du mit teurem
Gelde eine Zeitung, welche im Chor der Revolution gegen
die Braut Christi bald fein, bald grob mitlästert? Oder
hilfst du einem solchen Reformblatt sonst auf eine Weise?
Mir kommt es vor, als gehe klare tiefe Einsicht und
männliche Thatkraft und grundsätzliche Entschiedenheit
immer mehr verloren. Doch ich will bei der Sache
bleiben.
Also christliche Jugend, deine Freude sei jetzt mit
der Kirche, deiner Mutter zu trauern, wie Moses mit
seinem Volke duldete. Versparet euern Jubel auf jenen
Tag, wo die Braut Christi aus Aegypten zieht und dem
Statthalter Christi die Ketten fallen, und Pharao mit
seiner Reiterei im roten Meere versinkt wie ein Felsblock.
Euere Bescheidenheit sei allen Menschen offenbar.
Denn betrachtet nur noch, was der hl. Geist schon im
alten Bunde lehrt: ‘„Freue dich Jüngling in deiner Jugend
und laße dein Herz guter Dinge sein; aber wisse, daß
Gott dich über all' das vor sein Gericht ziehen wird.
(Prediger XI. 9) Wenn ihr euch freuet über das Böse
und über die ärgsten Dinge frohlockt (prov. II.) wird
Gott in den Städten Judas und in den Straßen Jeru-
salems die Stimme der Freude und des Jubels ver-
stummen machen.“’
Also guter Dinge sein, sich freuen in den Tagen
der Kindheit! Verschaffet euern Kindern diese Freuden
in euerer Familie, aber wie es euere Verhältnisse [erstatten]
und die Lage der Kirche erlaubt. Saget ihnen, Gott
werde sie einst über all' das vor sein Gericht ziehen.
Also Freude – guter Dinge sein – christliche
Jugend – aber nicht vergessen, es kommt auch hierüber
das Gericht. Also Freude aber nie über das Böse, nie
über die ärgsten Dinge, sonst kommt nicht bloß das
schreckliche Gericht nach dem Tode, sondern Gott wird
jetzt schon die Stimme des Jubels verstummen machen
in den Städten Judas, in den Straßen Jerusalems.
Wie oft erlebten wir das schon, wenn nicht in eigener
Person doch im Jammer der Mitmenschen? Wenn so
ein Krieg irgendwo ausbrach, wo Väter und Söhne unter
einem Thränenstrom von Gattin und Mutter und Schwester
und Braut sich trennten, Dörfer und Städte trauerten
und weinten und mit Todesangst von Schlachten hörten,
ungewiß über das Los der Ihrigen und erst das
Land, wo die Heeresmassen mit Kanonendonner sich be-
grüßten, und auf den Schlachtfeldern bei 30, 40 und noch
mehr Tausenden von Toten und Verwundeten herum-
lagen; verwüstet die Fluren, in Flammen die Dörfer,
auf der Flucht die Familien, Städte ringsum eingeschlossen,
[312] mitten im Kugelregen, von Brandsäulen bedroht – oder
wenn die Cholera da und dort mit allen Schrecken
der Verwüstung einzog! Ich will verstummen machen die
Stimme der Freude in den Städten Judas und in den
Straßen Jerusalems.
Und im Privatleben? wie manche erfahren das Ge-
richt Gottes? Vielleicht hören mich solche, welche in
ihrer Jugend am Bösen sich freuten, über die ärgsten
Dinge frohlockten – jetzt leben sie vielleicht in unglück-
licher Ehe, in Streit und Zank – in Armuth und Elend
– oder schleppen ihre Tage in Armuth und Krankheit
und Siechthum dahin.
Deßhalb rufe ich euch zu: Freuet euch im Herrn
allezeit und euere Bescheidenheit sei allen Menschen offen-
bar; so wird der Friede Gottes, der allen Begriff über-
steigt, euere Herzen beschirmen und euern Sinn in Christo
Jesu.
XXXIII.
Geschwisterliebe
Da tausenderlei Uebelstände an der Auflösung der
Familie arbeiten, ist es nothwendig, auf all' das hinzu-
weisen, was Gott zu deren Rettung und Erhaltung so
väterlich bestimmt hat. Hiezu gehören die Kinder, welche
als Brüder und Schwester friedlich zusammen wohnen
und einander Ehrfurcht und Liebe schuldig sind.
Von dieser gegenseitigen Ehrfurcht und Liebe der Ge-
schwister will ich heute einiges sagen und ihr möget selbst
urtheilen, welche Bedeutung das für eine Familie hat.
Was nun zuerst die Ehrfurcht betrifft, so lehrt schon
jener große hl. Thomas von Aquin (II. II. q. 154 art. 9)
[313] daß die Verwandten überhaupt einander Ehrfurcht
schuldig sind. Je näher die Verwandtschaft, desto größer
soll die Ehrfurcht sein. Welch' heilige Scheu sollen
daher Geschwister vor einander haben? Denn ihr seid
Ebenbilder und Kinder Gottes und dazu noch sozusagen
das gleiche Fleisch und Blut. Was verlangt diese Ehr-
furcht? Meidet alles, was die hl. Scheu irgendwie ver-
letzen könnte. Freilich haben in den Tagen der Schmerzen
Geschwister einander zu verpflegen; aber in den Tagen
der Gesundheit sollet ihr in hl. Scheu alles Unanständige
vor einander meiden, daß euer Wort, euere Kleidung,
euer Blick, euere Handlungen bescheiden und sittsam seien.
Damit aber die Kinder in dieser Ehrfurcht aufwachsen,
sorget auch ihr dafür, christliche Eltern. – Wie sind die
Kleineren gekleidet, wenn sie am Morgen in die Stube
kommen? Wie werden sie am Abend zu Bette gebracht?
Wer schläft in der gleichen Kammer oder im gleichen
Bette? Vergesset ja nicht, die Sorglosigkeit der Eltern
ist häufiger als man glaubt die Ursache des sittlichen
Unglückes der Kinder.
Aber, denkst du, was liegt daran, wenn wir zu Hause
in diesem Punkte nicht so ängstlich sind? Was daran
liegt? Die gegenseitige Ehrfurcht wird verletzt. Was
daran liegt? Bald wird aus dem Familienkreise die
Scham verloren gehen. Wenn ihr aber in dieser Ehr-
furcht vor einander aufwachset und mit einander lebet,
wird das Schamgefühl so zart gebildet, daß ihr auch vor
Anderen nie etwas Unanständiges zulasset und bei allen
Versuchungen wieder rein in die Familie zurückkehrt, um
in der gegenseitigen Ehrfurcht wieder neue Kraft für
neue Kämpfe zu finden.
Aber, denket ihr vielleicht, in welcher Verbindung
steht denn diese Ehrfurcht mit der gegenseitigen Sittsam-
keit? Schon jener große Kirchenlehrer, der hl. Thomas
[314] hat uns die Antwort auf diese Frage gegeben. Die Un-
zucht, sagt er, ist unter Verwandten eine viel größere
Sünde als zwischen Nichtverwandten. Warum? Der
natürlichen Ehrfurcht wegen, die sie sich gegenseitig schuldig
sind. Wenn aber die schuldige Ehrfurcht gerade diese
Sünde besonders verabscheut und flieht, so verlangt sie
von der andern Seite nothwendig die Verklärung zarter
Scham und Sittsamkeit. So war es, wie Valerius Maxi-
mus berichtet (II. II. q. 154 art. 9) bei den alten Heiden
nicht gestattet, daß Vater und Sohn miteinander baden.
Also regt sich auch in einem verkommenen Geschlechte
immer noch der Adel der Natur, und was Gotteshand
in das Menschenherz geschrieben, kann nie vollkommen
von der Leidenschaft ausgewischt werden. Denn wie nur
der Tote nicht mehr athmet, so hat auch nur der Ver-
dammte keine edle Regung mehr.
Die hl. Schrift erzählt auf ihren ersten Blättern ein
eigenthümliches Beispiel (Gen. c. IX. 21 sq). Als Noe von
der ihm noch unbekannten Kraft des Weines übermannt in
seiner Hütte emblößt lag, sah ihn sein Sohn Cham und
er vergaß so sehr der schuldigen Ehrfurcht, daß er ihn
nicht bloß nicht zudeckte, sondern die Sache seinen Brüdern
meldete. Diese voll zarter Ehrsucht legten einen Mantel
auf ihre Schultern, gingen rücklings hin, und deckten
ihren Vater zu. Als dieser vom Weine erwachte, und das
Geschehene vernahm, sprach er empört den Fluch über
Cham – und den Segen über Sem und Japhet. Wohl
handelt es sich hier zunächst um die Ehrfurcht der Kinder
vor den Eltern; aber bemerkt der hl. Thomas (ib.) die
gleiche Ehrfurcht schulden wir jenen, welche von den
gleichen Eltern ihren nahen Ursprung haben. Also ist
das vor allem die heiligste Pflicht der Geschwister.
Deßhalb, christliche Eltern, gebet wohl acht, was ihr
vor euern Kindern thut und redet, und ihr, die ihr Ge-
[315] schwister seid, vergesset nie, was ihr den Kleinen und
euch selbst schuldig seid. Doch diese Andeutungen sollen
genügen, daß ihr die tiefe Bedeutung dieses Gegenstandes
recht versteht, und selbst mancherlei Schlüsse und Folge-
rungen daraus ziehet. Denn nur dann, wenn ihr nicht
bloß zuhöret, sondern den Gedankengang verfolget, die
Wahrheiten betrachtet, daraus Schlüsse zieht, fällt der
Same des göttlichen Wortes nicht auf steinichten Grund,
sondern in tiefe gute Erde, um hundertfältige Frucht zu
bringen.
Habet also Ehrfurcht vor einander und liebet ein-
ander! Liebet einander, Brüder, Schwestern, liebet einander!
Wer ruft euch derart zu? Allerdings auch Gott durch
seinen Gesalbten Jesus Christus; aber auch euere Natur
und alle Gefühle des Herzens rufen wie mit lauter
Stimme: ‘„Liebet einander, und liebet einander zärtlicher,
inniger als andere Menschen. Denn durch die gemein-
same Abstammung seid ihr aufs innigste miteinander ver-
bunden, verknüpft, gleichsam verwachsen.“’ So ist denn
wie der hl. Thomas bemerkt (ib. ari. 8) diese Liebe fester
und beständiger, als jede andere Nächstenliebe, weil sie
n der Natur selbst ihren Ursprung und ihre Wurzeln hat.
Daß nun diese Liebe Gott sehr angenehm sei, muß
ich nicht einmal andeuten. Oder warum weilte Christus
so gerne in Bethanien bei Lazarus, Maria und Martha?
Er wollte die Geschwisterliebe durch seine Gegenwart
heiligen und will in jedem Hause wohnen, wo Geschwister
gottselig leben und gegenseitig sich aufrichtig lieben. So
ist es denn überaus gut und lieblich, wenn Brüder in
Liebe zusammenwohnen. Denn wo Christus mit Ge-
schwistern unter einem Dache wohnt, da ist wohl im
Ueberflusse der Segen des Vaters und der Friede und
die Freude des hl. Geistes. Denn gehen wir tiefer in
das Geheimniß der Geschwisterliebe ein. Sie ist näm-
[316] lich kein leeres Gefühl, sondern ein beständiges, that-
kräftiges Opferleben. Denn die wahre Liebe will ja den
Geliebten nur Gutes thun.
Also werdet ihr in dieser Liebe mit einander und
für einander arbeiten, und wenn es sein muß, auch leiden.
Mit einander arbeiten zu Hause, in den Fabriken mit
einander arbeiten. Der Bruder wird die Schwester bei
sich haben, ihre Unschuld zu beschützen; die Schwester
wird beim Bruder sein, daß er nicht mit fremden Mäd-
chen ausgelassen werde. Saget einmal selbst, wie viel
Sünde, wie viel Elend, wie viele unglückliche Ehen, wie
viel Schande wäre nur auf diese Weise allüberall unge-
zählten Familien erspart geblieben? Gott will also nicht
bloß durch seine Gnade, sondern sogar durch die Gewalt
der Natur zahllose Jünglinge und Jungfrauen retten;
wenn aber diese nicht bloß der Gnade, sondern auch den
zartesten Regungen des Herzens widerstehen, so kann
wahrhaft nur Ruine auf Ruine sich häufen in der über-
natürlichen wie in der natürlichen Ordnung. Denn jede
Sünde ist am Ende die Umwälzung in der natürlichen
Ordnung und viel jammervoller und tragischer, als der
rauchende Trümmerhaufen einer ehemals herrlichen Stadt.
So arbeitet denn mit einander, aber auch für ein-
ander. Bleibet bei den Eltern, bis Gott euch in den
Ehestand ruft, oder ein Beruf euch vom Vaterhaus trennt.
Was ihr durch euere Arbeit verdienet, gehört zunächst
den Eltern und durch sie der ganzen Familie – und
keines lege für die Genußsucht etwas bei Seite.
So findet ihr auch euere Freude und Erholung im
Vaterhaus und habet kein Bedürfniß nach Vereinen, wo
das Familienleben tödtlich verwundet wird, so werdet ihr
auch den Modeteufel ferne halten, der mit seiner Putz-
und Gefallsucht so viel Armuth und Zwietracht in die
Familien bringt. Kommt dann die Zeit der Theilung,
[317] so lasset die Liebe theilen, damit ihr vielleicht dem Leibe
nach getrennt, doch der Seele nach vereinigt bleibet. Wie
viele Greuel der Zwietracht, der Feindschaft, des Hasses,
der Ausschweifungen, der Schmach, der Schande blieben
der Familie ferne!
So arbeitet denn mit und für einander; freuet euch
mit einander im Schoße der Familie. Wenn aber Tage
kommen, die euch nicht gefallen, leidet auch mit einander
und bringet gegenseitig Opfer, denket an den ägyptischen
Joseph, der zur Zeit der Hungersnoth nicht bloß für den
Vater sorgte, der ihn zärtlich liebte, sondern auch für
seine Brüder, die ihn verkauft hatten. Denket an die
jugendliche Schwester des Moses. Als nach dem Befehle
Pharaos alle Knäblein der Juden in den Nil sollten ge-
worfen werden, verbarg Moses' Mutter den kleinen drei
Monate lang. Aber auf die Länge ging es nicht mehr.
Da legte sie das Knäblein in ein Binsenkörblein und
setzte es in das Geröhr am Ufer des Flusses. Seine
Schwester, eine blühende Tochter, war in der Nähe, den
Kleinen womöglich zu retten. Die vielen Wasser der
Verfolgung, der Angst, der Gefahr, konnten das Feuer
ihrer Liebe nicht auslöschen. Als dann Pharaos Tochter
vorbei kam, das Körblein bemerkte, dasselbe holen ließ
und darin ein weinendes Kind sah, sprach sie: ‘„Das ist
eines von den Kindern der Hebräer.“’ Gleich stand bei
ihr die Schwester des Kleinen, muthig wie eine Löwin,
welche ihre Jungen in Gefahr sieht und sprach zur Königs-
tochter: ‘„Soll ich ein hebräisches Weib holen, welches
den Kleinen aufnimmt und pflegt?“’ Kaum hatte sie das
Jawort gehört, war sie schon zu ihrer Mutter geeilt
und Moses war durch die Liebe seiner Schwester wieder
an der Mutterbrust.
Schon ans dem Bisherigen ist klar, wie viel Böses
ihr verhindern, wie viel Gutes ihr befördern könnet,
[318] wenn ihr scheinbar nur für das zeitliche Wohl der Ge-
schwister besorgt seid. Doch dies alles ist nur wie ein
kleiner Anfang. Sehet nur. Geschwister sind oft sehr
verschiedenen Alters, daß ein Bruder, eine Schwester an
den Kleinen gleichsam Vater- oder Mutterstelle vertreten
kann. Wenn ihr nun diese Kleinen wahrhaft liebet, so
werdet ihr dieselben in der Religion unterrichten, ihnen
[behilflich] sein, daß sie die biblische Geschichte und den
Katechismus recht verstehen und lernen. Allerdings ist
das zunächst Aufgabe der Eltern; aber wenn ihr in dieser
Sache gleichgültig seid, wo ist denn euere Geschwister-
liebe? Oder ist das etwa nicht nothwendig? Noch heute
erinnere ich mich so gerne an jene schönsten Stunden,
wo ich während eines Jahres eine Kinderschaar auf die
erste hl. Kommunion vorbereiten konnte. Darunter waren
natürlich auch einige schwach an Geist oder an gutem
Willen. Was thun? Wenn das Kind ältere Geschwister
hatte, ließ ich einen Bruder oder eine Schwester kommen
und sagte: ‘„Siehe, so steht's mit deinem Bruder, mit
deiner Schwester; du mußt dieses Kind so und so nach-
nehmen.“’ Sie thaten es mit dem glücklichsten Erfolge.
Wenn aber die Schulen konfessionslos? Oder spielt
da nicht alles zusammen, daß die Kinder konfessionslos,
d. h. religionslos aufwachsen? Denn wer keine Confession
hat, hat auch keine Religion. Oder wie will derjenige
Gott verehren, der gar keine Wahrheiten festhält, welche
sich auf Gott beziehen? Das ist gerade so unmöglich
als eine fremde Sprache reden, von der du kein einziges
Wort kennst. Was wird da die Kinder retten? Vielleicht
etwas mehr oder weniger Religionslehre in der Schule
und in der Kinderkapelle? Ohne die Autorität des
Vaters, ohne die Sorge der Mutter, ohne die Geschwister-
liebe, welche die Familie in ein Heiligthum verwandeln,
werden kaum die Ueberbleibsel gerettet werden. Aber
[319] was erst, wenn religiöse Gleichgültigkeit und Kälte wie
böse Geister auch in der Familie hausen? Oder wenn
das Familienleben durch das hundertköpfige Ungeheuer
der Genußsucht und durch Ehescheidungen todtgeschlagen
wird! Wer Ohren hat zu hören, der höre, wer Augen
hat zu sehen, der sehe.
Oder zieht die Verblendung nicht immer weitere
Kreise? Oder giebt es nicht abermal tausende, welche
wie Schriftgelehrte und Pharisäer die Predigt Christi
nicht verstehen wollen? Je weiter aber dies Uebel um
sich greifen sollte, desto herrlicher kann sich die Geschwister-
liebe entfalten, wenn auch oft wie eine Lilie unter den
Dornen. Oder giebt es nicht Familien, wo ein Sohn,
wo eine Tochter Irrwege wandelt? Da ist es denn
Aufgabe der Geschwister zu bitten; zu mahnen, zu warnen,
zu beschwören und zu beten. Denn die Bekehrung ist
ein Wunderwerk der göttlichen Gnade, wie die Heilung
des Aussätzigen und des kranken Knechtes eine That gött-
licher Allmacht.
Um daher das Unglück ferne zu halten, oder wieder
abzuwenden, haltet die Hausandachten. Wohl ist das zu-
nächst Sache der Eltern; aber die größern Kinder sollen
ihnen dabei behülflich sein – oder falls die Eltern gleich-
gültig sind – selbst diese Andacht halten. Eine Schwester
soll gleichsam Mutter, und gleichsam Vater ein Bruder sein.
Das ist doppelt nothwendig, wenn der Vater oder
die Mutter gestorben. Wenn dann so eine Tochter wie
eine Mutter den Vater tröstet und ihre Geschwister besorgt,
oder wenn so ein Sohn wie ein Vater an der Seite seiner
Mutter und Geschwister steht, wird die Wunde, welche der
Tod von Vater und Mutter geschlagen, nicht so stark ge-
fühlt, und die Familie wird durch das Band der Geschwister-
liebe zusammengehalten. Wo immer so schöne Verhält-
nisse, sollte nicht leicht an die Eingehung einer zweiten
[320] Ehe gedacht werden. Denn von einem zweiten Vater,
einer zweiten Mutter kann diese herrliche Harmonie leicht
durch schrille Mißtöne gestört werden. Wenn aber ein
Sohn oder eine Tochter an die Ehe denkt, und die Eltern
schon gestorben sind oder alt und schwach geworden, die
Aufsicht nicht mehr führen können, sollen die Geschwister
zur Zeit der Bekanntschaft die Schutzengel ihres Bruders
oder ihrer Schwester sein, und die künftigen Eheleute nicht
allein beieinander lassen.
Das, das ist die wahre Bruderschaft, betet die Kirche
in den Tagzeiten hl. Martyrer, welche Geschwister waren,
das ist die wahre Bruderschaft und Bruderliebe, welche
niemals im Kampfe verletzt werden konnte. Sie ver-
gossen ihr Blut und folgten dem Herrn, sie verachteten
den Königspalast und gelangten zum himmlischen Reiche
Wie gut und lieblich, wenn Brüder einträchtig zusammen-
wohnen.
Seid daher Brüder und Schwestern nicht bloß dem
Fleische und Blute nach, nicht bloß in dieser natürlichen
Liebe und Sorge für das zeitliche Wohl, sondern seid
auch Brüder und Schwestern der Gnade nach, in der
Hoffnung auf das ewige Leben; seid Brüder und Schwe-
stern im Kampfe gegen die Versuchungen, gegen die
Aergernisse, gegen die Verführer, daß ja keines auf Ab-
wege sich verirre, sondern ihr Alle in Liebe und Ein-
tracht den Himmelspfad wandelt. Das ist die wahre
Bruderschaft, von Gott selbst am sechsten Tage der
Schöpfung gestiftet und von Jesus Christus geadelt und
geheiliget im Hause des Lazarus; ihre Satzungen sind
von Gotteshand in die Herzen der Geschwister unverwüst-
lich hineingeschrieben; deshalb hat sie auch die Stürme
von sechs Jahrtausenden überlebt, unzerstörbar ein Werk
göttlicher Allmacht und Menschenfreundlichkeit. Das ist
die wahre Bruderschaft, von der alle andern ihren Namen
[321] erhalten. Wer daher immer die Pflichten dieser ersten
Bruderschaft nicht erfüllt, wer in derselben sich nicht
heimisch fühlt und seine Freuden anderswo sucht, der
wird auch keiner andern Bruderschaft Ehre machen.
Oder wollet ihr etwa sagen, in dieser Bruderschaft
werde doch das Leben für junge Leute langweilig. Aber
seit wann sind wir denn der Kurzweil wegen auf der
Welt – seit wann? Langweilig? Und doch sagt der
hl. Geist: ‘„Wie gut und lieblich, wenn Brüder zusammen-
wohnen.“’ Langweilig? Ja, für die Leidenschaft, welche
die Marksteine der Nüchternheit, der Bescheidenheit, der
Sittsamkeit umstürzt, aber niemals für eine edle Seele,
deren Bescheidenheit in der Freude Gott und den Men-
schen offenbar. Langweilig? Aber wer sagt denn, daß
den Geschwistern Unterhaltung und Spiel und Spazier-
gang verboten sei? – Machet euch nur diese wahre
Bruderschaft in gegenseitiger Ehrfurcht und Liebe so an-
genehm als möglich, und es wird euch nirgends wohl
sein als in der Familie.
Oder ist diese Wahrheit für unsere Zeit zu strenge,
zu extrem; sollte man etwa so eine Art Mittelantrag,
eine Versöhnung versuchen? Leidenschaft und Feigheit
stellen so Mittelanträge, um der Herrschaft der Wahr-
heit wenigstens theilweise sich zu entziehen; die Wahrheit
aber kann dieselben niemals annehmen. Denn die Halb-
Wahrheiten, der Halb-Glaube, die Halb-Großmuth sind
Ballast mittelmäßiger Seelen, welche dasjenige Mäßigung
nennen, was nur Feigheit und Ohnmacht ist. Denn man
hat am Ende eben nicht den Muth, vor dem schmutzigen
Götzen, der sogenannten öffentlichen Meinung, vorbeizu-
gehen wie Tell vor Geßlers Hut und einer bösen Nei-
gung alles rundweg abzuschlagen.
Gerne gebe ich zu, daß die Heilighaltung dieser
ersten wahren Bruderschaft dem sinnlichen Menschen viele
[322] Opfer auferlegt, besonders heute, wo die Meisten ihr Heim
außer die Familie verlegen und überall Freude suchen,
nur nicht am häuslichen Herde, heute, wo deshalb die
Gewalt der bösen Beispiele außerordentlich stark geworden,
das Alles gebe ich zu und muß es leider Gott zugeben
– aber folgt daraus, daß wir von der allgemeinen Strö-
mung uns sollen fortreißen lassen? Wenn in der Stadt
viel hundert Häuser brennen, zündest du das deinige auch
an oder suchst du es zu retten? Nur in stetem Kampfe
gegen die Leidenschaften, gegen die Aergernisse können
wir den Himmel erobern; denn dieser leidet nach Christi
Ausspruch Gewalt.
Was wird also die Familie durch die gegenseitige
Ehrfurcht und Liebe der Geschwister? Eine Feste auf
hohem Felsen wo jeder feindliche Angriff abprallt. Ein
zweites Eden wohin die Schlange des christusfeindlichen
Zeitgeistes nicht schleichen kann. Denn diese wahre Bruder-
schaft hat in der Ehrfurcht und Liebe der Geschwister
weder Gewalt noch List zu befürchten.
Mögen doch diese Wahrheiten etwas beitragen, daß
unter dem Walten der hl. Familienengel diese wahre
Bruderschaft, wo sie noch besteht, erhalten bleibe, wo
sie in Gefahr, wieder gesichert wo sie verschwunden,
wieder eingeführt werde. So werden dann die Geschwister
in gegenseitiger Ehrfurcht und Liebe mit und für einander
den guten Kampf kämpfen und nach Verachtung dieser
Welt das himmlische Reich erlangen.
XXXIV.
Stand und Beruf.
Wie der Hausvater Arbeiter in seinen Weinberg zur
Arbeit einladet, ihnen Lohn verspricht und am Abende
[323] ausbezahlt, so ladet der himmlische Vater alle Menschen
ein, ihm zu dienen, um am Abende dieses Leben das
Himmelreich als Lohn zu erhalten. Wenn nun auch Alle
Gott dienen sollen, so doch nicht Alle auf dieselbe Art und
Weise; denn Gott beruft den Einen zu diesem, den Andern
zu jenem Stande. Wenn der Knabe zum Jüngling, das
Mädchen zur Jungfrau herangewachsen so ergeht an sie
der Ruf Gottes: ‘„Tritt in diesen Stand, erfülle dessen
Pflichten nach meinen Geboten und ich will dir geben,
was billig ist.“’ So können Geschwister nicht immer im
Vaterhaus bleiben; welche aber der Raum trennt, soll die
Liebe vereinen.
Ihr wisset nun selbst, mit welchem Leichtsinne so
viele in Sachen der Standeswahl oft vorangehen und
so ihr zeitliches und ewiges Heil auf's Spiel setzen.
Daher will ich einmal über Stand und Beruf, über die
Standeswahl und deren Wichtigkeit, über die Art und
Weise, eine richtige Standeswahl zu treffen, die noth-
wendigsten Wahrheiten entwickeln. Heute beantworte ich
folgende Fragen: Was versteht man unter Stand, was
unter Beruf, welche Wichtigkeit hat die Standeswahl?
Was versteht man also unter Stand? Stand be-
zeichnet, wie schon das Wort andeutet, ein stehendes,
dauerndes Verhältniß, in welchem der einzelne Mensch
der Gesellschaft gegenüber sich befindet. Die Standeswahl
setzt den jungen Menschen wie einen jungen Baum in ein
bestimmtes Erdreich, damit er dort bleibe und Früchte
trage für diese Welt und die Ewigkeit. Allerdings ist der
Mensch nicht wie der Baum an eine bestimmte Stelle
gebunden, sondern er darf in manchen Fällen seinen
Stand ganz ändern, obwohl dies selten zu seinem Heile
gereicht. Indessen gibt es auch Stände, wo gar keine
Aenderung möglich ist. So bleiben die Eheleute im Ehe-
stande, bis Gott der Herr das Eine oder Andere ab-
[324] beruft. Wer in den Priesterstand getreten, kann darin
der Schule, den Missionen, der Seelsorge sich weihen –
aber seinen Stand kann er nicht ändern – er bleibt
Priester.
Die verschiedenen Stände haben einen bestimmten
Kreis von Thätigkeiten und Verpflichtungen. Nehmet
z. B. den Bauernstand, welcher die Grundlage aller
übrigen Stände bildet und die Kraft eines Volkes aus-
macht, was hat er zu thun? Für sich und für alle
Andern muß er der Natur Nahrung und Kleidung ab-
ringen. So sind den die einzelnen Stände wie die
Glieder der Gesellschaft, welche dem Leibe vergleichbar
ist. Wie nun der Leib wohl bestellt ist, so lange jedes
Glied gesund seinen Verrichtungen nachkommt, aber auch
krank wird und hinsiecht, sobald nur ein Glied kränkelt,
so ist auch die ganze Gesellschaft wohl bestellt, so lange
jeder Stand das ist, was er nach seiner Bestimmung sein
soll; sobald aber nur ein Stand seine von Gott be-
stimmte Ordnung verletzt, leidet auch das ganze Volk.
Wenn daher heute die Gesellschaft einem Leibe mit
Brüchen und verrenkten Gliedern vergleichbar ist, so
kommt das vom krankhaften Zustande der einzelnen
Stände, welche nur mehr genießen, aber nicht mehr
arbeiten, nur mehr sich bereichern, aber nicht mehr mit-
theilen wollen, welche nur Rechte kennen, aber keine
Pflichten. Daher sind denn auch so wenige mit ihrem
Stande zufrieden; denn die Begierlichkeit ist eben immer
viel größer als der wirkliche Reichthum, als der Genuß
und die Ehre des Augenblickes, und nur wenige vielleicht
denken in ihrem Stande an den Beruf.
Was ist denn Beruf? Verschiedene Rufe ergehen
an uns und zu verschiedenen Zeiten. Es ruft das Ge-
wissen und es kann niemals ganz verstummen; dazu ruft
Gott oft mächtig in die Seele: ‘„Was stehest du müssig
[325] da? oder – warum verweilst du in dieser bösen Gesell-
schaft? Warum zauderst du mit deiner Bekehrung? Es
ist schon die elfte und letzte Stunde; geh' auch du in
meinen Weinberg und ich will dir geben, was billig ist.“’
Und wenn diese Stimme nicht verstanden wird, so ruft
er oft durch allerlei Unglück, durch Krankheiten, durch
Armuth, durch Todesfälle, durch die Schande, diese Be-
gleiterin der Sünde.
Aber, denket ihr, was hat denn das mit Stand und
Beruf gemein? Alles. Denn betrachtet nur die einfachen
Worte: ‘„Vater unser, der du bist im Himmel.“’ Gott ist
unser Vater durch die Erschaffung wie durch seine Vor-
sehung, mit welcher er die Einzelnen wie ganze Völker
leitet und regiert. Daher schon (Sap. XIV 12): ‘„Deine
Vorsehung leitet Alles und mit großer Ehrfurcht regierst
du uns.“’ Was ist also das ganze Menschengeschlecht?
Eine große Familie, deren Hausvater Gott der Herr.
Soll aber in einer Familie Ordnung herrschen, muß der
Vater jedem Kinde seine Arbeit und Beschäftigung an-
weisen. Also wird auch Gott einen jeden Menschen zu
einem bestimmten Stande bestimmen und zur rechten Zeit
auch berufen. Wir aber müssen diesem Rufe als gute
Kinder bereitwillig folgen.
Wie haben wir uns diese Leitung Gottes vorzu-
stellen? Er überblickt von Ewigkeit her alle Orte und
Zeiten, alle Familien und Völker; die Bedürfnisse und
Nöthen aller Zeiten, Krieg und Frieden, Hunger und
Ueberfluß; von Ewigkeit her sieht er die Heiden in den
Schatten des Todes und der Sünde, die Christen im
Lichte des Glaubens und der Tugend oder auch in der
Macht der Sünde und des Verderbens; er sieht all die
kommenden Geschlechter mit ihren Vätern und Müttern,
ihren Söhnen und Töchtern. Was thut er nun? Er
bildet den Leib des werdenden Menschen, gibt ihm einen
[326] Geist mit mannigfachen Anlagen und läßt Leib und Seele
nach seinen ewigen Absichten sich entwickeln. Wenn dann
der Augenblick gekommen, ergeht an diesen Menschen der
Ruf Gottes: ‘„Dich hab ich bestimmt, ein frommer Vater
zu werden in einer stillen Bauernhütte, dich zu einer
armen Mutter mit dem Opfergeiste Jesu Christi: dich
hab ich auserwählt, in der Welt jungfräulich zu leben
und Vielen Gutes zu thun; du sollst in der stillen Ein-
samkeit eines stillen Klosters beten und Buße thun; dich
habe ich bestimmt, barmherzige Schwester zu werden, um
unter Barbaren ausgesetzte Kinder zu sammeln, dann in
Waisenhäusern zu pflegen und in der Schule für das
Himmelreich heranzubilden. Dich hab ich zum Priester-
thum berufen, daß du in einer einfachen Landgemeinde
die guten Leute den Himmelsweg hinaufführest – dich
hab ich zum großen Feldherrn auserwählt, um den vollen
Kelch meines Zornes über sündige Völker auszuschütten;
gehet auch ihr in meinen Weinberg und ich will euch
geben, was billig ist.“’
So ergeht der Ruf Gottes an alle Menschen je nach
dem Stande, für welchen sie berufen sind; im Lichte der
Gnade erkennt der Mensch diesen Ruf. Das ist der
Beruf.
Stand und Beruf sind also im Grunde nichts
Anderes als die besondere Lebensaufgabe, welche Gott
jedem einzelnen Menschen aufgiebt. Den allgemeinen
Beruf, Gott zu dienen und zu verherrlichen, haben schon
die Kinder, bevor sie nur von Stand und Beruf einen
Begriff haben, bevor sie nur an die Standeswahl denken
können; dieser allgemeine Beruf wird dann durch die
Standeswahl und die damit verbundene Lebensaufgabe
nur näher bestimmt und begrenzt. Hieraus folgt aber
auch die Wichtigkeit und Bedeutung der Standeswahl für
die ganze Ewigkeit.
Aber was hat denn die Ewigkeit mit meinem Stand
und Beruf zu thun? Ich habe bei meiner Standeswahl
einzig darauf zu sehen, wie ich auf dieser Welt am besten
durchkomme, ohne viel Arbeit mein Brot verdiene und
reich werde, wie ich zu Ehren und Aemtern gelange und
das Leben mit all' seinen Freuden vollkommen genieße.
So denkt und handelt die Welt und rennt so in das
sichere Verderben schon für diese kurze Zeit. Denn be-
trachtet nur Stand und Beruf im Lichte der christlichen
Lebensweisheit.
Was ist denn unsere Bestimmung? Gott zu dienen
und so unsere Seele zu retten und selig zu werden; um
Gott zu dienen und selig zu werden, müssen wir die
Gebote halten nach dem Worte Christi: ‘„Willst du zum
Leben eingehen, halte die Gebote.“’ Allerdings sind die
Gebote Gottes immer und überall die gleichen; aber
deren Beobachtung ist nicht in jedem Stande gleich
schwierig: denn nicht jedem Stande legen sie gleich viele
und gleich schwierige Verpflichtungen auf.
Nehmet zuerst nur die Vorbereitung zum Stand und
Beruf. Sind da überall gleich große Gefahren? Ob
dein Sohn und deine Tochter in deinem Hause oder in
der großen Welt da draußen sich für die Zukunft vor-
bereite – ist das gleichgültig? Wenn dein Sohn und
deine Tochter mitten unter feinen oder groben Aerger-
nissen für ihren Beruf sich einige Armseligkeiten von
Bildung und Kenntnissen erwerben, werden sie nicht regel-
mäßig um Glaube und Sitte betrogen? Man hat ja
Beispiele. Diese unglücklichen Leute mögen noch einen
gewissen äußern Anstand – meinetwegen feine Manieren
besitzen, aber nirgends in der hl. Schrift steht geschrieben,
daß Anstand und Manieren hinreichen, um selig zu werden,
sondern überall wird der Glaube und die gewissenhafte
Beobachtung der Gebote auch des sechsten und siebenten
verlangt.
Was folgt nun hieraus – zunächst für euch, christ-
liche Eltern? Also dürfet ihr niemals gestatten, daß
euere Kinder sich einen Stand erwählen, auf welchen sie
sich nicht vorbereiten können, ohne an Glaube und Tugend
und Frömmigkeit sichern Schaden zu leiden. Und wenn
ihr dies dennoch gestattet oder sie gar dazu anhaltet,
so versündiget ihr euch schwer an eueren Kindern, und
ihre verlorenen Seelen wird Gott einst von euch zurück-
verlangen.
Wenn nun Himmel und Hölle schon so enge mit
der Vorbereitung verbunden sind, was sollen wir erst
vom eigentlichen Stande und von der Ausübung des
Berufes hoffen oder fürchten? Alle Stände sind von
Gott angeordnet und in jedem Stande kann man heilig
und selig werden; aber dennoch ist nicht jeder Stand für
Jeden und nicht Jeder kann in jedem Stande mit gleicher
Leichtigkeit sein letztes Ziel erreichen. Wenn du in der
Welt unverheirathet und jungfräulich bleiben sollst, wirst
du im Ehestande nicht so leicht in den Himmel kommen;
wenn du für einen Orden bestimmt bist, so wirst du in
der Welt dein Heil nicht so leicht wirken; aber wenn dich
Gott in der Welt haben will, wird der Orden dein Un-
glück werden; wenn du für die Ehe berufen, wirst du
unverheiratet den Himmel nicht leicht finden. Ob du
ein Handwerk lernst oder in den Gelehrtenstand tretest,
ob du mit diesem Jüngling oder mit jener Tochter dich
verheirathest, ist für dein Seelenheil von entscheidender
Bedeutung.
Aber wie ist das möglich? Betrachtet nur kurz die
einzelnen Stände in Bezug auf ihre Gefahren und Ver-
suchungen. je höher einer steht als Beamter, ein
je ausgedehnteres Geschäft einer als Kaufmann oder als
Fabrikant führt, desto größer wird die Versuchung zum
Ehrgeiz, zur Habsucht, zum Stolz. Es handelt sich da
[329] nicht um eigentlichen Diebstahl – das ist Sache armer
Teufel – sondern um ungerechte Herabdrückung des
Lohnes, um einen Betrug. Andere Stände sind wieder
mit andern Gefahren und Versuchungen verbunden. Da-
mit das Geschäft gehe, damit man in Ehre und Ansehen
steige, will man es Allen treffen, opfert von seinen
katholischen Grundsätzen, von seinem christlichen Leben.
Wie viele werden durch sündhafte oder unglückliche Hei-
rathen gleichgültig, ungläubig, Ehebrecher oder gar Mörder?
Daher sagte schon der hl. Gregor von Nazianz: ‘„Wer sich
in seinem Berufe irrt, der wird sein ganzes Leben hin-
durch von einem Irrthum in den andern fallen und sich
am Ende selbst in seiner Hoffnung auf den Himmel ge-
täuscht haben.“’ (Ort. XXIII.) Warum? Hier gilt das
Wort des Propheten Jesaias (Kap. XXX 1): ‘„Wehe
euch, ihr abtrünnigen Kinder, die ihr Rathschläge aus-
führt, aber nicht aus mir, die ihr ein Gewebe anzettelt,
aber nicht in meinem Geiste.“’ Wie ist diese Drohung
zu verstehen? Gott ist der Hausvater der großen Menschen-
familie; als solcher weist er jedem Kinde seine Stellung
und seine Beschäftigung an. Wenn wir da nicht der
Stimme Gottes folgen, sondern unserer Leidenschaft nach-
gehen, so zetteln wir ein Gewebe an wider den Willen
Gottes und sind Abtrünnige und diesen ruft Gott sein
‘„Wehe euch!“’ entgegen und fügt bei: ‘„Wenn das Elend
über euch hereinbricht und das Verderben wie Ungewitter
euch überfällt, dann will ich eurer spotten und lachen zu
eurem Untergange, darum, weil ihr nicht geachtet auf
meinen Rath.“’
Aber wo liegt der tiefere Grund von all diesen
Wahrheiten? Nehmen wir unsere verdorbene Natur nicht
in jeden Stand hinein? Freilich. Hat nicht jeder Stand
viele Versuchungen? Auch das. Damit wir aber die
verdorbene Natur in Schranken halten und die Ver-
[330] suchungen besiegen, bedürfen wir in jedem Stande be-
sonderer Gnaden, die man Standesgnade nennt. Aber
ist denn Gott nicht gütig und freigebig und das gegen
Alle? Allerdings; aber bei all dem ist ein großer Unter-
schied zwischen Gnade und Gnade wie zwischen Stern und
Stern und die Freigebigkeit Gottes hat viele Grade.
Wenn du nämlich den Stand erwählest, den Gott für
dich bestimmt hat, [erhältst] du reichlich all jene Gnaden,
welche er mit diesem Berufe verbunden hat, damit du
darin ganz leicht dein ewiges Heil wirken könnest; wenn
du aber dem Rufe Gottes nicht folgest, und dir nach
deinem Eigensinn einen Beruf erwählest, nach deinem
Starrsinn eine verbotene Ehe eingehest, wirst du all jene
Gnaden nicht erhalten und so schwerlich dein Heil wirken.
Geschieht dir etwa Unrecht? Darfst du dich beklagen?
Aber heißt es denn nicht, ‘„wenn du nicht berufen
bist, mache dich berufen.“’ Wenn man also auch in der
Standeswahl gefehlt hat, so kann man doch die Gnade
Gottes reichlich erhalten. Was ist da zu bemerken?
Freilich soll man den Leichtsinn bei der Standeswahl
herzlich beweinen, Gott nur Verzeihung und Gnade bitten
und so Verzeihung und Gnade finden; aber wie selten
wird das der Fall sein? Nehmet nur den Ehestand!
Wie Manche führt da Geld und Wollust und Leichtsinn
und Uebermuth und Eigensinn zusammen, die nach Gottes
Plan nie hätten zusammen kommen sollen? Sie sind
nicht berufen, aber machen sie sich etwa berufen oder
stürzen sie gewöhnlich von Irrthum zu Irrthum, von
Sünde zu Sünde, von der Abneigung zum Ehebruche,
zum Unfrieden, zum Krieg, zur Scheidung, zur Wieder-
verheirathung? Wohin werden sie aus all diesen Ver-
irrungen einst hinstürzen, und vielleicht ihre Kinder mit
ins Verderben reißen?
Hiermit will ich natürlich nicht gesagt haben, daß
[331] Alle, welche den rechten Beruf gewählt haben, deswegen
schon in den Himmel kommen; denn gar Viele miß-
brauchen die Standesgnaden und rennen so in's ewige
Verderben; aber den Zusammenhang zwischen Beruf und
Ewigkeit wollte ich zeigen.
Nun noch ein Wort an die, welche schon gewählt
haben. Habet ihr vielleicht unglücklich gewählt? –
Habet ihr den Beruf verfehlt? – Wer in diesem Un-
glücke sein sollte, der trage das Unglück im Geiste der
Buße und der Reue und er wird Gnade und Barmherzig-
keit finden und seine Seele retten. Das will ich besonders
denen gesagt haben, welche von der Leidenschaft geblendet,
durch Schmeichelreden und falsche Versprechen und Schwüre
betrogen, im Leichtsinne der Jugend eine unglückliche Ehe
eingegangen sind: Für dies Unglück waret ihr nicht be-
rufen von Gott, ihr habet euch selbst hineingestürzt, viel-
leicht trotz Warnung der Eltern, der Freunde, der Seel-
sorger. Traget nun dies Unglück in Geduld, in Reue
und Schmerz über die Verirrungen der Jugend und betet
und betet um Gnade und Stärke von Oben, ferner um
Erleichterung der unglücklichen Lage. So werdet ihr
wenigstens euere Seele retten und vor weiteren Verirrungen
bewahrt bleiben, wenn auch jener Wehestand nie ganz ge-
hoben wird. Warum sag ich das? In Folge unglück-
licher Wahl gibt es viel mehr unglückliche Ehen, als man
gewöhnlich zu glauben pflegt; ich will die Unglücklichen,
so weit möglich, trösten – und die Jugend gewarnt
haben.
Das zweite Wort gilt denen, welche den von Gott
gewollten Stand und Beruf wirklich gewählt haben.
Wenn ihr auch so glücklich waret, so seid ihr deswegen
noch nicht im Himmel, sondern erst im Weinberge, um
im Kampfe gegen die Versuchungen und gegen die Ge-
fahren des Heiles und in gewissenhafter Erfüllung der
[332] Standespflichten die Last und Hitze des Tages zu tragen
und so den Himmel zu verdienen. Um aber im Guten
auszuharren, betet doch Tag für Tag um die Vermeh-
rung all jener Gnaden, welche Gott mit euerem Stande
verbunden hat. Wer aber bisan seine Standes- und
Berufspflichten schwer vernachlässigt und verletzt hat, an
den ergeht in elfter und letzter Stunde der Ruf Gottes:
Thue Buße, sei jetzt eifrig in Erfüllung deiner Standes-
pflichten und ich will auch dir den Zehner des Himmels-
reiches geben.
So glaube ich, Allen das gesagt zu haben, was
Jedem nach seinem Berufe und seinen Verhältnissen zum
Heile nothwendig ist; mögen doch Alle von der Gnade
gestärkt das befolgen und ihres Berufes würdig wandeln,
um in den Erbarmungen Gottes bald den auserwählten
Schaaren im Himmel beigezählt zu werden.
XXXV.
Art und Weise der Standeswahl.
Stand und Beruf sind nur die besondere Lebensauf-
gabe durch deren Erfüllung wir Gott zu dienen und so
unsere Seele für die Ewigkeit zu retten haben. Gott als
der Hausvater des ganzen Menschengeschlechtes giebt einem
jeden diese Lebensaufgabe, und ein jeder, der eines guten
Willens, sehen und hören will, kann dieselbe erkennen.
Denn, wenn dieselbe oft längere Zeit ein Geheimniß ist,
so ist es uns doch gegeben, dies Geheimniß des Reiches
Gottes zu durchschauen und so unsern Gott gewollten
Beruf zu erkennen. Daher denn die Frage, was haben
wir bei der Standeswahl zu thun, um den wahren Beruf
[333] zu erkennen? Wir haben in heiliger Gleichmüthigkeit
1) uns selbst 2) gottesfürchtige Nachgeber und 3) Gott
selbst anzufragen.
Wer also in seiner Standeswahl glücklich sein will,
der soll zuerst sich selbst fragen und zwar in hl. Gleich-
müthigkeit. Worin besteht denn diese Gleichmüthigkeit?
Sehet, unser Herz soll einer empfindlichen Wage gleichen,
deren Zünglein, so lange kein Gewicht in die Schale gelegt
wird, weder nach dieser noch jener Seite hinausragt sondern
unbeweglich bleibt. Was will das sagen? Wir sind einzig
auf der Welt, um Gott zu dienen und selig zu werden;
deswegen soll unsere Seele gegen die einzelnen Stände
gleichgültig sein, um dann jenen zu wählen, in welchem
wir unser Heil am sichersten wirken. Wie nämlich das
Zünglein der Wage sich auf jene Seite wendet, wo das
Gewicht in die Schale fällt, so darf auch unser Herz sich
nur nach jenem Stande hinneigen, wo das Gewicht der
wahren Gründe ist. Das ist die Gleichmüthigkeit der
Seele.
Sobald daher die Jugend bei der Standeswahl nicht
mehr auf ihr ewiges Ziel hinschaut, sondern nur auf
Geld und Ehre und Wohlleben, sobald sie sich nur fragt:
wo und wie kann ich schnell reich werden? Welcher Stand
verspricht mir die größten Ehren, bietet die meisten Ge-
nüsse? Wo und wie komme ich dazu, meine Leiden-
schaften am schnellsten zu befriedigen? Sobald ein Jüng-
ling, eine Jungfrau sich so fragt, ist die nothwendige
Gleichmüthigkeit verloren und eine glückliche Standeswahl
rein unmöglich.
Wollet ihr daher glücklich wählen, sollet ihr im
Gleichmuth der Seele aufrichtig sagen können: ‘„Rede Herr,
dein Diener hört; Herr, was willst du, daß ich thue; siehe
ich bin bereit? Ob ich dabei arm bleibe oder reich
werde, ob mein Leben mühevoll oder leicht, ob mein
[334] Stand angesehen oder verachtet, ob Genüsse oder Ent-
behrung mein Antheil – an all dem liegt nur gar nichts,
nur deinen Willen thue mir kund, daß ich denselben er-
fülle und so den Himmel verdienen kann.“’
Das ist wahre Gleichmuth des Herzens und in dieser
Seelenstimmung prüfet vor allem euch selbst. Denn Gott
hat uns den Verstand gegeben, daß er wie ein Licht uns
voranleuchte. Saget euch dann aufrichtig: ‘„Der und der,
die und die bin ich; das sind meine Anlagen, meine
Neigungen; das meine Vergangenheit, das meine Haupt-
leidenschaft; das meine Gefahr.“’ Dann frage dich: ‘„Welchen
Einfluß übt die Welt auf mich? Habe ich irgend welche
Selbstständigkeit? Bin ich nur an das ‘„Ja“’ nicht aber
an das ‘„Nein“’ gewohnt? Dann betrachte den Stand,
in den du treten willst, seine Gefahren, seine Verpflich-
tungen, seine Schwierigkeiten, vergleiche dies alles mit
deinen Anlagen, deinen Leidenschaften, deinem bisherigen
Leben, und wenn du dir sagen mußt: ‘„Dieser Himmels-
weg ist für mich zu steil, zu dornig, da komme ich nicht
vorwärts“’, so ist er nicht für dich und das um so weniger,
je mehr er deiner Leidenschaft schmeichelt. Wenn du
aber glaubst, du könntest bei deinen Anlagen und Kennt-
nissen und Neigungen dein ewiges Heil in einem
Berufe wirken, so traue dir noch nicht, sondern frage
andere um Rath.’
Also andere um Rath fragen; aber da ist viele Vor-
sicht nothwendig; denn es giebt unberufene Rathgeber.
Dahin gehören gottlose Menschen. Daher mahnt der
hl. Geist im Buche Sirach (37, 12) ‘„Mit einem Menschen,
der keine Religion hat, rathschlage niemals!“’ Denn das
wäre gleich thöricht als wenn du mit einem Weibe über
ihre Nebenbuhlerin und mit einem Furchtsamen über Krieg
dich berathen wolltest. Doch zu diesen Unberufenen
zählet nicht blos; Leute ohne Religion, sondern auch alle
[335] jene, welche von der Wichtigkeit der Standeswahl keine
Ahnung haben. Denn wer immer euern Beruf nicht mit
euerem Seelenheile in Verbindung bringt, der ist ein
schlechter Rathgeber. Warum? Ganz irdisch gesinnt,
kennen sie nur irdische Vortheile, nur zeitliche Rücksichten;
sie kennen nur Geld und wiederum Geld, nur Ehre und
wiederum Ehre, nur Genuß und wiederum Genuß. Nach
welch' verderblichen Grundsätzen werden solche Leute dir
rathen? –
Ferner fraget nie solche um Rath, denen euere
Standeswahl zeitlichen Vortheil bringt oder auch Schaden.
Denn wie oft haben solche Leute nur ihren Vortheil im
Auge aber nicht dein Wohl. So spielen z. B. Familien-
vortheile und allerlei Abmachungen auf wahrhaft tragische
Weise in die Heirathen hinein; so werden Gewissen und
Tugend und Glück und der Himmel vergessen und ge-
opfert, wenn nur Geld und Gut und Ehre und Ansehen
bewahrt und befördert sind.
Unter den unberufenen Rathgebern zählet nun end-
lich diejenigen, welche aus Unkenntniß oder Vorurtheil
über einen Beruf kein richtiges Urtheil zu fällen im Stande
sind. Es will zum Beispiel ein Jüngling Priester werden:
Unerfahrene Leute rathen's ihm an, weil er dann ein be-
quemes Leben habe; mit Vorurtheilen Behaftete rathen es
ihm ab, weil dieser Stand in den Augen der Welt ver-
achtet sei. An wen von diesen kann sich da dieser Jüng-
ling halten? An Keinen. Denn beide rathen ihm nach
ganz falschen Grundsätzen.
Aber an wen sollen wir uns denn halten? Der hl.
Geist antwortet (Sirach 37). ‘„Halte dich beständig an
einen hl. Mann, von dem du weist, daß er die Furcht
Gottes vor Augen hat.“’ Das ist ein außerordentlich
wichtiger Punkt. Warum? Dieser gottesfürchtige Mann
schaut nur auf deine Anlagen, deine Vorzüge, deine Tugenden
[336] aber auch auf deine Leidenschaften, deine Schwächen, deine
Sünden, vergleicht dies alles mit den Pflichten und Ge-
fahren des zu wählenden Berufes, und je nachdem er
dann dein ewiges Heil gesichert oder gefährdet glaubt –
wird er entscheiden.
Aber warum soll dieser Mann die Furcht Gottes
vor Augen haben? Es gibt oft sehr schwierige Fälle,
wo man sich durch den gegebenen Rath bei Manchen ver-
feindet. Es kann z. B. Familien geben, welche durchaus ver-
langen, daß ihr Sohn, ihre Tochter in einen gewissen
Stand eintrete, oder mit einer bestimmten Person sich ver-
eheliche – und doch wäre diese Heirath und jener Stand
das sichere Verderben der Kinder. Wen hast du also
um Rath zu fragen? Männer, welche sich um das Ge-
rede und Urtheil, ja selbst um die Feindschaft der Men-
schen gar nichts kümmern, sondern Gott allein fürchten
und nur um dein zeitliches und ewiges Glück bekümmert sind.
Unter diesen Männern sollte doch dein Beichtvater
die erste Stelle einnehmen. Du hast ihm ja seit langer
Zeit dein Herz erschlossen und seiner Führung dich an-
vertraut. Wenn der dir nicht rathen kann, wer soll dir
noch rathen? Denn Gott wird ihn führen, daß er auch
dich führen kann. Aber gerade hier sehen wir so oft die
Verblendung der Jugend. Denn immer erfüllen sich noch
die Worte, welche einst der Heiland zum Judenvolke
gesprochen: ‘„Das Herz dieses Volkes ist verstockt, sie
hören schwer mit den Ohren und verschließen ihre Augen,
damit sie nicht etwa sehen mit den Augen, nicht hören
mit den Ohren und nicht verstehen mit dem Herzen und
sich nicht bekehrten: sie sehen und sehen doch nicht, sie
hören und hören doch nicht.“’ (Matth. XIII. 15, 13.)
Wie sollen wir das verstehen? Viele wissen, daß sie
da oder dort klare und bestimmte Auskunft über ihre
Standeswahl erhalten, aber sie gehen nicht, aus Furcht
[337] es möchte ihrer Leidenschaft nicht entsprochen werden;
viele werden in einer Christenlehre, in einer Predigt, im
Beichtstuhle oder im Krankenbett gründlich unterrichtet;
aber es kommt der Teufel, es kommt die Versuchung, es
tobt die Leidenschaft, es lärmt ein Verführer – der gute
Rath ist vergessen und man rennt in das Verderben durch
eine sündhafte, unglückliche Standeswahl. Daher rufe
ich euch die Mahnung des hl. Geistes noch einmal zu:
‘„Halte dich beständig an einen hl. Mann, von dem du
weißt, daß er die Furcht Gottes vor Augen hat.“’
Solange ihr fromme christliche Eltern habet, sind sie
die natürlichsten Nachgeber. Denn sie haben euch erzogen,
sie haben zu wachen, daß euere Erziehung durch eine
glückliche Standeswahl abgeschlossen werde. Wohl können
Eltern aus Habsucht und Geiz und Ruhmsucht und reli-
giöser Gleichgültigkeit in Bezug auf die Standeswahl
ihrer Kinder einen höchst verderblichen und sündhaften
Einfluß ausüben – und in diesem Falle dürfen die
Kinder durchaus nicht gehorchen und sollten sie für den
Augenblick auch vieles zu leiden haben – allein diese
Fälle sind im Allgemeinen doch selten. Hingegen kommt
es sehr häufig vor, daß Söhne und Töchter hinter
dem Rücken ihrer Eltern sündhafte Verhältnisse unter-
halten und dann von der Leidenschaft geblendet trotz allem
Warnen der Eltern in einen Stand treten, zu dem sie
nicht berufen sind und so statt den Segen des vierten
Gebotes nur Unheil zum Lebensbegleiter haben. Wer
Ohren hat zu hören, der höre. Doch, wenn ihr in guter
Treue bei guten Menschen euch berathet, wenn ihr auf
die wohlmeinende Stimme christlicher Eltern höret, so
vergesset doch nicht, was der hl. Geist noch weiter sagt:
‘„Aber bei all diesem rufe den Allerhöchsten an, daß er
deine Schritte nach der Wahrheit lenke.“’ (Sir. 37.)
Frage Gott um Rath und er wird dir Auskunft
[338] geben. Als die Jünger die Parabel nicht recht ver-
standen hatten, baten sie den Heiland um die Erklärung,
und er gab ihnen sogleich die gewünschte Auskunft. Wenn
die andern Zuhörer den gleichen guten Willen gehabt
hätten, würden auch sie gefragt und weitere Belehrung
erhalten haben; weil sie aber mit offenen Augen nicht
sehen wollten, so konnten sie auch aus eigener Schuld
das Geheimniß vom Reiche Gottes nicht verstehen. Fraget
Gott den Herrn auch um euern Stand und Beruf, und
er wird euch Auskunft geben. Niemand darf erwarten,
auf ganz außerordentliche Weise berufen zu werden wie z. B.
die Apostel oder andere große Heilige; das sind Gnaden-
wunder, worauf niemand Anspruch hat. Dagegen er-
leuchtet Gott einen Jeden mit seiner Gnade, giebt ihm
gute Rathgeber an die Hand, fügt die äußern Umstände
oft derart, daß man wie an der Hand des hl. Schutz-
engels in seinen gottgewollten Stand hineingeführt wird.
Da nun kommt die Frage, was wir zu thun haben, um
dieser Leitung und Führung Gottes theilhaftig zu werden.
Je reiner das Fenster, desto leichter dringt der
Sonnenstrahl in das Zimmer, je trüber dasselbe, desto
dunkler die Wohnung. Die Seele ist wie ein Glas, wie
ein Spiegel, wodurch der Strahl göttlicher Gnade dringt.
Daher sollet ihr besonders zur Zeit der Standeswahl
die Seele ganz rein erhalten; daher ist dann, wenn nicht
allen, doch den meisten eine gute Generalbeicht sehr anzu-
rathen. Oder, christliche Jugend, glaubst du, Gott werde
auch einem sündenbefleckten Herzen sich mittheilen? Diese
Wahrheit habet ihr euch um so tiefer einzuprägen, als
die Standeswahl gewöhnlich in jene Zeit fällt, wo die
Leidenschaften das junge Leben am heftigsten erschüttern
und bewegen. Wenn dann so junge Leute vom Kleide
der Unschuld kaum mehr einen Fetzen haben und keine
Reue darüber empfinden, wenn sie nur von Hoffart,
[339] von Habsucht, von Sinnenlust sich treiben lassen, wenn
sie vielleicht gar im Glauben schwankend geworden,
werden sie dann nicht dorthin kommen, wo ihre Leiden-
schaft gelüstet aber nicht, wo Gott sie haben will?
Wohl weiß ich, daß es manchem lieber wäre, wenn
ich gegen gewisse Leidenschaften und Sünden nicht so oft
und nicht so eindringlich meine Stimme erhöbe. Aber
mit dem heiligen Chrysostomus kann ich nicht anders
handeln. Denn mit ihm glaube ich, daß vielleicht nur
wenige von allen, die so zahlreich zur Predigt kommen
und so gespannt zuhören, an diesen Sünden und Leiden-
schaften krank sind – diese wenigen sollen gesund werden
– damit aber die Gesunden in dieser ungesunden Luft
gesund bleiben, bedürfen sie der Arznei der großen
Wahrheiten; denn nur so bleiben sie vor dem Verderben
bewahrt, wenn nicht alle, doch gewiß ein großer Theil.
Wer also in seiner Standeswahl die Erleuchtung
Gottes haben will, der bewahre sein Herz rein von
schwerer Sünde, und wenn er [dasselbe] befleckt hat, soll
er würdige Früchte der Buße bringen. Diese Reinheit
des Herzens ist um so nothwendiger, als einer guten
Standeswahl eifriges Gebet vorangehen muß. Denn
nur das Gebet des Gerechten dringt durch die Wolken.
Daß aber das Gebet zur Zeit der Standeswahl
besonders notwendig, sollte jetzt klar sein. Denn einer-
seits handelt es sich um den Beruf, der mit unserm
Seelenheile aufs innigste verbunden, anderseits aber
suchen die Welt, die Leidenschaften und Satan uns auf
falsche Bahnen zu führen. Wenn nämlich Satan uns
immer anfeindet, so sind es doch besondere Zeitpunkte,
wo er dem Menschen mit aller Schlauheit und Wuth sich
nähert. Zuerst in der Jugend, wo die Prüfung, die
Krisis, die Entscheidung kommt, ob die Unschuld das
Werk der Erziehung verklären, oder aber die Unlauterkeit
[340] dasselbe verwüsten soll; dann kommt er wieder mit großer
Gewalt und List zur Standeswahl; denn bringt er dich
mit Hilfe deiner Leidenschaft und durch die Verführung
schlechter Menschen in den verfehlten Beruf, so glaubt er
den letzten Kampf auf dem Totenbette schon gewonnen zu
haben, kommst du aber in den gottgewollten Stand,
fürchtet er mit Recht, auch jener letzte Kampf sei für ihn
verkoren. Daher betet und betet vor der Standeswahl;
betet um Licht, daß die Nebel sich zerstreuen und der
Weg des Lebens sich zeiget betet um Kraft, der Leiden-
schaft zu widerstehen, Gott zu folgen und das Opfer zu
bringen. Betet, denn Gott versagt ja seinen guten Geist
denen nicht, die ihn darum bitten.
Um aber dieses Gebet wirksamer zu machen, ver-
bindet damit den öftern Empfang der hl. Sakramente
und nach jeder hl. Communion betet zum göttlichen Hei-
land, daß er euch die Ansichten seines Herzes mittheile,
daß er euch stärke, um Gott das Opfer zu bringen. Das
sollen besonders jene jungen Leute thun, welche in Folge
einer sündhaften Bekanntschaft in großer Gefahr sind,
eine unglückliche oder gar verbotene Ehe einzugehen. Der
Kampf wird dann noch schwer genug sein.
Um aber dieses Alles thun zu können, stellet hie und
da eine ernste Betrachtung an. Stellet euch vor, ihr
lieget auf dem Totenbette, um nach einigen Augenblicken
vor Gottes Richterstuhl zu erscheinen, dann fraget euch:
Wie werde ich in jenem Augenblicke urtheilen? Welche
Standeswahl wird dann mein Wunsch sein?
Werde ich dann froh sein, nach meinem Eigensinn
gehandelt und Eltern und Seelsorgern schnippische und
grobe Antwort gegeben zu haben? Was werde ich dann
von dieser Leidenschaft denken, die mich einzig und allein
in diesen Stand gebracht? Wie werde ich vor Gott da-
stehen? Vor Gott, dessen Ruf ich verachte, um nach
[341] meinen Gelüsten zu handeln? So überleget und betrachtet
bei euch selbst, und es wird euch gegeben werden, das
Geheimniß eueres Berufes zu verstehen.
Aber, meinst du vielleicht, das sind so Gedanken für
Leute, die an das Kloster denken, aber nicht für Jüng-
linge, die in der Welt draußen sich des Lebens freuen,
nicht für Jungfrauen, welche ganze Nächte durchsingen,
durchtanzen, an Liebschaft und Hochzeit denken. So!
Wisset ihr, für wen diese Arbeit ist? Für alle, welche,
ernstlich daran denken, in den Himmel zu kommen. Aber
nach diesen Grundsätzen werden wir alle in ein Kloster
treten! Hat keine Gefahr; denn Gott selbst hat die ver-
schiedenen Stände zum Wohl der Gesellschaft angeordnet
und wird daher auch sorgen, daß alle gehörig vertreten
sind und wenn sie es nicht sind, fehlt es nicht an
Gott, sondern an uns Menschen. Hat keine Gefahr.
Denn ich stehe durchaus nicht im Rufe eines Klosterfrauen-
machers das überlaß ich Gott dem Herrn – und doch
verkünde ich diese Grundsätze und, wenn man mich um
Rath fragt, handle ich auch darnach, ob dann jemand
in der Welt bleibe oder ins Kloster trete, sich diesem oder
jenem Berufe widme, ledig bleibe oder in den Ehestand
trete, mit dieser oder jener Person sich vereheliche, ist mir
ganz gleich, wenn nur der Wille Gottes ge-
schieht und so die Wahl nach Gottes
Willen getroffen wird.
‘„Aber eine solche Standeswahl könnte von mir große
Opfer verlangen.“’ Mag sein, aber Gott ist dir nahe
mit seiner Gnade. Zudem leidet das Himmelreich Ge-
walt, und willst du keine Gewalt brauchen, willst du ja
selbst vom Erbrecht auf den Himmel nichts wissen.
‘„Aber meine Freiheit? Ich bin da zu stark ge-
bunden; ich darf nicht mehr nach Herzenslust wählen,
sondern muß mich dem Willen Gottes unterwerfen.“’ Das
[342] ist eine uralte Geschichte und wird so bleiben, so lange
wir Geschöpfe und Gott unser Schöpfer und Herr. Könnet
ihr von euern Freiheit einen bessern Gebrauch machen,
als wenn ihr euch in allem Gott unterwerfet und so
ewig selig werdet? Oder können wir unsere Freiheit
verderblicher mißbrauchen, als wenn wir unbekümmert um
den Willen Gottes nach unseren Leidenschaften, nach eigenem
Willen die breite Straße des Verderbens einhertaumeln?
Urtheilet selbst und dann thuet was euch vernünftig scheint.
Mögen diese Worte überall auf gutes Erdreich fallen!
So werden die, welche noch zu wählen haben, nach
Gottes Willen wählen, die, welche dabei zu rathen haben,
nach den wahren Grundsätzen guten Rath ertheilen – und
Alle in ihrem Stande hundertfältige Früchte für das
ewige Leben hervorbringen.
XXXVI.
Standeswahl und Ehe.
Ich zeigte also in zwei Vorträgen, wie Stand und
Beruf eigentlich nichts anderes sei, als die besondere
Lebensaufgabe, welche Gott einem jeden Menschen be-
stimmt, und wie daher von der richtigen Erkenntniß und
Wahl des Berufes auch unser zeitliches und ewiges Heil
bedingt sei. Um zu einer glücklichen Wahl zu gelangen,
soll man sich selbst fragen – d. h. schauen, welche An-
lagen, Talente, Neigung man habe, dann soll man Eltern,
Seelsorger, erfahrene und fromme und ganz uneigen-
nützige Leute um Rath angehen endlich soll man auch
Gott noch fragen durch demüthiges und beharrliches
Gebet. Diese Punkte hat man, um richtig und glücklich
[343] zu wählen, bei jeder Standeswahl zu beachten. Also auch
bei der Wahl des Ehestandes. Weil aber hier die
heftigsten Leidenschaften oft mitspielen, die Vernunft
trüben, die klarsten Begriffe verwirren, will ich die An-
wendung der allgemeinen Grundsätze in diesen besonderen
Fällen noch entwickeln. So könnet ihr euch leichter zurecht-
finden und auch Andern guten Rath ertheilen. Wer Ohren
hat zu hören, der höre. (Luc. VIII.)
Wohl denkt Mancher, über diesen Gegenstand sollte
ich eigentlich gar nicht reden. Denn der Teufel und die
Leidenschaften werden diesen Samen wohl unfruchtbar
machen, und zudem laute ein Sprichwort: ‘„Was zu-
sammengehört, kommt doch zusammen.“’ Das Erste
befürchte ich auch bei gar Vielen und deswegen rufe ich
mit dem Heilande: ‘„Wer Ohren hat zu hören, der höre.“’
Was dann das Sprichwort, diese Heirathsphilosophie der
verblendeten Jugend betrifft, so muß ich doch einige Be-
merkungen machen.
Ihr könnt zweifach zusammengehören, zur Belohnung
oder zur Bestrafung. Gott hat dich entweder gar nicht
für die Ehe bestimmt, oder er verlangt deine Verehe-
lichung mit dieser oder jener Person. Eltern, Freunde,
Seelsorger, dein Gewissen, Gott selbst warnt dich vor
einer bestimmten Ehe: du unterhälst aber gleichwohl die
Bekanntschaft, heirathest – wirst unglücklich – ihr seid
zusammengekommen, nicht weil ihr nach dem Willen
Gottes, sondern wegen euerer Bosheit zur Strafe zu-
sammengehöret. Und wie viel tausend solcher Ehen hat
es leider allüberall! Was aber nach Gottes Plan zum
Segen und Heil zusammengehört, kommt doch zusammen,
wenn auch kurzsichtige Menschen manchmal in guten Treuen
Schwierigkeiten bereiten. ‘„Wer Ohren hat zu hören, der
höre.“’ Aber was hab ich denn zu thun, um eine glück-
liche Wahl zu treffen?
Zuerst kommt die Frage: Bin ich überhaupt für den
Ehestand berufen? Oder versteht sich das etwa von
selbst? Bei weitem nicht. Denn Gott will in der Welt
den Priester- und den Ordensstand in den Klöstern nicht
bloß erhalten, sondern vermehrt wissen und vor Allem in
der kommenden Zeit; denn wenn die Verweltlichung der
Schule, der Ehe, der Gesellschaft, wenn die Herrschaft
des Kapitals und der Maschinen, wenn die Gewalt und
der Völkerhaß durch die Ruinen menschlichen Glückes
Blut und Thränen strömen läßt: dann wird in den
Erbarmungen Gottes ‘„eine neue Ordnung von der Höhe
herabsteigen“’ und dann werden in allen Verhältnissen des
öffentlichen wie Privatlebens Millionen und Millionen
jungfräulicher, gottgeweihter Hände nothwendig sein. So
gerne ich diese großen Gedanken auch in Bezug auf die
Mission unter den Heiden weiter entwickelte, muß ich doch
bei dieser Andeutung stehen bleiben. Wenn wir also von
Gottes Weltplanen, zu deren Ausführung er jungfräuliche
Hände braucht, absehen wollen – giebt es immer noch
Viele, welche für den Ehestand nicht berufen sind.
Dahin gehören alle Jene, welche körperlich so schwach
sind, daß die Ehe ihr baldiger Tod wird Solche haben
mit einem gewissenhaften Arzte sich zu berathen. Wer
ferner so unwissend, so verdorben, so gleichgültig, daß er
für die Erziehung der Kinder untauglich, ist ebenso wenig
für die Ehe berufen als ein Blinder zum Bergführer.
Wie aber dieser nach einer glücklichen Staaroperation
Bergführer werden kann, so können auch jene nach gründ-
licher Bekehrung für die Ehe berufen sein. Wenn aber
der Leib gesund und die Seele mit den nothwendigen
Tugenden und Kenntnissen ausgerüstet, wer ist dann im
Allgemeinen für den Ehestand berufen?
Ich halte mich da an die Aussprüche des hl. Geistes
in den Schriften des alten und neuen Bundes. So schreibt
[345] der hl. Paulus (l. Kor. VII): ‘„Ich sage aber den Un-
verheiratheten und Wittwen, es ist ihnen gut, wenn sie
so bleiben, wie auch ich. Wenn sie aber nicht enthaltsam
sind, so sollen sie heirathen; denn es ist besser heirathen
als brennen.“’ Wem gilt das? Den Unverheiratheten
und Wittwen, aber nicht den Geschiedenen. Nicht
den Geschiedenen. Denn nach dem gleichen Völker-
lehrer ist in diesem Falle bei Lebzeiten beider Theile
keine neue Ehe, sondern nur ein Ehebruch möglich.
Denn wer geschieden, bleibt doch bis zum Tode des
andern Theiles nach Gottes Gesetz verheirathet.
Was sagt also der hl. Paulus den Unverheiratheten
und den Wittwen, aber nicht den Geschiedenen? Wenn
Ledige und Wittwen außer der Ehe die Keuschheit kaum
bewahren können, sollen sie heirathen. Doch abgesehen
von den Schwierigkeiten, die Sinnlichkeit zu überwinden,
kommt der Beruf zur Ehe noch von ganz anderer Seite.
‘„Es ist nicht gut für den Menschen, daß er allein
sei. Laßt uns ihm eine Gehilfin machen, die ihm ähn-
lich sei.“’ (Gen. II 18.) So sprach Gott, schuf die Eva,
gab sie dem Adam zum Weibe als ihm ähnliche Gehilfin.
Wer nun hat diese Hilfe nothwendig? In der Regel
Alle, welche in der Welt draußen den verschiedenen
Berufsarten sich widmen. Man kann nicht immer bei
den Eltern bleiben, die Geschwister trennen sich, man
fängt ein eigenes Geschäft an. Da nun kommt das Be-
dürfniß nach einer Gehilfin, mit der man wie eine mora-
lische Person wird, um jenes Glück zu finden, von dem
der hl. Geist redet: ‘„Wer ein gutes Weib findet, findet
ein Gut, dessen Werth Schätzen gleicht, die weit von den
äußersten Grenzen der Erde herkommen. Er legt den
Grund zu seinem Wohlstand; er wird Freude schöpfen
von dem Herrn und die Jahre seines Lebens in Friede
zubringen.“’ (Sirach Kap. 37.)
Wollet ihr aber im Ehestande dieses Gut, diesen
Wohlstand, diese Freude von Gott, diesen Frieden des
Lebens finden, so genügt es nicht zu wissen, daß ihr
überhaupt für den Ehestand berufen seid, sondern ihr
müßt auch die rechte, von Gott euch bestimmte Person
finden. Was nun zu diesem Zwecke vom Jüngling wie
von der Jungfrau zu thun ist, will ich zuerst zeigen.
‘„Eine Jungfrau ist besser als die andere.“’ (Sirach 36.)
So ist auch ein Jüngling besser als der andere. Da-
mit ihr aber das Beste findet, wählet nach folgenden
Regeln.
Fürs erste sei euere Wahl frei. Lasset euch keine
Braut, keinen Bräutigam aufschwatzen: Deshalb hütet
euch vor Leuten, die glauben, sie müßten jedem Jüng-
ling eine Braut suchen, vor Leuten, die sich in reichere
Familien einschleichen und diesen Familien jenen Herrn
anrathen und diesem Herrn jenes Fräulein. Wenn aber
Eltern oder gottesfürchtige und uneigennützige Rathgeber
euch eine Person abrathen, dann folget in der Regel.
Denn es ist leicht zu erkennen, daß diese oder jene
Person nicht für dich passe. Wenn aber diese gleichen
dir eine bestimmte Person aufdrängen wollten und du
fühltest keine Liebe zu ihr – so darfst du nie und
nimmer folgen.
Um aber bis zum Altare frei zu bleiben, wandelt
in den Tagen der Jugend und der Bekanntschaft in aller
Unschuld. So könnet ihr am Altare noch ‘„Nein“’ sagen
und in schöner Jungfräulichkeit vor Gott und der Welt
erscheinen. Wenn aber die unglückliche Braut drängt,
wenn der Bräutigam an sein versprechen sich erinnert,
wenn Eltern und Familien stoßen, wenn vielleicht an die
Stelle der sinnlichen Liebe indessen Ekel und Widerwillen
getreten und doch nur die Heirath die Ehre vor der Welt
noch irgendwie retten kann, – ist dann die Wahl schließ-
lich auch noch frei?
Um vor diesem Unglücke bewahrt zu bleiben, schauet,
bevor ihr mit Jemandem anbindet, auf bewährte Tugend
und Frömmigkeit. In dieser Beziehung giebt uns der
[Patriarch] Abraham ein herrliches Beispiel. Er wohnte im
Lande der Chananiter, die schlecht und verdorben waren.
Um daher für seinen Sohn Isaak eine gottesfürchtige
Jungfrau als Gattin zu finden, sandte er seinen Knecht
Eliezer weit weg nach Mesopotamien. Durch eine be-
sondere Fügung Gottes begegnete ihm dort Rebecca,
gleich schön durch die Anmuth ihres Leibes wie durch die
Unschuld ihrer Seele und wurde Isaaks Frau. Warum
handelte Abraham derart? Er wußte aus der Ueber-
lieferung, wie einst die frommen Söhne Seths mit den
schönen, aber verdorbenen Menschentöchtern sich verbanden,
wie dadurch das ganze Menschengeschlecht so voll Bosheit
wurde, daß Gott dasselbe durch die Sündfluth vernichtete.
Wer Ohren hat zu hören, der höre! Wie viele
Eltern, welche sich spottwenig kümmern, mit wem ihre
Söhne und Töchter ein Verhältniß anfangen, während doch
der hl. Geist mahnt: ‘„Hast du eine Tochter, so verhei-
rathe sie an einen verständigen, d. h. gottesfürchtigen und
tugendhaften Mann.“’ (Sir. 8.) Wie viele eitle, gefall-
süchtige, sinnliche, heirathslustige Mädchen, welche Bekannt-
schaft anfangen, ohne nur zu fragen, ob einer katholisch
oder reformirt oder gar nichts sei, ob ledig oder ge-
schieden oder nicht einmal geschieden. Ich will der
Frömmigkeit der Töchter nicht zu nahe treten, aber in
der Regel ist es gut, keiner zu trauen, bis sie gewisse
Versuchungen bestanden hat: – und auch dann ist Vor-
sicht noch nicht überflüssig. Wer Ohren hat zu hören,
der hat mich verstanden – ich darf und will nicht mehr
hierüber sagen.
Aber leider Gott giebt es eben auch Jünglinge und
Männer, welche ebenbürtig neben jenen Mädchen stehen
[348] – daher so viel Unglück der Sünde und der Schande.
Daher so viele Kinder, deren Vater nicht im Taufbuche
steht, daher so viel gezwungene Ehen, wo die Liebe längst
erloschen – daher so viele Häuser voll Ach und Weh.
Wer Ohren hat zu hören, der höre.
Die gegebenen Winke betreffen das, was Beide zu
thun haben, um eine glückliche Wahl zu treffen. Nun
auch noch einige Punkte, auf welche der Jüngling und
die Jungfrau besondere zu achten haben. Was ich aber
den Jungfrauen zuerst sage, das sollen auch die Jüng-
linge beherzigen und umgekehrt, das sollen aber auch die
Eltern im Herzen bewahren und zur gelegenen Zeit
darnach handeln.
Also, christliche Jungfrauen, fanget nie eine Bekannt-
schaft an mit Wirthshaussitzern, mit Trunkenbolden, mit
Arbeitern, die am Montag noch nicht recht bei sich sind.
Mit einem solchen, mahnt der hl. Paulus (l. Cor. 7),
sollet ihr keine Gemeinschaft haben, nicht einmal mit ihm
essen. Und ihr wollet jahrelang mit Solchen Bekannt-
schaft haben und welche? Und dann mit einander
heirathen! Wer keine Ohren hat zu hören, der hat
doch Augen zu sehen, wie es einer Frau an der Seite
eines Trunkenboldes ergeht! Desgleichen hütet euch vor
Müssiggängern; denn eine faule Hand wirkt Armuth;
vor Prozeßkrämern; denn manche Zunge hat wackere
Frauen dessen beraubt, was sie erarbeitet hatten (Prov. 26,
Sir. 20). Fliehet Alle, welche mit der schönsten Tugend
eueres Geschlechtes es nicht genau nehmen. Wenn ihr
aber so handeln wollet, so müsset ihr selbst in aller
Sittsamkeit wandeln und niemals mit den Welttöchtern
glauben, ihr müsset um jeden Preis in den Ehestand
treten – wollet ihr die gefährlichste Krisis eueres
Lebens glücklich bestehen, müsset ihr Alle etwas voll der
hl. Agatha haben, deren Fest wir heute feiern.
Ausgezeichnet durch den Adel der Geburt, durch den
Zauber ihrer Schönheit, durch die Lieblichkeit ihrer Sitten,
galt ihr die Liebe und der Dienst Christi als der höchste
Adel. Stolz auf diesen Adel als Braut Christi weist
sie die Hand des Prätors von sich, besiegt alle Angriffe
eines schlechten Weibes, giebt ihren Leib allen Qualen
hin – läßt ihre Schönheit untergehen auf der Folter,
unter Fackeln, unter Messern, die ihre Heldenbrust ver-
wüsten – auf Scherben und glühenden Kohlen, bis sie
halbtod in den Kerker geworfen mit der Doppelpalme
des [Martyriums] und der Jungfräulichkeit in den Himmel
eilt und in himmlischer Verklärung dem Lamme folgt,
wohin es immer geht.
So sei der Dienst Christi dein Adel, christliche Jung-
frau – dein einziger Adel und dieser Adel dein einziger
Stolz, und in diesem Stolze weise mit Verachtung alle
jene zurück, welche mit giftigem Hauch, mit wüsten
Händen der Himmelschöne unversehrter Unschuld nahen
wollen. Wo dieser Adel die Seele verklärt und das
Herz himmelwärts hebt, da wird dieser Name des gött-
lichen Wortes tausendfältige Frucht bringen und dich,
wenn du für den Ehestand berufen bist, vor einer un-
glücklichen Wahl bewahren.
Aber, christliche Jünglinge, denket ihr vielleicht –
warum redest du heute so lange mit den Jungfrauen?
Wenn das Bild der hl. Agatha mir vor Augen schwebt
– darf ich das schon etwas länger thun – wenn nur
so das Erdreich tief durchfurcht ist und der Same bei
Vielen in gutes Erdreich fällt. Indessen hab ich euch
nicht vergessen und will daher euch jetzt die nothwendigsten
Winke in Kürze geben.
Vor Allem hütet euch vor den Frechen, welche mit
jedem Burschen bereit sind, Wirthshaus, Tanz und Gesell-
schaft dem stillen Vaterhaus und der Kirche vorzuziehen.
[350] Denn die Freche macht dem Gatten Schande. Hütet euch
vor Hoffärtigen, Putzsüchtigen, die jede Mode mitmachen.
Denn abgesehen von dem, was ein solches Weib den
Mann kostet, haben solche Personen gewöhnlich keinen
Ueberfluß an Verstand. Endlich hütet euch vor einer
zornmüthigen, zänkischen, rechthaberischen Person. Denn,
sagt der hl. Geist, ‘„besser ist zu wohnen in einem wüsten
Lande bei Löwen und Drachen als zusammen mit einer
zornmüthigen, boshaften und zänkischen Frau. Sie ist
wie ein beständig durchtraufendes Dach am Tage des
Frostes.“’ (Prov. 31.)
So wählet denn unter Solchen, die eueres Glaubens
sind und dazu in Einfachheit und Arbeitsamkeit gottselig
leben, eine Person, welche in Folge ihrer Bescheidenheit
und Zurückgezogenheit und ihrer Erfahrung und Uebung
in allen häuslichen Arbeiten für ein geordnetes und
schönes Familienleben paßt. Wohl wird eine solche Wahl
in Folge des Lebens in der Schule, in Instituten, in
Fabriken, in Geschäften, in Vereinen immer schwieriger;
aber gleichwohl gilt heute noch das Wort des hl. Geistes:
‘„Eine rechte Frau erbaut ihr Haus, eine thörichte reißt
sogar das erbaute mit ihren Händen nieder. Die An-
muth eines emsigen Weibes macht Freude ihrem
Gatten und giebt Mark seinem Gebeine.“’
Früher wußten die Mütter nicht so viel Zeug wie
heute, aber gescheidter waren sie und gesunder an Leib
und Seele, obwohl sie das Turnen nicht verstanden und
ihre Mädchen gewiß nicht dafür hergegeben hätten. So
weit sind wir gekommen, daß man Krebsschäden und
Brüche am sozialen Leibe nicht blos nicht mehr erkennt,
sondern sogar als Zeichen gesunden Lebens betrachtet.
Ich kann mich da nicht tiefer hineinlassen, sondern sage
nur: ‘„Wer Ohren hat zu hören, der höre.“’
‘„Aber, denket ihr vielleicht, wenn man bei der Wahl
[351] einer Ehehälfte auf so viel Dinge zu schauen hat, so wird
ja die Verehelichung fast unmöglich.“’ Das nun folgt
nicht hieraus, sondern nur, daß die Mehrzahl in dieser
hochwichtigen Angelegenheit ihres Lebens mit unglaub-
lichem Leichtsinn vorangehen. Und gerade deswegen will
ich beide Theile noch auf andere Punkte aufmerksam
machen.
Die äußern Lebensverhältnisse beider seien so ziem-
lich gleich. Dahin gehört das Vermögen; wenn der
ärmere Theil einen etwas reicheren bekommt, ist das gut
– aber ein zu großer Abstand ist gefährlich; ebenso ist
großer Abstand betreff des Alters regelmäßig vom Bösen.
In beider Beziehung stellt uns der hl. Hieronymus die
junge Wittwe Marzella als Muster hin. Der reiche,
vornehme und alte Cercalis wollte sie heirathen und sie
zur Erbin all seiner Güter einsetzen. Ihrer thörichten
Mutter, welche sie zu dieser Ehe bestürmen wollte, ant-
wortete sie einer Christin würdig: ‘„Wenn ich nicht be-
schlossen hätte, meine Tage in eheloser Keuschheit zu
verleben, so würde ich mir einen Mann suchen und nicht
eine Erbschaft.“’ Findet diese Heilige heute viele Nach-
ahmer – oder wird auch heute noch wie zur Zeit des
hl. Hieronymus die Ehe vielfach als Krämergeschäft
betrachtet? Daher sollen Personen, welche Geld haben,
auf der Hut sein, ob sie noch jung oder schon älter.
Denn bei dieser Bildung findet das Geld immer mehr
seine feurigen Liebhaber.
Aber hat denn Reichthum und, was ich bald ver-
gessen hätte, Schönheit gar keine Bedeutung? Heirathe
niemals eine Person blos ihres Reichthums, blos ihrer
Schönheit wegen. Wenn Mehrere gleich brav und gottes-
fürchtig sind, magst du dich für die Reichere und Schönere
entscheiden, wie auch Jakob die anmuthige Rachel der
triefäugigen Lia vorzog. Aber höret doch auf die Stimme
[352] des hl. Geistes: ‘„Schau nicht auf die Gestalt des Weibes
und begehre keine Ehefrau blos ihrer Schönheit
wegen.“’ Warum? Wenn auch die Ausdrucksweise nicht
zu der vielfach verschwommenen, sentimentalen, charakter-
losen Sprache der Gegenwart paßt, so redet doch der
Geist Gottes, wenn er im Buche der Sprichwörter sagt:
‘„Eine schöne, aber thörichte Frau ist wie ein Schwein
mit einem goldenen Ringe in der Nase.“’‘„Betrüglich die
Anmuth und eitel die Schönheit: ein Weib, das den
Herrn fürchtet, wird gelobt werden.“’ (Prov. 11, 31;
Sir. Kap. 25 und 30.) Wie Viele hören nicht auf diese
Warnung und stürzen in das eheliche oder auch außer-
eheliche Unglück? Wer Ohren hat zu hören, der höre.
Doch ich will schließen, nachdem ich vielleicht schon
zu lange über einen Punkt geredet, wo nur Wenige in
den Tagen der Leidenschaft zu folgen bereit sind und lieber
unglücklich werden wollen. Wenn etwa so unglückliche
Eheleute mich gehört, so traget das Kreuz im Geiste der
Buße und sorget, daß euere Kinder nicht auch unglücklich
werden. Väter und Mütter und Vorgesetzte – ihr nehmet
in dieser Beziehung eine schwere Verantwortung in die
Ewigkeit. Du aber, liebe Jugend, die du heute dies
Wort gerne gehört, falle doch nicht ab zur Zeit der Ver-
suchung; lasse den Samen dieses göttlichen Wortes nicht
in den Wollüsten des Lebens ersticken, sondern behalte ihn
in einem sehr guten Herzen für dich selbst und für andere.
So werdet ihr, so weit es in diesem Thränenthal mög-
lich, nach einer guten Standeswahl hier glücklich sein –
und nach dieser Verbindung wird dann die wunderbar-
liche Mutter, die gütige und milde und süße Jungfrau
Maria uns zeigen die gebenedeite Frucht ihres Leibes,
Jesus.
XXXVII.
Christliche Familie und Arbeiter.
I.
[353]Wenn auch der Hauptmann, welcher nach dem Be-
richte des hl. Matthäus (VIII. 5) zum Heiland kam, ein
Heide war, so ist er doch ein herrliches Beispiel für
christliche Herrschaften. Denn für seinen kranken Knecht
hat er so viel Achtung und Liebe und Sorge, daß er
selbst geht, um ihm die Gesundheit durch ein Wunder
zu erhalten. Die Knechte ihrerseits hatten für den Herrn
so viel Ehrfurcht und Liebe, daß sie ihm auf das Wort
folgten. Wir haben einen Heiden vor uns, der aber gegen
alle Begriffe seines Volkes Grundsätze wie eine christliche
Familie hatte. Denn in dieser gehören Dienstboten und
Arbeiter in mancher Beziehung auch zum Ganzen wie
Söhne und Töchter.
Welche Stellung haben nun all diese Arbeiter in
der christlichen Familie? Ihr begreift wohl alle, wie die
Beantwortung dieser Frage ein großes Stück Sozialpolitik
in sich schließt, ich behandle aber nur das, was für
unsere Verhältnisse besonders nothwendig ist. Dann bitte
ich alle, diese Wahrheiten sich tief einzuprägen und oft zu
beherzigen. Denn zahllose Seelen gehen nur deshalb
verloren, weil die zwischen der Familie und den Arbeitern
von Gott gewollte Ordnung nicht heilig gehalten wird.
Die Grundlage nun von allem bildet die gegenseitige
Achtung. Daher rede ich heute von der Achtung, welche
die christliche Familie dem Arbeiter und der Arbeiter
der christlichen Familie schuldet.
So gerne ich wie früher einfach auf das Beispiel
der hl. Familie hindeutete, so ist mir das heute nicht möglich.
Denn bei seiner Armuth konnte der hl. Joseph nicht bloß
keine Arbeiter anstellen, sondern er mußte zufrieden sein,
daß er nicht bei einem andern Meister zu arbeiten ge-
zwungen war. Aber da sehet ihr wieder die Weisheit
Christi, der in seinem Erlösungswerk nichts vergessen hat,
was zum Heile der Menschen nützlich und nothwendig.
Denn er hat es durch den hl. Geist geleitet, daß seine
Apostel diesen Punkt nicht bloß berührten, sondern daß
der hl. Paulus eines Sklaven wegen einen besondern
Brief schreiben mußte.
In Ephesus nämlich war ein reicher Christ, Namens
Philemon. Mit diesem und seinem Hause war der hl.
Paulus ganz besonders befreundet. Onesimus ein Sklave
bestahl nun seinen Herrn Philemon, flüchtete nach Rom,
wo er den hl. Paulus aufsuchte und durch ihn Christ
wurde. Obwohl der Völkerapostel den Sklaven in seinem
Kerker ganz gut brauchen konnte, schickte er denselben gleich-
wohl seinem Herrn zurück. Damit er aber gnädig auf-
genommen würde, gab er ihm ein kleines Begleitschreiben
mit, welches vom hl. Geist eingegeben wie die hl. Evan-
gelien unter die Schriften des neuen Bundes gezählt
wird. Das that der Völkerlehrer, damit die Heiden ja
nicht glauben, das Christenthum wolle die Sklaven durch
Gewalt und Mißachtung aller Eigentumsrechte befreien.
Wie sehr dieser kleine Brief von Herrschaften und
Arbeitern zu [beherzigen] ist, beweist schon der Umstand,
daß der hl. Chrysosthomus uns darüber drei Homilien
hinterlassen hat! Betrachten wir nun zuerst den Haupt-
inhalt des Briefes. Zuerst lobt der hl. Paulus den
Philemon wegen des Glaubens und dann wegen der
Liebe gegen die bedrängten Christen. Dann fährt er
wörtlich fort: ‘„Ich bitte dich für meinen Sohn, den ich
[355] in meinen Banden gezeugt habe, für Onesimus, der dir
unnütz war, jetzt aber dir und mir nützlich ist, den ich
dir zurückgesandt habe, du aber nimm ihn auf, als wären
es meine Eingeweide.“’ (10–12.) Wer redet so? Der
greise Völkerapostel in Kerker und Banden. Für wen?
Für einen Sklaven und Dieb. Wie nennt er ihn? Er
ist mein Sohn; denn in meinen Banden habe ich ihn für
Jesus Christus gewonnen. Wie sollst du ihn auf-
nehmen? Wie meine Eingeweide – wie mich selbst.
Also welche Achtung und Ehrfurcht sollst du vor ihm
haben? Oder – vor dem Arbeiter, der in deinem Hause,
in deiner Fabrik, auf deinem Felde arbeitet – welche
Ehrfurcht sollst du vor im haben – christliche Familie?
– Wie vor dem heiligen Paulus, der, nachdem er mehr
gethan und gelitten als alle Apostel, in seinem Greisen-
alter ein Schauspiel den Menschen und den Engeln, in
Kerker und Banden die Krone des Märtyrerthums und
die volle Herrlichkeit des Himmels erwartet. Oder ist
diese Auslegung etwa zu kühn? Aber warum schreibt denn
der hl. Paulus an Philemon: ‘„Wenn du mich für deinen
Mitgenossen hältst, so nimm ihn auf wie mich!“’ (17)
Aber wie ist das möglich? – Onesimus, der Sklave,
der Weltapostel Paulus! Onesimus ist mein vielgeliebter
Bruder, und daher bekommst du statt des Knechtes, der
dir entlaufen, einen Bruder, der dir in Christo Jesu
gleichförmig geworden.
Aber wie ist das möglich? Diese Gleichstellung des
reichen Herrn Philemon und des armen Sklaven One-
simus! Fraget den gleichen hl. Paulus (Gal. III. 26)
‘„Da ist weder Sklave noch Freier, denn ihr seid alle
eins in Christo Jesu! ihr seid alle Kinder Gottes durch
den Glauben; denn ihr alle, die ihr getauft seid, habet
Christum angezogen.“’
Weder Sklave noch Freier! Warum nennt er gegen
[356] den Weltton zuerst den Sklaven. Wird sich die stolze
Welt nicht darob ärgern? Das ist ihm gleichgültig, aber
wissen soll sie, daß bei Jesus Christus der Sklave so viel
gilt als der Freie, die Magd soviel als die Dame, und
der Knecht soviel als der Herr. Warum? Durch die
Taufe seid ihr vielgeliebte Kinder Gottes und Brüder Jesu
Christi. Welcher Adel gilt also vor Jesus Christus?
Etwa Geld oder Kapitalien? Etwa Banken oder Fabriken?
Etwa Aemter und Würde? Das ist ihm wie ein Kinder-
spielzeug. Was ist vor ihm gemein und verächtlich?
Etwa Armuth oder Abhängigkeit? Etwa mühsame Arbeit
oder Verachtung? Aber das ist ja nach dem Beispiele
Jesu Christi und der hl. Familie gerade der Adel des
neuen Bundes. Oder macht etwa die katholische Kirche
einen Unterschied? Es mag viele Katholiken geben, die
nicht nach dem Evangelium, sondern nach den Grundsätzen der
Welt leben und das goldene Kalb in den Reichen ver-
herrlichen; aber die Kirche als Kirche kennt nur den Adel
den uns Jesus Christus gebracht. Als daher der hl.
Chrysosthomus dies Begleitschreiben des hl. Paulus er-
klärte, rief er voll Begeisterung: ‘„Auch die Kirche weiß
nichts von einem Unterschiede zwischen Herr und Sklave,
den Werth oder Unwerth bestimmt sie nach guten oder bösen
Thaten.“’ (Cf. h. II. 1 in Philem.) Um so adeliger wird
daher ein jeder, als er Christo ähnlicher ist; aber auch
um so gemeiner, je unähnlicher er diesem göttlichen Vor-
bilde geworden.
Erforschet nur euer Gewissen, ihr zunächst, die ihr
Arbeiter in euerer Familie, in eueren Geschäften und
Fabriken habet! Achtet und ehret ihr alle diese Knechte
und Mägde, all diese Lehrlinge und Gesellen und Lehr-
töchter, all diese Sticker und Fädlerinnen, all diese Tag-
löhner und wie sie immer heißen – achtet und ehret ihr
sie als euere ebenbürtigen Brüder und Schwestern in
[357] Christo Jesu, habet ihr vor ihnen Ehrfurcht? Wie redet
ihr von ihnen – mit Hochachtung oder etwa verächtlich?
Was erlauben sich oft größere oder kleinere Kinder gegen
Dienstboten?
Oder willst du etwa sagen ‘„meine Arbeiter sind
schlecht und verdorben; ich kann ja vor ihnen keine Ehr-
furcht haben.“’ Ob du vielleicht daran auch Schuld bist?
Was du mit solchen zu thun hast, wollen wir das nächste
Mal sehen. Für heute nur so viel: Auch solch' verdor-
benen Arbeiter schuldest du noch Ehrfurcht; denn sie
waren einst vielgeliebte Kinder Gottes, können es wieder
werden, sind heute noch Ebenbilder Gottes – und zu
dieser Ehrfurcht schuldest du ihnen tiefgefühltes Mitleid.
‘„Aber,“’ denkest du vielleicht, ‘„warum redest du so
lange von der Ehrfurcht, welche die Familie dem Arbeiter
schuldet? Weißt du denn nicht, daß diese ohnehin schon
stolz und kaum mehr zu leiten sind?“’ Daß die Arbeiter
oft nicht sind, wie sie sein sollten, ist mir schon bekannt;
daß aber viele Herrschaften und Familien auch nicht so
unschuldig sind, wie sie vorgeben, ist eben nur zu oft auch
traurige Wahrheit. Doch wollen wir indessen diesen
Punkt übergehen und auf die Arbeiter kommen.
Bevor ich jene Ehrfurcht erkläre, welche ihr
Arbeiter der Familie schuldet, muß ich noch Weniges
vorausschicken. Ihr alle, die ihr das Brot in fremden
Familien verdienet oder esset, vergesset niemals euere
Würde, bewahret und mehret dieselbe durch ein gottseliges
Leben. Denn sobald ihr durch Genußsucht, durch Aus-
schweifungen, durch Trunksucht euch selbst verächtlich machet,
werden wahrhaft christliche Familien euch zwar nicht ver-
achten, aber in ihren Häusern und Geschäften nicht mehr
dulden. Und dann ein zweites! Sollen die Arbeitgeber
euch achten, so müsset ihr euch gegenseitig als Brüder und
Schwestern in Christo Jesu, als Kinder und Erben Gottes
[358] achten und lieben. Wenn aber manche Arbeiter sich gegen-
seitig verachten, wenn andere ihre Würde und den Adel
der Mitarbeiter derart vergessen, daß sie durch ein ge-
wisses Laster in Wort und That alles verwüsten – können
solche noch auf die Anerkennung ihrer Würde und Hoheit
Anspruch machen? Urtheilet nur selbst.
Mehr als ein Viertel Jahrhundert stehe ich nun
mehr oder weniger im öffentlichen Leben; verkehrte fast
ausschließlich mit armen und geplagten Leuten – und
wenn ich sage, daß ich seit dreizehn Jahren mit 12000
Kranken aus dem Arbeiterstand nur im Kantonsspital mich
unterhielt, so greife ich gewiß nicht zu hoch. Aber gerade
deswegen habe ich nicht bloß das Recht, sondern auch die
hl. Pflicht, mit der Fackel des Evangeliums gewisse Nacht-
seiten des Lebens zu beleuchten und meine Stimme warnend
und bittend in alle Schichten der Gesellschaft ertönen zu
lassen. Wenn mir dann manche eine gewisse Vorliebe
gegen die große Masse der Armen und Geplagten und
Mühseligen zum Vorwurfe machen, so rühme mich dessen
so lange der Glaube besteht: Der Gottmensch lebte von
der Krippe bis zum Kreuze in Armuth, in Mühsal, in
Verachtung. Aber gerade deswegen wird das geplagte
Arbeitervolk mir auch nicht zürnen, wenn ich ihm seine
Stellung zu den Herrschaften und Reichen erkläre. Darum
sag ich noch einmal: ‘„Christliche Arbeiter und Arbeite-
rinnen, habet doch vor einander Ehrfurcht, auf daß auch
euere Vorgesetzten vor euch Ehrfurcht zu haben wie ge-
zwungen sind.“’
Aber das ist noch lange nicht genug. Denn wie die
Obern euch zu achten haben, so sollet auch ihr gegen sie
Ehrfurcht tragen. Das nun ist leicht. Denn hier gilt
alles, was ich anfangs sagte. Auch ihr sollet nämlich
euere Arbeitgeber als Kinder und Erben Gottes, als euere
Brüder in Christo Jesu betrachten. Aber wenn es Juden
[359] sind – vielleicht Feinde Christi? Es sind Ebenbilder
Gottes, Nachkommen des Auserwählten Volkes, aus dem
unser Erlöser dem Fleische nach stammt, in ihrer Zer-
streuung die lebendigen Zeugen der Wahrheit unseres
Glaubens; auch sie sind zum Glauben und zur hl. Taufe
und zur Kindschaft Gottes in Christo Jesu berufen.
Aber noch weit mehr. Denn betrachtet einmal die
Lehre und Mahnung des hl. Paulus: ‘„Knechte, gehorchet
den leiblichen Herren in der Einfalt eueres Herzens gleich-
sam wie Christo, nicht als Augendiener um Menschen zu
gefallen, sondern als Diener Gottes, die den Willen
Gottes thun von Herzen und mit gutem Willen dienen, gleich-
sam dem Herrn und nicht den Menschen.“’ (Eph. VI. 5–7).
Bleiben wir einige Augenblicke bei dieser Mahnung des
hl. Paulus stehen. Also wie Gott, wie Christo. Daher mit
aller Ehrfurcht (I. P. Set. II. 18). Denn ihr dienet eigent-
lich nicht den Menschen sondern Gott; ihr erfüllet eigent-
lich nicht den Willen eines Menschen, sondern den Willen
Christi. In welcher Eigenschaft ihr also immer im Dienste
anderer arbeitet, überall sollet ihr in eueren Vorgesetzten
und Herrschaften weniger die Menschen als Gott selbst
erblicken.
Aber wie ist das möglich? Die Vorsehung Gottes,
welche unsere Geschicke bis in das Kleinste leitet, hat es
theils gefügt, theils zugelassen, daß so viele Menschen ihr
Brod im Dienste der Reichen und der Herren zu verdienen
und zu essen haben. So werden die Arbeiter eigentlich
Diener Gottes, und während sie für diese Welt vielleicht
ein armseliges Leben fristen, sammeln sie sich unermeßliche
Reichthümer für den Himmel. Denn der hl. Paulus fügt
bei: ‘„Ihr wisset, daß jeder, was er Gutes thut, vom
Herrn zurückempfängt, sei er Sklave oder Freier.“’ Was
immer ihr also im Dienste der Menschen aus Liebe zu
Gott thuet, für das werdet ihr vielleicht hier schlecht be-
[360] zahlt, aber im Himmel überreichlich belohnt werden. Da-
her denn die wiederholte Mahnung: ‘„Wollet nicht Diener
der Menschen werden.“’ (I. Cor. VII.) Diese Worte gelten
nach der Auslegung des hl. Chrysosthomus (h. XIX. n. 4
in I. Cor.) nicht bloß den Knechten und Dienern sondern
auch den Herrschaften. ‘„Aber wie“’ fragt er, ‘„kann denn
der Knecht nicht Knecht sein?“’ Wenn er alles wegen Gott
thut, und kein Augendiener ist. Wer aber nicht Knecht
ist, wird ein Knecht, sobald er aus Habsucht oder Ehr-
geiz oder Sinnlichkeit eine böse That vollbringt. Betrachte
nur Joseph in Putiphars Haus! Er war Knecht aber
nicht der Menschen, und deßhalb im Dienste der Freieste
von allen Freien. Deßhalb gehorchte er seiner Herrin
nicht, als sie zur Unzucht ihn verleiten wollte. Dieses
Weib hingegen war keine Magd und doch unfreier als
jede Magd, als sie ihrem Diener schmeichelte aber von
ihm abgewiesen wurde.
Wer ist da wahrhaft frei? Der keusche Joseph,
welcher dem ungestümen Verlangen seiner Herrin
widersteht. Wer ist da Sklave? Die Herrin, welche
in den Fesseln ihrer Leidenschaften die Schande
sucht, und von ihrem Knechte abgewiesen wird. – Das,
christliche Arbeiter, ihr möget abhängig sein wie immer,
ist euere Würde und Hoheit, vor welcher selbst der Gottlose
und der Verführer und die Verführerin Ehrfurcht haben
muß. Seid also mit euerer Lage, wenn sie auch drückend
sein sollte, doch nie unzufrieden, sondern füget euch geduldig
in die Anordnungen Gottes. Christliche Arbeiter, habet
Ehrfurcht vor einander, kommet eueren Vorgesetzten mit
Ehrfurcht entgegen; wer aber über euch steht, der soll euch
ehren als ebenbürtige Brüder in Christo Jesu. In dieser
gegenseitigen Ehrfurcht werden dann alle Glück und
Heil finden.
Zum Schlusse nun kehre ich zum Anfange zurück,
[361] zu jenem heidnischen Hauptmann. Da dieser für die
kranken Knechte so besorgt war, wird er dieselben in ge-
sunden Tagen gewiß auch gut gehalten haben? Das nun
ist die hl. Pflicht aller Herrschaften. Dazu gehört vor
allem, daß dem Arbeiter der gerecht? Lohn bezahlt werde.
So schwierig es nun auch heute ist, in einzelnen Fällen
die Lohnverhältnisse genau zu bestimmen, so darf man
doch nie Armuth und Elend mißbrauchen, um die Arbeit
kaum bezahlen zu müssen, darf nie den Taglöhner betreff
seines Lohnes drücken (Malach. III. 5). Denn solche Leute
stellt Gott der Herr mit dem Zauberer, mit dem Ehe-
brecher, mit dem Meineidigen zusammen und droht ihnen
mit seinem Gerichte.
So lange nun die Arbeiter noch Christen sind, werden
sie sich gedulden und auf friedlichem Wege nach bessern
Umständen trachten, sobald sie aber den Glauben verloren
haben, erfolgen blutige Auftritte, wie sie vor nicht langer
Zeit in Belgien vorkamen.
Wenn es sich aber um Arbeiter handelt, welche in
der Familie sind, wie Dienstboten, Gesellen, Lehrlinge –
so haben die Herrschaften noch ganz andere Pflichten. Sie
haben für die Gesundheit dieser Leute dadurch zu sorgen,
daß sie ihnen den nothwendigen Schlaf, die genügende
Nahrung und gesunde Schlafstätte zukommen lassen. Das
ist um so nothwendiger, als die Gesundheit gewöhnlich das
einzige irdische Gut dieser geplagten Arbeiter ist. Oder
was soll eine arme Magd anfangen, nachdem ihre Gesund-
heit ruiniert ist? – Da spielt der Geiz oft eine traurige
Rolle, besonders wenn er noch den Mantel der Frömmigkeit
anzieht. Die Geizigen mögen sich in Speis und Trank
und in allen möglichen Dingen nur recht vieles versagen,
damit ihr Geld nicht abnehme sondern noch wachse – aber
wenn sie das von ihren Dienstboten verlangen, ist es
eine Sünde gegen das fünfte Gebot.
So geht die Drohung Christi immer in Erfüllung.
‘„Ich sage euch, Viele werden vom Aufgange und Nieder-
gange kommen und mit Abraham und Isaak und Jakob
im Himmelreiche sitzen; die Kinder des Reiches aber
werden hinausgeworfen in die äußersten Finsternisse.“’
Was will das sagen in Bezug auf unsern Gegenstand?
Heiden werden wegen ihrer Güte gegen Arbeiter und
Dienstboten zur Bekehrung, zum Glauben gelangen, und
so in das Himmelreich kommen, während viele Christen
ihrer Härte und ihres Geizes wegen in die äußerste
Finsterniß geworfen werden. Wenn aber die Herrschaften
so für das leibliche Wohl ihrer Dienstboten zu sorgen
haben, so sollen diese aber auch mit dem, was ihnen
geziemt, zufrieden sein und es nicht so bequem, nicht so
schön haben wollen wie die Reichen.
Wo im lebendigen Glauben die gegenseitige Achtung
und Ehrfurcht alles adelt und verklärt, genügt das Gesagte
über die Sorge für das leibliche Wohl, wo aber jene
Ehrfurcht fehlt, da würde auch der Prophet Malachias
mit den Drohungen nichts ausrichten. Deßhalb bitte ich
euch alle, ob ihr zu den Armen oder Reichen, zu den
Mägden oder Damen, zu den Gesellen oder Meistern
zu den Arbeitern oder Arbeitgebern gehöret, präget euch
diese Wahrheiten tief in das Herz, betrachtet sie oft,
handelt darnach, und auf der gegenseitigen Ehrfurcht wird
das richtige Verhältniß zwischen der Familie und den
Arbeitern, wo es gestört ist, wieder hergestellt, und wo
es noch besteht, befestiget werden, – und so werden beide
Theile leichter ihr zeitliches Glück und sicher ihr ewiges
Heil finden.
XXXVIII.
Christliche Familie und Arbeiter.
II.
[363]In der christlichen Gesellschaft sind Arme und Reiche,
Herrschaften und Dienstboten, Arbeiter und Arbeitgeber;
diese Alle sind durch die hl. Taufe Kinder Gottes ge-
worden und sollen sich gegenseitig als Brüder und
Schwestern in Christo Jesu voll Ehrfurcht und hl. Scheu
hochachten. Diese Grundwahrheit sollte eigentlich genügen,
um die Stellung der christlichen Familie zum Arbeiter zu
begreifen. Da wir aber im Verständnisse der Wahrheit
oft so langsam und manche Pflichten gar nicht verstehen
wollen, so muß ich einzelne Punkte noch ganz besonders
hervorheben.
Im letzten Vortrage gab ich die nothwendigsten Winke
betreff der Sorge für das leibliche Wohl der Arbeiter.
So wichtig nun diese Pflicht für die Herrschaften und
Arbeitgeber, so giebt es gleichwohl noch eine andere, viel
wichtigere, von deren Erfüllung nicht bloß das zeitliche
Wohl der Arbeiter, sondern sogar das ewige Heil Aller
bedingt ist. Und das wäre? Die gegenseitige Pflicht
der christlichen Familie und der Arbeiter für ihr Seelen-
heil einander behülflich zu sein.
Was ich hierüber zu sagen habe, präget euch tief ein,
damit nicht auch hier in Erfüllung gehe des Herrn Wort:
‘„Viele sind berufen, aber wenige auserwählt.“’
Auch heute muß ich von der Familie ausgehen und
zwar von denen, welche dieselbe leiten. Da nun stellt
der hl. Paulus (I. Tim. V) den Hauptgrundsatz ganz
allgemein auf: ‘„Wenn aber Jemand für die Seinige
[364] und besonders für die Hausgenossen nicht Sorge trägt,
der hat den Glauben verleugnet, und ist ärger als ein
Ungläubiger.“’ Wer also für das zeitliche und ewige
Wohl seiner Hausgenossen nicht sorgt, verleugnet den
Glauben, wenn nicht mit Worten, doch durch sein Leben,
der ist ärger als ein Heide, denn dieser ist nach dem
Naturgesetz für seine Familie besorgt.
Aber woher diese Pflicht? Aus der Natur der
Sache. Sehet einmal, Väter und Mütter vertrauen euch
ihre Söhne und Töchter an, bald als Knechte und Mägde,
bald als Lehrlinge und Gesellen, bald als Taglöhner, als
Fabrikarbeiter, oder auch als Kostgänger. Ihr wisset
nun, wie es so vielen Eltern wehe thut, daß sie ihre zarte
Jugend aus Armuth und Noth oder auch andern Gründen
nicht im Schoße der Familie behalten können. Sie ver-
trauen sie euch an. Was müssen sie verlangen, da sie
beim Abschied den Sohn, die Tochter mit thränen-
gefülltem Auge mahnen: ‘„Bleibe doch brav, bleibe doch
unschuldig!“’ – was müssen sie von euch verlangen?
Daß die Unschuld der Kinder in euerem Hause, in euerer
Fabrik, in euerer Gesellschaft vollkommen gesichert sei.
Sobald ihr daher solche Arbeiter annehmet, übernehmet
ihr auch die Sorge für ihr Seelenheil.
Aber noch höher steiget. Indem es Gott geleitet,
daß ihr Arbeiter beschäftigen könnet, hat er euch zu seinen
Stellvertretern an ihnen gemacht. Daher wird und muß
er die Seelen all dieser Arbeiter und Arbeiterinnen einst
auch aus euerer Hand zurückverlangen. Der hl. Augu-
stinus (de civ. Dei. XIX 16) setzt diese Pflicht so tief-
sinnig und doch so einfach auseinander, wenn er sagt:
‘„Wenn auch unsere gerechten Väter Knechte hatten, so
besorgten sie doch den Hausfrieden derart, daß sie in
Bezug auf die zeitlichen Güter den Stand der Söhne
von dem der Knechte unterschieden, aber in Bezug auf
[365] Verehrung Gottes, von welchem die ewigen Güter zu
hoffen sind, für alle Glieder des Hauses mit gleicher Liebe
besorgt waren. Die wahren Väter sorgen für Alle in der
Familie wie für ihre eigenen Kinder, daß doch Alle Gott
verherrlichen und einst im Himmel besitzen mögen.“’
Wenn also zuerst der Vater und dann mit ihm die
Familie die hl. Pflicht hat, für das Seelenheil der Arbeiter
besorgt zu sein, so sollet ihr, christliche Eltern, auch bedacht
sein, euere Kinder in guten Familien unterzubringen. Was
euere Lehrlinge, Gesellen, Dienstboten anbelangt, geht euch
der Pius-Verein durch das Lehrlingspatronat an die Hand.
Aber gerade dies Patronat ist eben auch ein Beweis, daß
wahrhaft christliche Familien immer seltener werden –
sonst wäre es ja gar nicht nothwendig – und bei aller
Vorsicht kommt doch mancher Sohn und besonders manche
Tochter in ein Haus, wo lange nicht alles Gold ist, was
glänzt. Ihr Alle aber, die ihr in Familien arbeitet, wo
man wirklich für euer Seelenheil besorgt ist, wo ihr keinen
Gefahren ausgesetzt seid, danket Gott täglich für diese
große Gnade; wenn daneben auch manches euch mißfällt,
bleibet doch in einem solchen Hause. Denn es ist doch
besser, hier etwas mehr zu leiden und in den Himmel zu
gelangen, als hier es bequemer und lustiger zu haben
und dann in die Hölle zu stürzen.
Doch wir müssen noch mehr in das Einzelne ein-
gehen. Denn, daß die Familie für das Seelenheil der
Arbeiter zu sorgen habe, ist wohl Allen klar; was sie aber
in Folge davon zu thun oder auch nicht zu thun habe,
das scheint Manchem unbekannt zu sein. Für's erste also
dürfet ihr niemals verdorbene Menschen weder in euer
Haus, noch in euere Geschäfte aufnehmen. Denn so
würdet ihr ja euch selbst oder euere Kinder oder andere
Arbeiter den Gefahren der Aergernisse und Verführung
aussetzen. Da könnet ihr nie strenge und vorsichtig genug
[366] sein, besonders mit solchen, welche von Ort zu Ort her-
umziehen und ihrer Liederlichkeit wegen nirgends geduldet
werden und mit solchen Söhnen und besonders mit solchen
Töchtern, welche gegen den Willen der Eltern das Vater-
haus verlassen haben. Wenn aber ein Familienglied oder
ein Arbeiter bemerkt, daß ein schlechter Mensch sich ein-
geschlichen, machet sofort Anzeige, um Aergernisse zu ver-
hüten. Besser den Brand verhindern als löschen!
Da ihr nun die hl. Pflicht habet, verdorbene Arbeiter
ferne zu halten, welch furchtbare Verantwortung, wenn die
Familie selbst die Brutstätte der Sünde wird! Wenn
Armuth und Elend und Noth und Unerfahrenheit und
Sinnlichkeit des Arbeiters, der Arbeiterin mißbraucht wird,
welch greuliches Aergerniß! Wo ist eine Meerestiefe
tief genug für solch heimtückische Verführer, daß sie den
Mühlstein am Halse hinunter versenkt werden! Oder sind
Verführungen, wie sie Putiphars Weib mit dem keuschen
Joseph versuchte – seltener geworden! Wie viele Töchter
im Dienste oder in der Lehre sind nicht mehr sicher vor
den Vätern und Söhnen der betreffenden Familie? Und
wenn auch nicht immer böse Werke vorkommen, – wie
zweideutig, wie gefährlich wird nur zu oft geredet und
gehandelt! Wenn in irgend einem Hause solch schreckliche
Unordnung sein sollte, räume auf, räume heute noch auf,
räume in elfter Stunde noch auf, bevor Gottes Zorn
über dein Haus losbricht wie einst über Sodoma.
Daß keine Aergernisse kommen, ist nothwendig, aber
noch lange nicht genug. Denn die Arbeiter sollen in der
Familie das gute Beispiel des täglichen Gebetes, des
fleißigen Kirchenbesuches, der Heiligung des Sonntags,
der guten Sitte und Ehrbarkeit vor Augen haben. Ihr
brauchet ihnen keine Predigten zu halten, – euer Bei-
spiel ist das wirksamste Wort. Aber auch ihr Dienst-
boten, Gesellen, Lehrlinge, Kostgänger habet der Familie
[367] gegenüber die ganz gleichen Pflichten. Denn auch euch
‘„Wehe,“’ wenn ihr Aergerniß gebet, besonders den Kindern
des Hauses. Damit nun dies Alles in Ordnung komme
und bleibe, ist die Wachsamkeit der Vater und Mutter
nothwendig.
Ihr habet in euerem Hause Knechte, Mägde, Lehr-
jungen, Gesellen, Lehrtöchter oder Kostgänger – wie ver-
kehren diese mit einander und mit euern Söhnen und
Töchtern? Und diese mit jenen? Wo sind sie bei Nacht?
Wäre jedes in seinem Zimmer, in seinem Bette zu treffen?
Suchen sie nicht, bei Tage allein beieinander zu sein?
Von solchen Leuten werden ja Kinder schon in zarter
Jugend zur Sünde mißbraucht, und klagen dann später
bitter über die Sorglosigkeit der Eltern. Gebet ihr auch
Acht, ob euere Dienstboten und Gesellen und Lehrlinge
den Gottesdienst fleißig besuchen, die hl. Sakramente
empfangen? ob sie nicht in schlechte Vereine eintreten?
welche Bekanntschaften sie anfangen oder unterhalten.
Aber was soll ich sagen, wenn die Leute nicht in deinem
Hause arbeiten und wohnen, sondern in der Fabrik oder
bei einem Bau oder sonstwo beschäftiget sind?
Auch da ist Aufsicht nothwendig und doppelt strenge,
wo beide Geschlechter miteinander arbeiten, seien die
Arbeiter ledig oder verheiratet; je weniger zahlreich die
Arbeiter, desto wachsamer muß die Bewachung sein. Oder
was verlangen denn all diese Aergernisse, all diese Sünden,
all das Unglück, das bald da, bald dort mehr oder weniger
aus dem Dunkel in die Oeffentlichkeit tritt? Was ver-
langt die Angst der Mutter und der Kummer des Vaters,
oder die Eifersucht einer unglücklichen Frau? Was ver-
langt der Leichtsinn der Jugend? Strenge Aufsicht.
Oder ist das schwierig? Mag sein – aber gerade
deswegen auch nothwendig. Was übrigens manche gute
Familie zu Stande bringt, wird auch für Andere keine
[368] Unmöglichkeit sein. Gebet ihr ferner auch Acht, ob nicht
vor der Zeit Einzelne sich in Arbeitslokale einschleichen
oder Abends unter diesem oder jenem Vorwande allein
zurückbleiben? Sind die Säle im Namen der Sittlich-
keit oder der Unschuld für Alle gleichzeitig geöffnet, aber
auch geschlossen?
Oder willst du etwa sagen: Ich betrachte meine
Arbeiter nur als Bürger, ich bin zufrieden, wenn sie ihre
Arbeit gut machen; um alles Andere kümmere ich mich
nicht. Schon gut. Aber wenn diese Bürger einst zur
Hölle fahren in deiner Gesellschaft, wo wird dann der
Christ, der Katholik im Himmel ein Plätzchen finden?
Oder wenn der Katholik verdammt wird, wo wird dann
der Bürger selig werden? Die Neilzeit mag, um das
böse Gewissen zu beschwichtigen, den Menschen von
der Wiege an bis zum Grabe, in der Schule, bei Ein-
gehung der Ehe, bei der Beerdigung nur als Bürger
betrachten und behandeln, um den Christen aber ganz
unbekümmert sein; Gott jedoch weiß von dieser Unter-
scheidung rein nichts – sondern er nimmt die ganze
Person, daß der Bürger mit dem Christ und der Christ
mit dem Bürger ewig verdammt oder ewig selig wird.
Das, das ist die Wahrheit, der wir uns zu unterwerfen
und nach der wir zu leben, zu handeln haben, unbe-
kümmert um das gelehrte Kauderwelsch einer christus-
feindlichen und Gott fernen Zeitströmung.
‘„Aber denkst du vielleicht, wir können doch nicht
überall sein.“’ Das verlangt auch Niemand, aber kannst
du nicht brave und zuverlässige Aufseher bestellen, kannst
du oder die Deinen nicht hie und da selbst nachsehen?
Kannst du nicht einzelne Arbeiter über die Ordnung oder
Unordnung befragen? Aber diese decken sich ihre Schande
gegenseitig zu. Das nun wäre allerdings traurig und
die sicherste Straße in die Hölle hinab. Denn, christliche
[369] Arbeiter, ihr habet die hl. Pflicht, den Herrschaften zu
sagen, wie es unter euch stehe, wie euere Unschuld oder
euer Glaube bedroht werde. Das gleiche habet, ihr zu
thun, wenn ihr in der Familie selbst Versuchungen aus-
gesetzt werdet. Ob dann für den Augenblick Zank und
Streit entstehe – an dem liegt nichts – wenn nur Alle
für den Tag der Ewigkeit gerettet werden. Wir sind
gewohnt, nicht bloß im öffentlichen, sondern auch im
Privatleben aus Klugheit tausenderlei Rücksichten zu
nehmen, und übersehen dabei nur zu oft aus Feigheit die
eine nothwendige Rücksicht auf die Ewigkeit.
Oder wollt ihr sagen: ‘„Die Anzeige hilft doch
nichts.“’ Hast du schon einen Versuch gemacht? Warum
denn sagen: ‘„Es hilft doch nichts.“’ Wenn ihr aber
jemals an einem Orte arbeiten solltet, wo man über
Glaube und Sitte und Scham nur spottet, wo keine
Aufsicht waltet, wo keine Anzeige hilft, wo ihr in Folge
der eigenen Schwäche in großen Gefahren seid, oder, was
Gott verhüten möge, wo du vielleicht seit langer Zeit in
Sünde und Ehebruch gelebt: – dann eilet aus Sodoma
morgens früh, wie Lot, bevor Schwefel und Feuer vom
Himmel fällt. Und wenn ihr dann keine Arbeit habet
für den Augenblick, so bettelt – und wenn ihr keine
mehr findet, so gehet in das Armenhaus. Denn so ent-
rinnst du doch jenem ärmsten Armenhaus, wo Satan das
Scepter über die Ungläubigen, über die Spötter, über
die Unzüchtigen schwingt.
Welcher Gedanke, welche Vorstellung! Welche Ewig-
keit für Arme und Reiche, für Herrschaften und Dienst-
boten, für Arbeitgeber und Arbeiter, für Aufseher und
Untergebene – Welche Ewigkeit, nachdem nicht bloß die
Gebote Gottes, sondern sogar das Naturgesetz verletzt
wurde! Da stürzen sie hinab, unglückliche Töchter: die
einen wurden im Dienste verführt, andere während der
[370] Lehrzeit, wieder andere sind mit 16, 17 Jahren in
Arbeitslokalen Ehebrecherinnen geworden, ihre Verführer
liegen schon drunten, oder stürzen nach – und der fürchter-
liche, ewige Gruß? Sei verflucht! Du bist allem die Schuld
an meinem Verderben: ich kam unschuldig zu dir; deinen
Schmeicheleien, deinen Drohungen erlag ich; ich wollte
mich bekehren, du lachtest nur; mich erschütterte das Wort
Gottes, du höhntest darüber; ich wollte beichten, du
spottetest – sei verflucht – versinke in die Untiefen!
Sei verflucht, lautet der Gegengruß unter dem Hohn-
gelächter der Hölle. Warum ließest du dich verführen?
Warum bist du keine Märtyrin geworden für deine Un-
schuld? Warum machtest du keine Anzeige bei der Herr-
schaft, bei meiner Frau? Ich hätte mich bekehrt! Ver-
sinke in die Untiefen! Doch der Anblick bleibt – in
alle Ewigkeit bleibt er. Denn was auf Erden die Sünde
zum Genuß und zur Lust verbunden, das schmiedet die
Verdammniß zur Pein und Strafe ewiglich zusammen.
Steiget im Geiste hinab in diese ewigen Flammen!
Sehet Männer, sehet Jünglinge! Ungläubig sind sie
geworden, die einen als Lehrlinge, andere als Gesellen,
als Knechte, als Fabrikarbeiter. Unzüchtige, Ehebrecher
sind sie geworden durch gefallsüchtige, ausgelassene Mäd-
chen! Sie stürzen hinab, treffen zusammen mit den Ur-
hebern und Mitgenossen ihres traurigen Lebens. Und
der Gruß? ‘„Sei verflucht! Du gabst mir schlechte
Bücher und Schriften in die Hand, du höhntest über die
Religion, du hieltest mich ab von dem Besuche des
Gottesdienstes, vom Empfange der hl. Sakramente, du
führtest mich in schlechte Gesellschaften! Du reiztest
meine Begierlichkeit durch deine Frechheit. Sei ver-
flucht.“’‘„Sei verflucht, so tönt der Gegengruß durch die
ewigen Flammen. Warum widerstandest du nicht? Warum
erinnertest du mich nicht an die ewigen Wahrheiten?“’ –
[371] Und nachstürzen all die Familien, welche ihren Gewinn
zählten und in Genußsucht lebten – und ihre Arbeiter die
Gebete Gottes übertreten ließen oder gar noch dazu ver-
führten! – Sie stürzen nach und versinken in die tiefsten
Untiefen! – ‘„Seid verflucht!“’ tönt's ihnen von allen
Seiten entgegen und durch alle Ewigkeit wiederhallt der
Verzweiflungsruf.
Meine lieben Zuhörer – wohin denken wir! An
wen soll ich mich zuerst wenden in der Angst und Küm-
merniß der Seele? – Wohin, wohin denkst du, christ-
liche Tochter, wenn du das Vaterhaus verlassest, blutjung,
um anderswo etwas zu lernen, zu arbeiten, dein Brod zu
verdienen? Wohin denkst du, wenn Versuchungen kommen?
Wohin, wenn der Beichtvater dich warnt und bittet und
beschwört? Und ihr Jünglinge, Lehrjungen, Gesellen,
Fabrikarbeiter, Taglöhner – ihr Alle, die ihr in Ab-
hängigkeit von Andern euer Brod verdient – wo denket
ihr hin? Lachet ihr vielleicht bei der Arbeit über das
Wort Gottes? Was sagten schon so manche Arbeiter
auf ihrem Todbette? ‘„All' euer Predigten, all, euer
Wirken hilft nichts, so lange in den Arbeitslokalen von
ledigen wie Verheiratheten beiderlei Geschlechts so ge-
redet wird.“’
Und ihr, christliche Herrschaften, Familien, wo denket
ihr hin, wenn im Heiligthum der Familie Dienstboten
und Arbeiter Glauben oder Unschuld verlieren? Euer
Haus sollte für diese Geplagten wie ein Tempel sein und
wird für sie wie ein Ort der Verführung, der Sünde,
des Unglücks! Wo denket ihr hin? ‘„Wenn Jemand für
die Seinigen und besonders für die Hausgenossen nicht
sorgt, hat er den Glauben verleugnet und ist ärger als
ein Heide.“’ Wer also für die Hausgenossen nicht sorgt,
ärger als ein Heide – wer aber für dieselben nicht bloß
nicht sorgt, sondern sogar Anlaß zur Sünde, zum Ver-
[372] derben gibt – was wird dieser erst sein? Christliche
Herrschaften und Familien, wo denket ihr hin? – wo
denket ihr hin? Seid ihr Väter oder Mütter, Söhne
oder Töchter, denket ihr an den Abend des Lebens,
wo kein Ansehen der Person vor Gottes Richterstuhl
gelten wird? Denket ihr an die Ewigkeit mit dem
Denar des Himmelreiches, oder mit dem Feuer des Ab-
grundes?
Oder zürnen mir vielleicht Manche, daß ich diesen
Gegenstand mit dem Lichte der Ewigkeit beleuchte? Denn
manches Auge, in Sünden schwach geworden, erträgt das
Licht nicht mehr. Aber wehe mir, wenn ich das Evan-
gelium nicht predige – muß ich mit dem hl. Paulus
sagen – und wehe mir, wenn ich es nicht predige, wie
es unsere Zeit verlangt, ich könnte das weder vor Gott,
noch vor den Menschen verantworten.
Oder lasset einmal das Herz reden! So viele be-
sorgte Väter und Mütter, welche in Deutschland oder in
unserm weitern Vaterlande leben und ihre Kinder hier in
Arbeit haben – würden sie mir für diese Rede – nicht
mit den Lippen – sondern mit thränenvollem Auge
danken? Antwortet, ihr Söhne und Töchter, die ihr euere
Eltern in naher oder weiter Ferne habet! – Oder ihr
Väter und Mütter, die ihr vielleicht auch Söhne und
Töchter in der Fremde habet, wie froh wäret ihr, wenn
diese Wahrheiten euern Kindern und ihren Herrschaften
mit allem Nachdruck aus Herz gelegt würden? Ja oder
nein! Ist es nicht so! Ihr müßtet ja kein Herz haben
für euere Kinder, für euer Liebstes auf Erden. Und wenn
ich daher heute bewegter als sonst zu euch gesprochen, so
wundert euch nicht – denn der Kummer, die Angst, die
Liebe, die Begeisterung so vieler Vater- und Mutter-
herzen hat sich gleichsam in diesem Herzen wie Strahlen
in einem Brennpunkte gesammelt, und mir all die Ge-
[373] danken und Worte auf die Lippen gelegt. Möge daher
dies Wort, wie es tief aus tausend Herzen kommt, auch
recht tief in tausend Herzen gedrungen sein und zur Be-
wahrung oder Wiederherstellung der christlichen Familie
dienen. So wird die Familie ein Heiligthum, wo Alle
in Christo Jesu als ebenbürtige Brüder und Schwestern
einander hochschätzen, ein zweites Vaterhaus, wo für das
leibliche Wohl der Dienstboten und Arbeiter väterlich und
mütterlich gesorgt wird, wie ein Paradies, wo die süßen
Familienfreuden ferne vom armseligen Wirthshausleben
von Allen genossen werden je nach ihrem Stande, ein
Tempel, wo Alle in Heiligkeit und Gottseligkeit für den
Himmel heranreifen, Söhne und Töchter der Herrschaft
mit den Söhnen und Töchtern jener Eltern, die vielleicht
schon hinübergegangen sind oder in der Ferne um ihre
Kinder in der Fremde besorgt weinen. Aber so geht
denn auch in Erfüllung das Wort des hl. Augustinus:
‘„Die wahren Väter sorgen für Alle in der Familie wie
für ihre eigenen Kinder, daß doch Alle Gott verherrlichen
und einst im Himmel besitzen mögen.“’
Vergl. ‘„Rundschreiben Leo XIII. über die Arbeiterfrage,“’
Vorträge vom gleichen Verfasser. Ingenbohl (Schwyz) 1894.
XXXIX.
Ehe und Tod.
(Allerseelentag).
Wenn auch die Ehe durch Jesus Christus derart ge-
heiliget worden ist, daß sie in der Heiligkeit und Liebe
der Gatten ein glückliches Abbild der Vereinigung Christi
mit seiner Kirche werden soll, so hat doch dieser innigste
[374] geheimnißvollste Lebensbund keinen Bestand, sondern eilt
mit jedem Augenblicke seiner Auflösung entgegen. Oder
was verkünden all diese Lichtlein? Das ewige Licht
leuchte ihnen. Wem? Meinem Gatten, meinen Eltern,
meinem Sohne, meiner Tochter. Was verkündet dies
Trauergewand? Dies nasse Auge? Dies Gebet? Der
Schmuck der Gräber? Die Auflösung der Familie durch
den Tod! Was ruft euch der Friedhof voller Grabhügel
zu? Dies Alles ruft mit dem hl. Paulus: ‘„Das je-
doch, Brüder, sag' ich, die Zeit ist kurz. Mitten im
Leben sind wir vom Tode umgeben.’
Damit ihr nun Alle täglich an diese Wahrheiten er-
innert werdet, will ich sie mit einem Gegenstande ver-
binden, welcher so oft der Jugend als reinstes Glück in
trügerischer Ferne erscheint, auf den Eltern aber ebenso
oft als schweres Kreuz lastet. Und das wäre? Die
Ehe. Das nun mag euch auffallend erscheinen. Denn
wer steht dem Tode ferner, als die Jungfrau im Braut-
schmuck? Was hat der Bräutigam mit der Todtenfahne
zu thun? Wie stimmt das Hochzeitslied zum ‘«Requiem
æternam»’? Der Tod, voll Schrecken, voll Trauer, voll
Kälte, wie paßt er zum Feuer, zur Freude, zum Jubel,
der Brautleute? Und doch – ist da die innigste Ver-
bindung und Verwandtschaft, denn: 1. erinnert die Ehe
an den Tod; 2. der Tod aber mahnt, die Ehe heilig zu
halten.
Die Ehe erinnert an den Tod. Denn schon der
Völkerlehrer mahnt die Gläubigen: ‘„Das jedoch sag' ich,
Brüder, die Zeit ist kurz; es erübriget nur, daß die,
welche Weiber haben, seien, als hätten sie keine.“’ So
verbindet er die Ehe mit dem Tod. Diese Verbindung
nun schwebe euch täglich vor Augen. Denn was soll die
Ehe sein? Ein Abbild der Vereinigung Christi mit
seiner Kirche. Diese Form der Vermählung aber bleibt
[375] nicht immer; denn sie ist für die Kirche voll der Leiden
und der Schmerzen. Daher wird dann kommen jener
große Tag des Herrn, wo die Posaune all den Todten
ruft, wo der letzte Papst im Thale Josaphat erscheint,
die Schlüssel des Himmelreiches wieder in die Hände des
großen und wahren Gottes zurückzugeben: dann werden
die Thränen von den Augen der Braut Christi abgetrocknet,
ihr das Brautkleid ewiger Verklärung angezogen, daß sie
unter den Jubelklängen der neun Engelchöre mit all ihren
frommen und heiligen Kindern am ewigen Hochzeitsmahle
des Lammes theilnehme. Was prediget nun diese Ver-
wandlung? Wenn ihr auch in Glück und Frieden mit
einander lebet, umgeben von guten Kindern, – die Zeit
ist kurz, ein Augenblick – und ihr seid von einander
getrennt, um zu werden und zu bleiben wie die Engel
des Himmels.
An diese Wahrheit erinnert euch die Kirche, wenn
ihr am Altare kniet und einander die Hände reichet zum
ehelichen Bunde. Denn die Ermahnung an die Braut-
leute schließt ja mit den Worten: ‘„Daß euch beide nichts
Anderes scheide, als der Tod allein.“’ Denket ferner an
jenes schöne Gebet über die Braut, welches also schließt:
‘„Sie sei mit himmlischen Lehren ausgerüstet, gesegnet
mit guten Kindern, standhaft in den Prüfungen, damit
sie beide an ihren Kindern Freude und ein glückliches
Alter erleben, und einst zur Ruhe der Auserwählten
Gottes im Himmel gelangen.“’ Alter, Tod, ewige Ruhe,
– dies Alles schwebt vor euren Augen, wenn das Hoch-
zeitsgewand euere Jugend, euere Schönheit, euere Kraft
verklärt. Feiert nur Hochzeit, so freudig ihr wollet; aber
zwischen Braut und Bräutigam steht voll Ernst – der
Tod, flüstert beiden zu: ‘„Dies Band, das ihr heute ge-
knüpft, darf und kann Niemand lösen; nur ich habe von
Gott die Vollmacht, euch nach wenigen Augenblicken wieder
[376] zu trennen. Es kann da gar keine Ausnahme geben,
seit ich mit Furcht und Zittern in die hl. Familie von
Nazareth eintreten mußte, um auch dort, wo ich kein Recht
hatte, meines Amtes zu walten.“’ So spricht der Tod,
und das Familienleben bezeugt die Wahrheit seiner Aus-
sage. Sehet einmal!
An was erinnert euch die Geburt des ersten Kindes,
wenn ihr beide dieselbe erlebet? An Gottes Wort: ‘„In
Schmerzen wirst du Kinder gebären.“’ Daher wird auch
das Andere für euch Wahrheit werden: ‘„Du bist Staub
und sollst zum Staube wiederkehren.“’ Und sind nicht
schon jene Leiden und Schmerzen ein Versuch des Todes,
dem Manne die [Gattin] zu nehmen! Die Mutter war
ihm noch zu stark, aber nicht das Kind. Denn sehet nur
um euch! Es gibt ja so wenige Familien, welchen der
Tod nicht kleine Kinder weggenommen. Oder was be-
deuten denn jene Reihen kleiner Kreuze auf dem Fried-
hof? Adam und Eva schauten zuerst die Schrecken des
Todes auf dem Antlitz des frommen Abel; das war für
sie das furchtbarste Memento mori – ‘Denk' an den
Tod!“’ Und wenn ihr den Tod nicht geschaut im ge-
brochenen Auge euerer Eltern, was verkündet euch dies
Kind, dessen Seele die Herrlichkeit Gottes anschaut? Denk'
an den Tod! Bald werdet ihr mir nachfolgen; lebet so,
daß wir in der ewigen Ruhe einander wieder finden.
Und diese Jugend, und diese Kinder, die euch der
Tod noch übrig gelassen, was predigen sie euch? Es ist
da wie am Rheine draußen. Dort stößt eine Welle die
andere vorwärts, immer neue Wasser kommen und
strömen endlich in's Meer, dort ihre Ruhe zu finden. Wo
sind jene Kinder und jene Jugend, welche heute vor zehn
Jahren diese vorderen Bänke füllten? Wie weit seid ihr
schon über diesen Kreuzgang hinweggedrängt von den
nachkommenden Geschlechtern? Und diese werden wieder
[377] gestoßen, bis ihr Alle im Meere der Ewigkeit verschwunden
seid. Was ruft euch daher die heranwachsende Jugend,
was rufen euch diese Söhne und Töchter, durch welche
ihr vielleicht schon Großeltern geworden, zu? ‘„Wir wollen
auch wieder Geld und Gut, Kleidung und Nahrung,
Felder und Obdach, für so Viele hat die Welt nicht Platz.
Denk' an den Tod!“’
Nicht wahr, ihr pflanzet neben einem alten Baum
einen jungen; dieser wächst auf, bis jener zusammenbricht.
O, ihr alternden Bäume, Gott hat diese jungen Pflanzen
neben euch hingepflanzt. Ihr seid schon wie überflüssig
geworden und stehet dem jungen Baume hindernd zur
Seite! Ob ihr noch etwas jünger oder schon alt, – er
ist für euch wie eine Trauerweide auf euerem Grabe.
Die Zeit ist kurz; denk' an den Tod! Er ist ja bereits
euer Familiengast geworden, und wird nicht mehr von
euerem Tische weggehen, so lange er noch Leben findet.
Ihr möget euch noch mit einigen Jährchen vertrösten, ihr
möget noch fleißig Geld sammeln, als hättet ihr immer
mit einander zu leben, ihr möget die Gedanken an die
baldige Trennung aus dem Sinne schlagen: der Tod ist
und bleibt euer Hausgast, schleicht unheimlich in den
Räumen umher, holt euch ein zweites, eilt drittes Kind,
vielleicht gar einen Jüngling, eilte Jungfrau, die schönste
Hoffnung euerer Zukunft.
Und wenn euch dies Alles noch nicht genügt, wie
viel Schmerzen und Leiden und Krankheiten sind mit der
Ehe verbunden? Jene Mühsal des Fleisches, von welcher
der hl. Paulus redet. Dachtet ihr auch schon ernstlicher
darüber nach? Woher dies Alles? Wer bleicht das Haar,
oder reißt es aus? Der Tod. Wer wirft die Runzeln
in's Angesicht und die Schatten des Alters? Der Tod.
Wer gibt der Lunge den Husten, dem Blute die Schwäche?
Der Tod. Wer wirft an jedes Glied all' dies Weh, all'
[378] diese Gebrechen? Der Tod. Wenn daher deine Gattin
leidet, kränkelt, was ruft sie dir zu? ‘„Siehe, der Tod,
arbeitet in mir; ich weiß nicht, wann er seine Arbeit voll-
endet, uns von einander zu scheiden.“’
‘„Aber das ist doch gar zu traurig!“’ Darüber will
ich mit euch nicht rechten; aber saget einmal ist es denn
in Wirklichkeit nicht so? Ist das nicht unser Leben, oder
besser unser langsamer Tod? Ruft's nicht von allen
Seiten und Ecken und Enden? ‘„Die Zeit ist kurz, denk'
an den Tod!“’ Ob ihr diese Stimme vernehmet oder
nicht, sie rufet dennoch; ob ihr die Schatten des Todes
sehet oder nicht, in euerer Familie stehet dennoch jener
Knochenmann – in der Hand die schlagbereite Sense.
Es ist wahrhaft, als hätte Gott nur deswegen die Lebens-
gemeinschaft der Ehe angeordnet, damit wir Alle nach-
drücklichst und immerfort an den Tod erinnert würden.
Wenn aber der Tod schon das Eine oder Andere
vielleicht in der Vollkraft und Blüthe des Lebens weg-
gerissen hat, was soll ich dann erst sagen? Da steht ein
Mann mit den Kindern am Grabe der Mutter – der
Tod flüstert ihm in's Ohr: ‘„Siehe, einen Theil von dir
hab' ich schon in's Grab geworfen; morgen werd' ich auch
den andern nachholen.“’ Und wenn die Mutter ihren
todten Gatten betrachtet, läuft nicht auch der Todesschauer
über ihren Leib? Denn sie waren ja nur mehr Zwei
in Einem Fleische. Steckt nicht der Tod verborgen in
ihrem Trauergewand? Was erst, wenn ein zweiter
Vater, eine zweite Mutter in's Haus eingetreten? Denn
diese zweite Vermählung ruft ja überlaut: ‘„Wo ist der
Vater, wo ist die Mutter dieser Kinder? Das erste
Band ist durch den Tod zerissen, haltet euch nur bereit,
auch dies zweite hat er schon in seiner Hand.“’
Ihr möget also die Ehe und die Familie betrachten,
wie ihr immer wollet, ihr werdet immer an den Tod
[379] erinnert. Wenn euch das aber nicht genügt, wenn ihr
etwa glaubet, ihr seid wenigstens noch für viele Jahre
gesichert, ihr müsset erst noch für euere Kinder sorgen, ihr
seid noch jung und stark – gehet heute nur auf den
Friedhof, betrachtet dort all die Gräber, schauet nach, ob
der Tod Erbarmen habe mit kleinen Kindern, mit der
Jugend der Eheleute, oder ob er nicht vielmehr bald den
Vater, bald die Mutter, bald beide den zarten Kindern
entreiße; ob er nicht die Ehe oft trenne, bevor sie nur
recht geschlossen ist; ob er nicht für die Mutter und ihr
erstes Kind das gleiche Grab öffne. Da nun öffnet nur
die Augen – und der Tod steht vor euch in seiner
wahren Gestalt, thränenlos, ohne Mitleid, ohne Er-
barmen.
So also hat Gott das menschliche Leben eingerichtet,
daß wir den Tod unmöglich vergessen können. Das ist
ein Werk unendlicher Barmherzigkeit. Denn, wenn auch
der Mensch in seiner Leidenschaft Gott und die Kirche
Himmel und Hölle vergessen kann, hat er doch immer
mit dem Tode zu rechnen, der sicher kommt, und zwar
wie ein Dieb in der Nacht, wenn man gar nicht daran
denkt. Daher mahnt er denn euch, die Ehe heilig zu
halten.
‘„Das aber sage ich euch, Brüder, die Zeit ist kurz;
es erübriget nur, daß die, welche Weiber haben, seien,
als hätten sie keine.“’ (I. C. VII. 29.)
Die Zeit ist kurz, und doppelt kurz für Eheleute.
Denn, wenn ihr in den Ehestand tretet, sind schon viele
Jahre eueres Lebens vorbei, vielleicht der dritte Theil,
oder gar die Hälfte: sind aber nur wenige vorbei, werden
diese frühen Ehen die Gehilfen des Todes, um die kurze
Lebenszeit noch mehr abzukürzen. Wie manche allzujunge
Frau seufzte schon auf ihrem Sterbebette: ‘„Ach hätte ich
doch dem Pfarrer gefolgt;“’ – aber die Thränen halfen
nichts; der Tod hielt seine Beute zu fest.
Die Zeit ist kurz, kürzet sie einander nicht noch mehr
ab; rufet doch dem Tode nicht muthwillig. Wenn näm-
lich statt Geduld Zorn, statt Liebe Haß, statt Frieden
Streit unter euch herrscht; wenn ihr euern Leidenschaften
Alles gestattet, den Schultern mehr aufladet als sie zu
tragen vermögen; wenn die Genußsucht und die Sinnlich-
keit Alles beherrscht und verlangt, heißt das nicht, das
Leben einander muthwillig abkürzen? Wäre das möglich,
wenn ihr nur irgendwie an den Tod dächtet? ‘„Die
Zeit ist kurz,“’ ruft der Tod jeden Augenblick, ‘„machet
diese kurze Zeit nicht noch selbst kürzer, verbittert sie
einander nicht, sondern liebet einander, wie Christus seine
Kirche, und die Kirche Christus liebt; seid Väter voll
Würde und Hoheit, wie der hl. Joseph; seid Mütter
voll Würde und Opferliebe, wie die Mutter Gottes.
Denn ich stelle euch im nächsten Augenblick vor den Richter-
stuhl des allwissenden und allgerechten Gottes.“’
So mahnt euch der Tod, christliche Eltern, und wendet
sich von euch weg an euere Söhne und Töchter, die nur
zu oft nicht bloß die Gebote Gottes vergessen, sondern
sogar die zartesten Gefühle und Regungen der Natur
schänden, um euch und sich selbst diese kurze Zeit recht
bitter und noch kürzer zu machen. O! wie lange noch
christliche Jugend, wollen so manche aus euch gedanken-
los durch die Welt gehen, um bald in die Hände des
lebendigen Gottes zu fallen? Wie lange noch soll dieser
Allerseelentag spurlos an so manchem vorübergehen? Wie
lange noch wollet ihr mitten im Modergeruch des Todes
den Tod vergessen? Die Verbindung von Vater und
Mutter verkündet euch den Tod; die grauen Haare des
Vaters und die Runzeln der Mutter zeigen euch den Tod;
das Grab des Vaters oder der Mutter oder auch der
Altersgenossen verkünden euch den Tod – den schnellen,
den unsichern, den plötzlichen Tod.
Denn, wenn ihr heute die Gräber betrachtet, fraget
nur: Wie ist denn dieser, wie ist denn jene gestorben?
Und bei sehr vielen lautet die Antwort: Plötzlich, un-
erwartet, unversehen. Warum wollet ihr gleichwohl durch
ein ausgelassenes Leben den Tod derjenigen beschleunigen,
durch welche euch die Allmacht Gottes dies Leben ge-
schenkt hat? Warum einer Bekanntschaft, einer Hochzeit
wegen Vater und Mutter den Tod wünschen? Wäret
ihr unsterblich, könntet ihr immer und ewig in diesen
wüsten Freuden leben: – dies Verbrechen wäre unnatür-
lich, doch der Tod grinst euch an, nimmt euere Leiden-
schaften und Ausschweifungen zu Gehülfen; vor Vater
und Mutter sinkst du vielleicht ins frühe Grab, oder folgest
ihnen schnell nach wider Erwarten! Ach, wie so oft opfert
ihr euerer Leidenschaft das Glück der Eltern, den Frieden
der Seele, die Unschuld des Leibes, die Hoffnung auf
den Himmel. Diese Leidenschaft soll euch zur Ehe führen?
Schwebt euch nicht diese vor Augen? Die Ehe aber er-
innert euch von allen Seiten an den Tod mit all seinen
Schrecken. Ist nun diese Handlungsweise Leichtsinn oder
Dummheit, oder Verblendung, oder Bosheit, oder Leiden-
schaft, oder alles zusammen? Oder glaubet ihr nur an
den Tod für andere, nicht aber für euch?
Oder wird er dich verschonen, bis du die wüste
Jugendrechnung mit deinem Gotte geordnet haben wirst?
Zeiget mir einmal den Vertrag, den ihr mit ihm ge-
schlossen! Was bleibt euch übrig? Vater und Mutter
zu ehren, daß ihre Ehe lange glücklich bleibe, und es
euch gut ergehe, und ihr lange lebet auf Erden. Was
bleibt euch übrig? Nach dem Vorbilde von Joseph und
Maria zu leben in den Tagen der Jugend und nach
ihrem Vorbilde unbefleckt und rein in den Ehestand zu
treten. Dann wird der Tod auch in der Ehe euer Lehr-
meister sein, daß ihr denselben einst nicht zu fürchten
[382] habet, sondern mit dem hl. Paulus sagen könnet: ‘„Ich
wünsche aufgelöst zu werden und bei Christo zu sein.“’
Denn betrachtet nur tiefer das Wort des Völker-
lehrers. ‘„Die Zeit ist kurz, es erübriget nur, daß die,
welche Weiber haben, seien, als hätten sie keine, und die
welche weinen, als weinten sie nicht, und die, welche sich
freuen, als freuten sie sich nicht, und die, welche taufen,
als besäßen sie nicht, und die, welche diese Welt gebrau-
chen, als brauchten sie dieselbe nicht. Denn die Gestalt
dieser Welt vergeht.“’ So der hl. Paulus. Daß er aber
dies alles zunächst von der Ehe verstanden wissen will,
ist schon daraus klar, daß er im ganzen Kapitel nur von der
Jungfräulichkeit und der Ehe redet. Betrachtet also das
Einzelne! An was mahnt also der Tod die Eheleute?
Lebet so, als wäret ihr nicht verheiratet! Was will das
sagen? Liebet doch nicht zu sehr diese Schönheit der
ersten Jahre, sonst wird die eheliche Liebe unbeständig
wie diese Schönheit. Noch viel weniger traget diese
Schönheit irgendwie zur Schau. Denn der Tod ziert
euern Leib unbemerkt für die letzte Stunde, bald lang-
samer, bald schneller, bald wie in einem Augenblick. Er
nimmt euch die Zähne des Mundes, den Schmuck des
Hauptes, er bleicht euere Wangen, er wirft die Runzeln
auf euer Gesicht, trübt die Augen, bückt die Gestalt.
Wenn man diese jungen Eheleute nach zwei bis drei
Jahren zum ersten Mal wiedersieht – welche Verände-
rung! Wo ist diese Jugend? Wo diese Anmuth? Wo
diese Lieblichkeit? Der blühende Baum steht bereits wie
mit falben Blättern ganz ernst da. Deshalb mahnt und
warnt euch der Tod: ‘„Lasset euch durch diese Schönheit
nicht bethören, nicht gefangen nehmen, hängt euer Herz
nicht daran. Denn sonst geht die Treue und Liebe mit
dieser Schönheit unbemerkt verloren. Liebet vielmehr die
Schönheit der Seele, welche nicht altert, sondern immer
jugendlicher wird.“’
Aber noch mehr! Ihr wisset ja, mit welch' mannig
faltigen Wechselfällen Ehe und Familie verbunden sind.
Wie oft weinet ihr in Schmerz und Leiden? Seid doch
wie diejenigen, welche nicht weinen! Denn nach einigen
Augenblicken macht der Tod all diesem Elende ein Ende.
Wenn aber Anlässe der Freude und des Jubels kommen,
wenn euch Gott Glücksgüter gegeben hat, daß ihr
euch freuen könnet, seid doch wie diejenigen, denen
keine Freude vergönnt ist. Denn nach einigen Augenblicken
hat der Tod euch alles geraubt, und es bleibt euch nur
noch das Grab. Aber dürfen wir denn nicht kaufen und
erwerben, wenigstens für unsere Kinder? Freilich; aber
auch da ruft der Tod: ‘„Seid nicht so besorgt um diese
zeitlichen Güter; ihr seid für den Himmel bestimmt. Euere
Kinder haben auch wieder Verstand und gesunde Glieder
– auch sie eilen dem Grabe zu. Die Gestalt dieser
Welt vergeht.“’
Wohlan, wenn ihr euch mit diesen Gedanken alle
Tage vertrauter machet, wie viel Zucht und Gehorsam und
Ehrbarkeit unter der Jugend! Wie heilig die Vorberei-
tungen auf den Ehestand: Wie heilig die Ehe selbst!
Wenn ihr aber euere Familie mit dem Vorbilde, mit der
hl. Familie von Nazareth, vergleichet, wie werdet ihr
vor dem Angesicht Gottes bestehen?
Wie wird es um die bestellt sein, welche uns vor-
ausgegangen sind? Wo werden diese sein? Um nur von
der Familie zu reden, könnet ihr glauben, daß sie nach
dem Tode sogleich in die Herrlichkeit Gottes eingegangen
sind? War die Ehe euerer Eltern ein treues Abbild der
hl. Familie und der Vereinigung Christi mit seiner Kirche?
War euer Vater in der Familie wie ein zweiter Christus
oder wie der hl. Joseph, voll Würde und Hoheit? War
die Mutter rein und makellos und gehorsam, wie die
Kirche oder die Mutter Gottes, voll Würde und Opfer-
[384] liebe? Wenn auch ihre Vorbereitung auf die Ehe rein
und makellos war, wenn sie die eheliche Treue unverletzt
bewahrten, wenn sie euch in der Furcht Gottes erzogen,
und in der Stunde der Gefahr ängstlich bewachten, wie
viel Ungeduld, Unzufriedenheit, Wortwechsel mögen doch
vorgekommen sein? Und wie wenig haben sie das bereut?
Wie wenig sich gebessert? Wie wenig dafür Buße gethan?
Bis sie den letzten Heller bezahlt, können sie nicht ein-
gehen in die Herrlichkeit Gottes.
Was erst, wenn ihre Jugend vielleicht eine recht un-
glückliche war; wenn die Religion in der Familie kaum
zu finden war; wenn's mit der ehelichen Treue nicht so
genau herging; wenn die Nachlässigkeit der Eltern an
euern Sünden mitschuldig war; wenn sie vielleicht erst
auf dem Todtbette ihre Sünden aufrichtig beichteten und
wahrhaft bereuten, was dann? Durch ein Wunder gött-
licher Barmherzigkeit sind sie dann allerdings vor dem
ewigen Feuer bewahrt worden, aber welch' ungeheure
Schuld zeitlicher Strafen haben sie jetzt noch im Fegfeuer
abzubüßen?
Was rufen sie euch daher zu? ‘„Erbarmet euch unser,
wenigstens ihr, unsere Kinder! Durch euern Ungehorsam
euern Trotz, euere Unbändigkeit traget ihr viel Schuld
an unsern Leiden. Als der Seelsorger euch warnte und
bat und beschwor und leiten wollte, hättet ihr ihm folgen
sollen; ihr aber suchtet ihm auf jede Weise auszuweichen
und zu entfliehen, und so habet ihr euere und unsere
Sündenschuld verhundertfacht. Thuet wenigstens jetzt
Buße und verkürzet uns doch die Zeit dieser unsäglichen
Schmerzen durch Gebet und Abtötung und gute Werke!
Lebet doch in aller Buße und Heiligkeit, daß nicht auch
ihr nur für einige Augenblicke an diesen Ort der Qual
hinkommet!“’
Wohl seid ihr heute zahlreich hier versammelt, manche
[385] sind aus fremden Pfarreien hier, um zu beten auf dem
Grabe ihrer Eltern und Ahnen; wohl beten heute so
manche vielleicht nach längerer Zeit wieder ein Vaterunser,
aber was ihr heute thuet, warum in eueren Familien
nicht täglich thun? Denn, wenn ihr auch die Verstorbenen
vergessen könntet, so dürfet und könnet ihr doch euch selbst
nicht vergessen, und euere Zukunft.
Ihr wisset wohl, wie viel vor der Ehe und in der-
selben täglich noch gesündigt wird, wenn nicht durch große
doch durch kleine Sünden. Ihr wisset nun, was euere
Familie nach dem Vorbilde der hl. Familie sein soll, und
wie weit wir noch von diesem Ziele entfernt sind. Der
Tod hält euch schon fest in seinen Händen; das geöffnete
Grab kann morgen schon über euch sich schließen. Aller-
dings wird die hl. Kirche euch nicht vergessen, sondern
täglich für euch opfern und beten. Aber euere Kinder
werden sie das auch thun? Ja, wenn ihr ihnen mit
dem guten Beispiele vorangehet und sie von zarter Jugend an
zum Gebete für die Abgestorbenen anhaltet; wenn ihr
aber glaubet, mit diesem Nachmittag sei alles so ziemlich
abgethan, die Begleitung der Leichen sei die Hauptsache,
das Gebet dabei sei nicht mehr Sitte der gebildeten
Welt, – so werden euere Kinder vielleicht so gebildet,
daß Himmel und Fegfeuer ihnen verschlossen bleiben.
Was wird ihnen dann offen stehen? – Wer wird dann
für euch beten?
Ihr wisset es besser als ich, wie viel in dieser
Beziehung allüberall gesündiget wird. Wie viele gehen
heute auf die Gräber, und dann das ganze Jahr nicht
mehr oder selten? Wie viele oder wie wenige werden
morgen dem Opfer für die Verstorben beiwohnen und
dann wieder die Gräber besuchen? Die kleine Zahl
opfert den Morgen den Hingeschiedenen, damit diese bald
erlöst werden; die Masse eilt den Geschäften nach, da-
[386] mit ihr der Tod recht viel Geld wegnehme. Und doch
hat der Tod die Loose über uns alle geschüttelt. Wie
viele sind bis zum nächsten Allerseelentag auf Erwachsene
schon gefallen? Auf welche Väter? Auf welche Mütter?
Auf welche Brautleute? Auf welche Greise? Auf welche
Jünglinge und Jungfrauen? Auf welche Priester? Wir
wissen es nicht. Denn der Greis und die Greisin wird
ihm vielleicht entrinnen; aber nicht der Jüngling und die
Jungfrau; Eltern mit erwachsenen Kindern werden vielleicht
verschont, aber weggerissen wird die Mutter von ihren
Kleinen. Daher soll gerade diese Unsicherheit uns be-
stimmen, der Warnung und Mahnung des Todes zu
folgen. Dann wird die Ehe ein treues Abbild der hl.
Familie und der Bereinigung Christi und seiner Kirche,
und jede Familie eine kleine Kirche mit täglichen Gottes-
dienst, zur Anbetung des dreieinigen Gottes, zu euerem
Heile und zum Troste der armen Seelen. So brauchet
ihr den Tod nicht mehr zu fürchten, und sollet ihr im Feg-
feuer noch Einiges abzubüßen haben, so wird doch ein
frommes und dankbares Geschlecht in euerm Hause, in
dieser Kirche und auf euerem Grabe mit der katholischen
Kirche täglich beten: ‘„Herr, gieb ihnen die ewige Ruhe
und das ewige Licht leuchte ihnen!“’ Amen.
Anhang.
[387]Aus P. M. v. Cochem's ‘„Großem Baumgarten“’.
Gebet zu Jesus, Maria und Joseph
um ein seliges Ende.
O Ihr drei allerheiligsten und in Ewigkeit gebene-
deitesten Personen, Jesus, Maria und Joseph, ich grüße,
ehre und preise Euch und erfreue mich von Herzen über
Eure große Tugend und Heiligkeit. Wenn ich Eure süßen
Namen höre, so freut sich mein Herz, und mein Gemüth
wird in Liebe gegen Euch entzündet. Denn Ihr seid meine
herzliebsten Freunde und meine sicherste Zuflucht in all'
meinen Nöthen und Anliegen. O Ihr meine mächtigsten
Nothhelfer, Jesus, Maria und Joseph, ich rufe Euch von
Grund meines Herzens an und bitte Euch demüthig um
Hilfe und Beistand in all' meinen Aengsten und Gebrechen.
O Jesus, Maria und Joseph, ich befehle Euch meinen
Leib und meine Seele an, Euch stelle ich anheim mein
Thun und Lassen, Euch sei mein Leben und Sterben an-
vertraut. In Eure heiligen Hände und in Eure Obhut
stelle ich mein letztes Stündlein, von dem die ganze
Ewigkeit abhängt. Bei Euren süßen Namen, durch Eure
herzliche Liebe und durch alle Freuden und Leiden, so
Ihr miteinander auf Erden durchlebt habet, bitte ich
Euch, verlasset mich doch nicht in dieser meiner höchsten
Noth, sondern stehet mir treulich bei als wahre und
mächtige Freunde. In Eurer lieben Gegenwart und
unter Eurem Schutz und Schirm begehre ich zu sterben,
und Eure süßen Namen begehre ich alsdann anzurufen.
Und weil ich es dann vielleicht nicht mehr vermag, so
[388] rufe ich Euch jetzt dafür an und spreche mit Herz und
Mund: Jesus, Maria und Joseph stehet mir bei; Jesus,
Maria und Joseph, verlasset mich nicht; Jesus, Maria
und Joseph, in Eure Hände befehle ich meinen Geist.
Drei Danksagungen zu Christus am Kreuze.
Von der hl. Mechtild.
1. O Du unschuldiges Lamm Gottes, herzliebster
Jesu, ich danke für die entsetzliche Pein, so Du littest, als
Du am hl. Kreuze also unbarmherzig ausgespannt wurdest,
daß man alle Deine Glieder zählen konnte. Um dieses
Schmerzes willen bitte ich Dich, daß Du mir verzeihest,
was ich jemals mit meinen Gliedern gegen Dich ge-
sündiget habe. Amen.
2. O Du sanftmüthiges Lamm Gottes, herzliebster
Jesu, von Grund meines Herzens danke ich Dir für die
unaussprechlichen Schmerzen, die Du auf dem Calvarien-
berg littest, als man Deine hl. Hände und Füße so un-
barmherzig an das Kreuz nagelte, daß Dein hl. Herz in
Deinem Leibe darob erbebte. Durch diese großen Schmerzen
und durch die hl. Wunden Deiner Hände und Füße bitte
ich Dich, Du wollest mir Alles verzeihen, was ich jemals
durch meine Bequemlichkeit gegen Dich gesündigt habe.
Amen.
3. O Du unschuldiges Lamm Gottes, herzliebster
Jesus, ich danke Dir für den bittern Durst, den Du am
heiligen Kreuze erlittest, als Du mit lechzender Zunge
riefest: ‘„Mich dürstet,“’ und doch kein Mensch Dir auch
nur ein Tröpflein Wasser reichte, sondern nur Essig und
Galle Dir gegeben wurde. Ich bitte Dich, Du wollest
diesen bittern Durst Deinem lieben Vater aufopfern für
alle Sünden, die ich durch ungebändigtes Gelüste beim
Essen und Trinken begangen habe. Amen.
Gruß zu den hl. fünf Wunden.
[389]Von der hl. Mechtild.
Seid gegrüßt, ihr heilsamen Wunden Jesu Christi
in der Allmacht des Vaters, der euch uns geschenkt hat.
Seid gegrüßt in der Weisheit des Sohnes, der euch er-
litten hat. Seid gegrüßt in der Liebe des hl. Geistes,
der durch euch das Werk unserer Erlösung vollendet hat.
In euch verberge ich mich, damit ich durch euch von allem
Uebel bewahrt werde. Amen.
Gruß zum Herzen Jesu.
Von der hl. Mechtild.
Sei gegrüßt, o süßestes Herz Jesu Christi in der
göttlichen Gütigkeit, durch die du bist ein Bronnen und
Ursprung alles Guten. Sei gegrüßt, o allergütigstes
Herz Jesu Christi in dem Ueberfluß aller Gnaden, die
von dir ausgeflossen sind und noch ausfließen in alle
frommen und heiligen Seelen. Sei gegrüßt, o mildestes
Herz Jesu Christi in der süßesten Lieblichkeit, mit der
du so oft aus dem Meere deiner göttlichen Wonne die
andächtigen Herzen erquickt und getröstet hast. Ich bitte
dich, du wollest für mich erstatten, was ich im Dienste
Gottes und in der Ausübung des Guten versäumt habe.
Amen.
Bund mit Maria.
O seligste Mutter Maria, Du treueste Freundin
derer, die Dich lieben, Du weißt, daß ich Dich liebe und
all' meinen Trost und meine Hoffnung nächst Gott auf
Dich gesetzt habe. Obwohl ich wegen meines sündhaften
Lebens nicht würdig bin, Dein Kind zu sein, erneuere ich
dennoch den Bund der Liebe zu Dir, aus Liebe und Be-
[390] gierde, Dir zu dienen und in Deinen mütterlichen Schutz
aufgenommen zu werden. In der Gegenwart Gottes und
meines hl. Schutzengels erwähle ich Dich wiederum zu
meiner lieben Mutter und Fürsprecherin. Damit keine
Gewalt des Feindes mich von Dir könne scheiden, schenke
und opfere ich mich Dir ganz zu Deinem Dienste, und
gleichsam mit meinem eigenen Blute verschreibe ich Dir
meinen Leib und meine Seele und will all' meine Lebtage
Deine Ehre nach Möglichkeit befördern. Lasse Dir, o
Maria, meine Treue gefallen und nimm mich Unwürdigen
zu Deinem Kinde an. Schließe mich in dein mütterliches
Herz und setze mich in die Zahl derer, die Du besonders
liebest und beschützest, damit ich in allen meinen An-
liegen eine sichere Zuflucht zu Dir habe, und einst in
Deinen heiligen Händen wie ein Kind in seiner Mutter
Schooß meinen Geist aufgebe. Amen.
Gebet zu Maria.
O Du glorwürdigste, heiligste und allzeit unbefleckte
Jungfrau Maria, Du Mutter unseres Herrn Jesu Christi,
Du Königin der Welt und Herrscherin aller Wesen, die
Du Niemand verlassest, Niemand verachtest, auch Niemand,
der zu Dir mit bußfertigem Herzen kommt, ungetröstet
entlassest, verachte doch auch mich nicht trotz meiner un-
zähligen und schweren Sünden. Verstoße mich nicht
wegen der Härte und Unreinigkeit meines Herzens,
sondern erhöre mich armen Sünder, der ich meine Hoff-
nung in Deine Barmherzigkeit gesetzt habe. Komme mir
zu Hilfe in allen meinen Anfechtungen und Bedräng-
nissen. Verleihe mir Kraft wider alle Versuchungen der
Welt, des Fleisches und des Teufels. Erlange mir von
Deinem Sohne Verzeihung aller Sünden, Besserung des
Lebens, Gelegenheit zu wahrer Buße, Erlösung von allem
[391] Uebel des Leibes und der Seele und in meinen letzten
Stunden sei mir eine treue Helferin. Errette meine
arme Seele, wie auch die Seelen meiner lieben Eltern,
Brüder, Schwestern, Freunde, Wohlthäter und aller derer,
für die zu beten ich schuldig bin, von der ewigen Finster-
niß und von allem Verderben: durch die Güte und Barm-
herzigkeit Deines Sohnes Jesu Christi. Amen.
Tägliches Gebet zum hl. Joseph.
Aus dem innersten Grund meines Herzens grüße ich
Dich, lieber hl. Joseph, und sage Gott Dank, daß er
Dich zum würdigsten Pflegevater seines Sohnes und zum
keuschen Bräutigam der allerseligsten Jungfrau auserwählt
hat. O hl. Joseph, ich erinnere Dich an die unaussprech-
liche Liebe und Freude, die Dir durch die Gegenwart
Jesu und Mariä und durch ihren herzlichen Verkehr mit
Dir zu Theil wurde, und bitte Dich durch alle Liebe und
alles Leid, so Du mit diesen Beiden durchgelebt hast, Du
wollest mir die Gnade erbitten, weder durch Freuden
noch Leiden von der Liebe Jesu und Mariä je getrennt
zu werden. Amen.
Gebet der Eltern für ihre Kinder.
Herr, Gott, himmlischer Vater, der Du mir in
Deiner Güte Kinder geschenkt hast, ich danke Dir für
diese Gnade und erbiete mich, sie zu Deiner Ehre zu
erziehen. Ich befehle sie in Deinen göttlichen Schutz und
verschließe sie in Dein väterliches Herz, damit sie vor
aller Sünde und Schande behütet werden. Ich bitte Dich,
o himmlischer Vater, Du wollest meiner Kinder Vater
sein und mir helfen, sie zu erziehen und zu ernähren.
Verleihe mir die Gnade, daß ich ihnen mit einem guten
Beispiele vorangehe und sie in aller Tugend und Fröm-
migkeit unterweise. Verleihe auch ihnen reiche Gnade,
[392] daß sie die Tugend des Gehorsams üben und fromme
Kinder werden mögen, damit Du und ich Freude an
ihnen erleben und großes Gefallen an ihnen haben
können. Ich opfere Dir auf alle Sorge und Mühe, die
ich mit ihnen habe und bitte Dich, Du wollest diese zu
Deiner Ehre und meinem Heile gereichen lassen. Amen.
Gebet für einen Kranken.
[Barmherziger] Gott, der Du nach Deiner Mildigkeit
Dich aller Leidenden erbarmest, siehe mit den Augen
Deiner Barmherzigkeit gnädig auf diesen armen Kranken,
der in so großen Schmerzen zu Dir seufzet und Dich
von Herzen um Hülfe anruft. Erbarme Dich seiner und
stehe ihm bei in seiner Noth. Mit den Peinen Deines
vielgeliebten Sohnes vereinige ich Alles, was er vom
ersten Augenblick seiner Krankheit an Leib und Seele
gelitten hat und künftig noch leiden wird, und opfere es
Dir auf zu Deiner Ehre und zum Heile seiner Seele.
Verleihe dem armen Leidenden eine tiefe Erkenntniß, mit
welch' großer Liebe Du ihm sein Kreuz zubereitet habest
und wie großen Lohn Du ihm dafür zu geben bereit
seiest, damit er diese Krankheit mit desto größerer Geduld
ertrage und sich von ganzem Herzen in Deinen heiligen
Willen ergebe. Endlich bitte ich Dich, o barmherziger
Vater, durch das bittere Leiden und Sterben Deines
Sohnes, Du wollest ihm, wofern es nicht wider Deinen
göttlichen Willen ist, seine Schmerzen erleichtern und die
frühere Gesundheit wieder schenken, damit er Dir noch
länger dienen und sein Heil vermehren möge. Amen.
Gebet für die verstorbenen Eltern.
Allerhöchster himmlischer Vater, der Du uns befohlen
hast, unsere Eltern zu ehren, ich bitte Dich für die armen
[393] Seelen meines lieben Vaters und meiner lieben Mutter,
die vielleicht noch meinetwegen in den furchtbaren Flam-
men des Fegefeuers weilen. O Du barmherziger Vater,
erbarme Dich über meine lieben Eltern und verzeihe
ihnen die Sünden, die sie wider Dich begangen haben.
Erlasse ihnen die schweren Strafen, die sie Dir noch
schulden, reinige ihre Seelen von den noch übrigen
Makeln. Durch das bittere Leiden Deines lieben Sohnes
Jesu Christi und die Verdienste und Bußwerke aller
Heiligen erlöse sie aus den grimmigen Flammen des
Reinigungsortes und führe sie in die Herrlichkeit des
himmlischen Paradieses. Amen.
Gebete zum Gebrauche der Kranken.
Morgengebet.
Mein liebster Gott, ich sage Dir herzlichen Dank,
daß Du mir diese Nacht das Leben bewahrt hast, und
ich opfere Dir Alles auf, was ich diese Nacht gelitten
habe. Ich befehle mich heute in Deinen väterlichen
Schutz und übergebe mich ganz in Deinen göttlichen
Willen. Gleichwie sich mein liebster Jesus auf seinem
harten Todesbette Dir hat aufgeopfert, also opfere ich
Dir auch meinen Leib und meine betrübte Seele; mache
mit diesen beiden, was Dir am wohlgefälligsten und mir
am seligsten ist. Denn sie sind Dein eigen, Dir habe
ich sie ganz geschenkt. Von ganzem Herzen erbiete ich
mich, Alles zu leiden, was Du mir diesen Tag zuschicken
wirst. Verleihe mir nur Geduld in meinem Kreuze, und
verleihe, daß Alles, was ich leide, zu Deiner Ehre und
meinem Heil gereiche. Amen.
Zum Schutzengel.
[394]Ich grüße Dich, o mein lieber Schutzengel, und
danke Dir, daß Du diese Nacht bei mir gewacht hast.
Ich bitte Dich, Du wollest mir heute zu Dienste sein,
und Alles, was ich an Leib und Seele leiden werde, in
den Himmel tragen. Wenn ich während des Tages ver-
gessen sollte, mein Leiden Gott aufzuopfern, so wolle Du
es an meiner statt stündlich der heiligsten Dreifaltigkeit
darbringen. Amen.
Bündniß mit Gott.
O Gott, Du weißt, daß ich jetzt nicht viel beten
kann; darum soll mein Herz erstatten, was mein Mund
nicht vermag. Deswegen mache ich diesen Bund mit Dir.
So oft heute mein Puls schlagen wird, so oft begehre
ich Dich anzubeten und zu loben. So oft ich Athem
schöpfen werde, so oft begehre ich Reu und Leid über
meine Sünden zu erwecken. So oft ich heue Schmerzen
empfinde, so oft bitte ich Dich um die Verzeihung meiner
Sünden. So oft mein Herz schlagen wird, eben so oft
wünsche ich, Dich von Herzen zu lieben. Ich bitte Dich
daher inständig, Du wollest diesen meinen Willen für das
Werk annehmen und dieses Alles vor Dir gültig sein
lassen, wenn ich schon nie mehr daran dächte. Amen.
Abendgebet.
Ich bete Dich an und grüße Dich, o allerheiligste
Dreifaltigkeit, und von Grund meines Herzens sage ich
Dir Dank für alle Wohlthaten, die Du mir heute er-
wiesen, wie auch für alle Schmerzen, die Du mir heute
zugeschickt hast. Gleichwie mein liebster Jesus am Kreuze
Dir für alle Schmerzen gedankt hat, also möchte ich Dir
danken. Ich opfere Dir Alles auf, was ich heute an
[395] Leib und Seele gelitten habe, und bitte Dich um Ver-
zeihung, daß ich es nicht mit wahrer Geduld gelitten habe.
Ich befehle mich diese Nacht in Deinen göttlichen Schutz
und bitte Dich, Du wollest mir gnädig eine ruhige Nacht
verleihen. Amen.
Zum Schutzengel.
Ich danke Dir, mein lieber Schutzengel, daß Du heute
über mich gewacht und all' meine Schmerzen in den
Himmel getragen hast. Der liebe Jesus wolle Dein
Lohn sein und Dir alle Deine Treue reichlich vergelten.
Ich bitte Dich wiederum, Du wollest diese Nacht bei
mir wachen und Dich zu meinem Haupte niedersetzen,
damit ich durch Dich vor allem Uebel bewahrt werde.
Amen.
Schlafgebetlein.
Wenn ein Kranker nicht schlafen kann, so lasse er sich folgendes
Gebetlein vorlesen, das Christus die heilige Gertrud gelehrt als eines,
das ihm sehr angenehm sei.
Süßester Jesus, ich bitte Dich durch die unendliche
Liebe, mit der Du von Ewigkeit her im Schooße Deines
himmlischen Vaters ruhest, ich bitte Dich durch die lieb-
selige Ruhe, mit der Du im reinsten Schooße Deiner
jungfräulichen Mutter wohntest, ich bitte Dich durch die
herzliche Freude, mit der Du in allen Dich liebenden
Seelen weilest, Du wollest mir ein wenig Ruhe verleihen,
nicht zu meinem Nutzen oder Troste, sondern zu Deinem
Lob und zu Deiner Ehre, damit die matten Glieder
meines Leibes etwas mögen gestärkt werden. Amen.
Gebet vor der Beicht.
O Vater der Barmherzigkeit und Gott aller Güte,
der Du durch den Mund des Propheten gesprochen hast:
[396] Ich begehre nicht den Tod des Sünders, sondern daß er
sich bekehre und lebe, ich bitte Dich durch diese unergründ-
liche Liebe, verleihe mir die Gnade, daß ich mich wahr-
haft bekehre und das ewige Leben erlange. Du weißt es,
o mein Gott, ob ich von dieser Krankheit wieder auf-
komme, oder daran sterben werde. Und so begehre ich
denn jetzt das hl. Sakrament der Buße mit solcher De-
muth, mit solcher Zerknirschung meines Herzens zu
empfangen, wie ich es all' meine Lebtage noch nie besser
gethan habe. Darum falle ich im Geiste demüthig nieder
vor Deiner göttlichen Majestät und bitte Deine unend-
liche Barmherzigkeit, Du wollest mir Gnade verleihen,
dieses hl. Sakrament so zu empfangen, wie Du selber
willst, daß ich es empfangen soll.
O gütigster, barmherzigster Gott, ich bitte Dich durch
das bittere Leiden und Sterben Jesu Christi und durch
die Verdienste der lieben Mutter Gottes und aller Hei-
ligen, gieb mir doch eine klare und aufrichtige Erkenntniß
meiner Sünden, gieb mir doch eine tiefe und schmerzliche
Reue über alle meine Missethaten, gieb mir doch einen
rechtlichen und standhaften Vorsatz, mich zu bessern, gieb
mir die Kraft und Gnade, alle und jede meiner Sünden
so deutlich und vollständig zu beichten, als wenn ich vor
Deinem göttlichen Thron kniete und Dir selbst beichten
sollte. O Du gütigster Gott, wenn dies vielleicht meine
letzte Beicht sein sollte, so verleihe mir doch dazu so viel
Gnade, daß sie auch die allerkräftigste sein möge, so ich
all' meine Lebtage gethan habe. Amen.
Reue und Vorsatz.
O Herr der Ewigkeit, unendlicher Gott, Du bist ge-
recht, Du bist die Heiligkeit selbst, und Deine Majestät
kann nicht die kleinste Sünde ungestraft lassen. Du weißt
alles Böse das ich gethan habe: und Du wirst einst in
[397] dem Augenblicke da ich sterbe, Du wirst vielleicht sehr
bald schon strenges Gericht halten über meine Sünden.
Wie vielfältiger und schwerer Strafen muß ich also
nach so vielen Sünden gewärtig sein! wie viel Böses
habe ich über mich gebracht, durch meinen Leichtsinn und
die Verkehrtheit meines Herzens! Wehe mir, wenn ich
mit einer Todsünde in die andere Welt hinüberginge
auch nur mit einer einzigen! Dann wäre ich ohne Ret-
tung auf ewig den schauerlichen Peinen des höllischen
Feuers übergeben im Wohnort der Verdammten.
Heiligste Dreifaltigkeit, ich bekenne vor Dir meine
Schuld, meine unzähligen Sünden, ich bitte Dich um
Deiner Barmherzigkeit, um Deiner unendlichen Liebe willen
erbarme Dich meiner, vergieb mir das Böse, so ich ge-
than, bevor Du mich abrufst, um mich unwiederruflich zu
richten.
Ja um Deiner unendlichen Liebe willen. O, warum
stand Deine Liebe nicht immer vor meiner Seele! wie war
es möglich, daß ich derselben so oft und oft so lange ver-
gaß! Du bist es, o Gott, der mich zuerst geliebt hat,
der mich geliebt hat mit ewiger Liebe. Aus Liebe hast
Du mir das Leben gegeben, aus Liebe seit dem ersten
Augenblick meines Daseins väterlich Sorge getragen für
mich. Aus Liebe zu mir schlechtem Geschöpfe willst Du,
daß ich einst bei Dir ewig glücklich sei; Deiner Liebe ver-
danke ich es, daß ich der hl. Kirche angehöre, die mich
zum ewigen Leben führt. Herr ich bereue es von ganzem
Herzen, daß ich Dich so oft beleidigte, Dich, der mir so
viel gegeben hat, und mir ewige Herrlichkeit noch geben
will.
Herr Jesus Christus, Erlöser aller Menschen und
mein Erlöser, Du hast aus Liebe zu mir Dein Leben ein-
gesetzt. Du hast mich geliebt und Dich selber für mich
hingegeben, Du hast mich geliebt und all Dein Blut ver-
[398] gossen, um mich rein zu waschen von meinen Sünden.
Ach Herr, wie schwere Marter hast Du auf Dich ge-
nommen, um mich von der ewigen Marter zu bewahren,
wie hart und wie theuer ist meine Seele erkauft! Sohn
Gottes, Du mein Erlöser, Du mein einziger wahrer
Freund, ich liebe Dich aus ganzem Herzen, weil Du mich
so sehr geliebt hast, darum schmerzt es mich tief, das ich
Deinem hl. Willen oft so ungehorsam war, und ich bereue
aufrichtig Alles und Jedes, wodurch ich Deine Gebote
übertreten habe. Ich bin fest entschlossen in Zukunft
nicht nur jede Todsünde, sondern auch jede andere freiwil-
lige läßliche Sünde sorgfältig zu meiden. Entschieden und
beharrlich will ich alle Mittel anwenden, deren ich bedarf,
um von der Sünde frei zu bleiben und Deine heiligen
Gebote treu zu halten. Dazu aber bedarf ich Deiner
Gnade, versage sie mir nicht, um der Liebe Deines
Herzens willen. Amen.
Gebet nach der Beicht.
Nun mein gütigster Gott habe ich meine Beicht ver-
richtet und alle meine Sünden Deinem priesterlichen Stell-
vertreter geoffenbaret. So hoffe ich auch nun, Du werdest
mir verziehen haben und meiner Sünden nimmer wollen
gedenken. Dafür will ich Dir in Ewigkeit Dank sagen.
Wenn ich vielleicht etwas vergessen, oder nicht recht ge-
macht hätte, so möge das Dein süßestes Herz verbessern
und ergänzen. Ich nehme mir ernstlich vor, Dich in
meinem Leben nie mehr zu erzürnen, sondern bis zu meinem
letzten Augenblick Dir treu zu bleiben. Bewahre mich
hinfür vor allen Anfechtungen und Versuchungen oder
stärke mich recht, daß ich sie immer überwinde, damit ich
im Stande der Gnade bleibe und in Deiner Liebe leben
und sterben möge. Amen.
Gebet vor der Communion.
[399]O, mein herzlichster Jesu, ich armer, kranker Mensch
begehre Dich jetzt mit aller Andacht zu empfangen, damit
ich meine arme Seele stärke und zum Wege in die Ewig-
keit bereit mache.
O, mein Heiland, ich glaube fest, daß Du in diesem
hochheiligen Sakramente mit Fleisch und Blut gegenwärtig
bist, und daß ich Dich meinen lieben Gott wahrhaftig darin
empfange. Ich glaube auch, daß durch den würdigen
Genuß Deines hl. Fleisches und Blutes meine Seele ge-
speist werde und Deine göttliche Gnade im reichsten Maße
empfange. So komme denn zu mir, mein liebster Jesu,
denn mein armes Herz verlanget sehr nach Dir. Speise
meine kranke Seele mit Deinem hl. Fleische und tränke
sie mit Deinem hl. Blute.
Aber, o liebster Heiland, wie darf ich so kühn sein,
Dich in meinem armseligen Herz aufzunehmen, da ich
Deiner doch ganz und gar unwürdig bin! Du bist der
unendliche Gott, vor dessen Majestät auch die hl. Engel
erzittern und ich bin ein armer Erdenwurm, erfüllt mit
Sünden und Elend. Aber Du hast ja selbst gesagt: Die
Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
So will ich denn mit aller Demuth Dich empfangen, da-
mit meine arme Seele und mein kranker Leib auf einmal
gesund werden. Darum schlage ich an meine sündige
Brust und spreche mit herzlicher Reue: O Herr Jesu
ich bin Deiner nicht würdig. Ich bin nicht würdig, o Du
höchster Gott, Dich zu empfangen, weil mein Herz voller
Sündenmakel ist. Ich bitte Dich aber, o Jesu, wasche
mein unreines Herz mit Deinen bittern Thränen, reinige
es mit Deinem blutigen Todesschweiß und besprenge es
mit Deinem rosenfarbenen Blut, das Du in Deiner
Geißelung, Dornenkrönung und Kreuzigung vergossen hast.
[400] Durch die Schmerzen Deines heiligen Leidens und
Sterbens mache mein sündiges Herz ganz rein, schön
und heilig, damit du mit Freuden darin wohnen mögest.
Amen.
Gebet nach der Communion.
O süßester Jesu, o gütigster Jesu, woher kommt mir
diese Gnade, daß Du mich heimsuchest? wie hab' ich es
um Dich verdient, daß Du bei mir armen Sünder ein-
kehrst? Ich grüße Dich, ich preise Dich, ich bete Dich
an und mit herzlicher Liebe heiße ich Dich willkommen.
O mein liebreichster Jesu, weil ich Dich nun wahr-
haftig bei mir habe, so will ich Dir meine Noth ver-
traulich klagen, und all' mein Elend zuversichtlich offen-
baren.
Siehe, mein herzliebster Heiland, was für ein armes
Geschöpf ich bin, siehe wie elend und krank an Leib und
Seele. O mein Jesu, Niemand kann mir besser helfen
als Du, Du bist ein Arzt über alle Aerzte, Du weißt
am besten wo es mir mangelt, und wie mir am ehesten
könnte geholfen werden. Siehe, ich liege vor Dir, gleich
jenem Gelähmten, von dem Dein hl. Evangelium erzählt,
und mit solchem hoffnungsfreudigen Vertrauen, wie er ge-
habt, als er dich anflehte, bitte auch ich Dich um Hilfe. So
sprich denn auch zu mir jenes trostreiche Wort: Sei ge-
trost mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben; stehe
auf von deinem Bette und wandle. Erweise an mir Deine
große Barmherzigkeit und durch die Kraft Deines aller-
heiligsten Leibes heile die Schwachheit meines kranken
Leibes. Ist es aber nicht in Deinem göttlichen Willen
gelegen, daß mein Leib gesunde, so wirst Du doch gewiß
meine Seele von dem vielen Sündenelend befreien, womit
sie behaftet ist.
O du kostbares Fleisch meines Herrn Jesu Christi,
[401] stärke meine Seele und gieb ihr Kraft wider die Anfech-
tungen des bösen Feindes. O du hoched'les Blut meines
Herrn Jesu Christi, besprenge meine Seele und reinige
sie von aller Unsauberkeit der Sünde.
Ach mein gütigster Jesu, verleihe mir durch den
Genuß deines allerheiligsten Sakramentes vollkommene
Verzeihung meiner Sünden und gänzliche Nachlassung
der verdienten Strafen. Und wenn vielleicht dies meine
letzte Communion sein sollte, so lasse sie meiner armen
Seele zur kräftigen Wegspeise gereichen, damit sie den
gefährlichen Weg in der Ewigkeit sicher wandle und gegen
alle Angriffe des bösen Feindes gestärkt sei. Amen.
Drei Gebete für Sterbende.
(Aus dem Rituale Rom.)
1. O Herr Jesu Christe, durch deinen hl. Todes-
kampf und durch Dein inbrünstiges Gebet, das Du am
Oelberge für uns gebetet hast, als Dein Schweiß blutig
zur Erde niederrann, bitten wir Dich, Du wolltest diesen
blutigen Schweiß Deinem himmlischen Vater aufopfern
wider die vielen Sünden dieses Kranken und wolltest ihn
in der Stunde seines Todes erlösen von allen Beängsti-
gungen und Pein, die er für seine Sünden verdient zu
haben fürchtet: Der Du mit dem Vater und dem hl.
Geiste als gleicher Gott lebst und regierst von Ewigkeit
zu Ewigkeit. Amen.
2. O Herr Jesu Christe, der Du Dich gewürdigt
hast, für uns am Kreuze zu sterben, wir bitten Dich, daß
Du alle Bitterkeiten Deiner Leiden am Kreuze, besonders
die Pein, die Du erduldetest, als Deine heiligste Seele
aus Deinem heiligsten Leibe schied, für die arme Seele
[402] dieses Deines Dieners Deinem himmlischen Vater auf-
opfern wollest. Befreie ihn in der Stunde des Todes von
allen Peinen und Strafen, die er für seine Sünden ver-
dient zu haben fürchtet: Der Du mit dem Vater und dem
hl. Geiste als gleicher Gott lebst und regierst von Ewig-
keit zu Ewigkeit. Amen.
Herr erbarme Dich unser u. s. w. Vater unser. Ave Maria.
3. O Herr Jesu Christe, der Du durch den Mund
des Propheten gesagt hast: Mit ewiger Liebe habe ich
dich geliebt, darum dich erbarmungsvoll an mich gezogen,
wir bitten Dich, Du wollest dieselbe Liebe, die Dich vom
Himmel zur Erde niederzog, um die Bitterkeiten aller
Leiden zu erdulden, Deinem himmlischen Vater für die
Seele dieses Deines Dieners aufopfern. Befreie ihn
von allen Strafen und Peinen, die er für seine Sünden
verdient zu haben fürchtet, und rette seine Seele in der
Stunde ihres Scheidens. Oeffne ihm die Pforte des
Lebens und lasse ihn mit Deinen Heiligen in ewiger
Herrlichkeit sich freuen. Ja, mildreichster Herr Jesu,
der Du uns mit Deinem kostbaren Blute erlöset hast, er-
barme Dich der Seele dieses Deines Dieners und
würdige Dich, sie einzuführen in die ewig blühenden und
lieblichen Wohnorte des Paradieses, damit sie Dir lebe
in unvergänglicher Liebe: Der Du mit dem Vater und
dem hl. Geiste als gleicher Gott lebst und regierst von
Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Herr erbarme Dich unser u. s. w. Vater unser. Ave Maria
Kurze Gebete, dem Sterbenden einzusprechen.
Erbarme Dich meiner, o Gott, nach Deiner großen
Barmherzigkeit.
Auf Dich, o Herr, habe ich gehofft, in Ewigkeit werde
ich nicht zu Schanden werden.
Herr, merke auf meine Hilfe, Herr eile mir zu helfen.
In Deine Hände, o Herr, befehle ich meinen Geist; Du
hast mich erlöst, o Herr, Gott der Wahrheit.
Jesus, Maria, Joseph, Euch schenke ich mein Herz,
meinen Leib, meine Seele.
Jesus, Maria, Joseph, stehet mir bei in meinem
Todeskampfe!
Jesus, Maria, Joseph, mit Euch möge meine Seele
von hinnen scheiden im Frieden. Amen.
Siehe Rundschr. Leo XIII. Ueber die Arbeiterfrage.
Der liberale Staat, so lange er nicht reumüthig wie der
verlorene Sohn zum Vater heimkehrt, – und das will und kann er
nicht, ohne sich selbst aufzugeben – wird naturnothwendig immer
mehr nach links gedrängt, mit der Heerfolge der Gemäßigten, bis er
von seinem Sohne, dem Sozialismus totgeschlagen wird. Dann tobt
der Kampf nur mehr zwischen Katholizismus und Sozialismus;
aber Christus der Herr wird mit und für seine Kirche den Riesen-
kampf siegreich auskämpfen, und wie einst auf den Ruinen des heid-
nischen Römerreiches auf den Trümmern des liberalen Staates die
christliche Gesellschaftsordnung wieder aufrichten.
Moderne gemeinschädliche Ueberfütterung der Schule!
Glaube und Vernunft S. 55.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 0. Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhh2.0