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Moderne
Dichter-Charaktere


Mit Einleitungen von
Hermann Conradi und Karl Henckell.

Leipzig: .
Verlag von Wilhelm Friedrich,
K. R. Hofbuchhändler.

[][]
Motti:
Wir rufen dem kommenden Jahrhundert!
Der Geiſt des Künſtlers wiegt mehr als das Werk ſeiner Kunſt.

(J. M. R. Lenz.)

[][[I]]

Unſer Credo.
Einleitung von Hermann Conradi.


„Die Geiſter erwachen.“
(Hutten.)

Unſer Credo!“


Wir wiſſen, daß dieſer Titel etwas kühn und ſtolz klingt. Es werden
mit der Zeit ſogar genug Stimmen laut werden, die ihn anmaßend ſchelten,
womöglich noch härtere Ausdrücke dafür haben. Man wird uns in allen
Farben und Tönen, die ganze prismatiſche Farbenkarte, die ganze Tonſcala
hinauf und hinunter, „heimleuchten“ und uns unſere Unbeſcheidenheit, unſere Ver-
meſſenheit parlamentariſch und — unparlamentariſch ad oculos demonſtriren.


Ob wir aber zerknirſcht ſein werden?


Ob wir büßen werden in Sack und Aſche?


Ich glaube kaum.


Warum auch?


Wir wiſſen ganz genau, was wir in dieſer Anthologie ausgeben.


Wir ſind uns, um dieſen Punkt hier gleich zu erwähnen, ihrer Schwächen
vollkommen bewußt.


Wir machen nicht den Anſpruch, Vollkommenes, Makelloſes nach Form
und Inhalt zu bieten.


Wir begreifen vollkommen, daß manches Poem, das wir aufgenommen,
nicht originell iſt; daß es in tauſendmal angeſtimmte Weiſen einfällt; daß
es, abſolut genommen, vielleicht nicht einmal werthvoll iſt.


Und doch erheben wir den Anſpruch, endlich die Anthologie geſchaffen
zu haben, mit der vielleicht wieder eine neue Lyrik anhebt; durch die vielleicht
wieder weitere Kreiſe, die der Kunſt untreu geworden, zurückgewonnen und
zu neuer, glühaufflammender Begeiſterung entzündet werden; und durch die
alle die Sänger und Bildner zu uns geführt werden, um mit uns zu
Schöpfern einer neuen Lyrik zu werden, die bisher abſeits ſtehen mußten,
weil ſie kein Organ gefunden, durch das ſie zu ihrem Volke in neuen, freien,
ungehörten Weiſen reden durften, weil nur das Alte, Conventionelle, Bedingte,
Unſchuldige oder das Frivole, Gemeine, Schmutzige — nie aber das Intime,
[II]Einleitung
das Wahre, das Natürliche, das Urſprüngliche, das Große und Begeiſternde,
offene Ohren und gläubige Herzen findet.


Wir brechen mit den alten, überlieferten Motiven. Wir werfen die
abgenutzten Schablonen von uns. Wir fingen nicht für die Salons, das
Badezimmer, die Spinnſtube — wir ſingen frei und offen, wie es uns um’s
Herz iſt: für den Fürſten im geſchmeidefunkelnden Thronſaal wie für den
Bettler, der am Wegſtein hockt und mit blöden, erloſchenen Augen in das
verdämmernde Abendroth ſtarrt …


Das iſt es ja eben: Wir haben wohl eine Cliquen-, eine Partei-
litteratur, aber keine Litteratur, die aus germaniſchem Weſen herausgeboren,
in ſich ſtark und daſeinskräftig genug wäre, um für alle Durſtigen, mögen
ſie nun Söhne des Tages oder der Nacht ſein, Stätte und Zehrung zu haben.
Wir ſind eigentlich recht arm. Was ſollen wir’s uns verhehlen? Scheinbar
zeitigt unſere Litteratur fortwährend die edelſten Früchte — wieder und
wieder neue Triebe, neue Blüthen, neue Erzeugniſſe: aber iſt nur der dritte
Theil von dem, was — und noch dazu in unabſehbaren Maſſen! — unſere
Poeten ſchaffen und bilden, auch exiſtenzberechtigt? — Exiſtenzberechtigt, weil
es lebenswahr, weil es national, weil es auch wirklich Künſtlerwerk iſt und
nicht fein und ſauber polirtes, zierlich gedrechſeltes und gefeiltes und bei
aller Peinlichkeit doch roh und geiſtlos gebliebenes Stümperwerk — gleißende,
aber in ſich morſche und haltloſe Fabrikarbeit?


Das iſt es ja eben: Unſere Litteratur iſt überreich an Romanen, Epen,
Dramen — an ſauber gegoſſener, feingeiſtiger, eleganter, geiſtreicher Lyrik — —
aber ſie hat mit wenigen Ausnahmen nichts Großes, Hinreißendes, Impoſantes,
Majeſtätiſches, nichts Göttliches, das doch zugleich die Spuren reinſter,
intimſter Menſchlichkeit an ſich trüge! Sie hat nichts Titaniſches, nichts
Geniales.


Sie zeigt den Menſchen nicht mehr in ſeiner confliktgeſchwängerten
Gegenſtellung zur Natur, zum Fatum, zum Ueberirdiſchen. Alles philoſophiſch
Problematiſche geht ihr ab. Aber auch alles hartkantig Sociale. Alles
Urewige und doch zeitlich Moderne. Unſere Lyrik ſpielt, tändelt. Wie geſagt:
mit wenigen Ausnahmen. Zu dieſen rechne ich u. A. Dranmor, Lingg,
Groſſe, Schack, Hamerling. Vor allen Dranmor. Er iſt eigentlich der
Einzige, der in ſeinen Dichtungen einen prophetiſchen, einen confeſſionellen
Klang anſchlägt. Bei ihm fließt jede Strophe aus einer ernſten, tiefen, ge-
waltigen, vulkaniſchen Dichternatur. Aus ihm ſpricht ein großartig erhabener
Dichtergeiſt. Dranmor darf mit ſeiner hinreißenden Intimität, ſeiner macht-
[III]Einleitung.
vollen Bildnerkraft, ſeiner lebendigen Künſtlerwahrheit, ſeiner freien, kosmo-
politiſch-germaniſchen Weltanſchauung, uns jüngeren Stürmern und Drängern,
die wir alles epigonenhafte Schablonenthum über den Haufen werfen wollen,
weil in uns ein neuer Geiſt lebt, wohl Meiſter und Führer ſein.


Aber wir brauchen nicht blindlings ſeiner Spur zu folgen. Der Geiſt,
der uns treibt zu ſingen und zu ſagen, darf ſich ſein eigen Bett graben.
Denn er iſt der Geiſt wiedererwachter Nationalität. Er iſt germaniſchen
Weſens, das all fremden Flitters und Tandes nicht bedarf. Er iſt ſo reich,
ſo tief, ſo tongewaltig, daß auf unſerer Laute alle Weiſen anklingen können,
wenn er in ſeiner Unergründlichkeit und Urſprünglichkeit uns ganz beherrſcht.
Dann werden wir endlich aufhören, loſe, leichte, leichtſinnige Schelmenlieder
und unwahre Spielmannsweiſen zum Beſten zu geben — dann wird jener
ſelig-unſelige, menſchlich-göttliche, gewaltige fauſtiſche Drang wieder über uns
kommen, der uns all den nichtigen Plunder vergeſſen läßt; der uns wieder
ſehgewaltig, welt- und menſchengläubig macht; der uns das luſtige Faſchings-
kleid vom Leibe reißt und dafür den Flügelmantel der Poeten, des wahren
und großen, des allſehenden und allmächtigen Künſtlers, um die Glieder
ſchmiegt — den Mantel, der uns aufwärts trägt auf die Bergzinnen, wo
das Licht und die Freiheit wohnen, und hinab in die Abgründe, wo die
Armen und Heimathloſen kargend und duldend hauſen, um ſie zu tröſten
und Balſam auf ihre bluttriefenden Wunden zu legen. Dann werden die
Dichter ihrer wahren Miſſion ſich wieder bewußt werden. Hüter und Heger,
Führer und Tröſter, Pfadfinder und Weggeleiter, Aerzte und Prieſter der
Menſchen zu ſein. Und vor Allen die, denen ein echtes Lied von der Lippe
ſpringt — ein Lied, das in die Herzen einſchlägt und zündet; das die Schläfer
weckt, die Müden ſtärkt; die Frevler ſchreckt, die Schwelger und Wüſtlinge
von ihren Pfühlen wirft — brandmarkt oder wiedergeboren werden läßt!
Vor Allen alſo die Lyriker!


In dieſer Anthologie eint ſich ein ſolcher Stamm von Lyrikern, die ſich
das Gelübde auferlegt, ſtets nur dieſer höheren, edleren, tieferen Auf-
faſſung ihrer Kunſt huldigen zu wollen.


Keiner legt ſich damit eine Widernatürlichkeit auf — zieht damit ein
Moment in ſein Schaffen, das ſeiner Individualität fremd wäre. Schranken-
loſe, unbedingte Ausbildung ihrer künſtleriſchen Individualität iſt ja die
Lebensparole dieſer Rebellen und Neuerer. Damit ſtellen ſie ſich von vorn-
herein zu gewiſſen Hauptſtrömungen des modernen ſozialen Lebens in
Contraſt. Und doch ſteht der Dichter auch wieder, eben kraft ſeines Künſtler-
[IV]Einleitung.
thums, über den Dingen — über Sonderintereſſen und Parteibeſtrebungen
und repräſentirt ſomit nur das reine, unverfälſchte, weder durch raffinirte
Uebercultur noch durch paradieſiſche Culturloſigkeit beeinflußte Menſchenthum.


Gleich ſtark und gleich wahr lebt in Allen, die ſich zu dieſem Kreiſe
zuſammengefunden, das grandioſe Proteſtgefühl gegen Unnatur und Charakter-
loſigkeit; gegen Ungerechtigkeit und Feigheit, die auf allen Gaſſen und Märkten
gepflegt wird; gegen Heuchelei und Obscurantismus; gegen Dilettantismus
in Kunſt und Leben; gegen den brutalen Egoismus und erbärmlichen Parti-
cularismus, die nirgends ein großes, ſtarkes Gemeingefühl, ein lebendiges
Einigkeitsbewußtſein aufkommen laſſen!


In mannigfachen Tönen und Farben, bald leiſer, bald lauter, bald milder,
bald greller, erhebt die Phalanx dieſe Anklagen. Sie verſchleiert und verwäſſert
ſie nicht — ſie iſt ſogar ſo kühn, ſie offen und deutlich in ihrem „Credo“
anzudeuten. Ich ſage bewußt: anzudeuten.


Denn das „Credo“ ſoll nicht nur dieſe Seite der dichteriſchen Indi-
vidualitäten bezeichnen — es ſoll den Modus charakteriſiren, in dem die
neue Richtung ſich ausgiebt: Sie will mit der Wucht, mit der Kraft, mit
der Eigenheit und Urſprünglichkeit ihrer Perſönlichkeiten eintreten und wirken;
ſie will ſich geben, wie ſie leben will: wahr und groß, intim und confeſſionell.
Sie proteſtirt damit gegen die verblaßten, farbloſen, alltäglichen Schablonen-
naturen, die keinen Funken eigenen Geiſtes haben und damit kein reiches
und wahrhaft verinnerlichtes Seelenleben führen. Sie will die Zeit der
„großen Seelen und tiefen Gefühle“ wieder begründen.


Darum hat dieſe neue Anthologie nicht nur einen litterariſchen — ſie
hat einen culturellen Werth!


Und darum iſt ſie in ſich und durch ſich lebenskräftig, mögen ihr auch
verſchiedene Schwächen anhaften, die ſpäter getilgt werden können.


Charles Bandelaire ſagt; „Tout homme bien portant peut se passer
de manger pendant deux jours; de poésie — jamais!


Iſt unſere Lyrik wieder wahr, groß, ſtarkgeiſtig, gewaltig ge-
worden, dann werden die Geſunden und Kranken wieder zu ihren Quellen
pilgern.


Dann wird Bandelaire’s „de poésie jamais!“ zur lauteren Wahrheit
werden! — „Groß iſt die Wahrheit und übergewaltig.“


Wir ſiegen, wenn wir dieſes Wort nicht vergeſſen.


Und wir werden es nicht vergeſſen!


Berlin, November 1884.


Hermann Conradi.


[[V]]

Die neue Lyrik.
Einleitung von Karl Henckell.


Freudigen Herzens ſpreche ich der folgenden Sammlung jüngſter Lyrik
ein Wort des Geleites. Freilich — ſie muß und wird für ſich ſelbſt ſprechen,
doch iſt es in dieſem Falle nicht nur nicht überflüſſig, ſondern ſogar ge-
boten,
Weſen und Abſicht des Dargebrachten etwas eingehender zu be-
leuchten. Denn nicht eine neue Anthologie nach tauſend anderen ſchleudern
wir in die Welt, die ebenſo, wie jene, der buchhändleriſchen Speculation
dienen und ſich vielleicht nur durch Titel und Auswahl von ihren Vorgän-
gerinnen unterſcheiden würde, nein, unſer Zweck iſt ein anderer, höherer,
rein ideeller. Die „Dichtercharaktere“ ſind — ſagen wir es kurz her-
aus — beſtimmt, direkt in die Entwickelung der modernen deutſchen Lyrik
einzugreifen. Was das heißt, ſei für weitere Kreiſe kurz erörtert.


Moderne deutſche Lyrik — wer nennt mir drei andere Worte unſerer
Sprache, bei denen eine gleich tiefe Kluft gähnt zwiſchen dem wahren Sinne
derſelben und dem Dinge, zu deſſen Bezeichnung ſie herabgeſunken ſind? In
Wahrheit, es iſt ein trauriges Bekenntniß, aber wir haben in den letzten
Dezennien weder eine moderne, noch eine deutſche, noch überhaupt eine Lyrik
beſeſſen, die dieſes heiligen Namens der urſprünglichſten, elementarſten und
reinſten aller Dichtungsarten nur entfernt würdig wäre. Wie auf allen
übrigen Gebieten der Poeſie ohne Ausnahme hat auch auf dem der Lyrik der
Dilettantismus jeder Form das unrühmliche Scepter erobert. Und zwar hat
der feine, geſchickte und gebildete Dilettantismus wirklich oligarchiſch geherrſcht
und thut es noch, während ſich ſein gröberer, ungeſchickter und ungeſchliffener
Mitſproß mehr denn je raupenartig fortgepflanzt hat und unheimlich wimmelnd
das ganze liebe deutſche Land von Morgen bis gen Abend unſicher macht.
Der Dilettantismus erſter Sorte iſt der wirklich gefährliche, denn weil er
herrſcht und ſich für wahre Kunſt ausgiebt, verbildet er den Geſchmack des
Publikums, das ihm blind dient, und untergräbt das Verſtändniß echter
[VI]Einleitung.
Poeſie, ohne welches die Cultur eines Volkes nichts als Narrethei und Lumpereii
iſt. Der feine Dilettantismus beſticht und betrügt, denn er iſt eitel Praſe
und Schein. Er gebraucht bunte und leuchtende Tünche, denn ſein Matrial
iſt wurmſtichig, urväteralt und überall löcherig wie faules Holz. Er ſinkt
auch nicht wie der gemeine Dilettantismus, ſondern er hat Parfüm. Er iſt
ein getreues Abbild der Toilette ſeiner Zeit. Ja, liebes Publikum, die an-
erkannteſten und berühmteſten Dichter unſerer Zeit, die vortrefflichſten und
bedeutendſten Autoren, wie die kritiſchen Preßwürmer ſie zu beſpeicheln pflegen,
ſind nichts weiter als lyriſche Dilettanten!


Von einem Phraſendreſcher und Reimpolterer, wie Albert Träger, ließeſt
du dich übertölpeln und machteſt ſeinem Verleger — Gott ſei’s geklagt! —
bald an die zwanzig Auflagen möglich, und dem gewandten Verſifex Julius
Wolff, der ſein glattes Perſönchen maleriſch in das bunte Coſtüm des fahren-
den Sängers gehüllt hat und ſeine Leier ohn’ Erbarmen malträtirt wie ein
kleiner Bengel ſein Glasklavier, küſſeſt du achtungsvoll und entzückt die ſchreib-
ſeligen Fingerlein. Der liebenswürdige Mann amüſirt dich ja auch ſo gut
und ſchmeichelt deiner geiſtigen Faulheit, wie ſollteſt du ihm nicht von Herzen
dankbar ſein? Daß ein Dichter begeiſtern, hinreißen, mit ein paar herrlichen
aus den unergründlichen Tiefen einer geiſtes- und ideentrunkenen Seele her-
vorſtrömenden Worten dich machtvoll zu erhabener Andacht zwingen und
dir ſüßmahnend gebieten ſoll, dich zu beugen vor der Urkraft, die in ihm
wirkt und ſchafft, wer in aller Welt hat dich jemals darauf aufmerkſam ge-
macht? Der Berliner Journaliſt Paul Lindau jedenfalls nicht, und auf dieſen
Mann der Gegenwart ſchwörſt du doch in Nord und Süd unſeres theuren
deutſchen Vaterlandes? Oder darf ich mich verbeſſern und ſagen: haſt du
geſchworen? Iſt es wahr, daß die Reue in dein allzu ausgetrocknetes Herz
eingekehrt iſt und daß du endlich, endlich einſiehſt, wie der Witz — nach
Schillers Wort — auf ewig mit dem Schönen Krieg führt, und wie ein
Mann, der fähig iſt, die glühender Lava gleichenden, und ganz naturgemäß
auch Schlacke mit ſich führenden Jugenderuptionen des erhabenſten und heiligſten
Dichters ſeines Volkes behufs Verwerthung ſeines Witzes zu verhöhnen, wie
ein ſolcher Mann — Schmach über ihn! — nie und nimmer die Führer
auf den Pfaden der Dichtkunſt und Litteratur ſein und bleiben darf? Nun
ſo wollen wir denn darauf vertrauen, daß die Herrſchaft der blaſirten Schwätzer,
der Witzbolde, Macher und litterariſchen Spekulanten, die der materialiſtiſche
Sudelkeſſel der ſiebziger Jahre als Schaumblaſen in die Höhe getrieben hat,
ein für alle mal vernichtet und gebrochen ſei, wir wollen vertrauen auf die
[VII]Einleitung.
unzerſtörbare Empfänglichkeit unſeres Volkes für alles wahrhaft Große, Schöne
und Gute, und in dieſem Sinne mit dem Pfunde, das uns verliehen, zu
wirken und zu wuchern ſtreben. Wir, das heißt die junge Generation
des erneuten, geeinten und großen Vaterlandes, wollen, daß die Poeſie wiederum
ein Heiligthum werde, zu deſſen geweihter Stätte das Volk wallfahrtet, um
mit tiefſter Seele aus dem Born des Ewigen zu ſchlürfen und erquickt, ge-
leitet und erhoben zu der Erfüllung ſeines menſchheitlichen Berufes zurück-
zukehren, wir wollen uns von ganzem Herzen und von ganzer Seele der
Kunſt ergeben, deren Triebkraft in uns gelegt, und wollen unſere nach beſtem
Können gebildete und veredelte Perſönlichkeit rückſichtslos, wahr und unein-
geſchränkt zum Ausdruck bringen. Wir wollen, mit einem Worte, dahin
ſtreben, Charaktere zu ſein. Dann werden wir auch des Lohnes nicht er-
mangeln, den wir erſehnen: eine Poeſie, alſo auch eine Lyrik zu gebären, die,
durchtränkt von dem Lebensſtrome der Zeit und der Nation, ein charakteriſtiſch
verkörpertes Abbild alles Leidens, Sehnens, Strebens und Kämpfens unſerer
Epoche darſtellt, und ſoll ſein ein prophetiſcher Geſang und ein jauchzender
Morgenweckruf der ſiegenden und befreienden Zukunft.


. . . . . . . . Unſere Anthologie ſoll ſich, wenn irgend möglich, zu einem
dauernden Jahrbuch geſtalten, das ſich aus ſchwachen Anfängen zu immer
größerer Bedeutung entwickeln möge. Die Idee dieſes jüngſten Eröffnungs-
bandes iſt ſchnell entſtanden und ebenſo ſchnell durch die thatkräftige und
opferwillige Liberalität unſeres Freundes und Dichtgenoſſen Wilhelm Arent
in’s Leben gerufen worden; die große Eile, mit der wir vorgehen mußten,
um das Werk noch vor Weihnachten herauszubringen, möge es entſchuldigen,
wenn die Vollſtändigkeit, Vielſeitigkeit und Auswahl noch nicht ganz nach
Wunſch ausgefallen. Der Weg zur Vollendung iſt eben ſchwer, und der
Herausgeber würde vollkommen befriedigt ſein, wenn von Seiten der guten
und verſtändnißvoll Urtheilenden anerkannt würde, daß die erſten Schritte,
die auf dem Wege geſchehen, keine „verlorene Liebesmühe“ geweſen ſind.
Noch manchen der Jüngeren hätten wir gern geladen, aber die Friſt war zu
kurz; immerhin hoffen wir, daß es erſichtlich wird: auf den Dichtern des
Kreiſes, den dieſes Buch vereint, beruht die Litteratur, die Poeſie der Zukunft,
und wir meinen, eine bedeutſame Litteratur, eine große Poeſie. . . . . . . .


Hannover, Mitte November 1884.


Karl Henckell.


[]

Inhalt.


  • Seite
  • Unſer Credo, Einleitung von Hermann Conradi I
  • Die neue Lyrik, Einleitung von Karl Henckell V
  • Wilhelm Arent (Berlin) 1
  • Oscar Linke (Berlin) 25
  • Julius Hart (Berlin) 46
  • Fritz Lemmermayer (Wien) 76
  • Friedrich Adler (Prag) 80
  • Hermann Conradi (Berlin) 91
  • Johannes Bohne (Berlin) 111
  • Karl Auguſt Hückinghaus (Remſcheid) 124
  • Arno Holz (Berlin) 136
  • Oskar Jerſchke (Straßburg i. E.) 163
  • Heinrich Hart (Berlin) 171
  • Oskar Hanſen (Wien) 197
  • Erich Hartleben (Celle) 201
  • Alfred Hugenberg (Berlin) 207
  • Georg Gradnauer (Magdeburg) 210
  • Richard Kralik (Wien) 217
  • Joſef Winter (Wien) 228
  • Hermann Eduard Jahn (Leipzig) 235
  • Ernſt von Wildenbruch (Berlin) 240
  • Wolfgang Kirchbach (München) 257
  • Karl Henckell (Hannover) 271
  • Nachtrag zu Jerſchke 290
  • Biographien, zuſammengeſtellt von Eugen Düſterhoff 297
  • Bibliographie der „Dichtercharaktere“ für das Jahr 1884 304
[[1]]

Wilhelm Arent.


Des Jahrhunderts verlorene Kinder.


Originalbeitrag.


Ein freudlos erlöſungheiſchend Geſchlecht,

Des Jahrhunderts verlorene Kinder,

So taumeln wir hin! weß Schmerzen ſind echt?

Weß Luſt iſt kein Rauſch? wer kein Sünder? …

Selbſtſucht treibt Alle, wilde Gier nach Gold,

Unerſättlich Sinnengelüſte,

Keinem Einzigen iſt Mutter Erde hold —

Rings graut nur unendliche Wüſte!

Chaotiſche Brandung wirr uns umtoſt;

Verzehrt von dämoniſchen Gluthen,

Von keinem Strahl ewigen Lichts umkoſt,

Müſſen wir elend verbluten …

Weiheſtunde.


Originalbeitrag.


O Weiheſtunde!

O köſtliche Stunde!

Sanft küßt die Nacht,

Die vielholde Tröſterin,

Die tagmüde Erde.

Und mählich verhallen

Im ewigen Schweigen

Die Stimmen des Lebens …

Immer lichter umwebt

1
[2]Wilhelm Arent.
Die erſtorbenen Auen,

Des Mondes fluthender

Silberſchleier.

Mild grüßen hernieder

Die ewigen Sterne —

Lautlos wogt

Der wortloſe Zauber

Unendlicher Ruhe.

Nur manchmal

Flüſtert’s und raunt’s

Im üppigen Laube;

Wie in Geiſterumarmung

Erſchauern jählings

Die Bäume und Sträucher,

Als wollten ſie künden

Die ewigen Räthſel,

Die da walten von Urbeginn

In Höhen und Tiefen …

Wie Erlöſung umſpinnt

Die qualdüſt’ren Sinne

Süßes Märchenvergeſſen.

Eingewiegt von der Sphären

Leisrauſchenden Hymnen,

Umſpielt vom Traumodem

Der wonneſam ſchlummernden

Allmutter Natur

Trink’ auch ich

Unausſprechlicher Inbrunſt voll

Gottſeligen Frieden,

Glück ohne Ende …

In der Mainacht Duftthau.

Im ewigen Hauche

Erſterben des Leibes

Fiebernde Pulſe.

Mit Sternen und Welten

Wall’ ich entgegen

Dem dämmernden Morgen.

[3]Wilhelm Arent.

Fragment.


Originalbeitrag (1882.)


Trink’ trunken der Blumen

Süßberauſchende Düfte!

Brich kühn der Blüthen

Keuſchknoſpende Fülle!

Schnauf’ ein des Aethers

Befreienden Dufthauch!

Tauch’ tief in der Sonne

Goldige Fluthen …

Bade die kranke

Seele geſund.

Sink’ in den göttlichen

Schooß der Mutter —

Liebreich umarmt dich

Allmutter Natur.

Sie allein hört dich,

Klagt mit dem Sturm

Um die Wette dein Lied;

Und ſpendet Balſam,

Lindernden Balſam

Dem kranken Sohn. …

Im wallenden Aether.


„Reinhold Lenz“ S. 34.


Umfließt mich Duftwogen

Des wallenden Aethers,

Gießt göttlichen Odem’s

Anhauch und Leben

In’s innerſte Mark mir!

Durchſchau’rt jeden Nerv

Mit ſonntrunkener Andacht!

Laßt hinab mich tauchen

In himmliſche Lichtſphär’!

Umarme mich brünſtig

Du ſeliges Schweigen

Unendlicher Liebe! . .

1*
[4]Wilhelm Arent.
Hinſtirbt die Sehnſucht,

Die ewige Sehnſucht

Der erdkranken Seele.

Geſprengt ſind die Bande

Der ſterblichen Hülle,

Ertödtet die wilden

Dämonen des Fleiſches.

Dann werd’ ich dich ſchauen,

Ganz ſchauen und fühlen,

Erlöſer und Allgott,

Mit Sonnen und Sternen

Im Schooße dir liegen

Und träumen, was du träumſt.

Dann ſtillſt du die brennenden

Schmerzen des Müden,

Dann ſtillſt du den Durſt,

Den unerſättlichen Durſt

Nach ewiger Tröſtung,

Dann labt mich dein Auge,

Dein lichtſpendend Auge,

Du Urquell der Gnade,

Dann zerfließ’ ich im Weihkuß

Deiner Seelenumarmung,

Du allmächtige Selbſtkraft!

Abenddämmern.


Gedichte 1883, S. 43.


Abenddämmern trüb und fahl,

Tiefe Stille webt im Thal.

Schleier rings die Berge kränzt,

Selten nur ein Stern erglänzt.

Wellen zieh’n und Winde rauſchen,

Träumend neig’ ich mich, zu lauſchen

Und mir dünkt, daß Höh’n und Tiefen

Und die Wälder all’ mich riefen.

[5]Wilhelm Arent.
Unbegreiflich Heimathſehnen —

Strömt hervor mir heiße Thränen.

Seele möcht’ den Leib’ verlaſſen,

Möchte gern ein Ewiges faſſen:

Das in ſüßem Friedgewähren

Sie entrückt in holde Sphären …

Süße Gottestrunkenheit.


Gedichte 1883 S. 44.


Vorüber iſt der Graus der Nacht,

Gebrochen iſt des Sturmes Macht.

Wie weht die Morgenluft ſo lau!

Wie glitzert licht die grüne Au!

Ein jeder Bach, ein jeder Rain

Lockt weiter in die Welt hinein.

Ich bette mich in’s weiche Moos,

Ich träume in des Waldes Schooß.

Rings duftet der Wachholderdorn,

Vor meinen Augen wogt das Korn,

Die Lerche jubilirt im Blau —

Nur ſonniges Glück, wohin ich ſchau’.

In ſüßer Gottestrunkenheit

Dehnt ſich die Seele frei und weit,

Sie möchte untertauchen ganz

In all’ dem Duft, in all’ dem Glanz.

Verrauſcht.


Lieder des Leides 1882 S. 34.


Sturmwolken mir zu Häupten zieh’n,

Verweht der Vögel Melodien

Nach Südens Zauberlande;

Nur einige Blumen einſam blüh’n,

Im Sonnenſtrahl ſie nicht erglüh’n,

Nun welken ſie im Sande.

[6]Wilhelm Arent.
Wirr braut der Nebel auf dem Fluß,

Verrauſcht iſt längſt der Liebe Kuß,

Wie ſchwand der Lenz ſo balde!

Rauh breitet nun ſein Leichentuch

Der Winter. Und ein düſt’rer Fluch

Legt ſich auf Flur und Halde.

Thaufriſcher Mai.


Originalbeitrag (1882.)


Aus der Gaſſen wüſtem Lärmgedränge,

Aus der Großſtadt ſtaubig-dumpfer Enge

Wall’ ich wonnigfroh zu dir, Natur!

Tauſend Träume trunken mich umweben,

Ueber mir die Lerchen jubelnd ſchweben,

Jauchzend wandle ich der Sonne Spur.

Und ein Meer von ſüßen Melodien

Fühl’ ich wogend mir im Buſen glühen!

Meine Seele athmet ſeligfrei:

Plötzlich ſtirbt der Sinne Gluthverlangen,

Gottes ewiger Hauch hat mich umfangen,

Frieden ſpendeſt du, thaufriſcher Mai.

Das Ziel.


Aus tiefſter Seele S. 65.


Schon als ich noch ein Knabe war, zog es mich hin zu ander’m Stern,

Tiefheißes Sehnen faßte mich, doch blieb mir die Erfüllung fern.

Ich fieberte all’ meine Tag’. Oft ſtürmt’ ich in das Feld hinaus …

Der brünſtige Leib verkühlte ſich in Regenſchaum und Sturmgebraus.

Der Seele Schrei: ich hörte ihn in tauſendſtimmigen Melodien,

Ich ſah auf dunklen Fittichen die todten Leidgenoſſen zieh’n.

Die ewige Dämmerung zerſtob: die Nebel theilten ſich zu Hauf’,

Lichtfremde Welten thaten ſich vor meinen Geiſteraugen auf.

Nicht Luſt noch Schmerz barg mehr die Bruſt: zu Ende war gekämpft
die Schlacht,

Das All war ich: ich war das All: ſo ward mir Friede in der Nacht.

[7]Wilhelm Arent.

Zum Ort des Todes …


Aus tiefſter Seele S. 70.


Zum Ort des Todes lenk’ ich oft den Gang,

Dort wandl’ ich ſtill der Gräber Reih’n entlang.

Zuweilen leſ’ ich, was auf ſchlichtem Stein

Die treue Liebe ſchrieb ſo rührend ein.

Der Großſtadt Lärm nur traumhaft tönt an’s Ohr,

Mich dünkt: in ſelige Au’n ich mich verlor.

Die Seele ſtirbt: es ſtirbt der ewige Schmerz,

Tiefſinnige Träume ziehen himmelwärts.

Ich bin der Falter, der zum Kelche ſtrebt,

Ich bin das Stäubchen, das im Lichte webt.

Ich lebe und bin todt vieltauſend Jahr,

Ich weiß, daß ich einſt war und doch nicht war.

So dämmer’ ich ſchrankenlos in Zeit und Raum,

Wie ſich ein welkes Blatt loslöſt vom Baum.

Weicht von mir …


Aus tiefſter Seele S. 73.


Weicht von mir, ihr Bilder-lockender Lüſte,

Ihr ſchwellender Leiber weißwogende Brüſte,

Ihr dunkler Augen feuchtſchimmernde Gluthen,

Ihr Lippen ſo ſüß im Kuß zu verbluten!

Nicht will ich umſchlungen von weichen Armen,

Umkoſt von des Weibes Dufthauch, dem warmen,

Die Sinne letzen im Taumel der Wonne —

Zu dir die Seele hinaufſtrebt, Urſonne!

O laß mich baden in ſeliger Klarheit!

O ſprich zu mir: ewige göttliche Wahrheit!

[8]Wilhelm Arent.

Im Zecherkreis.


Aus tiefſter Seele S. 60.


Nacht iſt’s. Trüb’ flackert der Ampeln Licht,

Des Mondes Schein durch die Fenſter bricht.

Wir ſitzen im Kreis beim feſtlichen Mahl,

Von Hand zu Hand geht der duftige Pokal.

Wild-üppige Zecher ſind wir zumeiſt,

Manches Witzwort ſprüht von Geiſt zu Geiſt.

Dazwiſchen tönt der Dirnen Gelach,

Das klingt ſo gell, das klingt ſo jach …

O tolles Schwelgen im Ueberfluß!

Immer ſüßer berauſcht uns der Dämon Genuß.

Ob auch in nächſter Stunde vielleicht

Der Tod über unſere Häupter ſtreicht:

Uns kümmert es nicht. Bruſt wogend an Bruſt —

So laſſt uns ſterben im Taumel der Luſt!

Fragment.


Aus tiefſter Seele S. 59.


Ich lehne träumend am Brückenrand,

Das Aug’ zu des Stromes Tiefen gewandt.

Wie Schatten huſcht es an mir vorbei,

Nur halb noch hör’ ich verworr’nes Geſchrei.

Der Abend dämmert mählich herein …

Plötzlich ergießt ſich trübfahler Schein:

Jäh’ trifft mein Blick die Menſchen all’,

Die vorüberfluthen in wirrem Schwall.

Ich ſehe Karoſſen ſtolz und reich,

Daneben die Armuth kummerbleich.

Zumeiſt grub tiefe Linien die Noth,

Das Laſter, die Sorge um Leben und Brot.

Verrohung ſpiegelt gar mancher Zug,

Unſelige Selbſtſucht, Lug und Trug.

Keinem Auge entſprüh’t des Daſeins Luſt —

Weltſcheue Schwermuth füllt meine Bruſt.

Unendliches Weh und unendlicher Groll:

Was all’ das tolle Treiben ſoll!

[9]Wilhelm Arent.
Die Meiſten kommen zur Erde und geh’n

Und haben nie ſich ſelber geſeh’n.

Sie lebten dumpf in thieriſchem Triebe,

Sie fühlten nie das Glück der Liebe.

Sie ſahen nie der Gottheit Spur,

Sie kannten dich nicht, Allmutter Natur.

Nie wieder …


Aus tiefſter Seele S. 58.


Die Straßen dämmern ſo tief verſchneit,

Wie iſt der Sommer ſo weit, ſo weit!

Jüngſt träumte die Welt des Frühlings Traum:

Vieltauſend Knospen trug jeder Baum.

Nun plötzlich all’ die Keime erſtickt,

Vom Froſteshauch die Blüthen geknickt!

Unnennbar traurig die Seele iſt,

Der ſonnigen Tage ſie nicht vergißt.

Nun findet ſie nirgends der Liebe Troſt,

Sie ahnt: nie wieder ein Weſt ſie umkoſt.

Nie wieder labt ſie der Blumen Duft,

Ihr bettet der Schnee die kühle Gruft,

Sterben muß ſie tief-einſamen Tod —

Nie wieder grüßt ſie das Morgenroth.

Kind aus dem Volke.


Aus tiefſter Seele S. 61.


Kind aus dem Volke ſo ſchlicht und rein,

Hüte dich, hüte dich Blümelein!

Biſt ſo lieblich und zart von Geſtalt,

Uebſt ſo ſüße Zaubergewalt …

Bald iſt der Liebe Knospe erwacht,

Liebe kommt träumend und über Nacht.

Heißer zum Herzen ſtrömt dir das Blut,

Deine Wang’ erglüh’t in Roſenglut.

Dein Mund dem Kuſſe entgegenſchwillt,

Nur des Mannes Arm deine Sehnſucht ſtillt.

[10]Wilhelm Arent.
Wild preßt du ihn an die wogende Bruſt,

Du giebſt dich hin im Taumel der Luſt.

Für ewig ſcheidet von dir das Glück,

Nie kehrt deine Munterkeit zurück.

In Thränen ſtirbt deiner Seele Mai,

In düſtrer Verzweiflung dein Todesſchrei.

Frühlingsandacht.


Aus tiefſter Seele S. 49.


Des Frühlings Stürme durchbrauſen das Land …

Meine Seele durchlodert der Sehnſucht Brand.

Es treibt mich hinaus in der Einſamkeit Dom,

Ich kühle die Gluth in der Winde Strom.

Verſunken liegt die Erinnerung weit:

Mich grüßt die Sonne der Ewigkeit.

Die Bäche rauſchen mir liebend zu,

Die Vögel ſingen: ſei glücklich auch du.

Die Bäume neigen ſich zum Willkomm’,

Süße Andacht erfüllt mich: Ich bin fromm.

Tiefheiliger Schauer mich durchweht:

Es weiht mich der Schöpfung Majeſtät.

Ich ſauge den Odem der Gottheit ein,

Eins bin ich mit dem allewigen Sein.

Zum Eingang.


Aus tiefſter Seele S. 1.


Ein Prieſter ſei der Dichter immerfort,

Er wahre treu der Dichtung heiligen Hort.

Im Rauſch des Wahnſinns geb’ er flammend kund:

Die Offenbarung aus der Gottheit Mund.

Ganz poch’ in ſeiner Bruſt der Menſchheit Herz,

Ganz ſtröm’ er aus der Menſchheit Luſt und Schmerz.

Er ſei Prophet, der in der tiefſten Nacht

Die Sehnſucht nach dem Lichte neu entfacht.

Er ſei ein König in der Schönheit Reich,

Der ſündigen Menſchheit Heiland allzugleich.

[11]Wilhelm Arent.
Er ſei die Flamme, die da ewig brennt,

Die Sonne an der Völker Firmament,

Nicht eher dann verklingt des Sanges Schall,

Bis daß der letzte Menſch erſtarb im All.

An * * *


Aus tiefſter Seele S. 2.


Zum ewigen Thron ſtrebt ihr empor,

So trotzigſtolz und löwenkühn,

Ihr ſucht des Himmels Flammenthor,

Nicht eher kann Euch Frieden blüh’n.

O nehmt mich auf in Euern Bund!

Ich bin ſo arm und leidesmüd’,

Im Kampf mit Euch werd’ ich geſund,

Vielleicht gelingt mir auch ein Lied.

Ein Lied, das meine Seele reißt

Urmächtig aus der Trübſal Nacht,

Daß frei im Aether ſchwebt der Geiſt,

In Blumenduft und Sonnenpracht.

Ein Lied, wie Offenbarungslaut,

Wie Frühlingsſturm in Wald und Flur,

Das nur im Licht die Gottheit ſchaut

Und hüllenlos die Allnatur.

Ein Lied, das wie die Thräne quillt,

Die uns erlöſt aus tiefſtem Schmerz,

Ein Lied, das jede Sehnſucht ſtillt,

Und ſüßer Troſt für jedes Herz.

Ein Lied, das nicht mehr brünſtig fragt,

Ein Lied, das Alles ſelig kennt,

In dem der ewige Morgen tagt,

In dem die ewige Sonne brennt.

[12]Wilhelm Arent.

Strahlen wie Sterne duftig klar …


Componirt.


Strahlen wie Sterne duftigklar

Mir deine Augen, die tiefblauen,

Zieht mich ein Sehnen wunderbar

Nach ſelig-fernen Himmelsauen.

Die echte Liebe treu und wahr,

Wähn’ ich auf ſonnigem Grund zu ſchauen,

Als kennt’ ich dich ſchon viele Jahr’,

Möcht’ ich die Seele dir vertrauen.

Reich’ mir zum Kuß die Lippen dar,

O runzle nicht die zarten Brauen,

Umduftet ſüß von deinem Haar,

Laß Frieden auf mich niederthauen.

Ich bin ſo glück- und troſtesbar …

O maienſchönſte aller Frauen

Sei du dem flügellahmen Aar

Die Sonne in der Nebel Grauen! …

O laſſ’ mich küſſen dein Gewand …


Gedichte 1883 S. 89.


O laſſ’ mich küſſen dein Gewand,

Du Einzige-Holde, Heilig-Reine,

Ich weiß: daß ich in dir nur fand

Der Liebe Glück, nach dem ich weine.

Entſühne mich vom irdiſchen Tand,

Ganz ſei dein Fühlen auch das meine,

Laſſ’ in der Liebe Wunderland

Uns träumen ſüß das Ewig-Eine.

Du giebſt mir deine Zauberhand,

Tief unter uns ſtirbt das Gemeine —

Du führ’ſt mich an des Abgrunds Rand

Vorbei zum ewigen Sonnenſcheine.

[13]Wilhelm Arent.

Seh’ ich dein Aug’ in Starrheit ſüß verloren …


Gedichte 1883 S. 66.


Seh’ ich dein Aug’ in Starrheit ſüß verloren,

Dem ſonſt ſo ſonniges Leben hold entſprüht,

Dünkt mir, Anna: du ſeiſt nicht erdgeboren,

Daß fremder Welten Zauber dich umblüht.

Seh’ ich dann Thränen deine Wangen feuchten,

Schimmern in zarter Wimper Perlen gleich,

Erſchließt mir deiner Züge Wetterleuchten,

Wie thaufriſch deine Seele und wie reich!

Ich weiß: du möchteſt gern ein Herz beglücken,

So ſchön, ſo lieb, wie nimmer es geſchieht.

Ich weiß: du möchteſt es der Welt entrücken,

Daß alſo keuſch und rein es auch erglüht:

Wie all’ die Träume, die dich lind umweben,

Wie all’ die Luſt, die jauchzend aus dir bricht,

Wie all’ die Strahlen, die dich leiſ’ umſchweben,

Du ſchöne Himmelsſeele hehr und licht.

Meine Gottheit biſt du in Ewigkeit.


Original-Beitrag.


O Anna glaub’, ich lieb’ nur dich,

Nur dich ſucht meine Seele,

Du biſt der Schönheit Stern für mich:

Ganz Licht, ganz ohne Fehle.

Dein Wort mein dürſtend Herz nur füllt,

Dein Glück hellt meine Nacht —

Kämpf’ ich auch jetzt nebelumhüllt:

Als Sieger end’ ich die Schlacht.

Als Sieger kehr’ ich zu dir mein Kind,

Meiner Tage Sehnſucht und Traum,

Dein Odem umweht mich friedenslind,

Daß ich fern je — weiß ich kaum.

An deiner Bruſt ſtirbt der Dämon Schmerz …

O holde Mährchenſtund’!

Immer wieder küſſ’ ich, du einziges Herz,

Deinen vielſüßen Kindermund.

[14]Wilhelm Arent.
Ich frage dich nicht; ich weiß es genau:

Mein iſt dein reiches Gemüth,

Mein der ſeligleuchtende Frühlingsthau,

Der deinen Augen entſprüht.

Mein biſt du; mein, o Seligkeit!

Einzigmein in Luſt und Graus!

Meine Gottheit biſt du in Ewigkeit!

Und ſtirbſt du — dann Sonne liſch’ aus.

Fragment.


Originalbeitrag.


O daß ich fände eine Seele,

Die fühlte gleich mir …

O daß mir endlich

In keuſcher Schönheit

Thaufriſch erblühte

Das Wunder der Liebe!

O daß endlich dem Verſchmachtenden würde

Das einzige Glück, das die Erde kennt,

In dem alle Seligkeit wurzelt:

Der ſüße Einklang

Zweier Menſchenherzen

Zur ewigen Harmonie …

— — — — — — — — — — —

Niederthau’ſt du, o Friede,

Der in den Himmeln flutet,

Du Demant der Erkenntniß,

Darin ſich ſpiegelt

Alles Gute und Böſe.

Und wundervoll ſprichſt du,

Ewiger Wechſel,

Zu den Traumvergeſſenen.

O köſtliches Weben

Im Tempel der Gottheit!

O trunkenes Schwelgen

In Wonn’ ohne Ende!

[15]Wilhelm Arent.
Es wandeln die Monde —

Es bleibt der Seelenumarmung

Unausſprechliche Wolluſt.

Die Heilige, Einzige, Göttliche.


„Reinhold Lenz“ S. 47.


Wann werd’ ich dich finden,

Ach endlich dich finden,

Dich fiebernd in ſchauernder

Seelenumarmung,

Fühlen, ganz fühlen

Du Heilige, Einzige,

Göttliche? . . . .

Die du biſt, weil ich bin,

Mich willſt, wie ich dich will …

Die du mit einem Strahl deines Auges,

Darin der Himmel glüht,

All’ die Schmerzen des Einſamen

Heimath- und Glückfernen

Mitfühlend hinwegküſſeſt,

Mit einem Athemhauch deiner Seele,

Darin ewiger Frühling blüht,

All’ die Thränen auslöſchſt,

All’ die brennende Qual,

Die meine Seele verzehrt,

Meine unſterbliche Seele …

Wo biſt du, du Sonne!

Nur meine Sonne,

Die du jede Wolke der Schwermuth

Von gramtrüber Stirne

Mir lächelnd hinwegſcheuchſt,

Triumphirend verheißeſt

Jeden Traum’s Erfüllung,

Und himmliſcher Tröſtung

Gottſüßen Frieden

In den ſehnenden Buſen gießt,

[16]Wilhelm Arent.
Mir, der ich arm bin,

So arm bin, wie Niemand?!

Wann erhebſt du dein Haupt,

Aus Nebel und Sturm

Dein lichtmächtiges Haupt,

Du Erkenntniß der Wahrheit

Die iſt und die ſein wird? …

Wann winkſt du Oaſe,

Du Mährcheninſel,

Voll paradieſiſcher Auen,

Dem Wüſtenpilger,

Der müde des Kampfes

Des irdiſchen Kampfes

Ohne Rettungsſtern

Hinſinkt, in das Nichts ſtarrt?

Wann reifſt du entgegen

Dem Labebedürftigen

O Thaufrucht der Liebe?!

Wann werd’ ich erwachen,

Holdſelig erwachen,

Dir im Schooße erwachen,

Du unendliche Wonne?!

Wann werd’ ich Sie ſchauen

In all’ ihrer Schönheit

Liebreiz und Anmuth,

Die aus dem Kelch jeder Blume

Entgegen mir duftet,

Und zu mir ſpricht

Aus der Nachtigall Schluchzen,

Dem Flüſtern des Maiwinds,

Jedem Machtwort der Schöpfung?!

— — — — — — — — — — — —

Mit dem Schrei der Erlöſung

Fliegt ihr entgegen

Die verſchmachtende Seele;

Leib reißt ſich an Leib …

Es ſättigen ſich endlich

Im Rauſch der Verzückung

Die taumelnden Sinne.

Hinſterben die Pulſe …

[17]Wilhelm Arent.
In des Kuſſes wildlodernder

Flamme vermählt ſich

Alle Süße des Lebens

Des Lebens und Todes.

Meiner Seele Seele.


Originalbeitrag.


Welch’ Drang, welch’ Beben

Durchgraut, durchzittert

Wie wonniger Glücksahnung

Jähe Gewißheit

Die qualmüden Sinne!

Wie ſchrecklich-ſchön

Blüht entgegen mir

In flammenden Reizen

Deine ſüße Geſtalt!

Wie durchſchau’rt mein Herz,

Das liebeſchmachtende,

Deines ſchimmernden Gluthauges

Seligjubelnde Märchenſprache!

Ach, du biſt meiner Sehnſucht Ziel …

Jauchzend grüß’ ich dich:

Meiner Seele: Seele!

Du biſt’s, die ich ſuchte

In dunklen Mitternächten,

Da ich rang und rang

In ſtummer Verzweiflung

Und kein Stern mir winkte

Vom grauſamen Himmel …

Du biſt’s, die ich ſuchte,

Wenn ich einſam trank

Des Frühlings friſche

Quellende Gluth

Die in alle Poren mir drang,

Den ſüßen Duft

Der über den Auen ſchwamm

Und den Buſen mir ſchwellte

In heiliger Sehnſucht …

Du biſt’s, in dir wurzelt

2
[18]Wilhelm Arent.
Mit allen Faſern

Mein ganzes Sein,

Jede Knospe der Hoffnung,

All’ Frieden und Glück.

Gebannt in deiner Schönheit

Magiſchen Lichtkreis

Laſſ’ mich träumend vergeſſen,

Laſſ’ Leben mich ſaugen

Von deinen Lippen,

Im Schooße dir raſten:

In holder Umarmung

Schöpf’ ich Erquickung

Wie der Baum aus der Erde …

À la Makart.


Originalbeitrag.


Mit dämoniſchen Reizen

Schmückte dich Venus,

Die Göttin der Liebe:

Du wollüſtig blaſſe,

Luſtheiſchende Dirne.

Wie ſchön biſt du!

Leiſe heben ſich

In zitternden Wogen

Deiner üppigen Brüſte

Zartknoſpende Roſen.

Phantaſtiſch flutet

Deines Seidenhaars

Duftige Lockenfülle

Auf den blüthenweißen

Nacken hernieder,

Der ſo lieblich gerundet …

Immer heißer zehrt

Am innerſten Mark mir

Deiner nachtſchwarzen Augen

Wildlodernde Glut.

Wolluſtathmend,

Fieberheiß,

Blüht mir entgegen

[19]Wilhelm Arent.
Deines ſchwellenden Leibes

Nacktſchimmernde Pracht;

Und wonnig umſchlungen

Von dem ſammetweichen Fleiſche

Deiner weißkoſigen Arme

Sinke ich liebeächzend

In deines feuchten

Brünſtigen Schooßes

Thauſpendende Tiefen.

Voll ſüßer Gier,

In wahnſinniger Trunkenheit

Preß ich dich an mich;

Lippe brennt auf Lippe,

Leib ſchwelgt an Leib,

In ſeligen Schauern

Rinnt in einander

Der Seelen Geheimniß …

À la Gabriel Max.


Originalbeitrag.


O laß mich, laß mich,

Du blaſſe Dirne,

Du ſo heiß begehrtes,

So ſchnöde verdammtes

Kind der Sünde!

Was ſoll das Lächeln,

Das ſinnverwirrende,

Das den reizenden

Kleinen ſchwellenden Mund

Dir ſo lieblich umknoſpet?

Was ſoll deiner großen

Nachtſchwarzen Kinderaugen

Wehmüthige Räthſelfrage,

All’ die bachantiſche Glut,

All’ das luſtſatte Leid,

Das dein müdes Geſichtchen

Mir wechſelnd kündet?

2*
[20]Wilhelm Arent.
Ich kann dich nicht retten

Aus dem Pfuhl der Verderbniß,

Du ſchöne Verlorene! . .

Nicht darf ich mehr bergen

Dein ſüßes Lockenhaupt

An meine ſtarke

Pochende Männerbruſt,

Nicht mehr mit zitternden Fingern

Voll ſeliger Trunkenheit

Wühlen in deinem Seidenhaar.

Ich lieb’ eine Andere! . .

Wie du mich liebſt

Mit all’ der Stärke und Reine

Und thaufriſchen Frühlingsempfindung

All’ der herzfüllenden Leidenſchaft

Der wahren Liebe! — — —

Ach, nicht deiner Seele

Holdes Geheimniß

Suchte ich brünſtig,

Aug’ in Auge geſenkt

Lippe hangend an Lippe

In der Wolluſtumarmung

Wildlodernder Küſſe,

Nur deines Leibes

Jungfräulich herber

Berauſchender Dufthauch

Trieb mich fiebernd

In deine weichen Arme,

Daß ich wild an mich preßte

Deiner weißwogenden Brüſte

Schimmernde Fülle,

Zu ſättigen der Sinne

Ewig rege Dämonen …

Ich kann dich nicht retten …

O fluche nicht dem Unſeligen!

Auch ich bin gebannt

In ſternloſe Nacht

Wie du;

Unſtät und flüchtig

Muß ich weiter irren

[21]Wilhelm Arent.
Durch pfadleere Wüſte,

Stumm weiterſchleppen

Die Qualenlaſt

Nie geſtillter Sehnſucht.

Mondnachtzauber.


Originalbeitrag.


O wonniges Weben

In Höhen und Tiefen

Des wallenden Aethers!

Wie ſelige Geiſter

Grüßen die Sterne,

Die duftumflorten;

Weihend waltet

Die ewige Liebe.

Ich träume und träume …

Und wieder weckt

Eine Welt von Empfindung

Der Mondnacht Zauber

Im Buſen mir.

Tiefe Wehmuth füllt

Mein einſames Herz.

Lang’, lang’ iſt’s her …

Tief ſchwamm der Mond

Im Dämmer-Blau,

Ein blaſſes Traumgeſicht;

Im nahen Korne nur

Zirpten die Grillen;

Wie von Geiſterhänden

Magiſch berührt

Erzitterten leiſe

Des wilden Weins

Phantaſtiſch ſich rankende

Blätter und Blüthen …

Heiße Worte der Sehnſucht

Entrangen ſich zögernd

Dem tiefſten Grunde

Meiner traumbeklomm’nen

[22]Wilhelm Arent.
In heiligen Schauern

Erbebenden Bruſt.

Köſtlichſtumme

Selige Erwiderung

Ward mir von deinen

Duftkeuſchen Lippen,

Du ſüße Frauenſeele

An meiner Seite.

Eine Heilige, eine Madonna

Andachtumfloſſen

In lichter Glorie

Neigteſt du lächelnd

Dein liebliches Haupt

Und im Innerſten traf mich

Der Liebe Strahl

Aus dem zarten

Durchgeiſteten Kinderantlitz.

Berauſcht bis in’s Mark

Von deiner Engelsmilde

Und frau’nhaften Weiche,

O Anna,

Sank ich in’s Knie

Und küßte inbrünſtig

Immer wieder und wieder

Deine feinen, weißen, duftigen Hände . .

Von der Blumen Balſam

Lindkoſend umflutet

Verſchwiſterten ſich

In brünſtiger Umarmung

In der Mainacht Gluthauch

Die unſterblichen Seelen

Zum ewigen Bunde …

Fata morgana.


„Reinhold Lenz“ S. 51.


Wie milde und ſüß

Des Abends Kühle

Und thaufriſche Labung

Herniederſinkt

[23]Wilhelm Arent.
Auf die heiße dürſtende

Glutſchwangre Erde!

Matter glänzen die Tiefen

Des [Himmelsgewölbes]

In duftweißem Schimmer;

Nur in der Ferne

Wie ſtolzen Gebirges

Vielhäuptiges Steinmeer

Ragt auf der Wolken

Stummdräuende Nebelwand.

Immer dichter breitet

Um die dämmernden Sinne

Mit Mutterſorgfalt

Ihren Traumesſchleier

Die Tröſterin Nacht.

Wie Geiſterrauſchen

Zieht’s durch die Lüfte,

Sanft küßt es die Köpfchen

Zarthalmiger Gräſer,

Die ſtolzen Kronen

Hochwipfliger Bäume,

Daß ſie leiſe erzittern

In wonnigem Beben

Und flüſternd ſich neigen.

Jeder Schmerz, jede Sehnſucht

Der Seele verhaucht,

Mit dem Friedensliſpeln

Der Lüfte und Sterne.

Himmel und Erde

Umarmt ſich alleins

In dem Segenszauber

Der müden Natur …

Immer deutlicher grüßt

Aus wachſenden Schatten

Die heilige Schwelle

Der Heimath.

Jetzt lächle ich ſelig,

Ein ſeliges Kind, ach,

Im Schooße der Mutter.

[24]Wilhelm Arent.

Fieberglut.


Originalbeitrag.


Durch meine Adern

Raſt Fieberglut!

In meinem kranken

Ausgedörrten Hirne

Lodert des Wahnſinns

Flamme empor!

Aus Nacht und Graus,

Aus wilder Verzweiflung

Schreit meine Seele

Nach dir, nach dir

Du ſüße

Ewigverlorene Geliebte!

In heißen Thränen

Quillt das Opfer

Unendlicher Sehnſucht.

O daß ich vergeſſen könnte! . .

Ertödten der Erinnerung

Vielholden Mährchenduft!

In tollem Sinnentaumel

Bachantiſch ſchwelgen,

Hinſterben in den Wonnen

Rauſchſeliger Liebe! …

Wie ſchön ſchien die Welt

Dem Auge des Glücklichen!

Ein ſchimmernder Blüthenhag

Süß umwoben und durchzittert

Von Duft und Schall

Und nun —

In Nacht getaucht

Iſt der Lichtkreis der Sonne,

Zum Schmerz wird jeder Athemzug

Der leidgepreßten Bruſt,

Immer wieder wühl’ ich,

O wolllüſtige Selbſtqual!

In meiner Wunde,

Der nie verharſchenden …

[[25]]

Oscar Linke.


Dichterſtolz.


Originalbeitrag.


Ja blicket ſtolz ihr Enkel des Helios,

Die Seele heiß von großer Gedanken Glut!

Ein blühend Thal zu euren Füßen

Breite ſich ſchmiegend die weite Erde!

Der Sterne Kranz, ein leuchtendes Diadem,

Umblühe glanzvoll euere Stirnen! Ha,

Vergeſſet nie, von oben ſtrömet

Nieder das Licht in des Dunkels Feuchte!

Vergeſſet niemals, Prieſter des Ewigen,

Von eurem Mund nur tönet Unſterblichkeit

Der armen Menſchheit: Viel noch lebten

Nach Agamemnon der tapf’ren Helden,

Die namenlos nun ſchlafen den ew’gen Schlaf,

Weil ihnen nachzog nimmer in’s Kampfgefild

Der Sänger, leicht zu Fuße ſchwebend,

Singend den herrlichſten aller Tode!

Von Mord und Raubgier, ſchnöde vergoſſ’nem Blut,

Nichts von Achilleus wüßte die Welt, wenn nicht

Homer geliehn ihm hätte ſeine

Eigene, göttliche Feuerſeele!

[26]Oscar Linke.
Und wähnet heut auch manche gekrönte Stirn,

Des Sängers Beifall wiege ſo leicht wie Hauch

In jener Wagſchal’, welche ſpät’re

Folgegeſchlechter zu Händen nehmen,

O laſſet ſie hinleben und — ſterben auch

Dem dumpfen Traumwahn! Stillet den edlen Zorn,

Der heimlich aufbrauſt: eure Rache

Bleibe das ruhige, große Schweigen.

Was ewig lebt und lebend erfreuen ſoll

Die arme Menſchheit, legen die Dichter nur

Ihr an das Herz, daß wie die Mutter

Freudig ſie ſtaune der Vielgeliebten!

Notturno.


Originalbeitrag.


O Schickſal, ſchweigendes Schickſal,

Nimm von mir die düſt’ren Gedanken,

Die nieder wie brütende Nebel

Auf meine Seele ſanken.

O warum kann ich nie wieder

Träumen in ſüßen Gedanken,

Gleich wie auf dem Felde die Blumen

Vom Winde beſeligt ſchwanken?

Schon fühl’ ich unter den Füßen

Den Boden zittern und ſchwanken …

Gieb himmliſche Flügel, o Schickſal,

Den ſchweren Todesgedanken!

[27]Oscar Linke.

Gebet.


Originalbeitrag.


O gold’nes Licht, dein blendendes Strahlenkleid

Umhülle mir von Neuem den müden Geiſt:

Vergeſſen ſuch’ ich, Adleraufſchwung

Ueber die Tiefe des düſt’ren Lebens.

Nur du allein giebſt Frieden und Wonneluſt;

O wende nicht dein göttliches Vateraug’

Von deinem Kind, das ſich hinausſehnt

Ueber die Enge des düſt’ren Lebens.

O laſſ in deiner allhinleuchtenden Nacht

Alswie ein Kind am blumigen Alpenhang

Mich ſelig ruh’n, empor mich träumen

Ueber die Schwere des düſt’ren Lebens!

Die Todtenuhr.


Originalbeitrag.


Bei winternächt’ger Stille

Im lampenhellen Zimmer

Lag ich in tiefen Träumen

Auf grünem Pfühl — wie immer!

Dazwiſchen pochte nur

So geiſterhaft die Todtenuhr.

Und vor mir ſtand bezaubernd

Aus alter Zeit die Schöne;

Die ſtummen Augen ſprachen

Wie ſel’ge Liebestöne …

Dann hört’ ich wieder nur

So geiſterhaft die Todtenuhr.

[28]Oscar Linke.
Es kam des Freundes Schatten

Mit todesbleichem Munde;

Er zeigte traurig lächelnd

Mir ſeines Herzens Wunde …

Und wieder hört’ ich nur

So geiſterhaft die Todtenuhr.

Viel and’re noch. Als letzte

Blutloſe Schatten nahten

Mit duftlos welken Kränzen

Die Sorgen, Wünſche, Thaten …

Eintönig pochte nur

So geiſterhaft die Todtenuhr.

Und allen gab mein Träumen

Ein flüchtig ſchönes Leben,

Und alles ſah ich wieder

In Grabesnacht verſchweben …

Denn immer pochte nur

So geiſterhaft die Todtenuhr.

Indeſſen um mich langſam

Hinſtarb der Lampe Schimmer,

Da winkte mir im Traume

Der Sterne Glanzgeflimmer …

Doch ſtärker pochte nur

So geiſterhaft die Todtenuhr.

Nacht war’s. Ich ſah die Erde

In weiter blauer Ferne

Als goldnes Sternchen ſchweben

Im Reigentanz der Sterne …

Und leiſer pochte nur

So geiſterhaft die Todtenuhr.

Wie eine Roſe deuchte

Die Erde mir zu blühen,

Wie eine kleine Leuchte

Sah ich ſie ſtumm verglühen …

Da ſchwieg — täuſcht’ ich mich nur? —

So geiſterhaft die Todtenuhr.

[29]Oscar Linke.
Wie mich die Geiſterſtille

Der Winternacht erweckte!

Wie mich die Todesruhe

Im Dunkel rings erſchreckte! …

O warum ſchwiegſt du nur

So geiſterhaft, o Todtenuhr?

Ach Würmchen, nun belohnet,

Sagt’ ich mir unter Thränen,

Wohl eines Weibchens Liebe

Dein liebewerbend’ Sehnen …

Ich bin ſo einſam nur —

O poche wieder, Todtenuhr,

O poche, poche, Todtenuhr!

Von Liebe etwas.


Originalbeitrag.


Viele tauſend Male ſei du mir geſegnet,

Roſenblüthenmund,

Dem noch nicht der letzte Tropfen iſt begegnet

Auf des Bechers Grund.

Dich auch will ich ſegnen, dich auch ſelig preiſen,

Ohrenmuſchelpaar,

Das noch kindlich ſtaunend höret auf den leiſen

Sang der Sternenſchaar.

Roſenblüthenlippen, Ohrenmuſchelpärchen

Werden arg befehden

Deine Veilchenaugen; wirſt nach einem Jährchen

Schon von Liebe reden.

Ach von jener Liebe, die nur in Gedichten

Noch ſo reizvoll glüht,

Die wie leis verſcholl’ne Mährchentraumgeſchichten

Längſt ſchon iſt verblüht, verblüht!

[30]Oscar Linke.

Hohe Minne.


An die Prinzeſſin * * *


Wie ſüßes Mondlicht an den blauen Höh’n,

So leuchtet mir dein Antlitz mild und ſchön

Aus unnahbaren Fernen ſtumm entgegen;

Ein Himmel blüht, wo deine Augen winken;

O könnten ſie doch einmal niederſinken

Zu mir, dem Dumpfheit folgt auf allen Wegen.

Du gäb’ſt dem Herzen kühne Adlerſchwingen,

Wie ſollt’ es jauchzend von dem Höchſten ſingen,

Was Menſchenſehnſucht je nur kann erreichen!

Ha, wie verklärte dann der Zeit zum Neide

Ein ew’ger Glanzſchein unſ’re Stirnen beide,

Nie ſollten uns der Jugend Locken bleichen.

Doch ſolches geben mir die Götter nimmer …

Und dir auch wird der Anmuth Zauberſchimmer

Allmählich grauſam Stück für Stück zerfallen.

Am Strand des Hades wird dein Schatten ſchweben,

Vergeſſen! Ach, und länger blühend Leben

Verdienſt du, o Herrlichſte vor Allen!

Capriccio.


Originalbeitrag.


Ich bin ſo krank und müde,

Mein Herz ſehnt ſich nach Ruh’,

Ich ſchlöſſe gern die Augen

Für alle Nächte zu.

Nur möcht’ ich hin und wieder

Sanft ſtreifen mit der Hand

Ein weiches Blumenantlitz,

Das mir noch unbekannt.

[31]Oscar Linke.

Hadrian.


Originalbeitrag.


Du Freund von Hellas! Weiſer! O Hadrian!

Als deinen Freund wegraffte die Flut des Nil,

Als du, im Schmerz, der Wunderblume

Jeglichen Strebens im Staub der Erde,

So manchen Prachtbau weih’teſt und rings befahlſt

Der ſchalen Welt, Antinoos göttergleich

Zu ehren, ruchlos thöricht ſchalten,

Sinnender Träumer, dich viele Blinde!

Noch heute, ſtumm voll glänzender Hoheit, lebt

Dein holder Liebling, göttlichen Odem ſprüht

Sogar der Marmor noch, der kalte —

Selig beglückte, die ſah’n das Urbild!

Und manchesmal wohl ſah ich dem Menſchengott

In’s ſtille Antlitz, Schauer und Luſt zugleich

Empfand ich, Ehrfurcht, heil’ge Liebe

Tief in dem Buſen entgegenflammen.

Gedanken, ſeltſam, nimmergewollt, und doch

In ſüßem Bann mich haltend, befielen mich,

Beſiegten mich; wie Geiſterflügel

Hört’ ich die Stimme des Herzens rauſchen …

Ha, ich verſteh’ dich! Himmliſchen Tiefſinns voll,

Sprach deine That, was And’re verſchweigen! — Ach,

Es flieht der Thor ſelbſt dann das Wahre,

Leuchtet es ſtill im Gewand der Schönheit!

[32]Oscar Linke.

Ein goldner Kaiſertraum.


Originalbeitrag.


Kennſt du das Zaubereiland,

Das fern im Süden liegt,

Das leiſ’ in ew’gen Schlummer

Die Meereswelle wiegt?

Hier blüht noch der Orangen

Und Myrten Hain ſo ſchön,

Hier ſchimmert noch ſo blendend weiß

Der Schnee auf Bergeshöh’n.

O ſiehſt du, wie die Welle

Als wie ein kleines Kind

Umkoſ’t, umſpielt das Eiland

So weich, ſo ſchmeichelnd lind?

Wohl liegt der Schnee ſo blendend

Hoch um des Aetna Firn’,

Und doch wie Trauer, ſtill und groß,

Umwebt’s der Inſel Stirn.

Wo blieb, der einſt hier ragte

Am Meere, der Palaſt,

Der jeden Gott begrüßte

Als hochwillkomm’nen Gaſt?

Wo blieb, das ihn durchrauſchte,

Das purpurne Gewand,

Darauf ſo ſtolz in goldnem Grund

Ein rother Löwe ſtand?

Verſchollen ſind die Lieder

Des deutſchen Minneſangs,

Verblichen auf dem Eiland

Des Orient’s Mährchenglanz;

Der Minnehof der Schönheit,

Die Weisheit hochgelehrt,

Sie wichen, ſeit verroſtete

Das Hohenſtaufenſchwert!

[33]Oscar Linke.
Und hörſt du, was die Welle

Noch heute traurig ſingt?

Was traurig wiederhallend

Zum hohen Norden klingt?

„Hier ſchlummert in zwei Särgen

Ein goldner Kaiſertraum,

Der einſt umſpannen wollte

Den ganzen Erdenraum.“

Gralworte.


Originalbeitrag.


Ueber dem Dichten und Denken und Träumen,

Singen und Bilden und Bauen und Malen

Laſſet uns nimmer ſäumen,

Uns, vom heiligen Geiſte berufen,

Näher zu jenes Heiligthums Stufen

Die Völker zu führen, aus welchem ſtrahlen

Als letzter und ſchönſter Erdenlohn

Erlöſung und Frieden hienieden ſchon.

Der lockende Traum, der uns umtanzt,

Von welchem immer die Menſchen reden,

Als Eldorado, Atlantis, Eden —

Er ward uns in die Seele gepflanzt,

Daß wir d’ran hangen und d’ran glauben;

Nicht Noth,

Nicht Tod

Soll dieſes himmliſchſte Kleinod rauben.

In ihm zu weben,

Mit ihm zu ſtreben,

Ihn weiter zu geben,

Den hehren Gedanken, wie Kerzenlicht,

3
[34]Oscar Linke.
Wann todreif unſer Leib zerbricht,

Dies ſei unſer Leben,

Unſer Ideal,

Heut und morgen, zu jeder Friſt,

Bis die Erde geworden iſt

Ein heiliger Rieſentempel des Gral!

Atlantis.


Originalbeitrag.


Heilige Zukunftsſchaaren, des Sängers Gruß euch!

Einen Wurfſpeer ſchleudert er, voller Ahnung,

Durch das Nachtgraun, lichtere Schimmer ſehend,

Seinen Geſang hin!

Laßt der Weisheit düſtere Rabenſtimme

Von dem niemals endenden Elend krächzen,

Was ſo hoffnungsfröhlich das Herz durchzittert,

Muß ſich entfalten.

Still und langſam windet ſich hin die Raupe,

Aber heimlich ſpüret ſie ſchon die Flügel,

Die ſie einſt als ſchillernden Falter tragen

Ueber die Auen.

Ja, nur ein Ziel leuchte den Erdenſöhnen!

Ha, nur ein Ziel ſinget, ihr heil’gen Dichter:

„Edler Freiheit flüchtig gewährte, goldne

Fülle hienieden!“

Nimmermehr auf anderen Lichtgefilden,

Welche noch kein ſterblicher Blick durchmeſſen,

Sollſt du aufblühn, ſüßeſter Traum der Menſchheit,

Sonnig Atlantis!

Unter uns vom perlenden Thau des Aethers

Wonneſanft umſchmeichelt, erblüh’ den Enkeln,

Welche fromm wie wandelnde Blumen leben,

Bilden und ſchaffen!

[35]Oscar Linke.
Aber ihr, o glückliche Länder, denen

Wir den fernher leuchtenden Port gewieſen,

Weiht dann uns manch ſchäumendes Glas, Dankthränen

Himmliſcher Freude!

Pallas lunatica.


Originalbeitrag.


Es war in einer blauen Sommernacht;

Vom Himmel ſchien, wie blüh’nd in Lilienpracht,

Der Mond hernieder in mein Kämmerlein,

In dem ich ſaß am Fenſter und allein.

Ich ſaß allein, das Herz von Trauer ſchwer,

Indeß aus einem fernen Garten her

Brummbaß und Geige durch die Stille klang

Zu wildem Tanz und luſtig tollem Sang.

Das Herz von Trauer ſchwer, ſaß ich allein,

Sah wie gebannt in dieſen weißen Schein

Des Mondenlichts, und geiſterhaft und mild

Schien auf mich nieder, ach ein leuchtend’ Bild.

Ich kenne dich, o Antlitz, edelbleich,

Wer riß dich aufwärts aus dem Schattenreich,

Wo du ſeit Jahren ſchliefeſt wonneſtill,

Die blaſſe Stirn umkränzt von Asphodill?

Was ſiehſt du mich ſo glänzend ſchweigſam an?

Ha, immer wirket noch dein Zauberbann,

Der mich emporträgt mit des Adlers Schwung —

O Sehnſucht, Sehnſucht, o Beſeligung!

Vergeſſen wie ein Traum der Erde Leid!

O Himmelsluſt! O [Welteneinſamkeit]!

Ach, weißes Antlitz, lotosblumenſchön,

Was blickſt du ſinnend auf zu neuen Höh’n?

3*
[36]Oscar Linke.
„Schau’ſt du dort oben jenes höchſte Licht“ —

O frommes Kind, ich ſeh es nicht, noch nicht;

Ich ſeh’ nur, wie verſinkt das Blau der Nacht

In immer düſt’rer glänzend ſchwarze Pracht.

„Geduld! wir ſind von ihm nicht mehr ſo weit“ —

O du mein Stern, umhüllt von Seligkeit,

Wag’ ich zu ahnen kaum das höchſte Licht,

Von dem dein blaſſer Mund verheißend ſpricht.

„O weiter, weiter nur zum Flug hinan“ —

Mein heilig Kind, ich bin ein kranker Mann,

Bin müde, grenzenlos, ſchon ſink’ ich, weh …

Von unten winkt ein nachtſchwarz ſtummer See.

O du mein Stern, o weiße Blume du,

Mein Himmel, ach, ich ſehne mich nach Ruh —

„Geliebter, ſiehſt du nicht den roſ’gen Schein?“ …

Mein Muth zerbricht, weh’ mir, flieg du allein!

Umathmet ſchon vom Hauch des ew’gen Lichts,

Sank ich hinab ins bodenloſe Nichts;

Und während aus den Tiefen ich ſo nah

Des rieſ’gen Dämons höhniſch’ Grinſen ſah,

Da ſcholl es wild wie ein Verzweiflungsſchrei

Von oben her in grauſer Melodei:

„Getrennt auf immerdar! Du glaubteſt nicht

An der Verheißung ewig leuchtend Licht!“

Schweiß ſtand auf meiner Stirn. Ich war erwacht

Aus meinem Traum; und in die blaue Nacht

Sah ich hinaus; verſtummt war Sang und Tanz —

Und nur zu fühlen noch des Mondes Glanz.

[37]Oscar Linke.

Omphale.


Originalbeitrag.


Zwei Augen wie Kohlen ſo glühend und groß

Durch’s Zimmer, das dunkele, irren;

Man hört nur ein ſeltſam eintönig Geräuſch,

Ein Schnurren und Rollen und Schwirren.

Bisweilen ein Stöhnen ſo tief und ſchwer,

Dann wieder das ew’ge Geſchnurre;

Bisweilen auch iſt es, als kläng’ im Gemach

Eines rieſigen Hundes Geknurre . . . . .

Da nahet die Sclavin im bunten Gewand,

Zu erleuchten das üppige Dunkel:

Und es ſtrömet die Ampel vom Deckengebälk

Hernieder ein duftend Gefunkel.

Nicht achtet die Alte des Hünen, der dort

Verſenkt iſt in grübelndes Sinnen,

Deſſ’ eherner Fuß nur beweget das Rad,

Um ſchmählich erniedert zu ſpinnen.

Wohl hängt ihm ein weibiſches Frauengewand

Nachläſſig und ſchleppend hernieder,

Doch jegliches Regen des Leibes enthüllt

Die Formen der ehernen Glieder.

Doch ha, nun ſchwebet ſie ſelber herein,

Die lydiſche Amazone,

Goldſpangen auf nacktem und roſigem Arm,

Auf bräunlichen Locken die Krone.

Ein höhniſches Lächeln umſpielet den Mund,

Schier lechzend die Augen erſtrahlen,

Als könnten ſie nimmer geſättigt beſchau’n

Des Helden unendliche Qualen.

Sie lagert ſich nieder auf ſchwellendem Pfühl

Und blicket herab zu dem Recken;

„Nun komm, mein Hündchen, nun darfſt du die Hand

Der Herrin gehorſam belecken!“

[38]Oscar Linke.
Und das Hündchen erhebt ſich und ſchmieget ſich hin

Zu den Füßen des üppigen Weibes,

Und küßt ihr die Hand und ein Beben durchzieht

Die Glieder des üppigen Leibes.

Und ſie wirft ſich ein Fell um den blendenden Hals,

Um die Bruſt, um die Schulter, die nackten,

Das Fell des nemeïſchen Löwen, den einſt

Zwei Hände zerdrückten und packten.

Dann greift nach der Keule die zierliche Hand,

Und Omphale fragt ihn mit Höhnen:

„Ei, Herakles, ſag’, die Gewaltigſten ſind

Und die Sieger doch immer die Schönen?“

„Ach, Omphale, ja, die Gewaltigſten ſind

Und die Sieger wohl immer die Schönen,

Doch ſtärker bedünkt mich die Göttin zu ſein,

Die uns lehret das träge Gewöhnen!“

„O ſchweig, mein Trauter, und küß mir den Mund,

Du wollteſt ja ſein mein Sclave,

Ruh’ aus bei mir von dem weibiſchen Dienſt

Und freue dich wieder der Strafe!“

Es duften die lydiſchen Myrthen ſo heiß,

So heiß auch die lydiſchen Roſen,

Und es läß’t ſich, von Neuem gefangen in’s Joch,

Vom Weibe der Wackere koſen . . . .

Und herzlos iſt doch die Schöne zumal

Und ſpielet doch nur mit dem Lieben,

Kalt lächelnd, als Herakles einſt ihr geſtand:

„Mich hat nur die Liebe getrieben!“

„Aus Liebe nur hab ich an dich mich verkauft,

Aus Liebe zum Sclaven verdungen“ —

Zu ſtraff nicht, Herrin, ziehe das Band,

Gar leicht iſt die Kette geſprungen . . . . .

[39]Oscar Linke.
Schlaftrunken und nimmer erfriſcht vom Schlaf

Erwacht der Held in der Frühe;

Wach ſteht ſchon vor ihm das reizende Weib

Und ſpricht, doch ſie lächelt mit Mühe:

„Ergreife die Keule, das Löwengewand,

Ich ſchenke dir einen der Tage,

Und befreie das Land von dem Räuber im Wald,

Schon ward er dem Lande zur Plage!“

Und blitzſchnell ſpringt vom Lager der Held,

Er fühlt in den Gliedern ein Schwellen:

Es iſt ihm, als ſäh’ er zu ſonnigſtem Glanz

Die dunkele Nacht ſich erhellen.

Umhängt ſie ihm ſelber das glänzende Fell,

Es däucht ihm wie koſendes Streicheln;

Sie giebt ihm die Keule — ſo feſt er ſie drückt,

Als wollt’ er ſie koſend umſchmeicheln.

Wie leicht doch die ſchmähliche Kette zerbrach!

Er ſieht nur im Geiſt den Geſellen;

Er gedenkt ihn am Saume des ſchattigen Wald’s

Gleichwie eine Tanne zu fällen.

Kaum achtet er weiter des Weibes Geſchwätz,

Kaum fühlt er die Wonne des letzten

Der Küſſe — der Küſſe, die einſt ihm das Blut

In ſiedende Wogen verſetzten!

Er wandelt dahin und es iſt ihm, was war,

Wie Nacht und wie Nebel verſunken;

Er wandelt im ſonnigen Lichte dahin,

Vom Lichte, dem ſonnigen, trunken.

Da tönt es von fernher an ſein Ohr

Mit rauhem und heiſerem Schalle:

„Komm, zappelndes Mäuschen, dich hab’ ich geſeh’n,

Und nimmer entrinnſt du der Falle!“

[40]Oscar Linke.
„Ei, ſeht nur die Keule, das Löwengewand,

Welch’ prahlendes, nichtiges Gleißen!

Sag’ an, mein zitterndes Mäuschen, wie mag

Der Held, der dich zeugte, heißen?“

„Es wohnt mein Vater im himmliſchen Saal;

Die Irdiſche, die mich geboren,

Sie nannte mich Herakles . . . . Wer ſich genannt

Mein Feind, ſtets war er verloren.“

„O, biſt du der Kühne, von welchem im Land

Umgeh’n ſeltſamliche Mären?

Und du ein Sproſſe der Götter? Der läßt

Vom Weibe das Spinnen ſich lehren?

„Wer Weibern gedienet, den fürchtet’ ich nie!

Komm her denn gewaltige Memme,

Damit ich den Nacken, damit ich das Haupt

Dir zwiſchen den Beinen zerklemme.“

Da reckt ſich der Held und es flattert das Fell,

Und in eherner Fauſt ſchier blitzet

Die Keule: ſie ſauſt auf das feindliche Haupt:

Und das Hirn an den Bäumen verſpritzet . . . . .

Es kehrt der Held zu dem Weibe zurück

Mit dem blutigen Haupt in den Händen

Und wirft es der Königin jäh in den Schooß —

Kein Wörtchen die Lippen verſchwenden.

Voll Schaudern und Ahnung blickt ihm das Weib

In’s Antlitz, das ernſte, das hohe,

Es däucht ſie, als ob es ſein lockiges Haupt

Umſpiele wie flammende Lohe.

Sie ſenkt erzitternd zur Erde den Blick,

Verwirrt, wie ein Täubchen verſchüchtert . . . .

„O Weib, dein Becher der Luſt iſt geleert,

Blut, Blut hat den Helden ernüchtert!

[41]Oscar Linke.
„Mein Dienſt iſt beendet, verflogen der Rauſch,

Leb’ wohl!“ — Und der Sohn der Alkmene,

Er wendet den Rücken, verläßt das Gemach

Und nicht mehr ſieht er die Thräne.

Die Thräne der Liebe, des Stolzes, der Wuth

Im Auge der furchtbar Schönen …

„Verlaſſen von ihm!“ — An den Wänden des Saal’s

Die Klagen des Weibes vertönen.

„Verlaſſen von ihm“! — „Und ich wußt’ es voraus,

Doch ſagt er nicht ſelber, die Schönen

Sind ſtark und gewaltig, doch ſtärker noch ſei

Und gewalt’ger das träge Gewöhnen?“ —

Fern wandelt der Held und es iſt ihm, was war,

Wie Nacht und wie Nebel verſunken;

Er wandelt dahin, wie ein Lichtgott hin,

Vom Lichte, dem göttlichen trunken.

Ixion.


Originalbeitrag.


Audiatur et altera pars.


Ha, brauſe nur, rauſche nur, rollendes Rad, unermüdlich

Sich ſchwingend in feuriger Gluth, wohl tanzt vor den Augen

Hinfließend in Nichts, in verwirrendes Flimmern, mir Alles,

Wohl ſitzt kein Fleck mir an dem zermarterten Leibe,

Der wund nicht wäre, zerfleiſcht und blutig geriſſen:

Und ha, und dennoch, Götter im roſigen Lichte,

Die nieder mich warfen, hinab in’s Dunkel des Hades,

Auf’s Rad mir flochten, unſterbliche Qualen zu leiden,

Die Glieder, den eurigen gleich ſo göttlich erblühend,

Eins könnt ihr nimmer zerreißen in mir und ertödten:

Hier unter den Augen und unter der Stirne den Funken,

Der ewig erweckt unſägliche Wonnenerinn’rung

[42]Oscar Linke.
Im Herzen zutiefſt, daß ſchwelgend es ruht

Auf roſigem Pfühl, daß heller noch ſtrahlt

Das trotzige Aug’, und laut es erklingt,

Stolz leuchtenden Blick’s:

Ich habe das Höchſte beſeſſen!

Horch, ſchwirr’n nicht über die Todesgefilde, die bleichen,

Gleich Fliegengeſumme die luftigen Schatten der Seelen,

Wie ängſtliches Kindergeflüſter in dunkelnder Stille?

Schwebt weiter ihr Schatten von Schatten, mit grauſenerfülltem

Abſcheu euch wendend hinweg von dem rieſigen Frevler,

Dem Frevler — ſo ſagen ſie wohl hier drunten und droben,

Dem Undankbaren, dem Gaſt und der Himmliſchen Liebling,

Der ſchnöde begehrte die Gattin des Höchſten, des Zeus ſelbſt,

Wildwüthigen Raſens, die Augen, die Seele geblendet,

Dem göttlich gelaunt zum Weib die Olympiſchen gaben

Ein Roſengewölk in flammender Gluth zu umfangen,

Eh’ nach ihm folgte die [dunkelbeflügelte] Rache!

So tönet es hier, ſo tönet es dort:

Und du, mein Herz? du lächelſt dazu!

O rollendes Rad, noch brauſender klingt’s,

Wild rauſchender noch:

Ich habe das Höchſte beſeſſen!

Aufglänzt das große, das leuchtende Auge der Hera

Von Neuem in mir, vor mir; beim Mahle der Götter

Gewahr’ ich mich ſelber, gelagert im hohen Olympos;

Stumm ſeh’ ich die edle Geſtalt, von heimlichem Grame

Gequält; ich denke wie ſie an den frevelnden Leichtſinn

Des lüſternen Gatten, und Mitleid, heiliges Mitleid

Empfind’ ich zu ihr, dem Weib in der herrlichen Göttin,

Und was mich noch herrlicher däucht, theilnehmende Liebe.

Da trifft mein Auge das ihre, und nimmer verbirgt mir

Das Auge die glühende Sprache des Herzens, es reden

Die Winke der Augen, es reden die zitternden Hände;

Bis ſchwebte von dannen die glänzende, hohe Erſcheinung.

Still folgt’ ich, und ob auch die Himmliſchen rings

Auflachten, zumal Aphrodite, mich trieb’s

Mit Sturmesgewalt der Vorſchwebenden nach —

Luſttrunkenes Herz,

Ich habe das Höchſte beſeſſen!

[43]Oscar Linke.
Von roſigen Wolken beglänzt auf ſchweigender Berghöh’,

Wo Blumen ſüß erblühten in prangenden Farben und Düften,

Da trat mir entgegen in ſchneeweiß leuchtender Friſche

Die Hohe, die Große mit luſtvoll ſchmachtenden Augen.

Nicht zähmt’ ich mir länger das Herz in der Bruſt, und gewaltig

Umſchloß ich beſtürmend in glühendem Sehnen die Holde,

Die Liebe gewährte verzückt voll ſtummen Gehorſams,

Das eigene Herz von Eros ſelber bezwungen.

Ich war zum Gott, zum höchſten der Götter geworden.

O Glück, für welches ſo ärmlich die Sprache der Menſchen,

Das nimmer des Zeitſtroms ſchäumender Wirbel hinabreißt,

Dich hatt’ ich und hielt ich! Und dann, als wieder erwachte

Das trunkene Aug’, wo erwacht’ es ſodann?

Auf ſtygiſcher Flur in dem rollenden Rad!

Laut ſchrie ich zuerſt, von unendlicher Qual

Zerriſſen das Herz —

Ich hatte das Höchſte beſeſſen!

Ihr Unbarmherzigen droben im roſigen Lichte,

Verewigen könnt ihr die Schmerzen des Erdegebor’nen,

Indeſſen verewigt ihr ſie, ſo lindert die Zeit ſie.

Stumpf, ſtumpf iſt der Stachel geworden, und immer im Herzen

Erblüht ſo geſund noch und blühend ein ſelig Erinnern.

Und wär’s ein Roſengewölk, luſtathmend, geweſen,

Das ich umfing in geblendeter Herzensberauſchung —

Nein! Nimmer bekehren ſie mich, und häuften ſie grauſam

Erfinderiſch über mich kaum zu erdenkende Strafen!

Ha, nimmer bekehren ſie mich, nicht Menſchen noch Götter,

Ihr thörichtes Mährchen zu glauben in kindlicher Einfalt!

Ich täuſche mich nicht: Kein Traum mein kühnſter Gedanke!

O rauſche du nur, wild brauſendes Rad!

Verwirreſt doch nicht mein geiſtiges Aug’!

Und berſtete rings umkrachend die Welt,

Aufjauchzt’ ich auch dann:

Ich habe das Höchſte beſeſſen!

[44]Oscar Linke.

Kaiſer Nero.


Originalbeitrag.


Sahſt du das prachtvoll düſtere Nerobild,

Das Meiſter Kaulbach’s flüchtige Hand entwarf?

Sein Zauberreiz bleibt unauslöſchlich

Winkend mir tief in das Herz gegraben.

Hoch oben ſteht machtſtrahlend der Caeſar da

Im läſſig weichumhüllenden Prunkgewand,

Indeſſen hält die ausgeklung’ne

Leier ein knieender, ſchöner Knabe.

Hoch als Apollon ragt er, im Lorbeer ſtolz;

Von links drängt an vollbuſiger Weiber Schaar,

Mänadiſch ſchön, mit liebestrunk’nen

Augen, in üppiger Leibesnacktheit.

Links aber nah’n mit grinſenden Sclavenblick

Sich Männer, feig und ſeelenverderbt, ob nun

Die weite Toga, ob der Panzer

Schmücke die immer noch ſtolzen Glieder.

So ſchlängeln glückwunſchbringend ſie ſich zum Herrn,

Der eben ausſang — Aber betrachte jetzt

Den Kaiſer ſelbſt: Was ſieht ſein Auge?

Welche Tragödie ſich zu Füßen?

Ein Chriſtenhäuflein! Petrus am Marterpfahl!

Den nackten Säugling hier und die Mutter dort!

Jünglinge, trotzig ſchön in Demuth,

Hoffend wie Paulus und ſchweigſam duldend …

O ſchnöder Zeitgeiſt, welcher gefangen hält

In dumpfem Bann ach alle Gemüther — ha,

Wie Kaiſer Nero möcht’ ich heute

Sitzen und richten vom goldenen Thronſtuhl.

[45]Oscar Linke.
Sie alle rief’ ich, riefe bei Namen ſie,

Die frecher Selbſtſucht fröhnen, und die ſogar

Der blinden Armuth dünnen Mantel

Nächtens zu rauben ſich nicht entblöden.

Viel and’re, mehr noch! Donnernd, ein Nero-Zeus,

Würf’ ich des Urtheils zürnenden Racheblitz —

Und als Apollon-Nero ſäng’ ich

Einen gewaltigen Schickſalshymnus.

Ha, wär’ ich Nero . . . . Träumergemüth, und dann?

Sanft, blumenfromm blüht immer ein deutſches Herz:

In Wort und Bild nur läßt es kühn die

Rachegedanken des Zorns verbrauſen.

[[46]]

Julius Hart.


Gewitter.
1876.


Aus „Sanſara“. Ein Gedichtbuch Bremen 1878.


Den ganzen Abend hat es ſchon gegrollt

Und bang geflüſtert in dem dunklen Laube,

Am Landweg kam in Wind der Staub gerollt,

Die Wolke flog gehüllt in dunkle Haube,

Scheu hat der Vogel ſich ins Neſt geduckt,

Der Haſe barg ſich in dem Laub voll Schrecken,

Als fern im Oſt der erſte Blitz gezuckt,

Der erſte Regen rauſchte durch die Hecken.

Nun iſt’s herauf, hinſauſt die tolle Jagd

Des Sturmes durch den Schloßhof, in dem Weiher

Wühlt dumpf die Flut, wie dunkle Winternacht

Hängt über Thurm und Dach der Wolkenſchleier,

Die Wipfel ſauſen und das Schilfrohr pfeift —

Ein toller Junker, geht’s durch Teich und Binſen,

Hei, wie der Nebeldunſt vorüber ſchleift,

Ein Höllenzug mit Winſeln und mit Grinſen.

Hahi und Huſſa, wie das jagt und tollt.

Der Blitz fällt zuckend hin, auf erz’nem Wagen

Kommt krachend hinterher der Donner angerollt,

Vom Wolkenmantel dicht den Leib umſchlagen.

Ein Feuerſtrahl fährt praſſelnd aus dem Wald,

Und jach zum Himmel blitzen Flammenfluthen,

Drein jagt der Sturm, daß Hang und Heide hallt,

Und peitſcht die Lüfte mit rothglüh’nden Ruthen.

[47]Julius Hart.
O, könnt’ ich doch auf dieſer Wolken Nacht

In Feuerlettern meine Dichtung ſchreiben,

Die Dichtung, höll- und himmelheiß entfacht,

Und mit dem Sturm durch alle Lande treiben.

Dann ſollte, wie bei wirbelndem Trommelklang,

Die Menſchheit aus dem trägen Träumen ſchrecken,

Schlafmordend ſollte mein Geſang

Zu heil’gem Kampf die Müden wecken.

Aus Zeitſchriften, Sammelwerken u. ſ. w.:


Die heilige Eliſabeth.
1879.


O du Nacht, der Seele finſtere Nacht,

Du endlos tiefe Schmerzensnacht,

Hier lieg ich, blutig den Leib benetzt,

Den die Geißel in rothe Wunden zerfetzt.

O du Nacht, der Seele finſtere Nacht,

Wie flieh’ ich vor dir, qualvolle Nacht?

Wo bliebſt du, mein ſonnenleuchtender Tag,

Mit Roſenblüthen und Droſſelſchlag?

Maria, du Königin — ſüßes Licht,

Ich ſchaue und höre — ich finde dich nicht!

Wie hab’ ich ſonſt deine Hände geküßt,

Deine Lippen geſtreift in ſel’gem Gelüſt.

Wie hab’ ich die Welt inbrünſtig gehegt,

Wie die Sonne in Liebe die Blumen pflegt,

Die Peſt lag ſterbend in meinem Schooß,

Ich küßte die Kranken vom Tode los.

Des Armen Kind lag an meiner Bruſt,

Und trank die ſüße heimliche Luſt,

Des Juden verachtete Tochter umſchlang

Mein Arm, und ich küßte ſie heiß und lang.

[48]Julius Hart.
Zu meinen Füßen die Sünderin

Lag weinend und warf ihre Schätze hin —

So ſchlecht war Niemand, verworfen nicht,

In tiefer Nacht ſah ich himmliſches Licht.

Und durch die Wetter ſah ich es glüh’n,

Rings ſah ich die Himmel leuchtend erblüh’n,

Und betend lag ich in göttlicher Ruh’

Und ſtammelte ſelig: „Die Liebe biſt du“!

O du Nacht, der Seele finſtere Nacht,

Du endlos tiefe Schmerzensnacht, —

Konrad von Marburg, dein finſt’res Wort

Scheuchte die Himmel, die Liebe mir fort.

Bedeckt den Leib mit blutigem Thau,

Das Haupt beſtreut mit der Aſche Grau,

Lieg’ ich und weiß ich von Liebe nichts,

Ich weiß, nur den Tag des jüngſten Gerichts.

Ich weiß, die Sünde ſchläft und ſchlief

Im blauen Kinderauge tief;

Wo die Krankheit den Leib mit Narben ſchlug,

Ich weiß, es iſt der Sünde Fluch.

Ich weiß, die Sünde faßte uns an,

Wo der goldne Wein im Becher rann,

Der Hölle Nebel die Sinne umfloß,

Wo der Mann das Weib in Liebe umſchloß.

Ich weiß nur, wie elend das Daſein iſt,

Das Glück, die Luſt eine hölliſche Liſt,

Ach, Sünde iſt ein holdes Geſicht,

Der Lerchen Sang und der Sonnen Licht.

Durch die Nacht, durch die Nacht ich höre den Tritt,

Wie die Nacht ſo finſter des Finſteren Schritt, — —

O Geißel — o Buße — o Höllenglut!

Sühnt auch dieſe Gedanken mein tropfendes Blut?

[49]Julius Hart.

Abſchied.
1880.


Süße und geliebte Dame,

Meiner Seele ſchöne Fürſtin, —

Stets geprieſen ſei dein Name! —

Wundenkrank und blaß vom Grame

Biet’ ich dir den letzten Gruß.

Bei der Lampe fahlem Scheine,

In dem düſtren Wirthshaus träum’ ich

Einſam nun und ganz alleine

Hinter ſchwerem Spanierweine,

Trinke ſeinen heißen Duft.

Ha … wie ſtrömt’s da auf mich nieder,

Schwinden nicht die dunklen Bogen?

Jasminduft … weiß blüht der Flieder,

Sommernacht umfängt mich wieder,

Silbern blitzt die feuchte Luft.

Mondlicht … Blüthenduft … und drüben

Schlag der Nachtigall im Laubwerk …

Sanfte Citherklänge hüben,

Und aus meiner Seele trüben

Kammern wichen Leid und Angſt.

Ei, was war mir alles Haſſen,

Dachte nur an Deine Schönheit,

Als Du hinſchrittſt durch die Gaſſen

Einſtmals, ſtand ich ganz verlaſſen

An der Kirche dunklem Thor.

Stand und ſah dich! — Wie durchfloſſen

Plötzlich Licht und Gluth mein Daſein,

Sonnen mir im Herzen ſproſſen,

Welten ſah ich aufgeſchloſſen,

Und ich fühlte Gottes Kuß.

4
[50]Julius Hart.
Wie die Nacht dem goldnen Tage,

Liebestrunken folg’ ich zitternd

Dir ſeitdem, daß ich dir ſage,

Was ich leide und ertrage,

Daß mein Ich in Dir erſtarb.

Nun, da nächt’ge Zauber fluthen

Durch die Lüfte, auf den Erdball,

Heißer alle Sinne bluten,

Heißer alle Herzen gluthen,

Wandle ich vor deiner Thür.

Röthlich glänzt der ſüße Flimmer

Lichts in deinem hohen Saale, —

O Madonna, ſoll ich nimmer

Deines Kleides ſeidnen Schimmer

Heut’ am Fenſter noch erſpäh’n?

Einmal nur auf dem Balkone

Zeige dich, mein Seelentraumbild,

Wie die Mutter mit dem Sohne

Hoch auf güldnem Himmelsthrone

Zwingſt du mich, im Staub zu knien …

Sommernächte, — trunkne Stunden,

Da ich ſo vor ihrem Fenſter,

Blutend aus vielſüßen Wunden,

Lauten und mit leiſen Munden

Sang, ein blaſſer Troubadour.

Da ich ſpähend alle Wege

Niederſah, ob nicht ein Burſche

Girrend käm’ mir ins Gehege, —

Hei, wie hätten meine Schläge

Liebeswunden ihm verſetzt.

Da mit Veilchen und mit Roſen

Ich des Nachts ihr Fenſter kränzte,

Und mit kecken Studioſen

Ständchen brachte und in loſen

Reimen meine Liebe ſang.

[51]Julius Hart.
Bis ihr Fenſter leiſe klirrte,

Leiſe … leiſe aufgeſchloſſen,

Eine dunkle Roſe ſchwirrte . . . .

Trug war’s nicht, der mich verwirrte! …

Gerade mir zu Füßen fiel.

Herrin, tauſend herrl’che Tage

Diente ich in deiner Liebe,

Nun wie eine ſchöne Sage,

Reich an Jubel und an Klage,

Tönt Erinnrung in mein Ohr.

Weiße Stirn und blanke Brüſte, —

Flammenaugen — Feuerlocken —

Rothe Lippen, vielgeküßte —

Zeit der Wonnen, Zeit der Lüſte,

Dein gedenk’ ich, Jugendtraum!

Liebestraum, du Roſengarten —

Sternenlicht — weinvolle Schale —

Kranz der Höll’ und Himmelsfahrten,

Unter deinen Goldſtandarten

Zogen mir drei Jahre hin.

Hab’ von weichem Arm umſchlungen

Dich gekoſtet bis zum Grunde …

Hab’ gejauchzt und hab’ geſungen,

Hab’ gelitten und gerungen

Als ein treuer Troubadour.

Müde, ſtumm und ganz verlaſſen

Lieg’ ich nun bei fahlem Lichte, …

Draußen tönt es durch die naſſen

Regenüberſtrömten Gaſſen

Wie ein fernes Liebeslied.

Haſt mein Herze ſchnöd verrathen,

Trinkſt die Lieb’ aus andrem Kelche, — —

Hagelwetter meiner Saaten,

Ich verachte deine Thaten,

Neuer Lenz glüht mir im Blut.

4*
[52]Julius Hart.
Greife nach dem Helm, dem blanken,

Nach dem Schwert und hartem Schilde, —

Auf dem Schlachtfeld der Gedanken

Reit’ ich trotzig in die Schranken,

Todesdurſtig — liebesbleich!

Menſchheit, du unwandelbare

Schönſte, ewigjunge Blüthe,

Dunkles Räthſel — einzigwahre

Gottheit Du! — welch’ wunderklare,

Liebe füllt für dich mein Herz.

Laß der Bruſt mein Blut entwallen,

Laß für dich mich jubelnd ſterben,

Ja, für deine Götterhallen

Will ich kämpfen, will ich fallen

Allgeliebt-Allliebende!

Doch im letzten Todesbeben,

Wenn ſich neigt die blaſſe Stirne,

Wird mich noch ein Duft von Reben

Und von Roſen lind umweben,

Meiner Jugend Liebestraum!

In der Oſternacht.
1881.


Süß duftet und leiſe athmet

Draußen die Oſternacht,

Ruhig träumen die Gaſſen,

Vom blauen Monde bewacht.

Die dürren Zweige der Linde

Wiegen und ſchwanken im Wind,

Und durch die ſchauernden Lüfte

Das Blut des Frühlings rinnt.

[53]Julius Hart.
Die Glocken tönen und läuten

Leiſe ins ſtille Gemach,

Sie läuten und rufen den Frühling

Im klopfenden Buſen wach.

Und von den Blättern der Bibel

Hebe ich träumend mein Haupt, —

Und ſchaue des Heilands Augen,

Den längſt ich geſtorben geglaubt.

Ich ſehe die rothen Wunden

Und den bleichen, friedlichen Mund,

Und um die Schläfe geflochten

Der Dornen blutigen Bund.

Ich trinke von ſeinen Augen

Der Thränen ſchmerzliche Glut, …

Und fühle, wie ſanft ſeine Rechte

Auf meinem Haupte ruht . . . . .

Unnahbar unendliche Gottheit,

Sind’s wilde Schmerzen allein,

Die von dir reden und zeugen

Und deinem göttlichen Sein?

Sind’s nur die Schauer des Todes,

Aus denen dein Mund uns ſpricht,

Und ſtrahlt nicht auch leuchtend im Frühling

Dein himmliſches Angeſicht?

Die Glocken tönen und läuten,

Es webt und quillt in der Luft,

Rings flüſtert ein ſüßer Zauber,

Und ſtrömt ein Roſenduft.

Durch meine Seele ergießt ſich’s

Wie lodernder Roſenſchein . . . .

Du ſüße, du ſchöne, du hohe

Geliebte, da dachte ich dein!

[54]Julius Hart.

Champagnertropfen.
1881.


Frühlingsnächtige Stunden …

Mächtig ſchwillt die Luft,

Rings quillt aus kühlem Garten

Der Erde ſüßer Duft.

In aufgebrochenen Schollen

Geſtaltet ſich’s bunt und reich,

Durch’s offene Fenſter rankt ſich

Keimendes Rebengezweig.

Ueber die Borde drängt ſich

Das Waſſer jach enteiſt,

Und aus dem Walde quillt es

Wie Maienglockengeiſt.

Schwarz über uns flattern die Wolken

Wie Banner in heißer Schlacht,

Als jagten flüchtige Reiter

Wund durch die dunkle Nacht.

Die Lüfte brauſen und mächtig

Sauſen ſie hinterdrein,

So ſtürmen ſiegjubelnde Reiter

In fluchtzerriſſene Reih’n.

Frühlingsnächtiges Drängen!

Küſſe mich, Sturmesmund …

Küſſe die lodernde Stirne

Und küſſe mich geſund!

Sieh’, ziſchend ſtürzt der Champagner

Mir in das blanke Glas …

Dir bring’ ich mit jubelndem Munde

Das ſprühende blitzende Naß.

[55]Julius Hart.
Nicht in der ſtaubigen Flaſche

Vermodern mag ſolch ein Wein, …

In die Adern des Frühlings verlodern,

In die Stürme will er hinein.

Leuchtend in den Lüften

Zerſprüht die gold’ne Fluth …

Nun miſche dich, Sonnenfeuer,

Mit des Frühlings Roſenblut.

Sei köſtlicher Samen dem Boden,

Daß, wo ein Tropfen fließt,

Bald duftend und flammenlockig

Eine Roſe leuchtend entſprießt …

Ein üppiger Blüthenſchleier

Hinflute über das Land,

Wie ein von Gott gewobnes

Strahlendes Gewand.

Und wenn ſich zwei begegnen

In ſolchem Blumenhain,

Dann ziehe klingend die Liebe

In ihre Herzen hinein.

Auf der Fahrt nach Berlin.
1882.


Von Weſten kam ich, — ſchwerer Haideduft

Umfloß mich noch, vor meinen Augen hoben

Sich weiße Birken in die klare Luft,

Von lauten Schwärmen Krähenvolks umſtoben,

Weit, weit die Haide, Hügel gelben Sand’s,

Und binſenüberwachſ’ne Waſſerkolke,

Fern zieht ein Schäfer in des Sonnenbrand’s

Braunglühendem Reich verträumt mit ſeinem Volke.

[56]Julius Hart.
Von Weſten kam ich und mein Geiſt umſpann

Weichmüthig raſch entſchwund’ne Jugendtage,

War’s eine Thräne, die vom Aug’ mir rann,

Klang’s von dem Mund wie ſehnſuchtsbange Klage? …

Von Weſten kam ich und mein Geiſt entflog

Voran und weit in dunkle Zukunftſtunden …

Wohl hob er mächtig ſich, ſein Flug war hoch,

Und Schlachten ſah er, Drang und blut’ge Wunden.

Vorbei die Spiele, durch den Nebelſchwall

Des grauenden Septembermorgens jagen

Des Zuges Räder, und vom dumpfen Schall

Stöhnt, dröhnt und ſauſt’s im engen Eiſenwagen …

Zerzauſte Wolken, winddurchwühlter Wald

Und braune Felſen ſchießen wirr vorüber,

Dort graut die Havel, und das Waſſer ſchwallt,

Die Brücke, hei! dumpf brauſt der Zug hinüber.

Die Fenſter auf! Dort drüben liegt Berlin!

Dampf wallt empor und Qualm, in ſchwarzen Schleiern

Hängt tief und ſteif die Wolke drüber hin,

Die bleiche Luft drückt ſchwer und liegt wie bleiern …

Ein Flammenheerd darunter — ein Vulkan,

Von Millionen Feuerbränden lodernd, …

Ein Paradies, ein ſüßes Kanaan, —

Ein Höllenreich und Schatten bleich vermodernd.

Hindonnernd rollt der Zug! Es ſauſt die Luft,

Ein anderer raſt dumpfraſſelnd riſch vorüber,

Fabriken rauchgeſchwärzt, im Waſſerduft

Glänzt Flamm’ um Flamme, düſter, trüb’ und trüber,

Engbrüſt’ge Häuſer, Fenſter ſchmal und klein,

Bald brauſt es dumpf durch dunkle Brückenbogen,

Bald blitzt es unter uns wie grauer Waſſerſchein,

Und unter Kähnen wandeln müd’ die Wogen.

Vorbei, vorüber! und ein geller Pfiff!

Weiß fliegt der Dampf, … ein Knirſchen an den Schienen!

Die Bremſe ſtöhnt laut unter ſtarkem Griff …

Langſamer nun! Es glänzt in Aller Mienen!

[57]Julius Hart.
Glashallen über uns, rings Menſchenwirr’n, …

Halt! Und „Berlin!“ Hinaus aus engem Wagen!

„Berlin!“ „Berlin!“ Nun hoch die junge Stirn,

Ins wilde Leben laß dich mächtig tragen!

Berlin! Berlin! Die Menge drängt und wallt,

Wirſt du verſinken hier in dunklen Maſſen …

Und über dich hinſchreitend ſtumm und kalt,

Wird Niemand deine ſchwache Hand erfaſſen?

Du ſuchſt — du ſuchſt die Welt in dieſer Flut,

Suchſt glühende Roſen, grüne Lorbeerkronen, …

Schau dort hinaus! … Die Luft durchquillt’s wie Blut,

Es brennt die Schlacht und Niemand wird dich ſchonen.

Schau dort hinaus! Es flammt die Luft und glüht,

Horch Geigenton zu Tanz und üpp’gem Reigen!

Schau dort hinaus, der fahle Nebel ſprüht,

Aus dem Gerippe nackt herniederſteigen …

Zuſammen liegt hier Tod und Lebensluſt,

Und Licht und Nebel in den langen Gaſſen — — —

Nun zeuch hinab, ſo ſtolz und ſelbſtbewußt,

Welch’ Spur willſt du in dieſen Fluten laſſen?

Am Morgen.
1884.


Originalbeitrag.


Fahler Morgenglanz,

Graues Dämmerlicht,

Und im Spiegel dort

Starrt mein Angeſicht.

Von dem letzten Kuß

Bebt mein Mund noch bang,

Horch, noch tönt ſein Schritt

Dumpf hinab den Gang.

[58]Julius Hart.
Auf der Treppe knirſcht

Leiſe noch ſein Fuß,

Schwer die Thüre fällt

Wie ein Todesgruß.

Wie ein Todesgruß!

Und der Traum zerrinnt …

In die heiße Nacht

Stöhnt der Morgenwind.

Eben noch ſo reich

An verliebter Gluth,

Jetzt ſo arm und leer,

Und verſtört mein Muth.

Thränennaß mein Blick,

Und mein Kopf ſo ſchwer, —

Alles gab ich hin,

Und ich hab’ nichts mehr.

Und beſäß ich’s noch,

Wieder gäb’ ich’s dir,

Träf dein Liebeskuß

Mund und Seele mir.

Dennoch weiß ich’s wohl,

Aus den Nebeln dort

Webt in meinen Tag

Tod und Schmach ſich fort.

Finſter ſtarrt mich an

Ein Meduſenhaupt,

Meine Zukunft du,

Schlangenwirrumlaubt.

Zu ſo wenig Luſt,

So viel Leid erkorn —

Mutter, Fluch auf dich,

Daß du mich geborn!

[59]Julius Hart.
Fluch auf dich, du Welt,

Die ſo raſch verdammt,

Was durch die Natur

Ringsum gluthend flammt.

Liebe, du allein

Rette du dein Kind,

Streif mit deinem Mund

Meine Lippen lind.

Laß mich einmal ruhen

Noch in deinem Schooß,

Komme in mein Herz

Leuchtend, ſchön und groß.

Komme wie du willſt,

Wie das Morgenroth,

Komm’ in Nacht und Sturm

Gleich dem Würger-Tod.

Bleicht im Morgenglanz,

Rothe Roſen ihr, —

Liebe, bett’ ein Grab

Unter Roſen mir!

Dunkle Stunden.


Originalbeitrag.


Novemberwind! Novemberwind! Der Himmel ſo grau und die Wälder

entlaubt,

Und die Luft ſo kalt, die Luft ſo ſchaurig! Stumm lag an meiner

Bruſt dein Haupt.

Dein Haupt, du, deren Namen nie mein Lied, mein Mund niemals bekennt,

Obwohl mein Herz doch alle Zeit für dich in Feuern der Liebe brennt.

Dein Antlitz blaß wie das fahle Licht, wie der ſcheidenden Sonne kalter Strahl,

Und ich hörte des Herzens dumpfen Schlag, wie Grabeslaut voll banger Qual.

[60]Julius Hart.
Und immer und immer bei Nacht und Tag, und immer und immer in

Luſt und in Schmerz

Tönt in mein Ohr deiner Stimme Klang und greift mit Dornen in mein Herz:

„O wende von mir dein Auge ab und küſſe mich nicht mit dieſer Gluth,

Du weißt ja nicht, wie bitterweh mir all’ deine heiße Liebe thut.

„Schauſt du mich an, erſchauert mir das Herz vor Angſt und dunklem Weh,

Und meine arme Seele zittert, wenn ich in deine Augen ſeh’.

„Nein, geh’ hinfort, und wende nicht dein Angeſicht zu mir zurück,

Ich hab’ auf all’ und ewige Zeit verloren die Liebe, verloren mein Glück.

„Wohl fühl’ ich hier, wenn’s mich bedrängt, und lieg’ ich ohne Schlaf

und Ruh’,

Daß ich ohne dich vergehen muß, denn all’ meine Liebe — das biſt du!

„Meine Arme möcht’ ich ſchlingen wohl und halten dich und küſſen dich,

Doch längſt vergang’ne Tage drängen ſich dunkel zwiſchen dich und mich!

„Vor meiner Seele ſteigt es auf — verfloſſen iſt ſchon Jahr um Jahr,

Doch hebt ſich’s auf vor meinem Geiſte ſo ſchaurig und ſo düſter klar.

„Meine erſte ſüße Jugendzeit, licht wie der Frühling im Blüthenſchein,

Und mein erſter, mein erſter Liebestraum hüllte mit Zaubern die Seele

mir ein.

„O frage mich nicht, wie’s einſt geſchah, — o wende dich ab, ſieh mich

nicht an,

Ich kann nicht ſchauen, wie du weinſt, du herzgeliebter theurer Mann.

„Wie die Nacht einſt kam von Roſenduft berauſcht und trunken von

Mondesglanz,

Und die Nachtigallen ſchluchzten ſüß, und die Elfen wiegten ſich im Tanz.

„Die Winde wallten die Straße hinab und fernher zitternd die Geige klang,

Und die Waſſer rauſchten träumend hinab den ſchattendüſt’ren Waldesgang.

„Da lag ſein Haupt an meiner Bruſt, und wildes Sehnen in mir ſchwoll,

Und er küßte mich … und er küßte mich … und mein Herz ward

weit und mein Herz ward voll.

[61]Julius Hart.
„Und vor mir ſank die Welt dahin … Es ſchwanden in Nebel Zeit und Raum

Und über mich kam’s wie ſüßer Schlaf, wie ein todesſchwerer bittrer Traum.

„Doch als der Morgen in Oſten ſich hob, — o wie grau und ſchwer

und wie kalt der Tag,

Und er nahm mein Glück und ließ mir nichts zurück als Schande und

bitt’re Schmach.

„Nein, fluch’ ihm nicht! Schwer fiel die Hand des Himmels auf ſein

ſchönes Haupt,

Seines Herzens Glocke hat ausgetönt, und ſein Gebein iſt längſt verſtaubt.

„Der Wahnſinn fiel in ſein Gehirn mit heißer und verſengender Gluth,

Gras wuchert an dem ſtillen Ort, wo meine erſte Liebe ruht.

„Doch ich! Doch ich! nein, wende nicht dein Antlitz einmal noch zurück,

Ich hab’ auf all’ und ewige Zeit verloren die Liebe, verloren mein Glück!

„Du biſt meine Sonne, du biſt mein Tag und meiner Zukunft ſüßer Schein,

Doch geh’ hinfort, du darfſt nicht länger bei mir Unſelig-Armen ſein.

„Mir bleibt nur Buße und bitt’re Qual, meine Tage ſinken in Dunkel

und Graus,

Leb’ wohl! Leb’ wohl! Und mein Gebet führ’ dich aus Nacht und

Schmerzen hinaus!“

O wie ſchwer und bang’ ward mir das Herz, und wie bitterweh thut

doch dein Wort,

All’ Sonnenlicht und Sonnenglanz zieht trüb’ aus meiner Seele fort.

Was ich gehofft und heiß erſehnt, liegt wie ein wüſtes Trümmerfeld,

Der Tod ſchleicht durch die wundenkranke, falſche, ſündenverfallene Welt.

Von Seufzern ſchüttert deine Bruſt, als wollte ſie zerſpringen dir,

O wie arm und elend, mein Liebling du, wie elend ſind nun Beide wir.

Es kommen die Nebel, die Waſſer ziehn, und Finſterniſſe dräuen mit Macht,

Licht! Licht! O ſäh ich nur ein Licht in dieſer todesdüſt’ren Nacht!

[62]Julius Hart.
Was ſoll ich thun, was ſoll ich thun? Du führe mich ſicher, ewiger Geiſt,

Führ’ meine Seele, die durch alle Himmel und Zeiten und Räume kreiſt.

Trage auf Adlers Flügeln mich gewaltig zu den Sternen hinauf,

Auseinander wehen die Wolken, golden thut der Himmel ſich auf.

In die bebende Seele fällt mild eine Thräne aus Gottes Aug’,

Um die glühende Stirn weht’s leiſe wie ein Frühlingsroſenhauch.

Nun hebe die Augen, mein Liebling du, die voll von bitt’ren Thränen ſteh’n,

Ich fühl’s, ich fühl’s im tiefſten Buſen, nun darf ich nimmer von dir geh’n.

Siehe, die Welt ſteht wider uns auf mit Hohn und Lachen und kaltem Spott,

Trock’ne die Thränen vom Auge dir ab, mit uns iſt die Liebe, mit uns iſt Gott.

In Feuern lodert die Seele auf, auf flammendem Wagen fährt ſie empor

Weit über der Erde düſternde Nacht, und durch der Wolken ſchattendes Thor.

Hoch über des Tempels Zinnen ſchwebt ſie ſtark auf mächtigem Flügelpaar,

Von den Schwingen tropft die Sonne, flammenregnend, leuchtend

und klar.

Tief liegt die Welt von Schatten bedeckt, und Thränen und Schmerzen

umhüllen ſie dicht,

Und ein Schrei voll wilder Qual aus tauſend blaſſen Munden ſchrecklich bricht.

Elend und ſchwach und krank und ſiech, wie Waſſer ſtürzend von Fall zu Fall,

So ſinken die Menſchen fahl dahin — die Sünde jubelt überall.

Und was aus Staub geboren iſt, und was gezeugt vom Weibe lebt,

Wer iſt ſo rein, daß wider dich den erſten Stein er zornig hebt.

Doch ſieh im Oſten glüht es auf, und Palmen wehen im Sonnelicht,

Heilige Lüfte wandeln und fließen um dein blaßes Angeſicht.

Blüthen flattern und ſchweben im Winde und der ſonnengeküßte Quell

Gießt durch duftende Roſenbüſche ſeine Waſſer wolkenhell.

Ueber die Blumen, über die Palmen fliegen Engelſchaaren empor,

Und es jubelt mit hellem Munde durch die Lüfte ihr heiliger Chor:

[63]Julius Hart.
„Laſſ’ die Thränen und deine Schmerzen ausgieß’ in der Liebe mit-

leidigen Schooß,

Die Liebe allein knüpft deine Seele aus den Banden der Sünde los.

Aus Nebeln und dunkler Finſterniß und durch der Qualen blutige Nacht,

Die Liebe führt dich auf Adlerſchwingen, führt dich zum Lichte leiſe und ſacht.

Sanftſegnend über die kranke Welt ausſtrömt der Liebe goldener Schein —

Nur aus der Liebe fließt Gnade und Leben! Und die Liebe iſt Gott allein!“

Drum ſchlage die Augen empor, mein Liebling, die voll von bitt’ren

Thränen ſteh’n,

Ich fühl’s, ich fühl’s im tiefſten Buſen: Nun darf ich nimmer von dir geh’n!

Siehe, die Welt ſteht wider uns auf mit Hohn und Lachen und kaltem Spott,

Trock’ne die Thränen vom Auge dir ab, mit uns iſt die Liebe, mit uns iſt Gott.

Zu Gott!
1884.


Originalbeitrag.


Wie über ſturmgejagten,

Nachtwirren Waſſern

Einſam der Mond wandelt,

Durch Wolken verdeckt,

So über den Welten

Schreitet Gott dahin.

Unſer Auge ſchaut dich nicht,

Denn blind von den Lüſten

Des ſtaubgeborenen

Sündigen Leibes

Hängt es am Boden.

Ueber uns wallt, dicht wie Bergnebel,

Nur Dampf und Rauch,

Aufqualmend vom Blute,

Das die Sünde vergoſſen,

[64]Julius Hart.
Wallt zwiſchen dir und uns,

Daß höhniſche Lippen murren:

Es iſt kein Gott!

Denn alle Liebe, die du erſchauſt

Unter den Menſchenkindern,

Iſt Gemeinheit, Ekel,

Des Weibes, des Mannes Gluth

Verlöſchen im Schlamm der Lüſte,

Und keine Freude iſt,

Die nicht in Thränen geboren,

In Thränen erſtirbt.

Ich aber erkannte dich

In dunkler Thränennacht,

Als Sehnſucht in mir ſchwoll,

Und mild wie ein Thautropfen

In dürres Laub,

Fiel in meine Seele

Dein Erkennen.

Ich bin entbrannt in Liebe zu dir,

Ich lodre wie die Sonne,

Ich glühe wie ein Schwert

In ſauſenden Feuern.

Empor, empor durch den Dampf,

Der Lüfte finſtern Graus!

Flügel! Flügel!

Der du dein ſchönes heiliges Antlitz

Verbirgſt uns ſchmerzbeladenen,

Mühſal-Leidenden

Unſeligen Menſchen,

Willſt Du in Qualen uns laſſen,

Ewig verſchließen für uns dein Herz,

Nur allein trinken

Vom Borne deiner Liebe,

Wie eine kalte ſchöne Geliebte

Dich berauſchen an dir ſelber?

[65]Julius Hart.
Aber ich will dringen zu dir,

Ueber die Welten hinaus,

Und an den morgigen Thoren,

Wo der Leib zerfällt

In mürben Staub,

Soll meine Seele umfluthet

Von ſtrahlenden Aetherfeuern

Mit dir ringen, Hüft’ an Hüfte,

Aug’ in Auge gluthend,

Nicht laſſen von dir,

Bis du mich geſegnet!

Daß ich niederſteige

Ein beſſerer Prometheus,

In beiden Händen

Schwertragend eine feuerglühende

Dampfende Opferſchale,

Gefüllt mit den kryſtallreinen

Leuchtenden Wellen deiner Liebe.

Daß ich ſie ausgieße

Ueber die dürſtende Erde,

Ueber die armen und elenden

Leiderfüllten Menſchen,

Daß aufgehe aus dem feurigen Samen

Der Gottesliebe

Goldſtrahlend, ſonnenumgluthet

Der Baum ewiger Freude.

Niederzwingen will ich dich, Gott,

Kämpfen um deine Liebe,

Oder in mein Hirn

Falle mit freſſendem Roſte

Der Wahnſinn,

Wie ein Blitzſtrahl ausbrennend,

Feuer gegen Feuer,

Die Gluth der Gedanken.

5
[66]Julius Hart.

Der Seele Tod.
1884.


Originalbeitrag.


Es geht ein ſeltſam Weben und Athmen durch die Nacht,

Seufzer der Sehnſucht beben in deinem Ohre ſacht.

Die Winde gleiten kühler hinab den dunklen Weg,

Und leiſe Stimmen flüſtern am blühenden Geheg.

Und in den fernen Wolken im Oſten blitzt es auf,

Und von der Erde hebt ſich ein ſanfter Glanz hinauf.

Es quillt wie Licht und Leben aus dunklem Schooß hervor,

Es ringen ſich Geſtalten aus Nacht und Tod empor.

Die Welt ſchaut ihrem Morgen entgegen ſehnſuchtsvoll,

Wie einſt der erſten Liebe dein Herz entgegenſchwoll.

So dürſtet unſ’re Seele heiß nach des Lebens Gluth,

Emporzutauchen aus der ſchwarzen Todesfluth.

Und immer wieder ringt ſich ein Tag aus jeder Nacht,

Du, Seele, biſt aus jedem Tod noch auferwacht.

Du wandelſt ewig weiter durch Nacht und Tageslicht,

Und Welt auf Welt erhebt ſich und Welt auf Welt zerbricht.

Auf Sonnenſchwingen hebt ſich empor mein Herz und Sinn,

Auf Gottesflügeln ſchweb’ ich empor — wohin? wohin?

In meinen Augen fluthet ein morgenheller Schein,

In meine Seele gluthet das Gottesaug’ hinein.

O Glanz, o furchtbar Leuchten, das meinen Geiſt umwallt,

Du hundertfältig’ Leben, dein letzter Schrei verhallt.

O ſüßes Wunderweben, was meinen Geiſt umwirbt,

Zu End’ iſt die Verwandlung, wer Gott geſchaut der ſtirbt!

[67]Julius Hart.

Hört ihr es nicht? …
1884.


Originalbeitrag.


Hört ihr es nicht? In meinem Ohre bang

Ewig tönt herber dumpfer Trommelklang.

In heller Lenznacht in der Nachtigall

Verträumtes Lied rauſcht ſchwerer Waffenſchall.

Der Sommer glüht in dunkler Roſen Duft —

Wie Roſſeſtampfen ſchallt es durch die Luft.

Und wenn der Wein im grünen Glaſe quillt, —

Hörſt nicht das Schlachtwort, das ſo blutig ſchrillt?

O Winternacht! Der Sturmwind heulend fährt,

Die ſtarrenden Wege leer ſein Odem kehrt.

Vergebens glüht am Feuerheerd der Roſt,

Stärker als Feuer brennt der kalte Froſt.

An Haus und Wand und an des Weg’s Geleiſ’

Fliegt Schnee und knarrt das demantharte Eis.

O Winternacht! Durch Eis und fliegenden Schnee

Lauter als Sturmgeiſt, ſchreit ein wildes Weh.

Wie an dem Strand die wüſte Woge hallt,

Die Nacht hindurch Geſchrei und Schlachtruf ſchallt.

In dunklen Schaaren drängt es finſter an,

Mit Beil und Hammer wogt es dumpf heran.

Zerlumpte Haufen, wie vom Sturm verwirrt,

Das Eiſen dröhnt, das blanke Meſſer klirrt.

Das Angeſicht, blaß wie ein Wintertag,

Sagt, wie das Elend gar ſo freſſen mag.

Das Auge tief, die Wange hohl und ſchmal,

Auf Stirn’ und Wang’ der Krankheit brand’ges Mal.

5*
[68]Julius Hart.
Das Haar gelöſt auf braunen Nacken hängt,

Den nackten, ſchweren Fuß kein Schuh umzwängt.

Das Banner dräut, wie Herzblut dunkelroth,

Und dort die Fahn’, ſchwarz wie der Würger Tod.

Parol’ die Frag: Was für ein ſeltſam Weſen?

Antwort: Vom Elend wollen wir geneſen.

Es drängt heran, es wogt die dunkle Fluth

Und in den Lüften ſchwimmt’s wie ſchwarzes Blut.

Auf, auf die Herzen, die am Thron ihr ſitzt,

Von Gold und heißem Demantglanz umblitzt!

Auf, auf die Herzen, die beim duft’gen Mahl

Ihr ſchwingt den ſilberſtrahlenden Weinpokal.

Seht ihr es nicht, das Zeichen, das ſich hebt?

Ein eherner Kelch vor euren Augen ſchwebt!

Ein eherner Kelch mit Thränen angefüllt,

In Dornen und in Stacheln eingehüllt.

Hört aus der Tiefe ſchmerzenbanges Schrein —

Auf, auf die Herzen, laßt die Liebe ein!

Reißt ab das rothe Gold vom Sammtgewand,

Den Demantſchmuck, das ſchimmernde Perlenband.

Wir wandeln in der Lebenswüſte Noth,

Des Golds bedarf es nicht, o gebt nur Brod!

Auf, auf die Herzen, Thrän’ um Thräne quillt

Dort in der Tiefe, und von Seufzern ſchwillt

Die bange Bruſt, das Aug’ verderblich blitzt —

Auf, auf ihr Herzen, die am Thron ihr ſitzt!

Hört ihr es nicht? In meinem Ohre bang

Ewig tönt herber dumpfer Trommelklang . . . . .

[69]Julius Hart.

Anna.


Originalbeitrag.


Die Droſſel ruft vom Lindenbaum, die Sonne ſteigt herauf mit Luſt,

Laß einmal noch mein blaſſes Haupt ſich lehnen müd’ an deine Bruſt.

Noch einmal laß mich deine Hand inbrünſtig küſſen heiß und ſchwer, —

Nicht deinen Mund — nicht deinen Mund! ich ließe dich ſonſt nimmermehr.

Maimorgenwind lacht heimlich leiſ’ und raunt im grünenden Spalier,

Doch wenn der Abend niederfällt, dann biſt du, Heinrich, nicht mehr hier!

Nein, nein, dein Mund und Auge lügt: Es weiß dein Herz ſo gut wie ich,

Und wenn Du einſt auch heimwärts kehrſt, nie wieder ſchaut mein Auge dich.

Sonſt logſt du nie, ich weiß es wohl, ſprachſt niemals von dem gold’nen Ring,

Du, Heinrich, biſt ſo klug und ich ein arm unwiſſend häßlich Ding.

Ich wußt’ es wohl, ich würde nie dir dienen treu und ſtill als Frau, —

Denn deine Hand iſt weich und zart, und meine ganz von Arbeit rauh.

Ich weiß es wohl, wie du dich ſtolz verzehrſt nach Ruhm und Sonnenſchein, —

Und in der Reichen helles Schloß, ich Arme, darf nicht mit hinein.

Ich wußt’ es wohl, ich wußt’ es wohl vom erſten Anfang an, daß du —

Mein Unglück, Schmach und ew’gen Tod, — ach alles fügteſt du mir zu!

Ich wußt’ es wohl, daß ſo es kam, Elend und Schande über mich,

Und dennoch, dennoch kam’s, denn ach! ich liebte gar zu innig dich!

Die Droſſel ruft vom Lindenbaum, die Sonne kommt herauf mit Luſt,

Laß einmal noch mein blaſſes Haupt ſich lehnen müd’ an deine Bruſt.

Weh, meinen Buſen preßt und ſprengt’s, ein Feuer lodert ſchwül und heiß,

Und unter meinem Herzen quillt und regt es ſich und athmet leiſ’.

Und fällt hernieder jene Nacht, und lieg’ ich blaß und leidenswund,

Dann Heinrich biſt du fern und küß’ſt — ach, küß’ſt wohl einen ſchön’ren Mund.

[70]Julius Hart.
Und dennoch iſt’s von deinem Fleiſch und dennoch lebt’s von deinem Blut,

Und dennoch ſieht’s dein Auge nie, das treu und zärtlich auf ihm ruht.

Nur Thränen fühlt es, fallend ſchwer, Glühtropfen, auf ſein Angeſicht,

Nur Seufzer hört’s und leiſen Schlag des Herzens, das im Tode bricht.

Und eh’s gebor’n, ertönt ihm ſchon des Vaters und der Mutter Fluch;

Wär’ſt du doch todt, mein Kind, mein Kind, und lägſt du ſtumm im

Leichentuch! . . . .

Wir waren lang zuſammen nun, Heinrich! ich glaub, ’s iſt ſchon ein Jahr

Da küßteſt du zum erſten Mal verſtohlen mein lichtblondes Haar.

Nun lacht heimlich Maimorgenwind und raunt im grünenden Spalier,

Und wenn der Abend niederfällt, dann biſt du, Heinrich nicht mehr hier.

Und biſt du fern, ich will ja nicht, daß Thränen du um mich vergieß’ſt,

Doch denk daran, wie heiß um dich aus meinem Aug’ die Thräne fließt …

O denk’ zuweilen, wie mich Noth und Unglück packt ſo rauh und hart,

Vergiß es nicht, daß ich aus Liebe zu dir ſo ſehr unglücklich ward!

Und führſt du einſt ein Fräulein dir zur Hochzeit und zur Kirch’ hinab,

Zum letzten Male denke dann, wie der Wind geht über ein fernes Grab.

Doch ſage nie, küßt du voll Gluth den Mund und ihrer Augen Schein,

Sag’ nicht, daß du von mir gegangen, weil ich ſo ſchlecht und ſo gemein.

Und ſpotte du am Schenktiſch nie, wie man am Schenktiſch ſonſt wohl thut

Der armen Dirne aus dem Volk, die dich ſo liebte, dir ſo gut.

Denn thäteſt du’s, denn thäteſt du’s, dann wollt ich ſprengen wohl mein Grab,

Und ſchmetterte Krankheit und Wahnſinn auf dein verfluchtes Haupt herab …

Dann würf ich Blut und Flammengluth wohl auf das Liebſte, was du haſt,

Dann ſend’ ich in das Herz und Hirn die ganze Hölle dir zu Gaſt …

O Süßer, Liebſter zürne du, o zürn’ nicht über ſolch ein Wort, —

Die Sonne ſteigt, die Stunde naht, und du gehſt ewig von mir fort.

[71]Julius Hart.
Und was ich wollte, Lieber du? Ich wollte nur, ſei nicht betrübt,

Du haſt nicht Schuld, ich ſegne dich, ich hab’ dich ja ſo ſehr geliebt!

Ich ſegne dich für jedes Wort, für jeden Kuß von deinem Mund,

Und treff’ dich nie ſo harter Schmerz und furche deine Seele wund!

Die Sonne ſteigt, die Sonne glüht … ſtill, armes Herz, die Glocke ſchlägt,

Der Wagen rollt, der Wagen rollt, der dich auf ewig von mir trägt.

Noch einmal laſſ’ mich deine Hand inbrünſtig küſſen heiß und ſchwer,

Nicht deinen Mund! Nicht deinen Mund! Ich ließe ſonſt dich nimmermehr.

Nachtwache.
1884.


Originalbeitrag.


Um Haupt und Leib mir wallen

Dunkle Nebel der Nacht,

Auf Herz und Sinne fallen

Finſterniſſe mit Macht.

Die düſt’ren Wolken ſchreiten

Drohend über das Land,

Schatten vorübergleiten

Und faſſen mein Gewand.

Sie faſſen an meine Seele

Und greifen in mein Hirn,

O löſche in Nacht und Schwele —

Verlöſche nicht mein Geſtirn.

O waſche mit Feuerwellen

Von meinem Buſen die Schuld,

Ström’ über mich den hellen

Glanz deiner Gnade und Huld.

Ich bin eine zitternde Leuchte,

Ich bin ein ſchwaches Rohr —

Du, ſchau meiner Augen Feuchte,

Gnade führ’ mich empor!

[72]Julius Hart.

In der Einſamkeit.
1884.


Originalbeitrag.


Fernab fällt wie fortwandelnder Stürme Sauſen

Hin verworrener Lärm der Rieſenweltſtadt,

Und in’s Ohr nur tönt mir ſelten

Noch ein Ruf und müdes Kinderlallen.

Lockte der erſte Maienſonntag

Bunte jubelnde Menſchenfluthen

Fort und weg zu goldigſpiegelnden Waſſern,

In das weißlichſchillernde Frühlingsgrün;

Walten alle, jauchzenden Herzens,

Wie zum Gnadenbilde der Himmelsfürſtin

Singende Mönche mit ſeidenen Bannern wallen.

Doch mich warf die glänzende Fluth zur Seite,

Da in Schmerzen erſchauerte meine Seele,

Und ich wandte, Dunkel im Herzen,

Wandte die Schritte denn ein jedes

Liebeathmende Frauenantlitz

Mahnte mich an deine Schönheit,

Deine trunkenen Küſſe und die Lüge

Deines Herzens.

Nimm mich auf, nimm mich auf,

Einſamkeit in deinen Dom,

Laß eintreten mich, Friedſuchenden,

Und vor deinem Altar in Opferſchalen

Ausgießen mein Blut und meine Thränen.

An deinen Buſen nimm mein Haupt!

Ueber mir nur Sternflammen

Und wehende Wolken . . . . . .

Hier verſink’ ich im weiten Raum,

Wandle wie Ihr leuchtende Himmelsſeelen

Allein — allein in endloſen Weiten.

[73]Julius Hart.
Einſamkeit, wie bebte ich einſt vor dir,

Schrak vor dir, wie die erſte Blüthe

Schrickt im Garten vor nachziehenden Winterfröſten.

Schauernd vor dir barg ich mein Haupt

An der Frauen weißem Buſen,

Suchte dich heilige Liebe,

Helles, kühles Morgenwaſſer du,

Daß ich in dir baden wollte

Und geſunden zu ewiger hoher Wunderfreude!

Liebe! Roſige Briefchen ihr,

Beſchmutzt mit Lügen und falſchen Schwüren,

In’s Feuer, in’s Feuer!

Vorüber wallen an mir Geſtalten — —

Hinunter, hinunter ihr Gleißenden,

Nicht lockt ihr mich wieder!

Und auch du!

Waffengenoſſe, mit dem ich ſtets zuſammenſtand,

Umqualmt vom Rauch der Schlacht,

Du, mein Schild, Du, mein Streitbeil —

Ein Mantel deckte uns, ein Becher labte uns —

Wir beide, Zweige am ſelben Baum,

Brüder wir, —

Nach anderem ſchöneren Sterne

Ausbreiteſt du die opfernden Hände,

Und von mir fliehen deine Augen.

Allein, allein!

Feinde ringsum!

Dicht wie wetterſchwarze Wolken

Drängen ſie gegen mich heran,

Hier im Buſen, draußen im lärmenden Weltſtrom,

Umlagern mein Zelt wie Raubthiere.

Tauſend Pfeile ſind gerichtet gegen mein Herz,

Tauſend Schwerter flammen wider mich;

Wenn der Morgen mit blaſſem Munde mich küßt,

Setzt ſich fahle Noth zu mir,

[74]Julius Hart.
Und wenn der Abendnebel fällt,

Ruht mein Haupt im Schoße des Leides,

Aus wirren Träumen banger Erinnerung,

Weckt mich der Schmerz zur Nachtzeit.

Nun wardſt du zur Freundin mir, Einſamkeit,

Zur hohen ſchönen Geliebten,

Dir tönt mein Lied, athmend

Die Schauer der Zukunft.

Deine Hand liegt auf meinem Herzen,

Deine Küſſe fallen auf mein Haupt,

Meine Seele zittert in deinen Armen.

Du Gebärerin großer Gedanken,

Du Erzeugerin weltſtürmender Thaten,

Du gieß’ſt in unſeren Buſen den Schmerz,

Der wegfegt wie Lenzſturm

Herb’, groß, rauhathmend

Die welken Blätter von den Straßen,

Den Staub des Alltags.

Des Herzens Acker zerreißt du in wilde Furchen,

Daß tauſendfach munter hervorſchießt

Der gold’ne Weizen kühnen Wollens.

Du ſingſt uns vor mit düſt’rer Stimme

Das uralte, herbe Lied vom Menſchenſchickſal:

In die Welt nackt geſtoßen

Einſam ſteh’n wir auf öder Wacht,

Jeder Feind dem anderen,

Allein Kämpfer, allein Sieger!

Eigne Kraft nur iſt unſer Schwert,

Allein nur fällſt du, und kein Lebendiger

Tauſcht je die goldige Fülle ſeines Tages

Voll erhabenen Mitleids

Mit den Schatten deiner Todesnacht.

Einſamkeit!

In deinem Schooße lag Homers ehrwürdiges Haupt,

Und deine Hand ruhte auf Caeſars Scheitel,

[75]Julius Hart.
Mit glühendem Auge und brennendem Herzen

In der Wüſte ſuchte dich der Welterlöſer,

Und weggeſcheucht vom rothfunkelndem Wein

Brach vor dir ſtammelnd in’s Knie

Der gewaltige brittiſche Herzenserſchütt’rer.

Gieße du Feuer in meine Seele,

Und Froſt in mein Gehirn,

Bade mich im Drachenblute,

Und unverwundbar durch dich

Heb’ ich mich auf vom Lager

Und trage meine Waffen jauchzend der Welt entgegen.

Eine ganze Welt in Waffen,

Eine Welt in Waffen wider mich,

Wider mich allein.

Fliege empor mein Geiſt,

Deine ſtrahlenden Flügeln hebe zum Himmel auf,

Und einen Strahl der Sonne bringe mir nieder,

Einen Stern nur von deinem Himmel

Erflehe ich, dunkle Zukunft!

Fliege empor, mein Geiſt,

Deine mächtigen Augen wirf in der Zukunft Nacht!

Wirbelt auf dunkler Staub,

Drängen an tauſend bitt’re Lanzen,

Bohren ſich tauſend Pfeile in meine Bruſt,

Und ſchmerzzitternd ſtürzt mein Leib

Nieder auf blutigen Grund.

Nichts als Leiden gewinn ich,

Nichts als jammervollen Tod,

Und vielleicht noch einen Schimmer der Morgenröthe,

Einen einzigen Zweig blühenden Lorbeers.

[[76]]

Fritz Lemmermayer.


Lebensergebniß.


Originalbeitrag.


In angſtvollen Nächten,

Frierend und ſchaudernd,

In Tagen, kalt und troſtlos,

Iſt ſie mir kund geworden,

Die ſchreckliche Wahrheit;

Hab’ ich es kennen,

Doch leider zu faſſen nicht

Gelernt,

Das unerbittliche

Geſetz; ohn’ Erbarmen

Ward er mir verkündet

Mit ehernen Zungen,

Unter Sturm und Klage,

Der eiſige Spruch der Parze:

Du mußt, o Menſch!

Begraben dein Liebſtes,

Oder du mußt,

Du banger Geſelle,

Von deinem Liebſten

Begraben dich laſſen! —

Von beiden welches

Dünkt dir das Härt’re? —

Sinne und grüble

In Tagen und Nächten

Der Frage nach,

Und ſchaudre und lerne

Faſſen und tragen

Die ſchreckliche Wahrheit!

[77]Fritz Lemmermayer.

Loos.


Originalbeitrag.


Ich hab’ geglüht in meinen Jugendtagen,

Die ganze Welt, ich wähnte, ſie ſei mein;

Da ſiecht’ ich hin: ach tauſendfält’ge Plagen,

Sie warfen hämiſch auf mich Stein um Stein.

Ich blutete aus tauſend tiefen Wunden,

Mein Herz ſchrie auf: ich litt, litt ohne Schuld;

Und nie mehr hab’ Geneſung ich gefunden,

Ich hab’ verzichtet auf des Himmels Huld.

Gelernt hab’ ich’s in vielen böſen Jahren:

Entbehren heißt der Parze ſtrenger Spruch;

Im Himmel auch, dem kalten, götterbaren,

Ich fürder mir kein Vateraug’ mehr ſuch’!

Die graue Schweſter hat in nächt’gem Flüſtern

Mir’s zugeraunt mit zähneloſem Mund,

Und unterm Brauſen hundertjähr’ger Rüſtern

Ward, ſchaudernd, mir ein tief Geheimniß kund.

Seitdem muß ſchreiten ich erſtarrt durch’s Leben,

Und doch — o Widerſpruch! — gefühllos nicht —

Ich fürcht’ und ſuche nichts und muß doch beben,

Sobald Nachtdunkel durch die Wolken bricht.

Wem ward zur Nacht das herbſte Leid gegeben,

Der lernt entſagen jedem Menſchenwahn,

Doch ſieht Erinnerung vorbei er ſchweben,

Flucht er der Stunde, die’s ihm angethan.

[78]Fritz Lemmermayer.

Menſchenopfer.


Originalbeitrag.


Man ſagt, die Jugend ſelbſt ſei Glück.

Ich hab’ es nicht erfahren.

Mir waren niemals hold geſinnt

Die dachniſtenden Laren.

Mir fehlte, was die Jugend braucht,

Des Frohſinns Wohlbehagen;

Des Kummers bleiche Wange ſchon

Als Kind ich mußte tragen.

Die Rebe, die kein Stäblein hat,

Muß bald zu Grunde gehen;

Ich war die Rebe, ward zerwühlt

In wilden Sturmes Wehen.

Nach dir, nach dir, mein Jeſu Chriſt,

Ich jugendlich mich ſehnte;

Das grauſe Schickſal mich und dich

Frevelnd und frech verhöhnte.

Der Pöbelhaß, der Pöbelwahn

Hat dich an’s Kreuz geſchlagen;

Das Schickſal thut das Gleiche noch

Mit uns an allen Tagen.

Das alte blut’ge Opfer du

Unblutig haſt erneuert:

Das Schickſal opfert blutig fort —

Kein Gott, kein Gott ihm ſteuert!

Es ſchichtet Stein an Stein empor

Mit rieſenkräft’gen Armen;

Ich lieg, ein Menſch, auf dem Altar —

Es gibt, gibt kein Erbarmen.

Es rieſelt heiß mein Blut herab

Vom kalten Opferſteine,

Bis daß der letzte Tropfen ſtockt

Im frierenden Gebeine.

[79]Fritz Lemmermayer.

Entſchluß.


Originalbeitrag.


Nach einem ſtillen Kloſter will ich wandern,

Will flieh’n den Menſchenlärm und Pulverdampf;

Verwundet ward mein Herz, mich ſchmerzt das Schrein,

Ich tauge nicht zu wüth’gem, irrem Kampf.

Ich hab’ nicht Schwert, nicht Säbel und Piſtole,

Ich gehe ohne Waffen durch die Welt

Hier ſteh’ ich ſtille, auf mir ſelber ruhend,

Und Niemand hat zum Schutz ſich mir geſellt.

In mir auch ſprühte auf Prometheusfunke,

Erringen wollt’ ich Euch das Ideal —

Und an den Felſen ward auch ich geſchmiedet,

Die Kraft zerbarſt, zurück blieb nur die Qual!

Seit ich ihn nutzlos weiß, mir graut’s vorm Kriege;

Könnt’ ich ihn ſtreiten noch, ich wollte nicht:

Schafft er auch Recht — das Unrecht lauert, tilgt es;

Der Peſthauch Wunſch löſcht aus des Friedens Licht.

Ich ſtreite nicht, muß wandern ohne Waffen —

Wohin? — Ich kenn’ kein Ziel. Doch was ich ſuch’,

Ein Kloſter iſt’s. Da harre ich und leſe

Herzſtill, was mir das Schickſal ſchreibt in’s Buch.

Wolkenbild.


Deutſches Dichterbuch aus Oeſterreich.


Düſtergraue

Wolken ragen

Trotzig auf,

Felſen gleich.

Naht mit Brauſen

Sturmesſauſen

Fährt in’s Wolkengebirg.

Und die Berge zerbrechen,

Und die Felſen zerſchellen —

Sah’s und dacht’ des

Menſchenlooſes.

[[80]]

Friedrich Adler.


Am Morgen.


Originalbeitrag.


Trüb der Morgen und kalt.

Ueber die Wieſen ſchweifen

Feuchte Nebelſtreifen;

Auf den Bergen ringsum

Liegen Wolken geballt,

Grau und ſtumm.

Mühſam

Gegen die dunklen Schatten,

Halb wagend,

Halb zagend,

Sendet Sonne den matten,

Bebenden Strahl.

Nieder in’s Thal

Röthlich bricht

Hier und dort unſicheres Licht …

Kämpfen muß die herrlichſte Gluth,

Die hehrſte Feindin irdiſcher Fehle:

Muth, Muth,

Arme ringende Menſchenſeele!

[81]Friedrich Adler.

Mein Nachbar.


Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes.


An jedem Abend, wenn die ſpäte Stunde

Die müden Glieder in den Schlummer lockt,

Und ich im Vorgefühl der ſüßen Ruhe

Das Buch geſättigt aus den Händen lege,

Fängt über mir ein ſtörendes Concert an.

Es gleiten Finger über das Piano

Und ſonder Zweifel ungeſchickte Finger.

Bald hör ich eine Scala, wie ein Schüler

Beim Unterrichte ſie nicht ſchlechter ſpielt,

Bald eine Melodie aus irgend einer

Uralten Oper oder Operette —

Das alles unterbrochen oft durch Pauſen,

Die nicht im Notenblatte ſtehen mögen,

Durch falſche Griffe, die in wilder Haſt

Sofort noch einmal falſch gegriffen werden:

Kurz, ich bin ſelbſt nicht ſonderlich empfindlich

In Rückſicht auf das Muſikaliſche,

Doch denkt die Zeit, die Ruhebedürftigkeit

Und nehm’t dazu den ſeltſamen Genuß,

Und dann vergebt mir nicht, wenn ich am Ende

Voll Aerger nach dem Concertirer forſche,

Die unbequemen Klänge abzuthun.

Und was vernahm ich? Ein bejahrter Mann,

Ein dürftiger, iſt mein Pianoſpieler,

Den ganzen Tag geht er dem Handwerk nach,

Und Abends, wenn die Kinder eingeſchlafen,

Für die er all’ die ſchweren Sorgen trägt,

Uebt er Piano.

Lacht mich aus darum.

Mir traten ein paar Thränen in die Augen;

Mitfühlend las ich in des Mannes Herz.

6
[82]Friedrich Adler.
Er kann nicht ſpielen und er wird’s nicht können,

Zu ſteif iſt ſeine Hand, ſein Ohr zu ſtumpf,

Ihr kennt das Sprüchlein wohl von Hans und Hänschen,

Und dennoch läßt er’s nicht. Ihm iſt dies Spiel

Die einzige Sproſſe, die aus Noth und Kummer

Des öden Lebens ihn nach oben leitet,

Die einzige. Und die barmherzige Kunſt,

Sie aller Segenſpender edelſte,

Stößt ihn auch ohne Troſt nicht aus dem Tempel,

Der gläubig drin der Seele Heilung ſucht.

Aus falſchen Griffen, aus verfehlten Takten

Gießt ſie dem Lechzenden Befriedigung

In die geängſtigte, gequälte Bruſt …

Spiel immer zu, du armer, alter Mann!

Du ſtörſt nicht, nein. Melodiſch klingt um mich

Die edle Weihe eines Menſchenherzens.

Pythagoras.


Deutſches Dichterbuch aus Oeſterreich.


Gebreitet liegt auf Berg und Auen

Das ſchattende Gewand der Nacht,

Auf alle Augen niederthauen

Des Traumes Bilder, ſüß und ſacht;

Nur mich allein will’s nicht umſchlingen,

Dies ſelige Sinken in das Nichts:

Ich will erkennen, will erringen,

Erringen einen Strahl des Lichts.

Durchforſcht umſonſt hab’ ich die Rollen,

Die uns der Väter Weisheit ſchrieb,

Umſonſt geſucht im Lieben, Grollen

Des Menſchenherzens tiefſten Trieb,

Umſonſt Natur und ihrem Sproſſen

Bin ich gefolgt mit Stab und Maß, —

Die Thür zum Räthſel blieb verſchloſſen,

Und wirre Schrift war, was ich las.

[83]Friedrich Adler.
Und was ich jung mit kecken Sinnen,

Mit meinem Herzen, ſtolz und heiß,

Im Fluge dachte zu gewinnen,

Ich fand’s nicht und mein Haar iſt weiß,

Nicht lang’ mehr wird der Faden währen,

Den haſtig mir die Moira webt, —

Nun lauſch’ ich ängſtlich nach den Sphären,

Doch ach, kein Ton, der niederſchwebt.

Und doch, es muß! Ich darf nicht irren!

Dies Treiben, dieſes Lebens Schwall,

Der wilde Streit, die böſen Wirren,

Des Scheines Truggeſpenſter all’,

Dies tolle Lachen, bitt’re Weinen,

Dies Glück, das falſch die Looſe theilt:

Es muß zu einem Klang ſich einen

Dort oben, wo mein Sehnen weilt.

Zu einem Klange, voll und prächtig,

Der hell den Himmelsraum durchdringt,

Und alles Ungefüge mächtig

In ſeinen hohen Zauber zwingt,

Zu einem Klang, der Alles kündet,

Was hier der müde Geiſt verlor,

D’rin Rauh und Lieblich ſich verbündet,

Zu füllen das entzückte Ohr.

Dort oben! Seit mir die Gedanken

Zum erſten Mal im Hirn gereift,

Ließ ich hinan die Hoffnung ranken

Zum Sternenchor, der oben ſchweift;

Von oben ſollt’ es niedertönen,

Mein unbefriedigt Herz durchglüh’n,

Und mir im Strahl des ewig Schönen

Der Erde Leben neu erblüh’n.

Was ich geliebt, ich hab’s vergeſſen,

Was ich begehrt, ich ließ es lang’,

Nur Sehnſucht füllt mich unermeſſen

Nach dieſem einen hohen Klang,

6*
[84]Friedrich Adler.
Vorüber laſſ’ ich alles rauſchen,

Ein Wunſch allein, der in mir wohnt —

O, einmal hören, einmal lauſchen,

Und all mein Streben wär’ gelohnt!

Umſonſt, umſonſt. Die Sphären ſchweigen,

Mein Aug’ wird matt, mein Ohr wird ſtumpf,

Fremd ſchau’ ich auf der Erde Reigen,

Der ſinnlos mich umdrängt und dumpf.

Wie leer die Stunden hin ſich dehnen!

Du böſe, Moira, meine Laſt;

Von meinem Denken, meinem Sehnen

Gieb in der Urne ſüße Raſt!

Lied der Klotho.


Originalbeitrag.


Rinne, Faden, rinne,

Aus der ernſten Hand,

Statt der Ruh’ gewinne,

Sturm und Unbeſtand.

Luſt ſoll dich umſchweifen,

Eh’ du lernſt verſteh’n,

Kannſt du ſie begreifen,

Soll ſie ſchnell verweh’n.

Was du nie erlangeſt,

Sei dir heiß begehrt,

Was du reich empfangeſt,

Sei dir ohne Werth.

Was am ſchnellſten ſchwindet,

Sei dein höchſtes Glück,

Was dein Herz verbindet,

Flieh’ vor dir zurück.

[85]Friedrich Adler.
Unaufhörlich ringen

Soll des Hirnes Haſt,

Nichts die Hand vollbringen,

Wie’s die Bruſt erfaßt.

Fremd und irrend ſchwebe

Durch das klare Sein,

Leeren Träumen lebe,

Selbſtgebautem Schein.

Wandle durch den Reigen,

Der ſich gierig drängt,

Bis dich einſt in Schweigen

Atropos empfängt. —

Rinne, Faden, rinne

Aus der ernſten Hand,

Statt der Ruh’ gewinne,

Sturm und Unbeſtand.

Das leſende Kind.


Originalbeitrag.


Auf den Schooß das Buch gebreitet,

Scheinſt du nichts um dich zu miſſen,

Starrſt hinein, indeß befliſſen

Ueber’s Blatt der Finger gleitet.

In das Meer der Zeichen leitet

Dich kein Können noch und Wiſſen,

Unbeſchränkt, in ſchwanken Riſſen

Sich dein junges Sinnen weitet.

Süßes Dämmern! Traumumwoben

Schläft das Denken noch im Neſte,

Nur das Fühlen ſchwebt nach oben.

[86]Friedrich Adler.
Ach, des Lebens trübe Reſte

Bleiben, wenn der Flor gehoben —

Das Geheimniß iſt das Beſte.

Frühlingsgebet.


Deutſches Dichterbuch aus Oeſterreich.


Wieder wallen die ſüßen Lüfte

Und den farbigen Brautkranz

Flicht die Erde, die ewig junge

Wieder in’s perlenglitzernde Haar;

Aufleuchtend erglüht

Zu neuer Freude das Auge,

Das zum Staube ſich trüb’ geſenkt;

Hoffend wendet das Herz ſich

Der Zukunft zu,

Die ſich golden aufthut,

Und auf die Lippen drängt,

Innig geflüſtert

Sich das tiefſte Gebet der Seele.

Selten in mein Herz

Iſt der fröhliche Lenz gekehrt,

Und meine Blüthen

Haſt du mit Schauer umweht und Froſt,

Finſter waltendes Schickſal:

Haſt mich früh hinausgedrängt,

Mit dem Leben zu kämpfen,

Und ſtrenge Nothwendigkeit

Verſcheuchte die ſüßen Bilder,

Welche die Dichtung ſpinnt,

Die ſorgenloſe, die ewig

Heitere Göttin.

Gabſt du den Kampf, ich habe gekämpft!

Wirſt du die Sonne mir verhüllen,

Im Dunkel werd’ ich ſuchen den Weg —

Eins nur begehre ich.

[87]Friedrich Adler.
Laß mir die Seele frei von Bitterniß,

Daß mir immer traut und verſtändlich

Die Sprache ſei,

Die der Mai ſpricht,

Daß keine Roſe vergebens

Den köſtlichen Hauch mir entgegenwehe,

Kein Lied,

Das freier Kehle wirbelnd entſteigt,

Ungehört an das Ohr mir ſchlage …

Laß mir die Seele frei von Neid,

Laß mich glücklichere Lippen

Schlürfen ſeh’n der Freude Labetrunk

Und dann ruhig zurückkehren

Unter die Laſt der Arbeit,

In den eiſernen Dienſt der Pflicht.

Ade!


Originalbeitrag.


Ade! Du ſchreiteſt zum Altare,

Zu ſchließen froh das frohe Band,

Und ich, vertraut dir manche Jahre,

Seh’ ſtumm ſich fügen Hand in Hand

Aus meinen Lippen weicht das Blut,

Im Herzen zuckt empor das Weh, —

Sei ſtill da drin … Es iſt ſo gut —

Ade!

Es iſt ſo gut. Ob auch mein Streben

Sich nur um deinen Beifall hob,

Ob, was die Muſe eingegeben,

Für dein Ohr ich zu Liedern wob.

Das Leben braucht der feſten Hand,

Der Weg, den ich, der Träumer geh’,

Trägt Unkraut nur und Flittertand, —

Ade!

[88]Friedrich Adler.
Umdunkelt iſt mein Weg. Doch deinen

Umfließe hell der Sonne Licht:

Und keine Stunde ſoll erſcheinen,

Da dir das Wort, die Hoffnung bricht.

Die Eintracht kröne deinen Bund,

Und ich, der ſtill im Schatten ſteh’,

Ich ſeg’ne dich mit zitterndem Mund …

Ade!

Nach dem Strike.


Originalbeitrag.


Wir ſchweigen ſchon. Ihr habt gewonnen,

Ihr Männer vom Geſetz und Recht,

Und ſicher ſeid ihr eingeſponnen

In eurer Ordnung eng’ Geflecht.

Wir ſchweigen ſchon. Stolz durft ihr zeigen,

Wie ihr gebeugt, was euch bedroht:

Wir ſchweigen ſchon und werden ſchweigen,

Allein wir hungern, ſchafft uns Brod!

Ihr ſagt, uns eine keckes Wagen,

Zu ſtürzen eures Staates Bau —

O glaubt, in uns das grimme Nagen

Umgrenzt das Denken ſehr genau;

Wir achten ſtill, was feſt und eigen,

Und unſ’re Fahne iſt nicht roth:

Wir ſchweigen ſchon und werden ſchweigen,

Allein wir hungern, ſchafft uns Brod!

Im tiefen Schacht, von Luft und Lichte,

Von jedem frohen Blick entfernt,

Gefahr, wohin der Fuß ſich richte —

Wir haben tragen es gelernt.

Wir wiſſen uns dem Loos zu neigen,

Wir geh’n für’s Leben in den Tod:

Wir ſchweigen ſchon und werden ſchweigen,

Allein wir hungern, ſchafft uns Brod!

[89]Friedrich Adler.
Vernehmt uns! Euer Ohr verwehre

Nicht mehr den Eingang unſ’rem Flehn!

Und helft, daß von des Mangels Schwere

Nicht Weib und Kinder uns vergeh’n!

Und laßt es nicht zum Höchſten ſteigen,

Bedenket, Eiſen bricht die Noth —

Wir ſchweigen ſchon und werden ſchweigen,

Allein wir hungern, ſchafft uns Brod!

Blüthenregen.


Deutſches Dichterbuch aus Oeſterreich.


Welch frohes Wallen!

Welch bunter Gruß!

Die Blüthen fallen

Vor deinen Fuß.

Doch was dies Blinken,

Haſt du’s bedacht?

Ein ſeufzend Sinken

In Todesnacht.

Den Deutſchen in Oeſterreich.


Originalbeitrag.


Laßt laut die Töne klingen,

Wie mächtig dröhnend Erz,

Aufſchreckend ſollen ſie dringen

In jedes ſchwanke Herz;

Dem Schwerte gleich ſoll’s wettern

Das Wort gewaltigen Streichs,

Das Kampflied ſoll erſchmettern,

Der Deutſchen Oeſterreichs!

Das war ein heißes Mühen,

Raſtloſe deutſche Hand,

Bis du in helles Blühen

Gekleidet weit das Land;

[90]Friedrich Adler.
Das war ein eifrig Bauen,

Ein Zimmern unverzagt,

Bis herrlich anzuſchauen

Der Bau zur Höh’ geragt!

Und ſieh’! in deutſcher Krone

Glänzt Auſtria ſo hehr;

Dem deutſchen Fleiß zum Lohne

Schwillt golden der Saaten Meer;

Durch deutſches Wort verbunden

Schließt eng ſich Glied an Glied;

Den ſchönſten Kranz gewunden

Hat rings das deutſche Lied.

Und ſoll das nun zerfallen,

Was hoch und heilig ſtand?

Und ſoll dein Wort verhallen,

Mein Volk, im eignen Land?

Nein, unerſchüttert ſetze

Die volle Kraft darein,

Du wahr’ſt die höchſten Schätze,

Wenn du bewahr’ſt, was dein!

Und wie vor tauſend Jahren

Die Väter, kühn und ſtark,

Vor drängenden Barbaren

Geſchützt des Oſtens Mark,

So auf demſelben Grunde

Steh’ heute treu die Hut,

Und gebe leuchtend Kunde

Vom alten Heldenblut.

So hüte die heilige Flamme

Vor jedem Sturm und Stoß

Vom herrlich großen Stamme

Du kräftig edler Sproß!

Wie heiß es dich umſtritte,

Steh’ feſt und wanke nicht:

Für deutſche Art und Sitte,

Für Freiheit, für das Licht!

[[91]]

Hermann Conradi.
(Arminius Costo.)


Pygmäen.


Originalbeitrag.


Die Zeit iſt todt, da große Helden ſchufen,

Die mit der Fackel der Begeiſterung,

Mit kühn erhabenem Gedankenſchwung

Des Lebens florumhüllte Stufen

Und weiter — weiter bis zum Gipfel klommen,

Wo ihnen vor den ſehgewalt’gen Blicken

Jach barſt der Vorhang mitten in zwei Stücken —

Wo über ſie der Friede dann gekommen!

Die Zeit iſt todt — die Zeit der großen Seelen —

Wir ſind ein ärmlich Volk nur von Pygmäen, …

Die ſich mit ihrer Afterweisheit frevelnd blähen

Und dreiſt ſich mit der Lüge Schmutz vermählen —

Mit jener Lüge, die da Prunk und Kronen

Um leere Schädel flicht — um ſchmale Stirnen

Das Diadem der Gottentſtammtheit ſchlingt —

Die Weihrauchduft ohnmächt’gen Götzen bringt!

Was wir vollbringen, thun wir nach Schablonen,

Und unſ’re Herzen ſchrei’n nach Gold und Dirnen —

Und Keinen giebt’s, der tief im Herzen trüge

Den Haß, der aufflammt gegen dieſe Lüge —

Wir knieen Alle vor den Götzen nieder

Und ſingen unſerer Freiheit Sterbelieder!

[92]Hermann Conradi.

„Licht den Lebendigen!“


Originalbeitrag.


Stets habe ich mich denen zugeſellt,

Die, ausgeſtoßen, nur des Tempels Stufen

Und nie das Allerheiligſte betreten …

Umſonſt erklingt ihr banges Hülferufen,

Umſonſt ſpringt von den Lippen brünſtig Beten,

Umſonſt erſteht aus ihnen — ach! — ein Held,

Der ſie aus ihrer Knechtſchaft an das Licht

Der gold’nen Freiheit führen will — ein Sieger:

Er fällt im Kampf wie ein gemeiner Krieger —

Doch die Galeerenketten bricht er nicht! …

Er bricht den Fluch nicht, der auf ihnen liegt

Von Anbeginn der Welt als ein Verhängniß —

Das Leben iſt für ſie nur ein Gefängniß —

Sie ſterben in der Tiefe — Keiner ſiegt!

Stets habe ich mich ihnen zugeſellt:

Frommt dem Poeten denn — ich frag’ es dreiſt —

Ein ander Loos? Wo ſich in bangen Qualen

Um nie gelöſte Räthſel müht ein Geiſt;

Wo auf die Wangen, die verfallnen, fahlen,

Der Hunger ſeine Fingerſpur geprägt;

Wo ſich in wildem Ingrimm eine Hand

Zur Fauſt zuſammenballt; wo, ſtets verkannt,

Ein Mann im Innerſten Empörung hegt —

Empörung gegen ſie, die Kettenſchmieder:

Da tret’ ich hin und ſinge meine Lieder —

Ja! Lieder, die ich nicht erkünſtelt und erdacht,

Die ich aus tiefſtem Seelenſchacht,

Aus meiner Herzens Tiefe trug an’s Licht —

Und was ich nicht gefühlt, das ſing’ ich nicht!

Wohl ſoll des Sängers Lied auf Wunden leiſe

Den Balſam legen! Von den Stirnen banne

Die Furchen es und Thränen aus den Augen . . . .

Doch giebt’s auch Lieder, die dazu nicht taugen:

[93]Hermann Conradi.
Sie ragen trotzig wie die Wettertanne,

Sie zucken wie der Blitz mit loh’nden Zungen,

Sie hallen wie der Donner krachend hallt —

Sie ſingen von der Schergen Allgewalt,

Von Buben, die der Knechtſchaft ſich verdungen!

Sie ſingen eine einz’ge Weiſe nur:

Die Weiſe der Empörung gen Despoten!

Sie flammen wild zuſammen zu dem Schwur:

Licht den Lebendigen — die Nacht den Todten! …

Empörung.


Originalbeitrag.


Manchmal iſt’s mir, als packte mich ein Krampf,

Wenn ich halbmüde, halbverdroſſen,

Verträumt, mechaniſch dem Gewölk nachſtarre,

Das ſich in zarten, duftig blauen Ringen

Von der Cigarre mählich löſt . . . . — — —:

Da iſt es mir, als packte mich ein Krampf —

Als ſchlüg’ an’s Ohr mir dröhnend Roßgeſtampf —

Als ſchlüg’ an’s Ohr mir gellend Horngeſchmetter —

Als riefe mich Poſaunenton zum Kampf

Für einen neuen Heiland — einen neuen Retter!

In wilden Rhythmen pulſt mein Blut —

Aufſchwillt mir jauchzender Titanenmuth —

Erſtickt liegt der Gedanken fahle Brut

Und wirbelt auseinander wie der Blätter

Zermürbte Spreu im Herbſtſturmtoſen! . . . . .

Ich lebe nur der That!

Und ihre Roſen

Blüh’n auf in meiner qualzerſpaltenen Bruſt . . . . . .

Hei! Wilde Götterluſt,

Auf dürrem Haidepfad

Dahinzufliegen!

Es dampft das Roß — und in die Locken wühlt

Der Sturm ſich ein — —

Geſpenſtiſch liegen

Des Mondes gleißend weiße Silberſchleier

[94]Hermann Conradi.
In fahl criſtall’nem Schein

Weit ausgeſpannt

Auf dem Haideland . . . .

Hei! Wie hinweggeſpült

Wird da des Zweifels leichenfarbner Dunſt! —

Es athmet freier auf und freier

Die erlöſte Bruſt —

Und in allmächt’ger Brunſt,

In neugeborner Werdeluſt,

Umfaßt ſie tief und voll

Des Lebens ganzes Sein

Und die lebend’ge That!

Ein heißer Groll

Flammt auf wie greller blut’ger Nordlichtſchein,

Daß ſo Verrath

Am Heiligſten begangen ward!

Verblendet und genarrt

Hab’ ich gefröhnt nur blödem Afterleben! . . . .

— — — — — — — — — — — — — — — — —

— — — — — — — — — — — — — — — — —

Hei! Wie der Sturm in gellender Melodei,

Mit dröhnend heiſ’rem Schrei,

Mir um das Haupt brauſt!

Wie die Wolken flattern

Und windgehetzt,

Zerriſſen und zerfetzt,

Zu Rieſenbänken ſich zuſammenſchieben! … — — —

Ich balle wild die Fauſt:

Das war dein Sein? — das war dein Lieben?

Verflucht! Nur Nattern,

Giftgeſchwollen,

Haſt du an deiner Bruſt genährt,

Haſt dich erbärmlich nur geſcheert

Nach Hinz und Kunz und ihrem Alltagsſchnattern!

Liebäugelteſt mit Baſen und Gevattern —

War das ein Leben aus dem Vollen?

Wo hingerafft

Von heil’ger Leidenſchaft,

In unverſöhnlich großem Rächergrollen

Du niederſchlugſt der Buben feilen Tand?!

[95]Hermann Conradi.
Und wo mit ſchwertbewehrter Siegerhand

Der Lüge Drachen du erſchlagen?!

Wo du mit der Parole: „ich vollbrings!“

Den Leib der Sphinx,

Ein ſtarker Siegfried, ſprengteſt aus den Fugen?!

Und ihre Räthſelfragen,

Die bekannten, klugen,

Die manchen Schwächling ſchon zerbrochen,

Zertreten haſt?

Nur blöde Ofenraſt,

Verſchämt, verkrochen,

Haſt du gehalten:

So leichte Beute nächtiger Gewalten! …

— — — — — — — — — — — — — — — — —

So ſchreit’s in mir, und wilder Durſt entbrennt

In meiner Bruſt nach ſtürzender Zerſtörung!

Stolz wogt des Haſſes Flammenelement

Und lechzt nach Rache und Empörung!

Satt hab’ ich endlich dieſe Hirnbethörung —

Satt dieſe dunſt’ge Trugbelehrung!

Der Afterweisheit Götzen will ich fegen

Von ihren gleißenden Despotenſeſſeln —

Will mit der That gewucht’gen Donnerſchlägen

Ihr Reich in Schutt und Trümmer legen:

Denn — nein! — nicht länger trag’ ich dieſe Feſſeln!

Müde.


Originalbeitrag.


Ja! Hier iſt’s gut ſein! Ja — hier will ich raſten,

Will ich vergeſſen meine wilde Qual!

Hier wälz’ ich von mir, die ich trug, die Laſten,

Und ſchreite ſelig zu dem Friedensmahl,

Das du mir beu’ſt … Ja! hier verklingt der Streit —

Hier flüſtern nur leiſe die Stimmen der Einſamkeit! . .

[96]Hermann Conradi.
Denn ich bin müde! . . Blüht auch noch mein Mark,

Und blitzt mein Auge noch begeiſt’rungstrunken!

Hält auch die Fauſt ihr Schwert noch heldenſtark,

Und loh’n in mir des Haſſes wilde Funken —

Des Haſſes, der mit unbarmherz’gem Stahl

Ausbrennen ſoll der Lüge Sclavenmal …:

Ich bin doch müde! . . Drum, wie ſchön wird’s ſein,

Darf ich mit dir im blüthenreichen Garten,

Hält ihn verzaubert weißer Vollmondſchein,

Mit ſüßem Eifer unſ’rer Liebe warten!…

Ich lieg’ an deiner Bruſt — es ſchweigt der Groll — —

Uns aber ſegnet die Liebe, die ew’gen Glückes voll! . .

Purgatorio.


Originalbeitrag.


Zieh’ ein, o Schmerz,

Und weihe dies Herz,

Das lange ſich deiner gewehrt hat!

Und in flammendem Groll

Gegen des Lebens Zoll,

Gegen deine Macht ſich empört hat!

Zieh’ ein, o Schmerz,

Und läut’re dies Herz —

Ich geb’ es beſiegt dir zu eigen!

Und erbarmungslos

Entlöſ’ deinem Schooß

Der Qualen nachtlockigen Reigen!

Zieh’ ein, o Schmerz,

Und heil’ge dies Herz —

Furch’ deine Flammenſpuren!

Was morſch iſt, zerbrich,

Bis das Gemeine entwich,

Und die Flitter von dannen fuhren!

[97]Hermann Conradi.
Zieh’ ein, o Schmerz,

Und pflanze in’s Herz

Der Weltenräthſel Erkenntniß!

Was geſucht ich ſo lang’

In glühendem Drang,

Entſchlei’re in ernſtem Geſtändniß!

Zieh’ ein, o Schmerz,

Entſünd’ge dies Herz —

Ich geb’ es beſiegt dir zu eigen! —

Bis in flammender Pracht

Aus Schlünden der Nacht

Der Erlöſung Sonne wird ſteigen!

Verlaſſen!


Originalbeitrag.


Im Morgengrauen ging ich fort —

Nebel lag in den Gaſſen —

In Qualen war mir das Herz verdorrt,

Die Lippe ſprach kein Abſchiedswort —

Sie ſtöhnte nur leiſe: Verlaſſen!

Verlaſſen! Kennt ihr das Marterwort? —

Das frißt wie verruchte Schande! . .

In Qualen war mir das Herz verdorrt —

Im Morgengrauen ging ich fort,

Hinaus in die dämmernden Lande …

Entgegen dem jungen Maientag —

Das war ein ſeltſam Paſſen!

Mählich wurde die Welt nun wach — —

Was ſollt’ mir der junge Frühlingstag? —

Ich ſtöhnte nur leiſe: Verlaſſen!

7
[98]Hermann Conradi.

Das verlorene Paradies.


Originalbeitrag.


Es hat die Dirne mich geküßt:

Da ward ich von ſüßem Taumel trunken,

Und als ob es Frau Venus ſelber wär’,

Bin ich ihr an die wildwogenden Brüſte geſunken …

Es hat die Dirne mich geküßt,

Ihre reifrothen Lippen auf den meinen erblühten —

Da vergaß ich die harte Noth und den Tod

Und meiner Mutter liebfrommes Behüten …

Es hat die Dirne mich geküßt —

Da war’s mir, als quöllen Flammenbäche

Wie der Hölle Sengſtrom durch meinen Leib,

Als ob bacchantiſche Brunſt mir den Schädel zerbreche . .

Es hat die Dirne mich geküßt —

Schluchzend lag ich vor ihr im Staube —

Da war’s mir, als ſtürbe der Gott in mir,

Als ſtürb’ an ſündloſe Lieb’ mir der Glaube …

Es hat die Dirne mich geküßt,

Da wußt ich, daß ich die Seele verloren —

Da wußt ich, daß ich dem Schächer gleich,

Meine Seele der Hölle zugeſchworen! …

Es hat die Dirne mich geküßt —

Wohl trink ich in ihren Armen Wonne — —

In meinem Herzen aber iſt Finſterniß,

Und verdorrt iſt mir des Glückes Bronne! …

Verdorrt iſt mir der lebendige Muth,

Für meine Brüder die Gaſſe zu bahnen, —

Zerbrochen hab’ ich die blitzende Wehr,

Zerbrochen die wurfzerfetzten Fahnen . . . .

[99]Hermann Conradi.
Seitdem die Dirne mich geküßt

Kann ich nur ihr gehören zu eigen — —

In Brünſten umklamm’re ich den weißen Leib

Und küſſe ſie — und der Reſt iſt Schweigen . . . . . .

Haſt du des Daſeins …


Originalbeitrag.


Haſt du des Daſeins tiefſte Qual empfunden?

Kam über dich einmal der milde Schmerz,

Der zu dir ſchreit aus deiner Seele Wunden?

Es krampft ſich in Titanenweh das Herz,

Vom Daſeinsekel angepackt, zuſammen,

Und von der Lippe ſtiehlt ſich Hohn und Scherz,

Verweht von deines Schmerzes Rieſenflammen.

Du ſinnſt und ſinnſt … In tollen Tacten fliegt

Dein Puls — — — als müßteſt du den Fluch verdammen,

Der felſenſchwer auf deiner Seele liegt —

Den Fluch verfluchen — ja als müßteſt du

Die Welt verfluchen, die dich eingewiegt

In deiner Jugend ſüße Mährchenruh’ —

Um dich zu hartem Qualendienſt zu wecken:

So iſt es dir! — Das Auge ſchließt ſich zu —

Der Schmerzen Wogen glätten ſich und ſtrecken

Gebändigt ſich, wie fromme — Tigerkatzen,

Zu deinen Füßen hin — bis ſie ſich recken —

Empor ſich recken und mit Rieſentatzen

Dich niederſchlagen, daß du wie ein Sclav’

Um Gnade betteln mußt bei — Götterfratzen! …

— — — — — — — — — — — — — — — — —

— — — — — — — — — — — — — — — — —

Komm über mich, o traumlos ew’ger Schlaf! . . . . . .

7*
[100]Hermann Conradi.

Wiedergeburt.


Originalbeitrag.


Fall’ ab von mir, du gottverfluchte Sünde,

Fall’ ab von mir wie mürber Blätter Spreu,

Auf daß die Welt ich endlich überwinde —

Auf daß ich endlich — endlich Frieden finde!

Erhebe dich, du trotzig ſtarker Leu

Der Weltentſagung — recke dich empor,

Zerbrich die Schranke, die dich hält, in Splitter!

Ihr Oſterwinde rauſcht, ein Feierchor!

Aufſprang mir der Erkenntniß Freiheitsthor:

Entſagt hab’ ich jedwedem Tand und Flitter!

Anathem!


Originalbeitrag.


In flammender Empörung

Sprech’ ich der Lüge Hohn:

Und wenn du tauſend Nacken beugſt

Und tauſend Sclavenſeelen ſäugſt

Mit feilem Judaslohn:

Ich trotze deinen Jochen!

Ich hab’ den Bann zerbrochen —

Ich hab’ mich freigeſprochen:

Ich bin der Freiheit Sohn!

Was geſtern noch geblühet …


Originalbeitrag.


Was geſtern noch geblühet,

Iſt heute ſchon verdorrt,

Und was du jüngſt mir zugeraunt,

Verklungen iſt das Wort!

Verrauſcht iſt ſie, die Stunde,

Wo dich mein Arm umfing —

Wo luſtberauſcht mein Flammenblick

An deinem Antlitz hing!

[101]Hermann Conradi.
Der Herbſtwind fegt die Blätter,

Die letzten, von dem Aſt —

Ich wand’re durch das öde Land

Bald hier, bald da zu Gaſt …

Die Stirne glüht in Fieber —

In Fieber bebt die Hand,

Und wirre Wahnſinnsphantaſie’n

Sind mir im Hirn entbrannt …

Daß ich dich laſſen mußte,

Das ficht mich gar nicht an —

Das iſt nun einmal Menſchenloos

Das ſei nun abgethan!

Eins aber zieht mich nieder,

Das laſtet wie ein Fluch,

Das lähmt der Seele ſtolze Kraft,

Der Hochgedanken Flug;

Das gräbt ſich in die Stirne

Mit tauſend Furchen ein;

Das dunkelt mir der Sonne Gold,

Das dunkelt Sternenſchein;

Das wühlt ſich in die Bruſt mir

Wie eines Schächers Blick;

Das hemmt des Athems Freiheitsdrang

Wie eines Henkers Strick!

Das grinſt mich an wie eine

Verrenkte Bettlerfauſt;

Das loht in mir wie Höllenqual,

Die Herz und Hirn durchbrauſt —

Und fragt ihr: was entfeſſelt

Den wirren Qualenſtrom?

Die Sehuſucht, die da lechzt nach Glück,

Nach Glück, das nur — Phantom!

Das war ein luſt’ges Feiern …


Originalbeitrag.


Das war ein luſt’ges Feiern,

Ein Schwärmen bei Nacht und bei Tag —

Nun liegt’s auf mir ſo felſenhart,

[102]Hermann Conradi.
Jach ſind mir Freud und Luſt erſtarrt,

Nun liegt’s auf mir ſo bleiern

Nach all’ dem luſt’gen Feiern,

Dem Schwärmen bei Nacht und bei Tag …

Das war ein tolles Zechen —

Wir wurden’s ſchier nicht ſatt —

Jach ſtarb mir da der blüh’nde Scherz,

Nun liegt’s auf mir wie ſchweres Erz,

Als wollte das Hirn mir zerbrechen —

Nach all’ dem luſt’gen Zechen,

Dem Schwärmen bei Nacht und bei Tag …

Das war ein keck Erfaſſen

Des Lebens in jauchzender Luſt —

Nun liegt’s mir vor Augen ſo todt und ſo fahl,

Aufſchreit in der Bruſt mir Titanenqual —

Als ſollte die Welt ich nun haſſen

So ward mir nach all’ dem Erfaſſen

Des Lebens in jauchzender Luſt!

Entlarvung.


Originalbeitrag.


Ihr habt geſchwelgt in Sünden,

In Sünden ſonder Zahl!

Aus euren Augen grinſt der Tod

Und euer Wort iſt ſchaal!

Und euer Schwert zerfriſt der Roſt —

Dieweil mit Dirnen ihr gekoſt,

Da rangen wir, vom Sturm umtoſt,

Im nächt’gen Todesthal!

Ihr habt geſchwelgt in Sünden,

In Sünden ſonder Zahl!

Zerbrochen liegt des Lichts Panier,

Zerbrochen der heilige Gral!

Ihr habt verkauft der Seele Gluth,

Verkauft des Herzens Heldenmuth,

Wie ein gemein verächtlich Gut

Ja! — um ein Sclavenmal!

[103]Hermann Conradi.
Ihr habt geſchwelgt in Sünden,

In Sünden ſonder Zahl!

Mit Roſen kränztet ihr die Stirn

Zu üpp’gem Freudenmahl!

Bacchantiſch habt ihr Nacht und Tag

Geraſt bei ſüßem Lautenſchlag —

Da kam die Stunde, die zerbrach

Euch Thyrſus und Pokal!

Ihr habt geſchwelgt in Sünden,

In Sünden ſonder Zahl!

Da kam die Stunde, die euch riß

Vom Antlitz, todesfahl,

Die Masken — und wir ſahen euch

In eurer Schande nackt und bleich,

Ausſätz’gen Galgenſchächern gleich,

Bei eurem Judasmahl!

Ihr habt geſchwelgt in Sünden —

In Sünden ſonder Zahl!

Aus euren Augen grinſt der Tod

Und euer Wort iſt ſchaal!

Zerbrochen liegt nun all’ der Tand,

Aufloderte des Flitters Brand —

Nun ſchmeckt die Zunge dürren Sand,

Ihr — „Prieſter der Moral“!

Wie iſt der Tag ſo weit . . . .


Originalbeitrag.


Im Sclavendienſt der Lüge

Hab’ ich den Tag verbracht …

Nun hat den Zauberſchleier leis

Herabgeſenkt die Nacht.

Es ſchweigt verträumt die Runde,

Nur leiſe der Nachtwind rauſcht —

Ich aber mit brennendem Munde

Habe Stunde um Stunde

Mit Geiſtern ans nächt’gem Grunde

Wilde Zwieſprach getauſcht.

[104]Hermann Conradi.
Ha! Wie er mich umflattert,

Der Geiſter toller Schwarm!

Wie er mich preßt mit trunk’ner Luſt

In ſeinen Rieſenarm . .

Wie Frage er auf Frage

In meine Seele ſchreit!

Und ob ich bang verzage,

Die Bruſt mir blutig ſchlage,

Und bete, daß es tage —

Wie iſt der Tag ſo weit!

Todtenſang.


Originalbeitrag.


Der Nachtwind heult dir den Todtenſang —

Nun ſchlaf, mein Bruder, nun ſchlaf!

Und wenn deine Seele auch Flammen trank,

Der Hieb des Todes, er traf!

Und wenn deine Seele auch Welten barg,

Und jauchzend zum Lichte ſich rang:

Nun liegſt du im Grunde, im modernden Sarg —

Der Kelch deiner Seele zerſprang!

Mit leuchtender Stirn, mit flammender Bruſt,

Zog’ſt du: ein junger Achill!

Und warfeſt die Hallen, wo feiler Wuſt

Die heiligen Bilder befiel —

Wo lauernder Schlangen giftſpeiender Zahn

Zerriſſen, was edel und groß:

Du warfeſt ſie nieder! Auf ſiegender Bahn

Mit heldenhaft markigem Stoß!

Wir jauchzten dir zu in heiliger Gluth

Und griffen zum blitzenden Schwert!

Der feigen Seelen neidiſche Brut,

Von eklem Staube genährt:

Wir trieben ſie aus! Mit gellendem Schrei

Zerſtob die zitternde Schaar! …

Doch weiter, nur weiter! Durch Nebel und Mai,

Umflogen von wirbelndem Haar:

[105]Hermann Conradi.
So zogen wir hin auf dampfendem Roß,

Wir Kämpen für Freiheit und Licht! …

Da fiel der hirnverſengende Stoß,

Der’s Herz mir ſtückweis bricht —

Es ſchlich der nackte, der fahle Tod

Zu deinem Herzen ſich hin

Da lagſt du im bleichen Morgenroth —

Zerbrochen das Schwert und die Brünn’. —

Zerbrochen die lichte, die jauchzende Bruſt:

Fahr’ wohl, mein Bruder, fahr’ wohl!

Verſprüht die lodernde Kampfesluſt —

Zertrümmert das hehre Idol! …

Wir ſaßen und ſannen in ſtummer Qual

Und ſtarrten auf deinen Leib —

Dann gaben wir ihn, das Antlitz fahl,

Den Würmern zum Zeitvertreib …

Sie mögen ihn ſchmauſen in köſtlichem Mahl —

Leb’ wohl, mein Bruder leb’ wohl!

Wir kämpfen, die Fauſt im blitzenden Stahl,

Für der Freiheit leuchtend Symbol! …

Und pocht auch der Wahnſinn an unſer Hirn —

Nur weiter durch Nebel und Nacht:

Dort freſſen die Würmer die leuchtende Stirn —

Wir raſen dämonenumlacht! …

Noch rinnt in unſern Adern die Gluth,

Die alles Hohle zerſchlägt —

Noch packt uns wilder Titanenmuth,

Der auf zum Himmel uns trägt!

Noch thürmen wir jauchzend mit markiger Fauſt

Die Berge zum Götterpalaſt:

Und wenn uns das Heer der Blitze umſauſt,

Die Nacht der Wolken uns faßt!

Wir ſchwuren an deines Grabes Rand

Den Kampf für Freiheit und Licht —

Wir ſtürzen mit unbarmherziger Hand,

Die nimmer ſegnet, nur bricht,

[106]Hermann Conradi.
Die Tempel, die Hallen, wo Spöttergezücht

Auf goldenen Thronen verdorrt:

Da wirbelt der Staub! Da verzerrt das Geſicht

Der Feige mit ſtammelndem Wort! …

Wir holen auch dich von prunkender Höh’,

Verfaultes Götzengeſchlecht!

In unſerer Bruſt, da fluthet die See

Des Haſſes! da thront nur das Recht!

Und dieſer Haß zertrümmert auch euch

Und fegt euch nieder zu Thal —

Mit einem gewaltigen Rieſenſtreich —

Mit hühnenhaft blitzendem Stahl! …

Der Nachtwind heult dir den Todtenſang!

Nun ſchlaf, mein Bruder, nun ſchlaf!

Und wenn deine Seele auch Flammen trank:

Der Hieb des Todes — er traf!

Und wenn du auch liegſt im modernden Schacht:

Dein Geiſt durchbebt unſer Herz:

So jagen wir weiter durch Nebel und Nacht —

Durch Dunkel Morgenwärts!

Es liegt die Welt in Sünden.


Originalbeitrag.


Es liegt die Welt in Sünden,

Das Heiligſte iſt feil —

Aufreckt ſich wie der ſchwarze Tod

Das Laſter wolluſtgeil!

Es werfen ſeine Flammen

Den Brand in jede Bruſt —

Im Triumphatorwagen rauſcht

Durch alle Welt die Luſt!

Und Keiner hebt die Keule,

Zu morden das Peſtgezücht!

Und Keiner ſchreit nach and’rem Heil

Und bangt vor dem Gericht!

[107]Hermann Conradi.
In wilden Wolluſtſchauern

Liegen wir ſtaubbeſä’t

Und ſtammeln an ſchwellender Dirnenbruſt

An die Venus ein Gebet:

„O große Mutter, nähre

Dein liebelechzend Kind!

Schling’ auch um mich dein Diadem,

Deine Roſen, dein Traubengewind!

Sieh’! meine verſchmachteten Lippen

Dürſten nach heißem Genuß —

O große Mutter, vergiß mich nicht —

Laſſ’ trinken mich deinen Kuß!

Laſſ’, bis ich ſelig verſunken

In Träume, mährchenumkoſt,

Hinfluthen über das dürre Gefild

Meiner Seele deinen Troſt!

Nicht mag ich kargen und dulden,

Wie ein Schächer nach Brocken geh’n —

Es ſoll für meine verzehrende Brunſt

Ein Paradies erſteh’n!

Wir haben vom Kreuze geriſſen

Des Heilands zermartert Gebein!

Wir warfen von uns das Pilgerkleid,

Wir ließen den Wüſtenſtein!

Was frommt uns bleiches Entſagen?

Was frommt uns Dornengerank?

Wir ſchlürfen den Kelch hintaumelnder Luſt

In ſeligem Ueberſchwang!“

O ſagt, ihr müden Lippen,

Kennt ihr kein and’res Wort?

Iſt in der Seele tiefſtem Grund

Der Bronnen all’ verdorrt,

Daraus in lichten Strömen

Das Leben ſich verjüngt?

Schreit ihr zur Aphrodite nur —

Zur Dirne, frech geſchminkt?

[108]Hermann Conradi.
Zur Dirne, der im Herzen

Nur Lug brennt und Verrath?

Die mit geſchmeid’ger Buhlerkunſt

Erſtickt die freie That?

Schreit ihr nach Wein und Roſen?

Nach üpp’gem Bacchusgelag’?

Nach ſternendunkler, ſchwüler Nacht

Und flucht dem gold’nen Tag?

Ihr Narr’n! Es kommt die Stunde,

Da wieder am Kreuze einmal

Bluttriefend ein neuer Meſſias hängt,

Im Herzen Prometheus-Qual!

Auch den habt ihr gekreuzigt,

Dieweil ſein Zorn geflammt —

Dieweil er die ſündenverſtrickte Brut

In heißem Groll verdammt!

Sein Mund ſprach nicht von Liebe,

Sein Wort ſprang wie ein Pfeil

Von klirrender Bogenſehne ſpringt,

Und traf, die ſündengeil

In üppigem Wolluſtreigen

Das Leben verträumt und verſpielt —

Sein Herz — das wußte Vergebung nicht:

Es hat nur die Schmach gefühlt!

Die Schmach, daß ihr verrathen

Den gottgebor’nen Geiſt!

Daß ihr in wilder Beſtiengier

Das Gold, das glänzt und gleißt,

D’ran tauſend Flüche kleben,

Das tauſend Thränen genetzt,

Ein ſündenverloren, entartet Geſchlecht,

Zu eurem Gott geſetzt!

Auch ihm, dem Bußekünder,

Verrenkt ihr das Gebein —

Doch wenn ſein ſtarres Auge bricht,

Bricht auf der Erde Geſtein —

[109]Hermann Conradi.
Aufbrauſen die Meere im Sturme,

Es bebt der Berge Granit,

Und durch die ganze Schöpfung wogt

Ein einz’ges Sterbelied!

Da wird ſie über euch kommen,

Die Angſt, die Rächerin!

Und mit verglaſten Augen ſtarrt

Ihr zu dem Galgen hin!

Hernieder ſteigt vom Kreuze

Der Gott im Glorienkleid

Und ſpricht: Du biſt verflucht, o Welt,

Verflucht in Ewigkeit!

Oſterpſalm.


Originalbeitrag.


Nun feiert vom Werke! Des Alltags Gelüſt,

Nun bannt es aus Sinnen und Herzen!

Und von der Sonne der Liebe geküßt

Laßt flammen die Freudenkerzen!

Wir haben gerungen mit ſchwieliger Hand —

Im Alltagsſtaube geſchmachtet! —

Nun laßt uns zerbrechen den leeren Tand,

Nun laßt uns zünden den Opferbrand,

Und der Liebe, die lang’ wir verachtet —

Die an’s Kreuz wir geſchlagen in frevelndem Wahn,

Gekrönt mit Dornengewinden:

Wir geben uns heute ihr unterthan,

Auf daß Erlöſung wir finden!

Und der Liebe, die lang’ wir verſpottet, verhöhnt:

Geeint und verſöhnt

Erſchließen wir heute die Herzen!

Und wie im jungen Märzen

Der Lenz mit allmächtigem Werdeton

Durch die Lande ruft, der Sonnenſohn,

[110]Herrmann Conradi.
Und die Welt in donnerndem Siegesgeſang

Ihm zujauchzt, daß nun die Kette zerſprang,

Die der Winter ihr wand um die Glieder:

Alſo auch wieder

Werfen wir heute weit auf, weit auf

Der Seele Pforten: zu Hauf nun, zu Hauf,

Sammelt euch, Lichtgedanken!

Jungblühender Liebe Oſterpracht,

In Flammen und Gluthen zum Leben erwacht,

Nach bleiſchwer laſtender Winternacht,

Heile die Müden und Kranken!

Und wenn wir gebangt, gezagt und geklagt,

Die Seele zerriſſen von Schmerzen —

Wir wiſſen es Alle: Es tagt, es tagt

Und in lichtgrünem Gekränz’

Wandelt der Lenz,

Der heilige, ſelige Oſterlenz

Heut’ durch die Lande und Herzen!

[[111]]

Johannes Bohne.


Sang der Lebendigen.


Originalbeitrag.


Wer ſtill ſein Leben in altem Geleis

Verſchleppt und mühſam ſorgendem Fleiß,

Der falte die Hände nur gläubig im Schooß

Und lalle und ſtammle von ſeligem Loos!

Doch wir fühlen die Kraft und wir ſtürmen hinaus

Mit dem flammenden Haupte zum Kampfe, zum Strauß,

In den düſteren Augen den blitzenden Strahl,

Den Donner im Mund, auf der Stirne das Mal.

In Gluthen getaucht mag die Welt uns vergeh’n,

Erbrauſen muß ſie im Sturmesweh’n,

Soll’n den lebendigen Odem wir trinken,

Nicht in dem lähmenden Joche mehr hinken,

In dem ſie zieht und ſchleppt und lebt

Und nimmer an ew’gen Gebilden mehr webt. —

Du heilige Liebe, du haſt uns gefeit,

Du gabſt uns allen das ſtahlharte Kleid,

Und drunter das Herz mit dem zuckenden Schlag,

Das blutet vom Dorne des Elends, der Schmach,

Das Herz, das den Kreuzestod tauſendmal litt —

Doch draußen die Stirn, ſo kalt wie Granit,

So ſtill, wie die Felſen zum Himmel ſtarr’n,

Durchfurcht von der Stürme gewalt’gem Beharr’n.

Kein lockendes Eiland, von Palmen umſäumt,

Wie’s der Dichter in ſeligen Träumen ſich träumt,

Kein lachendes Thal von Glückſeligkeit,

Kein wonniges Eden der goldenen Zeit

Iſt’s, was uns lockt in kindlichem Drang

Mit der Freude ſüßem Sirenengeſang.

[112]Johannes Bohne.
Zur Fahrt auf der Schmerzen wildwogende See,

Im Sturme des Lebens, durch Kummer und Weh,

Durch die Fluthen flammender Leidenſchaft

Zieht uns die heil’ge beſel’gende Kraft —

Aus des glühenden Weibes weißen Arm,

Der ſo leis um den Hals ſich, ſo weich und ſo warm,

So feſt, wie mit ehernen Banden ſich ſchmiegt,

Im dämmernden Hauche, dem alles erliegt,

Der müden, duftigen Sommernacht —

Hinweg reißt’s uns — aus den Sälen der Pracht,

Aus der Welt des Taumels, der üppigſten Luſt,

Zu Noth und Elend und Todeswuſt —

Aus dem jubelnden Schwarm und dem lärmenden Feſt —

Zu trocknen die Thränen, die bitter erpreßt

Jahrtauſende lang mit blutigem Zahn,

Der grimmer wie Peſt — ein elender Wahn.

Der Gott, der uns nicht ſtraucheln läßt,

Der hinan uns führt, ſo ſicher und feſt

Vorbei am Abgrund, auf ſteinigtem Pfad,

Iſt der Gott der Freiheit, der Gott der That,

Das iſt der Gott, der ſtrafet und lohnt,

Der uns im eigenen Buſen wohnt,

Er, der im Kampf uns aus eig’ner Hand

In Wetter und Sturm ſich erhub und erſtand.

Den Pilgerſtab, die Krücke, zerbrecht

An dem ewigen Felſen, dem Menſchenrecht,

Und was auch die Kindheit uns lockend verhieß,

Hier unten iſt Hölle uns und Paradies.

Hier brechen wir kühn mit erhobener Bruſt

Durch die Wogen der Schmerzen, das Meer der Luſt —

Und mit uns ſinkt auch die Welt in den Staub

Und wird der zehrenden Flammen Raub —

Wenn das Aug’ uns der letzte Strahl erſt erhellt

Erglänzt auch in purpurnem Sterben die Welt.

[113]Johannes Bohne.

Gebet an den Sturm.


Originalbeitrag.


Hinaus aus meines Zimmers dumpfer Schwüle!

Sieh draußen das Gewitter thronen!

Erbrauſe Sturm, die heiße Stirn mir kühle,

Dahinter raſen die Dämonen.

Hei, wie die Blitze zucken durch die Nacht,

Wie plötzlich ſie mit jäher Flammenpracht

Den Zorn des Ew’gen in die Wolken funkelnd ſchreiben

Ob ſeiner Menſchheit nicht’gem, blaſſem Treiben.

So küſſe mir vom Aug’ die grauen Sorgen

Und koſe mir die glühenden Wangen,

Und halte mich an deiner Bruſt geborgen

In wildem, brauſendem Umfangen.

Aus deiner Flammenſchrift, da laſſ’ mich leſen

Das große Weltgedicht von Uranfang geweſen,

Die grimmen alten Lieder laſſ’ im Donner hallen,

Die alle Schöpfung ſingt und Menſchenzungen lallen.

Wenn du der Locken wall’nde Fluthen

Um’s Haupt dir ſchüttelſt, hoch umwittert,

Die Rieſenfauſt, in der die Blitze ruhten,

Was ihr entgegentrat, voll Wuth zerſplittert —

Dann jauchzt dir zu mein heißes, brünſtiges Beten;

Gieb mir von deiner Kraft, laſſ’ mich zertreten,

Was meine Seele hemmt, die Götzen mich zerſchlagen!

Erhör’ mich, Geiſt des Sturms, bann’ mir das kranke Zagen. —

Der du mit ſchwarzem Fittig durch die Nächte

Dahinjagſt unter Donner und Zerſtörung,

Dich, deſſen einz’ger Blick den Tod mir brächte,

Fleh’ ich um gnädige Erhörung!

O gieb mir Frieden, ſüßen Sturmesfrieden,

Und banne mir des Herzens Eumeniden,

Den wilden Schwarm der Furien, die noch keinen ließen,

Die Grauen vor mir ſelbſt mir in die Seele gießen.

8
[114]Johannes Bohne.
Hörſt du des Herzens wildgepreßtes Aechzen,

Wie es erzuckt von alten Qualen?

O laſſ’ es länger nicht nach Liebe lechzen

Und bluten wie aus tauſend Malen.

Nick’ mir Gewährung mit den finſtern Brauen,

Laſſ’ fühlen mich das wunderbare Grauen,

Die Schmerzensluſt am Sein bei deinem Wehen,

Die Seligkeit in deinem Athem zu vergehen.

Die Schöpfung hat erweckt aus ihren Träumen

Dein großer Ruf, dein ſchweres Grollen,

Ich fühl’ ſie ſich in mir und um mich bäumen,

Wenn deine Blitze zucken, Donner rollen.

Hier ſtehe ich! Wie meine Haare fliegen

Und eng ſich fürchtend um die Schläfe ſchmiegen!

Wie meine Bruſt ſich weitet, daß ſie ganz dich faſſe

Und nimmer deinen Geiſt aus ihren Tiefen laſſe.

Du zogſt an mir vorbei mit grellen Schlägen

Und Flammenſchein und Sturmestoſen —

Du gabſt mir den gewalt’gen Vaterſegen

Und Hoffnung mir dem Hoffnungsloſen?

Dem Herzen ſchwand, was feige es durchzittert

Und deines Athems Hauch mich noch umwittert —

Fern deine Wolken ſtarr’n wie eiſ’ge Bergeshöh’n …

Die Sonne feiert bald blutroth ihr Auferſtehn. — — — — —

Gloria.


Originalbeitrag.


Was iſt der Ruhm? Ein luftig Traumgebild,

Das weſenlos vor trunk’nen Blicken ſchaukelt

Und gold’ne Träume vor die Seele gaukelt

Und nimmer euer glühend Sehnen ſtillt.

Greift ihr danach, es ſchwindet, es zerrinnt

Und flieht in unermeßlich ferne Weiten,

Den Weg kann keines Ird’ſchen Fuß beſchreiten,

Was auch das Herz erhofft, das Hirn erſinnt.

[115]Johannes Bohne.
Was müht ihr euch, ihr Durſtigen, und ringt

Danach und traut der Hoffnung roſ’gen Schimmern,

So bald, wie der zerborſt’nen Glocke Wimmern

Im Sturm zerflattert, euer Ruhm verklingt.

Nein, laßt davon in eurem wilden Drang,

Genießt der Früchte, die am Lebensbaume

Im üpp’gen Licht gereift, laßt ab vom Traume,

Wann einſt verweht des Namens letzter Klang.

Ich folge meines Herzens warmem Schlag

Und ſuch’ in mir und meiner Kraft Genüge,

Berauſcht mich auch der Duft der ſüßen Lüge,

Ich ſink’ nicht müde hin, ich bleibe wach.

Ich nutze alles, was das Leben beut,

Mit Schmerzen ringen, mit den Freuden koſen

Und flechten in den Dornenkranz die Roſen,

Das heißt ein Leben, das ſich ſelbſt erneut.

Daß nicht, wenn ihr mich einſtens fragt

Am Sterbebett: Was war das Leben, rede!

Die Lippen zucken und die Wangen blöde

Kaum lächeln können ſtill verzagt.

Wenn meines Lebens Sonne untergeht,

Laßt ſie in reinem Purpur niedertauchen,

Daß meine Lippen nicht zu ſtammeln brauchen:

Du großer Tag, du kamſt für mich zu ſpät.

Genrebilder.


Der Bettler.


Originalbeitrag.


Das Leben iſt ſchön, ein Scherzen, ein Singen,

Ein Necken, ein Koſen, Gewinnen, Gelingen,

Ein duftiger Frühlingsſonnenglanz!

Noch nimmer hatte das Glück mir getrogen,

Ich hab’s von den purpurnen Lippen geſogen,

Ein Lächeln von dir — und ich traute ihm ganz.

8*
[116]Johannes Bohne.
Die ſonnigen Tage, die heiteren Stunden,

Wie ſind ſie ſo haſtig dahingeſchwunden —

Wie war doch ſo wenig im Leben geglückt:

Nicht konnt’ ich euch halten, nicht wieder faſſen,

Die Geliebte mußt’ aus den Armen ich laſſen,

Habe die Augen ihr zugedrückt.

Im wüſten Leben, im Taumel der Luſt,

Mein wundes Herz in der todtkranken Bruſt,

Das wollte nimmer geneſen. —

Verſpielt, verjubelt mein Glück und mein Geld

Und getauſcht dafür ein die Schande der Welt —

Und Diſteln von Dornen geleſen!

Mich hungert und friert an der kalten Wand

Den kahlen Hut in der zitternden Hand;

Was kann mich erquicken, was letzen?

Und wie mir’s gedämmert, ſo kam’s, ſo kam’s,

Gebrochen mein Herze und wie mein Wamms

Zerriſſen in Lumpen und Fetzen!

Der Spielmann.


Originalbeitrag.


Luſtig, luſtig, alte Fiedel!

Sing dein neckiſch Zauberliedel,

Laß erklingen deine Saiten!

Ach, mit jedem Strich vom Bogen

Kommen Töne angezogen,

Die uns All’n die Seele weiten.

Taumel griff beim Zauberklange,

Wenn des Spielers dürre, lange

Finger an das Griffbrett packten,

All’ die Dirnen, bald ſie liegen

In den nerv’gen Armen, fliegen

Hin nach feur’ger Weiſe Takten.

[117]Johannes Bohne.
Scherzen, Lachen, Kichern, Singen

Aus der alten Fiedel dringen

In den Schwarm den wild bewegten,

Und ſie dreh’n ſich feſt umſchlungen,

All’ die Mädel mit den Jungen

Hin im Tanz, dem toll bewegten.

Steht der Spielmann da im grauen

Bart, dem unter buſch’gen Brauen

Dunkle Augen ſchmerzlich flammen,

An der Säule, und es gleiten

Mark’ge Striche ob den Saiten,

Lockt er’s junge Dorf zuſammen.

Laughin fällt ſein Haar hernieder,

Kahler Mantel hüllt die Glieder,

Und ſein Hut, der iſt nicht glätter;

Tiefgezog’ne Furchen haben

In die Wangen ſich gegraben,

Die vergilbt von Sturm und Wetter.

Ach, vermodert ſind die Jungen,

Und wo iſt zuletzt erklungen

Seiner Dirne munt’res Liedel?

Wanderdrang hat ſie getrieben,

Einſam iſt er dann geblieben,

Und ſein Liebſtes ward die Fiedel!

Viſionen.


Originalbeitrag.


I.


Ich kniete am Altar inmitten

Der gläubigen Menge, die Gebet lallend

Auf ihren Knieen lag —

Und ſchwellende Orgeltöne

Wie ein entfeſſelt Meer

Umwogten mich, und holde Knabenſtimmen

Mir in die Seele drangen —

[118]Johannes Bohne.
Auch meine Lippen hatten einſt

Das heil’ge Lied erhoben

Wie eure, die ihr euch

Mir in die Seele ſtehlt

Mit jenen unſchuldsvollen

Hinſterbenden Geſängen —

Auch meine Seele hatt’ ich einſt

Als reines Opfer hin auf den Altar gelegt,

So unberührt und unbefleckt.

Und höher ſtieg der Weihrauchduft empor

Zum Schiff die Sinne bannend.

Und von dem ſüßen Bangen

Der Kindheit, die zum erſten Mal

Sich ſchüchtern Gottes Altar naht,

Flog mir ein Hauch

Noch einmal durch die Seele,

Ich koſtete noch einmal

Den heil’gen Taumel,

Gab mich noch einmal

Dem ſtillen Rauſch der Hoffnung

Mit innig jauchzendem Herzen

Ergeben hin.

Ich blickte auf —

Durch ſpitze Fenſter fielen

Die ſchrägen, gelben Sonnenſtrahlen

Und woben um das Haupt dir

Dort an dem Kreuze mit der Dornenkrone

Hell flimmernd einen gold’nen Ring —

Und deine Züge lebten noch,

Ich ſah noch einmal dir den Kampf

Hin durch den Leib, den müden, zieh’n,

Und deine Wunden floſſen noch einmal

Wie blut’ge Zähren, die ein Gott

Um ſein verſunken Eden weint.

Der Kranz grub ſich in deine Stirn,

Die alabaſterweiße,

Mit purpurrothen Spuren.

Da griff es mich mit Geiſtermacht

Und öffnete mir das blöde Auge,

Das ſtaunend nur an dieſen Reigen hing,

[119]Johannes Bohne.
Derweil das Herz ſich enge mir

Zuſammenpreßte in der Bruſt

Mir war’s, als könnt’ ich alles fühlen,

Was du erlebt, da du am Kreuze hingſt,

Als dir der Blick auf tauſend Gaffer ſank

Und ein’ge nur,

Die dich beweinten,

Doch nie verſtanden.

Du Rieſengeiſt, du fühlteſt dich allein!

— Das ſchmerzte. —

Du kannteſt wohl das Menſchenherz

In ſeinem Wollen, ſeinem Ahnen,

In ſeinem Fühlen, ſeinem Haſten

Nach leichtem Glück —

Du wußteſt, was den Armen quält,

Und was dem Unglücklichen,

Der in den Ketten ſchmachtet, durch die Seele hegt,

Und was den Menſchen packt und ſchüttelt,

Sieht er des Schickſals ehernen Schritt

Zu Boden treten unerbittlich,

Was er gebaut, entraffen

Das Liebſte ſeinem Herzen,

Die Sichel durch die vollen Saaten gehn. —

Du ſahſt den fahlen Jammerblick,

Der mit Entſetzen hoffnungslos

Auf deine Tröſtermiene ſtarrte,

Wenn ihn, den Sterbenden,

Des Todes harter Arm

Auf ſeinem Lager niederrang,

Und er ſich wand — —

— Doch war das Sünde,

Daß mich ein Weib gebar? —

Nein! — Sünde — wider die Natur —

Natur iſt Sünde — —

Erlöſung aus dem Labyrinth!

Ich irre, ich ſtrauchle —

Erlöſung für meinen Geiſt

Und für mein wehes Herz! —

Da ſah ich die Züge,

Von Schmerzen eben noch verzerrt,

[120]Johannes Bohne.
Sich glätten, und ein leiſes Lächeln

Glitt über die verhärmten Wangen hin —

Mir war’s als träfe mich ein tiefes Leuchten

Der Augen, die ſich in das Herz mir ſenkten,

Wie Sonnenſtrahl in eiſ’ge Gruft — —

O Liebe, begötternde Liebe!

So ſtirbt dein Held,

Dein kündender Prophet,

Dein höchſter Gott,

Den ſeines Herzens Fluch

Dazu geweiht! —

II.


Und wieder ſah ich Opferdüfte wallen,

Den Weihrauch hoch gen Himmel zieh’n

In duft’gen Wolken.

— Es naht ein Zug —

Vermummte Geſtalten —

Teufelsfratzen grinſen mich an —

— „Gott der Liebe, Gott der Liebe!

Te deum laudamus! —“

— Und einen Scheiterhaufen ſah ich hoch gerichtet,

Ein Kreuz darauf —

Und Flammen ſah ich gierig lecken

Von unten hoch,

Und oben an dem Kreuze ſtand

Eine weiße Geſtalt,

Und in das Gewand,

Da hatten ſie eingewirkt

Rothe Zeichen —

Es war ein Weib,

An dem weißen Kleide

Troff es wie Blut —

Das waren blutige Male

Der Taufe —

Ihr tauft mit Blut,

Ihr treuen Jünger eures Herrn? —

„Te deum laudamus.“

Wie ſchön das Weib iſt,

Wie ihrer Glieder duft’ge Weichheit

[121]Johannes Bohne.
Hervordrängt aus den feſten Stricken,

Mit denen ſie an’s Kreuz geſchnürt.

Die dunklen Augen blicken

Zum reinen, wolkenloſen Himmel,

Und Gottes gnädige Sonne

Ihr in dem weichen Gelock,

Das auf die weißen Schultern niederwallt,

Goldene Strahlen ſpinnt.

— Die Flammen praſſeln

Und züngeln roth ſich höher —

Da bohrt ſich ihr Blick

Mir in das Herz,

Thränenlos — ſeelenlos —

Dunkel wie Nacht —

Als ob ſie nicht empfände. —

„Gott der Liebe, Gott der Liebe!

Te deum laudamus!“

Der weite Platz iſt dicht gedrängt

Vom Volk, das liebt ja Schaugepränge —

Was biſt du Menſch für ein Gewürm,

Daß du die reinſte Gabe,

Die dir je geboten,

Beſudelſt.

Gibt man dir den Himmel,

Gibt man dir das Glück —

Du zerrſt es nieder

In deiner Laſter Unverſtand;

So wie ein Thier, das nichts genießt,

Was nicht mit eig’nem Safte erſt zerſetzt. — —

„Gott der Liebe, Gott der Liebe!

Te deum laudamus!

Und lauter wird der heilige Geſang

Und dichter wirbelten die Weihrauchwolken

Und höher rannte die Flamme

Blutroth —

Ein letzter Blick —

Opferſang — Weihrauchduft —

„Gott der Liebe, Gott der Liebe!

Te deum laudamus!“

[122]Johannes Bohne.

Melpomene.


Originalbeitrag.


Der Beifall rauſcht durch das volle Haus,

Ein Hoch dem holden Juwele!

Du triebſt uns den lebenden Athem heraus

Aus der mitleidgefolterten Seele!

Du ſtrahlendes Kleinod hervor, nur hervor!

War das ein Kämpfen, ein Ringen!

Den Dank dir die Kränze, der jubelnde Chor,

Die jauchzenden Stimmen dir bringen.

Ganz waren ſie dein; es erblaßte und ſchwand

Aus den Mienen das tägliche Lügen,

Es ruhten ſo heilig die Augen gebannt

An deinen zerriſſenen Zügen.

Durch das athemlos ſtille Geſchlecht da ging

Ein leiſes, bebendes Stöhnen,

Als der Leib dir in zuckenden Schmerzen hing,

Die Stimme in flammenden Tönen.

Sie konnten nicht laſſen die Blicke davon

Auf dich in Todespein ſtarrend;

Da waren ſie dein, ein weicher Thon

Des belebenden Schöpferhauchs harrend.

Da ſtand’ſt du, und über dein Antlitz ſchlich

Der eherne Todesbote,

Geſenkt in den Wahnſinn des Schmerzes erblich

Es leiſe, das gluthendurchlohte. —

Der Vorhang fiel und mit Donnergebraus

In ſtrömendem Beifalls-Schreien,

In lärmendem Hoch ſie und wildem Applaus

Vom erdrückenden Joch ſich befreien.

Und wie das gewaltige Haus auch erbebt,

Sie zögert — nicht will ſie ſich zeigen,

Bis endlich der Vorhang ſich rauſchend erhebt,

Und athemlos lauſchendes Schweigen.

[123]Johannes Bohne.
Da ſteht ſie, ſeht, und rührt ſich nicht —

Aufeinander die Zähne gebiſſen,

Und es zuckt ſo mild durch ihr brennend Geſicht

Noch der Schmerz, der das Herz ihr zerriſſen —

Und es raunt ihr zu: ’s war blendender Schein,

Nicht Leben, du hatt’ſt es vergeſſen,

Was zogſt du auch von dem innerſten Sein

Den hüllenden Schleier vermeſſen.

Und es faßt ſie ein Ekel und wilder Gram

Und reißt ſie aus träumendem Wähnen —

So nackt — ſo bloß — o die glühende Scham —

Wo die lüſternen Blicke mich höhnen. —

So war’s in Traum von der hehren Macht

Der Kunſt — was iſt’s, daß ich’s hehle —

Ich habe verſchachert — jetzt bin ich erwacht —

Des Künſtlers lebendige Seele.

[[124]]

Karl Auguſt Hückinghaus.


Dem Gott der Schönheit.


„Deutſches Herz u. deutſcher Geiſt.“


Wenn über die ſchneeige Firne

Von Bergeshäuptern, ſteinalten Rieſen

Purpurn aufflammt das Frühroth —

Wenn nächtlicher Weile

Erglühen die Leuchten, die nimmer zu zählen,

Des unermeßlichen ewigen Weltalls —

Wenn durch das Waldthal gehen die Schauer

Des kommenden Morgens, des ſcheidenden Abends —

Dann bebt mir die Seele, ich ſpüre und fühle

Dich, o erhabener Gott der Schönheit.

Auf Tönen ſchwimmſt du,

Harmonie deine Rede,

Und aus den Geſtalten des Malers,

Den Gebilden des Bildners

Siehſt du mit großen,

Blitzenden Götteraugen

Tief in das Herz mir.

Dann wieder rührſt du die Seele

Und trägſt mich empor,

Hinauf zu den Sternen

Auf Schwingen des Liedes . . . . .

Dann wieder ſchauſt du

Aus ſchlankem Leibe

Mit roſigen Wangen

Und ringelnden Locken

[125]Karl Auguſt Hückinghaus.
Mich an, ſüßſchimmernden Auges,

Und triffſt mich mit deinem

Zuckenden Lichtſtrahl,

O Gott der Schönheit.

Wie mir ſo bewegſt du

Das Herz aller Menſchen

Seit dem Uranfang,

Jetzt und in Zukunft,

Und weckeſt die Sehnſucht

Zum Idealen,

Und führeſt die Menſchheit

Den Pfad zur Vollendung …

O Gott der Schönheit.

Geſicht.


Originalbeitrag.


Durch der Vergangenheit Gefild

Schwebte mein Geiſt,

Auf der Geſchichte Blättern

Weilte mein Auge,

Als mit dunkelem

Sternbeſäeten Fittig

Ueber die Erde

Hinzog die Mitternacht.

Auf meine Schläfe

Legte ſich’s plötzlich

Wie beſchwörende

Zauberhand,

Meine Augen erkannten

Nicht mehr die Lettern

Und dieſe dehnten ſich aus

Und wuchſen

Und waren zu faſſen

Und wurden zu Körpern . . . .

Und plötzlich

Stand ich auf einem

Unendlichen,

[126]Karl Auguſt Hückinghaus.
Großen Friedhof …

Von Horizont zu Horizont

Reichte die Reihe der Gräber,

Und auf ihnen ſtanden

Kreuze und Male,

Und dazwiſchen glühten

Lichter, als wäre

Der Tag aller Seelen.

Wie ich nun hinblickte

Sah ich, daß aus den Gräbern

Jedem wuchs eine Hand,

Eine anklagende Todtenhand,

Den Richter anflehend

Um Gerechtigkeit.

Und an den Kreuzen

Hingen blutige

Leichname

Mit ſchmerzverzerrten

Geſichtern

Und gebrochenen Augen

Und von den erblaßten,

Wehdurchzuckten Lippen

Tönte die Klage

Gegen Tyrannen

Und alle die Grauſamen,

Die ſeit der Welt Beginn

Die Menſchheit gepeinigt

Und gemartert,

Die nicht wußten,

Daß die Menſchen

Alle nur Brüder

Und die der Liebe vergaßen …

Die Leuchten aber

Waren Scheiterhaufen,

In denen

Verdammte ſtöhnten,

Und unter den

Steinernen Gräbermalen

Keuchten Schatten,

Als trügen ſie

[127]Karl Auguſt Hückinghaus.
Noch wie dereinſt

In grauſamem Frohndienſt

Die Felſenblöcke

Hin zum Baue

Der Pyramiden …

Schaudernd ſtand ich,

Da rief eine Stimme:

Die du hier ſiehſt,

Es ſind die Schatten

Der Armen und Elenden,

Der unſchuldig Verdammten.

Der Märtyrer,

Die Nero mordete,

Und die auf Philipps Weiſung

Des Feuers Rachen verſchlang.

Alle unſchuldig

Gequälten Seelen

Hier führen ſie Klage

Gegen ihre Peiniger.

Jeder Frevel

Iſt hier verzeichnet,

Den Menſchen begingen

Seit der Welt Beginn,

Auf daß die Armen

Gerächt würden

Und die Böſen gerichtet,

Auf daß die Schlechten

Seien auf ewig

Der Menſchheit zum Abſcheu,

Und ihr Name

Werde genannt nur

Mit einem Fluche …

Der Kirchhof, auf dem du ſtehſt —

Dieſer düſtere Vehmgrund:

Wiſſe, er iſt das Gericht

Der Geſchichte …

[128]Karl Auguſt Hückinghaus.

Sehnſucht.


Originalbeitrag.


Mich faßte der Sehnſucht Fieber,

Ich hebe mein Haupt vom Pfühl —

Es geht durch die ſtille Kammer

Der Sommernacht Odem ſchwül —

Mir iſt, als müßteſt du kommen,

Du, die mir die Seele genommen

Und die mir das Herz berauſcht,

Mich faßte der Sehnſucht Fieber,

Ich hebe mein Haupt vom Pfühl.

Ich ſtarre in’s tiefe Dunkel

Mit Augen, gluthentfacht,

Mir iſt es, als müßte mir wallen

Deiner Locken braundunkele Nacht

Um meine brennenden Wangen,

Als müßte mich weich umfangen

Dein lilienweißer Arm;

Mich faßte der Sehnſucht Fieber,

Ich ſtarre hinaus in die Nacht.

Ich breite nach Dir die Arme,

Als wollt’ ich Dich an mich zieh’n,

Mir iſt es, als ob ich müßte

Zu deinen Füßen knie’n,

Als müßteſt im Arm du mir liegen,

Und wonnig ſich an mich ſchmiegen

Dein liebes Mädchengeſicht.

Mich faßte der Sehnſucht Fieber,

Die Arme breit ich nach dir.

Da plötzlich erbebt meine Seele,

Mein Schrei durchzittert die Luft:

Und Weinende ſeh’ ich wallen,

Und öffnen ſich eine Gruft,

[129]Karl Auguſt Hückinghaus.
Seh ſenken ich darin nieder …

Wild preſſ’ ich die Stirn auf’s Pfühl!

Mich ſchüttelt der Sehnſucht Fieber

Nach dir, o Todte, nach dir.

Chriſtus-Prometheus.


Originalbeitrag.


Und wieder kam die erſte Oſternacht,

Und „Auferſtehen“ jauchzt es aller Landen,

Da führt ein Geiſt mich fort mit Zaubermacht:

Auf ſteilem Felſen liegt ein Menſch in Banden,

Allein, ſein einziger Genoſſe iſt

Ein Adler, der an ſeinem Herzen zehrt und frißt.

Am Felſen feſtgebannt durch ſtarken Stahl,

Sein Mark durchwühlen Schmerzen nimmergleiche,

So duldet er Jahrhunderte die Qual.

Da, wie ich ihm in’s Angeſicht, das bleiche,

Die leidenvollen, edlen Züge ſeh,

Erkenn’ ich ihn, den Dulder von Gethſemane.

Von ſeinem Munde macht ein Wort ſich frei:

Was klingt ihr, Glocken, in den Oſtertagen?

Nun lügt ihr frech, daß ich erſtanden ſei

Und habt auf’s Neue mich an’s Kreuz geſchlagen,

In meiner Kirche, an dem Weihaltar

Da predigſt du den Wahn, o Phariſäerſchaar.

Die heil’ge Gluth, die ich vom Himmel trug,

Die Lehre von dem göttlich-großen Lieben,

Gewandelt war ſie ſchnell in einen Fluch

Von Wortverfälſchern und von Wahrheitsdieben.

Zur Lüge ward verkehrt mein reines Wort,

Die heil’ge Gluth mißbraucht zu Brand und Mord.

9
[130]Karl Auguſt Hückinghaus.
Ein Adler nun an meinem Herzen zehrt,

Der Adler iſt der Menſchheit Wahn und Haſſen;

Kein Menſch, kein Gott, der dem Gewalt’gen wehrt,

Das Herz mir täglich zu erfaſſen.

Und ſo durchwühlt von Schmerz und Gram und Noth

Erleid’ ich täglich jammervollen Kreuzestod.

So duld’ ich bis die gold’ne Stunde kommt,

In der der Menſch erkennt das Wort, das hohe.

Nur Liebe, Liebe iſt es, die uns frommt!

Bis aller Orten glüht die heil’ge Lohe,

Dann flieht der Adler, meine Kette bricht,

Ich werde frei — es tagt auf Erden und wird Licht.

Memnous Lied.


Originalbeitrag.


Morgenſtunde — noch iſt Frieden

Rings im Thal der Pyramiden,

Feurig durch des Oſtens Thor,

Flammen malen ihre Strahlen

An den Rieſengräbermalen,

Steigt das Morgenroth empor.

Und nun ſetzt es ſeinem Sohne

Memnon eine güld’ne Krone

Auf das Fürſtenhaupt von Stein:

Durch des Götterſohnes Glieder

Geht ein Zittern, Klagelieder

Schallen ſchwermuthreich landein.

Mutter, tönt es von den kalten

Lippen des Jahrtauſendalten,

Iſt er noch nicht da der Gott,

Der der Dunkelmänner Kronen

Bricht und Schächer ſtürzt von Thronen

Und die Großen macht zum Spott?

[131]Karl Auguſt Hückinghaus.
Naht noch nicht der Wahrheitſender,

Kommt noch nicht der Segenſpender

Ormuzd auf der Lichtes Bahn,

Daß er in des Orkus Klüfte,

In des Weltalls fernſte Grüfte

Bannt den Todfeind Ahriman! —

Höher ſteigt der Sonne Wagen,

Und in Weinen, leiſes Klagen

Endet Memnons Morgenlied;

Und ſo wird es weiter tönen

Bis herauf am gold’nen ſchönen

Weltenmorgen Ormuzd zieht.

Lange lag die Welt im Wahne,

Keiner hielt empor die Fahne

Jenes Lichtgotts; nur allein

Meldete des Lichts Gefunkel

In der Weltnacht tiefem Dunkel

Memnons kalter Mund von Stein.

Felſenmeer.


Deutſche Romanzeitung.


Felſen reiht ſich an Felſen,

Und dem Auge des Menſchen

Erſcheint es, als ſeien es

Mächt’ge erſtarrte Wellen,

Als hätte des allmächtigen Bildners

Wuchtige Hand

Ein wogendes, brauſendes,

Schäumendes Meer

In Stein gehauen.

Und in dem Volke ſchreitet die Sage,

Daß hier dereinſt eine See gebrandet,

Eine durch Zauberers Spruch

Erſtarrte, in Stein verwandelte

Wilde, brauſende See …

9*
[132]Karl Auguſt Hückinghaus.
Ach! wo einſt das raſtloſe Leben

Der Fluthen gebrauſt und gebrandet

Wo ſie in neckendem, fröhlichem Spiel

Sich überſtürzten

Oder voll titaniſcher Wuth

Schäumten und rangen

Mit dem Geſtade in grauſem Kriege,

Geführt durch den Sturmgott —

Dehnet ſich heute ein ſteinernes,

Graues, lebloſes Abbild.

Träumend ſteh’ ich, ſinne und grüble,

Und wie ich ſinne, dünkt mich, ich höre

Den alten Mahnruf

Der Zeit, der Hünin,

Die ewig geht und dennoch bleibt,

Daß Alles vergänglich

Und Alles eitel.

Ja! auch an uns

Und unſer Fühlen

Und unſere Thaten

Mahnt nach einer winzigen Zahl

Winziger Jahre

Nur ſolch ein ſtarres

Farbloſes Abbild;

Und kalt und lieblos

Schreitet ein neues Geſchlecht

Ob unſerm Grabe,

Das nichts mehr weiß

Von unſerm Ringen

Und unſern Qualen.

Nur ein Gewaltiger noch,

Vielleicht ein Fürſt oder Weiſer,

Ragt aus dem Schutte

Vergangener Zeiten.

[133]Karl Auguſt Hückinghaus.

Maria.


Originalbeitrag.


Nach Monden ſtand ich wieder vor dem Hauſe,

Das einſt dich, ſüße Huldgeſtalt, umfing.

Wie war doch Alles anders wie vordem,

Tiefbange Stille herrſchte rings umher,

Die Bäume ſtanden ſchläfrig, müde da,

Der Springquell, der uns einſt das ſüße Lied,

Das Zauberlied von Glück und Liebe ſang,

Er rauſchte nicht; und ſtumm und traurig hockte

Gott Amor ſelbſt, der Schelm, auf ſeinem Stein.

Todt lag der Park, todt Haus und todt der Hof,

Denn ach die Seele, du, du warſt entfloh’n.

Lang’ lehnt ich an des Gartenthores Gitter

Und ſtarrte auf die Stätte meines todten,

Verlor’nen Glückes; auf die Erde glitten

Mir Hut und Stab; der Nachtwind flatterte

Mir durch das Haar und kühlte das vom Schmerze,

Von tiefem Weh durchzuckte, heiße Hirn.

Dann wand’ ich trauernd meinen Fuß und ging,

In Thränen dacht’ ich dein, entſchlafene

Maria . . . .

Sühne.


Originalbeitrag.


Liebe iſt Thorheit; viel hab’ ich erfahren,

Es giebt kein Weib, das minnend ich erſehne . . . .

Da kommſt du auf den Wangen Thrän’ um Thräne,

Ein reuig Weib zurück zu meinen Laren.

Du kehrſt zurück — ſo kam vor tauſend Jahren

Zu Menelaus wohl die reuige Helene —

Und ſinkeſt gleich der Büß’rin Magdalene

Zu Füßen mir mit losgelöſten Haaren.

[134]Karl Auguſt Hückinghaus.
O Weib ſteh’ auf, ſoviel du auch verſchuldet,

Soviel dies arme Hirn um dich geduldet,

Daß ich auf’s Neu’ dir ſüße Liebe künde,

Steh’ auf! Laß liebend dich auf’s Neu’ umfaſſen,

Vor deinem Blick zerſchmilzt mein Zorn, mein Haſſen,

Und deine Schönheit ſühnet deine Sünde.

Sonett.


Originalbeitrag.


In meine Kammer fällt nur trübes Licht —

Wie lang iſt’s her, daß ich des Glücks entbehrte —

Nur der Verſtand iſt mir im Leid Gefährte,

Der ewig grämliche und trübe Wicht.

Stets düſt’rer wards, es ſchwand das letzte Licht,

Als ſich von mir das ſapphirblaue, werthe

Huldauge meiner Jugendliebe kehrte …

Und dunkel blieb’s, tiefſchwarz, und tagte nicht …

Nur manchmal tritt in ſüßem Glorienſchein,

Ein wunderlieblich Weib zu mir

Ein guter Engel iſt es, gottgeſandt:

Dann weicht vom Blick das Bild der Schmerzmeduſe,

Leiſ’ legt auf’s Haupt ſich eine weiche Hand:

Dann herzt und küßt mich liebreich meine Muſe . .

Herbſtgefühl.


Originalbeitrag.


Ach! Das iſt der Herbſt! Es bläſt

Scharf und kalt der Wind von Norden,

Und der blaue Himmel iſt

Trüb und nebelgrau geworden.

[135]Karl Auguſt Hückinghaus.
Ihre nackten Arme hebt

Zu dem Himmel auf die Linde,

Die vor meinem Fenſter ſteht,

Und ſie ächzt und ſtöhnt im Winde.

Nicht mehr aus dem Gartenhag

Lichte Blumenaugen grüßen,

Mit den Blättern, welk und falb

Spielt der Wind zu Wand’rers Füßen.

Alle Lieder ſind verſtummt,

Selbſt mein Vöglein ſchweigt im Bauer;

Düſter über aller Welt

Schwebt der Genius der Trauer.

Trauer füllt auch mir die Bruſt,

Nun des Nordens Sturme blaſen,

Und ein Heimweh geht durchs Herz

Nach der Heimath unterm Raſen —

[[136]]

Arno Holz.


Oſterbitte.


Deutſche Weiſen.


Vom Thurme klangen die Oſterglocken

Ueber des Kirchhofs trauernde Gruft,

Und gleich verwehten Blüthenflocken

Verſchwamm ihr Klang in der Morgenluft.

Mich aber riefen ſie in die Weite

Und ließen mich nicht im dumpfen Haus,

Und unter der Oſterlieder Geleite

Zog ich die Straßen zum Thore hinaus.

Weit hinter mir im Morgendämmer

Sich das Gemäuer der Stadt verlor,

Und ſelbſt das Pochen der Eiſenhämmer

Traf nur gedämpft noch an mein Ohr.

Doch dehnte ſich immer weiter und weiter

Vor meinen Blicken der ſonnige Gau,

Und jauchzend auf tönender Himmelsleiter

Schwang ſich die Lerche ins Aetherblau.

Da ſtand ich denn nun am Waldesrande

Mit meinen Gedanken ſo ganz allein

Und ſah tief unter mir die Lande

Liegen im flimmernden Sonnenſchein.

Und als dann den letzten Zweifel zu rauben,

Ein Schäfer noch blies auf ſeiner Schalmei,

Da wollte ich es ſelbſt nicht glauben,

Daß Tod die Löſung des Räthſels ſei.

[137]Arno Holz.
Da ſchien mir alles verweht und vergangen,

Was ich betrauerte winterlang;

Und alle Saiten des Herzens klangen

Zuſammen im Auferſtehungsgeſang.

O, ſolche Seelenklänge dringen

Weit höher noch in die Himmel empor,

Als je auf ſeinen Flatterſchwingen

Ein Vogel ſich in der Luft verlor!

Ja, Feſt der Oſtern, nun warſt du gezogen

Auch endlich in dieſe verödete Bruſt;

Und dies Herz, das ſo oft ſchon das Leben betrogen,

Erzitterte wieder von ſüßer Luſt

Und ſchlägt nun der hohen Feier entgegen,

Die über die Erde zu gießen verheißt

Den herlichſten aller himmliſchen Segen,

Den welterlöſenden, heiligen Geiſt.

Der heilige Geiſt iſt die ewige Liebe,

Die Gott in die Herzen der Menſchen geſenkt,

Und die mit jedem Oſtertriebe

Von neuem ſich zum Lichte drängt.

Sie ſchwebt herab vom Himmelsſaale

Zu Jedem, der an ſie noch glaubt —

O neige, neige die goldene Schaale

Auch hier auf dieſes Beterhaupt!

Frühling.
(Frühling 1884.)


Originalbeitrag.


I.


Wohl haben ſie dich alle ſchon beſungen

Und ſingen dich noch immer an, o Lenz,

Doch da dein Zauber nun auch mich bezwungen,

Meld ich mich auch zur großen Concurrenz.

Doch fürcht ich faſt, ich bin dir zu proſaiſch,

Aus meinen Verſen ſprüht kein Fünkchen Geiſt;

Und denk ich gar an deinen Dichter Kleiſt,

Klingt meine Sprache mir faſt wie Havaiſch.

[138]Arno Holz.
Kein Veilchenduft verſetzt mich in Extaſe,

Denn ach, ich bin ein Epigone nur;

Nie trank ich Wein aus einem Waſſerglaſe

Und nüchtern bin ich bis zur Unnatur.

Der Tonfall meiner lyriſchen Collegen

Iſt mir ein unverſtandner Dialect,

Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt

Und meine Muſe wallt auf andern Wegen.

Ins Waldverſteck verirrt ſie ſich nur ſelten,

Die blaue Blume iſt ihr längſt verblüht;

Doch zieht die Ahnung neugeborner Welten

Ihr ſüßer als ein Mährchen durchs Gemüth.

Zur Armuth tritt ſie hin und zählt die Groſchen,

Ihr rothes Banner pflanzt ſie in den Streit,

An ihr Herz ſchlägt das große Herz der Zeit

Und aller Weltſchmerz ſcheint ihr abgedroſchen.

Doch heute ſingt ſie, was ihr längſt verboten,

Mir ſcheint, dein Lächeln hat ſie mir behext,

Und unter deine altbekannten Noten

Schreibt ſie begeiſtert einen neuen Text.

Die Flur ergrünt und bläulich blüht der Flieder,

Ich aber leire meine Lenzmuſik,

Und lachend ſchon vernehm ich die Kritik:

Das denkt und ſingt ja wie ein Seifenſieder!

II.


Schon blökt ins Feld die erſte Hammelheerde,

Der Hof hielt ſeine letzte Soiree,

Und grasgrün überdeckt die alte Erde

Coquett ihr weißes Winternegligee.

Der Wald rauſcht wieder ſeine Lenzgeſchichten

Und mir im Schädel raſſelt kreuz und quer

Ein ganzer Rattenkönig von Gedichten,

Ein Reim- und Rhythmenungethüm umher.

[139]Arno Holz.
Wie Gold in meine ärmliche Manſarde

Durchs offne Fenſter fällt der Sonnenſchein,

Und graubefrackt lärmt eine Spatzengarde:

Ich ſchnitt es gern in alle Rinden ein!

Die Luft weht lau und eine Linde ſpreitet

Grün übers Dach ihr junges Laubpanier

Und vor mir auf dem Tiſch liegt ausgebreitet

Fein ſäuberlich ein Bogen Schreibpapier.

O lang iſt’s her, daß mir’s im Hirne blitzte!

Im Winterſchnee erfror die Phantaſie;

Erſt heute war’s, daß ich den Bleiſtift ſpitzte,

Erſt heut in dieſer Frühlingsſcenerie.

Weh, mein Talent verſickert ſchon im Sande,

Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich ſatt,

Drum, da ich ihn noch nie ſah auf dem Lande,

Beſing’ ich nun den Frühling in der Stadt.

Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachſen

Und kein Naturkind gab mir das Geleit,

Ich ſeh die Welt ſich drehn um ihre Achſen

Als Kind der Großſtadt und der neuen Zeit.

Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Eſſen,

War’s oft mein Herz, das lautauf ſchlug und ſchrie,

Und dennoch, dennoch hab ich nie vergeſſen

Das goldne Wort: Auch dies iſt Poeſie!

O wie ſo anders, als die Herren ſingen,

Stellt ſich der Lenz hier in der Großſtadt ein!

Er weiß ſich auch noch anders zu verdingen,

Als nur als Vogelſang und Vollmondſchein.

Er heult als Südwind um die morſchen Dächer

Und wimmert wie ein kranker Komödiant,

Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer

Durch Wolken lächelnd auseinanderſpannt.

Und Frühling! Frühling! ſchallt’s aus allen Kehlen,

Der Bettler hört’s und weint des Nachts am Quai;

Ein ſüßer Schauer rinnt durch alle Seelen

Und durch die Straßen der geſchmolzne Schnee.

[140]Arno Holz.
Die Damen tragen wieder lange Schleppen,

Zum Schneider eilt nun, wer ſich’s leiſten kann;

Die Kinder ſpielen lärmend auf den Treppen

Und auf den Höfen ſingt der Leiermann.

Schon legt der Bäcker ſich auf Oſterkringel

Und ſeine Fenſter putzt der Photograph,

Der blaue Milchmann mit der gelben Klingel

Stört uns tagtäglich nun den Morgenſchlaf.

Mit Kupfern illuſtrirt die Frauenzeitung

Die neuſten Frühjahrsmoden aus Paris,

Ihr Feuilleton bringt zur Geſchmacksverbreitung

Den neuſten Schundroman von Dumas fils.

Es tritt der Strohhut und der Sonnenknicker

Nun wieder in ſein angeſtammtes Recht

Und coquettirend mit dem Naſenzwicker

Durchſtreift den Park der Promenadenhecht.

Das iſt ſo recht die Schmachtzeit für Blondinen

Und ach, ſo mancher wird das Herzlein ſchwer;

Ein Duft von Veilchen und von Apfelſinen

Schwingt wie im Traum ſich übers Häuſermeer.

Am Arm das Körbchen mit den weißen Glöckchen,

Das blonde Haar zerweht vom Frühlingswind,

Lehnt bleich und zitternd im verſchoſſnen Röckchen

Am Prunkpalaſt das Proletarierkind.

Geſchminkte Dämchen und gezierte Stutzer,

Doch Niemand, der ihm ſchenkt ein freundlich Wort;

Und naht ſich Abends der Laternenputzer,

Dann ſchleicht es weinend ſich ins Dunkel fort!

Verfolgt vom blutgen Schwarm der Manichäer,

Um irrt nun Bruder Studio wie gehetzt,

Bis er ſich endlich rettet zum Hebräer

Und ſeinen Winterpaletot verſetzt.

Der Hypochonder ſinnt auf Frühjahrskuren

Und wettert auf die Stickluft der Salons,

Der Italiano formt ſich Gypsfiguren

Und zieht vors Thor mit ſeinen Luftballons.

[141]Arno Holz.
Nun geht die Welt kopfüber und kopfunter,

Auf Sommerwohnung zieht ſchon der Rentier,

Die Anſchlagſäulen werden immer bunter

Und nächtlich wimmert oft das Portemonnaie.

Der Schornſteinfeger klettert auf die Leiter

Und grinſt uns an als Vogelperſpecteur,

Vor Klingeln kommt die Pferdebahn nicht weiter

Und Alles brüllt: „He, ſchneller, Conducteur!“

Das Militair wirft ſich in Drillichhoſen

Und übt ſich ſchwitzend im Paradeſchritt,

Als ging’s kopfüber gegen die Franzoſen,

Und krampfhaft ſchleppt es die Torniſter mit.

Und blitzt der Exercierplatz dann exotiſch

Wie ein gemaltes Farbenmoſaik,

Dann wird die Schuſterjugend patriotiſch

Und lautauf ſpielt die Regimentsmuſik.

Schon dampft der Kaffee hie und da im Garten,

Der Schooßhund bellt, es kreiſcht der Papagei,

Papa ſtudirt die kolorirten Karten

Von Zoppot, Heringsdorf und Norderney.

In den geſchloſſenen Theatern trauern

Die weichen Polſterſitze des Parquets

Und rothe Zettel predgen an den Mauern

Die goldne Aera der Retourbilletts.

An eine Spritztour denkt manch armer Schlucker,

Doch dreht ſie leider ſich ums Wörtchen „wenn“,

Am gelben Gurt den ſchwarzeen Opernkucker

Stelzt durchs Muſeum nun der Ingliſhman.

Die Provinzialen aber ſchneiden Fratzen

Dank ihrer anerzognen Prüderie,

Und unbemerkt nur ſchleichen ſie wie Katzen

Um unſre liebe Frau von Medici.

Doch drauß vorm Stadtthor rauſcht es in den Bäumen,

Dort tummelt ſich die faſhionable Welt,

Und junge Dichter wandeln dort und träumen

Von ewgem Ruhm, Unſterblichkeit — und Geld.

[142]Arno Holz.
Rings um die wiederweißen Marmormäler

Spielt laut ein Kinderſchwarm nun Blindekuh,

Und heimlich giebt der Backfiſch dem Pennäler

Am Goldfiſchteich das erſte Rendezvous.

Und macht die Nacht dann ihre ſtille Runde

Und blitzt es licht durchs dunkle Firmament,

Dann iſt’s dieſelbe Lenznacht, die zur Stunde

Sich lagert um den Buſen von Sorrent.

Dann iſt’s derſelbe Mond, der rings das Pflaſter

Weich überdeckt mit ſeinem goldnen Vließ,

Den vor Jahrtauſenden ſchon Zoroaſter

Als ewgen Herold aller Lenze pries. —

O Frühling! Frühling, dem die Welt entlodert,

Du führſt im Schild ein Röslein ohne Dorn!

Daß uns das Herz nicht ganz vermorſcht und modert,

Stößt du noch immer in dein Wunderhorn.

Noch immer läßt du deine Nachtigallen

Ins Frühroth ſchlagen, wie zur Zeit Homers,

Und hebſt empor die Engel, die gefallen,

Die kranken Söhne Fauſts und Ahasvers.

Ob du vor Zeiten einſt als junge Sonne

Glorreich emporſtiegſt über Salamis,

Indeß Diogenes in ſeiner Tonne

Sich philoſophiſch in die Nägel biß;

Und ob dir heute noch im fernſten Norden

Ein Opfer bringt der fromme Eskimo,

Wie weiland an des Südmeers blauen Borden

Der alte Mythenkönig Pharao:

Du biſt und bleibſt der einzig wahre Heiland,

Dein ſchöner Wahlſpruch jauchzt: „Empor! Empor!“

Was ſoll uns noch ein waldumrauſchtes Eiland?

Du wandelſt um den Stadtwall auch durchs Thor!

Du biſt nicht ſcheu wie deine Waldgeſpenſter,

Du ſetzt auch in die Großſtadt deinen Fuß

Und wehſt tagtäglich durch das offne Fenſter

Mir in das Stübchen deinen Morgengruß.

[143]Arno Holz.
Und jetzt, wo ſchon der Abend ſeine Lichter

Rothgolden über alle Dächer ſtrahlt,

Krönſt du mich lächelnd nun zu deinem Dichter

Und haſt mir rhythmiſch das Papier bemalt.

Ich aber gebe dieſes Blatt den Winden,

Die Fangball ſpielen um den Kirchthurmknauf.

Und wenn’s noch heut die Straßenkehrer finden,

Was kümmert’s mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf!

Doch fällſt du einem ſchönen Kind zu Füßen,

Das dich erröthend in den Buſen ſteckt,

Dann ſprich zu ihm: „Der Frühling läßt Dich grüßen!“

Bis ſie mit Küſſen das Papier bedeckt.

Doch haſcht ein Graukopf dich auf deinen Bahnen,

So ein vergilbter Langohr-Recenſent,

Dann ſprich zu ihm: „Reſpect vor meinen Ahnen!

Mein Urtext ſteht im Sanskrit und im Zend!“

Samſtagsidyll.
1884.


Original-Beitrag.


Es war ein Tag, wie’s ihrer viele giebt,

Wenn falb der Sommer in den Herbſt zerſtiebt;

Verſtummt ſchon ſchien der Vögel buntes Völkchen

Und grau am Himmel ſtanden kleine Wölkchen.

Nur ab und zu ſchwamm’s fernher durch die Luft

Noch weich wie ein verirrter Roſenduft

Und wie ein Lenzlockruf, nur herbſtlich ſtiller,

Klang hie und da ein ſpäter Vogeltriller.

Auf lauen Windes Flügeln kam’s und ſchwand

Und reichte wiederkehrend ſich die Hand,

Wie wenn zwei Herzen durch ein letztes Grüßen

Sich noch des Scheidens bittres Weh verſüßen.

Doch alſo war’s nur draußen fern im Hag,

Durch die Fabrikſtadt ſchlich der Werkeltag.

[144]Arno Holz.
Das ſchwarzberußte Schurzfell um die Lenden,

War er bemüht, die Woche zu beenden;

Er ließ das Eiſen wie ein Licht erglühn

Und mehr als hundert Eſſen Funken ſprühn,

Und, unbekümmert um den eignen Jammer,

Schwang er den centnerſchweren Schmiedehammer.

Hier war’s ein Schienenwagen, dort ein Schiff,

Der Schornſtein rauchte und der Dampfhahn pfiff,

Die Räder rollten ewig um im Kreiſe

Und alles drehte ſich im alten Gleiſe.

Nur Du und ich, wir beide waren frei

Und wußten nichts von Werktagsſclaverei;

Wir jauchzten auf, die Noth in uns begrabend,

Und machten ſchon Nachmittags Feierabend.

Denn hatte jeder nicht mit Luſt und Kraft

Die Woche über pflichtgetreu geſchafft?

Die Nähmaſchine hatteſt Du getrieben

Und ich gedacht, gedichtet und geſchrieben.

Doch nun war ich „des trocknen Tones ſatt“

Und ſchrieb energiſch: Punkt! aufs letzte Blatt

Und ſtieg dann flink, mir ſelber zur Belohnung,

In Deine zierliche Manſardenwohnung.

Ich klopfte an — ein neckiſches: Herein!

Und durch das Fenſter brach der Sonnenſchein.

Ein Lichtmeer war’s, drin Welle ſchwamm auf Welle,

Ich aber ſtand geblendet auf der Schwelle.

O immer, trat ich in Dein trautes Heim,

Schrieb’s mir ins Herz ſich wie ein neuer Reim;

Doch war’s mit ſeinen farbigen Gardinen

So hell und freundlich mir noch nie erſchienen.

Zum Schmaus gedeckt ſtand ſchon Dein kleiner Tiſch,

Grau hinterm Spiegel ſtack ein Flederwiſch,

Doch unbekümmert um die neuſte Mode

[145]Arno Holz.
Stand dicht dabei die ältliche Kommode

Und unter einem Kreuz von Elfenbein

Das Bild von Deinem todten Mütterlein.

Wie tief im Traum ſah lächelnd es hernieder

Auf ein zerleſ’nes Buch: „das Buch der Lieder“!

Vom Blumenbrett, das ſich ums Fenſter bog,

Um alles das ein ſüßes Duften flog.

Und dorther glänzten auch die beiden Schilder,

Verzeih! ich meine Deine Landſchaftsbilder!

Denn Du haſt recht: die reine Phantaſie

Und farbenſchillernd wie ein Kolibri!

Rechts hing der Watzmann, links der Gamsgarkogel

Und zwiſchen beiden ein Kanarienvogel.

Du ſelber aber, häubchenüberdeckt,

Ein weißes Schürzchen vor die Bruſt geſteckt,

Du ſchobſt nun grad mit hausfraulicher Miene

Den Spiritus in Deine Kochmaſchine.

Ein kurzer Aufblick dann, ein leiſer Schrei,

Und eins und eins, wie immer, waren zwei!

Drauf, wie ich mich ſchon oft ließ unterjochen,

Sollt ich auch heute mit Dir Kaffee kochen.

Ich lärmte; doch was half mir mein Proteſt?

Ein kußerſticktes Lachen war der Reſt!

Und als ein vielgewandter junger Dichter

Hielt ich galant Dir nun den Kaffeetrichter.

Natürlich ging das „noch einmal ſo gut“,

— Sieh hier das Lied: „Was man aus Liebe thut!“

Wir ſchmeckten, wechſelnd prüfend, mit den Zungen

Und endlich war der große Wurf gelungen.

Zwar war das Tiſchzeug nur von grobem Zwilch,

Doch fehlte weder Zucker drauf noch Milch,

Und dampfend füllten nun die braunen Maſſen

Die goldumränderten Geburstagstaſſen.

Des Tränkleins Wirkung aber kommt und geht,

Bis ſich das Zünglein wie ein Mühlrad dreht:

Was Stift und Tinte, Häkelzeug und Maſchen!

Wir waren heut zwei rechte Plaudertaſchen!

10
[146]Arno Holz.
Du ſchwärmteſt von dem neuſten Ausverkauf

Ich aber ſchlug ein kleines Büchlein auf

Und las Dir Lieder vor von Schack und Kellen

Und überſah auch nicht den Kuchenteller.

So ſaßen wir — zwei große Kinder — da,

Bis roth der Abend durch die Scheiben ſah,

Und tappten dann hinab die dunklen Stiegen,

Um noch ein Stündlein vor das Thor zu fliegen.

Dort, wo das Waſſer ſich am Stadtwall bricht,

Lag bunt der Park im letzten Abendlicht

Und ließ die Wipfel ſich mit Purpur tränken

Und Kinder ſpielten auf den Raſenbänken.

Vom nahen Thorthurm kam das Spätgeläut,

Mir ſchien’s, es klang noch nie ſo ſchön wie heut;

Wir lugten lauſchend durch die Laubverhänge

Und ſchritten flüſternd durch die Buchengänge,

Zu Füßen knirſchte uns der gelbe Kies

Und alles ſchien uns, wie im Paradies.

Doch als die Glocken dann gemach verklangen,

Kam leiſen Schritts die Dämmrung angegangen.

Da hieltſt Du ſtill und hauchteſt mir ins Ohr:

„O, weißt Du noch, dort drüben vor dem Thor?“

Ob ich es weiß! Wie Lenz will’s mich umwehen;

Dort war’s ja, wo wir uns zuerſt geſehen!

Und hier, wo waldverſteckt das Waſſer rauſcht,

Hier haben wir den erſten Kuß getauſcht!

O Maitag, Sonnenſchein und Blüthenregnen,

Noch heut muß ich euch tauſendfältig ſegnen!

Es war doch eine ſchöne, ſchöne Zeit,

Und denk ich dran, ſo wird das Herz mir weit!

Man fühlt’s, auch ohne daß man’s gleich bedichtet:

Der liebe Gott hat’s doch gut eingerichtet.

Doch ſtill! Was braucht’s ſchon der Erinnerung?

Wir ſind ja beide noch ſo jung, ſo jung!

Es lacht das Glück aus Deinem rothem Munde:

„Uns winkt ja noch ſo manche goldne Stunde!“

[147]Arno Holz.
„Gewiß! fielſt Du hier lächelnd ein, und wie?

Zum Beiſpiel morgen eine Landpartie!

Erinnerſt Du dich noch, wie Du vor Wochen

Mir einen Ausflug ins Gebirg verſprochen?

Mein Onkel dort, der Wirth zum weißen Schwan,

Wohnt ja ganz nahe an der Eiſenbahn!

Ich weiß, er freut ſich, wenn wir ihn beſuchen,

Und Tantchen gar backt einen Extrakuchen!

Und dann — o Gott — die wunderſchöne Luft,

Wald, Wieſe, Sonnenſchein und Kräuterduft,

Und über ſich nichts, nichts als Himmelsbläue —

Nein, nein! Du weißt nicht, wie ich mich ſchon freue!“

Da ſprach ich: „Topp, Du kleiner Niegenug!

Wir fahren morgen mit dem erſten Zug.

Als Muſikant mach ich eins gern mal Pauſe . . . .

Doch es wird kühl hier, komm, wir gehn nach Hauſe!“

Und wieder thorwärts wandten wir uns um

Und wurden ſtill und wußten nicht, warum.

Im Fluß das Waſſer rann nur noch von ferne

Und durch das Laubdach blitzten ſchon die Sterne.

Ein feuchter Nachtwind durch die Wipfel ſtrich,

Du aber ſchmiegteſt feſter Dich an mich,

Und wie das Schlußwort einer ſchönen Dichtung,

That ſich nun wieder vor uns auf die Lichtung.

Dort hub die Stadt ſich ſchwarz und ungewiß

Vom Horizont ab wie ein Schattenriß,

Nur hie und da warf fernher aus dem Dunkel

Ein Fenſter noch ſein rothes Lichtgefunkel.

Es war ſo ſchön, ſo wunderſchön zu ſehn,

Und ſchweigend blieben wir zuſammen ſtehn,

Denn nun trat auch der Mond aus ſeinen Hallen

Und ließ ſein Silber auf die Dächer fallen

Und drüben von der Vorſtadt her erklang

Noch windverweht ein frommer Nachtgeſang.

10*
[148]Arno Holz.
Du ſahſt mich an und wußteſt nichts zu ſagen,

Doch fühlt ich Dein Herz warm an mein Herz ſchlagen

Und ſprach zu Dir und war bewegt, wie nie:

„Nun weißt auch Du, mein Herz, was Poeſie!

Sie ſpeiſt die Armen und ſie ſtärkt die Schwachen,

Sie kann die Erde uns zum Himmel machen,

Sie koſt im Zephyr und ſie harft im Föhn:

Nicht wahr, mein Herz, das Leben iſt doch ſchön?“

Berliner Schnitzel.
1884.


Original-Beitrag.


1.


Kein rückwärts ſchauender Prophet,

Geblendet durch unfaßliche Idole,

Modern ſei der Poet,

Modern vom Scheitel bis zur Sohle.

2.


Verruchtes Epigonenthum,

Egypter- und Teutonenthum,

Daß dich der Teufel brate!

Schon längſt ſind wir fascikelſatt,

Grinſt doch durch jedes Titelblatt

Das Dante’ſche „Lasciate“!

3.


Ihr armen Dichter, die ihr „Philomele“,

In jedem Lenze rythmiſch angeſchwärmt,

O wenn ihr wüßtet, wie ſich meine Seele

Um ihre gottverlaſſnen Schweſtern härmt!

[149]Arno Holz.
Dreht ihr auch noch ſo ernſthaft eure Phraſe,

Der Teufel ſetzt ſie luſtig in Muſik,

Denn eine ungeheuer lange Naſe

Hat ſeine Großmama, die Frau Kritik.

4.


Nicht wahr, Du biſt ein großes Thier?

So ſprich, was iſt zum Dichten nütze?

Eine Perryfeder, ein Stück Papier,

Ein Tintenfaß und — ein Schädel voll Grütze!

5.


Ihr ſchwatzt befrackt hoch vom Katheder

Von alter und von neuer Kunſt,

Von Fleiſchgenuß und Sinnenbrunſt,

Und gerbt nur Leder, altes Leder.

Ihr laßt um jede Attitüde

Ein weißgewaſchnes Hemdchen wehn;

Denn um die Schönheit nackt zu ſehn,

Sind eure Seelen viel zu prüde.

6.


Ja, unſre Zeit iſt eine Dirne,

Die ſich als „Miſtreß“ producirt,

Mit Simpelfranzen vor der Stirne

Und ſchauderhaft decolletirt.

Sie raubt uns alle Illuſionen,

Sie turnt Trapez und paukt Klavier —

Und macht aus Fenſterglas Kanonen

Und Kronjuwelen aus Papier!

7.


Urewig iſt des großen Welterhalters Güte,

Urewig wechſelt Herbſtblattfall und Frühlingsblüthe,

Urewig rollt der Klangſtrom lyriſcher Gedichte:

Ein jedes Herz hat ſeine eigne Weltgeſchichte.

[150]Arno Holz.

8.


Ich bin ein Dichter und kein Papagei

Und lieb es drum, in unſre Zeit zu ſchauen;

Und doch mißfällt an ihr mir dreierlei,

Und dieſes Factum kann ich nicht verdauen.

Die junge Dame weint ſich nicht mehr „blind“,

Die jungen Herrn ſind meiſtens eitle Schöpſe,

Und — „last not least“ — die echten Thränen ſind

Noch ſeltner heute als die echten Möpſe.

9.


Die Simpeldichter hör ich ewig flennen,

Sie tuten alle in daſſelbe Horn

Und nie packt ſie der dreimal heil’ge Zorn,

Weil ſie das Elend nur aus Büchern kennen.

Ein Tagebuchblatt.
1885.


Original-Beitrag.


Wie lang iſt’s her? Erſt ſieben Jahre!

Und doch klingt’s ſchon: „Es war einmal!“

Der Wiege näher als der Bahre,

Ging ich tagtäglich ins Pennal.

Ich war ein träumeriſcher Junge,

Las Cicero und Wilhelm Hauff

Und trug das Herz auf meiner Zunge

Und ſpießte Schmetterlinge auf.

[151]Arno Holz.
Auch lief ich, Katzengold zu ſuchen,

Oft tagelang im Wald umher

Und ſchwärmte unter hohen Buchen

Von einſtger Nimmerwiederkehr.

Betäubend dufteten die Kreſſen,

Grüngolden floß das Licht herein —

Es war ein ſeeliges Vergeſſen,

Vergeſſen und Vergeſſenſein.

Der Lenzwind ließ die Aeſte knarren,

Vom Dorf herüber klang die Uhr,

Ich lag begraben unter Farren

Und ſtammelte: „Natur! Natur!

In alten Büchern ſteht geſchrieben,

Du biſt ein Weib, ein ſchönes Weib;

Ich bin ein Menſch und muß Dich lieben,

Denn dieſe Erde iſt Dein Leib!

Weh jenem bleichen Nazarener!

Er ſtieß Dich kalt von Deinem Thron!

Ich aber bin ſo gut wie Jener

Der Gottheit eingeborner Sohn!

Ich will nicht mönchiſch Dich zergeißeln —

Her, Deinen Freudenthränenwein?

Ich will Dein Bild in Feuer meißeln

Und Vollmenſch wie ein Grieche ſein!

Doch Du, um die in ew’gem Schwunge

Die Welt ſich dreht, o Poeſie,

O lege Gold auf meine Zunge

Und in mein Herz gieß Melodie!

In ew’ge Lieder laß mich weben,

Wie Du das Herz mir ſüß erhellt,

Und wie ſo köſtlich doch dies Leben

Und wie ſo wunderſchön die Welt!

[152]Arno Holz.
Noch gährt’s von Blinden und von Tauben

Und mehr als ein Herz ward zum Stein,

Ich aber lehre ſie wieder glauben,

Ich will der neue Johannes ſein!

In Deine Wunder will ich wiegen

Die Sehnſucht ihres kranken Seins,

In Deine Arme will ich ſie ſchmiegen,

Denn ich, Du, ſie … o wir alle ſind Eins!“

So lag ich träumend einſt im Walde,

Wenn tiefblau rings der Himmel hing,

Bis draußen hinter grüner Halde

Die Sonne blutroth unterging.

Dann ſchritt ich heimwärts, und mit Singen

Begrüß’ ich meines Vaters Haus

Und ſchaute, wenn die Sterne gingen,

Noch lange in die Nacht hinaus.

Und jetzt? — Die heimathlichen Thäler,

Die ſeine Jugend grün umrauſcht,

Hat längſt der lyriſche Pennäler

Für eine Weltſtadt eingetauſcht.

Er ſieht mit Schauder, wie das Laſter

Sich dort juwelenfunkelnd bläht,

Das Elend aber tritt das Pflaſter

Von morgens früh bis abends ſpät!

Er hört, wie nachts in den Fabriken

Der Proletar nach Freiheit ſchreit,

Indeß ein Volk von Domeſtiken

Dem nackten Recht ins Antlitz ſpeit!

Er fühlt wie wilde, wilde Flammen

Ihm heiß und roth das Hirn durchlohn,

Und beißt die Zähne feſt zuſammen

Und murmelt Hohn, Hohn, dreimal Hohn!

[153]Arno Holz.
Er ſieht, er hört, er fühlt den Jammer

Und wandelt tags von Haus zu Haus

Und grollt dann nachts in ſeiner Kammer

Sein Herz in wilde Lieder aus.

Er hat es längſt, ſchon längſt vergeſſen,

Wie wohl im Lenz die Sonne thut,

Und wie’s im Wald, umblüht von Kreſſen,

Sich einſt ſo ſchön, ſo ſchön geruht!

Nur manchmal, manchmal noch durchziehen

Sein Herz, das nach Erlöſung ſchreit,

Die grünen Waldhornmelodieen

Der längſt verrauſchten Kinderzeit.

Dann ſtöhnt er auf, und ſeine Hände

Preßt er verzweifelt vors Geſicht

Und rings die weißgetünchten Wände

Erzittern, wenn er ſchluchzend ſpricht:

„O Poeſie, Du Heiligſchöne,

Von Thränen iſt mein Herz durchnäßt,

Weil Du den treuſten Deiner Söhne

In Nacht und Noth verkümmern läßt!

Ich war ein Kind und ſprach: „„O ſchütte

Dein Füllhorn golden in mein Lied

Und laß mich knien in einer Hütte,

Auf die der Stern der Liebe ſieht.

Ja, laß auf einem weißen Zelter

Mich fliegen in den Sonnenſchein,

Laß aus des Lebens Freudenkelter

Mein Herzblut ſprühn als Liederwein!““

Du ſchwebteſt ſegnend durch die Lüfte,

Ich hab Dir ſelig nachgeblickt,

Und Lenzgoldlicht und Blüthendüfte

Haſt Du mir lächelnd zugenickt.

[154]Arno Holz.
Und doch, und doch! Du haſt gelogen!

Dein Lächeln war ein ſchönes Gift!

Du haſt mich um mich ſelbſt betrogen!

Dein Herz iſt ſchwarz wie Deine Schrift!

Du gabſt mir einen wilden Rappen,

Umſchnürteſt meine Bruſt mit Erz

Und unter Thränen in mein Wappen

Haſt Du geſtickt ein blutend Herz!“

Ein Bild.
1884.


Originalbeitrag.


Aus Sandſtein iſt das gelbliche Portal,

Die rothen Säulen aus Granit gehauen,

Und ſeitwärts in ein weißes Piedeſtal

Vergräbt ein Löwe ſeine Marmorklauen.

Doch ſchwarz verhängt ſind alle Fenſter heut

Und Lichter brennen nur im Erdgeſchoſſe,

Der Straßendamm iſt hoch mit Stroh beſtreut

Und lautlos drüberhin rollt die Karoſſe.

Das Treppenhaus vertheidigt der Portier

Und ſchüttelt grimmig ſeine graue Mähne,

Und naht gar einer aus der haute volée,

Dann fletſcht er cerberusgleich ſeine Zähne.

Im Prunkſaal trauern hinter Flor und Tafft

Die bunten Inderſtoffe aus Lahore,

Auch ſchleicht die goldbetreßte Dienerſchaft

Nur auf Spitzzehen durch die Corridore.

[155]Arno Holz.
Der hochgeborne Hausherr, Excellenz,

Schwankt wie ein Rohr umher auf bleicher Düne,

Die erſte Redekraft des Parlaments

Fehlt heute abermals auf der Tribüne.

Zwar trat man geſtern erſt in den Etat,

Doch hat ſein Fehlen diesmal gute Gründe:

Schon viermal war der greiſe Hausarzt da

Und meinte, daß es ſehr bedenklich ſtünde.

Nach Eis und Himbeer wird gar oft geſchellt,

Doch mäuschenſtill iſt es im Krankenzimmer

Und ſeine düſtre Teppichpracht erhellt

Nur einer Ampel röthliches Geflimmer.

Weit offen ſteht die Thür zum Veſtibul

Und wie im Traum nur plätſchert die Fontaine,

Die Luft umher iſt wie gewitterſchwül,

Denn ach, die „gnä’ge Fraa“ hat heut — Migräne!

Ein Andres.
1884.


Originalbeitrag.


Fünf wurmzernagte Stiegen geht’s hinauf

Ins letzte Stockwerk einer Miethskaſerne;

Hier hält der Nordwind ſich am liebſten auf,

Und durch das Dachwerk ſchaun des Himmels Sterne.

Was ſie erſpähn, o, es iſt grad genug,

Um mit dem Elend brüderlich zu weinen:

Ein Stückchen Schwarzbrod und ein Waſſerkrug,

Ein Werktiſch und ein Schemel mit drei Beinen!

[156]Arno Holz.
Das Fenſter iſt vernagelt durch ein Brett,

Und doch durchpfeift der Wind es hin und wieder,

Und dort auf jenem ſtrohgeſtopften Bett

Liegt fieberkrank ein junges Weib darnieder.

Drei kleine Kinder ſtehn um ſie herum,

Die ſtieren Blicks an ihren Zügen hangen;

Vor vielem Weinen ward ihr Mündlein ſtumm

Und keine Thräne mehr netzt ihre Wangen.

Ein Stümpfchen Talglicht giebt nur trüben Schein,

Doch horch, es klopft, was mag das nur bedeuten?

Es klopft und durch die Thür tritt nun herein

Ein junger Herr, geführt von Nachbarsleuten.

Der Armenhifsarzt iſt’s aus dem Revier,

Den ſie geholt aus Mitleid mit der Kranken,

Indeß ihr Mann bei Branntwein oder Bier

Sich ſelbſt betäubt und ſeine Wuthgedanken.

Der junge Doctor aber nimmt das Licht

Und tritt mit ihm ans Bett des armen Weibes;

Doch gelb wie Wachs und ſpitz iſt ihr Geſicht

Und kalt und ſtarr die Glieder ihres Leibes.

Da ſchluchzt ſein Herz, indeß das Licht verkohlt,

Von niegekannter Wehmuth überſchlichen:

Weint Kinder weint, ich bin zu ſpät geholt,

Denn eure Mutter iſt bereits — verblichen!

[157]Arno Holz.

Meine Nachbarſchaft.
1884.


Deutſche Romanzeitung.


Mein Fenſter ſchaut auf einen düſtern Hof,

Auf ſchmutzge Dächer und auf rußge Mauern,

Doch wer wie ich ein Stückchen Philoſoph,

Läßt darum ſich noch lange nicht bedauern.

Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht

Dringt ſchließlich auch durch ſeine trüben Scheiben,

Zu hungern und zu frieren brauch ich nicht,

Und all mein Thun iſt nur ein wenig Schreiben.

Ein wenig Schreiben, wenn ich ſtundenlang

Mich einlas in die Wunderwelt der Alten,

Bis endlich, endlich es auch mir gelang,

Was ich gefühlt, zum Wohllaut zu geſtalten.

Dann fließt es um mich wie ein Heilgenſchein

Und mir im Herzen bauen ſich Altäre,

So könnt’ ich glücklich und zufrieden ſein,

Wenn ach, nur meine Nachbarſchaft nicht wäre!

Kein Schwärmer iſt es, der die Flöte liebt

Und auf ihr nur „des Sommers letzte Roſe“,

Kein Tanzgenie, das ewig Stunden giebt,

Auch kein klavierverrückter Virtuoſe:

Ein armer Schuſter nur, der nächtens flickt,

Wenn längſt aufs Dach herab die Sterne ſcheinen,

Indeß ſein Weib daneben ſitzt und ſtrickt

Und ſeine Kinderchen vor Hunger weinen.

O Gott, wie oft nicht ſchon hat dieſer Laut

Mich mitten aus dem tiefſten Schlaf gerüttelt,

Und wenn ich halbwach dann mich umgeſchaut,

Hat wild es wie ein Fieber mich geſchüttelt.

Des Mädchens Schluchzen und des Knabens Schrei

Und ganz zuletzt des Säuglings leiſes Wimmern —

Mir war’s als hörte ich dann nebenbei

Drei kleine, kleine ſchwarze Bettlein zimmern.

[158]Arno Holz.
Mir war’s, als rollte dumpf dann vor das Haus

Der nur zu wohlbekannte Armenwagen,

Und jene Bettlein trugen ſie hinaus

Und luden ſie in ſeinen düſtern Schragen.

Der Kutſcher aber nahm noch einen Schluck

Und peitſchte fluchend ſeine magren Schinder

Und übers Pflaſter dann gings Ruck auf Ruck,

Doch ach, noch immer wimmerten die Kinder!

Und immer, immer noch klang’s mir im Ohr,

Wenn ſchon der Morgen durch das Fenſter blickte,

Und mir ums Auge hing ein Thränenflor,

Wenn ich dann ſtumm mein Tagewerk beſchickte.

Was half mir nun mein „Stückchen Philoſoph?“

In Trümmer fiel, was ich ſo luftig baute!

Doch that’s das Haus nicht, nicht der düſtre Hof,

Nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute.

Die Armuth bettelt um ein Stückchen Brot,

Doch herzlos läßt der Reichthum ſie verhungern;

Millionen tritt die Goldgier in den Koth

Und einen einzigen nur läßt ſie lungern.

In ſeidne Betten wühlt ſie ihn hinein,

Wenn er beim Sekt ſich ausgeplappert,

Indeß beim flackernden Laternenſchein

Das bleiche Elend mit den Zähnen klappert.

O Gott, warum dies alles, warum?

Wie Zentnerlaſt drückt mich die Frage nieder;

In meinen Reimen geht ſie heimlich um

Und ächzt und ſtöhnt durch meine armen Lieder.

Was bleibt mir noch auf dieſem Erdenball?

Denn auch die Kunſt, längſt ſtieg ſie vom Kothurne:

Einſt ſchlug mein Herz wie eine Nachtigall!

Doch ach, nun gleicht es einer Thränenurne!

[159]Arno Holz.

Von Ewigkeit zu Ewigkeit.


Deutſche Weiſen.


Der Schöpfung nie begriffne Herrlichkeit

Entfacht noch ſtündlich den Prometheusfunken,

Und doch iſt ihre goldne Blüthezeit

Schon längſt ins Grab der Ewigkeit geſunken.

Denn jene Welt der Sagenpoeſie

Iſt nicht nur Traum, iſt Wirklichkeit geweſen,

Und wem das Schickſal Seherkraft verlieh,

Kann das noch heute aus den Sternen leſen.

Wer zählt die Sproſſen, die zertrümmert ſind,

Aus jener gotterbauten Himmelsleiter?

Die Sonne glüht und kühlend weht der Wind

Und unaufhaltſam rollt das Rad ſich weiter.

Die leuchtend kreiſen durch das dunkle All,

Erhaben groß iſt noch die Zahl der Welten;

Und kommt allnächtlich eine auch zu Fall,

Was kann dem Meere wohl ein Tropfen gelten?

Doch wem ſich das Geheimniß der Natur

Nicht unterm Sternenzelt mag offenbaren,

Der wandle mit mir durch die Erdenflur,

So wie ſie war vor hunderttauſend Jahren.

Noch ſtritt kein Jaſon um das goldne Vließ,

Die Menſchheit knechtete kein Triumphator,

Doch endlos dehnte ſich ein Paradies

Vom Nordpol bis hinunter zum Aequator.

Wo heute ſich durch eisumſtarrten Belt

Die Walfiſchfahrer ihre Straße bahnen,

Erhub ſich ehmals eine Inſelwelt

Beblüht von üppig wuchernden Bananen.

Und lächelnd kränzte ſich die Meeresfee

Mit bunten Perlenmuſcheln und Korallen,

Wo längſt verweht vom Wüſtenkörnerſchnee

Die Iſistempel in ſich ſelbſt zerfallen.

Nicht trübte ſchon den funkelnden Azur

Der Rieſenſchlote ſchmutzigfeuchter Brodem,

Denn unentweiht noch träumte die Natur

Und jeder Windhauch war ein Gottesodem.

[160]Arno Holz.
Kein Erdgeborner fühlte ſich entbrannt

Nach fremden Wundern einer fremden Zone

Und brach mit ſeiner frevlen Menſchenhand

Sich Stein auf Stein aus Gottes Schöpfungskrone.

Doch jede Zeit ſingt ſich ihr eignes Lied,

Und jenes Lied iſt lange ſchon verklungen,

Die Melodie die heut die Welt durchzieht,

Verhöhnt die alten Ueberlieferungen.

Die Menſchheit hat ſich zum Titanenkampf

Mit ihrer Mutter, der Natur gerüſtet,

Und denkt nur noch mit Eiſen, Blut und Dampf,

Weil ſie’s dem Schöpfer gleich zu thun gelüſtet.

Erloſchen iſt der kindlich fromme Zug

Aus ihres Angeſichts verſteinten Mienen

Und unbekümmert um den alten Fluch

Zwingt ſie die Elemente ihr zu dienen.

Im Bergſchooß gräbt nach Schätzen ſie umher

Und macht den Feuergeiſt ſich zum Vertrauten,

Die Weltumſegler ſchickt ſie übers Meer

Und in die Luft die kühnen Aeronauten.

Ja, bis gen Himmel, den der Herr ſich ſchuf,

Auf daß er würdig ſeine Schöpfung kröne,

Erhebt ſich ſchon der ſchickſalsſchwangre Ruf

Der ſtaubentſproſſenen Gigantenſöhne.

Denn hier auf dieſem engen Erdenkreis

Iſt kaum ein Fels noch für ſie zu verſchieben,

Der Steppenſand nur und das Gletſchereis

Iſt unentweiht vor ihrer Wuth geblieben.

Doch drückt ſie auch das auferlegte Joch,

Und ſeufzt ſie auch um Tage, die verwehten,

Ein Prachtjuwel blieb unſre Erde doch

Im Kronendiademe der Planeten.

Denn unbekümmert um der Weltenuhr

Läßt ſie die tauſendfältgen Kräfte ſprühen

Und nach dem heilgen Rathſchluß der Natur

Die Quellen ſpringen und die Blumen blühen.

[161]Arno Holz.
Wie herrlich ſteigt der erſte Frühlingstag

Doch immer noch vom Himmel zu ihr nieder!

Und ſchreitet erſt der Sommer durch den Hag,

Dann fühlt ſie ihre ganze Jugend wieder.

Und ſtehſt Du dann, umwallt von all dem Duft,

Dann lacht die Flur und ihre Ströme blitzen

Und fernher ſchimmern durch die blaue Luft

Die ewig eisgezackten Gletſcherſpitzen.

Da horch! Ein leiſer Hauch im Blätterdach,

Und durch die Wipfel geht ein ſeltſam Rauſchen;

Wie Stimmen flüſtert’s durch das Laubgemach,

Und andachtsvoll mußt Du den Tönen lauſchen.

Das iſt der Wind, der ruhlos durch die Welt

Dahinrollt auf den nie erſchauten Gleiſen,

Der nun im Bergwald ſeinen Einzug hält

Und Dir erzählt von ſeinen weiten Reiſen.

Erſt iſt, vergleichbar einem wilden Schwan,

Er majeſtätiſch durch die Luft gezogen

Und ſtieg dann nieder in den Ocean

Und ſpielte mit den grüngewellten Wogen.

Doch bald verlockte ihn der nahe Strand

Und hinter ſich ließ er das Meergebrauſe

Und ging mit Rieſenſchritten übers Land

Und hielt dann Raſt in einer Felſenklauſe.

Da lag denn nun tief unter ihm die Welt

Idylliſch da im Sommerſonnengolde

Und athmete gen Himmel, duftgeſchwellt,

Wie eine farbenprächtge Blüthendolde.

Und Meereswellenſchaum und Gottesluft,

Dazu die paradieſiſchen Gefilde

Verwoben lieblich ſich im Sonnenduft

Zu einem nie geſchauten Wunderbilde.

Dir aber ſchwillt das Herz vor hoher Luſt

Bei ſolcher windgetragnen Himmelskunde,

Und das Gefühl der übervollen Bruſt

Geſtaltet ſich zum Wort in Deinem Munde.

11
[162]Arno Holz.
Du preiſt Natur und ihre Herrlichkeit,

Die Gott in ſeinen eignen Werken loben,

Und lächelſt über den Pygmäenſtreit,

Den wider ihn die Sterblichen erhoben.

Die eitle Selbſtſucht menſchlicher Kultur

Vermag nur eben das, was ihr von Nöthen,

Sie weiß die Herrlichkeit der Gottnatur

Zu untergraben wohl, doch nie zu tödten.

Und iſt auch ihre goldne Blüthezeit

Schon längſt ins Grab der Ewigkeit geſunken,

Der Schöpfung nie begriffne Herrlichkeit

Entfacht noch ſtündlich den Prometheusfunken.

[[163]]

Oskar Jerſchke.


Spruch.


Originalbeitrag.


Es wird auf unſerer viellieben Erden,

So lange ſie wandert, nicht anders werden:

Die Reichen treiben mit Himmel und Gott

Fröhlich ihren lachenden Spott;

Schmauſen und zechen Faſanen und Wein —

Laſſen das Philoſophiren hübſch ſein.

Sie beſitzen die Weisheit der Welt —

Die Weisheit hat Klang und nennt ſich Geld.

Aus den „Italiſchen Liedern“.


Originalbeitrag.


Weißt Du noch, Du mein toskaniſch Kind,

Wie wir im flüſternden Abendwind

Ueber das Meer gefahren,

Bis in der ſterneſpiegelnden See

Fels und Stadt Portovenere

Leiſe verſunken waren?

Weißt Du, Luiſella, wie liebeberauſcht,

Nur von der Fluth und dem Himmel belauſcht,

Unſere Seelen ſich fanden,

Lippe auf Lippe lodernd gebrannt

Und Du dem Sohn aus dem nordiſchen Land

Seligſt Geheimniß geſtanden?

11*
[164]Oskar Jerſchke.
Weißt Du auch, daß ich beſſer nie

Dich hätte gehört in Lerici

Süß zur Guitarre ſingen?

Nach der Heimath ruft mich neidiſch Geſchick:

Fahr wohl, fahr wohl, du Traum von Glück —

In Weh will das Herz mir zerſpringen.

Gebet.


Originalbeitrag.


Mein Geſchick ruht ganz in Deinen Händen,

Sternenherrſcher, und nach Deinem Wink

Wird die Nacht mein lichtes Leben enden

Und ſich ſchließen meiner Tage Ring.

Aber gnädig wandelſt Du Dein Wollen,

Deinen Rathſchluß: wenn ein heiß Gebet

Aus dem glaubensſel’gen inbrunſtvollen

Menſchenherzen zu Dir aufwärts fleht.

Und ſo bitt ich heut mit heiligem Werben

Laß mich, Vater, nicht im Frühling ſterben.

Wenn der Wieſen bunte Blumen blinken,

Falter gaukeln in der lauen Luft,

Frei des Waldbachs helle Wellen winken

Und die Forſtung trinkt den Maienduft,

Im Gelaub ſich froh die Finken wiegen,

Droſſeln ſchlagen, Lerchen jubelnd fliegen.

Ach, dann ſtrahlt die Welt, die lenzgeküßte,

Wunderherrlich wie ein Paradies,

Das ich trauern nur und weinen müßte,

Wenn das Schickſal mich daraus verſtieß,

Und ich könnte noch im letzten Ringen,

Welt, zu Dir die Liebe nicht bezwingen.

[165]Oskar Jerſchke.
Laß mein müdes Auge ſich umflirren,

Wenn der Winter durch die Tannen ſauſt

Und der wilde Forſtwind durch die dürren,

Blätterloſen Buchenwipfel brauſt,

Eiſige Wolken ſich am Himmel ballen

Und in Schnee und Hagel niederfallen.

Gern und freudig werd’ ich Deinem Winken

Dann mich weihen und mit voller Bruſt

Meines Daſeins letzten Athem trinken,

Jener ſel’gen Hoffnung froh bewußt:

Daß ich aus der Erde Winterwehe

In den ew’gen Sternenfrühling gehe.

Wechſel der Welt.


Originalbeitrag.


Die Welt iſt nimmer geblieben

Die herrliche Welt des Homer,

Die Götter ſind längſt vertrieben,

Geſtürzt ſind die Tempel ins Meer.

Verſchollen die heiligen Lieder,

Verwirbelt der Opferrauch,

In Hohn und Geſpött darnieder

Gebrochen der Prieſter Brauch.

Nicht betende Völker mehr wallen

Zu ſchimmernden Säulenreihn,

Den hohen Olympiern allen

Geſchmückte Geſchenke zu weihn.

Die Himmliſchen mußten erliegen

In toller Jahrhunderte Kampf,

Es ſchwelgt in Trophäen und Siegen,

Es herrſcht: der allmächtige Dampf.

[166]Oskar Jerſchke.
Es ſauſen die Hämmer und dröhnen

Auf Silber, auf Gold und auf Blei,

Maſchinen raſſeln und ſtöhnen

Ein gellendes Einerlei.

Kaum kann der Donner dringen

Durch all der Fabriken Gebraus,

Und Lieder und Glockenklingen

Verſchwimmen im Rädergeſaus.

Für die Zukunft.


Originalbeitrag.


Wer heut’ nicht die eigenen Zeiten verſteht,

Den laſſe der Himmel nur ſterben,

Eh’ die glimmende Welt in Flammen aufgeht

Und die Marmorpaläſte verderben;

Eh’ die Throne verſinken im ſiedenden Meer

Und der Blutrauch dampft durch die Gaſſen einher.

Glückſelig die Menſchen, die taumelfroh

Sich durch das Jahrhundert trollen,

Champagner trinken, ob lichterloh

Auch draußen die Blitze rollen,

Die nie beim Gelag’ der Gedanke bedräut:

„Die Welt kann nimmer ſo bleiben wie heut“.

Hier Haufen von Gold und Demant und Geſchmeid’,

Dort auch nicht ein Heller zu finden;

Hier brauſende, ſauſende Herrlichkeit,

Dort trockene Schwarzbrodrinden.

Gott-Vater im Himmel ſchick’ einen Prophet’,

Der der Welt in’s Gewiſſen zu reden verſteht.

Schick’ einen Propheten in’s gährende Land,

Der ſoll die Paläſte beſuchen,

Der ſoll an die marmorſpiegelnde Wand

In Flammenſchrift ſchreiben und buchen,

Auf daß es die Praſſer mit Grauſen erfaßt:

Auf einem Vulkan ſteht unſer Palaſt.

[167]Oskar Jerſchke.
Auf daß ſie gewarnt, noch eh’ es zu ſpät,

Eh’ die Wogen des Aufruhrs ſtürmen,

Eh’ die rohe Gewalt wie die Senſe mäht

Und die Barrikaden ſich thürmen;

Der hungernde Haufe mit Pechkranz und Blei

Ertrotzt, daß das Glück auch ihm hold nun ſei.

Dann gilt nichts Heiliges mehr auf der Welt,

Es ſtürzen Kirch’ und Kapellen.

Die Liebe verroht und der Glaube zerſchellt,

Das Mitleid begraben die Wellen.

Die Maſſen nur raufen ſich um das Gold,

Das über die dampfenden Trümmer rollt.

Aus den „Elſäſſiſchen Liedern“.


Originalbeitrag.


Wir haben Dich wieder erſtritten

In wetternder Völkerſchlacht,

Geweint um Dich und gelitten

Und Opfer um Opfer gebracht.

Nun laſſen wir Dich nimmer

Und halten Dich feſt in der Hand,

Biſt wieder deutſch auf immer,

Flurherrliches Wasgenland!

Nun rauſcht Dir ſtolzer und freier

Den jauchzenden Rhein entlang

Die allemanniſche Leier,

Der allemanniſche Sang.

Aus deinen Burgen und Bergen

Da ſchweben durch Hallen und Thor

Mit Nixen und Elfen und Zwergen

Viel alte Geſtalten empor.

[168]Oskar Jerſchke.
Sie haben gar lange geſchwiegen

Von mancher vielköſtlichen Mär,

Und mußten vergeſſen liegen

In Schutt und Gemäuer umher.

Nun kommen ſie lächelnd und ſteigen

An’s leuchtende Sonnenlicht

Und wollen Dir deuten und zeigen

Was Deine Geſchichte ſpricht:

Daß ſeit den undenklichſten Tagen

Und trotz dem fränkiſchen Raub

Die Eichen im Wasgau getragen

Das echte germaniſche Laub.

Und daß allzeiten inmitten

Der welſchen, werbenden Liſt

Dein Volk an Glauben und Sitten

Germaniſch geblieben iſt.

An die oberen Zehntauſend.


Originalbeitrag.


O kehrtet einmal Ihr aus den Paläſten

Im dunſtigen Dunkel enger Gaſſen ein!

O kehrtet einmal Ihr von Euren Feſten

In’s vierte Stockwerk, wo beim Oellichtſchein

Blutarme Nähterinnen um den Biſſen

Des lieben Brods zehn Stunden nähen müſſen!

Kröcht’ einmal Ihr mit Eurem Schmuck behangen

Zur Kellerwohnung, wo der Schuſter flickt,

Sein armes Weib mit hungerbleichen Wangen

Den Säugling an die welken Brüſte drückt,

Von Einer Mark oft ſieben Menſchen leben,

Die doch dem Kaiſer noch den Groſchen geben!

[169]Oskar Jerſchke.
Es würd’ Euch grauſen und in Eure Stirnen

Käm’ flammengleich das Kröſusblut gerollt,

Und durch den Puder Eurer feilen Dirnen

Bräch’ ſich die Schamgluth um das Sündengold,

Und wie wenn Eiſe ſich mit Feuern miſchen,

Würd’ Euch das Herz in froſt’gen Schaudern ziſchen.

Ihr müßtet zittern, dächtet Ihr im Düſter

Des Vorſtadtelends an der Schlöſſer Pracht,

An Baldachin und Purpurbett und Lüſter,

An Wein und Sillery und Wonnenacht

Und tauſendfach müßt’ Euch von allen Mauern

Vernichtung flammengrell entgegenſchauern. …

Gedankenflüge.


Deutſche Weiſen.


Nichts kann in dieſer Welt in Nichts verſchwinden,

Ein Etwas bleibt ſtets was ein Etwas war,

In andrer Form nur muß ſich’s wiederfinden,

Aus Raum und Zeit ſtellt ſich der Wechſel dar:

Die Blätter keimen, grünen und verwehen,

Geſchlechter kommen und Geſchlechter gehen.

Eins nur beharrt in der Verändrung Wogen

Und baut ſich fort, wenn alles ſteigt und fällt.

Es überwölbt mit hoch erhab’nem Bogen

Den Zeitenſtrom der körperlichen Welt:

Das iſt die Brücke, die der Geiſt geſchlagen,

Um uns vom Irdiſchen zu Gott zu tragen.

[170]Oskar Jerſchke.
Das Volk des Perikles hat ausgerungen

Und längſt erblindete ſein Ehrenſchild,

Homers und Pindars Leier iſt verklungen

Und ach, zermalmt des Phidias Götterbild:

Doch ob auch die Akropolis zerfallen,

Der Geiſt von Hellas lebt noch in uns Allen.

Denn er allein hat mit Titanenkräften

In alter Zeit den feſten Grund gelegt,

Der über ſich auf prächt’gen Säulenſchäften

Der Ewigkeit gewalt’gen Tempel trägt.

Wohl ſieht man Volk auf Volk dran weiter bauen,

Doch wird ihn je die Welt vollendet ſchauen?

[[171]]

Heinrich Hart.


Das Lied der Menſchheit.
Vorgeſang.

Originalbeitrag. 1883.


Dieſe Dichtung bildet den Vorgeſang zu einem Epos: „Das Lied der Menſchheit“, das in
einer Reihe von ideal zuſammenhängenden Geſängen, deren jeder eine in ſich abgeſchloſſene Erzählung um-
faßt, die Entwicklung der Menſchheit von ihren erſten Anfängen bis zur Gegenwart herauf, darſtellt.


Einſt war die Welt ein endlos tiefes Meer

Von Finſterniſſen — todt und ſtumm und leer.

Kein Hauch, kein Athem, weder Fluth noch Schaum,

Zeit ohne Werden, Schlafen ohne Traum,

Leidloſe Ruhe, Kraft, die nichts erfüllt,

Ein Grab, das Schatten weſenlos umhüllt.

Einſt aber wie ein Blitz durchfuhr’s das All,

Das Meer barſt auf mit dumpfem Donnerhall

Und tauſend Wirbel kreuzten durch die Wogen

Und tauſend Feuer zuckten rings und flogen

Und auseinander klüfteten die Gluthen

Und ſchoſſen ſprühend hin gleich Flammenruthen

Und ballten kreiſend ſich zu Sonnenwelten,

Verſchlangen ſich und barſten und zerſchellten —

Von Nebeln wirr umflattert, dampfumbrauſt,

Aufbrandend in Gewittern, ſturmdurchſauſt.

Die Nacht verſank, es wich des Todes Bann

Und heiliger Schauer durch die Schöpfung rann,

Da lag die Welt, ein Waſſer, breit und klar,

Lichtinſeln zogen funkelnd, Schaar an Schaar,

In wiegenden Reigen ſchwebend wie zum Spiel,

Raſtlos der Weg, geheimnißvoll das Ziel.

[172]Heinrich Hart.
Vom Kranz der Schweſtern eine wählt mein Lied

Und für die Lieblichſte mein Herz entſchied.

Noch war ich Knabe, in der Haide Kraut

Lag ich zu lauſchen auf des Windes Laut,

Von weißen Schleiern glänzte rings die Luft

Und auf den Gräſern träumte herber Duft

Und zwiſchen Erd’ und Himmel fühlt’ ichs weben

Des Geiſtes Wirken und der Schöpfung Streben.

Da ſtrömte leuchtend mir ins Herz die Luſt,

Der ewigen Schönheit ward ich mir bewußt

Und brünſtig drang die Sehnſucht auf mich ein,

Urmutter Erde Dir ein Lied zu weihn,

Ein Lied, das wogend wie der Ocean

All Deine Pracht umſpannt, all Deinen Wahn …

Mein Blick ward ſtarr, die Weſen und die Zeiten

Sah ich noch einmal mir vorübergleiten.

Vor meinen Augen brauſte Gluth in Gluth,

Von tauſend Farben zitterte die Fluth,

In langen Garben ſprühte Strahl um Strahl,

Berghohe Feuer wuchſen auf im Thal.

Und in den Weltraum ſtürzte wie ein Blatt,

Das von dem Baume flattert, ſturmesmatt,

Der Mond, aufziſchend, wirbelnd, nebelrauchend,

Dem Urgewäſſer blaſſen Haupts enttauchend.

Schon aber ſenkte Nachtgewölk von Dunſt

Sich auf der Flammen niegeſtillte Brunſt

Und praſſelnd, ſchäumend, immer neu geboren

Warf ſich der Regen in des Gluthmeers Poren,

Aufwallten blutige Nebel aus der Wunde,

Gleich Speer- und Schwertglanz leuchtete die Runde

Und ſtöhnend miſchten ſich im Kampf die Kräfte

Und ſiedend gährten zukunftsſchwangere Säfte,

Bis aus des Waſſers morgenkühlem Schoß

Der Keim des Lebens ſtieg, geſtaltengroß.

Nun drängte ſtarr Kriſtall ſich an Kriſtall

Und donnernd hob ſich der Gebirge Wall,

Die Wurzeln von Granit und gluthgeleckt,

Den breiten Rücken hell von Schnee bedeckt.

[173]Heinrich Hart.
Nun ſchmiegte Zelle knospend ſich an Zelle,

Von weichen Flocken blinkte jede Welle

Und zarte Haut umſpinnt des Meeres Bord

Und rankt ſich über Fels und Klüfte fort

Und reckt ſich aus zu Faſern, thaugenährt,

Gräbt in den Stein ſich, wurzelt, keimt und ährt …

Schwül brütet Mittagshauch auf Sumpf und Au,

Ein feuchter Dunſt verhängt des Himmels Blau

Und gelber Qualm entbrodelt jeder Kluft,

Von unterird’ſchen Wettern rauſcht die Luft,

Umklammert von des Drachens Eiſenſpangen

Wälzt brüllend ſich der Elch, im Rohr gefangen.

Breitfächernd wuchert rings der Farrenwald,

Vom plumpen Tritt des Maſtodonts durchhallt,

Und glotzig ruht der Behemout im Teich,

Eidechſen flattern, ſchwarzer Wolke gleich.

Dann kommt ein Tag, blaß wird der Sonne Glanz,

Schneewogen wirbeln wie im Kriegestanz,

Von Norden dröhnt es krachend jede Nacht

Und falbe Nebel ſchleifen, ſturmentfacht.

Erſchauernd horcht die Blume, horcht das Reh —

Dumpf wälzt es ſich heran, eisſtarre See,

Einöde, grenzenlos, nackt, blank wie Stahl,

Geſpenſtig Trümmerfeld; Berg wird zu Thal

Und Thal zu Berg, die Wälder praſſeln ſchwer,

Wie Staub hinweggefegt iſt Land und Meer,

Von Erd’ zu Himmel eine Mauer nur,

Verſtummt das Leben, ſterbend die Natur.

Doch in der Tiefe ſchnaubt des Feuers Dampf,

Die Sonne rafft ſich auf zu grimmem Kampf,

Sie wühlt und ſaugt und ſchmilzt des Eiſes Glaſt,

Der Boden wankt und ſchüttelt ſeine Laſt.

Bald rauſchen durch die Wüſte tauſend Quellen,

In Spalt und Abgrund toſen ſchäumende Wellen

Und aus der Fluth dringt aufwärts neues Land,

Jungfräulich, jugendlich, die Gluth entſchwand.

Aufſprießt der Blüthen Schönſte, Gottgenährt,

Zum Menſchen wird der Erde Staub verklärt,

Verklärt zum Willen wird was dunkel ringt —

Zur Sprache wird was ſtammelnd klingt und ſingt.

[174]Heinrich Hart.
In Fiebern lag ich brennend Tag um Tag,

Von Zweifeln trüb umnachtet, angſt und zag.

Kein Weg, kein Ziel! Wir ziehn auf ungefähr

Durch Steppenöde, heut am Strom einher

Und plaudernd, jubelnd; morgen im Geſtein

Verſengter Felſen, dürſtend und allein.

Wir wandern, doch wohin — verkündet keiner,

Wir wandern, doch warum — ergründet keiner.

Ich lag und ſann, der Abend brach herein,

Ins Auge fiel mir hell des Mondes Schein.

Da dehnte bebend ſich mein Zimmer aus,

Wie Nebel ſchwanden Decke, Thür und Haus.

Ich ſtand an eines Berges ſteilem Hang,

Dem Abgrund ſchwelte grau Gewölk entlang

Und plötzlich brauſt es hell wie Adlerflug,

Ein Sturmwind rüttelt an des Felſens Bug

Und wie ein Schatten ſteigt es niederwärts,

Den Arm umpreßt mir eine Hand von Erz,

Zur Seite ragt mir ein gewaltig Haupt,

Die Augen Blitz, die Stirne gluthumlaubt.

Und durch die Wolken züngeln weiße Feuer,

Zerrbilder tauchen auf und Ungeheuer.

Dann wird es Licht, von Sonnenglanz ein Strom

Trägt meine Blicke durch des Weltalls Dom.

Das Buch der Sterne ſeh ich aufgethan,

Der Erde Nieren und der Winde Bahn,

Ein gähnend Grab klafft Land und Waſſer auf,

Markloſe Schädel grinſen bleich herauf.

Vorüber zieht der Volksgeſchlechter Heer

In bunter Tracht, mit Sichel und mit Wehr;

Hier lagert ſich ein Stamm, Zelt neben Zelt,

Des Führers Ruf, des Händlers Stimme gellt,

Dort in die Sümpfe wühlt ſich klammernd ein

Die Euphratſtadt, ein Drachenleib von Stein,

Von blauer Meerfluth ſeidenweich umrollt

Blüht Hellas in der Abendſonne Gold.

Und durch des Eichwalds feuchte Nebelſchicht

Schlägt der Germane breiten Weg dem Licht;

Hier einſam geht ein Mann und forſcht und ſucht,

Dort hängt am Kreuze, den die Welt verflucht.

[175]Heinrich Hart.
Und immer wirrer, immer dichter drängen

Die Schaaren ſich, mit flammenden Geſängen

Um Zion wogt des Kreuzheers magrer Reſt,

Scharfklauig kreiſt zu Häupten ihm die Peſt,

Hier ſtirbt der Könige ſtolzer Uebermuth,

Vom Richtbeil ausgemerzt, erſtickt in Blut,

Dort ſiech von Hunger, eisumſchauert ſteht

Franklin, ſein Aug’ nur ſpricht ein letzt Gebet

Und donnernden Fluges dort von Land zu Land

Rollt Zug an Zug, ein ſtählern Völkerband,

Hier Hochzeitsjubel, fiebernd Aengſten dort,

Hier klingender Flöten Laut, dort Brudermord.

Mein Auge ſieht es und es hört mein Ohr,

Der Menſchheit ganzes Treiben rauſcht empor,

Der Völker Werden gibt ein Blick mir kund,

Doch Schmerz durchwühlt mich, laut ſchreit auf mein Mund:

Weh euch und mir, Menſch werden heißt vergehn

Und Völker blühen, um in Staub zu wehn,

Wir alle ſind wie Waſſer im Geſtein,

Kein Wandrer kommt, die Erde ſaugt uns ein,

Wir alle ſind wie Saat in dornig Land,

Wir alle ſchaffen, doch uns knüpft kein Band!

Kein Band — und wiederhallt es tauſendmal

Und wieder brauſt der Sturmwind hin durchs Thal,

Da ſteigt vor mir empor Haupt und Geſtalt,

Doch nicht von Glut, von Sternenſchein umwallt,

Mild wird die Stirn und mild des Auges Glanz,

Beſchattet von der Wimpern breitem Kranz,

Der Lippen erzne Klammer ſchließt ſich auf,

Ein weicher Mantel zieht Gewölk herauf.

Ich aber beide Hände ſtreck’ ich aus

Und zu mir klingts wie rollend Fluthgebraus:

Kleinmüthger Du, Du klagſt und übſt Gericht

Und kennſt nur Menſchen, doch die Menſchheit nicht.

Die Menſchen ſind wie Blumen auf dem Rain,

Ich winde ſie dem Kranz der Menſchheit ein,

Der Menſchen Thun ſpinnt Fäden wirr und kraus,

Ich webe ſie zum Bild der Menſchheit aus,

Der Menſchen Herz freut ſich an Schein und Spiel,

Ich halt’ das Steuer auf der Menſchheit Ziel.

[176]Heinrich Hart.
Ja, ohne mich ſeid ihr verſprengtes Gold,

Ich ſammle, ſchmelze, präge was ihr wollt,

Klein bin ich wenn ihr klein, ſtark wenn ihr ſtark,

So mit dem Baume wächſt des Baumes Mark.

Ich bin der urgeborne Sohn der Gluth,

Des Lebens Fülle wogt in meinem Blut,

Nicht ſterben werd’ ich, bis das letzte Blatt

Vom Baum der Welten ſinkt zur Ruheſtatt,

Bis in den Hafen fährt der Ewigkeit

Mit uns den Irrenden das Schiff der Zeit.

Bis dahin Kämpfen und kein ſchmerzlos Heil

Und Sehnſucht, der kein Erbe wird zu Theil,

Bis dahin Liebe, die den Haß gebiert

Und Glaube, der in Zweifel ſich verliert,

Bis dahin Tod, der ſich mit Leben ſchminkt

Und Königsprunk, der in den Koth verſinkt

Bis dahin Kraft, die ſich die Welt erſtreitet,

Bis dahin Geiſt, der auf zur Gottheit leitet.

Er ſprichts und Finſterniß ruht nah und fern,

Nur hier und da hell ſchimmert noch ein Stern,

Ich aber blicke ſtarr zum Himmelsrand,

Wo mir das löwengleiche Haupt entſchwand,

Wie einer, der im Geiſte Gott erſchaut, —

Da hör’ ich einmal noch traumfernen Laut:

Du geh und künde was Du heut geſehn,

Wenn Du es kündeſt, wirſt Du es verſtehn,

Und fragſt Du was ich bin und fragſt Du wer,

Der Menſchheit Seele bin ich, Ahasver.

Das Lied der Menſchheit — ja, es ſei gewagt,

Wie ſchwach ich bin, wie klein auch, wie verzagt.

Wo iſt ein Stoff wie dieſer, wo ein Held

So ruhmeswerth, wo ſolch ein Erntefeld?

Nicht Götter ſing’ ich, nicht zum Fabelland

Träum’ neuen Weg ich, nicht zum Höllenrand,

Euch, meiner Mutter Kinder, eure Spur

Such’ ich im weiten Bergland der Natur,

Euch ſuch’ ich in der Urwelt Einſamkeit,

Euch durch den Flammenbrodem dieſer Zeit

[177]Heinrich Hart.
Und eurer Seele lauſch’ ich, wie ſie reift,

Wie hoch und höher ihre Sehnſucht ſchweift.

Ein Seher iſt euch Noth, ein Sonnenaar,

Der Botſchaft bringt, daß eure Sehuſucht wahr,

Daß ihr ein Ganzes ſeid, Samen eines Weibes,

Körper eines Blutes, Glieder eines Leibes,

Daß wie aus Welten Gott erwächſt, ſo ihr

Der Menſchheit Nahrung ſeid, und lebt in ihr.

Doch ach bin ich’s, bin ich’s, der zu den Sternen

Das Auge heben darf, den Sonnenfernen!

Zu Dir Altvater, deſſen Wort ſo klar

Wie Meeresfluth, wenn ſie den Tag gebar,

Zu Dir, Du ſtrahlend Licht von Tus, Du Künder

Des Erdenſchickſals und Du Herzergründer,

Zu Dir, Du frommer Schwan von Mantua,

Zu Dir, Du Adler, der ins Antlitz ſah

Der Ewigkeit, gerichtet und doch Richter,

Zu Dir, der blind noch Held, Du Stolzvernichter,

Zu Dir Walddroſſel, deren Stimme voll

Und tief und ſüß wie Volkers Lied einſt ſcholl,

Zu Euch, ihr heiligen Sänger, Du des Gral,

Du des Erlöſers und der Kreuzesqual!

Weh mir, wenn ich nicht würdig bin, wenn nicht

Stahlhart mein Hirn, mein Herz wie Sonnenlicht,

Wenn lauter nicht wie Morgenthau mein Blut,

Mein Geiſt nicht wie auf Adlersſchwingen ruht.

Wer hält mich aufrecht und wer gibt mir Muth,

Wer legt auf meine Zunge Flammengluth?

Mit tauſend Blüthen und mit tauſend Stimmen

Lockt mich Natur und tauſend Sterne glimmen,

Aus allen Tiefen klingt es dumpf und wirr —

Wer führt mich aufwärts, wenn mein Fuß geht irr?

Dich Gotteskraft, die Niemand nennen kann,

Endlos erzeugende, Dich ruf’ ich an.

Du biſt der Schooß, der rings die Welt geboren,

Du biſt des Baumes Saft, das Blut der Poren,

Aus Dir entquillt der Tag, aus Dir die Nacht,

Du biſt der Donner, Du des Frühlings Pracht,

12
[178]Heinrich Hart.
Du biſt die Flamme, die den Kampf entzündet,

Die Liebe, drin der Strom der Zeiten mündet.

O laß auch dies Lied Dir geſungen ſein,

Von Deines Athems Hauch durchdrungen ſein!

Ein Schrecken faßt mich, meine Seele bebt

Vor dieſem Sturm, der ſich in mir erhebt,

Vor dieſen Bildern, die mein Innres ſchaut,

Die einen blaß, die andren lichtumthaut,

Vor dieſem Weg, von Nebelrauch umdampft,

Vom Schritt der Erdjahrtauſende zerſtampft —

Ach Weltgeiſt, ohne Dich ring’ ich vergebens,

Du tränke mich vom Borne Deines Lebens!

Ich bin ein Griffel nur in Deiner Hand,

Ein Weizenkorn, Du ſä’ſt es in das Land,

Aus meinen Worten ſprüht ein Funke nur

Der Gluth, die mich umwogt auf Deiner Spur,

Dein iſt die Kraft, ich bin Dein Eigenthum,

Und blüht ein Kranz mir, Dein iſt aller Ruhm.

Volk das ich liebe, Volk, an deſſen Kraft

Ich glaube, Du der Menſchheit Blut und Saft,

Du grüne Eiche, ſchwellend von Geäſt,

Dein Haupt trinkt Himmelsglanz, gen Oſt und Weſt

Streckſt Du die Arme, erzgeſchmiedet drückt

Dein Fuß des Erdreichs Kern, kein Sturmwind rückt

Zur Seite Dich um einer Spanne Raum,

Durch Deine Blätter rauſcht ein Frühlingstraum,

Aus Deinem Wipfel klingt es wie Geläut:

Es kommt ein Morgen, der die Welt erneut.

Volk das ich liebe, alles was ich bin,

Bin ich durch Dich, ſo nimm als Opfer hin

Mein armes Lied, vielleicht mit tauſend Reben

Wird es in Deiner Seele aufwärts ſtreben.

Ihr aber, Freunde, reicht mir her ein Glas

Thaufriſchen Rieslings! welch ein Trunk iſt das!

Das Aug’ wird hell, die Finſterniß zieht fort

Und auf die Lippe drängt ſich Wort um Wort.

[179]Heinrich Hart.

Müde.
1882.


Peſſimiſten-Geſangbuch u. a.


O bange Stunden,

Wo alles Qual iſt

Und was empfunden,

Verrucht und ſchal iſt.

Bald möcht’ in Thränen

Das Aug’ zerfließen,

Bald trotzig Wähnen

Das Herz verſchließen.

Müde zu haſſen,

Müde der Liebe —

Ach könnt’ ich faſſen,

Was ewig bliebe.

Alleins.
1881.


Deutſche Romanbibliothek u. a.


Nacht fließt in Tag und Tag in Nacht,

Der Bach zum Strom, der Strom zum Meer —

In Tod zerrinnt des Lebens Pracht,

Und Tod zeugt Leben licht und hehr.

Und jeder Geiſt, der brünſtig ſtrebt,

Dringt wie ein Quell in alle Welt, —

Was du erlebſt, hab’ ich erlebt,

Was mich erhellt, hat dich erhellt.

All’ ſind wir eines Baums Getrieb,

Ob Zweig, ob Aſt, ob Mark, ob Blatt —

Gleich hat Natur uns Alle lieb,

Sie unſer Aller Ruheſtatt.

12*
[180]Heinrich Hart.

Fluch dieſem Leibe.
1880.


Muſenalmanach für 1883 u. a. a. O.


Fluch dieſem Leibe,

Dem unerſättlich lüſternen,

Mit ſeinen Banden

Schnürt er die Seele ein

Und reißt in den Koth

Die Sonnendurſtige.

Aus allen Poren

Schrei ich nach Freiheit,

In alle Himmel möcht’ ich mich recken, —

Aber erbarmungslos

Preßt mich das Elend

Meiner Sinne

Zurück in die Dienſtbarkeit.

O Hunger

Nach dem Ewigen —

O Hunger!

Wann kommt die Stunde,

Wo ich Alles vergeſſen,

Alles hinſchleudern darf

Und nur dich, einzig dich

Zu ſtillen vermag?

Weh, wenn die Flamme,

Die in mir lodert,

Mich brennend verzehrte,

Und nicht emporſchlüg’

Wetterleuchtend,

Herzenentzündend.

Fort, fort, ihr Bilder

Lockender Lüſte!

Ich will keinen Platz

Am Mahle der Lebenden,

Wo, im glitzernden Licht,

Schwarzäugiger Frauen

Heiße, lodernde Blicke

Die Seele verſengen.

[181]Heinrich Hart.
Ich lauſche den Todten

Und horche, was ſie verkünden,

Und ich ſuche die Ungebornen,

Daß ich wiſſe,

Was war und was ſein wird.

Einſam, einſam

Will ich wandeln und ziehen,

Ob fiebernde Brunſt auch

Die Adern emporſchwellt, —

Doch eines vergönn’ mir,

Allwaltende Weltmacht,

Jedes Wort, das ich ſchmiede,

Es werde zum Glied,

Das die Menſchheit verkettet,

Jedes Lied, das ich ſinge,

Wie Thau laß es fallen

Auf die Herzen der Armen,

Der Sünder und Buhlen —

Dann finde ich Frieden.

An das 20. Jahrhundert.


1878. Deutſche Monatsbl. u. a.


Wirf die Thore auf, Jahrhundert,

Komm herab begrüßt, bewundert,

Sonnenleuchtend, Morgenklar.

Keine Krone trägſt du golden,

Doch ein Kranz von duftigholden

Frühlingsroſen ſchmückt dein Haar.

Ganz verwundet, ganz zerſchlagen,

Herz und Mund verdorrt von Klagen,

Ziehn wir müd im Staub einher.

Unſer Aug’ erliſcht in Thränen,

Unſre Seele ſiecht vor Sehnen,

Unſer Haupt glüht fieberſchwer.

[182]Heinrich Hart.
Ach welch Hoffen, ach welch Sinnen,

Welch ein Jubel, welch ein Minnen

Riß uns flammend einſt empor.

Die Natur zu unſern Füßen —

Wollten wir das Licht begrüßen,

Wo es ſtrahlend quillt hervor.

Auf des Dampfes Sturmesflügeln

Träumten wir die Welt zu zügeln,

Allem Erdenſtaub entrückt.

Alle Sorge ſollte ſchwinden,

Liebe ſich zu Liebe finden,

Alle Kluft war überbrückt.

Traum, wie bald biſt du vergangen,

Lauter Schreckniß, lauter Bangen

Hat in Nebel uns gehüllt.

Unſer Blut tropft aus den Poren,

Unſer Mark iſt eiserfroren,

Wie vom Tod ſind wir erfüllt.

Ob wir an des Nordmeer’s Strande

Ziehn, ob tief im Wüſtenſande, —

Unſren Weg umheult der Streit.

Fried’ und Freude ſchleicht verlaſſen,

Und die Noth ſtürmt durch die Gaſſen,

Wild umſchwärmt von Haß und Neid.

Wie zwei Bettler, frech verhöhnet, —

Die wir einſt ſo ſtolz gekrönet —

Irren Freiheit hin und Recht.

„Heil den Ketten, die uns binden,

Die uns ziehn und niederwinden,

Goldne Ketten!“ jauchzt der Knecht.

Doch dem Aar gleich, der geblendet

Sterbend ſich zur Sonne wendet,

Harren wir in Brünſten dein.

Wirf die Thore auf, Jahrhundert,

Komm herab, begrüßt, bewundert,

Zeuch’ mit Morgenſturmwind ein.

[183]Heinrich Hart.
Wo du gehſt, da bricht in Flammen

Tauſendjähriger Grund zuſammen,

Drauf die Knechtſchaft wuchernd ſtand.

Und der Hoffahrt morſche Götter

Treiben hin wie Spreu im Wetter,

Auf vom Schlafe fährt das Land.

Wo du gehſt, da öffnen alle

Tiefen ſich mit heißem Schwalle

Und des Abgrunds Nacht wird Tag.

Glühend brauſt’s in tauſend Seelen,

Erd’ und Himmel zu vermählen,

Dringt der Geiſt zum Sternenhag.

Wo du gehſt, quillt Luſt und Segen,

Jedem Herzen rauſcht’s entgegen

Wie des Lenzwinds thauig Warm.

Und der Winter geht zu Ende,

Liebend reichen ſich die Hände

Stark und Krank und Reich und Arm.

Und von Oſt gen Weſten fahren

Boten aller Völkerſchaaren —

Unſrer Fehde ſei’s genug.

Kommt, den Gruß uns zu erwidern,

Laßt uns Brüder ſein mit Brüdern,

Fahr’ zur Hölle Macht und Lug.

Schlagt die Cymbeln, ſpielt die Geigen,

Süße Mädchen ſchlingt den Reigen,

Kränzt mit Grün den Maienbaum.

Auf, ihr Männer, Opfergluthen

Laßt von allen Bergen fluthen,

Auf, vorbei iſt Nacht und Traum.

Wie ein Tempel ſei die Erde,

Daß der Menſch zum Gotte werde

Todesmächtig, licht und hehr.

Daß nicht Waſſer und nicht Lüfte,

Nicht der Zwietracht düſtre Klüfte

Trennen unſre Herzen mehr.

[184]Heinrich Hart.
Unſer Blut treibt neue Säfte,

Unſer Mark trinkt neue Kräfte,

Unſre Adern klopfen weit.

Mit einander ſo zu bauen,

Einig, einig voll Vertrauen,

Heil dem Tag, der ſo befreit.

Wirf die Thore auf, Jahrhundert,

Komm herab, begrüßt, bewundert,

Sonnenleuchtend, Morgenklar,

Keine Krone trägſt du golden,

Doch ein Kranz von duftigholden

Frühlingsroſen ſchmückt dein Haar.

Die letzte Nacht.


1874. „Weltpfingſten“.


Ich hab’ zur Nacht geſeſſen

Mit euch im goldnen Saal;

Aus blanken Römern ſchoß der Wein,

Süß duftete das Mahl.

Die Luft ging ſchwer, die Ampel warf

Trüb ihren letzten Schein — —

Die Fenſter auf! und kühl und ſcharf

Schlägt Morgenwind herein.

Aufſchreckt vom Schoß des Buhlen

Die leichtgeſchürzte Dirn,

Der Burſch ſpringt auf und ſtößt die Fauſt

Hohnlachend an die Stirn.

Die Dirne reißt er dann empor,

Und küßt ſie lang und heiß,

Schwarz fällt ſein Haar wie Trauerflor

Auf ihres Nackens Weiß.

„Füllt einmal noch die Becher,

Genoſſen dieſer Nacht.

Stoßt mit mir an, friſch, auf den Tod,

Dies Glas ſei ihm gebracht.

[185]Heinrich Hart.
Du trinkſt der Liebe, du der Luſt —

Das all iſt Tand und Schall,

Ein Hauch in fieberkranker Bruſt,

Der Tod beſiegt das all.

Wann hab ich nicht die Locken

Mit Kränzen mir geſchmückt,

Wann ſah ich je ein blühend Weib,

Das nicht mein Gold berückt!

Begehrt’ ich Ruhm, begehrt’ ich Macht,

Schon lag’s zu Füßen mir,

Mein Tag war Gluth und Gluth die Nacht —

Eins aber quält mich hier.

Das eine macht mich müde,

Macht ſchaal mir Bett und Wein,

Das grinſt mich an aus jedem Aug’

Wie marklos Todtenbein.

Das löſcht am Himmel Licht und Tag,

Das zehrt die letzte Ruh, —

Die Frage iſt’s, die tolle Frag’,

Wozu dies all, wozu?

Wo iſt ein Lenz ohn’ Winter,

Ein Lieben ohne End’, —

Wo iſt ein Feuer, das nicht matt

Zu Kohl’ und Aſche brennt.

So ehern ſteht kein Fels, kein Land,

Dem nicht die Sündfluth droht —

Nur eins lebt ewig, eins hält Stand,

Das Leben iſt der Tod.“

Er ruft’s und wie am Grabe

Hält plötzlich alles Ruh, —

Da zuckt ein Blitz, da fällt ein Schuß,

Und leiſe haucht’s Wozu?

Die Dirne ſtürzt zur Thür und ſchreit,

Wirft klirrend den Pokal, —

Und durch die Fenſter hell und breit

Glüht auf des Morgens Strahl.

[186]Heinrich Hart.

Gott.
1884.


Originalbeitrag.


Der Du nicht Stein biſt, doch des Steines Kraft,

Die Kern und Schale hält in enger Haft.

Der Du nicht Roſe biſt, doch ihre Pracht,

Ihr Duft, ihr Auge, das zur Sonne lacht.

Der Du nicht Eiche biſt, doch wohl ihr Mark,

Der Stolz, der aus ihr athmet, lebensſtark.

Die Welt iſt nichts als Form, in der Du prägſt,

Iſt nichts als die Gewandung, die Du trägſt.

Iſt nichts als Spiegelbild von Deinem Sein;

Nur Du biſt Wahrheit, doch das Bild iſt Schein.

Ich bin ein Menſch, mein Geiſt umſpannt das All,

Durch meine Seele rauſcht der Sphären Hall.

Ich höre was der Lerche Jubel ſagt,

Ich höre was des Meeres Brandung klagt.

Ich ſehe was des Feuers Auge glüht,

Ich ſehe was im Schoß der Lilie blüht.

Ich fühle was im Blut der Erde ringt,

Den Hauch, der von den Sternen niederdringt.

Nein, nein, nicht ich; was gilt dem Fleiſche Duft,

Was gilt dem Leibe reine Himmelsluft!

Was gilt dem Staubkorn unermeſſ’ner Raum,

Was gilt der Fäulniß ewigen Lebens Traum!

Nicht ich, nicht ich; mein Ich, dem Tod geweiht,

Iſt lauter Elend, lauter Niedrigkeit.

[187]Heinrich Hart.
Mein Ich hört nur den Schrei der eignen Noth,

Du hörſt in mir der Liebe Allgebot.

Mein Ich ſieht nur den Glimmer, nur den Schein,

Du ſiehſt in mir ins Herz der Welt hinein.

Mein Ich fühlt nur, was ſchmeichelnd ihm behagt,

Du fühlſt in mir, was ſich zu opfern wagt.

Du zehrſt an mir, wie Glut an Eiſen zehrt,

Du ruhſt nicht, bis ich ſchlackenlos verklärt.

Läßt Du von mir, bin ich ein Spiel, ein Spott;

Mein Ich, erfüllt mit Dir, iſt ſelber Gott.

Meinem Bruder Julius.


1880. Muſenalmanach für 1881.


Aus einem Stamm entſproſſen,

Von einer Erde genährt,

Auf Leben und Tod Genoſſen,

Von einer Gluth verklärt —

So ſtehen wir beieinander

Schulter an Schulter gelehnt,

So führen wir aus ſelbander,

Was jeder von uns erſehnt.

Ohne Dich, Du lodernd Feuer,

Erſtarrte mir Hirn und Blut, —

Aus der Hand ſänk’ mir das Steuer,

Spräch’ mir Dein Mund nicht Muth.

Ja, wir gehören zuſammen,

Wie Wind und Wellenſchlag,

Wie Himmel und Sternenflammen,

Wie der Wald und der ſchäumende Bach.

[188]Heinrich Hart.
Wir haben uns nichts geſchworen,

Kein Blutbund ging vorauf,

Wir ſind zu eins geboren,

Ein Quell, zwei Ströme, ein Lauf.

O Bruder, was auch das Leben

Für uns ernſtwebend ſchafft:

Eins, eins ſei unſer Streben,

Doch zwiefach unſre Kraft.

Rings drängt ſo viele Kleinheit

In tauſend Herzen ſich,

Wuchernd prahlt rings Gemeinheit,

Alle Sehnſucht ſchier erblich,

Alle Sehnſucht nach des Schönen

Unwandelbarem Licht,

Nur Schwerter hör’ ich dröhnen,

Helle Lieder hör’ ich nicht.

O Bruder, da gilt’s zu ringen

Einig mit zwiefacher Kraft, —

Dann werden wir Balſam bringen

Jeder Wunde, die fiebernd klafft,

Dann werden mit brennenden Lettern

Unſre Namen wir zeichnen ein

Der Geſchichte rauſchenden Blättern,

Und in der Herzen Schrein.

Cäcilie.
1883.


Deutſches Herz und deutſcher Geiſt.


Wenn Du es wüßteſt,

Was träumen heißt

Von brennenden Küſſen,

Vom Wandern und Ruhen

Mit der Geliebten,

Aug’ in Auge

Und koſend und plaudernd —

Wenn Du es wüßteſt,

Du neigteſt Dein Herz.

[189]Heinrich Hart.
Wenn Du es wüßteſt,

Was bangen heißt

In einſamen Nächten,

Umſchauert vom Sturm,

Da Niemand tröſtet

Milden Mundes

Die kampfmüde Seele —

Wenn Du es wüßteſt,

Du kämeſt zu mir.

Wenn Du es wüßteſt,

Was leben heißt

Umhaucht von der Gottheit

Weltſchaffendem Athem,

Zu ſchweben empor

Lichtgetragen

Zu ſeligen Höhen —

Wenn Du es wüßteſt,

Du lebteſt mit mir.

Abendgang zur Geliebten.
1884.


Originalbeitrag.


Nun iſt der Abend kommen,

Die Sterne ſind entglommen,

Die Straßen ſchlummern mählig ein.

Abwerf’ ich all’ mein Mühen

Und laß in mir erblühen

Der Liebe Sehnſucht ganz allein.

Rings grüßen von den Zweigen

Die Vögel und es neigen

Sich flüſternd Buſch und Blume mir;

So feſtlich iſt mein Weſen,

Sie mögen leicht es leſen,

Wie meine Seele fliegt zu Dir.

[190]Heinrich Hart.
Die Kinder, die am Wege

Sich tummeln durch’s Gehege,

Sie reichen lächelnd mir die Hand.

Die Winde, die da wehen,

Die Wolken, die da gehen,

Sie knüpfen mir ein roſig Band.

Wie weit ſeid ihr entſchwunden,

Ihr ſorgenſchweren Stunden,

Wie fern, wie fern liegt Kampf und Streit;

Die Welt iſt ſo voll Frieden,

Als läg’ ſie abgeſchieden —

Ein See in grüner Einſamkeit.

Nun ſteh’ ich an dem Hauſe,

Vor meines Glückes Klauſe,

Und meiner Freuden Inbrunſt wird Gebet;

Laß jedes Herz hienieden

Durch Liebe finden Frieden,

Du göttlich Feuer, das die Welt durchweht.

Märznacht.
1884.


Originalbeitrag.


Nacht, in Deinem Mutterſchoße

Ruht der Lenz, ein ſtilles Kind,

Weiß noch nicht, wie herrlich große

Wonnen ihm beſchieden ſind.

Seine Augen blicken ſtaunend

Auf die Erde, auf die Braut,

Und von ſeinen Lippen raunend

Klingt der erſte Liebeslaut.

Und die Erde hört ihn klingen,

Breitet weit die Arme aus,

Sehnſuchtsvolle Grüße dringen

Heimlich in die Nacht hinaus.

[191]Heinrich Hart.
Durch das Herz geht ihr ein Beben,

Träumend neigt ſie ihr Geſicht,

In der Luft beginnt’s zu weben,

Silbern rinnt des Mondes Licht.

Die noch ſchlafen, aus den Wäldern

Rauſcht’s wie leiſer Vogelſang,

Die noch keimen, von den Feldern

Blüht’s wie Duft das Thal entlang.

Flammen leuchten durch die Ferne,

Unhörbare Winde weh’n

Und das Aug’ von Stern zu Sterne

Kann den Himmel offen ſeh’n.

Liebſte, ſiehſt Du rings es glimmen,

Siehſt Du rings den goldnen Schein,

Hörſt Du rings die tauſend Stimmen?

Erde ſaugt den Himmel ein.

Liebſte, laß in Dir die Schauer

Weben dieſer heil’gen Nacht,

Keines Winters düſt’re Trauer

Hat nun fürder ob uns Macht.

Und wie dieſe Nacht, ſo prächtig,

Wird ob unſerm Leben ſtehn,

Unſre Liebe, lenzesmächtig

Wird ſie durch die Seele wehn.

Tauſend Blüthen wird ſie reifen,

Uns mit tauſend Kränzen zier’n,

Wird mit lauen Winden ſtreifen

Allen Staub von unſrer Stirn.

Nach den Tagen heiß vom Ringen

Wird ſie mondesglanzgeweiht,

Uns mit heimlich ſüßem Klingen

Wiegen in Traumſeligkeit.

[192]Heinrich Hart.
Nacht des Märzen, Nacht der Liebe,

Euer Schoß gebiert das Licht,

Die ihr heiliget die Triebe,

Eure Flammen löſchen nicht.

Lenze keimen und vergehen

Und der Erde Bau zerfällt,

Doch aus euch wird auferſtehen

Ewig neu die goldne Welt.

Wacht auf.


1876. „Weltpfingſten“.


Was drängt ihr Felſen in die Wolken ein,

Schon raſt das Meer und rüttelt Stein von Stein.

Was prahlt ihr Wälder ſtolz mit eurem Grün,

Schon ſeh’ im Weſt den Wetterſtrahl ich glüh’n.

Was ruft ihr Glocken friedlich zum Gebet,

Wenn ſchon die Erde hohl und donnernd geht.

Was jauchzt ihr Menſchen wie am Feiertag,

Schon grinſt der Tod euch lüſtern ins Gemach.

O könntet ihr mit meinen Augen ſehn,

Wie brünſtig würdet ihr zum Himmel flehn.

Allweg kriecht Elend wie ein ekel Gift,

Und Niemand weiß, wen’s heut zu Hauſe trifft.

Allweg hebt Streit ſich ehern auf vom Roß,

Und klirrend fährt ins Mark ſein ſcharf Geſchoß.

Allweg weicht Einer ſchen dem Andern aus,

Und ſchließt, wie vor dem Todfeind, Hof und Haus.

O gäb’ der Herr mir ſeines Sturmes Mund,

Daß ihr mich hörtet all zur ſelben Stund.

[193]Heinrich Hart.
Daß ihr mich hörtet, Hütte wie Palaſt. —

Wacht auf, wacht auf aus eurer Liebe Raſt.

Wacht auf vom feigen Pfühl hochmüth’ger Luſt,

Die Schlange Neid reißt von der warmen Bruſt.

Wacht auf vom blut’gen Rauſch des Heldenthums,

Barmherzigkeit ſei Mutter eures Ruhms.

Wacht auf, eh’ euch der Tag des Zorns ereilt,

Und Todesangſt vereint, was heut ſich theilt.

Seid länger nicht, ihr Frauen, matt und lau,

Euch ſchmückt ja Milde, wie die Knospe Thau.

Ihr lieben Frauen habt des Herzens Acht,

Legt Gott zu Füßen die armſel’ge Pracht.

Fort ſchleudr’ ich alle Hoffnung, all’ Vertrau’n,

Wenn ihr nicht helft den neuen Tempel bau’n.

O gäb’ der Herr mir ſeines Frühlings Mund,

Von ſeiner Liebe brächt’ ich frohe Kund’.

Schaut einmal, einmal nur zu ihm empor,

Gleich blüht euch auf des ganzen Lenzes Flor.

Werft ab des Alltags Sinn, des Alltags Kleid,

Gleich rauſcht hernieder ewige Feierzeit.

O werdet warm, facht wieder an die Gluth,

Die unter eurer Hoffart Aſche ruht.

O fangt nur einmal wieder an den Lauf,

Gott führt euch weiter, — auf, wacht auf, wacht auf. —

13
[194]Heinrich Hart.

Geſpräch mit dem Tode.
1884.


Originalbeitrag.


Ich:

Wer biſt Du Mondesleuchtender?


Er:

Der Tod,
Den Deiner Seele dumpfer Schrei entbot;
Ich ſah wie Dich der Erde Noth umdrängt,
Auf, folge mir, ich löſe was Dich zwängt.


Ich:

Wohin? wohin? Dein Weg iſt dunkle Nacht,
Ich liebte ſtets des Tages goldne Pracht.


Er:

Was weiß Dein blindes Auge von dem Licht,
Das tiefrem Schoß, als Sonnenglanz entbricht!
Tauch in die eigne Seele Du hinein,
Fühlt ſie nicht andren Lichtes Widerſchein?


Ich:

So keimte neues Sein aus dieſem Sein
Und es verfaulte nur dies morſch Gebein?


Er:

Sieh dort den Rauch, der im Gewölk verſchwebt,
Weil er kein Rauch mehr, hat er ausgelebt?
Wenn das Gewölk grauregnend niederſprüht,
Iſt’s nicht der Rauch, vor dem das Feld erblüht?


Ich:

Was gilt die Welt mir, wenn mein Ich zerfällt!


Er:

Weh dem, der für den Fuß die Krücke hält;
Ein Traum vom Ichthum, voller Fieberpein,
Ein Kranken an dem Ich iſt euer Sein.
Schlepp weiter, weiter Dein armſel’ges Ich
Und Hölle wird die Ewigkeit für Dich.
Das Ich iſt eurer Sünden Quell allein;
Was in euch flach, was ekel, was gemein,
Das Ich gebiert es; eurem Ich zu lieb
Verhurt ihr eures Geiſtes Gottestrieb,
[195]Heinrich Hart.
Verhurt den Leib und kriecht in Koth und Staub
Und ſteht wie Tiger über einem Raub
Euch lauernd gegenüber, jeder wägt,
Wie er den andren rückwärts niederſchlägt.
Und dennoch ſcheidet edel und gemein
Und bös und gut ihr, ſcheidet groß und klein —


Ich:

Das Große iſt die Liebe, die uns eint,
Das Mitleid, das den Weinenden beweint,
Der Glaube, daß kein ander Wirken lebt,
Als Treue, die im Dienſt der Menſchheit ſtrebt —


Er:

Das iſt das Große, ihr verhehlt’s euch nicht,
Das iſt es, was den Bann des Ichs durchbricht.


Ich:

Dein Wort wühlt wie mit Flammen durch mein Herz,
Sag’, was mich rettet von des Daſeins Schmerz.


Er:

Blick auf zu mir und frage; was Du ſiehſt,
Verkündet Dir, wie Du dem Ich entfliehſt.


Ich:

Was deutet dieſer Stern Dir überm Haupt?


Er:

Selig der Mann, deß Sinne nie beſtaubt.


Ich:

Und was der Tropfen Bluts auf Deiner Bruſt?


Er:

Selig, wem Wunden ſchlug der Erde Luſt.


Ich:

Und was der Schein, der kränzend Dich umwebt?


Er:

Selig, wer lebend ſtirbt und ſterbend lebt.


Ich:

So iſt das Leben Tod, Du aber biſt
Der Keim, in dem des Lebens Fülle iſt.


Er:

Ich war’s, der beim Gekreuzigten einſt ſtand,
Der ihn mit Gott, dem Kern des Alls verband,
Die Liebe hatte aufgezehrt ſein Ich,
Drum verſchmolz mit Gott ſein Ewiges ſich.
13*
[196]Heinrich Hart.
Ich würgte den, der Alexander hieß,
Ich war’s, der ihn vom goldnen Prunkbett ſtieß,
Weil er ſein Ich nicht ſättigen konnte hier,
Gab ich ihm neues Ichthum, neue Gier.


Ich:

Und ich und ich! Die Hände ſtreckt’ ich aus
Nach Dir, zu führen mich ins Nichts hinaus,
Eh ich Dich kannte; ach ich wollte fliehn,
Eh mir im Kampf des Lebens Sieg verliehn,
Eh ich dies Ich getödtet oder mich
Zu neuem Kampf und Sein verdammt das Ich.
Doch jetzt erkenn’ ich klar und fühl’ es tief,
Ich bliebe krank und wenn ich ewig ſchlief’,
Geſunden muß ich von des Ichthums Noth,
Zum Leben zu geſunden durch den Tod.


Er:

Was zauderſt Du? Blaß wird Dein Angeſicht,
Die große Stunde flieh’ ſie länger nicht,
Wirf ab den Leib!


Ich:

Nein, hebe nicht Dein Schwert,
Laß von mir Tod, noch bin ich Dein nicht werth.


[[197]]

Oskar Hanſen.


Eingang.


Originalbeitrag.


In lauer Nacht durchwandl’ ich oft den Wald,

Leiſe umwogt nur von des Blattmeers Flüſtern

Lenk’ ich den Schritt zu Felſen ſchroffen, düſtern —

An meinem Lieblingsziele bin ich bald.

Nie drang ein Ton der Nachtigall hierher,

Noch eines ander’n Vogels ſüßes Lied;

Nur in den Bäumen rauſcht es tief und ſchwer,

Und ſeufzend ſtreicht der Wind lind durch den Ried.

Dumpfbrauſend wälzt ſich über das Geſtein

Der Bach in tiefem wildzerwühltem Bette,

Mit unſtät fahlem, geiſterbleichem Schein

Umſpinnt der Mond die ſchwermuthsvolle Stätte.

Hier pocht das wilde Herz nicht, Niemand ſieht

Die Bruſt voll Neugier, doch an Liebe leer,

Welch’ Weh’ durch meine kranke Seele zieht,

Und läſtiges Fragen quält mich hier nicht mehr.

Du meiner Göttin tröſtende Geſtalt,

Vor der zu Schatten werden Freundſchaft, Sippen,

Löſ’ſt mir mit ſanftem Kuß die ſtarren Lippen,

Und formſt zum Liederſtrom des Weh’s Gewalt.

[198]Oskar Hanſen.

Das Lied.


Originalbeitrag.


Tönet Saiten, tönet,

Was das Herz erſehnet,

Was die Bruſt erfüllt;

Daß mit Eurem Schalle

Luſt und Schmerz verhalle,

Friede mich umhüllt.

Wie den vollen Klängen

Stürmt mit jähem Drängen

All’ mein Fühlen nach!

Aus den tiefſten Tiefen

Meiner Seele riefen

Luſt und Schmerz ſie wach.

Wie, wenn Meeresfluthen,

Oder Feuersgluthen,

Brauſend jagt der Wind;

Dann, wie Zephir ſpielet,

Unter Blüthen wühlet,

Wie die Quelle rinnt.

Wie die Stürme ſchweigen

Und nach wildem Reigen

Stillen ihre Kraft,

So verhallt der Klänge

Zügelloſe Menge,

Schweigt die Leidenſchaft.

Aus der Saiten Schüttern,

Ihrem leiſen Zittern

Zwiſchen Schmerz und Luſt,

Schwebt nach bangem Ringen

Auf des Liedes Schwingen

Friede in die Bruſt.

[199]Oskar Hanſen.

Morgenandacht.


Originalbeitrag.


Es rauſcht zur Seite mir der Strom,

Das klingt wie Orgelſang,

Und immer mächt’ger ſchwillt der Klang

Empor zum blauen Himmelsdom.

Durch aller Bäume Wipfel geht

Ein Säuſeln leis und andachtsvoll

Wie Lippen flüſtern ein Gebet,

Das Frieden bringen ſoll.

Manfred.


Originalbeitrag.


O ſchnöder Tod, was meideſt Du die Bruſt,

Die längſt bereit, als Freund Dich zu empfangen?

Was machſt Du Herzen ſtill, die noch mit Luſt

An dieſer Welt und ihren Freuden hangen!

O ſieh mich an! Wie iſt mein Aug’ ſo müd’!

Wie matt der Fuß von all’ den falſchen Wegen!

Der Seele ſtolze Flammen ſind verglüht,

Und Nichts mehr will ſich in der Tiefe regen.

O ſetz’ ihr vor den ſüßen Labetrunk,

Nach dem ſie ach ſo ſehnſuchtsvoll begehrt;

Zur Qual geworden iſt Erinnerung,

Und Alles nur noch des Vergeſſens werth.

[200]Oskar Hanſen.

Komm Bruder Manfred …


Originalbeitrag.


Komm Bruder Manfred, reiche mir die Hand

Herüber aus dem ungeheuren Nichts,

In dem Dein Geiſt erſehnte Ruhe fand —

Ich folge Dir, ach! lächelnden Geſichts.

Auch meine Lampe brennt dem Ende zu,

So oft gefüllt! ich laß ſie gern verrauchen.

Was ich erſann, erlebt, erlitt — wie Du!

Läßt mich mit Wonn’ in’s Dunkel niedertauchen.

Frage.


Originalbeitrag.


Das erſte Veilchen

Wo werd’ ich’s pflücken?

Und wen — o Frage! —

Wen wird es ſchmücken?

Und — Gott, o ſage! —

Wird ſie’s beglücken?

O ſchilt mich nicht …


Originalbeitrag.


O ſchilt mich nicht, wenn Schönes mich entflammt

Und mir Begeiſterung im Herzen zündet;

Den nenn’ ich zum Philiſterthum verdammt,

Dem ſelbſt die Kunſt Alltägliches nur kündet.

Ach, was aus höher’n, reiner’n Sphären ſtammt,

Wird das mit kaltem Spötterſinn ergründet?

Laßt wenigſtens in dieſen trüben Zeiten

Die Kunſt uns einen Schein von Glück verbreiten.

[[201]]

Erich Hartleben.


Opferdampf ſtieg …


Originalbeitrag.


Opferdampf ſtieg von der befleckten Erde

Wahrlich niemals herrlicher auf zum Himmel,

Denn, da dein Wort Märtyrerblut beſiegelt,

Heilige Wahrheit,

Da der Pfaff ſich — Pfaffe zugleich und Henker —

An der Gluthqual denkender Menſchen letzte,

Da im Rauch ſein Blick und des Ketzers Blick wie

Dolche ſich kreuzten. —

Jene Gluth, entfacht in dem Schooß des Dunkels,

Ueberraſchend ſiegreich den Bezirk der Scheite,

Ward des Dunkels Feind — und der Strom der Zeiten

Wird ſie nie löſchen.

Nein! Sie glüht! Und wär’s in den fernſten Tagen, —

Aſche wird die finſtere Tempelhalle,

Drin geknechtet ſeufzet der Geiſt der Menſchheit,

Hegend und reifend

Eine Saat, die ſpätere Enkel ernten,

Faßt ſie Herzen, die ſie entflammt zu reden —

Ihre Macht verkündigend hat ſie meine

Lieder befeuert.

[202]Erich Hartleben.

Alte Zeiten …


Originalbeitrag.


Alte Zeiten ſah der Erde Antlitz,

Ungezählt durchlief des ewigen Tages

Glanzesbahn das rollend Rad der Sonne —

Aber dennoch

Scheinet jung und friſch der Frühlingsmorgen,

Wann der Feind der Nächte, ſtrahlgewappnet,

Wirft des Lichtes Pfeil hin über dunkler

Wolken Wälle.

Denn das Herz, das menſchlich reiche Fühlen

Altert nie. Wie oft entzückten Augen

Auch geöffnet ſich der Roſengarten

Erſter Liebe,

Ewig bleibt ſie jung die Luſt der Liebe

Ewig jung des Mutterherzens Jubel,

Ewig jung der Schmerz am Grab des Vaters.

Lieben, Leiden

Iſt des Menſchen nievergeßnes Wollen,

Nimmer ehrt der Kampf mit ſolchem Zwange,

Nimmer wird ein Menſch, wie ſehr er ſtrebt, den

Kampf vollenden.

Es lebt ein Gott …


Originalbeitrag.


„Es lebt ein Gott, der Schöpfer des Weltenrunds,“

So ſagen ſie. Doch, geben ſie Kunde auch,

Ob von dem Funkeln, das den einen

Tropfen im Meere des Alls umleuchtet,

[203]Erich Hartleben.
Ob er vom Ringen menſchlicher Nichtigkeit

Jemals vernahm? „Allmächtig und liebevoll

Iſt er, vor ſeinen Vaterblicken

Birgt im unendlichen Raum ſich Niemand,

Kein Schmerz iſt ihm, kein Jubel der Freude fremd,

Den Gott der Liebe nennen ihn Alle ja.“ —

So ſieht er alſo dieſer Erde

Nimmer ermeſſene Jammerwüſte?

Er ſieht das Edle unter den Fuß geſtampft

Des Tiefgemeinen? Siehet in Qual und Staub

Sich wälzen Millionen Herzen,

Blutend, gemartert ein qualſchweres Daſein?

Und endets nicht? Und trümmert und ſchmettert nicht

Die Welt in’s wahnlos friedliche Nichts zurück? —

Den Gott grauſamer wär’ er wahrlich,

Als der verworfenſte Menſchenbube!

Sträuben ſollen wir uns …


Originalbeitrag.


Sträuben ſollen wir uns wider das Eiſenjoch,

Dem der Gewohnheit Schmutz Würde des Alters lieh;

Wen das ſteigende Licht grüßt,

Nicht ſehn’ er die Nacht zurück!

Feigheit knechtet die Zeit, beuget der Nacken Kraft;

Wenige wagen nur frei zu geſtehen, was

Längſt ihr kühnerer Blick ſah,

Längſt ihnen im Buſen lebt.

Weit noch ſeltener ſind aus der Berufnen Schaar,

Die, der Lebendigkeit thätigen Daſeins Freund,

In die Speichen des Rades

Eingreifen mit feſter Hand,

[204]Erich Hartleben.
Heilig gelten der Zeit Rechte des Alters nur:

Weil es beſtand vordem, iſt es beſtehenswerth!

Heilig gelten der Zeit nicht

Treupflichten des eignen Sinns. —

Sträuben ſollen wir uns wider das Eiſenjoch,

Dem der Gewohnheit Schmutz Würde des Alters lieh;

Wen das ſteigende Licht grüßt,

Nicht ſehn’ er die Nacht zurück!

Schuld und Schickſal …


Originalbeitrag.


Schuld und Schickſal ſchlagen ums Haupt des Menſchen

Ihre lebensfeindlichen finſtren Schwingen,

Selten küßt ihn irgend ein Strahl der Freude

Flüchtig beglückend.

Aber dennoch wittert und ſpürt die Seele

Ueber all der laſtenden Nacht der Schmerzen

Eines reinen, nimmergetrübten Himmels

Göttliche Klarheit! —

Harren ſtets und hoffen und aufwärts blicken

Mit der Sehnſucht glühendem Seherauge

Muß der Menſch. Zu bitter und herb enttäuſchet

Leben und Welt ihn.

Wohin Du horchſt …


Originalbeitrag.


Wohin Du horchſt, vernimmſt Du den Hülferuf

Der Noth! Wohin Du blickeſt, erſchrecken Dich

Gerungne Hände, bleiche Lippen,

Welche des Todes Beſchwörung murmeln!

[205]Erich Hartleben.
Wohin Du helfend ſchreiteſt, verſinkt Dein Fuß

Im Koth der Lügen. — Selbſtiſcher Dummheit voll

Schreit dort ein Protz nach „Ordnung“, ihm ja

Füllte der „gütige Gott“ den Fleiſchtopf.

„Reformation“, ſo heulen die Pfaffen rings.

„Es muß die Kirche wieder im Geiſterreich

Als Herrin thronen: ihre Lehren

Scheuchen das Sorgen um weltlich Wohlſein!“

Des Staates Herren hoffen des Staates Heil

Vom ſichren Maulkorb, welcher das Beißen wehrt,

Sogar das unbequeme Bellen

Wiſſen ſie knebelgewandt zu dämpfen …

In dieſem dunkelflutenden Wogenſchwall

Wo iſt der Boden, welcher den Anker hält?

Wann naht der Gott im Sturm fahrend,

Der die verpeſteten Lüfte reinigt?

Wo blitzt ein Lichtſtrahl kommenden Morgenroths

An dieſem nachtbelaſteten Horizont?

Wo ſieht der Jugend Thatenſehnſucht

Flattern die Wimpel des fernen Zieles?

Weiße Roſe.


Originalbeitrag.


Ach ich glaube,

Daß voreinſt mir,

Da ich Kind war,

Allererſt ſich

Was da ſchön ſei,

Offenbart hat

In dem Duftbild

Weißer Roſe.

[206]Erich Hartleben.
Ach ich glaube,

Daß der Jüngling

Noch den Zauber

Alles Schönen

Nicht gelernt hat

Unterſcheiden

Von dem Zauber

Weißer Roſe.

Ach ich glaube —

Zwar der Herbſt kam,

Und die Schweſtern

Auf den Fluren

Welkten lang ſchon —

Weiter blühſt du

Mir im Herzen,

Weiße Roſe.

[[207]]

Alfred Hugenberg.


Im Himmel.


Originalbeitrag.


Gen Himmel fühlt’ ich meine Seele ſchweben

Und in das Reich der Engel ging ich ein.

Geblendet wagt’ ich kaum den Blick zu heben —

O Glanz! O Glück! Das Alles war nun mein!

Und unwillkürlich kam mir ein Gedanke,

Der ach! ſo ſchön, ſo gut, ſo menſchlich war —

Mir kam der Liebe ſeliger Gedanke — —

O Du, o meiner Mutter Augenpaar!

Von Ferne ſchien ſie lächelnd mich zu grüßen,

Die meiner Jugend erſte Freuden ſah;

Und auch den Vater fand ich Gott zu Füßen:

Verklärten Angeſichtes ſtand er da.

„So ſoll ich hier Euch wirklich alle finden,

Die mich in Lieb’ an ihre Bruſt gepreßt?

Ich hört’ es in der Jugend mir verkünden,

Und zweifelnd hielt ich an der Hoffnung feſt!“

Ich trat heran — ich wollte ſie umarmen.

„Mein Vater! Meine Mutter!“ rief ich laut —

O laßt an Eurer Bruſt mich hold erwarmen,

Selig das Kind, das Euch nun wiederſchaut!

Wie? War es möglich? Ihres einzigen Sohnes

Erinnert eine Mutter ſich nicht mehr? —

Ich fuhr empor: unwillig dumpfen Tones

Lief ein Gemurmel durch der Engel Heer.

Ich ſah beſtürzt umher im weiten Raume:

Verſunken war in Andacht Jedermann.

Plötzlich erwachten wie aus tiefem Traume

Alle und blickten mich erſchrocken an.

[208]Alfred Hugenberg.
„O meine Freunde! Meine ſüßen Schweſtern!

Euch drück’ ich liebend wieder an mein Herz!“ —

„„Hör’ endlich auf, den großen Gott zu läſtern!““

Durch meinen Buſen zog ein tiefer Schmerz.

„Nein, noch iſt alle Hoffnung nicht geſchwunden,

Ich ſahe Sie — nun fühl’ ich neuen Muth, —

An deren Bruſt ich Paradieſes-Stunden

In weicher, warmer Sommernacht geruht.“

Und durch allmächtiges Gefühl getrieben,

Eilt’ ich auf ihre ſüßen Reize zu.

„Du,“ rief ich aus,“ Du mußt mich ewig lieben —

Denn meines Lebens Liebe warſt ja Du!“

Sie ſah mich an. Ihr Haupt erhob ſich freier —

Sie war ſo ſchön, ſo keuſch, ſo engelrein!

Gehüllt in einen leichten, weißen Schleier

Lud ihres Buſens holde Pracht mich ein.

„O blicke dorthin! Beuge Deine Glieder!

Und bete Gott, den Allerbarmer an!“

Ich ſah mich um, ich ſank zu Boden nieder,

Ein Schauder ſtieg mir kalt das Herz hinan.

Den Gott der Liebe ſah ich vor mir ſtehen,

Und zitternd ſchaut’ ich ihm in’s Angeſicht:

Ach, meinen ganzen Stolz fühlt’ ich vergehen:

Die Liebe Gottes war die meine nicht. — —

Und wollt’ ich kühn mich abzuwenden wagen,

Gleich hört’ ich dumpfe Stimmen rechts und links —

Ich fühlte mich von heißer Angſt geſchlagen,

Und „Ewig! Ewig! Ewig!“ ſcholl es rings! —

O welch ein Traum! Ich ſtarb in dumpfen Banden!

Schwer lag es wie gewitterſchwüle Nacht

Auf meiner Bruſt, und alle Sinne ſchwanden …

Auf Erden bin ich wieder, bin erwacht!

Die Vögel ſchlagen fröhlich ihr Gefieder,

Die Sonne lugt in mein Verſteck herein,

Auf meine Jugend lächelt ſie hernieder!

Noch iſt die Welt, noch iſt das Leben mein!

[209]Alfred Hugenberg.
Noch fühl’ ich Kraft, zu wirken und zu ſtreben

Noch pulſt in meinen Adern friſch das Blut.

Nicht ſoll der Geiſt gen Himmel bang entſchweben:

Auf Erden iſt der Menſchheit ſchönſtes Gut!

Ich kann und mag an einen Gott nicht glauben,

Der mich erſchaffen aus dem dunklen Nichts —

Nicht laſſe ich den hohen Stolz mir rauben,

Ein Menſch zu ſein, ein Sohn des Sonnenlichts!

Ich kniee nicht vor einem kalten Gotte,

Der mich zum Dienſt mit harter Drohung zwingt —

Komm’ her, o Kind, in dieſe kühle Grotte,

Wo klar der Quell dem grünen Moos entſpringt.

Laß alle Furcht aus Deinem Herzen ſchwinden,

Vor Dir will ich in heißer Liebe knien

Und menſchlich an des Menſchen Bruſt empfinden

Und alle finſtren Träume will ich fliehn.

Nicht ſoll ein Gott mich ſtrafen und belohnen,

Ich ſelbſt will meiner Thaten Richter ſein.

Die Götter, die im eignen Inn’ren wohnen,

Sie bet’ ich hoffend an, ſie nur allein!

Frei ſtreb’ ich nach des Lebens höchſten Zielen

Und einen andren Lohn begehr’ ich nicht,

Als ſterbend einſt das Wonneglück zu fühlen:

Ich lebte, liebte, ſonnte mich im Licht!

Frühlingsmorgen.


Originalbeitrag.


Leuchtend brach der Strahl der Sonne,

Aus den weißen Nebelfluthen,

Als ich heut’ am frühen Morgen

Durch die thaubenetzte Wieſe

Kummervollen Herzens hinſchlich;

Und die morgenfriſche Erde

Streckte alle ihre Glieder,

Blätter, Blüthen, Halme, Gräſer —

Alle durſtend ihm entgegen.

14
[210]Alfred Hugenberg.
Ach, wenn alſo Deiner Liebe

Seligſüßer Strahl doch endlich

Segnend auf mich niederthaute,

Jene Nebel hell durchbrechend,

Die von allen Seiten trübe

Meines Lebens Pfad umfließen —

Wenn ich endlich, gleich der Erde,

Die im Glanz der Sonne badet,

In dem Glanze Deiner Liebe

Meine Seele baden dürfte!

Andacht.


Originalbeitrag.


Vor dem Bild der Mutter Gottes ſah ich Dich, Geliebte, beten,

Und es trieb mein volles Herz mich, leis an Dich heranzutreten,

Und ich blickte Dir in’s Auge, jenes Auge zauberklar,

Das umflort vom keuſchen Glanze heißer Andachtsthränen war.

O Geliebte, dieſes Auge, dieſe jugendfriſchen Wangen,

Laß ſie nicht an jener Heilgen, laß an mir ſie glühend hangen!

Denn ich fühl es, daß die Gottheit nicht zur Andacht Dich erſchuf,

Daß der Feuerdienſt der Liebe, ſchönes Mädchen, Dein Beruf.

Es tagt …


Originalbeitrag.


Es tagt! Es tagt! Schon wogt’s im Nebelmeer!

Die neue Welt, die kämpfend wir erſehnen,

Wirft ihre Purpurſtrahlen vor ſich her:

O grüßet ſie mit heilgen Freudenthränen!

Nicht ohne Fehl iſt dieſe neue Welt,

Nicht ohne Schuld und ohne tiefe Schmerzen,

Doch iſt ihr Geiſt von ſtolzer Kraft geſchwellt.

Und friſches Leben glüht in ihrem Herzen.

Was ſie mit goldnen Siegeskränzen ehrt,

Biſt du, o zwangbefreiter Muth der Jugend,

Und was ſie liebt und laut im Liede lehrt,

Es iſt die frei gewordene, ſchöne Tugend.

[[211]]

Georg Gradnauer.


Meſſiaspſalmen.


Originalbeitrag.


I.


Willkommen, heilige Strahlampel des Himmels,

Die du emporziehſt über der Berge erglitzernden Saum,

Sei mir gegrüßt! Nun gießeſt du nieder

In die Wiege der dir zujauchzenden Thäler

Deines Lichtes allmächtige Vollfluth.

Nun umlächelſt du, trauteſte Mutter

All deine Kinder auf der Erde tiefgründiger Breitung,

Alljedes Buſchwerk, jeglichen Baum,

Der ſehnſuchtsheiß dir ſeine Gezweige emporſtreckt;

Und aus des Kelches kunſtreichem Pokale

Lockſt du die prangende Blüthe hervor

Und mit der Früchte geſegneter Schenkung

Krönſt du der Blüthe farbige Pracht. —

Aber doch lieber und vielmalig ſchöner

Scheint mir die Sonne, die jetzo mir in der Seele erwacht!

Endlich, endlich ſteiget ſie hoch

Und zerſetzt mit ſiegesſichrer Gewalt

Das hartnäckig ſich ſträubende, finſter ſich bäumende,

Dunkelheitsnächtige Wettergewölk,

Das auch in mir ſo lange gehauſet,

Auch meine Seele mit taglichtſcheuem Geſpinnſt umſponnen.

Denn gänzlich nun hab’ ich den Rücken gekehret

Dem nachtumſchatteten Gießbach des Lebens

Und fernab den niedrig giſchtenden Wogen,

Mit denen auch ich ehedem bin getrieben,

14*
[212]Georg Gradnauer.
Hauſ’ ich hier oben auf goldigem Bergdach,

Ein einſamer Siedler, Zwieſprach nur haltend mit mir allen

Und dem pfeilergetragenen, moospelzumfloſſenen Felsdom.

In das härne Gewand Erkenntniß und Wahrheit ſuchenden Sehens

Iſt nun endlich gehüllt meine irdiſchem Flitter abgewendete Sele.

Ja wahrlich! Gänzlich habe ich nun entſaget dem ſinnebethörenen,

Nimmer doch wahres Genüge erſchaffenden Haſten und Gehen;

Und alſo zerthauen die eisharten Kruſten,

Die mich umſtarrt mit ertödtender Kälte,

Namenloſen Jubels ſchwell’ ich empor in die ſtrömenden Lfte,

Wachſe hinauf in des Aethers allweite Zonen.

Losgeſtreift aus den ſtumpfumzirkenden Engen ichſüchtiger Selbſteit,

Fühle ich mich, in ſeligſter Wonne erſchauernd,

Zuſammengegoſſen mit dem Alles im Schooße des Weltglüs

Umfaſſenden Weſen der Allheit!

II.


Was rauſchtet ihr für wunderbare Hymnen,

Ihr ſanftgeneigten Birkenhäupter

Durchs ſtumme, traumgewiegte Nachtesdunkel,

Das eure ſchneeige Hermelinumwandung nur,

Und durch die ſchwarzen Laubeshänge niedertropfend

Des Mantels Silberfluth zu lichten wagt?

Wie ſeltſamlich noch nie vernommene Melodie’n

Raunt mir des leisbeflügelten Windes Mund? —

Mir iſts, als ſei von jedem Dinge

Die äußere Trugumhüllung fortgezogen,

Als ob ich Jedes könnt’ erkennen

In ſeines Weſens tiefſter Eigenheit,

Als wenn ich lauſchte an dem Urborn alles Seins und Werdes.

Erhabenes fühl’ ich auf mich niederſtürmen,

Noch nie geklungne Saiten beben ſonderartge Lieder

Mir durch das Herz, das weltengroß ſich dehnet;

Und Ungeheuerliches gähret tief in meiner Bruſt,

Daß heiligen Grauens ahnungsvoll es mich durchzittert.

[213]Georg Gradnauer.
Ein mattes Nebelmeer umwallt mir die ſchwindelnden Sinne,

Und aus ihm löſen ſich geheimnißvolle Schattenbilder,

Die immer ſchärfer, klarer zu deutlichſter Geſtaltung mir ſich feſten.

Und was im Wandel fliehender Zeiten Großes erſtanden,

Alles erſcheint mir wie wiedergeboren,

Umſchwebt mich zu wundergewaltger Erhebung.

Prometheus, nimmermüder Kämpfer

Wider falſche Scepter tragender Götter Frevelmuth,

Und Moſes, Heiligthumserwecker,

Von des Dornbuſchs flammenden Feuern Geweihter,

Und Jeſus Dich, der Du in entſagender Hehrheit

Schwerſter Leiden bittere Früchte gekoſtet,

Euch alle ſchau’ ich in ſtaunenbefangener Seele,

Von des heiligen Weltgeiſts Rieſengriffen erfaßt.

An der Pfort’ des Herzens ſtocket des Blutes

Strömung, gehemmet von ſeligem Schreck.

In Wonneklarheit flammt es mir durch die Seele,

Der ewige Geiſt des Alls durchſchüttert ſie mit ſeinem Läutrungsbade;

Zerreißen fühl’ ich alle irdſchen Bande,

Ich fühl’s, ich weiß’s, ich bin geweiht und bin geſalbt,

Bin auserkoren, auferweckt zum Heile;

Und mag der Dornenkranz mit ſeinen Stacheln

Mir noch ſo tief die Stirn zerfurchen,

Und jedes Leidens blut’ge Qual ſich auf mich thürmen

Ich weiß, ich weiß, in mir erſtanden iſt ein neues Licht,

Und dieſes Lichtes goldner Fackelbrand,

Bald leuchtet hin er durch die ſchattendunklen Lande,

Bis daß er niederflute in die Tiefe aller Seelen.

Zu neuen Sonnen ſoll die Menſchheit wandeln,

Den Ausgang weiſ’ ich aus des Elends Grüften,

Und künd’ all’ ihren Geſchlechtern, verſchmachtend im Joche,

Von Neuem die Lehre, die heilige Satzung,

Durch der Liebe Erhebung, des Mitleids Gral

Aus des Elends Jammer empor ſich heben,

Ich bringe des Friedens mildlächelndes Antlitz,

Ich komme, ich nahe, zu befreien, zu erlöſen!!!

[214]Georg Gradnauer.

III.


Leuchtet mir nicht allein des Taghimmels flammende Stirne,

Krönt ſich mir nicht die Nacht mit des Mondes ſilbernem Reife?

Waren des dunkelen Waldes melodiſche Stimmen

Nicht nur ein Wiederhall dieſer wunderſam ſtrömenden Klänge,

Die Seligkeit athmend meines Herzens Kirche durchwallten?

Stammte aus himmliſchen Höhen der befiederte Pfeil nicht,

Der mir die Bruſt durchbohrte und die roſige Wunde mir ſchlug,

Der entquollen mein Glaube, die Kraft und das Wagniß? —

Schon ſchaute ich mich mit dem Pfluge des Geiſtes

Die Lande durchfurchend, die Seelen der Menſchen,

Brennender Worte lohende Fackel tief in die Herzen verſenkend,

In ſaphirnem Gewande hinſchreitend zum ſonnigen Aether, zum Lichte. —

Alles zerſchlagen nun, alles zerrüttet;

Traumgleich verſchäumen die blendenden Bilder

In entmaſtetem Boote treib’ ich auf uferloſer, unendlicher See,

Düſtre Geſtalten ſaugen ſich feſt mit ſpitzigen Nägeln

An meiner Seele zum kühn aufſtrebenden Schwunge geöffneten Fittich;

Bitterer Zweifel ſchleicht ſich heran mit blutleerem Auge,

In fahler Finſterniß verſanken meines Lichtes Strahlengarben,

Zwerghaft verſchrumpft iſt meines Muthes ſtolzer Stamm,

Aus ſchmerzzerriſſenem Herzen fleh’ ich Rettungshülfe,

Und bebend ſtammeln meine Lippen auf zu der Sterne goldenen Räthſelzeichen!

Warum — warum bin ich ſo tief herniedergeſunken? — — —

— — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

Nein, nein, es ſoll nicht ſein, es darf nicht ſein!

Zerſchlag’, mein ermattetes Herz, mit wagendem Schwerte

Des Zagens bänglich bedrückende Sargesumhüllung,

Schüttele von dir den aſchgrauen Staubesmantel,

Deſſen Falten zu Falle gebracht deinen Muth.

Bin ich doch Herr meiner ſelber geworden,

Hab’ ich nicht geſühnet all’ meine ſündigen Thaten?

Schritt ich nicht büßendes Fußes über ſonnengeſchmolzene Sandeseinöde?

Iſt mein Wille nicht ſtark und mächtig wie des Sturmwinds Gewalt,

Der tändelnden Spiels Oceane zum Himmel emporſtäubt

Und ihre Tiefe aufwühlt dem Auge des Tages!

Wozu denn in ſchwankendem Kleinmuth erzittern,

Mit trüblichen Nebeln umſchleiern das Morgenroth,

Das gewißlich erſcheinende?

[215]Georg Gradnauer.
Hab’ ich vom Heileswerk das Halbtheil nicht ſchon jetzo vollendet?

Hab’ ich in mir eine Welt nicht niedergezwungen? —

Vergeh’, ſei hingeſcheucht vor neuem Windesodem,

Du der Beklemmniß dumpfer Qualen, du Zweifelsangſt, —

Ja, ich werde ſie heilen, die klaffende Wunde,

Welche die Seele der Menſchheit zerſpaltet,

Aus der des Elends bittere Thräne,

Aus der des Frevels Sündenblut entträuft!!

IV.


Hoch ſteh’ ich entrückt dem Erdengetümmel,

Durchſchauert vor ſtürmender Wonne erhabener Einſamkeit;

Zu niederem Kraut zuſammengebückt grünt drunten

In tiefentlegener Thaleseinſenkung

Des ſtattlichen Buchwalds hochkronige Ebne;

Rings in der Runde ſchwellen empor die Bergesaltäre,

Des Himmels Schale mit trotzigem Nacken zu durchbrechen begehrend,

Und um ihre ſtolzen Glieder lichtweiß geſchlungen

Wallen hernieder des ewigen Schnees prangende Strahlengewinde.

Aber wie ich ſo ſchaue durch ſchimmernd kryſtallene Aethergefilde,

Verlorenen Blicks hinträume, auf Flügeln ſonnigen Strahlengefährtes

Unermeſſene Räume himmliſcher Lüfte durchwallend,

Iſt derweilen ein ſturmgeprüftes, düſter gefaltetes Wolkenmeer

Aus ferner Tiefe des Thales emporgebrandet hinter der Bergwand

Und ſchlägt ſein wild entfeſſeltes Wogengewand

Rings um zeittrotzender Felſen erzene Panzer.

Bald furchen des Blitzſtrahls flammende Schwerter die zitternden Lüfte,

Mit toſendem Donnerſchlage die Wetterlawinen zuſammen.

Und zum angſterbebenden Erdball ſauſet

Des Hagels ſchneidender Geiſelhieb nieder. —

Wahrlich, o Menſchheit, durch deine Tempel, durch deine Seelen

Muß auch alſo jagen ein machtvoll zertrümmerndes Wettergewölk,

In den Staub mußt du ſinken

Und niederbeugen die hoffart-eitele Stirn;

Beim Sündenmahle jauchzeſt du,

Blüthenumkränzt, duftberauſcht,

[216]Georg Gradnauer.
Als ekle Dirne wird verfeilſcht

Jed’ himmelentſproſſenes Gut

Und ſchwerer Tag um Tag

Wälzeſt du die Frevellaſt dir auf die Seele.

— Aber ich will dich reißen aus matter Sündenverkommniß,

Hebe empor dein erdwärts gewendetes Auge,

Heb’ es empor zu den wankenden Bergen,

Siehe, wie die Blitze zerſchmelzen der Felſen eiſerne Gürtel; —

Ja, mit Sturmgebrauſe werd’ ich über dich kommen,

Mit Sturmgebrauſe aus verfluchter Sündennacht dich zwingen,

Mehr ſollſt du zittern dann als das ſchwankende Rohr

Am windgeöffneten Ufer!

Durch mich wird dir das Heil das Herz durchleuchten,

Doch weiſen nur will ich dir den himmelanführenden Lichtpfad

Erklimmen ihn ſollſt du mit eigenem Willensflug,

Des kühnen Kampfes Noth kann erſt die rechte Weihe geben,

Und nimmer eröffnet ſich mühlos dir die himmliſche Pforte!! — —

— — — — — — — — — — — — — — — — — —

[[217]]

Richard Kralik.


Tarantella.


Deutſches Dichterbuch aus Oeſterreich.


Ricciolella wollte tanzen.

Will denn Niemand mit mir tanzen?

Ach ich arme Ricciolella!

Tanzte gern die Tarantella,

Aber doch nicht gern allein,

Freute mich ſo gern zu Zwei’n.

Kommt, ihr Mädchen, kommt, ihr Knaben!

Wollt ihr mich zum Tanze haben?

Ricciolella wollte tanzen.

Niemand wollte mit ihr tanzen.

Arme, arme Ricciolella!

Niemand tanzt die Tarantella.

„O wie träg ſeid ihr geſchaffen!

Wollt nicht tanzen, wollt nur gaffen,

Greift nie zu, ſeid nie dabei.

Doch ich will tanzen, mit wem’s auch ſei.“

Ricciolella lief hinaus.

Traurig auf das Feld hinaus,

Fand dort ihre weißen Schäflein.

„Tanzt mit mir doch, liebe Schäflein!“

Doch die Schäflein blieben ſtumm,

Sahen gar nicht nach ihr um,

Fragten nichts, wohin ſie geh,

Fraßen fort an ihrem Klee.

[218]Richard Kralik.
Ricciolella rief den Vöglein:

„Tanzt mit mir doch, liebe Vöglein!

Seid ihr ſchon müde, die Flügel zu heben,

Ueber die Erde zu flattern, zu ſchweben?“

„Schilt nicht, ſchilt nicht, Ricciolella!

Tanz für dich die Tarantella.

Tanzten ſchon den ganzen Tag,

Daß es uns nimmer freuen mag.“

Ricciolella rief den Bäumen:

„Wachet auf, aus euren Träumen!

Laßt vom Wind euch wiegend neigen,

Tanzt mit mir den luſtigen Reigen.“

Durch die Bäume ging ein Rauſchen;

Ricciolella mußte lauſchen:

„Stille, ſtille, Ricciolella!

Weck’ uns nicht zur Tarantella.“

„Nun ſo komm, du lieber Wind,

Spiel um meine Haare geſchwind.

Biſt doch ein luſtiger Tanzgeſell,

Drehſt dich im wechſelnden Wirbel ſo ſchnell.“

Und der Wind über die Haide ſchnob,

Blies ihr grad in’s Geſicht ſo grob:

„Ha, ich bin ein freier Mann!

Fang dein Spiel mit Andern an.“

Ricciolella nahm die Flucht,

Floh bis hin zur Bergesſchlucht.

„Berg, komm doch herab zur Wieſe,

Lerne tanzen, plumper Rieſe!“

Zornig begann der Berg ſich zu rütteln,

Drohend mit dem Kopf zu ſchütteln;

Grollte grimmig fort noch lange.

Ricciolella wurde bange.

Ricciolella kam zum Meere,

Ob ihm Luſt zum Tanze wäre;

„Meer, du kräuſelſt Well auf Welle;

Tanz mit mir die Tarantelle!“

[219]Richard Kralik.
Nichts drauf ſagt das alte Meer,

Athmet tief und athmet ſchwer,

Schüttelt im Traum die Locken dann,

Fängt im Schlaf zu ſtöhnen an.

Ricciolella rief die Sterne:

„Bleibt ſo ſpröd nicht in der Ferne!

Könnt euch ſo ſchön im Reigen drehn;

Wollt ihr nicht auch mit mir gehn?“

Doch die Sterne höhniſch blinken,

Wollen gar zu hoch ſich dünken

Für die arme Ricciolella;

Tanzen nicht die Tarantella.

„Englein, ſaget ihr auch nein,

Liebe, liebe Engelein?

Was habt ihr zu thun, ihr vielen,

Als mit uns, den Menſchen, zu ſpielen?“

„Ach, wie ſo gerne tanzten wir wieder,

Möchten zur lieblichen Erde hernieder!

Doch wir ſtehn in ſtrenger Zucht

Und der Meiſter wehrt die Flucht.“

Ricciolella findet Keinen.

Soll ſie zanken? ſoll ſie weinen?

Arme, arme Ricciolella,

Keiner tanzt die Tarantella;

Haben alle Zweifel, Bangen,

Keiner wagt es anzufangen,

Keiner wagt’s auf dich zu hören.

All’ umſonſt iſt dein Beſchwören.

Ricciolella jäh ergrimmt,

Feſt ihr Herz zuſammennimmt.

„Wollt ihr denn nicht mit mir tanzen,

Will ich mit mir ſelber tanzen.

Brauche nicht nach euch zu ſehen,

Kann mich ſelbſt im Tanze drehen.

Fügt ihr euch nicht meinem Sinn,

Fahrt in Gottes Zorn dahin.“

[220]Richard Kralik.
Ricciolella maß die Schritte,

Setzte nach dem Tact die Tritte,

Nach dem Tact der Kaſtagnetten

Schlang ſie ihre Zauberketten,

Vorwärts, rückwärts, in die Weite,

Rechts und links nach jeder Seite,

Stehend, drehend nun im Kreiſe,

Kunſtvoll nach der rechten Weiſe.

Ricciolella, Ricciolella,

Hei, du kannſt die Tarantella!

Hei, wie die Kaſtagnetten knattern!

Hei, wie die Haare im Schwunge flattern!

Vöglein auf aus eurem Neſt!

Wachet auf! Hört ihr das Feſt? —

Wie ſie ſtaunen, wie ſie ſchauen!

Wie ſie kaum den Augen trauen.

Sieh, der Mond wollt’ untergehn.

Aber grad’ bleibt er noch ſtehn,

Will ſie noch ein Weilchen ſehn,

Möchte gar noch rückwärts gehn.

Und die Sterne, die da ſchleichen

Ihre Ziele zu erreichen,

Thäten faſt vom Wege weichen,

Müſſen nun vor Neid erbleichen.

Und der Wind, der wilde Mann,

Ha! er hält den Athem an.

Und die Schafe ſchauen auf,

Hören gar zu kauen auf.

Und die Bäume ſchütteln ſich,

Denken ſtill: Wie wunderlich.

Und das Meer hört auf zu rauſchen,

Hebt das Haupt, um auch zu lauſchen.

Ricciolella, Ricciolella,

Königin der Tarantella!

Stolz magſt du nun um dich ſehen;

Sieh wie Alle nach dir ſpähen.

[221]Richard Kralik.
Stolz magſt du dein Haupt erheben,

Sieh wie Alle um dich ſtreben,

Wie ſie kommen, wie ſie drängen,

Wie an deinen Schritten hängen.

Doch auf nichts ſieht Ricciolella,

Tanzt für ſich die Tarantella.

Tanzt mit Ernſt und meiſterlich,

Sieht nicht vor, nicht neben ſich.

Doch die andern aller Enden

Können nicht den Blick mehr wenden,

Können nicht mehr ſich bezwingen,

Müſſen mit im Tanze ſpringen.

Wer ſprang zuerſt in den Tanz hinein?

Das war ein ganz kleines Sternelein.

Zuerſt zwar fiel’s aus dem Tact heraus,

Doch ſtand’s wieder auf, und macht ſich nichts draus

Da dies die Engelein erblicken,

Fangen ſie an ſich zum Tanze zu ſchicken.

Ach, ſie tanzen ja ſo gerne!

Drauf beginnen alle Sterne.

Anfangs traut der Mond ſich nicht,

Wieget dann langſam ſein rundes Geſicht.

Artig kommt der Wind ganz leiſe,

Dreht ſich ſanft um die Schöne im Kreiſe.

Dann beginnt’s in den rauſchenden Bäumen,

Und das Meer brauſt auf mit Schäumen.

Auf und nieder wogt die Welle

Nach dem Tact der Tarantelle.

Immer größer wird der Reigen,

Die Vöglein ſchaukeln ſich auf den Zweigen,

Und die Schafe ſpringen darunter.

Werden nicht bald die Berge munter?

Ja ſie wackeln, ja ſie humpeln!

Wie ſie ſtapfen, wie ſie rumpeln!

Tanzen gar die Tarantella!

Sieh, da lächelt Ricciolella.

[222]Richard Kralik.
Ricciolella das Haupt erhebt,

Königlich einher ſie ſchwebt.

Schneller ſchlägt ſie die Kaſtagnetten;

Will ſie mit dem Winde wetten?

Ihre Augen glühend blitzen;

Will ſie die Sterne überglitzen?

Liſtig lächeln ihre Wangen;

Will ſie gar die Engel fangen?

Ihre Haare läßt ſie fliegen;

Eile Wind, willſt du ſie kriegen!

Stolz erhoben ſchwebt ſie her,

Wie die Cypreſſe ſchlank und hehr.

Ueber die Wieſe fliegt ſie hinweg,

Wie ein Vöglein leicht und keck.

Lieblich wallet ihre Bruſt;

Und das Meer jauchzt auf vor Luſt.

Alles im kreiſenden Wirbel ſich dreht.

Ricciolella plötzlich ſteht,

Wirft triumphirend mit Herrſcherblick

Ihre Haare ins Genick.

Ha, nun ſchwillt ihr Herz in Wonnen,

Einen Tanz hat ſie begonnen,

Der faßt die Erde in ihren Gründen,

Muß die Welt in Luſt entzünden.

Ricciolella, ſieh nur hin!

Du biſt doch die Meiſterin!

Mit dem Blick den Tanz ſie lenkt,

Auf der Bruſt die Arme verſchränkt,

Stampft die Erde mit dem Fuß,

Daß im Takt ſie bleiben muß,

Wirft die Arme nun auf zum Himmel,

Ruft hinein in das tolle Getümmel:

„Heia hei, heia hei!

All’ zuſammen, all herbei!

Tanzt ihr auch die Welt entzwei,

Immer weiter! Heia hei!“

[223]Richard Kralik.
Immer wilder jagt der Chor —

Sieh, da hebt ſich die Sonne empor,

Ueber die Welt hin ſtrahlt ihr Glanz

Und zerſtoben iſt der Tanz.

Wie liegt die Welt …


Originalbeitrag.


Wie liegt die Welt im Sonnenſchein

Zu meinen Füßen klar und rein.

Im Wind regt leiſe ſich der Baum:

Mir fällt der Tau in meinen Wein.

Uebermuth an allen Ecken …


Originalbeitrag.


Uebermuth an allen Ecken:

Wohinaus noch, gute Welt!

Roſen wachſen auf den Hecken,

Und im Golde ſtarrt das Feld.

Warum nur mich?


Im goldnen Abendſonnenſtrahl

Entzücktes Auge überall

Die heitre Menge froh durchſtreift,

Von Schönem frei zu Schönem ſchweift.

Doch Einer immer folgt mein Muth,

Nach Einer nur drängt all mein Blut,

Nur Eine miſſen könnt ich nie:

Warum nur ſie? Warum nur ſie?

Sie tritt einher, ſo herrſcherhaft,

Als wär allein ſie Geiſt und Kraft,

Allein ſie Licht, die andern vielen

Nur Stäubchen, die die Sonn’ umſpielen.

Und dieſe Sonne flammt entzündet,

Wenn Einen nur ihr Lichtſtrahl findet;

Den trifft ſie glühend innerlich:

Warum nur mich? Warum nur mich?

[224]Richard Kralik.

Begegnung.


Fühl ich, o Hehrſte, dich

Vorübergehen,

Fällt’s wild in meine Bruſt

Wie Sturmes Wehen.

Ein Beben faßt mein Herz,

Ein banges Drängen,

Und jeden Widerſtand

Möcht’ es zerſprengen.

Es facht mein Feuer an

Zu hellen Flammen,

Auflodert all mein Muth

Und bricht zuſammen.

Du weichſt — ich ſeh’ den Staub

Noch deinen Fuß umkräuſeln, —

Und durch die Seele zieht’s

Wie ſanftes Säuſeln.

Wahn und Wirklichkeit.


Als der Duft der erſten Veilchen

Ueber meine Stirne flog,

War es, daß ein wunderſamer

Traum in meine Seele zog.

Und zwei Sterne ſah ich leuchten,

Stilles Blinken heilger Nacht;

Und mein Auge mußte ſchauen

Hingebannt nach ſolcher Macht.

Wie das Angeſicht der Göttin

Sah der Mond herab ſo gut

Und mein Herz wallt’ ihm entgegen

Wie die liebevolle Fluth.

[225]Richard Kralik.
Eine Sonne ſah ich glänzen,

Schönres wurde nie mir kund

Und ihr Glänzen war wie Lächeln

Von melodiſcheſtem Mund.

Und der Sonne warme Strahlen

Spielten mir um meine Bruſt,

Sorgſam ſo wie Mutterarme

Hoben ſie mich auf vom Duſt.

Trugen mich durch leichte Lüfte

Nach dem Glanz, dem Himmelslicht

An das heiße Herz der Sonne,

Aber ich verbrannte nicht.

Unzerſtörbar meine Glieder,

Unverſiegbar heiß mein Blut,

Ohne Leiden meine Seele,

Unbeſiegbar hehr mein Muth;

Ohne Gränzen die Gedanken,

Unverſchleiert war die Welt, —

Da hat eine böſe Krähe

Mich aus allem Traum gegellt:

„Thor, was närrſt du deine Seele

Mit dem nächtlich eitlen Trug?

Tag iſt’s; gehe hin und ſchaffe,

Denn zu ſchaffen giebt’s genug!“

Und ich ſchlich beſchämt nach Hauſe,

Hatte wahrlich wenig Luſt,

Denn noch ſpielten Veilchendüfte

Mir um meine Stirn und Bruſt.

Ach, was iſt mit allem Mühen,

Was mit aller Qual gethan!

Und mein Traum erſchien mir wirklich

Und die Wirklichkeit ein Wahn.

15
[226]Richard Kralik.

Zu ſpät.


Nie, arme kleine Knoſpe, wird

Dein Kelch der Sonne ſich erſchließen,

Du haſt dich in die Welt verirrt

Zur Zeit, da Blumen nicht mehr ſprießen.

Warum haſt du ſo lang verweilt?

Der Sommer war ja längſt gekommen.

Wenn dich der Winter nun ereilt,

Gleich iſt dir jede Luſt genommen.

Ach, ich beneide deinen Traum,

Den du im Erdenſchoß geträumet.

Dich weckte all der Jubel kaum

Und immer haſt du noch geſäumet.

Sieh um dich her die Schweſtern weich

Vom Strahl des Tages ſchnell getroffen,

Sie neigten ſich der Liebe gleich;

Bald waren ihre Kelche offen.

Sie hauchten ihre Düfte aus,

Von Lieb und Demuth hold bezwungen,

Dir haben in der Mutter Haus

Umſonſt die Vögelein geſungen.

Sie gaben ihre Blüthen hin —

Der Wind entführte ihre Blüthen;

Du thateſt wohl in herbem Sinn

Der eignen Blüthe neidiſch hüten.

Nun ſtehen ſie entblättert da,

Getödtet durch zu heißes Lieben,

Nur dir kam nie die Liebe nah,

Nur du biſt ungeküßt geblieben.

Und ſieh! es lockte dich im Hag

Doch alle Tage gleiche Wonne,

Die Vöglein ſangen jeden Tag

Und jeden Tag ging auf die Sonne.

[227]Richard Kralik.

Erwachen.


Einen weißen Federflaum

Fand am Fenſter ich den Morgen,

Als der Tag aus wirrem Traum

Mich erweckt zu ſüßen Sorgen.

Und ich blick’ erſtaunt hinauf

An den friſchen Morgenhimmel,

Sehe dort in leiſem Lauf

Ziehn der Wolken leicht Gewimmel.

Ja, ſie ziehn in breitem Zug

Zwiſchen mir und jener Gegend. —

Iſt es Wahrheit? Iſt es Trug?

Sind’s nicht Schwäne flügelregend?

Iſt mein Liebchen gar vielleicht

Solch ein heimlich Zauberweſen,

Das als Schwan die Luft durchſtreicht,

Wie in Märchen ich geleſen?

Schön in menſchlicher Geſtalt,

Hat ſie traut beſucht mich geſtern,

Nachts in Zauberbanns Gewalt

Schwärmt ſie mit den Schwanenſchweſtern.

Fliegt bis an mein Fenſterbrett,

Putzt das weiße Schwangefieder,

Während einſam ich im Bett,

Wälze ſonder Ruh die Glieder.

Der nur kann ſich wiſſend nennen …


Originalbeitrag.


Der nur kann ſich wiſſend nennen,

Der die Thorheit hat erkoren.

Der nur kann die Freiheit kennen,

Der die Freiheit hat verloren.

Der kann ſeine Macht nur ahnden,

Der zu ſpät, zu ſpät gefunden,

Daß er ſich in eignen Banden,

Ach, durch eigne Macht gebunden.


[[228]]

Joſeph Winter.


Abend im Prater.


Deutſches Dichterbuch aus Oeſterreich.


Des Sommerabends feurig Glühn

Lag auf der Praterauen Grün.

Ein friſcher Wind von der Alpen Saum

Wob in dem dämmerrothen Baum,

Warf bald der Wipfel rauſchende Flammen

Mit ſeinem muntern Weh’n zuſammen,

Oder vergaß das Raſcheln und Rauſchen,

Selber den Weiſen von drüben zu lauſchen,

Wo in den dunkelnden Abend hinaus

Wiegend erklang ein Walzer von Strauß.

Sinnend lag ich im duftenden Gras

Gar nicht übel gefiel mir das,

Fühlte mich ſo fröhlich und frank,

Wahrlich dem Schickſal wußt’ ich’s Dank,

Daß es an dieſer Stätte traut

Mir das Haus der Kindheit erbaut,

Breit mir die Bühne der Welt entfaltet,

Lebensfreudig den Sinn mir geſtaltet,

Daß es im Wechſel von Welken und Sprießen

Mich gelehrt, des Tags zu genießen,

Mich des Schätzleins, der lieben Getreu’n

Und des klingenden Liedes zu freu’n.

Gar mancher Lenz iſt hold erſproſſen,

Seit mir der Garten des Lebens erſchloſſen,

Und ob in Nebel dem werdenden Mann

Manch Traumgeſpinſt des Jünglings zerrann,

[229]Joſeph Winter.
Stets hob ſich aus dem graulichen Flor

Siegreich und ſchöner der Tag empor,

Der Seele Dämmer roſig erhellend,

Mit Lebensodem den Buſen ſchwellend.

Dem Einen bin ich hingegeben:

Dies Leben voll und ganz zu leben,

Mit der Welle zu wandern, zu jagen im Wind,

Der ewigen Mutter lebendiges Kind,

Im Sonnenglanz ein ſtrahlender Ritter,

Geduckt und ſtill im Ungewitter.

Mein iſt die Sonne, die Roſe am Rain

Und die funkelnden Sterne der Nacht ſind mein.

Will daheim mich fühlen im Erdenhaus,

Das iſt mein Recht, das üb’ ich aus . . . .

Müd’ war der Tag hinabgeſunken.

An den Wolkenſäumen die letzten Funken,

Des Sonnenfeuers verkühlender Glaſt

Waren zu grauer Aſche verblaßt,

Und ich verließ die dunkleren Auen,

Drüben das Volk der Phäaken zu ſchauen.

Da dröhnte das Ohr vor Trommeln und Blaſen,

Der Teufel erſchlug den geduldigen Haſen,

Nach der Orgel liefen die hölzernen Pferde

Und jauchzende Tänzer ſtampften die Erde;

Geſang dazwiſchen und Büchſenknall, —

Phäakenſonntag überall.

Das iſt das neue Paradies,

Das keinen von ſeiner Schwelle wies;

Und wär’s der traurigſte Geſelle,

Hier wiegt ihn ſanft des Frohſinns Welle.

Inmitten dieſes Volks von Kindern

Fühlt er die Adamslaſt ſich mindern,

Und kräftiger, als alle Lethe

Heilt ihn des Wurſtels Holztrompete.

[230]Joſeph Winter.
Mich aber drängte ſehnſuchtgeſchwellt

Mein Herz, zu raſten am Herzen der Welt.

Zu ſchlummernden Auen, vom Monde verklärt,

Bin ich auf verlaſſ’nen Pfaden gekehrt,

Saß unter den Eichen nieder, den alten,

Und hab’ mit den Sternen Zwieſprach gehalten.

Frühling.


Originalbeitrag.


Nun iſt die Welt in Roſen erwacht,

Gelöſt iſt die liebliche Fraue.

In Stücken zerbrach der Stirnreif der Nacht,

Und im Morgen lacht

Der blühende Wald und die Aue.

An die Reiſe nun geht der rieſelnde Quell,

Es ſchimmert die Näh’ und die Ferne.

O Tag, ſei du mein Trautgeſell

Vielhold und hell,

Dir wollt’ ich dienen ſo gerne.

Auf Lerchenſchwingen ſteigt mein Geſang,

Sich über den Wolken zu wiegen.

Doch was im tiefſten Herzen erklang,

Nie laut ſich erſchwang,

Das wahr’ ich getreu und verſchwiegen.

Nur Eine hörte das heimliche Wort,

Das Rufen der Luſt und des Leides.

Nicht weiß ich den Tag und nicht den Ort

Sie küßte mir fort

Vergeſſen und Wiſſen, beides. —

Schlummerlied.


Originalbeitrag.


Langſam, ihr funkelnden Sterne der Nacht,

Schreitet dahin im Reigen.

Rauſchender Wind, nun wehe ſacht,

Wiege dich ſanft in den Zweigen.

[231]Joſeph Winter.
Denn die Liebſte hat koſensmüd

Schlummernde Lider geſchloſſen.

Roſenfarbe, heimlich erglüht,

Iſt auf ihr Antlitz gegoſſen.

Ihr zu Füßen mein Leben ruht,

Wonniges Lauſchen und Sinnen!

Ferne hör’ ich die heilige Fluth

Dieſes Daſeins verrinnen.

Wunderſeligen Wiederhall

Weckt mir das ewige: Werde!

Und ich ſegne mein Heim das All,

Und den Staub dieſer Erde. —

Abſchied.


Originalbeitrag.


Und als die ſchwüle Nacht den Schleier hob,

Da ließ von mir die tödtliche Maenade.

Sie ſah mich an, ein Graunbild ohne Gnade;

Mein Blut ward Eis, der Rauſch der Luſt zerſtob.

Und in die Bruſt, d’ran ihre Lippe lag,

Eingrub der Schmerz die grimmen Pantherzähne.

Dumpf ſank ich hin, das Auge ohne Thräne —

In’s Leben aber rief der graue Tag. —

Hätt ich wollen ſein ein Weiſer.


Originalbeitrag.


Flammend ſtand das Mene-tekel

Lang an meiner Wand geſchrieben.

Grimme Scham und tiefer Ekel

Wär mir leicht erſpart geblieben,

Hätt ich wollen ſein ein Weiſer.

Aber ich gebot als Kaiſer

In des Traumlands reichen Fluren.

Nah war mir die ewge Ferne,

Und es folgten Mond und Sterne

Meinen Spuren.

[232]Joſeph Winter.
Bei mir ſaß der Kaiſerin

Wunderbild aus Gold und Steinen.

Zärtlich hielt ich ihre Hand

Und verſprach ihr all mein Land,

Wenn ſie einmal wollte weinen.

Denn ob ſie nur Stein und Gold,

Lachen konnt ſie wunderhold,

Alſo künſtlich war das Bild.

Nur der Thränen

Tiefes Sehnen

Mußte bleiben ungeſtillt.

Meinen Wahnſinn zu beſtärken,

Sprach ich oft von ihrer Seele,

Hieß ſie Englein ohne Fehle;

Freilich hätt ich können merken,

Was der Rabe krächzte heiſer,

Hätt ich wollen ſein ein Weiſer.

Und dann iſt der Tag gekommen,

Da der Traum mir ward genommen.

Mond und Sterne ſind dahin,

Seit ich nun ein Bettler bin.

Lächelnd ließ ich meinen Thron,

Lächelnd trug ich Acht und Hohn,

Aber Eins iſt nicht zu tragen:

Eh ich ging aus meinem Reiche,

Hab ich erſt mit wildem Streiche

Das geliebte Bild zerſchlagen,

Das ich oft mit Thränen tränkte,

Drein ich meine Seele ſenkte.

Und es waren wirklich Steine,

Spitze, ſtumpfe, große, kleine.

In dem Kopfe zwei Demanten,

Rund geſchliffen, ohne Kanten;

Statt der Lippen zwei Rubinen,

Welche noch zu lächeln ſchienen,

[233]Joſeph Winter.
Und ein Blutſtein in der Bruſt,

Daß ich endlich merken mußt’,

Wie ein ſolches Bild von Steinen

Nicht kann weinen.

Alſo wirklich? Kann es ſein?

Küſſen kann ein Bild von Stein?

Lachen, wie am Maientag

Roſen lachen in dem Hag,

Lauſchen, wie da Sterne lauſchen,

Wenn im Mond die Waſſer rauſchen;

Lieblich koſen, ſchmälen, greinen —

Und nicht weinen?

Wenn ich oben wär geblieben,

Statt den Traum der Nacht zu lieben,

All den Ekel, all das Wiſſen

Hätt ich leichtlich mögen miſſen.

Und nun könnt ich mit den Andern,

Statt im dumpfen Haus zu ſtocken,

Auf den hellen Straßen wandern;

Trüg’ ein Kränzlein in den Locken

Statt der ſpitzen Dornenreiſer,

Hätt ich wollen ſein ein Weiſer. —

Flucht.


Originalbeitrag.


Lieber will ich ohne Zagen

Schreiten durch der Hölle Thor,

Als wie Deine Nähe tragen,

Nun ich ewig Dich verlor.

Deine ſanften Augen rufen

In die Sonnenbahn mein Herz,

Und ich muß die ſchwarzen Stufen

Schauernd ſchreiten niederwärts.

[234]Joſeph Winter.
Leiſe Liebesworte werben

Jeden Tropfen Blutes Dir.

Laß mich ringen, laß mich ſterben,

Aber ſchaue nicht nach mir.

Ob Dein Herz an meinem zittert,

Ach, ſchon biſt Du mir entrückt,

Und vergiftet und verbittert

Iſt der Trank, der uns entzückt.

Ewig ſchied ein Wort uns Beide,

Nur der Fluch getreu mir blieb;

Und ihm ſchärft die Schwertesſchneide

Deine Schönheit, bleiches Lieb. —

Kein Ende.


Originalbeitrag.


Jene Hand, die im verworrnen

Traume dunkler Schmerzensnächte

Mir den Kranz gereicht von Dornen,

Hält ein blühendes Geflechte

Junger Roſen;

Und die zarten Lippen, welche

Einſt gedroht als Todeskelche,

Lächeln, koſen.

Was ich ringend nie erſtritten,

Schwebt nun ſanften Flugs herbei,

Und der Liebſten Augen bitten:

Ach, verzeih!

Alſo laß ich ſteuerlos

Traumwärts treiben meinen Nachen;

Denn der Tag iſt nackt und bloß,

Und ich will nicht wachen. —

[[235]]

Hermann Eduard Jahn.


Das All.


„Verwehte Blätter“.


Im ewgen All iſt Harmonie:

Das Morgenroth, das Abendroth.

Da eint, als herrlicher Accord,

Das Leben ſich dem ſchrillen Tod.

Nur in der flücht’gen Menſchenbruſt

Trennt ſich die Wonne von der Pein.

Und all ſein zuckend Fühlen denkt

Er in das todte All hinein.

Märchenglaube.


„Verwehte Blätter“.


Lach’ nicht des Kindes Märchenglauben,

Was iſt’s denn, was dein Geiſt erfand?

Was ſind die Bibeln, die Syſteme

Denn anderes als Märchentand?

Ein Jeder dichtet ſeinen Himmel

Wie’s ihm behagt in’s Blau hinein,

Und über einem Märchen brütend

Schläft endlich er ermüdet ein.

[236]Hermann Eduard Jahn.

An meine Mutter.


„Verwehte Blätter“.


Der reinſte Demant dieſer Erde,

Das köſtlichſte, das reichſte Erz,

Die ſchönſte Sonne aller Sonnen,

Es iſt das treue Mutterherz!

O Herz ſo tief, ſo unergründlich,

O Herz ſo wahr, ſo gut, ſo rein —

O ewig wie der Weltenlenker

Kann nur die Mutterliebe ſein!

Selbſtſüchtig iſt ſonſt jede Liebe,

In ihrer Qual, in ihrem Glück,

Sie giebt ihr Herz dir hin, doch fordert

Sie auch dein Herz dafür zurück;

Nur einer Mutter großes Lieben

Giebt ſich dem Kinde ganz dahin

Und fordert nicht, o, ſchon das Geben

Iſt überreichlich ihr Gewinn.

O Mutterherz, o Mutterliebe,

Wer kann dich hier ermeſſen doch,

Du Herz, ob auch vom Kind gebrochen,

Im Sterben ſegneſt du es noch!

Der Arme.


„Verwehte Blätter“.


Die Armuth gab ihm dieſes Leben

Zur Armuth und zur blaſſen Pein —

Im Kothe war einſt ſeine Wiege,

Und wird ſein Sterbebett auch ſein.

Vom erſten Schrei verdammt zur Dummheit

Und ausgeſchloſſen von dem Licht —

Für ihn erſchien ja der Erlöſer,

Der milde Gott der Künſte, nicht.

[237]Hermann Eduard Jahn.
Mit Stumpfheit durft’ er nur verkehren,

An Rohheit war er feſtgebannt,

Er ſtank nach Schnaps und kaute Tabak —

Roh wie ſein Kittel der Verſtand.

Und ſeine Lippen lernten Fluchen,

Stets blieb er ſtumpf, ſtets blieb er dumm —

Die langen Jahre haſt’ger Arbeit,

Die drückten ſeinen Rücken krumm;

Und kraftlos wurden ſeine Hände

Und betteln mußt’ der arme Mann — —

Daß ſelbſt ein ganzes emſ’ges Leben

Kein ruhiges Sterben geben kann!

Die welke Roſe.


„Verwehte Blätter“.


Gewiß, du wirſt auch ſie vergeſſen,

Wie ihn, der dir die Roſe gab —

Die arme kleine Leiche ruhet

Dann ſtill in dieſes Buches Grab.

Doch lockt es dich durch dieſe Blätter,

Durch deinen Friedhof hinzugehn,

Gewiß, dann wird die Blumenleiche

In Duft und Jugend auferſtehn;

Dann wirſt du weinend ihn erblicken

Der ſie dir einſt beim Scheiden gab,

Und leiſe, leiſe wirſt du beten

Als knieteſt du an ſeinem Grab.

Sphinx.


„Verwehte Blätter“.


Du ſchönes Kind ſchau’ mir in’s Angeſicht

Und ſprich von Liebe mir ein kleines Wort —

„Ich liebe dich — (ich haſſe dich ja nicht —

Der Narr, geht er denn immer noch nicht fort?!)“

[238]Hermann Eduard Jahn.
Komm, küſſe mich, o bleiche Lilie du,

Ich küſſ’ dafür dich wie die Roſe roth —

„Ich bin recht müd’, mir fällt die Wimper zu

Bei dem Geſchwätz langweil’ ich mich zu Tod.“

Komm’, plaudre mir geheimnißvoll und ſacht,

So wie die Quelle unter’m Mondenſtrahl —

„Ich bin gewiß recht häßlich überwacht,

Das Haar wie wirr, die Wange wie ſo fahl.“

„Ich muß jetzt fort! Nein, bleibe noch bei mir!

(Gott Lob, er geht! wie iſt zerdrückt mein Kleid)“

Doch morgen, morgen fliege ich zu dir!

„(Schon morgen? — läg’ das Morgen doch recht weit!)“

Gieb einen Kuß — „(Er geht noch immer nicht!)“

Noch einen Blick — „(Noch immer folgt ein „dann“!)“

Sag’ mir, warum ſo ſchön dein Angeſicht?

(„Damit ich dumme Gimpel leimen kann.)“

Jetzt lebe wohl! „Willſt du denn wirklich gehn?

So ſchlafe ſüß und träume hell und ſacht —

Und gute Nacht — auf Wieder-, Wiederſehn!“ —

Auf Wiederſehn, mein Kind, und gute Nacht!

„(Er geht! Es war recht häßlich mein Geſicht —

Er fand es ſchön — — er ſchmeichelte vielleicht?

Wie leicht man doch das Wörtchen „Liebe“ ſpricht

Und wiederum wie glaubt man es uns leicht!

Das Armband hat er endlich mir gebracht —

Ob echt die Steine? morgen leg ich’s an — —

Doch jetzt zu Bett! es flieht ſo ſchnell die Nacht!

Ein Seidenkleid wünſch ich mir, nun und dann …)“

Sie ſchlummert ſchon. Er aber wacht in Qual,

Und lauſcht wie träge jede Stunde rinnt —

Und als der Morgen naht ſo blaß, ſo fahl,

Da betet heiß er für ſein bleiches Kind. —

[239]Hermann Eduard Jahn.

Sie.


„Verwehte Blätter“.


Ein Thé dansant — langweilige Geſichter,

Langweilig plump iſt auch ein jeder Fuß —

Schon brennen am Klavier die Schreckenslichter,

Man ahnt gequält den kommenden Genuß.

Da ſah ich ſie — die Fee der Mondenſtrahlen —

Die roſig unter allen Baſen ſtand —

Ich wett’, die Stiefelchen ſind Wallnußſchalen,

Und Spinnweb iſt das duftige Gewand!

Hin huſchte ſie — da ſchien es mir, es biegen

Die Stühle ſich der Zauberkönigin — — —

Die beiden Füßchen, ſieh zwei loſe Fliegen

Die huſchen neckiſch über’m Teppich hin.

Zwei wilde Fliegen haſten ſie vorüber,

Purr — ſurr, ſo tönt’s dem bleichen Träumer zu —

Da ſeufzt er auf, ſein blaues Aug’ wird trüber,

Sie fing ſein Herz in ihrem kleinen Schuh.

Und Hochzeit ward’s. O ſüße, flücht’ge Stunde,

Da endlich man zum erſten Mal allein!

Die alte Wanduhr ſchnarrt’ mit rauhem Munde

Mißmuthig juſt ein lautes „Ein.“ —

Da klopfte er an ſeines Himmels Pforte,

Ein leiſes Huſten ſcholl zu ihm heraus — —

O ſchöner wohl als alle leeren Worte

Sagt dieſer Klang: „Tritt ein, du biſt zu Haus“ —

Schnell trat er ein — vom Kiſſen faſt bedecket

So lag ſie da, ein wildes Vögelein —

Ein Mäuschen, das ſich zitternd hat verſtecket,

Da juſt der graue Kater tritt herein.

Da warf er ſich, ſie ſtürmiſch küſſend, nieder.

Sie küßte wieder, doch ſo bang, ſo ſcheu — —

Kehrt auch die ſchöne Stunde nimmer wieder,

Sie ſchaffet ſchöne Stunden immer neu!

[[240]]

Ernſt von Wildenbruch.


Allvaters Anrufung.


(Deutſch-Oeſterreichiſch.)
Originalbeitrag.


Der Du einſt im Waldesrauſchen

Deinem Volke Dich genaht,

Daß ſein Herz in brünſt’gem Lauſchen

ſich entzündete zur That,

Der Du ſtandſt an Deutſchlands Seite

immerdar und allerorts,

Kraft-Verleiher warſt im Streite,

Spender tiefen Weisheits-Worts,

Wir, von Deinem Blut geboren,

Gott der Deutſchen, nahen Dir,

Wir in fremdem Volk verloren,

Dich Allvater, rufen wir,

Haſt es manchesmal geſehen

jenes Schauſpiel voller Gram,

Sahſt aus Deutſchland Deutſche gehen,

deren keiner wiederkam.

Die in Angſt vor fremden Spöttern

ſich des Vaterlands geſchämt,

Opfer brachten fremden Göttern,

ſich mit fremdem Kleid verbrämt;

Hör’ uns rufen, hör’ uns ſchwören,

wir ſind treu und wir ſind Dein,

Unſer Land ſoll uns gehören,

unſres Landes woll’n wir ſein!

Sieh, der Fremdling will’s verhindern,

altes Recht er ſchreibt es neu —

[241]Ernſt von Wildenbruch.
Vater bleibe Deinen Kindern,

Gott der Deutſchen, bleib’ uns treu!

Schüttle Deine heil’gen Locken,

wecke die allmächt’ge Hand,

Daß der Eindringling erſchrocken

weiche aus dem Deutſchen Land,

Daß er zagen lerne, zittern

vor urew’ger Majeſtät,

Wenn in heil’gen Ungewittern

Deutſche Gottheit auferſteht,

Daß das Herz uns muthig werde,

ſtark in neuer Zuverſicht:

Vater-Gott und Vater-Erde

raubt uns Macht der Menſchen nicht.

Daniel in der Löwengrube.


Wende Dein Antlitz mir zu, o Herr,

Denn mich dürſtet nach ſeinem Lichte!

Mich umnachtet Entſetzen und Grau’n.

Schick’ Deinen Odem mir zu, o Herr,

Denn mich verlangt nach ſeinem Wehen,

In mir ringet Leben und Tod!

Du hörſt mein Rufen, ich weiß es!

Ob ich ſtehe in Wolken des Himmels

Weit entrückt den Gefilden der Flur,

Auf des Gebirges zackigem Haupt —

Oder liege, umgähnt von Schlünden,

In der Erde gräßlichem Bauche,

Du vernimmſt meine Stimme, o Herr!

Dein Blick iſt auf mir, ich weiß es!

Ob Deine Sonne den Himmel durchwandelt,

Tränkend die Welten mit Licht,

Oder Orion die Nacht durchflammet

Und des Wagens ſiebenſtirnige Pracht, —

Du ſiehſt meine Nöthe, o Herr! —

Schrecken waffnen ſich wider mich!

Brüllend lechzet nach mir der Tod!

16
[242]Ernſt von Wildenbruch.
Schaudernde Aengſte, ein eiſiger Strom,

Wälzen ſich über den ſterblichen Leib!

Recke die Hand, o Herr und rühre an meine Seele!

Daß ſie auf himmliſchen Schwingen ſich hebe

Aus des Entſetzens erſtarrender Fluth.

Haß und Verhöhnung umtoben mein Ohr —

Zagend verſtummet die Stimme der Hoffnung —

Oeffne den Mund, o Herr und rede zu meiner Seele,

Daß ſie erwache aus todtem Verſtummen!

Gedenk’ o meine Seele

Daß Du entſtammſt von Gott,

Sei muthig drum im Unheil

Und trage ſtolz den Spott!

Streb’ auf, o meine Seele,

Sei würdig deines Herrn,

Er harret, daß du kommeſt

Und er empfängt dich gern!

Soll er herab ſich neigen

So ringe du empor,

Dann kommt er dir entgegen

Und neiget dir ſein Ohr;

Dann ſei bereit, o Seele,

Dein Gott zieht in dich ein,

Groß wird und ſchwer dein Leiden

Doch du wirſt größer ſein!

Ich halt’ es in Händen und laſſe es nicht

Das Band, das, o Herr, mit Dir mich verbindet:

Glauben und brünſtig Vertrau’n!

Ich wandle in Nacht, doch am Ziele iſt Licht,

Da lodert die Leuchte, die Du mir entzündet,

Dahin denn, zum Ziel will ich ſchau’n!

Nicht gehört meine Seele der Erde

Keine Erdengewalt zerreißt dieſes Band!

Dir, o Herr, gehört meine Seele,

Nichts entreißt ſie aus Deinem Schooß!

Ihr Wüſtenlöwen mit rollendem Schweif,

Die die Flanken ihr peitſcht, die Tatzen ſpannt,

Iſt’s ſeine Kraft nicht, die in euch toſt?

Ihr, deren Rachen wider mich ſchäumt,

Deren Auge mir glüht, deren Stimme mir ſchallt,

[243]Ernſt von Wildenbruch.
Iſt’s nicht ſein Donner, der aus euch grollt?

Seid ihr nicht Kraft ſeiner Kraft? Zorn ſeines Zornes?

Beugt euch vor mir, der ich Geiſt ſeines Geiſtes!

(Das Löwengebrüll verſtummt.)


Und ſieh, die Gewaltigen beugen das Haupt,

Es ſchleifet im Sande die lockige Mähne,

Sie wälzen die trotzigen Leiber im Staub —

Ihr Gebrüll verſtummt und horch — es wird ſtill.

Ich fühle dich Odem des Herrn, du umfließ’t mich.

Erfüllſt dieſe Schlünde, ich ſpüre dein Weh’n.

Gnädiger Vater, o Du mein Gott,

Der Du hörteſt den Schrei des Kindes,

Mich befreiteſt von Tod und Verderben

Danken möcht’ ich, wie dank’ ich Dir?

Ach, wie faßt’ ich in dürftiges Wort

Meines Herzens brünſtige Fülle?

Stumme Zeugen des Menſchen-Innern,

Fließet Thränen, redet für mich,

Gott-geſpendeter, friedlicher Schlaf,

Schlägſt du die Flügel um meine Schläfen?

Gerne ſink’ ich in deine Arme —

Unheil entſchlief, ſo ruhe auch Du.

(Er entſchlummert.)


Homer.


Auf Olympos’ hohem Haupte

ſaß der Götter ſeel’ge Schaar,

dunklen Wein in lichtem Golde

brachte Hebe ihnen dar.

Schweigen herrſchte in der Runde

und kein Lächeln war erlaubt,

denn Kronion beugte trauernd

das umlockte heil’ge Haupt.

Heiß und roth in ſeinem Becher

ſchwamm des Weines dunkle Fluth,

Flammenſchein von Trojas Brande,

Widerſchein von Priams Blut.

16*
[244]Ernſt von Wildenbruch.
Und er hob empor den Becher,

„nimmer, ſprach er, nimmerdar

ziehen fürder Opfer ſpendend

Trojas Knaben zum Altar,

Nimmer bringen Trojas Mädchen

Weines ſüße Labe mir —

dieſen Becher, dieſen letzten

Ilion, du geliebtes, dir!“ —

In des Göttervaters Auge

flammend eine Thräne hing,

tiefes Schauern, heil’ges Beben

durch die Schaar der Götter ging,

Tiefes Schauern, heil’ges Beben

durch die Lande weit und breit,

ſchweigend neigte ſich die Erde

vor dem großen Götterleid. —

Und es floß die heil’ge Thräne

langſam rollend erdenwärts,

unaufhaltſam, bis ſie ruhte

zitternd in Homeros’ Herz. —

Tief im Schlummer lag Homeros,

da ergriff’s ihn bang und ſchwer,

und er träumt’ er trüg’ im Buſen

das allmächt’ge Welten-Meer,

Und er träumt’, in ſeinem Buſen

küßten Sonne ſich und Mond —

ſtürmend trieb es ihn vom Lager

und vom Haus, da er gewohnt —

Wahnſinn flog um ſeine Schläfen,

auf ſein Auge ſank die Nacht,

doch im Herzen glüht’ und ſprüht’ ihm

unermeß’ne Weltenpracht.

Da entſtrömte ſeinen Lippen

tiefer, wonnevoller Klang —

und es war das Lied von Ilion,

das Homer den Völkern ſang.

Ueber Länder, über Meere

zog der feierliche Ton,

lauſchend neigte ſich die Erde

vor dem großen Erden-Sohn.

[245]Ernſt von Wildenbruch.
Um den Sitz der ſeel’gen Götter

ſchwang das Lied die Flügel her,

von der Priamiden Sterben

lauſchten ſie der großen Mähr.

Von dem Seſſel ſprang Kronion,

„füll’ den Becher, Hebe, mir.

dieſen Becher, dieſe Spende

bringe ich, Homeros, dir!

Der du mehr vermagſt als Götter,

Todte rufſt aus Grabes Nacht,

der du Ilion, das geliebte,

wieder mir zurück gebracht!“

Und es ſchwangen ſich die Becher

klirrend in der Götter Hand,

rollend zog der heil’ge Donner

über das Hellenen-Land;

Bebend neigten ſich die Lande

und die Völker weit und breit —

und ſie ahnten, heilig ſchauernd,

eigene Unſterblichkeit.

Das Hexenlied.


Zu Hersfeld im Kloſter der Prior ſprach:

„Der Bruder Medardus ward alt und ſchwach.

Ich glaube, ſein Stündlein iſt heute gekommen —

Geh, Bruder Beicht’ger, hinein zu dem Frommen,

Vernimm das Geſtändniß von ſeinen Sünden:

Zwar weiß ich, Du wirſt nicht viele finden.

Er dienet dem Kloſter heut fünfzig Jahr’,

Im Kloſterſchatten verbleichte ſein Haar,

Er hat gefaſtet, er hat ſich kaſteit,

Wohl vorbereitet zur Seligkeit,

Er iſt der heiligſte von uns Allen

Und wird dem Allmächtigen wohlgefallen.“

Der Beichtiger ſchlug an Medardus’ Thor —

Von innen tönte kein Ruf hervor,

Der Beichtiger trat wohl über die Schwelle

Und ſchritt hinein in Medardus’ Zelle —

[246]Ernſt von Wildenbruch.
Und Stunde auf Stunde nach Stunde verrann,

Die Mönche ſchauten ſich ſtaunend an:

„Er, der unſträflich in Worten und Thaten,

Was kann Medardus für Sünden verrathen?“

Die Vesperglocke mit dumpfen Schall,

Sie rief zur Kapelle die Mönche all’,

Sie beugten die Häupter, ſie knieten im Kreiſe,

Für Bruder Medardus ſie beteten leiſe. —

Da horch, da von ferne herüberklang

Mit klagender Stimme ein düſter Geſang.

Der Prior hob ſich vom Boden empor,

Die Mönche lauſchten und neigten das Ohr:

„Aus Medardus’ Zelle der Sang erklingt,

Das iſt Medardus, der alſo ſingt.“

Sie lauſchten und horchten: „Was mag es ſein?

Das ſind nicht Gebete und Litanei’n,

Das klingt wie ſündige, weltliche Worte?“

Und ſiehe, und ſiehe, herein in die Pforte

Der Beichtiger kam voll Schrecken und Haſt:

„Wir haben den Teufel im Kloſter zu Gaſt!

Medardus iſt dem Verſucher verfallen,

Medardus ringt in des Satans Krallen!“

Der Prior ſetzte die Kerze in Brand,

Die heilig geweihte, und nahm ſie zur Hand,

Die Mönche thaten alle, wie er,

Und hinter dem Prior ſchritten ſie her,

Von Wand und Gewölbe ſcholl dröhnend wieder

Die Klageſtimme der ſingenden Brüder:

„Vor Sündenfrevel, vor Satans Spott,

Bewahr’ uns in Gnaden, allmächtiger Gott“. —

Die Zelle war offen — bleich, hager und mager

Lag Bruder Medardus auf kärglichem Lager,

Die Hände gefaltet in betender Wuth,

Die ſtarrenden Augen voll ſehnender Gluth,

Und von den ſtammelnden Lippen ſprang

Raſtlos und ohn’ Ende der wilde Geſang.

Das Lied das hatte ſo ſeltſamen Ton,

Wie ſehnende Liebe, wie läſternder Hohn,

Als trüge von ferne herüber die Luft

Fremdländiſcher Blumen beſtrickenden Duft.

[247]Ernſt von Wildenbruch.
Die Mönche ſie ſchwangen die heiligen Kerzen:

„Fleuch’, Satan, entweiche aus ſeinem Herzen.“

Sie ſchwangen die Kreuze, die heiligen Bilder,

Medardus’ Geſang ward wilder und wilder,

Und tief in die ſchauernden Seelen drang

Das ſündige Lied, das Medardus ſang.

Die Mönche beſchlich es wie ſehnender Schauer,

Verlorenen Lebens tief nagende Trauer,

Sie dachten an Dinge, die einſt ſie beſeſſen,

An Tage der Jugend, die lange vergeſſen.

Und mählich, allmählich verſtummte der Chor,

Sie ſchwiegen und lauſchten und neigten das Ohr. —

Der Prior, ein frommer, ein eifriger Greis,

Er ſtand voller Schrecken und blickte im Kreis,

Zu Bruder Medardus erhob er die Stimme

Und ſprach in frommem, in eiferndem Grimme:

„Darfſt Du mir verführen die heiligen Brüder?

So fahre, Verdammter, zur Hölle hernieder!“

Und ſiehe, vom Lager Medardus ſich hob,

Ein leuchtender Glanz ſein Antlitz umwob,

Sein ſtarrendes Aug’ in die Ferne blickte,

Als ſäh’ er ein Bild, das tief ihn entzückte,

Er reckte die Arme, er ſtreckte ſie weit:

„Ich höre Dich,“ rief er, „ich bin bereit:

Du reines Weib, das ſie Hexe genannt,

Du ſüßer Leib, den ſie ſchändend verbrannt,

Ihr ſchwellenden Lippen, ihr Augen voll Güte,

Du, ſpielender Glieder ſüß quellende Blüthe,

Du liebende Wonne, die einſt ſich mir bot

Und die ich verachtend verſtieß in den Tod,

Nach fünfzig Jahren voll Buße und Pein,

Ich komme, um ewiglich bei Dir zu ſein!“

Er reckte die Arme, er ſtreckte die Glieder —

„Medardus iſt todt,“ dumpf ſprachen’s die Brüder. —

Drei Tage und Nächte mit Buße-Geſang

Die Mönche zogen das Kloſter entlang,

Sie lagen drei Nächte auf ihren Knien

Und riefen zu Gott um Gnade für ihn:

„Ihm, welcher dahinging in Sünde und Schuld,

Erlöſender Heiland, vergieb ihm in Huld.“ —

[248]Ernſt von Wildenbruch.
Im einſamen Zimmer, beim Kerzenſchein

Der Prior ſaß mit dem Beicht’ger allein.

„Nun ſage mir an, was Medardus geſprochen,

Die Thaten verkünde, die er verbrochen.“

Ein großes Kreuz der Beichtiger ſchlug:

„Sein heiliges Leben war Lug und Trug;

Du ſaheſt ihn oft, wenn am grauenden Tag

Er betend auf ſteinernen Flieſen lag,

Du ſagteſt uns: ‚Werdet ihm gleich, meine Kinder,‘ —

Erfahre, Du ſegneteſt einen Sünder.

Du ſahſt ihn, wie er in brünſtiger Wonne

Die Augen erhob zu Gottes Madonne,

Nicht war es Maria, der all’ das galt,

Seinen Buſen erfüllt’ eine andre Geſtalt.

Sein Antlitz ſahſt Du, das träumende, milde,

Du ſahſt nicht ſein Herz, das gährende, wilde,

Sein Haupt war kalt und ſein Haar war weiß,

Sein Herz von ſündigen Gluthen heiß. —

Ich war ein Prieſter, ſo ſprach er zu mir,

Voll Andacht las ich das heil’ge Brevier,

Ich las es in Aengſten, ich las es in Gluth,

Denn jung war mein Leib und heiß mein Blut.

Die blonden Locken vom Haupt mir floſſen

Wie ſtrömendes Gold, das darüber gegoſſen,

Und als man hineinſchnitt die erſte Tonſur,

Da war es, als mähte man Frühlingsflur.

Es war zur Zeit, als im deutſchen Land

Der böſe Teufel zur Macht entſtand,

Als er die Weiber zur Buhlſchaft verführte,

Und als man Hexen zum Brandpfahl ſchnürte.

Damals geſchah’s, ich ſaß allein,

In tiefer Nacht, bei der Lampe Schein,

Da ſchlug es klopfend an meine Thür:

‚Komm, Prieſter, heraus, man verlangt nach Dir.‘

Die Nacht war ſchwarz, dumpf heulte der Sturm,

Man führete mich hinaus an den Thurm,

Tief unter die Erde, auf gleitenden Stufen —

Mir was es, als würd’ ich zur Hölle gerufen.

Man gab eine Fackel in meine Hand

Und wies mir ein Loch in der ſteinernen Wand:

[249]Ernſt von Wildenbruch.
‚Zur Hexe, die morgen in Feuers Pein

Ihre Sünden büßt, da geh’ Du hinein,

Bereite ſie betend zu ſeligem Sterben,

Entreiß’ ihre Seele dem ew’gen Verderben.‘

Ich ſchritt hinein in der Erde Bauch,

In meiner Kehle ſtockte der Hauch,

Da kam von drüben ein Raſcheln her,

Geklirr von Ketten und Seufzen ſchwer,

Und ſieh, in der Mauer finſterſter Ecke,

Wie ein Thier des Waldes in ſeinem Verſtecke,

Da ſah ich ein Weib, gebeugt und gebückt,

Das Haupt an die tiefenden Steine gedrückt. —

Die Fackel heftet’ ich in den Ring,

Der ſchwebend herab von der Wölbung hing,

Ich ſagte: ‚Wende zu mir Dein Geſicht,

Komm her, meine Schweſter, und fürchte Dich nicht.‘

Ich ſah, wie ihr Ohr meine Worte trank,

Wie Hand nach Hand ihr vom Antlitz ſank,

Sie wandte das Haupt, ſie ſchaute mich an,

Auf ihren Knieen kroch ſie heran.

Ihr nackter Arm meine Knie’ umfing,

An meinem Antlitz ihr Auge hing,

Ich ſchaute herab, der Fackel Licht

Umſpielte ihr liebliches Angeſicht;

Da fühlt’ ich das Herz ſo ſüß mir erwarmen,

Da quoll in die Augen mir heißes Erbarmen,

Meine Lippen verſtummten in lautloſem Leide,

In ſchweigendem Jammer weinten wir beide.

Und als meine Thränen ſie fließen ſah,

Mit bebenden Armen umfing ſie mich da,

Ein Schluchzen tief aus dem Buſen ihr quoll,

Von ſtammelnden Lippen ein Flüſtern ſcholl:

‚Du kannſt noch weinen, Du weinteſt um mich,

Wie den gütigen Heiland, ſo liebe ich Dich!‘

Mich faßte der Schreck ob des ſündigen Worts:

‚Gedenke der Stunde, gedenke des Orts,

In Flammen ſoll morgen der Leib Dir verderben,

Durch Buße entfliehe dem ewigen Sterben.‘

Da ſah ſie mich an ſo bangen Geſicht’s:

‚Was ſoll ich büßen, verbrach ich doch nichts?

[250]Ernſt von Wildenbruch.
Meine Eltern ſind todt — im Walde allein,

Großmutter und ich, wir wohnten zu Zwei’n.

Großmutter kannte manch’ heilſames Kraut,

Manch’ Tränklein hat ſie für Kranke gebraut,

Großmutter im Feuer verbrannten ſie,

Eine Teufelshexe ſie nannten ſie.

Ein altes Lied Großmutter ſang,

Ich lernt’ es ihr ab, weil ſo ſüß es klang,

Sie ſagte, es käme aus fernen Landen,

Wo Liebeszauber die Menſchen verſtanden,

Ich ſang’s und wußte nicht, was es bedeute,

Da griffen ſie mich, hartherzige Leute,

Und ſperrten mich in den finſteren Thurm;

Sie ſagen, es ſei der hölliſche Wurm,

Der ſinge aus mir, zu der Menſchen Verderben,

Drum ſoll ich morgen im Feuer ſterben.‘ —

Ihre bebende Lippe berührte mein Ohr,

Ihr Auge mich flehend in Aengſten beſchwor,

Ihr Buſen drängte an meinen ſich,

‚Errette, ſprach ſie, errette mich!

So ſüß iſt zu leben, ſo bitter der Tod,

Und Feuers zu ſterben, iſt ſchreckliche Noth!

Kein Weſen hab’ ich gekränkt und betrübt,

Keine Sünde gethan, keinen Zauber geübt,

Die Herzen der Menſchen gleichen den Steinen,

Du aber biſt gut, Du kannſt noch weinen;

Der Wärter ſchläft, frei iſt die Thür,

Komm, laß mich fliehen, entflieh’ mit mir!

Wir gehen leiſe, man hört uns nicht,

Die Fackel erliſcht, uns verräth kein Licht,

Die Thurmespforte geht in das Feld,

Niemand uns ſieht, Niemand uns hält;

Wenn morgen der Schrei der Hähne ſchallt,

Sind wir ſchon ferne, im fernen Wald;

Der Wald iſt dunkel, der Wald iſt dicht,

Ich weiß eine Stätte, ſie finden uns nicht;

Ich weiß eine Stelle, ich weiß einen Platz,

Da liegt verborgen ein alter Schatz,

Wir werden ſuchen, Du wirſt ihn heben,

Wir ziehen ferne, wir werden leben

[251]Ernſt von Wildenbruch.
Im fernen Lande, Du nur mit mir,

Ewig und ewig ich nur mit Dir!

Du haſt kein Weib an das Herz noch gedrückt,

Du weißt nicht, wie Weibes Liebe beglückt,

Reicher an Liebe ſollſt Du werden,

Als jemals Menſchen waren auf Erden —

Die Sterne wandeln, die Stunden zieh’n,

Es iſt Zeit, es iſt Zeit, komm, laß uns entflieh’n!‘

Ihr heißer Odem wie Sturmwind ging,

Ihr weißer Arm meinen Nacken umfing,

Ihr dunkles Haar, wie Fittig der Nacht,

Umfloß des Leibes herrliche Pracht —

In meinem Haupte, in meiner Bruſt

War ſchwindelnde Wonne, tödtliche Luſt,

Ich beugte mich nieder, ich wollte ſie küſſen, —

Da fühlt’ ich mich ſchaudernd rückwärts geriſſen:

‚Du küſſeſt die Hexe, Du ſegneſt die Schuld,

Du haſt keinen Theil mehr an göttlicher Huld!‘

Auf meinen Lippen ſtarb das Wort,

Von meinem Herzen ſtieß ich ſie fort,

Entſetzen jagte mich aus der Kammer —

Da ſchrie ſie mir nach in Verzweiflung und Jammer,

Sie brach zur Erde, ſie lag auf den Steinen,

Dumpf hinter mir hört’ ich ſie ſchluchzen und weinen.‘ —

Medardus ſchwieg — ſeine Wange erblich —

Mein Bruder, ſagt’ ich, was ängſtet Dich?

Du haſt dem Verſucher widerſtanden

Und machteſt des Teufels Künſte zu ſchanden.

Doch als ich tröſtend ihm ſolches ſprach,

Gelächter von ſeinen Lippen brach,

Ein Lachen, ſo wild und ungeſtüm,

Als lachte der Teufel ſelber aus ihm.

Mit rollenden Augen blickt’ er mich an,

Er ſchwieg. — Dann ſprach er: ‚Der Tag begann —

Der Himmel brannte in Morgen-Flammen,

Die Menſchen rotteten ſich zuſammen,

Im Felde draußen, von Scheitern geſchichtet,

Stand dunkel und düſter der Holzſtoß gerichtet,

Und aller Augen hingen am Pfahl —

Da ſtand ſie und harrte ihrer Qual. —

[252]Ernſt von Wildenbruch.
Wie taumelnde Vögel, verflattert im Meer,

So glitten voll Angſt ihre Augen umher;

Da trat ich heran mit dem Kruzifix,

Ihr [Auge] erfaßte mich ſuchenden Blicks,

Und ſiehe, und ſiehe, verſtohlener Weiſe

Da neigte ihr Haupt ſie, da nickte ſie leiſe,

Und ein Lächeln erſtand in dem ſüßen Geſicht,

Wie der ſcheidenden Sonne verlöſchendes Licht. —

Die loderne Fackel der Henker ſchwang,

Ihr lechzendes Aug’ in mein Auge ſich trank,

Die Flamme griff in das dürre Geäſt,

Ihre ſtarrenden Augen hielten mich feſt,

Die Funken ſtoben wie praſſelnder Staub,

Ihre Lippen erbebten, wie ſinkendes Laub,

Und plötzlich, und plötzlich vernahm ich ein Klingen,

Vom brennenden Holzſtoß begann ſie zu ſingen,

Wie Frühlingsregen, durchrauſchend die Nacht,

So ergriff mich des Liedes ſüß-ſelige Macht;

Mir war’s, als trüge herüber die Luft

Fremdländiſcher Blumen beſtrickenden Duft,

Als ſpräch’ eine Stimme zu meinen Ohren

Vom ſeligem Glück, das für ewig verloren.

Die Flamme ergriff ihren nackten Fuß,

Sie neigte ſich ſcheidend, zum letzten Gruß,

Der ſchwarze Rauch ſie wirbelnd umſchwoll,

Ihr klagender Sang aus dem Rauche ſcholl,

Dumpf brauſend die Flamme zum Himmel ſprang,

Wie zitternde Glocken ertönt’ ihr Geſang —

Die Ohren bedeckt’ ich mit meinen Händen,

‚Das Singen, das Singen, wann wird es enden?‘

Ich wandte mich ſchaudernd, ich floh von dem Ort —

Die klagende Stimme zog mit mir fort,

Wohin ich entfloh, wohin ich entwich,

Der Geſang, der Geſang, er begleitete mich.

Ob ich ſchlummernd lag, ob ich betend gewacht,

Zu jeglicher Stunde, bei Tage und Nacht,

Seit jenem Tage die fünfzig Jahr’,

Ich höre ihn immer und immerdar!‘ —

Medardus fuhr auf, wild war ſein Geſicht,

‚Ich höre ſie wieder — vernimmſt Du es nicht?

[253]Ernſt von Wildenbruch.
Den Gang herauf — es kommt durch die Thür —

Sie tritt auf die Schwelle — iſt hier, iſt hier!‘

Ich warf mich herab zu des Lagers Fuße,

‚Mein Bruder,‘ rief ich, ‚thu’ Buße, thu’ [Buße],

Der Menſchenverderber hält Dich gebunden,

Des Weibes Lied hat der Teufel erfunden!‘

Zum Lager zurück ich Medardus zwang,

Aus meinem Arme er los ſich rang,

Von ſeinem Lager er fort mich ſtieß:

‚Eine Stimme iſt’s aus dem Paradies!

Sie ruft mich zum Heil, das ich frevelnd verlor,

Sie öffnet zur Seligkeit ſelbſt mir das Thor.‘

Und plötzlich die ſtrömende Thräne ihm rann

Und plötzlich Medardus zu ſingen begann —

Es war ein Lied, wie ich keines vernahm,

Das jemals aus menſchlicher Kehle kam,

So in klagendem Leid, ſo in jauchzender Luſt, —

Da faßte Entſetzen mir kalt in die Bruſt,

Mit flüchtendem Fuße ſchlug ich die Schwelle,

Da rief ich Euch Alle zu ſeiner Zelle.“ — —

Der Beichtiger ſchwieg — durch die Fenſter brach

Der grauende Morgen — der Prior ſprach:

„Was Menſchenaugen nicht faſſen, noch ſehn’,

Dort oben iſt Einer, der wird es verſteh’n,

Er hat geſprochen: ‚Mein iſt das Gericht‘ —

Geh’ beten, mein Bruder, und richte nicht.“

Der Emir und ſein Roß.


Blutbeſtrömt und voller Wunden,

Die ihm Chriſten-Schwerter ſchlugen,

Trugen Mauren ihren Emir,

Der da kämpfte, der da ſiegte

Hundertmal in hundert Schlachten,

Heimwärts von des Ebro Strand.

[254]Ernſt von Wildenbruch.
Tief geſenkt das Haupt, das edle,

Zu der Blutſpur des Gebieters,

Selbſt aus tiefer Wunde blutend,

Kam das Roß, das ihn getragen,

Hundertmal in hundert Schlachten,

El Mahran, der weiße Hengſt.

Von dem Burgthor, dem gewölbten,

Schritt herab das Weib des Helden,

Gülnahar, die vielgeliebte,

Schlang um ihn die weißen Arme,

Dunkel, floſſen ihre Locken,

„Rettet,“ rief ſie, „meinen Herrn!“

Und es ſprach Medſchnun der alte,

Der der Heilkunſt wohl erfahrne:

„Schwer und tief ſind ſeine Wunden,

Nie zum Kampf mehr wird er reiten,

Aber willſt Du, daß er lebe,

Leben wird er, folge mir:

Von den Pfeilern, von den Wänden,

Nimm die Waffen, die ihn ſchmückten,

Die Gefährten alter Tage,

Daß ſein Blick ſie nie mehr finde,

Nie ſein Auge ihn erinn’re

An den Glanz ruhmvoller Zeit.

Banne ferne vom Palaſte

Die Poſaunen, die Drommeten,

Die Verkünder einſt’ger Thaten,

Daß ſie nie mehr ihn erwecken,

Nie ſein Ohr ihn mehr erinn’re

An den Glanz ruhmvoller Zeit.

Miſche dann in ſeinen Becher

Dieſe tief geheimen Tropfen,

Deren Kraft iſt, daß ſie löſchen

Alles, was uns je betrübte,

Alles, was uns je erfreute,

Tödtend die Erinnerung.“

[255]Ernſt von Wildenbruch.
Und ſie miſchte ihm die Tropfen —

Wo am ſchattigſten die Bäume,

Wo am duftigſten die Blumen,

Dort im ſtillen Gartenhauſe,

Fern der Welt und fern den Menſchen,

Pflegte ſie den wunden Herrn.

Mählich ſchloſſen ſich die Wunden —

Zweimal ging der lichte Frühling

Durch das Thal von Barcelona;

Als er kam zum drittenmale,

Fand er, unter Blumen wandelnd,

Friedlich lächelnd einen Greis.

Und das war der kühne Emir —

Jene Hand, die einſt am Ebro

Wie den Blitz das Schwert regierte,

Spielte jetzt mit Frühlingsblumen,

Und das Schlacht-gewalt’ge Auge

Blickte träumend in das Grün. —

Gülnahar an ſeiner Seite,

„Biſt Du ganz mir nun geſundet?“

Sprach ſie liebend. — „Ganz geſundet.“ —

„Fühlſt Du Schmerzen?“ — „Keine Schmerzen.“

„Doch Dein Auge blickt ſo trübe?“

„Etwas,“ ſprach er, fehlet mir.“

„Und dies etwas — ſprich, was iſt es?“

„Nimmer weiß ich es zu ſagen;

Wie ich ſinne, wie ich denke,

Nimmer weiß ich es zu finden,

Doch es war in meinem Herzen

Und im Herzen iſt’s nicht mehr.“

Alſo ſaß er eines Tages

Unter’m Schattendach der Bäume,

Gülnahar an ſeiner Seite —

Da vom Traume fuhr empor er,

Da vom Sitze ſprang empor er —

Was war das, was dort erklang?

[256]Ernſt von Wildenbruch.
Aus der Ferne ſcholl’s herüber,

Gleich der Windsbraut, die die Meerfluth

Die erſtarrte, weckt zum Sturme,

Gleich dem Erzklang der Drommete,

Gleich dem Raſſeln der Geſchwader,

Wie ein Ruf zu Schlacht und Streit.

Und es ſcholl zum zweitenmale —

Und zum drittenmal ertönt’ es —

„Bringt mein Schwert mir,“ rief der Emir,

„Sattelt meinen weißen Hengſt mir,

Denn ich kenne dieſe Stimme,

Das iſt El Mahran’s Gewieh’r!“

Da am Herzen brachen ſtrömend

Auf die Wunden, ſterbend ſank er,

In den Armen hielt ihn klagend

Gülnahar, doch er mit Lächeln

Sprach: nun fand ich das Verlor’ne —

Weine nicht, — ich bin geſund.“

[[257]]

Wolfgang Kirchbach.


Die todten Götter.


Auf einem Friedhof ſchritt ich hin im Traume,

Es rauſchten dunkelragend die Cypreſſen,

Es dämmerte vom bleichen Wolkenraume,

Die Gräber ſchliefen rings in Nacht vergeſſen.

Und in die Friedhofhalle trat ich traurig,

Wo aufgebahrt die todten Götter ruhten

Im offnen Sarkophage. Ernſt und ſchaurig,

So ſchliefen ſie den ew’gen Tod, die Guten.

Und in die Züge ſtaunend ſtand ich lange

Der ſüßen Aphrodite, der erblaßten,

Die kalt und lächelnd ſchlief. Bleich war die Wange

Des todten Zeus. Und ewig ſah ich raſten

Im offnen Sarg die Asgardgötter alle.

Es flatterten um Wodans Haupt die Raben

Und nieder ſchwebten ſie, die ſchnöde Kralle

In ihres Vaters Leichnam zu begraben.

Und weinend ſank ich hin am Sarkophage.

Da tönte Orgelklang ernſt durch die Halle,

Da war’s, als ob die Sonne glänzend tage,

Im reinen Licht erklang’s zum Jubelſchalle:

Todt ſind ſie all, die großen Götter,

Geſtorben iſt ihr ſtolzer Ruhm;

Im Zeitenſturm, im Himmelswetter

Verödet ſtürzt ihr Heiligthum.

17
[258]Wolfgang Kirchbach.
Und Seelen, die von Göttern ſangen,

Die betend ſanken in den Staub,

Sie ſind verſchollen, ſind vergangen

Und ſchlummern wie die Erde taub.

Und aus der friſchen Lebensquelle

Taucht neuer Geiſt verjüngt hervor,

Und, wie die Welle drängt die Welle,

Flieht vor dem Geiſt der Götter Chor;

Es würgt der Tod das rauhe Streben

Und ſeine Senſe raſtet nie,

Und doch aus Särgen Götterleben

Weckt ewig auf die Phantaſie.

Todt ſind ſie all, die großen Götter,

Doch ewig lebt ein Weltengeiſt,

Er iſt ſich ewig Selbſterretter,

Der Todesfeſſeln kühn zerreißt.

So lang noch holde Träume weben,

Wann dunkler Schlaf die Welt umhüllt,

So lang noch ſanfte Töne ſchweben

Und Harmonie das Ohr erfüllt;

So lang des Daſeins bunte Schatten

Des Malers weiſe Hand belebt,

So lang auf blüthenreichen Matten

Des Dichters Auge trunken ſchwebt

Und in des Herzens dunklem Grunde

Geſtalten ſeelenvoll erſchaut —

Iſt über dieſem Erdenrunde

Ein Tempel ewig neu erbaut. —

Vom Brüderlein und Schweſterlein.


Wer heim das blaue Blümlein bringt,

Der iſt der König im Lande!

Die Krone ihm vom Haupte blinkt,

Er wandelt im Purpurgewande!“

[259]Wolfgang Kirchbach.
Sie zogen zuſammen ins tiefe Thal,

Da blühten der Blumen ſo viele.

Dem Brüderlein ward das Suchen zur Qual,

Dem Schweſterlein ward es zum Spiele.

Die Blume brach das Mägdelein

Und jubelt und klatſcht in die Hände.

Dem Bruder ward das Herz zu Stein,

Da hatte das Jauchzen ein Ende.

Aufs Haupt wohl ſtürzt ihr ein Schwertesſchwung,

Da trug eine Krone die Gute,

Da lag eine Königin hold und jung

Im Purpurmantel von Blute.

Die Lippen der blutigen Blümelein

Den Purpur getrunken haben,

Die Sonne bleichte das weiße Gebein,

Doch Niemand hat es begraben.

Und Wind und Wetter und Sturmesbraus,

Die haben die Knöchlein verſtreuet,

Im Köpfchen ſogar, da hauſt eine Maus,

Ein Mäuschen, das Niemand ſcheuet.

„Wo iſt dein Schweſterlein ſchön und hold?“

Mein Schweſterlein iſt geſtorben.

Mein iſt die Krone von blut’gem Gold,

Den Purpur hab ich erworben!

„Wie ſtarb dein Schweſterlein hold und traut?“

Ein Schlag hat ſie gerühret!

Dem Teufel hat ſie ſich angetraut,

Der hat ihr die Blume erſpüret.

Die Blume, die ward ihr Eigenthum —

Ich hab’ eine andre gebrochen!

Mein iſt des Thrones blut’ger Ruhm —

Was kamſt du mit Zwei’n in die Wochen?!

17*
[260]Wolfgang Kirchbach.
Hätt’ſt du die Schweſter geboren mir nicht,

Wär’ ich König allein geworden —

Ich wäre heute kein Schuft, kein Wicht,

Der’s Schweſterlein mußt’ ermorden!“

Die Königin, die ward weiß wie Schnee,

Ein Glöcklein hat geklungen —

Da ſchrie ſie auf in wildem Weh,

Das Herz iſt ihr zerſprungen.

Und als der König vertrieben war,

Vertrieben im Völkermorden,

Und als verklungen manches Jahr,

Iſt er ein Hirte geworden.

Da hat er ſich eine Flöte gemacht, —

Ein Beinchen hatt’ er gefunden —

Ein Schädel hat grinſend ihn angelacht,

Das Mäuschen iſt huſchend verſchwunden.

Und als er blies den Flötenklang,

Da flötet’s hold und linde,

Da klang’s wie heller Mädchenſang,

Wie Blümlein ſäuſeln im Winde.

Da tönt’s wie ſelig Lachen drein,

Wie Jubeln und Seufzen vor Leide,

Da ſchwirrt’s wie ſchrilles Racheſchrein,

Wie Schwertſchwung ſauſt aus der Scheide:

„Ich bin ein Beinchen vom Schweſterlein,

Ein Knöchelchen voller Kunde;

Ach, läg’ ich lieber im Todtenſchrein,

Dann ſäß ich dir nicht am Munde.

Ach, läg’ ich lieber im Todtenſchrein,

Dann müßt ich nicht ſingen und ſagen,

Dann müßt ich nicht tödten mein Brüderlein

Und müßte nicht flöten und klagen.

[261]Wolfgang Kirchbach.
Da müßt’ ich nicht blaſen den Racheſang

Und ſingen von alter Sünde,

Dann bebte dem Bruder das Herz nicht bang

Wie Gräſer zittern im Winde —

Dann läge der Hirt nicht todt im Gras,

Der König, der Hirte geworden,

Dann ſtarrte ſein Antlitz nicht ſchädelblaß —

Und ich mußt’ ihn nimmer ermorden!“

Kornmuhme.


Schwül und ſchweigend glüht der Mittag,

Schlummert tief im Sonnenzauber.

Flimmernd bebt der blaue Aether,

Müde neigt das Korn die Aehre.

Wie in tiefe Nacht verſunken

Strömt der ſtille Glanz des Tages;

Bang verhalten geht ein Athem

Und ein Summen durch die Weite.

Sieh! da ſchreitet rieſenmächtig

Schwarz wie Nacht zum Himmel ragend,

Schwarz vom dunklen Hemd umfloſſen

Ein geſpenſtiſch Weib im Korne.

Niederfallen rings die Aehren

Wie vom Schnitter hingebreitet,

Und die blauen Blumen welken,

Werden weiß wie blaue Lippen.

Thränentropfen weint die Mutter,

Brandig ſtirbt beträuft die Aehre,

In den Himmel ragend ſchreitet

Ernſt die Nacht im Tag von dannen.

[262]Wolfgang Kirchbach.
Stumm und ſchweigend in die Bläue

Webt ſie ſich des heißen Himmels

Und im ſchwülen Glanz der Sonne

Iſt ſie endlich ganz verſchwunden.

Schwül und ſchweigend glüht der Mittag,

Schlummert tief im Sonnenzauber,

Flimmernd bebt der blaue Aether,

Müde neigt das Korn die Aehre.

Das Butterbrod.


Im Schaum entſtürzt der Mühle der Bach

Und wirft die Fluth den Fluthen nach.

„Erbarm’ dich Himmel der Herzensnoth

Mein Kindlein ringt im Fluthentod!“

Es kommt ein Wandersmann gegangen,

Ein Handwerksburſch mit bleichen Wangen.

Er ſieht’s; Felleiſen wirft er ab,

Springt wortlos in das Wellengrab.

Und wie er triefend ſucht und ringt,

Gerettet das Mägdlein ans Ufer ſinkt.

Da hält im Händchen noch feſt und klein

Sein Butterbrödchen das Mägdelein.

„Gerettet das Kind! Das Brödchen gar!

Du Edler, wir bringen dir Goldlohn dar!“

„Ich leide ſchwere Hungersnoth —

Schenkt mir zum Lohn das kleine Brod!“

Und ſpricht’s und wandelt die Straße weiter

Und ißt ſein Brödchen ſtill und heiter.

Ihn ſegne die Sonne, ſo weit ſie ſcheint —

Ich habe vor Freuden und Schmerz geweint.

[263]Wolfgang Kirchbach.

Die Roſen von Florenz.


Ihr Lieblichen, ihr Roſen,

Nun muß ich ſtill euch preiſen

Mit zarten Liedern, leiſen,

Ihr Roſen von Florenz.

Gar hoch iſt dieſe Mauer,

Da nickt ihr mir herüber,

Dein Himmel ſtumm darüber,

Tiefblau, mein ſchön Florenz!

Gar hoch iſt dieſe Mauer,

Ich kann euch nicht erreichen,

Ich kann euch nicht beſchleichen,

Ihr Roſen von Florenz.

Weit liegt das Thal gebreitet,

Da ſchimmern mild Oliven,

Cypreſſen ſtehn, als ſchliefen

Die Todten von Florenz.

Doch euch allein, ihr Roſen,

Euch will ich lächelnd preiſen

Mit leichten Liedern, leiſen,

Ihr Roſen von Florenz.

Jungfräuliches Erinnern

Beſchleichet meine Träume

Durch ätherferne Räume

Nach meiner Liebe Lenz.

So weit weilt meine Liebe!

So hoch iſt dieſe Mauer!

Ausweinen meine Trauer

Muß ich nun dir, Florenz.

Jungfräuliches Erinnern,

Ein ſüßer Liebesſchauer

Singt durch Cypreſſentrauer —

O ſeliges Florenz!

[264]Wolfgang Kirchbach.

Auf der Piazza Michelangelo.


Es iſt ein Läuten und Weinen

Der Abendſtunde im Thale,

Florenz, von deinen Glocken.

Gluthvoll ſah ich verſcheinen

An Wolken die Purpurmale

Der Sonne. Tieferſchrocken

Vereinſamt ſchweigt die Seele.

Was will dies Läuten und Locken?

Was will dies träumende Rufen

In Sehnſuchtsmelodieen?

Ich ſeh mich heimwärts ziehen

Hinan, wie auf geweihter Tempel Stufen!

Und ſtünd’ in dunklem Drange

Ich ſuchend auf der Höhe

Des Appenins in Wolken ſtumm und bange!

Verſchwände nun verſinkend

Dort hinter deinem Scheitel

Im Mondlicht milde blinkend!

Verſchollen wär’ dies Läuten,

Melodiſch aller Töne fernes Singen —

Tonlos durch Wolken ringen

Müßt’ ich bei dir zu ſein.

Wer kann den Pfad mir deuten?

Ich ſeh mich weiter ſchreiten

Auf Bergeshöh’n erſcheinen

Und wieder nieder wandern,

In ſtummen Seligkeiten

Mit dir mich zu vereinen

Und niemals wieder einſam dich zu laſſen.

Im Wiederſehn, Umfaſſen —

Was will mein Herz mir ſtocken?

Verſtummt ſind deine Glocken

Florenz, im dunklen Thale —

Und ach, wie jäh erſchrocken

Bin ganz vereinſamt ich zum andren Male! —

[265]Wolfang Kirchbach.

Pſalm der Trauer.


Mit Klagen wein’ ich des Menſchen Loos,

Denn mit Schmerzen gebärt ihn der Mutter Leib

Und Schmerzen geleiten zum Grab ihn.

Und es heulen, dem Armen, von hohler Noth

Blaſend die Stürme des Lebens ihm;

Was er ſchaffend zur That vollbringt,

Schlägt mit Leid der Genoſſen Bruſt,

Und es faßt ihn des Todes Fauſt,

Reißt ihn krallend herab zum Grund,

Modernd im ſchweigenden Grabesdunſt

Schlummert der Staub

Beim Staube.

Und was der Staub

Jubelnd pſalmierte, verzweifelnd ſchrie,

Herrlicher Geiſter ſchaffender Traum

Iſt verronnen in Lüfte der Zeit,

Wie ſich von Blumen verhaucht ein Duft,

Süßer Ton in der Ferne verhallt

Und du ſchauſt nicht, wohin! Wohin?!

Was quält den Staub,

Daß er ſich baut zum Tempel des Geiſtes,

Darinnen Göttergefühle entfacht

Zehren am Erdenſtoffe des Leib’s?

Ach, es ſeufzet das Leben nach Tod.

Und der Tod

Würget in Ewigkeit. —

Reſignation.


Mögen Andre ihrer Seele Blüthen

Und des Lebens Ruheglück,

Deren Herzen nach dem Lorbeer glühten,

Weihen dem Geſchick.

[266]Wolfgang Kirchbach.
Haſchen in des Lebens reichen Tagen,

Was der Gott als Köder ſtreut,

Mögen Andre nach den Kränzen jagen,

Die die Mitwelt beut!

Schaal und nichtig iſt wie nichts die Ehre,

Die die Namen heut umſchallt:

Und gefälſchter Lorbeer drückt, der leere,

Der die Stirn umwallt.

Ewig zeuget aus der Erden Schoße

Neue Weſen die Natur,

Und verweht mit ihrem Todesloſe

Schauſt du kaum die Spur.

Selig preiſ’ ich, wer im Leben ſchaffen,

Wirken kann, ein treuer Hirt;

Den des Todes Schauer ſanft entraffen,

Der vergeſſen wird. —

Aus der Ferne.


Es athmen und ächzen Millionen Menſchen

Leben und lieben in blühenden Landen,

Und es drängt ſich im Weiten wühlend

Der Strom des Schaffens und ſtrotzender Urkraft,

Endloſe Ebenen, Wüſten und Wälder,

Städte und Burgen auf ſtürmiſchen Bergen

Trennen die treuen,

Sehnenden Seelen.

Wie am Meere verwundert der Wandrer

Steht und ſtaunend die Wellen anſtarrt,

Anfang nirgends noch Ende findet,

Irrenden Blickes unendlich einſam

Seine Seele verſenkt in Wehmuth:

Alſo ſeh ich einſam verſinken

Meine Seele im weiten Weltraum,

Denk’ ich die Maſſen mühſeliger Menſchen,

Die ſich drängen in Luſt und Drangſal,

In Vergeſſenheit ewig gehen,

Wenn anathmend der Tod ſie umarmet.

[267]Wolfgang Kirchbach.
Deine Seele nur ſingt mein Seufzen,

Deine Seele nur ſucht meine Sehnſucht,

Zieht zu dir nach der holden Heimath,

Du heiliges Weib, das ich heilig liebe.

Wie der einſame Stern erſtrahlet

Und dem Wanderer Weiſung winket

Abends, ehe die Nacht ſich öffnet,

Wie in Schlacken und gelbem Fluthſchlamm

Suchend der Forſcher ein ſeltenes Goldkorn

Endlich findet und jubelnd aufjauchzt,

Alſo unwandelbar hab’ ich gewählet

Dich, du Meine, vor Menſchenmillionen.

Und nun ſchwindet auch meine Schwermuth

Und die Angſt vor des Weltalls Abgrund,

Denn wie nichtig und klein und kläglich

Wir auch wandeln im Weltenwalten:

Groß iſt die Welt, in der wir ſtehen,

Großes greift in unſere Seele,

Denn die Kernkraft der Weltenkräfte,

Denn das Mark des mehrenden Mühens,

Duftende Blume des blühenden Daſeins

Iſt die Kraft der lebendigen Liebe.

Nicht mehr einſam iſt nun mein Ahnen.

Ueber Ströme im Mondenſtrahle,

Ueber Burgen auf mächtigen Bergen,

Wandelt mein Geiſt auf goldenen Bahnen,

Und an deine bräutliche Bruſt,

Bald gebettet an deinen Buſen

Fühl’ ich ſelber in Freud’ und Frieden

Stark eine Welt in uns erſtehen.

Sei geſegnet, du Seelenvolle! —

[268]Wolfgang Kirchbach.

Pſalm der Freude.


Wenn auf der Bergeshöh’

Unter dir Wolken ruh’n,

Schleichende Wolken zieh’n —

Reißen die Stürme hinein,

Fern durch den Wolkenſpalt

Glänzt dir ein Sonnenthal

Schimmernd wie goldner Traum —

Wenn dich herrlich umkrönt

Mit dem Flammenkranz

Allliebender Sonne

Wärmender Strahl,

Daß du leuchteſt

Ueber den Wolken —

Wenn all’ die Luſt

Und die Seligkeit

Athmender Menſchenkinder im Thal

Mächtig zum Buſen dir drängt,

Im Buſen dir wiederklingt:

O, wie groß, du gewaltige

Welt des Staubs! —

Ja, Herz, du darfſt in Demuth ſtill

Verehren all’ das Himmliſche,

Du darfſt es; ſtreben, heilig Herz,

Des Guten all’ und Schönen dieſer Welt

Dich würdig zu erweiſen:

Darfſt ſinken betend hin

Vor der gewaltigen Feſte des Alls

Und Erd’ und Himmel ſchauen,

Danken mit Wonneblick,

Leuchtend im Wolkenreich

Flüſtern: o Glück

Ein Menſch zu ſein. —

[269]Wolfgang Kirchbach.

Rieſenprügelei.


Er ſtand vor einer Schmiede tief im Walde

Und ſchaute durch die ruß’ge Fenſterhöhle,

Wo drinnen rieſige Geſtalten regſam

Mit langen Haken ſchürten wilde Gluthen,

Wo fauchend in die Flamme fuhr der Sturmwind,

Der aus dem Blaſebalg gewaltig ſchnob,

Wo glühend Eiſen ſchleppend trug ein Rieſe

Und auf den Ambos legte und der Andre

Den wucht’gen Hammer in die Höhe ſchwang

Und ſeine Sehnen kraftvoll dehnend reckte

Und klingend, ſchmetternd auf das ſprühende Eiſen

Den Hammer warf, indeß der Flamme Glühen

Des Mannes Antlitz purpurroth umſchien.

Da ſtaunt er ob der kräftigen Geſellen

Und mächtig faßte ihn der Anblick an,

Der rieſenhafte und vulkaniſch-ſchöne.

Da trat ein ſchwarzer Kerl her aus der Schmiede

Zu ihm, der fuhr ihn höhniſch lachend an:

„Was gaffſt du hier, du Milchgeſicht, gewaſchnes?!

Kannſt du den Hammer ſchwingen? Was? Und nieder

Den Ambos ſchmettern, daß der Boden raucht?

Heb dich hinweg, ſonſt haucht der Blaſebalg

Dich wie ein Stückchen Wolle aus dem Wege!“

Und ſprach’s und packte zu und warf ihn nieder

Und prügelt ihn nach Leibeskräften durch.

Es traten die Geſellen in das Thor hin

Und lachten vor Vergnügen, daß die Sterne

Vom Dröhnen der Erſchütt’rung zitternd bebten

Und faſt vor Schreck herabgefallen wären.

Sternſchnuppen fielen wie die Prügel nieder,

Der Mond verzog ſein breites Angeſicht

Und lachte, daß die heitren Thränen nieder

In weißem Schimmer auf die Bäume floſſen

Und in den Teich in hellen Tropfen fielen.

Es lächelte der Teich ſogar in Wellen

Und ſah den Mond verſtändnißinnig an

[270]Wolfgang Kirchbach.
Und ſchluckte vor Vergnügen all’ die Thränen,

Die von dem Mond in weißen Lichtern fielen.

Und Alles lachte auf der weiten Erde,

Bis die Geſellen prügelſatt ihn ließen;

Sie ſchritten wieder in die heiße Schmiede

Und ſchürten lachend neue Gluthen auf.

Er lag am Boden, blickte auf zum Himmel

Und fühlte ſelber ſchmerzliches Vergnügen

Und rief die Sterne und die Monde an:

„Ihr kleinen Sterne, o du breiter Mond,

Ihr großen Götter, o du weiter Himmel,

Seht mich Zerſchlag’nen an! Und ahnt ihr Guten,

Was der Humor von der Geſchichte iſt?

Bewund’re die Natur in ihrer Größe,

In ihrer Allmacht und erhab’nen Schönheit,

Sie frißt dich doch zuletzt und drückt dich todt

Wer iſt der Stärk’re nun, ihr Schandgeſellen?

Seid ihr’s? Bin ich’s, der euren Prügel ſpürt

Und ’was Geſcheidtes noch dazu ſich denkt?

Wer macht den beſſ’ren Witz? Ich oder ihr?!“

[[271]]

Karl Henckell.


In vollen Zügen.


Originalbeitrag.


In vollen Zügen ſaug’ ich Deinen Duft,

Erquickung ſpendende Gewitterluft.

Die Jagd von Blitz und Donner fuhr vorbei,

Gepreßte Bruſt, wie athmeſt du ſo frei!

Doch ſchwellſt du auf mit wonnevollem Beben,

Getränkt mit wunderbar erneutem Leben.

Noch fällt das Naß, die Wolken ziehn dahin,

Und mit den Wolken zieht mein flücht’ger Sinn!

Wer baut flughemmend jenen Wolken Schranken?

Wer ſetzt ein Ziel den ſchweifenden Gedanken?

Wer bannt mich feſt, wer heißt mich raſten träg,

Wer ändert mir den ſelbſterwählten Weg?

Frei iſt die Bahn, und Niemand darf mich zügeln,

Ich ſtürme fort auf adlerſchnellen Flügeln.

Der Welten Räume meſſe ich zur Stund’,

Von Himmelsfernen bis zum Höllenſchlund,

Von Pol zu Pol, durch Höhen und durch Gründe,

Von Gott zu Bel, von Menſchlichkeit zur Sünde.

Kein ruhig Ueberweſen weckt mir Neid:

Wir ſind das All’, wir ſind die Herrlichkeit,

Wir ſind uns ſelbſt das Maß in allen Dingen,

Wir ſind die Kämpfer, die den Sieg erringen,

In unſ’rem Hirne brennt der Wahrheit Licht.

In unſ’rem Herzen pocht des Mitleids Pflicht.

Die Liebe glüht in unſ’rer Seele nur,

Und nur der Menſch geht auf der Schönheit Spur.

[272]Karl Henckell.
Ha, wie die Strahlen durch die Wolken ſchießen!

Du Wurm am Wege, kannſt Du’s auch genießen?

O nein, dich freut der Kitzel Deiner Haut,

Doch nicht der Geiſt, der ſchimmernd niederthaut,

Wenn mit den Tropfen ſich die Strahlen einen

Und lieblich lächelnd Erd’ und Himmel weinen.

Gebet.


Poet. Skizzenbuch.


An den Waſſern bin ich hingegangen,

Feuchter Windhauch letzte meine Wangen.

Meine Seele, die das Licht verlor,

Meine Seele ſchrie zu Gott empor.

Der im Wolkenkleid am Himmel ſchreitet,

Der im Sturmhut durch die Lüfte reitet,

Der aus grünen Wipfeln raunend winkt,

Der aus Silberwellen plätſchernd blinkt,

Der im Grashalm ſprießt, als Regen feuchtet,

Der im Blitze ſchießt, als Sonne leuchtet:

Weltengeiſt, von dem auch ich ein Theil,

Schütte nieder deiner Gnade Heil!

Ach, ich habe meinen Werth vergeſſen,

Bin in der Verräther Rath geſeſſen,

Habe frech dem lichten Gott geflucht

Und bethört der Lüge Nacht geſucht!

Blöd und elend wank’ ich wirre Pfade,

Wüſtenirrend dürſt’ ich müd’ nach Gnade,

Meine Seele, die das Licht verlor,

Meine Seele ſchreit zu Gott empor.

Ohne dich, wie dürr ſind meine Glieder!

Weltengeiſt, ach, ſtröme, ſtröme nieder!

[273]Karl Henckell.

Natur.


Skizzenbuch.


Natur, allheil’ge

Heilende Göttin,

An deinen vollen,

Nährenden Brüſten

Lieg’ ich und ſchlürfe

Milch des Lebens.

Aus deinem Munde

Geht des Windes

Wunderathem

Und löſcht mit ſchnell

Vergang’nen Wetters

Feuchtem Hauch

Der Wangen ſtürmiſch

Aus Herzenstiefen

Steigende Hochgluth.

Deiner Locken

Grüne Fluthen

Wogen rauſchend

Ueber mir,

Und nieder ſchaut

Dein blaues, klares,

Glänzendes Auge

Wonnig lächelnd.

O, Lebensſchauer

Der Weſeneinheit,

Verſchlung’nes Weben

Des Weltenall’s!

Ich ſeh’ es fluthen

In ew’gem Strome,

Ich ſeh’ es wachſen

Zu ew’gem Bau.

Such’ ich die Quelle,

So ſprüht ein Nebel

Und hüllt den Blick mir,

Und wo begründet,

Des Hauſes Pfeiler,

Die Räthſelſtelle

Ich fand ſie nicht.

18
[274]Karl Henckell.
Und dennoch bet’ ich

Voll ſüßen Grauens

Zu deiner Hoheit,

Mutter Natur

Und ſchlürfe durſtend

An deinen vollen,

Nährenden Brüſten

Milch des Lebens.

So leb’ denn wohl, du Stätte —


So leb’ denn wohl, du Stätte, die dem Müden,

Dem Schmerzgeſchüttelten noch Labung bot,

Traumſüßer Ruhe frohbewegten Frieden

Nach qualdurchſtürmter, herzensbanger Noth!

Ein Hirſch nach Waſſer ſtreif’ ich auf der Erde,

Der durſtgequält um kühle Letzung ſchreit,

Verhöhnt, verſtoßen von der Bruderheerde,

Gehetzt durch grauenvolle Einſamkeit.

Wo war ein Ort, da Balſam ſich ergoſſen

In meiner Wunden tauſendfält’gen Brand?

Wann ſchlug die Stunde je, da ich erſchloſſen

Das ſtets umſonſt geſuchte Eden fand?

Der Wahrheit treu ſeit meinem erſten Fühlen

Brach ich zuſammen, oft ein irrend Kind,

Was konnte mir die Flammenſtirne kühlen,

Dem tauſend Formen tauſend Sphinxe ſind?

Zum Fremdling dieſer Erde ward erſchaffen,

Wen tiefſtes Geiſtesſehnen ganz erfüllt,

Von Ort zu Ort muß er ſich einſam raffen,

Vom Trauerflor der Schweigſamkeit verhüllt.

Vor Götzenbildern ſieht er niederſinken

Der Lichtgebor’nen wahnbethörte Schaar,

Die Lüge ſieht er durch die Menge hinken

In ſchillerndem, vielfaltigem Talar.

Er will ein Retter, will ein Heiland werden

Und weiſt empor den Pfad aus Nacht zum Licht,

Er trägt des Kreuzes heilige Beſchwerden

Und kämpft voran, bis Schwert und Leben bricht.

[275]Karl Henckell.
So leb’ denn wohl! Wenn mit dem Flötenklange

Des Flügels weichſte Töne ſich vermählt,

Wenn leiſe, wehmuthvolle Lieder bange

Und doch ſo ſüß mich träumeriſch beſeelt,

Da hat ein ſelt’ner Gott ſich eingefunden

Und gnadenvoll ſich über mich geneigt,

Da hab’ auch ich das traute Glück empfunden,

Das allzuſchnell ſonſt meinem Blick entweicht.

Ihr kennt es nicht, die ihr parfum-umfächelt

So glatt wie hohl ein wenig „Leben“ ſpielt,

Nur wem im Wetterſturm die Sonne lächelt,

Der Kämpfer nur hat einzig es gefühlt!

Sonnenlied.


Deutſcher Geiſt und deutſches Herz. S. 558.


Blendend zittert gold’nes Licht.

Um die ſehnſuchtsvollen Wangen,

Strahl auf Strahl durch Wolken bricht,

Und das nebelgraue Bangen

Iſt vergangen.

In dem warmen Sonnenmeer

Will ich baden traumverſunken,

Blitzend wogen um mich her

Schießend, wirbelnd, wonnetrunken,

Himmelsfunken.

O du weſenloſer Geiſt,

Gott der Strahlen, Glanz geboren,

Den das Weltall jauchzend preiſt,

Den zum Spotte nun die Thoren

Sich erkoren:

Geiſt erhab’ner Liebesmacht,

Geiſt des Wahren und des Guten,

Der du durch des Irrthums Nacht

Des Gedankens helle Gluthen

Läſſeſt fluthen:

18*
[276]Karl Henckell.
Sendeſt nieder du den Hauch

Deines wunderbaren Lebens,

Strömt durch meine Seele auch

Voll geheimniß-ſüßen Webens

Kraft des Strebens.

Heil dir Sonne, jauchzend ſoll

Dir mein Lied zum Aether wallen,

In die Saiten ſchlag’ ich voll,

Daß ſie durch der Erde Hallen

Hell erſchallen!

In Verklärung blickt empor

Dann die Menſchheit, lichtdurchdrungen,

Spenden dir im Jubelchor,

Gott der Götter, tauſend Zungen

Huldigungen!

Genius.


Deutſche Romanzeitung.


Mir winkt ein Stern, wenn dieſer Stern nicht glömme,

Mich hüllte ſchaurig Todesdunkel ein,

Mich trägt ein Strom, wenn ich auf ihm nicht ſchwömme,

Im Wüſtenſand verdorrte mein Gebein.

O bleib mir treu, du Leitſtern meiner Pfade,

Verſiege nicht, du Linderin der Gluth!

Ihr ſeid mir Himmel, Seligkeit und Gnade,

Darin erſchöpft mein ganzes Weſen ruht.

Ihr könnt allein des Herzens Sehnſucht kühlen,

Du Stern, du Strom herz’eigner Dichterkraft,

Nur wenn ich bilde, mag ich Menſch mich fühlen,

Und meine Seele lebt nur, wenn ſie ſchafft.

[277]Karl Henckell.

Der Väter werth.


Vom Himmel rauſcht gewaltig

Ein wunderſames Lied,

Ein Ahnen vielgeſtaltig

Durch meine Seele zieht.

Wie Adlerſchwingen klingt es,

Wie ſturmdurchbrauſter Wald,

Wie Jubelhymnen ſingt es:

Was Du erſehnt, kommt bald!

Feſt ſteht der Bau gegründet,

Das heil’ge deutſche Reich,

Die Zinnen gluthentzündet

Erſtrahlen ſonnengleich.

Die ſtolzen Banner wogen

In alle Lande weit,

Und droben glänzt der Bogen

Erhab’ner Einigkeit!

Nun ſchwillt die Seele bebend

Im Drang nach deutſcher Art,

Nun jubelt auf, was ſtrebend

Sich treu zuſammen ſchaart:

Im Reden und im Handeln

Zum Hohn dem Lügendunſt

Deutſch allezeit zu wandeln

In Leben und in Kunſt!

Hell ſchmettern die Fanfaren

Durch Thal und Bergrevier:

Wer will die Treue wahren

Dem deutſchen Reichspanier?

Wir heben hoch die Hände

Und kreuzen Schwert mit Schwert:

Nun hat die Schmach ein Ende,

Wir ſind der Väter werth!

[278]Karl Henckell.

Morgengruß.


Originalbeitrag.


Tief getaucht in Sonnengluthen

Ragt des Berges Haupt empor,

Lichtgewirkte Schleier fluthen,

Niederwallt der Silberflor.

Hoch am Nacken ſeh’ ich ſchwellen

Süßer Reben Perlenreihn,

Aus den Brüſten ſeh’ ich quellen

Milden, kraftgezeugten Wein.

Bäume ſchatten früchteprangend,

Vollbelaſtet deinen Fuß,

Frohen Blickes dich umfangend

Biet’ ich dir den Morgengruß.

Sei gegrüßt, vom Morgenſtrahle

Glanzumwob’nes Vaterland!

Leuchteſt auf mit einem Male,

Seit der Dämm’rung Schatten ſchwand.

Ha, wie ſtrebt dein Haupt erhoben

Zu des Lichtes Wunderquell’!

Reicher Segen ſtrömt von oben,

Und die Früchte reifen ſchnell.

Wie der Seele bitt’res Leiden

Deine Herrlichkeit verſüßt!

Größ’res ahnend laßt mich ſcheiden —

Deutſchland, Mutter, ſei gegrüßt!

Berliner Abendbild.


Wagen rollen in langen Reih’n,

Magiſch leuchtet der blaue Schein.

Bannt mich arabiſche Zaubermacht?

Tageshelle in dunkler Nacht!

[279]Karl Henckell.
Haſtig huſchen Geſtalten vorbei,

Keine fragt, wer die and’re ſei,

Keine fragt dich nach Luſt und Schmerz,

Keine horcht auf der andern Herz.

Keine ſorgt, ob du krank und ſchwach,

Jede rennt dem Glücke nach,

Jede ſtürzt ohne Raſt und Ruh

Der hinrollenden Dirne zu.

Langſam ſchlendr’ ich im Schwarm allein —

Magiſch leuchtet der blaue Schein.

Kaufmann, Werkmann, Student, Soldat,

Bettler in Fetzen, Hure im Staat.

Rechnend drängt ſich der Kaufmann hin.

Rechnet des Tages Verluſt und Gewinn.

Werkmann bebt vor der Winters Noth:

„Fänd’ ich, ach fänd’ ich mein täglich Brod!

Hungernd wartet die Kinderſchaar,

’s iſt ein böſes, ein böſes Jahr.“

Bruder Studio zum Freunde ſpricht:

„Warte, das Mädel entkommt uns nicht!

Siehſt du, ſie guckt; brillant, famos!

Walter, nun ſieh’ doch — die Taille bloß!“

Steht der Gardiſt in Poſitur,

Weil der Hauptmann vorüber fuhr,

Ließ ſeine Donna im Stich — allein:

„Ja, liebſte Roſa, Reſpekt muß ſein.“

„Blumen, Blumen, o kauft ein Bouquet,

Roſen und Veilchen, duftend und nett!

Bitte, mein Herr, ach ſo ſei’n Sie ſo gut!“

„Scheer’ dich zum Teufel, du Gaſſenbrut!

Retzow, auf Ehre, wahrer Skandal.“

„Unter Kam’raden ganz egal.“

„Sehen Sie, bitte! Grandioſe Figur,

Wirklich charmant, merveilleuſe Friſur.“

„Echt garantirt? Doch das macht nichts aus.

Hm! Begleiten wir ſie zu Haus?“

„Neueſtes Extrablatt! Schwurgericht!“

Hei, das drängt ſich neugierig dicht.

„So ein Schwindler, ein frecher Hund,

Schlägt erſt todt und leugnet es rund.“

[280]Karl Henckell.
Wie das raſſelt, ſummt und brauſt!

Wie es mir vor den Ohren ſauſt!

Jahrmarkt des Lebens, ſo groß — ſo klein!

Magiſch leuchtet der blaue Schein.

Das Lied vom Arbeiter.


Es ſummt und dröhnt mit dumpfem Ton

Und qualmt und raucht ringsum,

Und Mann an Mann in ſchwerer Frohn

An ſeinem Platze ſtumm.

Der Hammer ſinkt, die Eſſe ſprüht,

Das Eiſen in der Flamme glüht.

Früh Morgens, wenn der Schlemmer träg’

Auf weichem Pfühl ſich reckt,

Macht ſich der Sklave auf den Weg,

Vom Hunger aufgeſchreckt.

Der Hammer ſinkt, die Eſſe ſprüht,

Das Eiſen in der Flamme glüht.

Und Stund’ um Stund’ für kargen Sold

Rührt er die wucht’ge Hand,

Er wirbt um Ehre nicht, um Gold

Und all’ den ſüßen Tand.

Der Hammer ſinkt, die Eſſe ſprüht,

Das Eiſen in der Flamme glüht.

Er wirbt mit Weib und Kind um Brod,

Ums Leben fort und fort,

Er weiß, wie fürchterlich die Noth

Ihm Mark und Blut verdorrt.

Der Hammer ſinkt, die Eſſe ſprüht,

Das Eiſen in der Flamme glüht.

[281]Karl Henckell.
Kein holdes Lied berührt ſein Ohr,

Durch das die Sorge gellt,

Kein Dichter öffnet ihm das Thor

Zu einer beſſern Welt.

Der Hammer ſinkt, die Eſſe ſprüht,

Das Eiſen in der Flamme glüht.

Wohl nagt am Herzen weh und wund

Ihm oft ſein bitt’res Loos,

Dann bricht ein Fluch aus trotz’gem Mund,

Verſchlungen vom Getos.

Der Hammer ſinkt, die Eſſe ſprüht,

Das Eiſen in der Flamme glüht.

Das iſt ein rauhes Weltgebot,

Auf ewig Herr und Knecht,

Das Auge blitzt, das Feuer loht —

Ihr Herren, ſeid gerecht!

Der Hammer ſinkt, die Eſſe ſprüht,

Das Eiſen in der Flamme glüht.

„Und wenn ein Gott im Himmel nicht

Den bangen Ruf verſteht,

Dann ſtürm’ herein, du Weltgericht,

Wo alles untergeht!“

Der Hammer ſinkt, die Eſſe ſprüht,

Das Eiſen in der Flamme glüht.

Wunſch.


Die Amſeln ſingen,

Mit ſanften Schwingen

Säuſelt der Wind.

Dem Tod entronnen!

Du Licht der Sonnen,

Labe mich lind!

[282]Karl Henckell.
O bitt’res Leiden,

So jung zu ſcheiden

In’s Todtenland!

Geknickte Saaten,

Gemordete Thaten,

Nimmer genannt.

Wie flammt’s im Blute

Von drängendem Muthe

Und edler Kraft!

Dank, gütige Götter,

Daß nicht das Wetter

Mich hingerafft.

O, laß mich leben,

Gewappnet zu ſtreben

Nach Lieb’ und Licht,

Bis einſt in Frieden

Dem Kampfesmüden

Das Auge bricht.

Gott ſegne dich.


Der einſt mein erſtes Lied erklungen

In ſehnſuchtsſcheuer Knabenzeit,

Haſt dir den Brautkranz nun errungen —

Gott ſegne dich, du junge Maid.

Ein goldner Stern in Maiennächten,

Stiegſt du vor meinem Blick empor,

Du glich’ſt dem Edelſtein, dem ächten,

An den ich ganz mein Herz verlor.

Ich ſah dein Bild von fern nur leuchten

Und betete in ſtummer Nacht

Mit fleh’nden Augen, thränenfeuchten,

Zu dir — die nimmer mein gedacht.

[283]Karl Henckell.
Die Wolken kamen ſchwarz gezogen,

Die Wetter peitſchten wild mein Haupt,

Mein Schiff verſank im Grab der Wogen,

All’ meines Glücks ward ich beraubt.

Durch Himmel und durch Hölle ſtürmte

Mein furiengehetzter Sinn,

Das Ideal, das treu mich ſchirmte,

Warf mir den Rettungsanker hin.

Sieh’! Da zerfloß das trunk’ne Sehnen,

Das wonnebang mich einſt umſchwoll,

Dein Bild verſchwand, des Geiſtes Wähnen

Ward ew’ger Gottverſenkung voll.

Der Menſchheit Heiligthum zu retten,

Wall’ predigend ich meinen Pfad,

Erlöſend aus der Selbſtſucht Ketten

Mit meines Liedes freier That.

Doch heute bei des Täubers Girren,

Umhaucht vom Duſt des Lindenbaums,

Darum die Bienen lüſtern ſchwirren,

Gedacht’ ich jenes ſüßen Traums:

Da ich mein erſtes Lied geſungen

In ſehnſuchtsſcheuer Knabenzeit

Dir, die den Brautkranz nun errungen —

Gott ſegne dich, du junge Maid!

Wir.


Originalbeitrag.


Schranken brechen nieder,

Längſt zermorſcht und grau,

Wir ſind alle Glieder

Und ein einz’ger Bau.

[284]Karl Henckell.
Die ſich ſelbſt nur lebten,

Werden opfernd gut,

Die da feindlich ſtrebten,

Knüpft der Liebe Gluth.

Alle engverbunden

Ringen kühn empor,

Bis der Kranz gefunden,

Den der Menſch erkor:

Auf des Lebens Fluſſe

Hinzuzieh’n beglückt,

Selig im Genuſſe,

Der den Geiſt entzückt.

Schwankend ragen …


Originalbeitrag.


Schwankend ragen finſt’re Bäume,

Durch die Lüfte zieht es ſchaurig,

Alte, tiefe, dunk’le Träume

Zittern durch die Seele traurig.

Welke Blätter raſcheln ſtöhnend,

Was am Mark verdorrt, muß brechen,

Steinern Schickſal ſchlägt uns höhnend,

Was verſchuldet, muß ſich rächen.

Ach, die nächtig ſchweren Sorgen

Wohnen wachend im Gemüthe,

Und die Sünde liegt verborgen

In dem Keim der ſchönſten Blüthe.

[285]Karl Henckell.

Gebet.


Originalbeitrag.


Der Du mich ahnungsvoll umkreiſt,

Hör’ mein Gebet, urew’ger Geiſt!

Der Du von Anfang bis zu Ende,

Zu Dir aufheb’ ich meine Hände.

In Schauern ſink ich vor Dir hin,

Weil ich Dir ganz ergeben bin.

Du biſt die Leuchte meines Lebens,

Du biſt das Urbild meines Strebens.

Du biſt’s allein, der in mir ſchafft,

Du biſt der Pfad, Du biſt die Kraft.

Du biſt die Tiefe, biſt die Höhe,

Das Meer, darin ich untergehe,

In Dir nur bin ich ſtät und ſtark,

Du biſt die Wurzel, biſt das Mark.

Du biſt der Baum, daran ich ranke,

Du richteſt mich, daß ich nicht wanke,

Du biſt der Strom, der mich durchquillt

Und meiner Seele Gluthen ſtillt.

Du biſt der Anker mir im Wetter,

Biſt mein Erlöſer, mein Erretter,

Du biſt das Wort, der Klang, der Sinn,

In dem ich lebe, web’ und bin

Du biſt der Inhalt im Gefäße,

Nichts iſt, nach dem ich Dich bemäße,

Du biſt die Wahrheit, biſt das Licht,

Das flammend aus der Seele bricht,

Du biſt das Schöne, biſt das Gute,

Für das ich bin, für das ich blute —

Trotz Noth und Tod für alle Zeit,

Urew’ger Geiſt, ſei benedeit!

[286]Karl Henckell.

Reif iſt die Frucht und muß geſchnitten ſein.


Originalbeitrag.


Gewitterſchwanger dräut es Tag und Nacht,

Doch fällt kein Blitz, kein ſtarker Donner kracht.

Zuweilen flammt am Horizont ein Schein,

Dann folgt ein ſchwaches Grollen hinterdrein.

Todmüde röchelnd ringt die Well’ nach Luft,

Als ſchmachte ſie in dumpfer Leichengruft.

O brich herein mit Donnerſturmgetos,

Laß deiner ſchwarzen Roſſe Zügel los,

Sturmjäger, auf, wir alle harren dein,

Nicht länger kann die Qual ertragen ſein.

Siehſt du die bangen Haufen murrend ſtehn?

Die Zeit iſt hoch, was ſein muß, muß geſchehn.

Und flammen tauſend Dächer auf in Rauch,

Und bricht zuſammen uralt heil’ger Brauch,

Und giebt’s ein Jammern, daß die Luft zerbirſt,

Laß dich nicht mäßigen, Gewitterfürſt!

Donner auf Donner, rother Strahl auf Strahl,

Rein muß es werden von Gebirg’ zu Thal,

In Schauern birgt ein glückliches Geſchlecht,

Was mühvoll wir geſäet Knecht an Knecht.

Was gelten wir? Die Zukunft gilt allein,

Reif iſt die Frucht und muß geſchnitten ſein.

Pſalm.


Originalbeitrag.


Ich habe die Tiefen des Elends geſchaut,

Und es hat mir in Tiefen der Seele gegraut,

Ich ſahe lebendiger Todten Skelett

Und ſtand an der Buhlen entweihtem Bett,

Ich nahte gefallenen Engeln viel,

Der ſüßeſten Sünde entſetzlichem Spiel,

Die ſtolze Vermeſſenheit ſah ich im Schwang

Und lauſchte der Reichen bethörtem Geſang,

[287]Karl Henckell.
Die Seelen ſah ich verkauft und feil,

Nach Gold und Ehre und Wolluſt geil,

Der Knechte traf ich ein zahllos Heer

Und fand der Lügner und Heuchler noch mehr,

Im Bethaus ſah ich vor Gott ſie knien

Und ſah, wie ſie heimlich den Heiland beſpien

Und lachten verborgen und trieben Hohn,

Und leckten doch ſündiſch an Kreuz und Thron,

Und ich ſah, was mir hölliſch die Sinne gepackt,

Sie die Wahrheit nothzücht’gen und peitſchten ſie nackt —

Und zu Boden ſank ich und rang und rang

Und ſiechte todtmüde und heillos bang,

Meine Seele war wüſt, und mein Geiſt war Nacht,

Da flammte ein Strahl, nun bin ich erwacht

Und ich ſchreie empor voll brünſtiger Gluth:

Du Geiſt der Welten, verleih’ uns Muth,

Daß das Zagen zergeht und der Zweifel zerbricht,

Zu ſehnen und ſuchen das ewige Licht,

In harrender Treu, in Gedanken und That,

Wann der Abend ſinkt, wann der Morgen naht,

Mit der Liebe Gewaffen im brennenden Kampf,

Schildleuchtende Helden im Nebeldampf

Mit des Mitleids Ruf, mit der Wahrheit Speer,

Zahllos ſich mehrend ein ſiegend Heer,

Zu löſen das Leid und die Welt zu befrei’n —

O ſelig, Todzeuge des Lichtes zu ſein!

Meiner Mutter.


Originalbeitrag.


Mutter, aus der Ferne eilſt Du,

Deinen Sohn zu ſehen,

Ach, die kranke Seele heilſt Du,

Linderſt ihre Wehen.

Bin zermartert, bin zerſchlagen

Wie im Sturm die Eiche,

Doch bei Dir vergeht mein Klagen,

Gute, Milde, Weiche!

[288]Karl Henckell.
Wer der Zeit Meduſe ſchaute

Schon mit jungen Jahren,

Wem’s in Höllentiefen graute,

Früh hinabgefahren:

Wen zu Eis der Froſt des Lebens

Oft das Herz erſtarrt hat,

Wen der Irrthum dunklen Strebens

Trügeriſch genarrt hat:

Laßt ihn in die treuen Augen

Seiner Mutter blicken,

Heiße Wonne wird er ſaugen

Und ſich heiß erquicken.

Mutter, aus der Ferne eilſt Du,

Deinen Sohn zu ſehen,

Ach, die kranke Seele heilſt Du,

Linderſt ihre Wehen.

Ruhe, meine Seele!


Originalbeitrag.


Nicht ein Lüftchen,

Regt ſich leiſe,

Sanft entſchlummert

Ruht der Hain;

Durch der Blätter

Dunkle Hülle

Stiehlt ſich lichter

Sonnenſchein.

Ruhe, ruhe,

Meine Seele,

Deine Stürme

Gingen wild,

[289]Karl Henckell.
Haſt getobt und

Haſt gezittert,

Wie die Brandung,

Wenn ſie ſchwillt!

Dieſe Zeiten

Sind gewaltig,

Bringen Herz und

Hirn in Noth —

Ruhe, ruhe,

Meine Seele,

Und vergiß,

Was dich bedroht!

Es iſt ein Kampf …


Originalbeitrag.


Es iſt ein Kampf, kein and’rer kommt ihm gleich —

Nicht, wenn in offner Feldſchlacht du die Bruſt

Dem Feind entgegenwirfſt, die panzerloſe,

Und tauſend Schwerter blitzen auf dich ein

Und flammen Tod und klirren laut Verderben —

Nicht, wenn in Aſiens dichtem Rohrgeſtrüpp

Dem gelben Dſchungeltiger Du begegneſt,

Daß arggeſchlitzte Augen ſchnell erſpähn,

Wie ſprungſchnell er des Nackens Weichen dir

Zerfleiſchen wird, des Todes armen Sohn,

Und du die Flinte nach dem Hirn ihm richteſt,

Den Dolch bereit, falls deine Kugel irrt, —

Auch nicht, wenn du auf winzig ſchmalem Kahn,

Der lecken Nuß, von himmelhohen Wogen

In tiefen Waſſerſchlund geſchleudert wirſt,

Es kocht das Meer und brandet wild empört,

Du aber kämpfſt verzweifelt mit den Fluthen —

Es iſt ein Ringen fürchterlicher Art,

Zerreißend deines Herzens ſtraffſte Faſern

Und dein Gehirn mit Sturmeswuth durchtoſend,

Liegſt du im Kampf mit deiner Leidenſchaft;

19
[290]Karl Henckell.
Auf ſtürmt ſie aus des Buſens tiefſten Schächten,

Springt auf dich ein, gräbt ihre Pranken feſt,

Saugt aus dein Blut, durchbohrt dich ſchwertesſcharf,

Und kennt kein Ruh’n, kein Zaudern, kein Ermatten,

Stets neu geboren wie der Gorgo Haupt —

Und doch, um Gott, verliere nicht den Muth,

Verzweifle nicht, wenn dir auch heimlich grauſt,

Raff’ ſtets dich auf zu wahrhaft kühnem Schlage

Und ſchlag’ ſo lange, bis das wilde Weib

Beſiegt zu deinen Füßen niederbricht,

Und du befreit dein Haupt gen Himmel richteſt —

Ein Sieger, dem kein and’rer Sieger gleich!

[[291]]

Oskar Jerſchke.
Nachtrag zu Seite 193.


Das Forſthaus in den Vogeſen.


Ich ſang und wanderte im Wasgauwalde,

Bis ich im Wurzelwerk den Pfad verlor,

Da trat mir juſt auf einer Lichtung Halde

Ein grünumranktes, freundlich Haus hervor.

Gar lockend winkte aus dem Laubgewinde

Die weiße Wand, der hellen Fenſter Fach,

Und über allem baute Eich’ und Linde

Ein duftig ſchattenreiches Blätterdach.

Hoch durch das Laub ſah ich den Giebel ragen,

Gekrönt von einem ſtattlichen Geweih,

Das ſchien dem Wandrer ſchon von fern zu ſagen,

Daß dies des Waidmanns luſtig Schlößchen ſei.

Hier ſtieg ich keck die moosumkränzten Stufen

Zur braunen Thür und pochte wacker an. —

Der liebe Gott hat’s ja ſchon längſt gerufen:

„Wer anklopft, dem wird ſicher aufgethan.“ —

Ich that’s zwei-, dreimal, doch es blieb geſchloſſen.

Ein Zeiſig nur ſang drin ſein Schelmenlied;

Es war das erſte, das mich ſchier verdroſſen,

Denn neckiſch klang es mir wie: „Flieht nur, flieht!“

Da hört ich plötzlich durch’s Gezweig erklingen

Gar heller Stimme fröhlichen Geſang,

Und gleich darauf ſah ich durch’s Buſchwerk ſpringen

Ein blühend Mädchen, ſchlehenäugig, ſchlank.

19*
[292]Oskar Jerſchke.
Als ſie den Fremden ſah am Haus ſich regen,

Entfuhr ihr wie im Schreck ein leiſer Schrei;

Ich grüßte reuig, ſchalt mich keck, verwegen

Und bald war ihre Mädchenangſt vorbei.

Erſt ſchmählte ſie mit hellem Silberlachen

Sich ſelber aus und zürnte ſchelmiſch dann;

„Wie konntet ihr mich auch nur ſchrecken machen,

Am offnen Tag, ihr böſer, junger Mann!

Ich war das Thal hinab in’s Dorf gegangen

Um Salz und Brot für unſer kleines Haus,

Der Vater zog ſchon bei dem erſten Prangen

Des Frühroths auf ſein Tagewerk hinaus.

Doch tretet ein, gönnt euch ein Ruheſtündchen,

Ihr ſeid gewiß recht müd’ und wandermatt!

Kommt, nehmt vorlieb mit dem, was unſer Spindchen

An Speiſ’ und Trank für euren Gaumen hat!“ —

In ihren Wangen lachten kleine Grübchen,

Als ſie mich herzlich in den Hausflur lud;

Drauf öffnete ſie mir das Förſterſtübchen,

Daß mir ganz ſtill und ſonderbar zu Muth.

Gebohnt war dort die glatte Diele drinnen

Und holzgetäfelt rings die braune Wand,

Die Fenſter zierten ſchmuck ſchneeweiße Linnen

Aus ihrer eig’nen, fleiß’gen Mädchenhand.

Ein Eichentiſch ſtand gaſtlich in der Mitte,

Zu dem des Vaters Art den Stamm gefällt,

Und Flechtwerkſtühle nach des Waidmanns Sitte

Aus Birkenäſten kunſtvoll hergeſtellt.

Behaglich bis zu künft’gen Wintertagen

Der Kachelofen in der Ecke ſtand

Und auf geſcheuerten Geſimſen lagen

Viel blanke Teller mit gemaltem Rand.

Am Wandgetäfel ſah ich aufgehangen

Ein ſchlichtes Kreuz und unſres Kaiſers Bild.

Und rings im Kreiſe vielgeſtaltig prangen

Manch ſtolz Geweih von dem erlegten Wild.

Doch immer warf ich heimlich beim Beſchauen

Mein Auge auf das Förſterkind zurück

Und haſchte diebiſch aus den dunkelblauen

Und ſanften Augen manchen raſchen Blick.

[293]Oskar Jerſchke.
Sie hatte bald mit flink gewandten Griffen

Den Eichentiſch für unſer zwei beſtellt

Und grüne Gläſer bilderreich geſchliffen

Und ſchwarzes Brot und Wildpret drauf geſtellt.

Doch auf der gaſtfreundlichen Tafel Mitte

Trug ſie im irdnen Kruge goldnen Wein,

Und lud mich dann mit liebevoller Bitte

Zum frohen Vespermahle freundlich ein.

Sie bat ſo herzlich mich, ſo unbefangen,

Bediente mich, kredenzte den Pokal,

Daß unbewußt in meine jungen Wangen

Ein ſeltſam Glühen ſich verrathend ſtahl.

Durch’s Fenſter lugten von dem Buchenaſte

Zwei weiße Täubchen auf den ſtillen Schmaus,

Verwundert girrend ob dem ſeltnen Gaſte

In ihrer Herrin trautem Förſterhaus. — —

Schon ſah ich Alpenglühn auf Gletſcherriffen,

Und ſchaute auch des Meers Unendlichkeit,

Doch hat mich nichts ſo innerlich ergriffen

Als dieſes Mädchens ſanfte Kindlichkeit.

Ihr friſches Plaudern klang wie einer Quelle

Melodiſcher und weicher Waldgeſang;

Von Wieſe, Waidwerk und des Wildes Schnelle

Erzählte ſie und von dem Droſſelfang.

Dann mußt ich ihr auf tauſend liebe Fragen

Berichten von den fernen Schweizerhöhn,

Wie ſilberkuppig dort die Gletſcher ragen

Und die Lawine löſt der grauſe Föhn;

Und wie ich ſüdwärts dann hinabgezogen

In’s ſchöne Land, wo die Orange glänzt,

Und wo die Adria mit ihren Wogen

Venedigs ſchimmernde Paläſte kränzt.

Der deutſche Wein lieh meinen Worten Flügel,

Mein Auge glühte, meine Rede floß

Und leicht getragen ohne Zaum und Zügel

Sprang ſie dahin wie ein beſchwingtes Roß.

„Und doch,“ ſo rief ich, und die Gläſer klangen,

„Wie reich die Welt da draußen auch, wie ſchön

Neapels Golf, der ewgen Roma Prangen,

Das blaue Meer und Tiburs Myrthenhöhn,

[294]Oskar Jerſchke.
Ich ſehnte mich aus all des Südens Düften

Nach meines deutſchen Eichwalds grünem Dom,

Und von Siciliens wunderbaren Triften

An meinen Rhein, an meinen deutſchen Strom.

Und eines Tags — der Lenz ging ſchon zur Rüſte

Mit Stab und Ränzel mich Palermo ſah,

Dort nahm ich Abſchied von Meſſinas Küſte

Und fuhr zu Schiffe hin nach Genua.

Hier zog ich nordwärts, jauchzte meine Lieder

Zum zweiten Mal im Berner Oberland,

Bis heut ich meine deutſchen Wälder wieder

Und — dich, du liebe, junge Wirthin, fand!“ —

Ich war zu Ende und die Zeit verflogen,

Schon dunkelte das trauliche Gemach

Und ſchimmernd flutheten die goldenen Wogen

Der Dämmerſtunde durch das Blätterdach;

Und glühend küßte meiner Wirthin Wangen

Des Abends roſiger Madonnenſchein

Und hüllte wunderbar in goldnes Prangen

Ihr wallend Haar, ihr blühend Antlitz ein.

Doch wie die Strahlen mählig weiter wichen,

Rief mich die Wanderpflicht gebietend fort,

Ich wollte noch, eh mich die Nacht beſchlichen,

Zu Thale pilgern in den nächſten Ort.

Mich rief mein Ziel von dieſer trauten Stätte,

Die Liebe mir geboten, Trank und Schmaus,

Und dennoch war’s, als ſchlöſſ’ mich eine Kette

An dieſes waldesſtille Förſterhaus.

Stumm ſann ich nach. — Ich wußte nichts zu ſagen,

Stand auf vom Tiſch und von dem lieben Mahl,

Als mich, wie mit geheimnißvollem Fragen,

Aus ihren Augen traf ein lichter Strahl.

Und zögernd frug ſie: „Wollt Ihr wirklich gehen?

Im Haus iſt Platz genug, ich bitt’ Euch, weilt,

Und wandert morgen erſt von unſern Höhen

Mit meinem Vater, wenn die Zeit Euch eilt!“

Nun rang ich mit mir ſelbſt und wurde irre,

Ob’s recht, daß man die Liebe ſo vergilt,

Und immer trat aus meiner Pläne Wirre

Des Förſterkindes maienlichtes Bild.

[295]Oskar Jerſchke.
Doch eine Stimme, die mich ſonſt gemieden,

Rief warnend mir: „Flieh, fliehe nur geſchwind!

Vergifte nicht des Waldes heilgen Frieden,

Vergifte nicht dies ſchöne junge Kind!

Fremd wie du kamſt, zieh fremd auch raſch von hinnen

Und kette hier nicht jählings dein Geſchick;

Was willſt, was willſt du hier? Biſt du von Sinnen?

Zieh fort und ſchaue wandernd nie zurück!“

Und plötzlich war’s, als zög’ es mich von dannen,

Raſch griff ich Wanderränzchen, Hut und Stab

Und wandte mich — denn ein Paar Thränen rannen

Ganz heimlich aus den Augen mir herab:

„Ich kann ja nicht und darf nicht länger bleiben,

Muß morgen noch an meinen Heimathrhein,

Vielleicht, wenn wieder Buch’ und Birke treiben,

Kehr’ ich noch einmal hier im Forſthaus ein.

Heut haſt Du mich ſo liebreich aufgenommen,

Als wär ich dir ein Bruder oder mehr,

Drum wird, ich weiß wohl ſelbſt nicht wie’s mag kommen,

Von dir das Weiterwandern mir ſo ſchwer.

Mach mirs nicht ſchwerer, Mädchen, laß mich ziehen,

Nimm mir nicht ganz den jugendfrohen Sinn

Und laß mich fremd aus deinem Walde fliehen,

Fremd wie ichs war und wie ich jetzt noch bin!

Dein Bild nur laß mich tief im Herzen tragen

Als Kleinod, das die Wanderluſt mir lieh,

Mein Lied nur ſoll von deiner Liebe ſagen,

Verklären ſoll dich einſt die Poeſie.

Hab Dank! — Was ſoll ich dir du Waldkind, ſchenken

Als deiner Herzensgüte edlen Preis?

Ich wüßte nichts, doch — willſt du mein gedenken —

So nimm dies kleine Sträußchen Edelweiß.

Es welkt nicht hin wie eine Roſenblüthe,

Friſch bleibt ſein Schmelz und ſeine Lieblichkeit;

Nimm es für deine Liebe, deine Güte

Und nun leb wohl — du junge, deutſche Maid.“ —

„So zieht mit Gott“ — rief ſie mit Flammenwangen,

„Doch trinkt noch dieſen letzten Becher Wein:

‚Auf Wiederſehn‘ —“ die hellen Gläſer klangen —

„So zieht mit Gott und denkt auch fürder mein!

[296]Oskar Jerſchke.
Seht ihr den Pfad, der durch den Wald ſich windet,

Den wandert fort, bis ihr vom Zaun umhegt

Ein Chriſtusbild an einem Hochweg findet,

Der euch vor Nacht noch in den Thalgrund trägt!“

So ſchied ich denn, ein Druck der lieben Hände,

Ein heller Blick, ein Gruß, ein letztes Wort. — — —

Dann ſtürmte ich mit Haſt das Waldgelände

Den Pfad entlang nach meinem Ziele fort. — —

So ſchwer war ich noch nirgends fortgegangen

Als von dem gaſtlich trauten Förſterhaus,

Da draußen trieb mich ſtets ein wild Verlangen

Nach neuer Länder neue Pracht hinaus.

Die Welt war fremd mir, ich an nichts gekettet,

Und frei noch trieb ich meiner Pläne Spiel,

Heut hatt’ ich hier mich, morgen dort gebettet,

Wie’s grade meiner Wanderluſt gefiel.

Und nun ſchien mir des Wanderns ſchönes Leben

Ein Gang vom Paradies ins Ungefähr,

Ein planlos Irren und ein blindes Streben

Und eine Fahrt auf ödem weitem Meer.

Und wie ich ſchritt und wie des Waldes Bäume

Aufrauſchten in des Abends duftgem Wehn,

Verſank ich ſtumm in wunderbare Träume,

Sah Bilder wie ich ſie noch nie geſehn. —

[[297]]

Biographien.*)
Zuſammengeſtellt von Eugen Düſterhoff.


Wilhelm Arent.


Wilhelm Arent, 1864 geboren. Autor von: „Lieder des Leides“ 1882 (ein-
geſtampft). „Gedichte“ 1883 (Auflage vergriffen). „Aus tiefſter Seele“ mit Ein-
leitung von Hermann Conradi, 1885. War von Juli bis Dezember des Jahres 1884
ſtändiger kritiſcher Mitarbeiter der Revue „Auf der Höhe“ und der Wochenſchrift
„Deutſches Dichterheim“, ſchrieb auch ſonſt vielfach für Zeitungen, namentlich für ſüddeutſche
Tagesblätter. Die verlegeriſche Thätigkeit, der ſich A. zweitweilig hingegeben hat, brachte
ihn mit dem jungen, inzwiſchen (am 26. October) zu Darmſtadt verſtorbenen jungen
Schauſpieler Karl Ludwig zuſammen. Dieſer nahm leider ſeiner Zeit irrthümlicher
Weiſe einige freie Rhythmen A’s. in ſein Werk „Reinhold Lenz, Lyriſches aus dem
Nachlaß“ auf.


Karl Henckell.


Karl Friedrich Henckell, geboren am 17. April 1864 zu Hannover, beſuchte
zuerſt die Vorklaſſen der dortigen Realſchule, ging aus Neigung in das dortige
Lyceum 1. über, trat im Jahre 1875 in das neugegründete Kaiſer-Wilhelm-Gymnaſium,
dem er bis zur Prima angehörte, und abſolvirte ſeinen Gymnaſialkurſus auf dem
Lyceum Friedricianum zu Kaſſel, wo er im Hauſe eines Oheims die Studien jüngerer
Verwandten überwachte. Nach halbjährigem Aufenthalte an der Berliner Univerſität,
der H. indeß mehr zur Erkenntniß modernen Lebens und Treibens förderlich war,
als daß er ſeinen philologiſchen Fachſtudien in beſonderem Maße gedient hätte, wurde
H. im Frühjahr 1884 in ſeiner Vaterſtadt von einer ſchweren Krankheit, vorzugsweiſe
des Kopfnervenſyſtems, ergriffen, von der er nach überſtandener Kriſis in der herr-
lichen Umgebung Heidelbergs Geneſung ſuchte und auch ganz allmählich fand. Im
October trat H. als Einjährig-Freiwilliger in das 1. Hannov. Inf.-Regt. Nr. 74, um
durch Ertragung militäriſcher Strapazen die Widerſtandsunfähigkeit des Körpers ent-
ſchieden zu bekämpfen. — Sehr früh produktiv, trat Henckell zuerſt doch nur wenig,
zerſtreut in Zeitſchriften und Anthologien auf. Im Auguſt 1884 ließ H. ſein ſociales
Nachtſtück „Umſonſt“, erſcheinen und veröffentlichte im Herbſt desſelben Jahres ſein
bereits längere Zeit druckfertiges „Poetiſches Skizzenbuch“. Unter der Preſſe befindet
ſich „Im Schachte der Zeit. Deutſchland. Zwei Viſionen.“


19**
[298]Biographien.

Heinrich Hart.


Heinrich Hart, geboren am 30. Dezember 1855 zu Weſel, verlebte ſeine
Jugendzeit in Münſter in Weſtfalen, beſuchte das dortige Gymnaſium und ſpäter die
Univerſitäten zu Münſter, Halle und München. Mehrere Jahre war H. als Redacteur
politiſcher Blätter in der Provinz thätig, lebt aber ſeit 1881 in Berlin (N. W. Paulſtr. 32 I.),
wo H. gegenwärtig die „Berliner Monatshefte für Litteratur und Theater“ begründet
hat. (Nr. I. erſcheint am erſten Januar 1885.) Von H.’s litterariſchen Arbeiten ſind
erwähnenswerth: der „Allgemeine deutſche Litteraturkalender“, den H. in Gemein-
ſchaft mit ſeinem Bruder Julius geſchaffen und in ſeinen erſten vier Jahrgängen
herausgegeben hat, ſowie die „Kritiſchen Waffengänge“, von denen die Stücke
„Wozu, Wogegen, Wofür?“ „Offener Brief an den Fürſten Bismarck“, „Für und
gegen Zola“, „Ein Lyriker à la mode“, „Graf Schack als Dichter“ und „Friedrich
Spielhagen und der deutſche Roman der Gegenwart“ auf ihn entfallen. Außerdem
veröffentlichte H. mehrere Sammelwerke und zahlreiche Aufſätze in Tagesblättern.
Die Dichtungen, die bisher von H. erſchienen, ſind: „Weltpfingſten“, Gedichte eines
Idealiſten, und „Sedan“, eine Tragödie in 5 Akten; unter der Preſſe befinden ſich:
Das Lied der Menſchheit“, ein Epos, in ſeinen beiden erſten Geſängen: „Tul
und Nahila“, „Babel“, und der Roman: „Der Menſchenſucher“.


Julius Hart.


Julius Hart, geboren am 9. April 1859 zu Münſter in Weſtfalen, beſuchte
das dortige Gymnaſium und ſpäter die Akademie daſelbſt, ſowie die Berliner Univerſität.
Bald wandte H. ſich der Schriftſtellerlaufbahn zu und gab in Gemeinſchaft mit dem
Vorigen die „Deutſchen Monatsblätter“, Organ für das litterariſche Leben der Gegen-
wart (Bremen), ſowie den „Allgemeinen deutſchen Litteraturkalender“ (ebenda) heraus,
der ſpäter von den Begründern Joſef Kürſchner übertragen wurde. Eine Zeitlang war
H. feuilletoniſtiſch und journaliſtiſch in Bremen, Dresden und anderen Städten thätig
Seit 1881 lebt H. zu Berlin ganz ſeinen dichteriſchen Arbeiten. Außer einigen antho-
logiſchen Werken: „Blüthenleſe aus ſpaniſchen Dichtern“ (Stuttgart, Spemann), „Eng-
land und Amerika“ (Minden i. Weſtf., J. C. C. Bruns), „Orient und Occident“
(ebendaſelbſt) und dem in Gemeinſchaft mit ſeinem Bruder herausgegebenen „Buch der
Liebe“ (Leipzig, Wigand), veröffentlichte Julius mit Heinrich Hart die „Kritiſchen Waffen-
gänge“ und ſelbſtſtändig „Sanſara“, Ein Gedichtbuch (Bremen, 1878), „Don Juan
Tenorio“, eine lyriſche Tragödie (Roſtock), „Der Rächer“, eine Tragödie (Leipzig,
Mutze). Unter der Preſſe befindet ſich ein Roman: „Das ſechſte Gebot.“


Hermann Conradi (Hermann Coſto).


Hermann Conradi (Hermann Coſto), geboren zu Jeßnitz i. Anhaltiſchen am
12. Juli 1862, beſuchte erſt die Volksſchule in ſeiner Vaterſtadt, ſpäter, nach mehrjähriger,
Krankheit halber eingetretener Unterbrechung die Gymnaſien zu Deſſau und Magdeburg.
Bevor C. ſein Abiturientenexamen machte mußte er wiederum aus Geſundheits-
[299]Biographien.
rückſichten ein Jahr pauſiren. C. ſah ſich während dieſer Zeit im Buchhandel um. Augen-
blicklich ſtudirt C. in Berlin Philoſophie und Litteratur, iſt daneben, (was übrigens
ſchon ſeit ſeinem 16. Jahre der Fall iſt) litterariſch vielfach productiv. Auch arbeitete C.
an einer Reihe von Zeitſchriften und Zeitungen mit. (Blätter für litterariſche Unter-
haltung, Magazin, Deutſche Romanzeitung u. ſ. w.) Bisher erſchien von C. eine neue
Ausgabe von Daniel Leßmanns „Wanderbuch eines Schwermüthigen“ mit biogra-
graphiſch-kritiſcher Einleitung. Demnächſt kommen „Lieder eines Sünders“ heraus und
— abgeſehen von mehreren anthologiſchen Werken — die Romane „Pfryne“ und „Die
Frau von fünfzig Jahren“.


Johannes Bohne.


Johannes Bohne, geboren am 28. April 1862 zu Magdeburg. Abſolvirte
das Gymnaſium des Kloſters U. L. Frauen daſelbſt. Seit 1884 in Berlin zur
Vollendung ſeiner Studien.


Georg Gradnauer.


Georg Gradnauer, geboren 1866. Ein moderner Geiſt durch und durch!
Freie Ausbildung jedes Einzelnen gemäß ſeiner Eigenart zur vollen Entfaltung der
individuellen Lebenskräfte! iſt ſeine Parole! — Ihm perſönlich iſt die Kunſt ſein Ein
und Alles, ſie allein macht ſein Leben lebenswerth. Dem Künſtler gehört die Welt!
G. iſt Feind aller derer, die mit kritelnden Regeln moraliſcher Afterweisheit dem
freien Künſtlerfluge Zaum anzulegen ſich vermeſſen! Der Künſtler darf, muß alles
ausſprechen, was in ihm ruht, und iſt es noch ſo unerhört, noch ſo toll! Die Leidenſchaft
hat ſtets Recht, ſie darf nie eingezwängt werden; wird ſie es, ſo iſt ſie ihrer Würde,
ihrer Heiligkeit beraubt, verrathen und verkauft! — In ſeiner kritiſchen und publiziſtiſchen
Thätigkeit iſt G. ein unerbittlicher Gegner aller Halbheit, aller phraſenhaften Pedanterie,
jeglicher verlogenen Heuchelei, jeglichen Dunkelmännerthums! — Als Poet wird G.
vorzüglich im Roman thätig ſein, wo er einem herzhaften, kühnen Realismus huldigt. Das
echte Dichterblut will über die Dinge nicht philoſophiren und räſonniren, ſondern ſie
von innen heraus verſtehen! Als Lyriker verdammt G. alles Einſeitige und dringt
darauf, daß der Dichter jeder Gefühlsrichtung ihr Recht werden läßt; die ganze
Töneſcala muß er zu handhaben wiſſen, das ganze Univerſum in all ſeinen Be-
reichen in ſich tragen!


Arno Holz.


Arno Holz, geboren am 26. April 1863 zu Ruſtenberg in Oſtpreußen als
Sohn eines Apothekers, ſiedelte im zwölften Jahre nach Berlin über, beſuchte mehrere
Gymnaſien und trat mit achtzehn Jahren in die Redaction einer Lokalzeitung ein.
Nach einjähriger Thätigkeit legte H. ſeine Functionen nieder. Seit 1882 privatiſirt
H. in Berlin. Für ſein Weihnachten 1882 erſchienenes Erſtlingswerk „Kling ins
Herz“ erhielt Holz den Preis von 200 Mark, welchen die Augsburger Schiller-
19*
[300]Biographien.
Stiftung alljährlich ertheilt. Im Verein mit ſeinem Freunde Oskar Jerſchke gab H.
die „Deutſchen Weiſen“ heraus. Dieſelben enthalten faſt nur Jugendſchöpfungen.
Allein edirte Holz das „Geibelgedenkbuch“ zu dem Schriftſteller und Dichter aus allen
Gauen des deutſchen Vaterlandes pietätvoll Beiträge geliefert haben. Demnächſt
erſcheint: „Das Buch der Zeit, Lieder eines Modernen.“


Oskar Jerſchke.


Oskar Jerſchke, geboren am 17. Juli 1861 zu Lähn, Kreis Löwenberg, Schle-
ſien. Stammt aus einer Zimmermannsfamilie. Seinen erſten Unterricht erhielt er
von ſeinem mütterlichen Oheim, dem Paſtor (jetzt Superintendent) Dihm zu Spiller
(Dorf bei Lähn). Die erſten dichteriſchen Verſuche ſtammen aus dem Jahre 1870.
Die glorreichen Waffenthaten des deutſchen Volkes regten den für das Vaterländiſche
ſchon früh begeiſterten Knaben zu allerlei Kriegsgeſängen, Oden und Balladen an. Im
Jahre 1872 ſiedelte der Vater nach dem Tode der Mutter Maria Dihm, mit den
Geſchwiſtern nach Straßburg i. Elſ. über. In Straßburg abſolvirte J. das Abitu-
rienten-Examen, um dann die Univerſität als Student der Rechts- und Staatswiſſen-
ſchaft zu beziehen. Zu dieſem Studium hatten J. alle andern Gründe, nur nicht die
Neigung beſtimmt, da er im Gegentheil ſeit früheſter Kindheit eine große Luſt und
Liebe für die Wunder der Natur und ihre Wiſſenſchaft hegte. J. ſtudirte in Straß-
burg und Berlin 6 Semeſter. In Berlin befreundete J. ſich mit Arno Holz gelegentlich
der Redaction der „Kyffhäuſer-Zeitung“. Die Chef-Redaction dieſes ſtudentiſchen
Organs führte J. während ſeines Berliner Aufenthalts. Im October 1883 beſtand
J. in Colmar i. Elſ. das Referendar-Examen. Gegenwärtig iſt J. als Referendar am
Landgericht zu Straßburg i. Elſ. thätig. Ebenda dient J. als Freiwilliger zur Zeit
ſein Jahr ab. Im Manuſcript liegen abgeſchloſſen vor „Elſäſſiſche und Italieniſche
Lieder.“


Fritz Lemmermayer.


Fritz Lemmermayer. Der Autor des großen hiſtoriſchen Romans der „Alchy-
miſt“ (abgedruckt in der Revue: „Auf der Höhe“) iſt am 26. März des Jahres 1857
als Sohn eines Porträtmalers zu Wien geboren. Als L. 8 Jahr alt war, ſtarb
ſein Vater, ſeine Mutter Anna Lemmermayer, geb. Geißler, mit vier unmündigen
Kindern, unter denen L. das jüngſte, in Armuth zurücklaſſend. L’s. Mutter, eine
durch ſeltene Eigenſchaften des Geiſtes und Gemüthes ausgezeichnete Frau, brachte
ſich und die Ihrigen in der Folgezeit durch, ſo gut es eben ging. Keiner wie immer
gearteten Unterſtützung durfte ſie ſich erfreuen; doch muß hier der Güte gedacht werden,
mit welcher ihre Eltern, brave, tüchtige, aus Bayern eingewanderte Leute, ihre Lage,
die ſchwierig genug war, erleichterten. Lemmermayer’s Mutter gab Clavier-Unterricht
und verrichtete verſchiedene feine weibliche Handarbeiten. Die Natur hat ihr Ausdauer
verliehen und die Gabe, Alles ſchnell aufzufaſſen. Wir könnten noch viel Gutes über
die vortreffliche Frau ſagen, doch müſſen wir uns mit dieſen geringen Andeutungen
begnügen. Sicher iſt, daß ſie der Lebensſtern ihres Sohnes war. Nach Vollendung
der Volksſchule trat L. in die Realſchule ein. Nach glücklicher Abſolvirung der Mittel-
[301]Biographien.
ſchule entdeckte L. jedoch mit Schrecken, daß ihm jeder Sinn zu techniſchen, handels-
wiſſenſchaftlichen Studien und zu einem darauf beruhenden Lebensberufe fehlte. Was
ihn anzog, waren die ſogenannten Humaniora. Raſch bereitete L. ſich zum Uebertritt
auf die Univerſität vor, welche er denn auch 1876 bezog. Schon während ſeiner
Mittelſchulzeit gab L., wie ſo viele andere Studenten, Unterricht; er ſetzte ihn auch
während der Univerſitätsſtudien nach beſten Kräften fort. Mit Eifer betrieb L. litera-
riſche, hiſtoriſche und philoſophiſche Studien. Am meiſten intereſſirte ihn die Meta-
phyſik Franz Brentano’s, obwohl er ſchon als Student im Stillen der theologiſchen,
den Lehren Kants, Darwin’s und Schopenhauer’s widerſprechenden Weltanſchauung
dieſes Philoſophen eine gewiſſe Oppoſition entgegenbrachte. Mächtig wirkte auf ihn
zuerſt der Pantheismus Spinoza’s, ſpäter die Philoſophie Schopenhauers. L. war
gewiſſermaßen ſchon als Kind in ſeiner abgeſchloſſenen Weiſe und ſeinem vereinſamten,
weltfremden Thun Schopenhauerianer und iſt es geblieben bis zum heutigen Tage.
In ſeiner Kindheit, die, abgeſehen von dem ſchönen Verhältniſſe zur Mutter, nichts
Freudiges hatte, machten auf ihn unter den ihm damals bekannt gewordenen Dichtungen
Schillers „Räuber“ den erſten mächtigen Eindruck, welcher auch nimmer verwiſcht
wurde. Etwas ſpäter wirkten Shakeſpeare und Leſſing auf ihn, ganz ſpät erſt Goethe.
Seine geiſtige Bildung verdankt L. keiner fremden Perſon, keinem Lehrer oder ſonſt
Jemandem, ſondern lediglich ſich ſelbſt, oder richtiger geſagt den großen Dichtern und
Denkern. Sein Studiengang iſt, wie bereits mitgetheilt, kein regelrechter geweſen,
nicht derjenige, der zum Unverſitätskatheder führt. Er grämt ſich indeſſen nicht darüber,
ſondern freut ſich vielmehr, daß er mehr oder weniger Authodidakt war. L. ſtudirte,
was ihm Vergnügen machte, und was ihn langweilte, ließ er fahren. So war er
ſchon in der Mittelſchule. Während der Mathematikſtunde las er „Wallenſtein“.
Anſtatt mit peinlicher Sorgfalt ſein engliſches Schulpenſum zu erledigen, ſtudirte L.
auf eigene Fauſt Italieniſch. Eigentlich iſt es überraſchend, daß L. bei ſeinem gegen
den Schulzwang und die pädagogiſchen ſpaniſchen Stiefeln ſich auflehnenden Naturell
doch allemal ein ſehr gutes Zeugniß erhielt.


Glücklich war L. während ſeiner Studienzeit nie, und von den ſtudentiſchen Ver-
gnügungen genoß L. Nichts. L. hat damals gekämpft und gelitten, was inſofern gut
war, als L. ſich innerlich feſtigte und an ſeeliſcher Erfahrung allen ſeinen Alters-
und Studiengenoſſen überlegen war. Hat er auch keinem Lehrer das zu danken, ſo
darf nicht unerwähnt gelaſſen werden, daß er dem Wiener Burgtheater den größten
Theil ſeiner Bildung verdankt. Lenkte es ihn doch zuerſt auf die Bahn des Schönen
und erſchloß es ihm doch die Geheimniſſe der Poeſie! L. machte manche Schlacht vor
den Thoren des Burgtheaters mit, und wenn er ſein Plätzchen oben im vierten Stocke
erobert hatte, machte ihm das tauſendmal mehr Freude, als eine gute Cenſur in der
Schule. Es war, abgeſehen vom Leſen — und was las er als Knabe nicht Alles
durcheinander! — ſeine einzige Freude. Aber auch das Träumen liebte L. über Alles.
Beim offenen Fenſter ſitzen und in’s Unendliche hineinſchauen — war ihm lieber als
das Spielen mit den Kindern, es gewährte ihm manche unvergleichlich ſchöne Stunde.


Als Schriftſteller verſuchte L. ſich früh. Das Erſte war ein Drama frei nach
Schiller’s „Räuber“, doch gedieh es nicht weit, und der Himmel allein mag wiſſen,
wohin das Manuſcript des zehnjährigen Knaben gerathen iſt! Auch Gedichte entſtanden.
Auch Novellen wurden verfaßt. Als die erſte, eine „Dorfgeſchichte“ in der Wiener
„Hausfrau“ — ich glaube im März 1878 — im Drucke erſchien, war der junge Autor
unendlich ſtolz und glücklich. Er trug die Zeitung in der Hand durch die Straßen,
und ihm war es, als ſähen alle Leute auf ihn, ſagend: Seht, ein Dichter! Nun ver-
[302]Biographien.
öffentlichte L. Gedichte, Recenſionen und andere Aufſätze. Gute Blätter eröffneten ihm
ihre Spalten, z. B. die „dramatiſchen Blätter“ in Leipzig, die „deutſchen Monatsblätter“
in Bremen; der „Salon“ in Leipzig, die „Literariſche Correſpondenz“ in Leipzig ꝛc. Bald
kam L. zur Ueberzeugung, daß die Schriftſtellerei ſein Beruf ſei und widmete ſich ihr
mit völliger Hingebung. Seine literariſchen Verbindungen erweiterten ſich; wenn auch
nicht Förderung, ſo fand L. doch Entgegenkommen bei Schriftſtellern und Redacteuren.
Manche Aufmunterung gewährte ihm ſowohl mündlich als ſchriftlich Robert Hamerling.
Erfolg und Anerkennung fand er bisher vornehmlich auf dem Felde der ernſten litera-
riſchen Kritik, welcher er die größte Läuterung verdankt. Feuilletons, Kritiken, Eſſays
literariſchen und äſthetiſchen Inhalts erſcheinen nunmehr in Blättern wie: Kunſt-Chronik
(Wien), Voſſiſche Zeitung und National-Zeitung (Berlin), Allgemeine Zeitung
(München), ferner „Magazin für die Litteratur“, „Bayreuther Blätter“, „Deutſche Wochen-
ſchrift“ (Wien), „Gartenlaube“, „Schorers Familienblatt“, in den Monatsſchriften „Auf der
Höhe“, „Die Neue Zeit“ (Stuttgart), „Oeſterreichiſche Rundſchau“ (Wien) und Roſegger’s
„Heimgarten“ (Gratz), Weſtermann’s „Monatshefte“ ꝛc. Bei dieſer Verbindung mit
Zeitungen erſten Ranges darf L. wohl mit einiger Genugthuung auf ſeine noch kurze
litterariſche Laufbahn zurückblicken. Auch in der Novelle hatte er einigen Erfolg. Seine
im Jahrgang 1883 der „Dioskuren“ (Wien k. k. Staatsdruckerei) erſchienene Novellette
„Das Bettelconcert“ erfuhr ſehr günſtige Beſprechungen. Der Roman „Der Alchy-
miſt
“ iſt L’s. erſtes größeres Werk. Vor Jahren hat L. und zwar im Hörſaal
der Univerſität die Fabel deſſelben erfunden, jahrelang trug er den Stoff mit ſich
herum, ehe er an die Ausführung ſchritt. Nur die beiden erſten Kapitel wurden ſchon
damals niedergeſchrieben, das dritte Kapitel entſtand im Vorjahre und bald darauf
die übrigen dreizehn Kapitel im Laufe von zwei Monaten. Jetzt beſchäftigt L. ein
Roman, welcher in Wien im Zeitalter der Babenberger ſpielt und „Minneſang’s Frühling“
heißen wird.


Auf Fritz Lemmermayer, den Malersſohn, übte die Malerei allzeit eine große
Wirkung, doch hat ihn Muſik — in ſeiner Familie immer in hervorragendrr Weiſe
gepflegt, noch viel mehr beeinflußt. Zu den Perſonen, denen er nach ſeiner Mutter
den größten Dank ſchuldet, gehört ſeine Schweſter Marie, in Wien an einen
Muſiker glücklich verheirathet, zu der Familie grenzenloſem Unglück im Oktober 1884
geſtorben …


Erich Hartleben.


Erich Hartleben, geboren am 3. Juni 1864 zu Clausthal, ſtammt aus einer
Harzer Bergbeamtenfamilie. Als Knabe verlor er ſeine Eltern, doch erſetzte ihm dieſen
Verluſt ſein Großvater mütterlicherſeits. Wohnort Hannover.


Oscar Hanſen.


Oscar Hanſen, geboren 1860 zu Hildesheim; beſuchte das dortige Königl.
Andreanum und widmete ſich dann in Hannover dem Buchhandel. Lebt zur Zeit
in Wien.


[303]Biographien.

Alfred Hugenberg.


Alfred Hugenberg. Nennt Hannover ſeine Vaterſtadt. Lebt zur Zeit in
Berlin. Studirt Jura. Hat bisher gleich Hartleben und Hanſen noch nichts durch
den Druck veröffentlicht.


Oscar Linke.


Oscar Linke, geboren am 15. Juli 1854 zu Berlin, ſtudirte daſelbſt Archäologie,
Philoſophie und Aeſthetik. Lebt als Privatgelehrter. Erſchienen ſind von ihm
folgende Werke: „Blumen des Lebens“, „Jeſus Chriſtus“, „Mileſiſche
Märchen“ „Bild des Eros
“, erſter Theil, „66 Präludien“, „Leukothea“,
ein Roman aus Alt-Hellas, „Aus dem Paradieſe“ Berliner Idyllen; „Eros und
Pſyche
“, eine Dichtung.


Karl Auguſt Hückinghaus.


Karl Auguſt Hückinghaus. Aus Weſtphalen gebürtig. Diente 1883 ſein
Jahr in Berlin ab. Von Beruf Kaufmann.


Hermann Eduard Jahn.


Hermann Eduard Jahn. Lebt zur Zeit in Gohlis bei Leipzig. Nennt
Mecklenburg ſeine Heimath, ſpeciell Roſtock ſeine Vaterſtadt. Die mitgetheilten Stücke
ſind der letzten Publication des Dichters: „Verwehte Blätter“ (Leipzig 1883) ent-
nommen.


[]

Bibliographie der „Dichtercharaktere“
für das Jahr 1884.
*)


  • Arent, Wilhelm. Gedichte. (Berlin, Kamlah’ſche Buchhandlung.) Aus
    tiefſter Seele. (Berlin, Kamlah’ſche Buchhandlung.) Morgen-
    dämmerung (Manuſcript.)
  • Linke, Oskar. Im Paradieſe, Berliner Idyllen. (Minden J. C. Bruns).
  • Hart, Julius. Das ſechſte Gebot, Roman. (Manuſcript.) Gluth, Gedichte.
    (Manuſcript.)
  • Hart, Heinrich. Das Lied der Menſchheit, Epos: Prolog und erſter Geſang.
    (Minden, J. C. Bruns.) Der Menſchenſucher, Roman. (Manuſcript.)
  • Conradi, Hermann. Leßmann’s Wanderbuch eines Schwermüthigen.
    Neudruck. (Berlin, Kamlah’ſche Buchhandlung.) Welt und Menſchen,
    Rapſodiſche Skizzen. (Manuſcript.) Lieder eines Sünders. (Manuſcript.)
    Faſchingsbrevier. (Berlin und Leipzig, Franz Thiel.)
  • Bohne, Johannes. Faſchingsbrevier. (Siehe Conradi.)
  • Gradnauer, Georg. Pſalmen. (Manuſcript.)
  • Hückinghaus, Karl Auguſt. Gedichte. (Manuſcript.)
  • Holz, Arno. Emanuel Geibel, ein Gedenkbuch. (Berlin, O. Parriſius.)
    Deuſche Weiſen. (Berlin, O. Parriſius.) Das Buch der Zeit.
    Lieder eines Modernen. (Manuſcript)
  • Jerſchke, Oskar. Deutſche Weiſen. (Siehe Arno Holz.) Italieniſche und
    elſäſſiſche Lieder. (Manuſcript.)
  • Hartleben, Erich. Oden. (Manuſcript.)
  • Lemmermayer, Fritz. Der Alchymiſt, Roman. (Wien, Guſtav Engel.)
  • Kralik, Richard. Roman: Gedichte. Büchlein der Unweisheit. (Wien,
    Carl Konegen.)
  • Adler, Friedrich. Gedichte. (Manuſcript.)
  • Winter, Joſef. Gedichte. (Manuſcript.)
  • Jahn, Hermann, Eduard. An Hanka, ein Liedercyclus. (Revue: „Auf der
    Höhe“, Dezember-Heft.)
  • Wildenbruch, Ernſt v. Dichtungen und Balladen. Chriſtopher Marlow,
    Tragödie.
  • Henckell, Karl. Poetiſches Skizzenbuch. (Minden, J. C. Bruns.) Im
    Schachte der Zeit. Deutſchland. Zwei Viſionen. (Minden, J. C. Bruns.)

Appendix A

Druck von Julius Bahlke, Berlin, Stallſchreiberſtr. 4.


[[1]]

Appendix B Anhang.


Appendix B.1 Carl Bleibtreu.*)


Appendix B.1.1 Erinnerung.


Originalbeitrag.


Wir ritten ſingend hin im grünen Walde,

Die ſchneeigen Spitzen nickten fern herüber

Im Alpenglühn. Es dämmert trüb und trüber.

Vom fernen Föhn erbebt die Bergeshalde.

Die Espe ſchaudert, flüſternd klagt das Blatt,

Die Weide ahnt den Sturm, der ſie zerknickt:

Sie ſenkt die Zweige ſiech und kummerſatt.

Selbſt die Cikade ſummt nur träg und matt:

Natur in ſich zurückeſchrickt.

Nur einmal, Holde, hab’ ich dich geſehen,

Doch werde nimmer deinen Reiz vergeſſen.

Verklungen iſt der Sang. Ich muß durchmeſſen

Den rauhen Wald des Lebens und es wehen

Herbſtblätter nun im Sturme um mich her.

Ach, die Erinnerung als Alpenglühen

Flammt hinter mir in ſtiller Nacht nicht mehr.

Des Herzens Flammen allgemach verſprühen

20
[2]Carl Bleibtreu.
Dein Bild nur leuchtet wie ein letzter Funken

Von höchſter Alpe der Vergangenheit,

Bis auch dies Alpenglühen matt verſunken

Tief in den Schluchten der Vergeſſenheit.

Gelaſſen reit’ ich durch die Felſenflur —

Ich bange nicht dem Sturm, wie die Natur.

Wenn auch kein Licht mein Auge mehr erblickt —

Ein todtes Herz vor Nichts erſchrickt.

Appendix B.1.2 Phaëton.


Original-Beitrag.


Deinen Sonnenwagen, ich will ihn lenken!

Her mit den Zügeln, vorwärts in die Geſtirne!

Mag ich verrücken auch droben die ewige Ordnung,

Frech ſie ſtörend.

Warum ruht deiner heiligen Strahlen Abglanz,

Goldumlockter Erzeuger, auf meiner Stirne?

Mag mich höhnen die Welt — ich fühle die Gluthen

Olympiſchen Geiſtes!

Falls ich nicht ſtürze ſogleich beim kühnen Beginnen,

Bleibe mir als Beweis des Sonnenfluges

Statt blonder Locken, zu Aſchenflocken verſenget

Ein grauer Scheitel!

Stürze denn, unſeliger Phaëton, ſtürze!

Phöbus herrſcht in ewig heiterem Gleichmaß.

Phaëtons Fall, zum Sturz geboren, beweinen

Wird nur die Echo.

[3]Carl Bleibtreu.

Appendix B.1.3 Bei der Hexe von Endor.


Original-Beitrag.


Der Geiſt Samuels:

Wer hat in meinem Schlummer mich geſtört?
Weß Stimme habe ich im Grab gehört?
Biſt du es, Fürſt der Juden? Schaue her!
Es fleußt kein Blut in dieſen Adern mehr
Und morſch und kalt wie Eis iſt mein Gebein —
Wohl, alſo, König, wirſt du morgen ſein.
Dein Herz, das ſtets von Siegen nur geträumt,
Das wider Gott ſich frevelnd aufgebäumt,
In dem das heiße Blut der Sünde gährt —
Es wird durchbohrt von deinem eignen Schwert.


Saul:

Fallen? In Staub zerfallen? Könnt’ ich leibhaft
Dich packen, Tod! Doch ach, ſo iſt’s: den Löwen
Zu Boden ringen kann der Sohn der Steppe,
Doch dem Simum, dem körperloſen Schatten,
Der übers Land ſtreift wie des Todes Schatten,
Dem Weſenloſen — dem erliegt das Weſen.


O reichte meine wildgeballte Fauſt
Zu dir empor, Huld-lächelnder Tyrann!
Beraubt der ſtolzen Selbſtgerechtigkeit,
Steh ich vor dir betäubt, doch nicht geſtürzt.
Weg reiß ich erſt die Scheidemauer, die
Uns trennt, den Schleier und den Vorwand: David!
Und hab’ ich dich, dann hebe an das Ringen
Gott wider Menſch, wie einſt an Jaboks Furth.
Und ſelbſt mich krümmend unter deiner Sohle,
Zudonnern werde ich dir immer noch
Den Schlachtruf, den ich jetzt gen Himmel ſchleudre:
Sei du ein Gott! Du ſtehſt nur über mir,
Wie der Gewaltherr auf dem blutigen Thron
Herabſchaut auf den Freien, den er foltert.
Sei du ein Gott — ich neide dir es nicht:
Mein Geiſt iſt frei und mächtig, wie der deine —
Bleib du ein Gott, ich bleibe doch — ein Menſch!


20*
[4]Carl Bleibtreu.

Appendix B.1.4 Davids Pſalmen.


Appendix B.1.4.1 I.

Wie der Hirſch nach Waſſer, lechzet

Meine Seele, Gott, zu dir —

Sie verſchmachtet und ſie ächzet —

Thränen nur ſind Labung mir.

Galle bietet man allein

Dem Verſchmachtenden als Wein.

Ueber der Gerechten Weinen

Triumphirt der Thoren Spott,

Denn in ihren Herzen meinen

Alle ſie: „Es iſt kein Gott!“

Und ſie höhnen meine Noth:

„Wo iſt nun dein Zebaoth?“

Siehſt du Ihn herniederfahren

Von dem Sonnenzelte ſtracks

Mit bewehrten Seraphſchaaren?

Berge ſchmelzen ein wie Wachs

Vor dem Glanz von ſeinem Zelt,

Das verdunkelt rings die Welt.

Hagel ſprüht ſein Wolkenwagen,

Welchen Herolds-Cherubim

Auf des Windes Fittich tragen.

Sturm-Poſaune her vor ihm

Bläſt und mit dem Blaſen trennt

Jeden Dunſt am Firmament.

Wer in ſeinem Schirme ſitzet,

In der Allmacht Schatten lebt,

Iſt geborgen, wenn es blitzet,

Wo der Ungerechte bebt.

Wie ein Oelbaum in Gewittern

Grünt er, doch die Böſen zittern.

[5]Carl Bleibtreu.
Appendix B.1.4.2 II.

Lobet ſeinen heiligen Namen,

Ihn, der nie ſein Thun bereut,

Der des Glückes goldnen Samen

Auf den Lebenspfad dir ſtreut.

Denn ſo hoch der Himmel waltet

Ueber dieſem Erdenball —

Alſo ſeine Gnade ſchaltet

Ueber ſeine Diener all’.

Und ſo fern der frühe Morgen

Von dem ſpäten Abendlicht —

So entrückt er alle Sorgen

Fern von unſerm Angeſicht.

Denn er weiß vom Menſchenthume,

Daß wir ja nur eitel Staub,

Daß wir blühen wie die Blume,

Die gar bald des Windes Raub.

Und die Stätte, wo ſie blühte,

Iſt verwiſcht für alle Zeit —

Aber Gottes Gnad’ und Güte

Währt durch alle Ewigkeit.

Appendix B.1.4.3 III.

Die Helden ſind gewichen aus der Welt

Und Zwerge herrſchen, wo die Rieſen ſtritten.

O Iſrael, du Ceder feſt und ſtark,

Hochragend ſtolz in aller Völker Mitten,

Dein Wipfel ſinkt, du biſt verdorrt im Mark.

Der Blätterſchmuck des Ruhmes dir entfällt —

O Zebaoth, wie haſt du das gelitten?

Dort ruhn, wo ſich zum Thal Gilboa neigt,

Die Edelſten in Iſrael erſchlagen;

Die Königsblume hat der Tod gepflückt.

Umſonſt die Eichen ja gen Himmel ragen:

[6]Carl Bleibtreu.
Ein Blitzſtrahl zuckt — die Helden ſind geknickt!

Dein Zorn hat unſre Nacken tief gebeugt —

Wer aber wollte drob zu murren wagen?

Wie Simſon nehme ich mein Saitenſpiel,

Die heilige Harfe von den Trauerweiden:

Von unſerm tiefen Wehe ſing’ ich gern —

Mag ſich der Feind an unſerm Jammer weiden!

Doch dann wie Simſon laßt uns flehn zum Herrn,

Bis ihres Stolzes Tempel niederfiel,

„Daß unſre Seele ſterbe mit den Heiden!“

Ihr Berge von Gilboa, ſeid verflucht,

Dieweil des Herrn Geſalbter dort erſtochen!

Nicht Regen netze euch noch Himmelsthau!

Denn Saul, des Starken, Schild ward dort zerbrochen —

Drum ſollt ihr werden wüſt und öd’ und rauh!

Kein Sonnenſtrahl der Helden Gruft beſucht,

Bis ihre Schmach, ja unſre Schmach gerochen!

Ich trage Leid um dich, mein Jonathan!

Mein Herz, o Bruder, iſt mit dir gegangen.

Die Frauenliebe heilt die Wunde nicht.

Mit dieſen Thränen flieht von meinen Wangen

Des Lebens Mai, mein Herz für immer bricht.

Kein irdiſch Glück dich mir erſetzen kann:

Du gingſt — und Glück und Jugend ſind vergangen!

Appendix B.1.5 Weisheit des Orients.


Original-Beitrag.


Appendix B.1.5.1 1.

Auf Damascener-Stahl iſt eingeprägt

Ein Koran-Vers, den Lebenszweck zu zeigen,

Und dient als Amulet dem, der ihn trägt.

Schwertfeger, dieſer Vers fiel mir zu eigen:

[7]Carl Bleibtreu.
Mein Lieben iſt für mich mein ganzes Leben,

Mein Lied mein ganzer Ruhm; und wenn gegeben

Mir eine Seele, die unſterblich, dann

Zuleika’s Name nimmer ſterben kann.

Denn „meine Seele“ nannte ich ſie immer —

Sie lebt in meinem Lied und das ſtirbt nimmer.

Appendix B.1.5.2 2.

Mir ſind deine ſchwarzen Augen,

Wie Fahnen auf dem Zelt

Von unſerm Herrn zu Bagdad,*)

Wo der Halbmond Wache hält.

Roßſchweife ihn umflattern —

Wie Wolken des Mondes Pracht

Umwallen auf dem Zelte

Der allbedeckenden Nacht.

Ich bin ein Kalif des Geiſtes,

Ein Mehrer des Reichs fürwahr.

Doch ein König ohne Land nur

Im großen Weltbazar.

Einen Schatz nur hat der Kurde

An Harmonia’s Bucht:

Die ſtolzen Feuerroſſe

Von Kochlani’s alter Zucht —

So habe ich nur den Simurg,

Den alten Fabelgreif;

Der trägt mich zum ſiebenten Himmel

Auf ſeinem flammenden Schweif.

Den Iſthakar-Schatz kann ich heben,

Den Gott meinem Innern verlieh,

Und mit Salomos Siegel beſchwören

Die Geiſter der Phantaſie.

[8]Carl Bleibtreu.
O könnte ich mir beſchwören —

Nicht die Fürſtin von Saba, nein,

Nur Dich. So folge ich immer

Deiner ſchwarzen Augen Schein.

Appendix B.1.5.3 3.

Wenn die Sonne erkaltet,

Die Sterne veraltet

Und das Buch des Gerichtes ſich entfaltet,

Wenn über Al-Sirats Flammenbrücke

Ich ſiegreich zöge — ich fragte ſchnelle:

„Zuleika, die makelloſe Gazelle,

Wird ſie ſchwelgen mit mir in ewigem Glücke?“

„Nein!“ iſt die Antwort, „denn wie des Dſchemſchid

Rubin die unſterbliche Seele glüht —

Doch nur in des Mannes Bruſt. Das Weib

Endet, zerfiel ſein ſterblicher Leib.

Hier winkt dir die Houri unſterblich-ſchön.“

Lebt wohl denn für immer, ihr Himmelshöhn!

Ich ſtürze mich ſelbſt in des Eblis Hölle,

Ins ewige Feuer und Lavagerölle.

Der irdiſchen Liebe bin ich geweiht

Und der ſterblichen ſchwachen Weiblichkeit!

Appendix B.1.5.4 4.

Wenn am Ararat hängt der Nebelflor,

Dann ſprüh’n die Naphtaquellen empor.

Wenn Schwermuth über der Seele ruht,

Gährt auf die ſchöpferiſche Gluth.

Appendix B.1.5.5 5.

Wenn ihm der Suma milchig Gift kredenzt,

So ſchlürft das Kind wohl arglos dieſen Saft.

Mit Schierling ſtatt Magnolien ſich’s bekränzt.

Doch Kinder bleiben wir. Denn ewig glänzt

Der Schönheit Tand vor’m Blick der Leidenſchaft —

Gleich wie ein Splitter Glas im Mittagsſchein

Dem Kinde ſtrahlt als bunter Edelſtein.

[9]Carl Bleibtreu.
Appendix B.1.5.6 6.

Der wilde Vogel in Koraſſan,

Der ſeltſame Geſelle,

Umſchwebt im fernen Ispahan

Immer die gleiche Quelle.

Der Kaiſer von Catay

Sucht nach der Fluth des Jugendquells,

Der ſprudeln ſoll am Altai-Fels

Durch Mongolei, Mandſchurei, Tartarei.

Tugend ſucht Wiedergebärung

In der Reue Marah-Quelle —

Nicht lockt ſie von der Stelle

Des Manna’s ſüße Beſcheerung.

Appendix B.1.5.7 7.

Des Magnetbergs Eiſenwand

Lockt alle Barken am Kaspierſtrand.

Der Ruhm lockt über der Zukunft Wellen

All deine Gedanken — um zu zerſchellen.

Appendix B.1.5.8 8.

Den Auserkorenen hat eine Feder

Aus ſeiner Schwinge der Simurg geweiht:

Dann war geſchützt ein Jeder.

Ein Ideal uns ſo vor Schwäche feit.

Appendix B.1.5.9 9.

Wie Matroſen auf dem Bramaputra

Feuerpfeile durch die Dämmrung ſchießen,

Um den Pfad der Barken ſo zu leiten —

Wie Naïra-Mädchen auf den Strom

Eine Lampe ſetzen, zu erforſchen

Ihres Liebſten Schickſal fern im Lager —

So ſchleud’re ich Brandpfeile der Gedanken

In nächt’ge Zukunft hin. Der Liebe Leuchte

Schwimmt auf der Sturmfluth der Begierde, nimmer

Verſinkend. Wie man Blumen, Kokosnüſſe

Zur Sänft’gung wirft in Babelmandeb’s Brandung,

So ſtreu ich Liederroſen in mein Leben.

[10]Carl Bleibtreu.
Appendix B.1.5.10 10.

Dem Goldfink gleich, der ſo farbenreich

Fliegt durchs Geſtreuch an der „gelben Bai“,

Doch, niſtend im Wald, läßt ſchwinden alsbald

Seiner Farben lachenden Mai —

Kann Schönheit nur im frohen Reigen,

In der Bewegung nur ſich zeigen.

Appendix B.1.6 Unraſt.


Original-Beitrag.


Ihr nie verlöſchten heiligen Flammenkörper,

Wachtfeuer ihr der Nacht, mit eurer Strahlen

Beredſamkeit, im Auge Friedensträume!

Auch ihr ſeid ruhelos und zittert droben

Mit ungewiſſem Licht, und Wolkenſchatten

Umhüllen eure Stirn und bald wie bald!

Tritt euer Glanz zurück am Firmament.

— O Unraſt, Unraſt! Sieh, wie rings das Meer,

Das ſeinen Buſen frech dem Mond entblößt,

Wogend und ächzend in Begier und Groll,

Sich nach der Sterne ſchleierloſer Schönheit,

Wie eine Seele nach Vollendung, ſehnt!

Die ruheloſen Wolken ballen ſich

Und löſen ſich und fliegen dort durchs Blau,

Eisbergen gleich, bemalt mit Irisfarben

Durch die Rückſpiegelung der warmen Sonne,

Die bald in Dunſt wie Schnee ſie löſen wird;

Der Sommer fliegt wie ein Erröthen haſtig

Ueber der Erde Antlitz und verweht;

Der Regen praſſelt wild und toll hernieder,

Die reuigen Winde jammern tief und ſchwer;

Und dieſer ewige Planet der Pein

Hat Ruhe nie gekoſtet. Heimathlos,

Stöhnend und ſeufzend, eine Welt des Wahnſinns,

Rollt durch die Tiefen er der Ewigkeit.

Und, Menſch! — O Kind, du fröhlich Lichtgebild

Aus Gottes Hand! Die tanzende Bewegung

Der muntern jungen Glieder wird gelenkt

Von deines Weſens innrer Harmonie.

[11]Carl Bleibtreu.
Seit Gott den erſten Stern erſchuf — wie lange!

Doch ſeine Hand liegt noch auf deinem Haupt,

Als wär’ es geſtern. Letzte Offenbarung! —

Du Silberſtrom, der aus dem See der Urkraft

Mit ſüßem Lachen bricht, wie endeſt du?

Der Jugendleidenſchaft Kaskadenſtrudel

Furcht deiner ebnen Fläche glatte Wange,

Mit friſchen Blaſen, Grübchen gleich, beſät,

Zerwühlt dein Bett, trübt deinen klaren Spiegel,

Und dann, befleckt von ungeſundem Schutt

Und Schmutz, den Tagsgeſchäfte auf dich häufen,

Von manchem Fels des Mißgeſchicks beengt,

Strömſt düſter du bergab durch vielgewundne

Gebirgeskammern oder ſumpfige Moore,

Bis du zuletzt mit träger fauler Ader

Zum unbekannten Weltmeer ſeicht und ſiech

Dahinſchleichſt: jener allgemeinen Mündung,

Zu der ſelbſt Gießbach, Katarakt, Gebirgsſtrom —

Begeiſtrung, Genius, Thatkraft — bald ſich wälzen.

Appendix B.1.7 Dichtermiſſion.


Die Phantaſie iſt, Wahrheit, deine Nahrung.

Sie iſt beſtänd’ge Gottesoffenbarung.

Die Träumer ſind Propheten. Was ſie ſchauen,

Wird in Jahrhunderten von ſelbſt ſich bauen.

Gleich wie der Beduine ſich ſeinem Roß vermählt,

Sein Flügelroß der Dichter als einz’ge Gattin wählt.

Der Denker jage einſam wie der Löwe

Die Schakals und die Büffel vor ſich her!

Wie eine ruheloſe Möve,

Vorm Sturm der Zukunft fliege er!

Die Poeſie gleicht dem Achillesſpeer,

Der jede Wunde, die er ſchlug vorher,

Mit ſeinem Stahl auch einzig konnte heilen.

Halb Balſam iſt die Poeſie, halb Gift.

Wer ihre Kelche leert, muß wie es trifft,

Gift oder Balſam, Beides mit ihr theilen.

[12]Carl Bleibtreu.
Nie wird aus gleichem Marmor zugeſchnitten

Ein zweiter Dichter, wie die Hand der Zeit

Ihn einmal formt. Der Schleier fällt inmitten

Der Welt von dem lebend’gen Monument —

Da iſt’s kein Antlitz, das die Mitwelt kennt

Aus den Annalen der Vergangenheit.

Die Glorie der wahren Dichtung ſtammt

Vom Dornenſtrauch, der auf dem Horeb flammt,

Unnahbar-lodernd — aber ſichtbar ſein

Darf er dem Aug’ des Moſes nur allein.

Was braucht der Denker prächt’ge Ehrendegen?

Ihm iſt ja ſchon die Ehrenpalme worden:

Denn ſeine Wunden ſind des Kämpfers Orden.

Fliegt unſer Banner nicht dem Wind entgegen?

Die Donnerwolke bahnt ſich ihren Pfad.

Das Wort

Entladet ſich und blitzt gewaltig fort,

Schlägt ein als That.

Nur das iſt Glück, wenn alle Fähigkeiten

Nach hohem Ziel bis auf das Letzte ſtreiten.

Nur ſo in äußerm Sturm iſt innrer Frieden

Der räthſelvollen Menſchenbruſt beſchieden.

Der Dämon des Gedankens ſteht einſam neben mir,

Vom Dieſſeits wie vom Jenſeits hab’ ich mich losgeriſſen.

Ich finde nimmer Frieden als Menſch auf Erden hier

Und überird’ſche Dinge kann ich getroſt vermiſſen.

Das Ueberirdſche brauchſt du? Erkennſt du denn nicht, Tropf,

Die Beatrice Dante’s und Byron-Miltons Satan?

Im Innern ſteckt’s! Das Heil’ge ſuch’ du im eignen Kopf,

Als religiös-prophetiſch nimm nur die Dichterthat an!

Ich bin mein eigner Richter, furchtlos und hoffnungslos;

Mich kümmert nicht der Tod, mich kümmert nicht das Leben.

Ich ſtehe und vertraue auf meinen Dämon blos.

Nicht Gott noch Teufel kann mich ſtürzen oder heben.

[13]Carl Bleibtreu.
Mazeppa iſt gefeſſelt an ſeines Renners Flanken.

Der reißt ihn fort in tödtliche Gefahr,

Ohnmächtig, blutend, jeder Hoffnung bar.

Doch er erwacht als Hetman der Ukraine.

So reißt der Genius durchs Wirrſal der Gedanken

Den Dichter fort durch alle Lebensſchranken.

Doch aus dem Fieberwahn erwacht er nun zum Schluß,

Und wo ihn niederwarf ſein Genius,

Erkennt er ſeiner Herrſcherkraft Domaine.

Sucht nicht den Dichter, nur ſein Lied!

Der Paradieſesvogel zieht

Hoch überm Haupt der Menſchen fort —

Den Ort, wo er [geflattert] dort,

Zeigt nur des Schweifes heller Schwung,

Der ſchnell durchfurcht die Dämmerung.

Wie in der Fichtenrinde

Des Harzes Balſam ſchwillt

Und reichlich überquillt,

Daß jedes Kind ihn finde —

Entquillt des Friedens Segen

Dem Buſen der Natur.

Sie einzig tröſtet nur

Den Kummer allerwegen.

Und dieſes Balſams Düfte

Ins Inn’re dringen ſie:

Der Duft der Poeſie,

Ein Gruß der Himmelslüfte.

Ja, Genien giebt es, die das Sein verſchönen,

Verwandt mit Allem, was da groß und gut,

Gemeinſchaft mit Gemeinem nur verpönen,

Mit Dunſt und Staub; doch die der Sonne Gluth

Des Aethers reinen Hauch, der Erde Düfte

Einſaugen, wie die junge Rebe thut,

Die ſich vom Nektar nährt der Himmelslüfte,

Bis alles Süßen Quinteſſenz ihr Blut.

Und wilder Wein rankt ſelbſt ſich über Grüfte —

So ſelbſt den Tod verklären ſolche Weſen,

Die zu dem Dienſt des Schönen auserleſen.

[14]Carl Bleibtreu.
Für ihre Schritte ſind die öden Berge,

Der ſtillen Wälder Stimme hören ſie.

Geheimnißvolle Sehnſucht iſt ihr Ferge

Zum fernen Wunderland der Phantaſie.

Es rauſcht für ſie im Waſſer und im Laube

Muſik von Elfen, Feenmelodie

Singt Lerche, Nachtigall und wilde Taube.

Sie lauſchen auf der Sphären Harmonie.

Zum Himmel blickt ihr hoffnungsvoller Glaube:

Der Ahnung milde Schauer ſie umwehen,

Des Weltalls Urgeheimniß ſie verſtehen.

Der Promethidenfunke, nie verdunkelt,

Der Wahrheit Blitz erhellt des Lebens Nacht;

Durch der Gedanken Sternenräume funkelt

Der Mond der Poeſie in ſanfter Pracht;

Und ſeine Strahlen, die Gefühle, gießen

Ein Zauberlicht in ihres Herzens Schacht;

Melodiſch der Begeiſt’rung Bronne fließen;

Und nun des Abendſterns Magie entfacht,

Wenn Wünſche knospen, Hoffnungsveilchen ſprießen,

Im Allerheiligſten der Seelentriebe

Den Himmelsglanz der ewigen Lampe: Liebe.

Appendix B.1.8 Schutzengel.


Originalbeitrag.


Drei Geiſter nahten dieſe Nacht,

Die trübe ſinnend ich durchwacht.

Mein innres Aug’ ſah Viſionen.

Sie thronen nicht im Sternenzelt:

Sie ſind Geſchöpfe dieſer Welt,

Die als Schutzengel ſie bewohnen.

Der erſte Geiſt am Lager ſtand,

Schwarz war ſein Haar und ſein Gewand,

Und ſprach mit monotonem Laute:

„Ich bin der Troſt für jeden Schmerz,

Das Herz ich weiſe himmelwärts,

Das auf der Falſchheit Schwüre baute.

[15]Carl Bleibtreu.
Bin Vampyr, der aus wunder Bruſt

Zwar ſaugt das Blut der Lebensluſt,

Doch auch fortfächelt alle Leiden;

Bin Stab, der zur Erkenntniß führt,

Doch welken macht, was er berührt —

Ich bin die Mutter dieſer Beiden.“

Sie wies auf jene andern Zwei.

Vortrat die zweite ſtolz und frei

Mit feſtem herrſchaft-ſicherm Tritte.

Sie prahlte nicht mit Prunkgeſchmaid,

Nur einen Spiegel hielt die Maid

Und neigte ſich in ſtummer Bitte.

„Erwähle mich!“ ſo rief ſie hell.

„Wir kennen uns ja lang, Geſell,

Ich kann dir mehr als jene geben.

Bereitet ſie dich vor zum Tod,

So lehre ich trotz aller Noth

Dich tugendhaft und glücklich leben.

Wenn Sinnlichkeit dich unterjocht,

Wenn dir’s im Buſen kocht und pocht,

Ergreife meine kühle Rechte!

In meinem Spiegel man erkennt,

Mit meinem Meſſer man zertrennt

Der Leidenſchaften Truggeflechte.“

Da ſchallte es wie Orgelklang,

Wie Aeolsharfen, Sphärenſang.

Es ſchwebte in der Andern Mitte

Mit Engelsflügeln, goldnem Haar,

Mit Sternenaugen ſüß und klar

Im Regenbogenkleid die Dritte.

Sie ſäuſelte mit Silberton:

„Errietheſt du die Andern ſchon?

Die Einſamkeit, ſo heißt die Eine.

Die Andre heißt Philoſophie.

Ich herrſche mit der zweiten nie,

Wohl mit der erſten im Vereine.

[16]Carl Bleibtreu.
Ich bin der Schönheit beſter Theil.

Trifft mich des Grames giftiger Pfeil,

Sing’ ich noch ſüßre Schwanenlieder.

Ich ſchütte Blumen auf die Gruft,

Ich ſtürze aus bewölkter Luft

Als Blitzſtrahl der Begeiſtrung nieder.

Ich wetterleuchte rings umher;

Und wie die Perle ſchläft im Meer,

Birgt mich des Herzens tiefſte Kammer.

Bin Taube, die den Oelzweig bringt;

Bin Regenbogen, der ſich ſchlingt

Verſöhnend ob der Sündfluth Jammer.

Sieh hier mein Diadem: Zumal

Ein Sonnen- und ein Mondenſtrahl

Dafür mir ſchenkten ihr Gefunkel.

Denn wie die Sonne leite ich

Und ſanften Zauber ſpreite ich

Dem Mond gleich über’s Lebensdunkel.

Wir wiſſen nichts, ſtets weicht zurück

Die Wahrheit vor des Forſchers Blick,

Fata Morgana täuſcht ſo ſinnig —

Schau hier in meines Schildes Rund:

Dort ſpiegeln wieder, reich und bunt,

Sich alle Lebensfarben innig.

Mit dieſer Miſchung reinſtem Strahl

Mal’ ich das Luftſchloß Ideal.

Ich bin auch deines Lebens Leuchte.

Ich bin die Muſe Poeſie.“

Die Viſionen ſchwanden, wie

Mein Auge ſank, das thränenfeuchte.

Appendix C

Druck von Julius Bahlke, Berlin, Stallſchreiberſtr. 4.


[][][]
Notes
*)
Die „Biographien“ machen ebenſo wenig, wie die nachfolgende „Bibliographie“ Anſpruch auf Vollſtändig-
keit. Ueber Friedrich Adler, Richard Kralik, Joſef Winter, findet der Leſer in dem „Deutſchen Dichterbuch aus
Oeſterreich“, herausgegeben von Emil Franzos, Notizen.
*)
Verzeichniß der in dieſem Zeitraum durch den Druck veröffentlichten oder im Manuſcript ab-
geſchloſſenen Werke.
*)
Noch im letzten Augenblicke vor Schluß der Redaction ſandte der Verfaſſer
des „Lyriſchen Tagebuchs“ die nachfolgenden Originalbeiträge, „aus Intereſſe für das
bedeutſame Unternehmen“ ein. W. A.
*)
„Schatten“ und „Nacht“, die ſchwarzen Reichs-Banner des Kalifen.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2025). Anonymous. Moderne Dichter-Charaktere. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhff.0