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Die
in der Liebe
herumſchweifende
oder
beſtrafte
Untreue,


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Anno1763.
[]

Die
beſtrafte Untreue.

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Die ſchoͤne Natur lebte bey dem
angehenden Fruͤhling wieder
auf. Die Erde - - - -
Doch dergleichen Beſchrei-
bungen und Abbildungen ſind abge-
kommen, und die ietzige Welt gehet
billig kuͤrzer.


Wir wollen denn ganz einfaͤltig ſa-
gen, daß der April-Monath angieng,
da man beym Anbruch des Tages ei-
A 2nen
[4] nen der wohlgeſtalteſten Edelleute, mit
Nahmen Don Ferdinand, aus
der in Andaluſien beruͤhmten Stadt
Ubeda kommen ſahe. Er wollte in
Madrid dem damahls regierenden Koͤ-
nige, Philipp dem Vierten, die
Dienſte ſeiner Vorfahren vorſtellen,
und um den Orden des guͤldenen
Vlieſſes bitten. Der Gebrauch der
Welt verhinderte, daß er nicht durch
die Eitelkeit verblendet wurde, welche
alle Spaniſche Edelleute beherrſchet.
Er trauete ſeinen eigenen Verdienſten
ſo viel nicht zu, daß er hoffte, die be-
ſchwerliche lange Zeit, die man an al-
len Hoͤfen, die geringſte Gnade zu er-
halten, warten muß, zu verkuͤrzen.
Dieſe Gedanken brachten ihn auf den
Entſchluß, ſeine Frau und ſein gan-
zes Haus mit ſich zu nehmen. Die-
ſes war ohne Zweifel ein kluger Vor-
ſchlag, welcher machte, daß er den
Verdruß und die Beſchwerlichkeiten der
Reiſe und des Aufenthaltes vermin-
derte. Don Ferdinand war kaum
fuͤnf und zwanzig Jahr alt, er war
ſeiner Geſtalt und ſeinem Verſtande
nach
[5] nach allen denen Romanen-Helden
gleich, von denen ſich ein ieder Leſer
ſchon wird einen Begriff gemacht ha-
ben. Der einzige Unterſchied, wel-
chen er bey dieſer Aehnlichkeit hatte,
war, daß er uͤberhaupt alle Frauen
liebte. Sein groß Vermoͤgen hatte
gemacht, daß er die Donne Marie
geheyrathet, welche ihm wenigſtens an
Artigkeit, an Gebuhrt ſowohl, als an
Reichthum gleich kam. Ob ſie gleich
ſchon ſeit zwey Jahren verheyrathet
war, und dem Don Ferdinand
nach dem erſten Jahre einen Sohn
gegeben hatte, ſo war ſie doch erſt
ſiebenzehn Jahr alt. Jhr Gemahl,
der bey ihren Verdienſten wenig ge-
ruͤhrt war, ſuchte allezeit ſein Gluͤck
anderswo; er fand es oft ohne Muͤ-
he, und ließ eine der ſchoͤnſten Frauen,
die Spanien gebohren worden, und
je geſehen, bey nahe taͤglich alleine zu
Bette gehen, da er indeß die Nacht
mit andern, die ihr das Gleichgewicht
bey weiten nicht hielten, zubrachte.
So wenig erſtreckt ſich der Geſchmack
an dem, was uns eigen gehoͤrt, der
A 3ſonſt
[6] ſonſt bey allen Menſchen ſo ſtark iſt,
uͤber dieſen Punct der Ehe.


Wie unſere liebenswuͤrdige Rei-
ſende uͤber die hohen Berge von Sier-
ra Morena
mit vieler Muͤhe geſtie-
gen waren, ſo verdoppelten die Pfer-
de, da ſie ſich in der Ebene befanden
ihre Schritte, und ohngeachtet der
ſchweren Gutſche, vor welche ſie ge-
ſpannet waren, langten ſie vor Un-
tergang der Sonnen in dem Flekken
Viſo an. Die Gutſcher wollten noch
weiter fahren, aber die Donne Ma-
rie
, die eben nicht gewohnt war, zu
reiſen, fand die Tagereiſe lang ge-
nung, und wollte ausruhen. Man
brachte die Kammern in Ordnung,
man hohlte Eß-Waaren, man that
ſie zu denen, welche man nach der
Spaniſchen Gewohnheit mitgebracht
hatte; kurz, ein ieder Bedienter ließ
bey ſeiner Verrichtung einen groſſen
Eifer in dem Dienſt ſeiner Herrſchaft
ſehen.


Don-
[7]

Donne Marie ſtieg in die
Kammer, welche man ihr anwieß,
und unterhielt ſich mit ihren Frauen,
da indeß Don Ferdinand des
Wirths Nichte Cataline mit be-
gierigen Augen geſehen, und ſie mit
deſto groͤſſerem Eifer angeredet hatte,
weil ſie uͤberaus artig war. Man
kann ſich leicht vorſtellen, daß er mit
ihr von keinen Staats-Sachen, noch
von der Belagerung von Oſtende,
mit welcher Europa damahls ſehr be-
ſchaͤftiget war, ſondern von Mitteln,
die Nacht zwiſchen zwey Bettlaken
mit ihr hinzubringen, geredet habe.
Das junge Weib war ſeit kurzen ver-
heyrathet, und fand die Sache ſehr
ſchwer. Jhr Mann war zwar ab-
weſend, aber wenn man ihn auch
nicht alle Augenblicke erwartet haͤtte,
ſo koſtet doch der erſte Fehltritt einer
Frauen allezeit viel. Dieſe Schwuͤ-
rigkeiten vermehrten nur die Begierde
des Don Ferdinands; und das
Verlangen, welches ihm die Catali-
ne
nicht verheelte, gaben ihm eine
Beredſamkeit, welche in dergleichen
A 4Fall
[8] Fall allezeit uͤberredet. Sie wurden
demnach ihrer Sachen eines, das iſt,
ſie wieß ihm ihre Kammer und ihr
Bette, und verſicherte ihn, daß er
um zwoͤlf Uhr zu ihr kommen koͤnn-
te; eine Zeit, wo iedermann ſich in
ſein Haus begeben, und zu Bette ge-
gangen.


Nachdem Don Ferdinand ſei-
ne Sachen ſo wohl eingerichtet, ſo
gieng er in ſeiner Frauen Kammer,
und ſchien ſo vergnuͤgt, ſo aufgeklaͤrt,
daß ſie ſich nicht enthalten konnte,
ihn um die Urſach zu fragen. Aber
er war gewohnt, dieſe Art von Wahr-
heiten ihr zu verheelen, und er haͤtte
leicht einen Vorwand ausgeſonnen:
zum hoͤchſten wuͤrde ihn die Ankunft
des Abendeſſens alſobald aus der Sor-
ge gezogen haben, wenn er deswegen
eine gehabt haͤtte.


Cataline, die ihnen bey der Ta-
fel aufwartete, ſchlug die Augen nie-
der, und unterſtand ſich nicht, den
Don Ferdinand anzuſehen, aus
Furcht,
[9] Furcht, man moͤchte die heftige Be-
gierde gewahr werden, mit welcher ſie
gegen ihn gereizet war, und da ſie
die groſſe Schoͤnheit der Donne
Marie
betrachtete, ſo konnte ſie ſich
nicht ſchmeicheln, daß er ſie verlaſſen,
und ihr einen Vorzug geben wollte,
welchen ſie bey ſich ſelbſt nicht [zu] ver-
dienen glaubte.


Don Ferdinand war ſeiner
Seits nicht freyer. Die Augen der
Cataline waren ſo munter und fun-
kelnd, daß ſie ihn in Feuer brachten.
Er war demnach waͤhrend des Abend-
eſſens wegen ihrer Perſon in groſſer
Verwirrung: denn er zwang ſich, ſie
nicht anzuſehen.


Nachdem ſie gegeſſen hatten, ſtell-
te ſich Don Ferdinand, als wenn
er vom Schlafe uͤberfallen wuͤrde, und,
um deſto beſſer ſeinen Betrug zu ſpie-
len, ließ er unterſchiedene mahle ein
Buch aus ſeinen Haͤnden fallen.
Donne Marie, welche ſeinen Zu-
ſtand der Beſchwerlichkeit der Reiſe
A 5zu-
[10] zuſchrieb, und wuſte, daß ſie den
folgenden Morgen ſehr fruͤhe reiſen
muſten, ſchlug ihm vor, ſich zu Bette
zu legen. Don Ferdinand ſtellte
ſich, als wenn er kaum aufwache, und
ſagte zu ihr: Gehet ihr immer zu
Bette, ich will nur meinen Leuten
einige Befehle geben, und hernach mich
wieder bey euch einfinden. Sie wil-
ligte darein. Unter dieſer Zeit gieng
er hurtig zur Cataline, und frug
ſie, ob in ihren guten Geſinnungen
nichts veraͤndert waͤre? Sie kuͤßte ihn
einige mahle, und verſicherte ihn, daß
er Herr waͤre, und aus Furcht fuͤr
einen naͤchtlichen Jrrthum wieß ſie
ihm nochmals ihre Kammer. Er kam
endlich in die ſeinige wieder, wo ſich
ſeine Frau bereits niedergelegt hatte.
Er kleidete ſich aus, ließ ſeine Leute
gehen, verſchloß die Thuͤr, legte ſich
zu Bette, und ſtellte ſich alſobald dar-
auf, als wenn er in den tiefſten
Schlaf verſunken waͤre. Donne
Marie
war ſich nichts weniger als
ein ſolch unzeitiges Beginnen vermu-
then; ſie hatte ſich im Gegentheil ge-
ſchmei-
[11] ſchmeichelt, daß der Schlaf nach dem
Abendeſſen den Don Ferdinand
nur munterer wuͤrde gemacht haben.
Es verdroß ihr: aber weil ſie ſeine
boͤſe Weiſe befuͤrchtete, wenn ſie ihn
aufweckte, ſo verſchob ſie das Spiel
auf den folgenden Morgen, und
ſchlief in einer ſo angenehmen Hof-
nung ein.


Es war dieſen Tag in dem Gaſt-
hofe zu Viſo keiner als Don Fer-
dinand
und ſeine Leute: Alles
ſchlief um eilf Uhr, wie es Cata-
line
vorhergeſehen. Lange vorher,
ehe die Glocke geſchlagen, hatte ſie ge-
horchet, ob derjenige, nach welchen
ſie ſich mit ſo vielem Eifer ſehnte,
nicht ankaͤme, und ob er nicht an
ihre Thuͤr ſchluͤge. Aber Don Fer-
dinand
, der eben die Ungeduld aus-
ſtand, ließ ſie nicht lange warten.
Er ſtand von ſeiner Frauen auf,
nahm ſeinen Mangel, oͤfnete die
Thuͤr wie ein Dieb, ließ ſie offen,
und gieng hinaus. Da er an der
Thuͤr der Catalein war, ſo rufte
er
[12] er ſie mit leiſer Stimme, und im
Augenblick fuͤhlte er, daß er aufs feu-
rigſte umarmet wurde. Er hielt ſich
bey den trockenen Reden nicht auf;
an welchen ſich die Verliebten gemei-
niglich vergnuͤgen, und, wenn er
Willens geweſen waͤre, eine ſo koſt-
bahre Zeit ſo ſchlecht anzuwenden, ſo
haͤtten ihn dich die Kuͤſſe, die Lieb-
koſungen der Cataline keine Frey-
heit dazu gelaſſen. Er nahm ſie alſo
in ſeine Arme, er warf ſie auf ihr
Bette, ohne daß ſeine Lippen ihren
ſchoͤnen Mund verlieſſen; und wer
kann die Hitze und die Trunkenheit
dieſer erſten Vergnuͤgungen beſchrei-
ben? welche Verlangen, Zwang und
Neuigkeit zeugte. Nach dieſen koſte-
ten ſie von einer andern Art viel laͤn-
gere und angenehmere, dabey Cata-
line
eben ſo munter, als Don
Ferdinand
hitzig war.


Einige Zeit nachher, als Don
Ferdinand
aus ſeiner Kammer ge-
gangen, war einer von ſeinen Edel-
knaben, mit Nahmen Valerio, von
acht-
[13] achtzehen Jahren, ſehr klug und
ſchoͤn, durch etwas nothwendiges auf-
geweckt worden. Er ſtand auf, und
gieng hinab, ſeines Behufes zu thun.
Er war mit einem von ſeinen Came-
raden zu Bette gegangen, welchen er
nicht aufwecken wollte. Die Kam-
mern dieſes Gaſthofes waren ſo ein-
gerichtet, daß deren drey hinter ein-
ander waren, welche auf einen groſ-
ſen Gang zugiengen. Don Fer-
dinand
und ſeine Frau hatten die-
jenige inne, welche am meiſten von
der Treppe entfernet war, die Edel-
knaben ſchliefen in der andern, und
die Frauen der Donne Marie wa-
ren in der erſten. Weil Valerio
ohne Licht wieder hinauf gieng, ſo
verirrte er ſich leicht, und erkannte
die Kammer nicht, aus der er gegan-
gen war. Wie er die Kammer ſei-
ner Frauen offen fand, ſo gieng er
ohne einiges Bedenken hinein, er ſuch-
te ſachte ſein Bette, indem er der
Mauer folgte, er fand es, und leg-
te ſich nieder. Das Geraͤuſch, wel-
ches er machte, um ſich in ſeinem
Bette
[14] Bette zurechte zu legen, weckte die
Donne Marie auf, welche ihn,
da ſie ihn fuͤr ihren Mann hielt, leb-
haft umarmete, und zu ihm ſagte:
Mein Schatz, wie kalt ſeyd ihr? und
indem ſie ihre Fuͤſſe zwiſchen die ſei-
nigen legte, ſo machte ſie ihm tau-
ſend Liebkoſungen. Sie hatte ſo ſach-
te geredet, daß der Edelknabe der Un-
terſchied der Stimme nicht bemerket;
er glaubte bey einem von ſeinen Ca-
meraden zu ſeyn, und lachte ſeines
Jrrthums, oder des Traums, der ihn
uͤberredte, daß er mit einer Frau zu
Bette gegangen. Wie er aber einen
Augenblick nachher fuͤhlte, daß viel
weichere und zaͤrtere Haͤnde auf eine
beſondere Art ihn anruͤhrten, und daß
man zu ihm ſagte: Kehret euch doch,
mein Herz, auf meine Seite, und
habt zum wenigſten nicht die Grau-
ſamkeit, mir einen Kuß abzuſchlagen:
Was, ihr wollet nicht? ſprach eine
engliſche Stimme; da erkannte Va-
lerio
ſeinen Jrrthum deutlich, und
konnte nicht zweifeln, daß er in den
Armen der Donne Marie waͤre.
Es
[15] Es uͤberfiel ihn ein Schrekken, aber
wie er ſich wieder erholet hatte, ſo be-
griff er die ganze Wahrheit der Sa-
che; denn er hatte etwas von dem
Umgang der Cataline mit Don
Ferdinand
gehoͤret. Er hoffte,
daß ſein Stillſchweigen die Donne
Marie
noͤthigen wuͤrde, wieder ein-
zuſchlafen, und daß er alsdann ſachte
aufſtehen, und in ſeine Kammer zu-
ruͤckkehren koͤnnte. Aber Donne
Marie
war allzuſehr erhitzt, ſich zu
maͤßigen, und die Liebkoſungen, welche
ſie demjenigen, den ſie fuͤr ihren
Mann hielt, machte, fiengen an ihn
zu erhitzen, gleich einem halb verſaͤuf-
ten Sperling, den man gegen die Hi-
tze des Feuers haͤlt. Valerio wur-
de ganz entzuͤndet. Welcher Marmor
haͤtte den lebhaften und beſtaͤndigen
Umarmungen zweyer Arme, die weiſ-
ſer als Alabaſter waren; den Kuͤſſen
eines roſenrothen Mundes, und der
friſcher als der Thau war; den abge-
kuͤrzten Worten, die durch das Ver-
langen unterbrochen, und mit einer
jungen, zarten und ruͤhrenden Stimme
aus-
[16] ausgeſprochen wurden, widerſtehen
koͤnnen? So hatte auch dem Vale-
rio
die Schoͤnheit ſeiner Frauen ſchon
hundertmahl geblendet, ſeitdem er in
ihren Dienſten war. Er vergaß all-
maͤhlich das Unrecht, das er ſeinem
Herrn anthaͤt, er kuͤßte ihren ſchoͤnen
Hals, ihren niedlichen Buſen, und ih-
ren unvergleichlichen Mund, ohne
ſich eigentlich entſchlieſſen zu koͤnnen,
was am meiſten vorgezogen zu wer-
den verdiente. Er war in dieſer an-
genehmen Unentſchloſſenheit, als ſie
zu ihm ſagte: Toͤdte mich nicht, mein
werther Schatz, durch ſo viel Liebko-
ſungen; du willſt mich in deinen Ar-
men ſterben laſſen; wenn du mir das
Leben wieder geben wilſt, ſo vergnuͤge
meine und deine Begierden. Welcher
Menſch haͤtte ſo lange gewartet, ſich
uͤberwunden zu laſſen? Er uͤbergab ſich
demnach mit eben ſo viel Vergnuͤgen
und Nachdruck, als ſein Herr bey des
Wirths Nicht gebrauchen konnte.
Gleichwohl erregten dieſe Umarmungen,
die viel lebhafter und feuriger waren,
als diejenige, welche ſie gemeiniglich
von
[17] von ihrem Manne empfieng, die wie-
derhohlten Kuͤſſe, das Stillſchweigen
bey dergleichen Gelegenheit, die un-
gleich dergleichen Gelegenheit, die un-
gleich groͤſſere Munterkeit und Bemuͤ-
hung, bey ihr einen Argwohn, ſo
bald die erſte Verblendung der Wol-
luſt vorbey war. Auf der andern Sei-
te befand ſich der Edelknabe in einem
grauſamen Zuſtande; er glaube all
Augenblicke ſeinen Herrn mit einem
Dolche ankommen zu ſehen, mit wel-
chem er ihm nach hundert Stoͤſſen das
Leben naͤhme; er unterſtand ſich nicht,
ſeine Frau um Vergebung zu bitten,
und ihr die Wahrheit zu entdecken:
Er ſahe die Schwierigkeiten, ſie zu ver-
laſſen, ohne ihr etwas zu ſagen: Er
befuͤrchtete, Donne Marie moͤch-
te ihrem Mann wider ihren Willen
durch die bloſſe Erzehlung deſſen, was
vorgegangen waͤre, davon Nachricht
geben. Kurtz, er ſahe ſich vielleicht
eben ſo ſehr durch die Unruhe gemar-
tert, als er von ſeinen Ergoͤtzungen
bezaubert war. Nach alle dieſer Un-
ſchluͤßigkeit nahm er ſich vor, zu ihr
zu reden, als waͤre er bey der Chi
Bmene,
[18]mene, einer von der Donne Ma-
rie
Frauen, mit der er einen heimli-
chen Liebes-Handel hatte, der aber
durch die ſtrengen Befehle des Don
Ferdinands
unterbrochen war.
Folglich, wiewohl er keinen weiten
Weg zu gehen hatte, nahete er ſich
zu ihr, und umarmete ſie mit vieler
Jnnbrunſt; da er aber ſahe, daß ſie
ihm nichts antwortete, und daß ihre
Verwirrung und ihr Nachſinnen alle
ihre Empfindungen hemmeten, ſo ſprach
er zu ihr: Jch haͤtte mir, meine wer-
the Chimene, niemahls auf die Guͤ-
tigkeit Hoffnung gemacht, welche du
mir eben bezeuget haſt: Jch befuͤrch-
tetet, des Don Ferindands Ver-
both moͤchte alle die Liebe, die du mir
ſo oft zugeſchworen haſt, aus deinem
Herzen vertrieben haben: aber, ſetzte
er hinzu, indem er ſie kuͤßte und lieb-
koſete, nachdem du mir dieſes zuge-
ſtanden haſt, ſo iſt keine Gefahr, der
ich mich nicht ausſetzen koͤnnte, um
von dir die Proben eines ſo groſſen
Gluͤcks zu empfangen; Aber, meine
artige Schoͤne, warum ſagſt du nichts
zu
[19] zu mir? was fuͤrchteſt du? Deine Ge-
ſellin iſt unſere Vertraute; wenn ſie
uns hoͤrte, wuͤrde nicht viel daran ge-
legen ſeyn: Don Ferdinand muß
dir nicht die geringſte Unruhe verurſa-
chen, er iſt ietzo in den Armen der
Nicht des Wirths: Donne Marie
iſt in den tiefſten Schlaf verſunken,
und weiß nichts von der Untreue, wel-
che ihr Mann gegen ſie begehet. Die-
ſe mit Liebkoſungen und Kuͤſſen beglei-
tete Worte lieſſen bey der Donne
Marie
gar keinen Zweifel. Da ſie
aber ſahe, daß ſie nicht Unrecht haͤt-
te, und daß der Himmel ihren Mann
auf eben die Weiſe haͤtte ſtrafen wol-
len, als er ſie beleidiget, ſo gab ſie
dem Valerio einen von ihren Ohr-
ringen; denn ſie hatte vergeſſen, ſel-
bige beym Bettegehen abzunehmen,
und ſagte zu ihm ſo leiſe als es ihr
moͤglich war: Nimm, gluͤckſeliger
Juͤngling, dieſen Zeugen, und mor-
gen ſolt du dasjenige erfahren, was
dir begegnet iſt: ſey verſchwiegen uͤber
dein gutes Gluͤck, wenn du nicht
willſt grauſam geſtraft werden - - - -
B 2Der
[20] Der Edelknabe ſtand auf, ohne zu
antworten, kam wieder in ſeine Kam-
mer, ſchloß ſeine Thuͤr zu, und legte
ſich bey ſeinen Cameraden, der nicht
aufgewacht war.


Wer kann ſich die angenehmen
Bilder vorſtellen, mit denen Vale-
rio
alsdann beſchaͤftiget war? Weil
ſie frey von aller Furch waren, ſo
mahlten ſie ihm den Beſitz einer ſo
ſchoͤnen Frau, als Donne Marie,
mit lebhaften Farben vor; er wie-
derhohlte bey ſich alle Umſtaͤnde ſei-
nes genoſſenen Vergnuͤgens, und er
haͤtte ſich gern allen Gefaͤhrlichkeiten
ausgeſetzt, um es noch einmahl zu
ſchmecken. Zu eben dieſer Zeit war
Donne Marie mit der Schoͤnheit,
mit dem artigen Weſen und mit der
Beſcheidenheit beſchaͤftiget, welche ſie
in der Geſtalt und in allen Hand-
lungen des Valerio allezeit bemerket
hatte; und ſie konnte uͤber das, was
ihr begegnet war, nicht mißvergnuͤgt
ſeyn. Sie freuete ſich ſo gar, daß ſie
ſich an ihrem Manne mit ſo viel Un-
ſchuld
[21] ſchuld auf ihrer Seite hatte raͤchen
koͤnnen. Aber wie ſie hernach ſa-
he, daß ihr Mann nicht wieder kam,
ſo klagte ſie ihre Einfalt an, und
beſtrafte ſich ſelbſt, daß ſie den Va-
lerio
ſo geſchwind weggehen laſ-
ſen, deſſen Verrichtungen einen laͤn-
gern Aufenthalt verdienten. Der
Edelknabe und ſie endigten ihre an-
genehme Gedanken mit einem ſuͤſſen
Schlafe, der auf die Ergoͤtzungen
folget.


Laſſet uns wieder auf Don Fer-
dinand
kommen. Er war noch kei-
ne zwo Stunden bey der Cataline
geweſen, als ihr Mann Roderige
an die Pferdſtall-Thuͤr pochte; ſie
war ſo weit von ſeiner Frauen Kam-
mer, daß ſie ihn nicht hoͤren konnte.
Der Stall-Knecht, der ihn an der
Stimme erkannte, oͤfnete ihm eiligſt
die Thuͤr. Dieſem gab er ſein Pferd,
band ſeinen Mantel-Sack ab, nahm
ein Licht, und giengt geſchwinde nach
ſeiner Kammer, wo unſere Verlieb-
ten ihn nicht erwarteten. Sie gedach-
B 3ten
[22] ten ſo wenig an ihn, daß er zwey
oder dreymahl an ihre Thuͤr pochte.
Wer iſt da? frug Cataline: Jch
bin es, antwortete Roderige. Wer
biſt du? verſetzte ſie: Es iſt dein
Mann, ſagte er, indem er ſeine Be-
theurungen verdoppelte, kenneſt du mich
nicht? Nach dem Cataline hier al-
le ihre Sinne zuſammenfaßte, und in
der That ihren Mann erkannte, ſo
bliebt ſie mehr todt als lebendig, und
fand kein ander Mittel den Don
Ferdinand
zu retten, als ihn un-
ter das Bette zu verſtecken. Allein
wie man in dergleichen Faͤllen nicht
alles vorherſehen kann; ſo blieb ſein
Mantel auf dem Tiſche, wohin er
ihn beym Hineingehen geworfen hatte,
liegen. Nachdem ihr nun deuchte,
daß alles eingerichtet, ſo ſagte ſie ganz
laute: Biſt du es denn, mein lieber
Roderige, ſo ſey willkommen;
aber wer erwartete dich ſo ſpaͤt? ha-
be ein wenig Gedult, denn ich habe
kein Licht, laß mich aufſtehen. Als
ſie endlich die Thuͤr geoͤfnet, und ihr
Mann ſie beynahe nackend und vol-
ler
[23] ler Anmuth ſahe, wie alle Frauen
nach einer ſolchen Beſchaͤftigung ſchei-
nen, ſo wollte er ſie auf das Bette
werfen. Sie aber, die von einer Per-
ſon, die ihr mehr als ihr Mann ge-
fiel, vergnuͤgt war, [weigerte] ſich, und
ſagte zu ihm, er moͤchte ein wenig Ge-
duld haben, er koͤnnte ſich erhitzen und
Schaden thun, zudem haͤtten ſie die
Nacht vor ſich.


Roderige wurde ganz eingenom-
men, wie er ſage, daß ſie mehr An-
theil an ſeiner Geſundheit, als an ih-
rem eigenen Vergnuͤgen, nahm, ſo
maͤßigte er ſich, und entfernte ſich,
aus Furcht, noch entbrannter zu
werden. Damit er ihr aber einige
Kleinigkeiten, die er ihr in der That
mitgebracht hatte, zeigen moͤchte, ſo
oͤfnete er ſeinen Mantel-Sack, und
wie er ſie auf den Tiſch legen wollte,
ſo war das erſte, was er beym Ab-
raͤumen gewahr wurde, der Mantel
von Don Ferdinand, daruͤber ſie
ſehr verwirrt wurde.


B 4Da-
[24]

Damit nun Cataline die Ge-
fahr, in welche ſie und ihr Liebhaber
deßfals liefen, abwenden moͤchte, ſo
ſagte ſie mit einer bewunderswuͤr-
digen Hurtigkeit des Verſtandes,
welche die Weiber in dergleichen Fall
allezeit haben werden: Jch wette,
daß ich auf dieſem Tiſche etwas wer-
de liegen gelaſſen haben, und da ſie
immer naͤher hinzu gieng, und den
Mantel nahm, ſo machte ſie ſehr
viel Zeichen des Creuzes, und ſag-
te: Ach, ich bin toll, und habe nicht
mehr Verſtand, dieſes offenbahr lie-
gen gelaſſen zu haben; wenn ein an-
derer als du hier herein gekommen
waͤre, ſo wuͤrde mir meine Nachlaͤſ-
ſigkeit theuer zu ſtehen kommen. Der
Mann, der von dem, was ſie ihm
ſagte, nichts verſtand, antwortete
ihr mit Kopf-Schuͤtteln: was be-
deutet dieſer Mantel, und alle die
Geberden, welche du machſt? Du
ſollſt es wiſſen; aber, ſetzte die Ver-
ſchlagene hinzu, indem ſie die Thuͤr
aufmachte, und drauſſen umher guck-
te, laßt uns ſehen, ob uns niemand
hoͤre.
[25] hoͤre. Nach aller dieſer Vorſichtig-
keit verfolgte ſie weiter: Erinnerſt
du dich des Herrn nicht mehr, wel-
cher die verwichene Tage hier ſchlief,
und nach Sevilien gieng? Was
fuͤr ein Herr? ſagte der Mann.
Ein junger Menſch, verſetzte das
Weib, der hiedurch gieng ohngefehr
fuͤr einem Monathe, der mit einem
braunen mit Golde beſetzten Laken und
einer rothen Weſte bekleidet war, auf
einem braͤunlichen Pferde ſaß, daran
der Sattel, die Decke und Piſtolen-
Kappen und Gallaunen verbremet wa-
ren? Jch erinnere mich davon nichts,
antwortete ihr Roderige. Du lie-
ber GOtt? was haſt du ein ſchlecht
Gedaͤchtniß, unterbrach Cataline,
willſt du wetten, daß ich machen wer-
de, daß du dich ſeiner erinnerſt. Zu
gleicher Zeit oͤfnete ſie einen Koffer,
aus welchem ſie eine ſilberne Schale
hervorlangte, welche ihr Mann dem
Koche des Herrn geſtohlen hatte,
und wie ſie ihm dieſelbe wieß, ſo
ſagte ſie: Du haſt ohne Zweifel den
Herrn dieſer Schale nicht vergeſſen.
B 5Ja
[26] Ja ja, rief der Mann, es faͤlt mir
einiger maaſſen wieder ein. Eben
dieſer Herr, fuhr Cataline fort,
gieng vor acht Tagen mit eben dem
Gefolge wieder hiedurch, und weil
die Nacht einbrach, ſo wurde er ge-
zwungen hier zu ſchlafen. Als ſich
ſeine Leute abgeſetzt hatten, machte
ein jeder ſeinen Mantel-Sack loß,
einer aber unter ihnen, der einen
Knoten in dem Strick, womit
er gebunden war, (denn er hatte
vermuthlich ſeinen Riemen verlohren,)
nicht aufloͤſen konnte, legte ſeinen
Mante bei ſeite, um weniger be-
ſchwert zu ſeyn, und warf ihn auf
einen Stuhl; er machte endlich ſei
nen Knoten auf, und hab ſein Pferd
dem Stall-Knecht, er trug nachher
ſein Felleiſen weg, aber er vergaß ſei-
nen Mantel, gleich als wenn er ihm
niemahls zugehoͤret haͤtte, und gieng
in ſeine Kammer hinauf. Jch gab
indeſſen Acht, was vorgient, und
da ich ſage, daß niemand die Augen
nach mir hatte, ſo nahm ich den Man-
tel und verbarg ihn ſo wohl, daß ihn
nie-
[27] niemand nachher geſehen oder ange-
troffen. Zum Gluͤck fuͤr mich langte
in dieſem Augenblick eine ſo groſſe An-
zahl Fuhrleute und Fußgaͤnger an, daß
das ganze Haus voll war. Eine
Stunde nachher erinnerte ſich der
Herr ſeines Mantels, und ſuchte ihn
da, wo er ihn liegen gelaſſen, und
wo er nicht mehr war. Es war ver-
geblich, daß er hundertmahl ſagte:
Jch habe ihn doch da liegen laſſen, wer
hat ihn mir doch weggenommen? Jch
antwortete ihm mit Lachen: Wer ihn
weggenommen hat, wird nicht kom-
men, und es euch ſagen. Wie der gu-
te Menſche endlich die Menge Leute ſa-
he, welche aus dem Hauſe aus und
eingegangen waren, ſo begab er ſich
weg, und geſtand durch ſein Still-
ſchweigen, daß er den Verluſt, den
er gelitten, keinen als ſich ſelbſt zuſchrie-
be. Endlich, ſagte ſie weiter, der
Mantel blieb mir, und nach der Zeit
habe ich ihn in meinen Kaſten gelaſ-
ſen. Dieſen Abend habe ich ihn oh-
ne daran zu denken herausgezogen mit
deinen Hemdern, welche ich ausbeſ-
ſern
[28] ſern wolte, und mit deinem neuen
Kleide, welches du meiner Meynung
nach morgen anziehen wirſt, denn es
iſt Sonntag, und ich wuͤrde mich ſehr
betrogen haben, wenn du nicht waͤreſt
wieder kommen. Jch habe ſchaͤndlich
vergeſſen, ihn wieder zu verſtecken, um
dich zu verhindern, ihn zu verkaufen,
wie du viel anderen Sachen gethan haſt,
ohne mir etwas davon abzugeben. Sie
endigte dieſe Geſchichte, indem ſie trau-
rig und mißvergnuͤgt uͤber ihn ſchien.
Roderige aber fieng an zu lachen,
und antwortete ihr: GOtt behuͤte
dich fuͤr Ungluͤck, da er dir ſo gute
Haͤnde gegeben. Bey meiner Treue,
fuhr er fort, dieſen Mantel koͤnnte
ein heiliger Georg tragen: wir wol-
len ihn verkaufen, und das Geld da-
vor theilen, ich gebe dir mein Wort.
Und nachdem er ihn von verſchiedenen
Seiten umkehrte, ſo ſagte er: Er
iſt wohl zwanzig Thaler werth; aber
ſage mir: Weiß dein Vetter nichts von
dieſer Sache? Behuͤte GOtt, ant-
wortete Cataline, wenn er es wuͤ-
ſte, ſo wuͤrde er wenigſtens die Helf-
te
[29] te davon verlangen. Jch werde nichts
zu ihm ſagen, fuͤrchte nur nichts; un-
terbrach Roderige: und uͤbermor-
gen will ich ihn zu Almagro oder zu
Santa Crux verkaufen.


Don Ferdinand, der von der
Liſt und Hurtigkeit des Verſtandes
der Cataline eingenommen wurde,
haͤtte gern zwoͤlf Mantels gegeben, um
den Mann hinaus gehen zu ſehen.
Er hatte es, nach ſeiner Art ſehr ſchlecht;
er war ſehr kalt, nackend im Hemde
auf dem Boden, daß er befuͤrchtete,
niemahls aus dieſer Kammer wieder zu
kommen. Jndeß wollte Roderige
ſich auskleiden, um bey ſeiner Frau zu
ſchlafen, welche ſich wieder ins Bette
gelegt hatte. Wie aber Cataline ſa-
he, daß dieſes kein Mittel waͤre, den
Don Ferdinand wegzuſchaffen,
ſo ſagte ſie: Jch vergeſſe bald, dir ei-
ne halbe Flaſche Ribadatica Wein
trinken zu laſſen, du haſt ſo etwas gu-
tes niemahls getrunken. Ehe du dich
zu Bette legeſt, ſo gehe in die Kuͤ-
che; du wirſt finden, was ich dir auf-
geho-
[30] gehoben habe mit einer Keule von ei-
nem Rebhune in einer porcellanen
Schuͤſſel. Und woher kommt mir die-
ſe ſchoͤne Mahlzeit, verſetzte Rode-
rige
, der wenigſtens eben ſo fraͤßig
als diebiſch war. Sie antwortete:
Die Frau eines Herrn, welche hier
ſchlaͤft, hat es mir gegeben, da ich ihr
beym Abendeſſen aufgewartet. Jſt die-
ſe Frau alleine hier? verſetzte der Mann.
Sie frug: Was ſoll dieſe Frage?
Wenn keiner bey ihr waͤre, ſagte er,
ſo wollte ich mein Gluͤck verſuchen.
Und was fuͤr ein Gluͤck? unterbrach
ihm die Frau, indem ſie ſich unwillig
anſtellte; wenn du dich bey ihr ſe-
hen lieſſeſt, ſo wuͤrden dich ihre Die-
ner hundert Schlaͤge mit dem Steig-
Riemen geben. Du gute Frau, Ca-
taline
, verſetzte Roderige, ich
wuͤrde ihren Hahnrey von Mann bey
ihr antreffen, der ſich vielleicht nicht
unterſtehen wuͤrde, mir etwas davon
zu ſagen. Aber da ich ſeit einer vier-
tel Stunde trocke ſchwatze, ſo wer-
de ich durſtig, und das Andenken des
guten Weins macht mir einen ſo groſ-
ſen
[31] ſen Durſt, daß ich nicht mehr aushal-
ten kann. Du kannſt ihn holen, ſag-
te ihm Cataline, ich habe ihn in
das kleine Schrank verſchlossen; du
wirſt um deſto beſſer thun, wenn du
alſobald hingeheſt, weil ich den jun-
gen Purſchen, der in der Kuͤche die-
net, fuͤrchte: Er mag den Wein
wohl, er naſchet aͤrger als eine Ka-
tze, wenn du bis morgen warteſt, ſo
wird er dir vielleicht zuvorgekommen
ſeyn. Jch will es ihn wohl verbie-
ten, verſetzte Roderige, und fuͤhr-
wahr, ich habe es noͤthiger als er.
Jndem er dieſes ſagte, ſo wollte er
einen von ſeinen Schuhen kriegen, der
unter ſeinen Fuͤſſen weggekommen,
und weit unter das Bette geſchurret
war. Da er ihn aber ohne Licht
nicht finden konnte, ſo wollte er es
von dem Tiſche holen. Cataline,
welche die Gefahr ſahe, die ſie lief,
kam geſchwinde aus dem Bette, nahm
ihm das Licht, das er ſchon hatte,
weg, und ſagte mit einer zornigen
Stimme zu ihm: Kannſt du nicht
einmahl nach einer halben Stunde einen
Schuh
[32] Schuh finden? und indem ſie ſich von
der Seite des Tiſches kehrte, ſo ſuch-
te ſie ihn wo ſie wohl wuſte, daß
er nicht war. Der Mann wurde
unwillig, wie er ſahe, daß ſeine Frau
mit bloſſen Fuͤſſen gieng, und ſagte
zu ihr: Jch glaube, du haſt den
Verſtand verlohren, willſt du dir ei-
ne Krankheit zuziehen, welche uns al-
le unſer Geld koſten wird? Lege dich
nieder in dein Bett; ich hab, GOtt
Lob! Verſtand genung, einen Schuh
ohne deine Huͤlfe zu finden. Man
kann leicht von der Angſt urtheilen,
die Don Ferdinand in dieſem
Augenblick ausſtand. Er war unge-
zweifelt verlohren, wenn Cataline
ſich nicht geſtellt haͤtte, als ſtoßte ihr
etwas unter die Fuͤſſe, und mit dem
Leuchter und Lichte nicht gefallen waͤ-
re, welches ſie alſo auszuloͤſchen das
Gluͤck hatte. Waͤhrend dieſer Zeit,
daß der Mann ſie aufhelfen wollte,
ſo naͤherte ſich die Frau an das Bet-
te, griff mit dem Arm unter daſ-
ſelbe, und ruͤhrete die Fuͤſſe des
Don Ferdinands an, der ihre
Hand
[33] Hand fuͤr ihres Mannes Hand hielt,
und im Begriff war, heraus zu ſprin-
gen, um ſein Leben zu vertheidigen,
und ihn mit dem Dolche zu toͤdten,
den er bey ſich behalten hatte. Da
aber die Perſon, welche ihn anruͤhr-
te, kein Wort ſagte, ſo uͤberredete
er ſich der Wahrheit: und nachdem
Cataline endlich den Schuh, den
ſie tauſendmahl verfluchte, wieder ge-
funden hatte; ſo gab ſie ihn ihrem
Manne, welcher ſeiner Seits das
Licht und den Leuchte hielt, die
Finſterniß, Frau, Schuh und ſich
ſelbſt allen Teufeln uͤbergab. Darauf
fand ſich Cataline trotzig, oder
wenigſtens fieng ſie an, in ihren Sa-
chen klaͤrer zu ſehen, legte ſich in ihr
Bette, hieß ihren Mann naͤrriſch und
tumm, und ſagte endlich: Fuͤrwahr
ich glaube, daß er nicht Herz ge-
nung hat, ein Licht anzuzuͤnden.
Man kann ſich nicht beſſer verant-
worten, als mit Dingen, die wehe
thun, oder die gleichguͤltig ſind: das
iſt noch eine von den natuͤrlichen Ga-
ben der Weiber, daß ſie dergleichen
Cleicht
[34] leicht erfinden. Dieſer Vorwurf griff
die Ehre des Roderigen an, und
ganz fluchend ſagte er: Du ſolſt ſe-
hen, ob ich es nicht anſtecken wer-
de. Alſobald gieng er hinaus, um
in die Kuͤche zu gehen, wo er glaub-
te, Feuer und fuͤrnemlich den Wem,
davon ihm ſeine Frau geſagt hatte,
zu finden. Er war noch nicht vier
Schritte von der Thuͤr, als Cata-
line
aufſtunde, den ungluͤcklichen
Don Ferdinand eiligſt zu erloͤſen,
der vor Kaͤlte erſtarret, mit Federn
und Dreck bedeckt, ſich nicht zwey-
mahl ſagen ließ; wegzugehen. Er
unterſtand ſich nicht, in dem Stan-
de, worinn er ſich befand, bey ſei-
ne Frau zu kommen; er gieng dem-
nach nach der Kammer ſeiner Edel-
knaben, er ſchlug zwey oder drey-
mahl an ihre Thuͤr. Valerie ſchlief
noch nicht, er frug: was man woll-
te? Und wie er ſeines Herrn Stim-
me erkannte, ſo uͤberfiel ihn ein
Schrecken; und, ohne zu erwegen,
daß Donne Marie nicht wuͤrde
geſtanden haben, was ſich zugetra-
gen,
[35] gen, zweifelte er nicht, da er von
der Wahrheit berichtet, und nun kaͤ-
me, ihn ſeiner Rache aufzuopfern.
Er ſtund demnach ganz erſchrocken
auf, da er einen kalten Schweiß hat-
te; und ſeine Furcht war um deſto
ſtaͤrker, weil die Kammer keinen an-
dern Ausgang hatte, und die Fenſter
mit Gittern vermacht waren. Es
fehlte wenig, daß er nicht ſeinen
Herrn zu Fuſſe fiel, indem er die
Thuͤr aufmachte, und ihn nicht um
Verzeihung ſeiner Untreue bar. Da
er ihn aber bey dem Monden-Schein
ſo bleich und erſchrocken ſahe, daß er
Muͤhe gehabt haͤtte, ihn zu erkennen,
und an ihm kein Zeichen der Eifer-
ſucht gewahr wurde: ſo ſammlete er
die Kraͤfte ſeines Geiſtes, um zu wiſ-
ſen, was er ihm befehlen wollte.
Ohngeachtet ſeiner Bemuͤhung, ſich
zu zwingen, merkte Don Ferdi-
nand
ſeine Verwirrung, und frug
ihn um die Urſache. Valerio ſag-
te ihm mit zitternder und undeutli-
cher Stimme, daß der Zuſtand, in
welchem er ihn faͤnde, wie er voll
C 2Schre-
[36] Schrecken erwacht waͤre, ihm eine
Beſtuͤrzung verurſachte, davon er ſich
lange nicht erhohlen wuͤrde. Don
Ferdinand
, der mit andern Sa-
chen beſchaͤftiget war, und er nicht
im Stande war, dieſe Fragen weiter
zu treiben, befahl ihm das Still-
ſchweigen; vertrauete ihm ſeine Be-
gebenheit, forderte ein Hemd, und
befahl ihm, geſchwinde Feuer zu ma-
chen. Der Edelknabe zog den Stroh-
Sack aus ſeinem Bette, und fand ei-
nige in der Aſche gebliebene Kohlen.
Jm Augenblick waͤrmete ſich Don
Ferdinand
, reinigte ſich, that
ſeiner Frau, da er in das Bette wie
eine Schlange kroch, aus Furcht ſie
aufzuwecken.


Unter dieſer Zeit bließ Roderige
einen Brand an, und brachte mehr
als eine Viertel-Stunde zu, eher er
ſein Licht anſteckte. Wie dieſe groſ-
ſe That geſchehen, ſo gieng er gera-
de auf den kleinen Schrank zu, und
fand die Schuͤſſel und die Flaſche.
Aber
[37] Aber das eine war ſo rein, als das
andere leer. Er bekam den Argwohn
wieder, den ihm ſeine Frau gegen
den kleinen Jungen gemacht hatte:
und da er einen groſſen Stock un-
ter ſeinen Haͤnden fand, ſo gieng er
nach ſeinem Bette, und weckte ihn
mit ſo guten Schlaͤgen auf, daß der
arme Junge, der ihn fuͤr den Teu-
fel hielt, die Flucht nahm, und tau-
ſend Zeichen des Creuzes machte,
und alle Heiligen im Himmel anrief.
Jndeß verfolgte ihn Roderige im-
mer, und ſchlug zu, indem er ſag-
te: War der Ribadatica gut?
war das Rebhuhn muͤrbe? Endlich
entkam der arme Junge, ohne et-
was von dem, was er ihn frug, ver-
ſtanden zu haben, in den Hof, und
verſteckte ſich in dem Stalle. Wie
Roderige eine ſolche ungerechte
Zuͤchtigung verrichtet hatte, indem
Cataline ſelbſt alles getrunken und
gegeſſen hatte; ſo wollte er ſich zu
Bette legen, doch nicht ohne vorher
ſeiner Frauen ſeine Ausrichtung, die
er gethan hatte, zu berichten. Ca-
C 3taline
[38]taline lobte ihn, und vergaß nicht,
den aus Geitz und Filtzigkeit ſo oft
wiederhohlten locum communem oder
Lehr-Spruch, daß es nicht ſowohl
um den Werth der Sachen, als um
der Folgen waͤre, welche ſie nach ſich
ziehen koͤnnten. Sie umarmeten ſich
darauf, und liebkoſeten ſich nach ih-
rer Gewohnheit; da indeß Valerio
ſich von ſeinem Schrecken erhohlte,
und den Reſt der Nacht wach blieb:
So viel Vergnuͤgen verſchaffte ihm das
Gluͤck ſeines Liebes-Handels.


Nach dem Befehle, den die Gut-
ſcher und Stall-Bediente den Abend
vorher empfangen hatten, wollten
ſie beym Anbruch des Tages ihrem
Herrn berichten, daß ſie fertig zu
reiſen waͤren. Aber die Stille und
Dunkelheit, welche da herrſchten, ſag-
ten ihnen des Don Ferdinands
Schlaf; deswegen unterſtanden ſie
ſich nicht, ihn aufzuwecken. Don-
ne Marie
hoͤrte ſie, und erinnerte
ſich anfangs nur als in einem Trau-
me, was ihr mit dem Edelknaben
begeg-
[39] begegnet war. Jnzwiſchen ihr Ohr-
ring und andere Merkmaale ſagten
ihr bald die Wahrheit; und aus dem
Schlafe ihres Mannes konnte ſie ur-
theilen, daß er wenigſtens die Nacht
eben ſo gut hingebracht. Sie glaub-
te, daß ihm der Schlaf noͤthig waͤ-
re: ſie ſtand auf, rief ihre Frauen,
um ſich anziehen zu laſſen, und ſag-
te ihnen, daß ſie die ganze Nacht ge-
ſchlafen, ohne aufzuwachen. Denn
ie weniger man zu luͤgen gewohnt iſt,
deſto beſſer iſt es, ſich auf eine Luͤ-
ge zu ſchicken, die man vorher wohl
ausgedacht. Wie Chimene ſie
aufſetzte, ſagte ſie zu ihr: Jch glau-
be, meine Frau, daß ihr einen von
euren Ohrringen verlohren habt.
Nein, ſagte ſie, er fiel geſtern auf
die Erde, und ich habe ihn dem Va-
lerio
gegeben, um ihn euch wieder
zuzuſtellen. Chimene gieng alſo-
bald hin, ihm zu ſagen, den Ohr-
ring zu bringen, den ihre Frau ihm
in Verwahrung gegeben. Valerio,
der wohl verſtand, was die Donne
Marie
ihm zu verſtehen geben woll-
C 4te,
[40] te, brachte ihr denſelben; da ſie ihn
aber ſahe, und von dem, was vor-
gegangen, noch eingenommen war, ſo
erroͤthete ſie, und erhoͤhete dadurch
ihre Schoͤnheit. Valerio wurde
nicht weniger verwirrt, und unter-
ſtand ſich nicht, ſie anzuſehen. Don
Ferdinand
zog ſie aus dieſer Sor-
ge, indem er aufwachte; aber er bat
ſeine Frau, ſeine Leute zu ihrer Rei-
ſe nicht anzutreiben: Jch wollte, ſag-
te er, erſt Nachmittage reiſen. Seyd
ihr unpaß? frug ihn Donne Ma-
rie
. Nein, antwortete er ihr, ich
habe Kopfweh, welches ein Schlaf
von einigen Stunden ſicher vertrei-
ben wird. Schlafet! verſetzte ſie;
man ſoll alles hier zumachen, und un-
terdeß will ich mit meinen Frauen in
die Meſſe gehen.


Wie ſie wieder aus der Kirche
kam, wurde ſie eines Herrn gewahr,
der eine Frau zu Pferde begleitete,
welcher eine Jungfrau und drey oder
vier wohl bekleidete Bediente folgten.
Die Tracht dieſer Leute erweckte in ihr
eine
[41] eine Neugier. Sie ſtand ſtille, um
ſie zu betrachten, und wurde billig
von der ſchoͤnen Leibes-Geſtalt, von
dem artigen Weſen und von der gu-
ten Wahl der Kleider dieſer Frau
eingenommen. Sie ritte einen weiſ-
ſen Zelter, deſſen von Gold reicher
Sattel von viel roͤthern, als Coral-
len, Braſilien-Holz war. Das Kuͤſ-
ſen, auf dem ſie ſaß, war von kar-
meſin Taſſent, mit durchgeneheten
Spitzen beſetzt. Sie hatte ein Wams
von Silber-Damaſt mit ſechs Bor-
ten von Gold; ihr Rock war von
eben dem Zeuge. Die Bruſt bedeck-
te ein mit Gold durchwirktes Tuch,
und ihr Hut war ganz mit Federn
bedeckt. Dieſer Haufe gieng eines
nach dem andern vor der Donne
Marie
her. Aber eine Haube von
weiſſen Taffent, welche das Geſicht
der Frau bedeckte, verhinderte, daß
die Neugier der Donne Marie
nicht vergnuͤget wurde. Sie konnte
ſich nicht anders einbilden, als daß
ihre Schoͤnheit mit alle dem, was ſie
an ihr bemerkte, uͤbereinſtimmen wuͤr-
C 5de.
[42] de. Dieſe Fremde gruͤſſeten die Don-
ne Marie
, wie ſie es verdiente;
und der Herr, der dieſe ſchoͤne Un-
bekannte fuͤhrte, ſagte zu ihr: Mei-
ne Frau, ihr ſehet, daß dieſe Ber-
ge, welche ſehr rauh ſcheinen, ſchoͤne
Perſonen herfuͤrbringen. Dieſes Land,
verſetzte die Unbekannte, kann ſich
einer ſo ſchoͤnen Frucht nicht ruͤhmen.
Dieſe ſchmeichleriſche Reden mißfielen
der Donne Marie nicht. Sie
war damit beſchaͤftiget, da ſie dieſen
ſchoͤnen Haufen bey eben dem Gaſt-
hofe ſtille halten ſahe, wo ſie uͤber-
nachtet hatte.


Jnzwiſchen ſtieg der Herr ab,
und hob die Frau vom Pferde, wel-
che, um einige Fragen an den Wirth
zu thun, der ſie zu empfangen her-
bey gekommen war, ihre Haube ab-
nahm, und ein blendendes Angeſicht
entdeckte. Der Herr frug ſie: ob
ſie etwas nehmen wollte? Aber ſie
antwortete: weil ſie ein wenig muͤde
waͤre, ſo wollte ſie lieber ausruhen.
Man fuͤhrte ſie in einen kleinen Saal;
da
[43] da indeß der Herr, der ſie begleitet
hatte, frug: ob eine Frau, welche
mit ihrem Mann und ihrem ganzen
Hauſe nach Hofe gienge, die ver-
wichene Nacht nicht in dieſem Gaſt-
hofe uͤbernachtet haͤtte? Er ſetzte hin-
zu, daß ſeine Nichte ein groß Ver-
langen truͤge, ſie anzutreffen, wegen
der Lobſpruͤche, die ſie von ihr haͤt-
te machen hoͤren. Es kommt nur
auf euch an, antwortete der Wirth,
davon zu urtheilen: denn dieſe Frau
iſt nahe bey euch; ſie iſt ſo artig,
daß ſie eure Geſellſchaft, wie ich glau-
be, nicht ausſchlagen wird. Man
muß wiſſen, verſetzte der Herr, ob
die Frau darein williger wird; dabey
er ſie zugleich gruͤßte. Ja, antwor-
tete ihm die Donne Marie, ich
willige darein; ich habe eure Nicht
von ferne geſehen: inzwiſchen werde
ich ſehr vergnuͤgt damit ſeyn. Nach
einige gegenſeitigen Hoͤflichkeitsbezeu-
gungen verließ ihn Donne Marie,
um von ihrem Manne etwas neues zu
hoͤren. Sie fand ihn, daß er auf-
ſtand: ſie ſagte zu ihm von der Ge-
ſell-
[44] ſellſchaft, welche ſich mit der ihrigen
vereinigte. Die Lobſpruͤche, die ſie
der Schoͤnheit der Unbekannten gab,
machten den Don Ferdinand,
aufmerkſamer, und vertrieben ſein
Kopfweh voͤllig: und, um den Ver-
luſt ſeines Mantels deſto leichter ver-
bergen zu koͤnnen, ſo ſagte er, daß
er ein ander Kleid, und zwar das
allerkoſtbahrſte, das er mitgebracht haͤt-
te, anlegen wollte; welches er aus
einem verbuhlten Anzuge zufrieden war,
ſo gieng er nach der Meſſe.


Einige Augenblicke nachher kamen
Don Alonſo und Donne Pan-
taſilee
, (dieſes iſt der Nahme der
zway Unbekannten,) um der Donne
Marie
fuͤr ihre Hoͤflichkeit Dank
zu ſagen. Sie trafen ſelbige an,
wie ſie ſich eben, ihre Gedanken zu
vertreiben, mit Chimenen unter-
hielt. Don Alonſo ſtellte ihr ſei-
ne Nichte vor, und dieſe Frauen
machten ſich tauſend Hoͤflichkeiten.
Jhr Geſpraͤch wurde um deſto mun-
terer,
[45] terer, da Donne Marie gewahr
wurde, daß Pantaſilee einem
jungen Menſchen, Nahmens Don
Franceſco
, den ſie vor ihrer Hey-
rath ſehr geliebet hatte, ungemein
aͤhnlich war. Dieſe Vorſtellungen
nahmen ſie ein, und brachten ihr
noch andere wieder ins Gedaͤchtniß;
und verhinderten, daß ſie nicht auf
alles antwortete, was ihr die ſchoͤne
Pantaſilee aufgewecktes und arti-
ges ſagte. Dieſe ſtand endlich, oh-
ne ihr merken zu laſſen, daß ſie ih-
re Verwirrung gewahr worden, auf,
um ihre Befehle zur Abreiſe zu ge-
ben, weil ſie gluͤcklich genung war,
ſie zu begleiten. Donne Marie
wollte ſie noch zuruͤck halten; woruͤ-
ber Don Ferdinand herein trat,
der von ihren Reizungen ganz geblen-
det wurde. Er fuͤgte ſeine Bitte dem
Anſuchen ſeiner Frau hinzu; ſie er-
hielten von ihr, ſich niederzulaſſen.
Don Alonſo nahm die Sorge fuͤr
das Reiſe-Geraͤthe auf ſich, da in-
zwiſchen die Frauen und Don Fer-
dinand
ihre Vorſchlaͤge der Reiſe
wegen
[46] abredeten. Sie fiengen an,
unter ſich eine Freundſchaft aufzurich-
ten. Jedoch aus Furcht, die Pan-
taſilee
, welche vom Pferde geſtie-
gen, zu ermuͤden, ſo wurden ſie ei-
ning, den Reſt dieſes Tages in eben
dieſem Gaſthofe zu bleiben. Chime-
ne
, die Verſtand und Gaben hatte,
verſchafte ihnen tauſend Veraͤnderun-
gen, deren man wohl entbehren konn-
te: denn die Aehnlichkeit der Pan-
taſilee
mit Don Franceſco be-
ſchaͤftigte die Donne Marie hin-
laͤnglich; und die Augen eben dieſer
Pantaſilee machten einen groſſen
Eindruck in des Don Ferdinands
Herz. auf der andern Seite nahm
Don Alonſo nach ſeinem luſtigen
und muntern Weſen und nach ſeinem
Verſtande von allen Gelegenheit, ih-
nen die Zeit zu vertreiben, und ſich
ſelbſt aufzumuntern. Wie endlich die
Frauen in Spielen und Taͤnzen, wel-
che Chimene zuſammengebracht hat-
te, bey einander geweſen waren; ſo
begaben ſie ſich mit verſchiedenen Ge-
danken weg, die ſie bey Tage be-
ſchaͤfti-
[37] ſchaͤftiget hatten. Die Reiſenden gien-
gen bey guter Zeit zu Bette, des
Vorhabens, den folgenden Morgen
beym Anbruch des Tages abzureiſen.
Es begegnete ihnen in der Nacht nichts,
welches ihrem Anſchlage eine Hinder-
niß in den Weg legen konnte. Don
Ferdinand
und Donne Marie
lagen einer wie die andere der Pan-
taſilee
und dem Don Alonſo an,
in ihrer Gutſche Platz zu nehmen;
und ihre Geſpraͤche verlohren nichts
von der Annehmlichkeit und Munter-
keit, welche ſie den Abend vorher
gehabt hatten. Der Weg ſelbſt ſchien
ihnen ſo kurz, daß ſie ſich zu Al-
magro
befanden, ehe ſie wohl glaub-
ten, kaum aus den Vorſtaͤdten von
Viſo gekommen zu ſeyn. Sie ſpei-
ſeten daſelbſt ſehr luſtig, und brach-
ten den Reſt des Tages mit Spatzi-
rengehen und die Stadt zu beſehen zu,
welche nicht ohne Schoͤnheit iſt. Den
folgenden Tag waren ſie immer mehr
vergnuͤgt, daß ſie bey einander wa-
ren. Sie ſpeiſeten zu Melangon,
und machten ſich wieder auf den
Weg.
[47] Weg. Aber im Augenblick, da ſie
es am wenigſten gedachten, klagte
Donne Pantaſilee uͤber ſo hefti-
ge Kopfſchmerzen, daß ihre Ergoͤtzun-
gen ſich in Unruhen verkehreten.
Donne Marie war bemuͤhet, ihr
zu helfen: ſie band ihren Kopf mit
ihrem Schnupf-Tuche, da indeß ih-
re Klagen das Herz des Don Fer-
dinands
durchſchnitten, der ihren
Reizungen alle Gerechtigkeit, die ſie
verdienten, wiederfahren ließ. Der
Donne Marie ruͤhrte das Uebel
ihrer neuen Freundin ſo empfindlich,
daß ſie dieſelbe in ihre Arme nahm,
und ſich auf ihre Knie ſich lehnen ließ.
Don Alonſo bezeugte die Unruhe,
die ihm ſeine Nichte machte, und
frug, ob er gleich beſſer als jemand
davon unterrichtet war, ob man noch
weit von dem erſten Dorfe waͤre.
Er ſchien mit Vergnuͤgen zu verneh-
men, daß man auf einen Buͤchſen-
Schuß von dem Gaſthofe von Car-
cuela
waͤre. Das iſt eine ſchlechte
Herberge, ſagten die Gutſcher. Es
hindert nichts, riefen die Herren,
wir
[49] wir werden da Huͤlfe finden. Der
Pantaſilee Uebel ſchien ſich zu ver-
doppeln; ſie bath daher ihren Vetter
inſtaͤndigſt, ſie aus der Gutſche zu
heben, deren Schuͤtteln, wie ſie ſag-
ten, ihr unertraͤglich waͤre. Die Ge-
ſellſchaft ſtieg heraus. Don Fer-
dinand
und Don Alonſo hiel-
ten die Kranke unter den Armen, und
hatten den Verdruß, ſie in Ohn-
macht fallen zu ſehen. Donne Ma-
rie
ſprengte ihr ſtark riechend Waſ-
ſer ins Geſicht; aber die Thraͤnen,
mit welchen ſie dieſelbe benetzte, wa-
ren viel kraͤftiger, ſie wieder zu ſich
ſelber zu bringen. Was war dies fuͤr
eine Freude fuͤr die ganze Geſell-
ſchaft? Man brachte die Kranke
nach Carcuela; man legte ſie auf
das Bette der Wirthin, um ihr ei-
nige Ruhe zu laſſen. Don Alonſo
wußte ſehr wohl, daß in dieſem Hau-
ſe dieſes einzige Bette war. Man
machte die Koffer auf, um der ſchoͤ-
nen Kranken eingemachte Sachen zu
geben, indeß da Donne Marie
oben bey dem Bette ihre Haͤnde hielt,
Dund
[50] und ſie mit Kuͤſſen, die durch das
Andenken ihres lieben Don Fran-
ceſco
angefeuret wurden, uͤberhaͤuf-
te. Pantaſilee widerſetzte ſich ih-
ren Liebkoſungen gar nicht, ſondern
naͤherte ſich mit ihren Lippen an die
ihrige, und kuͤßte ſie mit ſo zaͤrtli-
chen Seufzern, daß ſie in ihren Ar-
men ohne Empfindung blieb. Die
Nacht brach ein, als Don Ferdi-
nand
und Alonſo bey der Kran-
ken ihren Beſuch ablegten, und ſie
lachend und voͤllig wieder hergeſtellt an-
trafen. Jch habe nur, ſagte ſie zu
ihnen, einen uͤbergehenden Zufall ge-
habt, der mir nur mehr Luſt ge-
macht hat, mich eben ſo zu ergoͤtzen,
wie wir dieſe letzte Tage her gethan
haben. Die Herren wurden voller
Freuden, wie ſie ſelbige in ſo gutem
Zuſtande ſahen, und ſuchten ſie durch
allerhand Erzehlungen aufzuraͤumen,
die ſie nur erfinden konnten, und
welche ſie bis auf die Ankunft des
Edelknaben fortſetzten, der ihnen mel-
dete, daß das Abendeſſen aufgetra-
gen waͤre. Nachdem dieſes geendet,
ſo
[51] ſo machten ſie einen Spatziergang, um
die Verdauung zu befoͤrdern. Sie
kamen wieder zu Haus, um ſich bey
guter Zeit zu Bette zu legen, und
fruͤh abzureiſen. Sie ſagten beym
Hineingehen zur Wirthin, geſchwin-
de weiſſe Laken auf die Betten zu le-
gen. Aber dieſe, die keine andere,
als das Jhrige hatte, antwortete ih-
nen: Jch werde beſtuͤrzt, daß Leute
wie ihr, die ihr ohne Zweifel durch
ganz Spanien gereiſet ſeyd, nicht
wiſſet, daß in ſolchen Wirthshaͤuſern,
als dieſes iſt, darin die Reiſende nie-
mahls mehr thun als zu Mittage eſ-
ſen, ſich kein Bette finde: Wenn
dieſer ſchoͤnen Frauen nichts zugeſtoſ-
ſen waͤre, ſo wuͤrdet ihr euch hier
nicht laͤnger als die andern aufgehal-
ten haben; Alles, was ich thun kann,
iſt, mein Bette dieſem Frauenzimmer
abzutreten, und zurechte zu machen.
Was euch, ihr Herren, betrift, ſo
gebe ich euch den Rath, euch dieſe
Nacht mit dieſen Karten, welche ich
aus Vorſorge fuͤr euch habe bringen
laſſen, die Zeit zu vertreiben. Don
D 2Ferdi-
[52]Ferdinand billigte den Vorſchlag,
und ſagte: Jch habe noch ſchlimme-
re Naͤchte erlebt: (Er muͤſte ein wenig
Gedaͤchtniß gehabt haben, wenn er
die Nacht zu Viſo ſchon vergeſſen
haͤtte) Leget euch zu Bette, meine
Frauen, fuhr er fort, wenn ihr wol-
let, wir wollen uns die Zeit ſchon
vertreiben: Jch befehle euch meine
Frau wohl an, ſetzte er laͤchenlnd hin-
zu, indem er ſich zu der Pantaſi-
lee
wandte. Die Frauen machten
zwar einige Hoͤflichkeiten, und ſag-
ten, daß ſie ihnen Geſellſchaft leiſten
wollten, und daß es billig ſey, daß
ſie ihre Beſchwerlichkeiten theilten.
Die Herren aber, die darein gar nicht
willigen wollten, ſtellten fuͤr, wie
noͤthig die Ruhe fuͤr die Geſundheit
der Pantaſilee waͤre. Die Frauen
giengen demnach zu Bette, und die
Herren ſetzten ſich bey das Spiel.


Es iſt nunmehro wohl Zeit, dem
Leſer, der vielleicht davon ſchon eini-
gen Argwohn hat, zu melden, daß
dieſe ſchoͤne Pantaſilee Don
Fran-
[53]Franceſco war, derjenige, wel-
chen Donne Marie vor ihrer Hoch-
zeit ſo heftig geliebt hatte, und hier
iſt der Ort, dieſe Geſchichte zu er-
zehlen.


Don Franceſco war eines
Herzogs Sohn; und man kann von
den Reizungen ſeiner Geſtalt leicht
ein Urtheil faͤllen, da er die Frauen-
Kleidungen mit einem Vortheil trug,
der einer ieden Manns-Perſon, ſo
ſchoͤn ihn auch ſonſt die Natur ge-
bildet hat, allezeit ſchwer iſt. Sein
Vater ſchickte ihn nach der damahls
in Spanien ſo beruͤhmte hohen
Schule zu Oſmus, um zu ſtudi-
ren. Donne Marie wohnte mit
ihrem ganzen Hauſe in eben dieſer
Stadt; und das Gluͤck wollte, daß
ihr Haus gerade gegen dem Quartier
uͤber war, welches Don Franceſ-
co
bezog. Das erſte mahl, da die-
ſe Schoͤne an ihrem Fenſter erſchien,
wurde er in ſie verliebt, und fand
bald Mittel, ihr ſeine brennende Lie-
be zu bezeugen. Er hatte das Gluͤck,
D 3zu
[54] zu ſehen, daß ſie wohl aufgenommen
wurde. Jhr Liebes-Handel war ver-
borgen, aber endlich wuchs ihr Ver-
langen: und da ſie nicht verhindern
konnten, in derſelben bis an denje-
nigen Grad zu kommen, wornach al-
le Verliebten ſich ſehnen; ſo gelang-
te ſie endlich dahin, nachdem Don
Franceſco
der Donne Marie
im Ernſt verſprochen hatte, ſie zu
heyrathen. Dieſe Heyrath war in
Anſehung der Gebuhrt und der Guͤ-
ter ſehr ungleich: und nachdem des
Don Franceſco Hofmeiſter von
dem, was vorgegangen war, Nach-
richt bekommen hatte; ſo konnte er
nicht umhin, es ſeinem Vater zu hin-
terbringen. Die Ungleichheit der Guͤ-
ter iſt von Alters her eine Urſach des
Verdruſſes bey den Geſchlechtern;
aber die Eitelkeit macht die Ungleich-
heit der Gebuhrt noch empfindlicher.
Alſo wollte des Don Franceſco
Vater unſinnig werden, als er die-
ſe Zeitung hoͤrte: er nahm die Poſt,
um dieſe Heyrath zu hintertreiben; und
er langte zu Oſmus in dem Au-
gen-
[55] genblick an, da ſie ſollte vollzogen
werden. Die Ankunft des Herzogs
verruͤckte alles: er wurde gegen ſeinen
Sohn aufgebracht, und ſchickte ihn
nach Flandern; indem er die Ab-
weſenheit und Entfernung von der
Schoͤnheit, die er liebte, als das ein-
zige Mittel anſahe. Der Hohn und
veraͤchtliche Ton, in welchem der Her-
zog von der Donne Marie Ge-
ſchlechte redete, haͤtte ihn bald zu ei-
nem Zweykampf genoͤthiget. Don
Pedro
, der Donne Marie Va-
ter, behauptete gegen ihn mit hinlaͤng-
licher Wahrheit, daß er aus einem
beſſern Hauſe, als er, waͤre, ob er
gleich nur ein ſchlechter Edelmann ſey.
Sie waren ſchon im Begriff, ſich zu
ſchlagen, aber man brachte ſie von
einander, und der alte Herzog gieng
nach Hauſe, nachdem er ſeinen Sohn
den Weg nach Flandern nehmen
ſehen.


Jnzwiſchen Beſchloß Don Pe-
dro
, um das Geruͤchte und den Aus-
bruch dieſer Sache zu unterdruͤcken,
D 4ſeine
[56] ſeine Tochter, ſo bald es ihm moͤg-
lich ſeyn wuͤrde, zu verheyrathen. Ei-
ner von ſeinen Freunden ſchlug ihm
den Don Ferdinand vor, und
er nahm ihn ohne Schwierigkeit an.


Don Franceſco war ſeit zwey
Jahren abweſend, als ſeine Mutter
an ihnen einen Bothen abfertigte, ihm
den Tod ſeines Vaters zu melden,
und zu befehlen, aufs eheſte wieder
nach Spanien zu kommen. Dieſer
Befehl war ihm nicht unangenehm;
ohngeachtet des neuen Liebes-Han-
dels, welcher ihn in dieſem Lande
wohl haͤtte zuruͤck halten koͤnnen; und
ohngeachtet der Gunſt, die er unter
der Verſprechung der Heyrath erhal-
ten hatte. Jch habe mich allezeit ge-
wundert, daß ein ſo ſchoͤner Menſch,
als Don Franceſco, nichts als
nur die letzten Freyheiten der Ehe hat-
te; es duͤnkt mich, daß dieſes der
Muͤhe nicht werth war. Dem ſey
wie ihm wolle, ſeine Unbeſtaͤndigkeit
brachte ihm das Bild der Donne
Marie
ins Gedaͤchtniß, und ließ
ihn
[57] ihn den Entſchluß ergreifen, ſeine neue
Liebſte zu verlaſſen, um die Donne
Marie
aufs eheſte heyrathen zu koͤn-
nen. Er reiſete demnach von Bruͤſ-
ſel
weg, ohne von iemand Abſchied
zu nehmen; und er war auf ſeiner Rei-
ſe ſo hurtig, daß er nach vierzehn Ta-
gen in ſeinem Hauſe ankam. Er hielt
ſich darinn nur ſo lange auf, als noͤ-
thig war, von den Beſchwerlichkeiten
der Poſt auszuruhen, und dasjenige
zu thun, was er dem Andenken ſei-
nes Vaters ſchuldig war. Darauf be-
gab er ſich nach Oſmus, wo er die
Heyrath ſeiner Liebſte erfuhr. Dies
gieng ihm ſo ſehr zu Herzen, daß er
davon krank wurde. Die Jugend und
die Vorſtellungen, welche ihn uͤberre-
deten, daß Donne Marie einiger
maſſen ſo ſeyn wuͤrde, als ſie war,
ſtellten ſeine Geſundheit bald wieder her.
Nachdem er von alle dem, was ſeine
alte Liebſte angieng, Nachricht einge-
zogen, ſo reiſete er ſo bald als ihm
moͤglich war nach Ubeda, wo Don
Ferdinand
ſeine ordentliche Woh-
nung hatte. Kaum war er da an-
D 5gelan-
[58] gelanget, als man ihm ſagte, daß
diejenige, die ihm ſo viel Wege mach-
te, ſelbſt unverzuͤglich nach Hofe
reiſen wuͤrde. Dieſer unverſehene
Streich wuͤrde ihn bald verzweifelt
gemacht haben. Denn wenn den Be-
gierden etwas in den Weg gelegt wird,
ſo bringen ſie uns gerne zur Ver-
zweifelung. Aber Don Alonſo
war zum Gluͤck bey ihm. Er hatte
ihn auf allen ſeinen Reiſen nicht ver-
laſſen. Dieſer Edelmann liebte ihn,
und ſein Verſtand wußte in allen bald
Rath zu ſchaffen. Er hielt ihn ab,
daß er nicht, wie er thun wollte,
unbedachtſamer Weiſe auf des Don
Ferdinands
Schloß lief; und
rieth ihm, ſich als eine Frau auszu-
kleiden, ſich fuͤr ſeine Nichte auszu-
geben, ſich zu den Reiſenden auf ih-
rem Wege zu verfuͤgen: und er ver-
ſprach ihm, ſo wohl alle Sachen zu
ſpielen, daß er der Donne Marie
genieſſen koͤnnte. Ob ſie gleich bei
ihrem Mann war, ſo trieb er das
Zutrauen gar ſo weit, daß er ſich
anheiſchig machte, es dahin zu brin-
gen,
[59] gen, daß er mit ihr in ihres Man-
nes Gegenwart zu Bette gehen ſoll-
te. Worin williget die Liebe nicht,
um zu den Beſitz desjenigen, was
ſie liebt, zu gelangen? Don Fran-
ceſco
ließ fuͤr ſich und einen von ſei-
nen Edelknaben, den er zu ſeiner
Kammer-Jungfrau annahm, Klei-
der machen. Und nachdem alles Noͤ-
thige angeſchaft war, ſo reiſete er
von Ubeda den Abend eben des Ta-
ges, als Don Ferdinand und
Donne Marie, ab; und er kam,
wie vorher geſehen, erſt den folgen-
den Tag um neun Uhr in dem Flecken
Viſo an.


Die Herren, die ſich entſchloſſen
hatten, die Nacht mit Spielen hin-
zubringen, ſetzten ſich in dem Saa-
le, wo ſie zu Abend gegeſſen hatte;
und die Wirthin fuͤhrte die Frauen
in ihre Kammer, welche ſie ſo ge-
putzt als das Bette rein und wohl zu-
recht gemacht funden. Jhre Frauen
kleideten ſie aus, ſie legten ſie ins
Bette, zogen die Fuͤrhaͤnge vor, gien-
gen
[60] gen weg, und nahmen den Schluͤſſel
mit, dem Befehl der Pantaſilee
zu folgen, welche unter dem Vor-
wande ihrer Geſundheit nicht uͤberlau-
fen werden wollte.


Wie ſich Don Franceſco ſo
nahe bey der Perſon fand, nach de-
ren Beſitz er ſich mit ſo vieler Hitze
ſehnte, ſo fuͤrchtete er ſich anfangs,
ſich zu erkennen zu geben. Die Un-
beſonnenheit einer ſolchen Liſt, und
der Widerſtand der Donne Marie
machten ihn zitternd. Denn die
Furcht begleitet das Verlangen. Doch
da er ſeine Beine um ſeiner Liebſten
ihre ſchlang, ihr bald den Buſen
kuͤßte, bald die feurigſten Kuͤſſe gab,
ſo ſagte er ihr die verliebteſten und
reizendeſten Sachen vor. Donne
Marie
willigte in alles, und ant-
wortete ſo gar auf das, was er ihr
bezeugte, ohne ſelbſt zu wiſſen, was
ſie gedachte. Wie endlich Don
Franceſco
einer ſo dringenden Ge-
legenheit nicht widerſtehen konnte, ſo
gab er ſich mitten unter den heiſſeſten
Seuf-
[61] Seufzern als denjenigen zu erkennen,
der er war, und that ein Geſtaͤnd-
niß von dem Streiche, den er aus
Liebe gemacht hatte, um ſie wieder
zu ſehen, und in ſeinen Armen zu
finden. Ein Vater, der den Tod
ſeines Sohnes beweinet hat, umar-
met ihn, wenn er denſelben ſiehet,
nicht mit einer ſo groſſen Freude,
die der Donne Marie ihrer gleich
iſt, da ſie ihren alten Liebſten wie-
der erkannte. Jhre Freude war ſo
groß, daß ſie ſtumm blieb. So ar-
tig eine ſolche Ruͤhrung iſt, ſo konn-
te es doch Don Franceſco wegen
der Nacht in den Augen derjenigen,
die er liebte, nicht leſen. Wie er we-
gen ihres Stillſchweigens beſtuͤrzt wur-
de, ſo machte er es wie ein verlieb-
ter Tauber, welcher, wenn er ſie-
het, daß ſeine zarte Taube an einer
Aehre, die ihr in der Kaͤhle ſtecken
blieben, leidet, alle ſeine Kraͤfte an-
wendet mit ſeinen Schnabel ſie ihr
heraus zu nehmen. Eben ſo ſchonete
er keine Liebkoſungen, um ſie zum
reden zu noͤthigen. Doch endlich faß-
te
[62] te Donne Marie, die von Liebe
und Verlangen auſſer ſich ſelbſt war,
ihre Sinne zuſammen, und verdop-
pelte ihre lebhafte Umarmungen und
ihre bruͤnſtige Seufzer. Wer wollte
eine ſolche Antwort nicht annehmen?
Jhr Gluͤck war ſo vollkommen, daß
ſie lange in dieſer ſtummen Trunken-
heit waren. Wer kann einen ſolchen
Zuſtand beſchreiben? Er iſt fuͤr al-
le Worte und Schreibart zu hoch.
Jch ſtelle ihn mit in Gedanken vor,
ich ſehne mich auch darnach, ein je-
der Leſer mache es eben ſo. Alles,
was ich als ein aufrichtiger Ge-
ſchichtſchreiber erzehlen muß, iſt,
daß der Hahn ſchon einige mahl die
Ankunft der Sonnen verkuͤndigt hat-
te, ohne daß der eine oder der ande-
re die geringſte Schwachheit in dem
Streite bezeugte haͤtte; ſo gleich wa-
ren ihre Waffen. Wie ſie endlich
ganz ermuͤdet, ſo machten ſie ſich
zum Schlaf bereit: aber die Liebe
lieſſe ſie nicht lange in einem ſo
ſchimpflichen Schlage, und weckte
ſie auf, um das wieder anzufangen,
was
[63] was ſie mit ſo groſſer Hartnaͤckigkeit
verrichteten, bis endlich Don Fran-
ceſco
der Munterkeit und Hitze der
Donne Marie nicht mehr wider-
ſtehen, und ſich fuͤr uͤberwunden be-
kennen mußte. Alsdann uͤberhaͤuften
ſie ſich mit denen zarten Liebkoſun-
gen, welche die Muͤdigkeit noch er-
laubet, und welche die Probe und der
Triumph des Herzens ſind.


Don Ferdinand und Don
Alonſo
ſetzten ihr Spiel fort, ob-
gleich die Sonne bereits aufgegangen.
Der eine, den ſein Verluſt verdroß,
dachte nicht daran, ein Ende zu ma-
chen: der andere ſchien aus Hoͤflich-
keit eines gluͤcklichen Spielers, aber
in der That um das Vergnuͤgen,
welches ſein Herr koſten ſollte, zu
verlaͤngern, dazu verbunden zu ſeyn.
Alſo hatten unſere gluͤckliche Verlieb-
ten Zeit, ihre Reizungen bey lichtem
Tage zu betrachten; ſich alles, was
ſich ſeit einer ſo langen Trennung zu-
getragen hatte, zu erzehlen, und ih-
re Auffuͤhrung auf das Zukuͤnftige
einzu-
[64] einzurichten. Die Zeit verlief in die-
ſen ſuͤſſen Beſchaͤftigungen ſehr ge-
ſchwinde: und ſie hoͤrten mit Ver-
druß ihre Frauen die Thuͤr oͤfnen, um
ſie zum Aufſtehen zu noͤthigen; wel-
ches ſie auch eiligſt thaten, um den
Don Ferdinand und Don Alon-
ſo
zu verhindern, ſie in einem Bet-
te anzutreffen, welches eben ſo we-
nig als ihr Aufputz im Stande
war, Beſuche anzunehmen. Sie
waren kaum angekleidet, als die
Herren in ihre Kammer kamen. Sie
erzehlten ihnen den Ausgang des
Spiels, welcher nicht ſonderlich ge-
weſen war: und Don Ferdinand
machte mit ſeiner Frau ſehr vielen
Scherz uͤber die Nacht, die ſie ge-
habt hatte, welcher wahrhafter war,
als er ſelbſt glaubte. Er war uͤber
die Geſundheit der Pantaſilee er-
freuet, weil ſie ihm aber noch ein
wenig matt ſchien, ſo rieth er ihr,
ſich zu ſchonen. Sie reiſeten ab, und
der Wirth und die Wirthin wurden
koſtbar bezahlt, und insgeheim von
dem Don Alonſo fuͤr die Sorge,
die
[65] die ſie ſich gegeben hatten, und fuͤr
die Art, mit der ſie ſeine Befehle aus-
gerichtet hatten.


Die Reiſende ſtiegen in ihren Wa-
gen: Das Verlangen des einen,
und die Zufriedenheit der andern mach-
ten die Geſellſchaft lebhafter, als ſie
vorher geweſen war. Carcuela, wo
von der beruͤhmten Stadt Toledo;
aber der Weg iſt ſo gut, daß man
Muͤhe hat, die hitzigen Pferde zuruͤcl
zu halten. Sie ließ ſich ſehen, denn
unſere Reiſende befanden ſich zu guter
Zeit in dem Geſichte von Toledo.
Der erſte Anblick davon iſt ſo praͤch-
tig, daß die Frauen eine halbe Mei-
le von der Stadt aus der Gutſche
ſtiegen, um das ſchoͤne Schloß, wel-
ches die Stadt beſchieſſen kann, und
ihr zum Zierrathe dienet, zu beſehen.
Das Schloß, wo das ſchoͤne Waſſer
des Tago, das durch den beruͤhm-
ten Jnvanel dahin geleitet wird, in
Springbrunnen faͤllt, die aus Jaſpis
mit vortreflicher Arbeit gemacht ſind,
Eum
[66] um ſeine Gaͤnge und Garten zu zie-
ren; die Pracht und ungeheure Groͤſ-
ſe der Haupt-Kirche, in welcher der
heilige Alphonſus das Meßgewand
von der heiligen Jungfrau empfieng,
erweckt eine nicht geringe Verwunde-
rung, wenn man ſie auch nur von
weiten ſiehet.


So viel Schoͤnheit und ſehr vie-
le andere, welche man entdeckt, wenn
man ſich Toledo naͤhert, nahmen die
Donne Marie und ihre Frauen
ein, und noͤthigten ſie, den Don Fer-
dinand
zu bitten, einige Tage in die-
ſer Stadt zu verbleiben, um ihnen
Zeit zu geben, dieſe Schoͤnheiten recht
zu bewundern. Don Ferdinand,
dem alles gleichguͤltig war, wenn er
nur nicht von der Pantaſilee ge-
trennet wurde, in welche er alle Au-
genblicke verliebter wurde, antwortete
ihnen: Jch habe in einer ſo guten
Geſellſchaft nichts zu befehlen; wenn
die Frau und ihr Herr Vetter eure
Bitte genehm halten, ſo ſoll es mir
ſehr lieb ſeyn. Dieſe Gunſt war leicht
zu
[67] zu erhalten. Aber damit Alonſo die
Sache noch wahrſcheinlicher machen,
und auſſer allen Verdacht ſetzen moch-
te; ſo ſetzte er hinzu, daß dieſer Ver-
zug ihm um deſto angenehmer waͤre,
weil er eine wichtige Sache, die er zu
Toledo haͤtte, endigen wuͤrde, wo-
ran er aus Furcht, eine ſo gute Ge-
ſellſchaft auch nur einen Augenblick zu
verlaſſen, nicht haͤtte denken wollen.
Jhre Geſpraͤche wurden durch den
Anblick ſehr vieler Leute zu Pferde,
welche auf ihre Seite kamen, unter-
brochen. Don Alonſo frug einen
Reuter, der vor ihm her ritt, was
das fuͤr Geſellſchaft waͤre. Er ant-
wortete ihm, daß diejenigen, welche
ihm folgten, Edelleute vom Lande waͤ-
ren, welche aus der Stadt zuruͤk kaͤ-
men, wo ſie ein Stier-Gefechte ge-
ſehen haͤtten. Don Alonſo ſchlug
den Frauen vor, um zu vermeiden,
von allen denen, welche vorbey gien-
gen, betrachtet zu werden, ihre Gut-
ſche, welche ſie voraus fahren laſſen,
zuruͤck kommen zu laſſen. Da ſie aber
ſchon zu weit weg war, ſo beſchloſſen
E 2ſie,
[68] ſie, in den Wald zu gehen, wohin
die Schoͤnheit und der kuͤhle Schat-
ten ſie um ſo mehr, einige Ruhe zu
nehmen, einluden, weil ſie daſelbſt
laͤnger als eine Stunde bleiben, und
doch vor der Nacht in Toledo gehen
konnten. Sie folgten einem kleinen
Fußſteige, der ſie dahin fuͤhrte. Sie
ſuchten einen Ort aus, der am mei-
ſten mit Blumen bedeckt und ausge-
ſchmuͤckt war. Sie ergoͤtzten ſich an
den Reizungen der Natur, an dem
Geſange der Nachtigalle. Ein reines
Vergnuͤgen, das dadurch, daß ſie zu-
ſammen waren, noch vermehret wur-
de; da eine Stimme einer Frau, die
nahe genung war, daß ſie deutlich
konnte verſtanden werden, ſie auf ei-
ne ganz andere Aufmerkſamkeit zog.
Sie hatten Urſach, ſich dahin zu rich-
ten. Die Stimme und die Worte
verdienten gehoͤret zu werden. Wie
die Arie geendet war, ſo hoͤrten ſie
Klagen und Beſchwerden, die von ei-
ner andern Stimme hervorgebracht
wurden, welche geſchickter war, zum
Mitleiden zu bewegen, weil ſie ſich
uͤber
[69] uͤber eine erſchreckliche Untreue beklag-
te, und ihre Stimme durch Seufzer,
Thraͤnen und Schluchſen unterbrach.
Diejenigen, welche ein Herz voll Lie-
be haben, haben mit allen Ungluͤckſe-
ligen am meiſten Mitleiden. Alſo ſtan-
den Donne Marie, Donne
Pantaſilee
und Don Ferdi-
nand
, mehr aus Mitleiden als Neu-
begierde, auf, um diejenige, deren
Ungluͤck ihnen ſo empfindlich ſchien, zu
betrachten. Sie machten einige Aeſte
eines Baumes von einander, und ſa-
hen eine Frau an dem Ufer eines Ba-
ches; ſie kehrte ihnen aber den Ruͤ-
cken zu. Jhre ſchoͤne Haare flogen
ganz unordentlich, wohin ſie der Wind
trieb, ſie hatte einen ſchwarzen ſamme-
ten mit Silber-Blumen geſtickten Rock
an, mitten in einer ieden Blume war
ein Stern von durchſichtigen Cryſtall
mit einem Knopfe von Zahl-Perlen
geſetzt. Unſere Reiſende wurden un-
gedultig, das Geſicht dieſer Schoͤn-
heit zu ſehen, und ſtanden im Be-
griff, ſich zu naͤhern, da zwo ſehr
wohlgeſtalte Jungfrauen bey ihr ka-
E 3men,
[70] men, welches ſie noͤthigte, ihren Vor-
ſatz aufzuſchieben. Die Aelteſte von
dieſen Jungfrauen ſetzte ſich dieſer ſchoͤ-
nen Betruͤbten zur Seiten, und ſag-
te zu ihr mit einer Art von Unwillen:
Jch weiß, daß es umſonſt iſt, euch
zur Vernunft zu bringen; aber euer
Schmerz bringt mich zur Verzweife-
lung, er wird mir das Leben koſten.
Jhr kennet meine Verbindung, ich
habe euch erzogen: Wenn euch die
Verzweifelung etwas nuͤtzlich waͤre, ſo
wuͤrde ich mich darein geben; aber es
kann nichts helfen, als eure Schoͤn-
heit zu verringern, und euch in den
Augen eures ungetreuen Gemahls, und
eines Fuͤrſten, den ihr um Gerechtig-
keit bittet, weniger reizend zu machen.
Jhr warte ja ruhiger, euer Herz ließ
ſich ja vor einige Tagen der Hoff-
nung uͤber; was kann denn den
Schmerz, welchen ihr heute bezeuget,
verdoppeln? Dieſe und andere derglei-
chen Reden gaben dieſer ſchoͤnen Be-
truͤbten einigen Troſt, ſo weit, daß
ſie einwilligte, ihren Putz in Ordnung
zu bringen, und ihre Haare zurechte
zu
[71] zu legen. Aber alle dieſe Bewegun-
gen, die ſie machte, um aufzuſtehen,
gaben unſern Neugierigen das Vergnuͤ-
gen nicht, ſie ins Geſicht zu ſehen;
und ſie gieng von dieſen zwo Jung-
frauen begleitet in das Holz, wo ſie
dieſelbe aus dem Geſichte verlohren,
da ſie von dieſer Seite wenig zufrie-
den geſtellt. Sie giengen auch aus
dem Walde, in Hofnung, ihre Neu-
gier zu vergnuͤgen; ſie folgten dem
Wege, der ſie hinein gefuͤhrt hatte,
indem ſie von dieſer Begebenheit rede-
ten. Die einzige Pantaſilee ſagte
nichts, und war tief in Gedanken.
Wie Don Ferdinand ſie ſo trau-
rig ſahe, naͤherte er ſich ihr, um deſ-
ſen Urſach zu wiſſen. Donne Ma-
rie
und Don Alonſo giengen ein
wenig geſchwinder, und blieben voran,
um ihnen die Freyheit, ſich zu unter-
reden, zu laſſen. Jn der That, nach-
dem Don Ferdinand einige Seuf-
zer ausgeſtoſſen hatte, ſo erklaͤrte er
ihr ſeine Liebe in den lebhafteſten und
zaͤrtlichſten Ausdruͤcken. Ohngeachtet
der Pantaſilee die Luſt zu lachen
E 4ankam,
[72] ankam, welches ſie zu verbeiſſen wu-
ſte, ſo ſchlug ſie die Augen beſcheiden
nieder, und ſagte zu ihm mit leiſer
Stimme: die Menſchen waͤren betruͤ-
geriſch, denen man nicht trauen muͤß-
te. Don Ferdinand antwortete
ihr mit Schwuͤren: und da Pan-
taſilee
nicht wußte, was ſie ihm ſa-
gen ſollte, ſo begnuͤgte ſie ſich, ihn
zaͤrtlich anzuſehen, und ihn vollends
durch ihre Blick zu entzuͤnden. Er
wollte ſich alſobald die Gelegenheit zu
Nutze machen, und ſie in ſeine Ar-
me nehmen; aber ſie bediente ſich der
ihrigen, welche ſie die Nacht vorher
viel wuͤrdiger gebrauchet hatte, ihn zu-
ruͤck zu ſtoſſen und davon zu laufen,
dabey ſie zugleich zu ihm ſagte: Glaubt
ihr, Verwegener, daß Gewalt ein
Mittel ſey, mich zu verfuͤhren. Jch
will es euch wohl vergeben, antworte-
te ſie, wie er ſie um Vergebung bat;
glaubet mir, ſeyd ins kuͤnftige kluͤger,
jedoch, ſetzte ſie hinzu, laſſet uns wie-
der zu der Geſellſchaft machen; ich
wollte nicht, daß mein Vetter den ge-
ringſten Verdacht von dem Vorge-
gange-
[73] gangenen haͤtte, und die Zeit wird mir
die Liebe, die ihr vor mich habet, zu
erkennen geben: Das iſt gewiß, daß
es mir leyd thun ſollte, an eines ſo
vollkommenen Herrn Tode Urſach zu
ſeyn. Don Ferdinand, der ſich
eine ſo guͤnſtige Antwort nicht vermu-
thend war, wurde davon ganz ent-
zuͤckt; und ſie kamen wieder zu der
Donne Marie und Don Alon-
ſo
, welche ſich aufgehalten, um an
die Leute bey einer Gutſche, welche
auf jemanden zu warten ſchien, eini-
gen Fragen zu thun. Sie erfuhren von
ihnen, daß ſie einem von den vor-
nehmſten Herrn in Toledo zugehoͤr-
ten, der ihnen aufgetragen, eine frem-
de Frau zu fuͤhren, welche verlangt
haͤtte in dem Walde friſche Luft zu
ſchoͤpfen. Dieſe Rede brachte ſie auf
die Spuhr ihrer Neugier, daß ſie ſel-
bige um den Nahmen der Unbekann-
ten frugen, welche ſie die Frau mit
den Sternen genannt hatten. Die
Bedienten antworteten: es ſey ihnen
unbekannt; ſie wuͤſten nur, daß es
eine vornehme Frau waͤre; und daß
E 5der
[74] der Koͤnig ſie ſehr wohl empfangen haͤt-
te, als ſie ihm einen Brief von der
Jnfantin aus Flandern uͤber-
geben haͤtte. Sie ſetzten hinzu, daß
ſie vollkommen ſchoͤn waͤre, und daß
ſie in dem beſten Gaſthofe von ganz
Caſtilien auf dem Markte von
Cocobee eingekehret. Wie unſere
Reiſende von ihnen weiter nichts her-
aus bringen konnten; ſo beſchloſſen ſie,
in eben dem Hauſe abzuſteigen, um
ſie deſto leichter zu erkennen. Sie ver-
fuͤgten ſich nahe bey das alte Schloß,
ihre Leute warteten da auf ſie, ſie
ſtiegen in die Gutſche, und wandten
ſich durch das Bruͤcken-Thor flugs
nach dem Hauſe, welches man ihnen
angezeiget hatte. Die Frau mit den
Sternen kam erſt des Nachts wieder:
alſo konnte Don Ferdinand und
ſeine Geſellſchaft ſie nicht ſehen; und
die Fragen, welche ſie thaten, gaben
ihnen keine weitere Nachricht.


Laßt uns nun ſehen, was ſich un-
terdeſſen zu Viſo zugetragen. Don
Ferdinand
hatte ſeinen Mantel in
der
[75] der Cataline Kammer gelaſſen,
mehr als zu gluͤcklich, deſſelben ſo
wohlfeil loß geworden zu ſeyn. Seit
dieſen Tagen machte ſich Roderige,
der ein eben ſo eigennuͤtziger als boß-
hafter Kerl war, ſehr fruͤh auf, um
nach Santa Crux zu gehen, und
beſagten Mantel zu verkaufen. Sei-
ne erſte Sorge war, nach einem
Kleider-Haͤndler von ſeiner Kunde
zu gehen, der am geſchickteſten war,
alle Arten von Kleider zu veraͤn-
dern und ſo unkenntlich zu machen,
daß er ſie ſelbſt denenjenigen, welche
ſie verlohren hatten, wieder verkau-
fen konnte. Der Kleider-Haͤndler
verſprach ihm, im Augenblick ſich nach
der Herberge zu begeben, wo er ſei-
ne Sachen gelaſſen hatte, und wo
er unverzuͤglich den Kauf ſchlieſſen
wollte. Roderige war kaum wie-
der gekommen, und wartete ſeiner,
als er durch zweene Gerichts-Knech-
te angehalten und gefangen genom-
men wurde, welche durch das Ver-
gnuͤgen, einen Menſchen ohne Gegen-
wehr gefangen zu nehmen, noch
mehr
[76] mehr aber durch einen Raths-Die-
ner angefriſcht wurden, welcher wie
ein Galeeren-Bube ſchrie: Nehmet
ihn gefangen, haltet ihn feſte, ſehet
euch vor, daß er euch nicht entwiſche;
nach dem Zeichen, das man mir gege-
ben hat, iſt es der Raͤuber, den wir
ſuchen. Wie ſich Roderige gefan-
gen, und mit einem Nahmen benen-
net ſah, den erh ſehr wohl verdien-
te; ſo wurde er ſo beſtuͤrzt, daß er,
an ſtatt zu antworten, auf alle Fra-
gen, welche der Raths-Diener an
ihn that, nichts als ſtammlete und
ſtotterte. Seine Unruhe und Beſtuͤr-
zung dienten nur zur [Bekraͤftigung],
daß er der waͤre, nach dem ſie lie-
fen. Man ließ ihn in die Kammer
treten, welche der Wirth ihm bey ſei-
ner Ankunft gegeben, wohin alle
Gerichts-Knechte aus der Stadt ka-
men, um gerichtliche Huͤlfe zu lei-
ſten, und heimlich mitzunehmen, was
ſie abſeiten und ſchlecht verwahrt an-
treffen wuͤrden. Sie fiengen an Ro-
derigen
bis aufs Hemd auszuziehen,
und ihm alle Ficken durchzuſuchen.
Da
[77] Da ſie aber nichts als funfzehn oder
zwanzig Realen finden, die der
Raths-Diener zu ſich nahm; ſo ſuch-
ten ſie ſeinen Querſack durch, und
hatten nicht viel Muͤhe, den Man-
tel des Don Ferdinands zu fin-
den. Da ſagte der Raths-Diener:
Jch wollte mir wohl die Ohren ab-
ſchneiden laſſen, wenn dieſer Menſch
nicht ein Straſſen-Raͤuber iſt: ſeine
Geſichtsbildung und dieſer Mantel,
den er ohne Zweifel geſtohlen, ma-
chen mir dieſes glaubhaft. Roderi-
ge
, der ſich ein wenig wieder erho-
let, antwortete ihm: Jch ſchwoͤre,
daß man auſſer dem Koͤnige keinen
ehrlichern Menſchen, als mich, in
ganz Spanien antreffen koͤnnte. Weil
er aber wenig gewohnt war, ſich in
dem, weſſen man ihn beſchuldigte,
unſchuldig zu finden: ſo wurde er ſo
verwegen, daß er dem Raths-Die-
ner ſo viel Schimpf-Worte oder
Wahrheiten ſagte, daß dieſer, dem
es verdroß, ohngeachtet der Wirth
ſchrie, daß man ihn ſollte gehen laſ-
ſen, daß er vor ihn Buͤrge ſeyn woll-
te,
[78] te, ohngeachtet des Worts desjenigen,
der die Haͤſcher aufgebracht hatte, und
der ihnen ſchwur, daß es ſein Raͤu-
ber nicht waͤre, daß der Raths-Die-
ner, ſage ich, ihm tauſend Schlaͤge
geben, und nach dem Gefaͤngniß ſchlep-
pen ließ. Der Wirth, der Roderi-
gen
kannte, ſandte geſchwinde nach
Viſo, ſeinem Freunde Oſmin von
dem Zufall ſeines Vettern Nachricht
zu geben. Dieſer begab ſich gleich
nach Santa Crux, welches nicht
weiter als zwo Meilen davon liegt.
Er hielt ſo nachdruͤcklich an, er brach-
te ſo viel unverwerfliche Zeugen, und
gab ſo gute Gruͤnde, denen er eini-
ges Geld kluͤglich hinzuthat, daß Ro-
derige
in weniger als zweenen Ta-
gen von der Anklage des Mantels
ganz loßgeſprochen, und mit der Eh-
re, der ehrlichſte Menſch des Landes
zu ſeyn, aus dem Gefaͤngiß gelaſ-
ſen wurde.


Die beiden Vettern traten den
Weg nach Viſo an, und nahmen
den ungluͤckſeligen Mantel mit ſich,
der
[79] der ihnen damahls wenigſtens eben ſo
viel, als wenn ſie ihn ganz neu ge-
kauft haͤtten, koſtete. Auf dem
Wege frug Oſmin den Roderige,
woher dieſer verteufelte Mantel kaͤ-
me? Dieſe Frage verwirrte ihn,
wegen der Urſachen, deren man ſich
erinnern kann. Wie er aber ſahe,
daß er davon unterrichtet ſeyn woll-
te, und leicht urtheilte, daß ihm
doch die Warheit uͤber kurz oder lang
bekannt werden wuͤrde, ſo antwort-
tete er: Meine Frau und ich haben
einen groſſen Fehler begangen, daß
wir euch das Vorgegangene verhee-
let haben. Was willt du ſagen?
verſetzte Oſmin. Roderige ſagte
weiter: Dies iſt der Mantel, den
meine Frau einem von den Reutern
genommen hat, die bey dem Herrn
geweſen, der bey euch uͤbernachtet,
da ich abweſend geweſen. Jch erin-
nere mich deſſen nicht, antwortete
Oſmin, es ſind ſchon mehr als
zwey Jahre, daß in meinem Hauſe
kein Mantel verlohren worden, und,
wiewohl das Alter allmaͤhlich an-
faͤngt,
[80] faͤngt, mein Gedaͤchtniß zu ſchwaͤ-
chen, ſo kann ich es doch nicht ver-
geſſen haben. Es muß denn hinter
dieſem Mantel ein Geheimniß ſtek-
ken, ſetzte Roderige hinzu, denn
warum ſollte es mir meine Frau ge-
ſagt haben, was ich euch eben ietzo
erzehle. Glaube mir, antwortete
Oſmin, dein Weib hat entweder
deiner geſpottet, oder du willſt mir
etwas weiß machen, und du haſt ihn
ſonſt wo weggenommen[.] Jch kann
euch nichts antworten, ſagte Rode-
rige
, wenn wir aber nach Viſo
werden gekommen ſeyn, ſo ſollt ihr
von meiner Unſchuld uͤberzeugt wer-
den. Mit dergleichen Reden, denen
ſie die Rechnung ihrer Unkoſten hin-
zu thaten, kamen ſie an, und Oſ-
mins
erſte Sorge war, des Rode-
rigen
Sack in Gegenwart ſeiner
Nichte, eines Knechtes und einer
Magd, der einzigen Bedienten ſeines
Hauſes, aufzumachen. Er zog den
Mantel heraus, und frug ſie, ob
ſie ihm nicht ſagen koͤnnten, wem er
gehoͤret haͤtte unter denen, die bey
ihm
[81] ihm in der Zeit, da Roderige ab-
weſend geweſen, eingekehret waͤren?
Der Knecht ſagte gleich anfangs: Es
iſt ſo lange noch nicht, daß man es
vergeſſen haͤtte. Er iſt dem Herrn,
welcher mit ſeiner Frau eben die Nacht,
da euer Vetter wiederkommen iſt,
hier ſchlief. Ambroſa hat recht,
ſetzte die Magd hinzu, ich erkenne
ihn an dieſer Borte und an dem Un-
terfutter ganz wohl, zumahl da ihn
Don Ferdinand mir bey ſeiner
Ankunft gab, und ich ihn in die
Kammer des Herrn trug, wo er lie-
gen blieb, bis einer von ſeinen Edel-
knaben ihn holete. Nichts iſt wah-
rer, ſagte darauf Oſmin, es faͤllt
mir bey, ja, es iſt Don Ferdi-
nands
Mantel, es hat gar keinen
Zweifel mehr. Cataline, die ſich
im Augenblick uͤberfuͤhrt zu werden ſa-
he, ſagte kein Wort, und konnte
keine Liſt erfunden, ſo deutlichen An-
zeigen etwas entgegen zu ſetzen. Wenn
ein eiferſuͤchtiger Mann erſt anfaͤngt,
ſo viel Umſtaͤnde nach einander zu be-
trachten, ſo gehet die Sache gemei-
Fniglich
[82] niglich ſehr geſchwinde. Der Nah-
me Ferdinand, der ausgeſprochen
worden, gab dem Roderige gleich
Verdacht: Er erinnerte ſich, den
folgenden Tag nach ſeiner Ankunft
die Augen ſeiner Frau beſtaͤndig auf
dieſen Herrn geheftet geſehen zu ha-
ben, und alle Anzeigen kamen zuſam-
men, ihm die Schmach, die ihm
angethan war, ſehen zu laſſen.
Er ſchloß, daß dieſer Mantel eine
augenſcheinliche Probe von der Un-
treue ſeiner Frauen ſey. Jn dieſer
Vorſtellung ergriff er ſie bey der
Hand, und ließ ſie in ſeines Vet-
tern Kammer gehen, der ihnen folg-
te, er ſchloß die Thuͤr zu, und ſag-
te zu ihr: Jch will alſobald deutlich
unterrichtet ſeyn, und ich ſchwoͤre,
daß, wenn dieſe Verwegene mir nicht
die Wahrheit bekennet, ich ſie alſo-
bald an dieſem Fenſter aufgangen wer-
de. Hernach machte er dem Oſmin
eine Erzehlung von alle der Liſt und
Kunſtgriffen, kurz, von alle den
Mitteln, welche ſie angewandt hat-
te, um den Don Ferdinand
aus
[83] aus ihrer Kammer zu ſchaffen, wel-
cher ohne Zweifel, wie er ſagte, un-
ter dem Bette muͤſſe geweſen ſeyn.
Cataline that nichts als weinen,
aber Roderige, der von Eifer und
Wuth ganz auſſer ſich war, nahm
einen Strick, und ſagte zu ihr:
Wenn du beym Leben bleiben willſt,
um Zeit zu haben, deine Suͤnden
zu beweinen, ſo antworte frey auf
das, was ich dich fragen werde; Jch
will es dir vergeben, wenn du mir
verſprichſt, mir kuͤnftig treuer zu
ſeyn: ſonſt ſoll dieſer Strick dich ſtra-
fen, und meine Rache vergnuͤgen.
Die von Schmerz und Angſt gedrun-
gene Cataline ſahe ihren Mann
auf eine ſo ruͤhrende Weiſe an, daß
ein Barbar dadurch waͤre erweichet
worden, und geſtand alles, und be-
ſchloß mit Bitten um Verzeihung.
Ehe ich weiter gehe, will ich nur
das dabey ſagen, daß eine Frau ni-
mahls dieſes bekennen muß. Nach ei-
nem ſolchen Geſtaͤndniß, welches der
Natur ungemein viel koſtet, fiel ſie
in Ohnmacht, und der Mann lief
F 2zu
[84] zu ihr, um ſie mit dem Dolche durch-
zuſtoſſen. Er wuͤrde ſein Vorhaben
vollfuͤhret haben, wenn nicht ſein
Vetter, den der Zuſtand dieſes un-
gluͤcklichen Weibes ruͤhrte, ihn da-
von abgehalten haͤtte. Laß ſie leben,
ſagte er zu ihm, daß iſt die groͤßte
Rache, welche du ausuͤben kannſt;
die Furcht des Todes iſt erſchroͤckli-
cher, als der Tod ſelbſt: Jch bin,
fuhr er weiter fort, in dieſer Sache
faſt eben ſo viel beleidiget, als du,
laßt uns mit einander ſehen, was
wir fuͤr einen Weg nehmen wollen,
und laßt uns vornemlich ein Ungluͤck,
das zum Gluͤck keinem als uns bekannt
iſt, nicht ruchtbar machen. Siehe
dieſes Unwiſſenheit der Leute nicht als
eine Kleinigkeit an; viele Leute wuͤr-
den ihre Ehre nicht achten, wenn ſie
verſichert waͤren, daß niemand ihre
Schande erfahren wuͤrde; glaube
mir, ſtecke deinen Dolch bey, und
huͤte dich, nichts zu thun, das dir
gereuen koͤnnte; komm mit mir, wir
wollen ſie fuͤr die, die ſie gelten kann,
laſſen. Wie er dieſe Worte geendet
hatte,
[85] hatte, ſo ließ er ihn heraus gehen,
ſchloß die Thuͤr zu, wo die arme Ca-
taline
noch ganz ohnmaͤchtig war,
er fuͤhrte Roderigen in ein klein
Zimmer, zog aus einem ſtarken Ka-
ſten einen Beuteln heraus, in welchem
ohngefehr ſechs hundert Realen waren,
und ſagte zu ihm: Der Kluͤgſte und
Gelindeſte wuͤrde den Zorn, den das
Ungluͤck, das dir begegnet iſt, ver-
urſachen muß, nicht zuruͤck halten
koͤnnen, deine Wuͤrde macht es nicht
zur Unmoͤglichkeit, deinem Weibe zu
vergeben: Aber ich liebe euch, den
einen wie den andern, und ich ſehe
euch wie meine Kinder an, ich habe
keine andere Erben, ſo wollte ich euch
auch gerne behalten: aber da ich ſehe,
daß ſich dieſe Sache nicht anders al
mit einem traurigen Ausgange, und
vielleicht mit dem Verluſte aller bey-
den endigen kann, wenn der eine
oder der andere ſich nicht entſchließt,
ſich zu entfernen, ſo giebt mir mein
Alter und meine Erfahrung, welche
mich deſſen verſichern, ein Mittel da-
gegen an die Hand: Nimm dies Geld
F 3und
[86] und ein Pferd, und gehe hin, und
diene dem Koͤnige in einer von ſeinen
Armeen, ich bin verſichert, daß die
Zeit dich das Vorgefallene wird ver-
geſſen laſſen, und ich ſtehe dir dafuͤr,
daß du deine Frau bey deiner Wieder-
kunft antreffen ſollt, wie du es ver-
langen koͤnnen. Denn die Weiber,
denen dergleichen Faͤlle zugeſtoſſen, re-
den hernach in ihre, ganzen Leben ge-
gen ihre Maͤnner allezeit mit vieler
Ehrerbietung, und bemuͤhen ſich, ih-
nen zu gehorchen, weil ſie billig glau-
ben, daß ſie das Recht, im Hauſe
zu befehlen, verlohren haben. Dieſe
kluge Rede uͤberwand den Roderige,
er war jung, beherzt und ſtolz, er
glaubte ſelbſt, viele Geſchicklichkeit zu
haben: denn er hatte vor ſeiner Hey-
rath die Vorſtaͤdte von Malago,
die Fiſcherey zu Velez, die Bauer-
Taͤnze zu Valence und zu Toledo,
den Platz zu Cordua, und den
Markt zu Segovien geſehen; alſo
ſtellte er ſich auch in dieſem Augen-
blick die Freude vor, welche er haben
wuͤrde, wenn er in dem Lande und
in
[87] in den Augen aller derer, die ihn in
ſehr ſchlechten Umſtaͤnden geſehen hat-
ten, in einem ganz andern Aufzuge
erſchiene. Er nahm dahero die ſechs
hundert Realen, und noch drey hun-
dert andere ſtatt des Pferdes, welches
ihm Oſmin angebothen hatte. Er
wollte lieber ſeine Reiſe zu Fuſſe thun.
Er reiſete weg, ohne ſeine Frau zu
ſehen, und nahm den Weg nach den
Canal. Wir wollen ihn gehen laſ-
ſen, und wieder nach Toledo kom-
men.


Um acht Uhr des Morgens wa-
ren alle Leute in der Herberge aufge-
ſtanden, bis auf Don Ferdinand
und Donne Pantaſilee, die von
ihrer Liebe beunruhiget waren, und
nicht hatten ſchlafen koͤnnen. Don
Franceſco
, konnte die ſuͤſſe Nacht,
die er den Tag vorher zu Carcuela
gehabt hatte, nicht vergeſſen, er ſa-
he ſich als den gluͤckſeligſten Menſchen
an, und hab der Geſchicklichkeit des
Don Alonſo tauſend Lobeserhebun-
gen. Die Wolluſt, die er geſchme-
F 4cket
[88] cket hate, erweckten in ihm ein deſto
heftiger Verlangen, ſie nochmahl zu
verſuchen, aber die Mittel ſchienen
ihm deſto unmoͤglicher, weil er ſeine
Verkleidung nicht lange mehr behalten
konnte. Wie er mit dieſen Gedanken
beſchaͤftiget war, ſo ſtellte er ſich, als
befaͤnde er ſich unpaß, um in ſeinem
Bette zu bleiben, und deſto freyer nach-
zudenken. Unterdeſſen noͤthigte Don
Alonſo
den Don Ferdinand,
den ſeine verliebte Ungedult endlich zum
Aufſtehen gebracht hatte, friſche Luft
zu ſchoͤpfen, und auf einem groſſen
Gange des Hauſes, der gegen Nor-
den gelegen, und nach dem Platze von
Cacodure gieng, ſpatzieren zu ge-
hen. Er hatte dieſes Mittel ausge-
ſonnen, der Donne Marie Zeit zu
geben, bey der Pantaſilee den Be-
ſuch abzulegen; ſie war allzu klug als
eine ſolche Gelegenheit ſich nicht zu
Nutze zu machen. So bald ſie dem-
nach ihres Mannes Entfernung merk-
te, gieng ſie nach ihrer Kammer. Sie
fand leicht einen Vorwand, ihr
Bedienten zu entfernen, und bediente
ſich
[89] ſich dieſer Freyheit nachdruͤcklich. Aber
Don Ferdinand war viel zu ver-
liebt, als daß er ſich von ſeinem ge-
liebten Gegenſtande ſo lange entfernen
ſollte. Don Alonſo konnte ihn,
ohngeachtet aller ſeiner Geſchicklichkeit,
nicht zuruͤck halten, und wollte durch-
aus von der Pantaſilee neue Zei-
tung hoͤren. Er war im Begriff, un-
ſere Verliebte zu uͤberfallen; denn ſie
machen ſich ſchon fertig, noch einmahl
anzufangen. Aber der Himmel ließ
nicht zu, daß dieſes Ungluͤck ſich zu-
trug, und daß er nichts merkte, er
ſetzte ſich oben bey das Bette der ver-
meinten Kranken. Donne Marie
und Don Alonſo entferneten ſich,
und giengen gar aus der Kammer weg,
um ihnen Freyheit zu laſſen, ſich zu
unterreden. Er gab ihr ſein Verlan-
gen ihre Geſundheit zu hoͤren, und al-
le den Antheil der Liebe oder der Sehn-
ſucht, die ihn eingenommen hatte, zu
verſtehen. Pantaſilee antwortete
ihn mit leiſer Stimme, und ſtoßte ei-
nige Seufzer aus, daß die Liebe, wel-
che er ihr eingefloͤſſet, ſie verhindert
F 5haͤtte
[90] haͤtte zu ſchlafen, und die annehmlichen
Reden, welche er ihr den Abend vor-
her gethan, ſie die ganze Nacht be-
ſchaͤftiget haͤtten. Don Ferdinand
wollte ihr ſeine uͤbermaͤßige Freude be-
zeugen, aber einige Bediente, welche
ſonder Zweifel auf des Don Alon-
ſo
Vorſorge herein traten, unterbrach
alle ſeine entzuͤckende Freude, und noͤ-
thigten ihn, ſelbige zu maͤßigen. Ei-
nige Zeit nachher, da Don Ferdi-
nand
den Don Alonſo kommen
ſahe, ſo zwang ihn der Wohlſtand
wegzugehen. Die falſche Pantaſi-
lee
hieß alsdenn ihren vorgegebenen
Vettern auf ihr Bette ſetzen, bezeug-
te ihm die herzlichſte Erkenntlichkeit
fuͤr dasjenige, was er ihr zu Liebe
gethan hatte, und das aͤuſſerſte Ver-
langen, das er haͤtte, ihm hievon Pro-
ben zu geben. Aber du muſt, mein
lieber Alonſo, ſagte er, indem er
ihn umarmte, das, was du mit ſo
groſſer Geſchicklichkeit verrichtet haſt,
vollends zu Ende bringen, ich werde
ſterben, wenn du mich nicht noch ei-
ne Nacht, die der zu Carcuela
gleich
[91] gleich iſt, verſchaffeſt. Jch verſpreche
es euch, antwortete ihm Alonſo,
aber wozu wird es euch helfen, wenn
ihr allemahl nur deſto heftigere Be-
gierden bekommet, ich befuͤrchte alle
Augenblick, daß ihr entdeckt werdet:
welchem Ungluͤck wird Donne Ma-
rie
und ihr nicht ausgeſetzet ſeyn?
Jch ſchwoͤre dir bey Edelmanns Glaub-
ben, antwortete ihm Don Fran-
ceſco
, daß ich mich morgen von der
Donne Marie ſcheiden werde,
wenn du mir heute die Gefaͤlligkeit,
darum ich dich bitte, verwilligeſt: Jch
weiß, wie gefaͤhrlich meine Verklei-
dung fuͤr ſie und mir in einer ſo groſ-
ſen und dem Hofe ſo nahen Stadt
iſt. Don Alonſo gab ihm ſein
Wort, und wollte ihn noch mehr be-
ſtaͤrken; er ſagte deswegen hernach:
Jhr wiſſet, daß der wegen eures Ge-
ſchlechts betrogene Ferdinand euch
heftig liebet, beweiſet ihm mehr Liebe:
Jch habe ſchon den Anfang gemacht,
unterbrach ihm Don Franceſco:
Um deſto beſſer, verſetzte Alonſo,
fahret denn heute fort, und ſagt ihm,
daß
[92] daß ihr erlaubet, daß er dieſe Nacht
bey euch ſchlafe, daß er um eilf Uhr
kommen koͤnne, und daß er die Thuͤr
eurer Kammer offen finden ſollte; be-
fehlet ihn vornehmlich das groͤßte Still-
ſchweigen in Ansehung meiner an,
der ich in eurer Kammer ſchlafe; er
wird euch glauben, denn woran kann
derjenige, der mit ſolchem Feuer liebet,
zweifeln? Welcher Gefahr ſetzen ſich
nicht die kluͤgſten Menſchen aus Hof-
nung der Wolluſt aus! Jch will den
Augenblick mit der Magd dieſes Hau-
ſes reden. Sie ſcheinet mir, daß man
bald mit ihr zurecht kommen koͤnne,
und die einem Herrn ihre Gunſt nicht
abſchlagen kann; Jch will ihr geben,
daß ſich ſich ein hollendiſch Hemd, eine
ſchoͤne Nachthaube, und wohlriechen-
den Puder kaufen koͤnne: Jch will
ihr eben das Stillſchweigen anbefehlen,
das ihr von dem Don Ferdinand
werdet gefordert haben, und ich will
ſie um halb eilf Uhr beſtellen: ihr ſol-
let ein wenig vorher, ehe ſie ankommt,
weggehen, und in der Kammer eurer
Leute, die Befehl haben werden ih-
re
[93] re Thuͤr offen zu laſſen, verziehen.
Jch will die Magd in meinem Bet-
te erwarten; ich will daraus wegge-
hen unter dem Vorwande etwas noͤ-
thtiges zu verrichten: kurz darauf nach
ihrer Ankunft will ich ihr ſo ſachte,
als es mir moͤglich ſeyn wird, ſagen,
meiner zu warten; ich ich will zu
euch in die Kammer eurer Leute kom-
men, wo ihr noch ſeyn werdet. Jhr
muͤſſet eine Urſache ausfinden, um
Don Ferdinanden zu verſtaͤndi-
gen, warum ihr nicht in dem Bette
ſeyn werdet, worin er euch dieſen
Morgen geſehen hat: ſaget ihm, ſich
beym Hineingehen zur Linken zu hal-
ten, er wird die Magd fertig finden,
ihn wohl zu empfangen: und unter-
deß, daß er bey ihr ſeyn wird, wer-
det ihr nach ſeiner Frau gehen. Nach-
her werdet ihr auf nichts mehr als auf
Mittel denken muͤſſen, euer Stillſchwei-
gen bey eurer Frau Mutter zu ent-
ſchuldigen; ſeyd ruhig, ich will ſchon
alles ins Feine bringen, wenn wir bey
ihr ſeyn werden. Don Franceſco
war allzu vergnuͤgt, um die Verbind-
lichkeit
[94] lichkeit auszudruͤcken, welche er dem
Don Alonſo wußte, der ihn ver-
ließ, um alles zurecht zu machen: da
indeß ſein Herr aufſtand, der Don-
ne Marie
von ſeinen Anſtalten Nach-
richt gab, und den Don Ferdinand
beſtellete, ſo daß ſie alle die Nacht
mit der aͤuſſerſten Ungeduld und gar
mit ein wenig Betruͤbniß erwarteten.
Denn je hitziger die Begierden ſind,
deſto weniger ſind die Menſchen froͤ-
lich.


Vor zehn Uhr gieng Don Fran-
ceſco
aus ſeiner Kammer; und die
Magd begab ſich kurze Zeit nachher
auf den Weg, nach der Abrede mit
Don Alonſo. Sie hatte alſobald
Luſt gehabt zu wiſſen, ob die Um-
armungen eines Edelmannes angeneh-
mer waͤren als der Stall-Knechte.
Wer ſie bey Tage geſehen haͤtte, wuͤr-
de uͤber ohren poßirlichen Haupt-Putz
gelacht haben. Sie war nach dem
Geſchmack einer Dorf-Braut ge-
ſchmuͤckt, die ſich mehr durchgeraͤu-
chert als eine Alte, die ſich auf einem
beſtell-
[95] beſtellten Sammel-Platz fertig macht,
und die Fehler des Alters und der Natur
ausbeſſern will.


Wie die Magd in der Kammer
angelangt war, wo ſie Don Alon-
ſo
erwartete; ſo machte ſie die Thuͤr
leiſe zu, und fand ohne Muͤhe das
Bette, das er ihr angezeiget hatte:
denn ſie konnte des Nachts wohl wan-
dern. Don Alonſo nahm ſie in
ſeine Arme. Der liebliche Geruch und
die Beſchaffenheit des Orts lieſſen ihn
bald vergeſſen, von was fuͤr Art die-
ſes Maͤdgen war, und noͤthigte ihn,
ſie als ein gutes Gluͤck anzuſehen; und
bald erkannte er in dem Vergnuͤgen,
das er empfand, daß viele vornehme
Frauen ihm in einer gleichen Finſter-
niß nicht angenehmer geweſen waͤren.
Er blieb nur eine Viertel-Stunde bey
ihr, allezeit in dem tiefſten Stillſchwei-
gen, und da die Stunde ſeines Herrn
nahe war, ſo gieng er ſachte hinaus,
und zu ihm in ſeiner Leute Kammer.
Sie ſcherzeten einige Zeit uͤber das,
was ſich zugetragen. Auf der andern
Sei-
[96] Seite zaͤhlte Don Ferdinand alle
Augenblicke, nach der Pantaſilee
zu gehen, er ſtand auf, ſo bald er eilf
ſchlagen hoͤrte: Er war kaum mitten
auf dem Gange, auf welchem die Kam-
mern des Hauſes herum waren, da er
ein Geſpenſt ſahe, welches zu ihm kam,
und ihm ein ſo groſſes Schrecken ein-
jagte, daß er auf der Stelle zuruͤck
gehen wollte; Aber eben dieſe Geſtalt
war alſobald vor ihm. Wie er alſo
genoͤthiget war, ſtille zu ſtehen, ſo er-
kannte er klaͤrlich, daß dieſe Perſon
das Geſicht ein wenig bedeckt hatte.
Er zog ſeinen Dolch, und druͤckte ſich
an die Mauer, um ſich zu vertheidi-
gen, im Fall er von dieſer Geſtalt
angegriffen wuͤrde, welche ſo nahe zu
ihm kam, daß er bey dem Scheine ei-
ner Lampe, welche den Gang erleuch-
tete, ſeinen Vater erkannte, der vor
kurzer Zeit geſtorben war, und der
drey oder vier Seufzer ausſtieß, und
nachher mit einer fuͤrchterlichen Stim-
me zu ihm ſagte: Wo geheſt du hin?
Gehe in dich, lebe als ein Chriſt;
Wann du wuͤßteſt, was ich im Fege-
feuer
[97] feuer ausſtehe, ſo wuͤrdeſt du dein Le-
ben aͤndern. Beweine deine Suͤnden,
denn du wirſt morgen ſterben. Bey
dieſen Worten verſchwand das Ge-
ſpenſt, und Don Ferdinand blieb
ſo verwirrt, daß er weinete, GOtt
um Vergebung bat, und ſich nichts
angelegener ſeyn ließ, als wieder in
ſeine Kammer zu gehen, und ſich bey
ſeine Frau zu legen, da er ſich ent-
ſchloß, eher zu ſterben, als eine einzi-
ge Tod-Suͤnde zu begehen, Wie in-
zwiſchen Don Franceſco ſahe, daß
es ſchon einige Zeit eilfe geſchlagen hat-
te, verfuͤgte er ſich nach der Thuͤr der
Donne Marie: aber er fand ſie
verſchloſſen. Er gieng einige mahl wie-
der hin mit eben ſo wenigen Fortgang.
Wie er endlich ſehr unruhig war, was
wohl moͤchte vorgegangen ſeyn, ſo warf
er ſich auf das Bette eines ſeiner Knech-
te, wo er den Reſt der Nacht zubrachte.
Die Magd wartete ihrer Seits auf die
Wiederkunft des Don Alonſo; da
ſie aber ſahe, daß er nicht erſchien, ſo
begab ſie ſich nach ihrer Kammer, und
Gzwei-
[98] zweifelte nicht, daß man ihrer nur ge-
ſpottet haͤtte.


Don Ferdinand ſtand Mor-
gens um ſechs Uhr auf, und wollte bey
den Theatinern beichten, er hoͤrte
die Meſſe, that ſeine Gebeter, und
gieng aus der Kirche hinaus, um in noch
vielen andern Vergebung zu erhalten,
und wollte bey der Haupt-Kirche an-
fangen. Nachdem er aber uͤber Alca-
na
oder Kramer-Straſſe gegangen, und
in eine kleine Straſſe gieng, welche nach
der groſſen Kirche fuͤhrte, ſo begegnete
ihm ein Menſche, welcher beſtuͤrzt wur-
de, ihn zu ſehen, ſtille ſtand, ſeinen
Dolch auszog, und ihm einen Stoß bey
der linken Bruſt verſetzte, dabey er ganz
laut ſagte: Stirb, du Verraͤther, der
mir meine Ehre geraubet. Er ließ den
Dolch in dem Coͤrper ſtecken, und begab
ſich in die Kirche. Viele Leute liefen
dem Verwundeten zu Huͤlfe, und tru-
gen ihn in das naͤchſte Haus, wo nach
dem Gebrauche der eine ihn betrachtete,
der andere ihn beweinete, ein anderer ihn
fragte, der eine einen Feldſcher, der an-
dere
[99] dere Pflaſter holete, ein anderer ſein
Blut durch Zaubereyen aufhielt, welche
das geiſtliche Religions-Gericht erlau-
bet, wegen des Nutzens, den man aus
dieſen heiligen Worten zieht. Aber die
Sorgfalt und die Worte halfen ihm we-
nig. Jnzwiſchen hoͤrte man Geſchreye,
und ein groß Lermen vor der Thuͤr der
Kirche: Ein Hauffen Gerichts-Knech-
te und andere verordnete Perſonen woll-
ten mit Gewalt hinein gehen, um den
Moͤrder des Don Ferdinands an-
zuhalten, da das Volk und die Prieſter
ſie davon abzuhalten ſuchten. Der Lerm
wurde um deſto groͤſſer, da der Schul-
dige gefangen und wieder weggenommen
wurden: Auf der einen Seite rief die
Obrigkeit im Nahmen des Koͤniges um
gerichtlichen Beyſtand; Auf der andern
ſchrien. die Pfaffen: Helfet der Kirche.
Die Obrigkeit nahm ihn endlich mit,
und der Uebelthaͤter wurde wider der
Pfaffen Willen ins Gefaͤngniß gebracht.
Don Antonio, der Stadthalter,
kam auf dieſen Lermen herbey, und ließ
den Verwundeten nach ſeiner Herberge
tragen, und begleitete ihn ſelbſt, um ſich
G 2wegen
[100] wegen ſeines Standes und der Urſachen
ſeines Ungluͤcks zu erkundigen. Das
Weinen und Heulen der Donne Ma-
rie
und aller ſeiner Bedienten war ent-
ſetzlich, wie man ihn auf einem Bette
in dem untern Saale, wohin man ihn
gelegt hatte, ausgeſtreckt ſahe. Die Frau
mit den Sternen, die ſich noch nicht hat-
te ſehen laſſen, lief bey dem Lerm herzu,
und kam bey den Verwundeten, der ſei-
ne Frau mit groſſem Muthe troͤſtete,
und ſie inſtaͤndigſt bat, keine Zeit zu ver-
lieren, und ihm die Sacramente reichen
zu laſſen. Nachdem ihn die Dame mit
den Sternen mit vieler Aufmerkſamkeit
betrachtet hatte, ſo fiel ſie ohnmaͤchtig
nieder, und ſagte: Ach! das iſt mein
Vetter. Man brachte ſie eiligſt in ihre
Zimmer, und vornehmlich wollte ſie der
Stadthalter, da er von ihrer Schoͤn-
heit eingenommen war, nicht verlaſſen.
Kaum war ſie weggegangen, da Don
Ferdinand
den letzten Seufzer von
ſich gab; Man riß die Donne Ma-
rie
mit Muͤhe von ſeinem Leichnam
weg. Unterdeſſen hatte die Hofmeiſte-
rin der Frau mit den Sternen, die in
der
[101] der Meſſe geweſen war, den Don
Franceſco
und Don Alonſo an-
getroffen, und beſchloß, ſie nicht aus
dem Geſichte zu verlieren: Sie folgte
ihnen, da ſie auf das Ungluͤck, das dem
Don Ferdinand zugeſtoſſen war,
in das Wirthshaus liefen. Sie wurde
beſtuͤrzt, wie ſie dieſelben in das Haus,
worin ſie eingekehret war, gehen ſahe.
Sie wollte vergnuͤgt uͤber ihre Entde-
ckung ihrer Frau geſchwinde Nachricht
davon geben; Sie war ſich nicht vermu-
then, ſie ohne Verſtand mit vielen Leu-
ten um ihr anzutreffen, die ſich angelegen
ſeyn lieſſen, ſie wieder zu ſich ſelber zu
bringen. Sie gieng naͤher hinzu, und
da ſie wieder Verſtand zu bekommen
ſchien, ſo brachte ſie ſie voͤllig wieder zu
ſich, indem ſie ihr ihren gehabten Vor-
fall ganz ſachte erzehlte. Sie bezeugte
ihr ihre Freude und Verwunderung,
aber ſie ſagte mit ſo groſſer Lebhaftigkeit,
daß man dem Hofe davon eilig [Nachricht]
geben muͤſte, daß der Stadthalter ſeine
Dienſte ihr anboth, und ihr ſeinen Stand
eroͤfnete. Da berichtete ſie ihm die Be-
fehle, welcher der Koͤnig gegeben hatte,
G 3um
[102] um einen jungen Menſchen, die ſich in
dieſem Hauſe als eine verkleidete Frau
aufhielt, anhalten zu laſſen. Don
Antonio
ſchickte den Augenblick eine
Wache vor die Thuͤr des Hauſes, mit
Befehl, keinen Menſchen hinaus zu laſ-
ſen, und da er ſich bey ihr allein befand,
ſo bezeugte er ihr die Neubegier und den
Antheil, den eine ſo ſchoͤne Perſon in
ihm erweckte. Die Frau mit den Ster-
nen, die erkannte, was er ihr fuͤr Dien-
ſte leiſten koͤnnte, machte keine Schwuͤ-
rigkeit, ihn zu vergnuͤgen, da ſie zu-
mahl uͤberzeugt war, daß die Erzehlung
ihres Ungluͤcks ihn nothwendig ruͤh-
ren, und zu ihrem Beſten zum
Mitleiden bewegen
koͤnnte.

[figure]


[]

Geſchichte
der
Hortenſie
von
Mendoſa
.


[]
[105]

Jhr kennet das Geſchlecht von
Mendoſa; das iſt das mei-
nige; ich heiſſe Hortenſie,
und bin zu Ubeda, einer
der vornehmſte Staͤdte des Koͤnig-
reichs Granada, gebohren. Jch bin
mit dieſem verwundeten Edelmann, den
ihr hieher bringen laſſen, erzogen wor-
den. Da wir Kinder von zween
Bruͤdern, und ſeit unſerer zarteſten
Kindheit vereinigt waren, ſo habe
ich fuͤr ihm eine Freundſchaft behal-
ten, die mich, wie ihr geſehen, bey
dem Zuſtande, wo ich ihn wieder
angetroffen, empfindlich gemacht hat.
Jch war kaum zwey Jahr alt,
da mein Vater als Hauptmann ei-
ner Compagnie der leuchten Reuter
unter dem Befehl des Herzogs von
Alba nach Flandern zog. Die
wichtigen Dienſte, welche er that,
machten, daß er bald zu den an-
ſehnlichſten Ehren-Stuffen ſtieg.
Aber das Gluͤck iſt allezeit mit Bitter-
keit vermengt. Jch war zehn Jahr
G 5alt,
[106] alt, da meine Mutter ſtarb. Jch
fuͤhlte die Groͤſſe meines Verluſtes
nur mittelmaͤßig. Mein Vater
vernahm zu gleicher Zeit, daß mei-
ne Schoͤnheit anfieng beruͤhmt zu
werden, und weil er ſich wegen der
Sorge fuͤr meine Auffuͤhrung auf kei-
nem als auf ſich ſelbſt verlaſſen woll-
te, ſo kam er zu mir nach Spanien,
und nahm mich aus dem Hauſe ſeines
Bruders, des Don Ferdinands
Vaters, in welchem man mich auf-
genommen hatte. Er fuͤhrte mich
nach Flandern, und gab mich
an die Jnfantin, unſers Koͤniges
Schweſter und des Erzherzogs Al-
berts
Gemahlin. Sie nahm mich
in die Reihre ihres Hof-Frauenzim-
mers auf. Dieſe Prinzeßin hatte vie-
le Gewogenheit fuͤr mich, und ich
kann verſichern, daß ich mich die Lie-
be ihres ganzen Hofes erwarb. Mit-
ten unter ſo vielen Gluͤckſeligkeiten
und Lobeserhebungen, welche man von
mir machte, indem man mir den Preiß
der Schoͤnheit uͤber alle Frauen in
Flandern zugeſtand, ſtarb mein Va-
ter,
[107] ter, der an Jahren und Ruhm zu-
genommen, und ich empfand dieſes
Ungluͤck nachdruͤcklich. Doch die Ju-
gend troͤſtete mich in kurzer Zeit, und
mein Gram endigte ſich mit meiner
Trauer. Jch fieng bald an den Re-
den der jungen Leute Gehoͤr zu ge-
ben. Dies geſchah zwar mit ſo viel
Klugheit und Eingezogenheit, daß
meine Gespielinnen ſelbſt mir nichts
vorgeworfen haben. Allein endlich
machte die Liebe, deren Herrſchaft
man uͤber kurz oder lang erfahren
muß, daß von den Verdienſten eines
jungen Herrn, des Herzogs von An-
daluſien
Sohn, geruͤhret wurde,
welcher erſt ſeit einigen Tagen an den
Hof der Jnfantin angelanget war.
Ohngeachtet aller Buͤcher, die ich ge-
leſen, ohngeachtet aller der Rathſchlaͤ-
ge, die man mir gegeben, ohngeach-
tet aller der Exempel, die ich vor Au-
gen gehabt hatte, ohngeachtet der Fa-
ſten, Gebete, und Betrachtungen,
welche ich anſtellte, um mich zu ver-
wahren, konnte ich doch die Liebe
aus meinem Herzen nicht heraus trei-
ben.
[108] ben. Jch ſahe den Don Franceſ-
co
an, ohne mich davon abhalten zu
koͤnnen, und ich laß mit Vergnuͤgen
in ſeinen Augen, daß er mich mit
eben der Luſt anſaͤhe. Endlich wur-
de ich durch ſeine Thraͤnen uͤberwun-
den, durch das Wort, das er[ ]mir
gab, mich zu heyrathen, entſchloſ-
ſen, ich ergab mich ihm. Aber kaum
hatte er das groͤſte Geſchenk, das ich
ihm machen konnte, erhalten, da er
vom Hofe weggieng. Jch erfuhr,
daß er wieder in ſein Vaterland ge-
kommen. Urtheilet, in was fuͤr ei-
nem Zuſtande ich mich gebracht fand?
Der einzige Weg, der ſich vor mich
ſchickte, war, mich der Jnfantin zu
Fuͤſſen zu werfen, und ihr mein Un-
gluͤck und die Verraͤtherey, die mir
begegnet war, zu erzehlen. Die
Prinzeßin wurde anfangs unwillig
gegen mich; aber da ſie die Briefe,
die er mir geſchrieben hatte, durchge-
leſen, und das Verſprechen der Ehe,
das er mir gegeben, unterſuchet, ſo
ſchrieb ſie an den Koͤnig, ihren Bru-
der,
[109] der, und hab mir ihren Brief mit.
Jch begab mich mit zwo Jungfrauen
und zween Edelleuten, die mich be-
gleiten ſollten, auf den Weg. Mei-
ne Reiſe iſt gluͤcklich geweſen. Jch
bin zu Toledo angekommen. Jch
hab den Koͤnig den Tag, da er von
da weggereiſet iſt, geſehen, er hat den
Brief von der Prinzeßin, ſeiner Schwe-
ſter, geleſen, er hat meine Gruͤnde
gehoͤrt, und einen Gefreyten von
ſeiner Leibwache Befehl gegeben, den
Herrn, daruͤber ich mich beſchwere,
allenthalben, wo er ihn antreffen
koͤnnte, in Arreſt zu nehmen. Das
Gluͤck hat ohne Zweifel den Schmerz,
den mir des ungluͤcklichen Don Fer-
dinands
Tod verurſacht hat, lin-
dern wollen, indem es mir Nachricht
gegeben, daß eine von den Frauen,
welche in dieſem Hauſe zur Herber-
ge ſind, eben der Don Franceſco
iſt, um welchen ich Tag und Nacht
Thraͤnen vergieſſe; wuͤrdiget mich,
ſetzte ſie hinzu, zu rathen, und mich
nach dem Stadthalter zu fuͤhren, die
Jnfantin, meine Frau, wird euch da-
fuͤr
[110] fuͤr danken, und der Koͤnig, der die
Gerechtigkeit liebet, wird es euch ver-
gelten. Der Stadthalter bat ſie,
ſich auf ſein Verlangen zu verlaſſen,
das er haͤtte, ihr zu dienen, und das
noch ſtaͤrker waͤre als die Vorſtel-
lung, was dieſe Prinzen ihres Theils
verdienten. Jch werde eure Sache
ohne Lerm und ohne Proceß endi-
gen, ſagte er ihr, auf allen Fall
will ich euren Mann gefangen neh-
men, und an einen Ort bringen, wo
ihn der Koͤnig wird die Strafe koͤn-
nen ausſtehen laſſen, welche er fuͤr
ihm bequem finden wird. Dies iſt
eine Gelegenheit, der ich mich zu
Nutze mache, um die Verbindlichkeit
zu erkennen, die ich vor einem Va-
ter gehabt habe, davon ihr mir eine
ſo wuͤrdige Tochter ſcheinet, [und] un-
ter deſſen Befehlen ich lange Zeit ge-
dienet habe. Jch habe nur einen
Zweifel, fuhr er weiter fort, ich be-
fuͤrchte, daß eure Hofmeiſterin ſich ge-
irret habe, denn es duͤnket mich ſchwer,
daß eine Manns-Perſon ſo viel
Schoͤnheit als die Frauen, die ich
bey
[111] bey dem Verwundeten geſehen, ha-
ben koͤnne. Seyd verſichert, verſetz-
te ihm die Hofmeiſterin, daß ich mich
nicht betrogen, ihr glaubt doch wohl,
daß er mir nicht unbekannt ſeyn
kann, und daß die Zeit einer Meſſe
hinreichend geweſen iſt, um ihn ſo-
wohl als Don Alonſo, einen von
ſeinen Edelleuten, genau zu betrachten:
Er hat ein Frauen-Kleid von weiſ-
ſen ſilbernen Damaſt an. Jch will
alſobald mit ihm ſprechen, ſagte der
Stadthalter, und eure Sachen in
Ordnung bringen; ſeyd ruhig, meine
Frau, ſagte er zu ihr beym Abſchied
nehmen. Nachher gieng er in die
Kammer, wo Donne Marie,
Donne Pantaſilee und Don
Alonſo
waren. Ob er gleich uͤber
ihrer ausnehmenden Schoͤnheit erſtau-
net war, ſo gieng er doch hinein, oh-
ne ſie zu gruͤſſen. Er redete den
Don Alonſo mit einem ernſthaften
Geſichte an: Bekennet alſobald die
Urſach, die euch bewogen hat, den
Don Ferdinand ermorden zu laſ-
ſen, oder ich will es auf der Folter
von
[112] von euch heraus bringen. Don
Alonſo
, der ſehr beſtuͤrzt wurde,
antwortete ihm mit einem Adlichen
Stolze, und mit der Verſicherung,
welche die Unſchuld geben kann, daß
der Koͤnig ihm keine Gewalt vertrauet,
als nur um die Schuldigen zu ſtra-
fen, und nicht ehrliche Leute zu be-
ſchimpfen. Der Stadthalter ließ
durch ſeine Wache alle Leute hinaus
jagen, um den Don Alonſo zu ver-
nehmen, der doch ein [Verbrechen], das
er nicht begangen, nicht bekennen
konnte. Er befahl, daß man die Don-
ne Marie
zu ihm braͤchte; er ver-
both ausdruͤcklich, daß man die Ge-
fangenen mit einander, auch ſo gar
nicht, wenn man ſie von einander tren-
nete, ſprechen laſſen ſollte. Die Fra-
gen, die er an dieſe ſchoͤne Wittwe er-
gehen ließ, waren nicht lang, ſie wa-
ren auch nur zum Schein. Er ließ
ſich nachher Pantaſilee herbrin-
gen, und ſagte nach einige allgemeinen
Fragen zu ihm: Muß man ſich wun-
dern, daß das Volk nicht mehr Tugend
bezeiget, da der Adel ihm ſo boͤſe Ex-
empel
[113] empel giebt? Die Edelleute waren
vormahls Muſter der Tugenden.
Jſt es moͤglich, daß ein Herzog, deſ-
ſen Muth und Tapferkeit jetzo in der
Welt beruͤhmt werden muͤſten, ſich
ſo weit habe vergeſſen koͤnnen, daß
er unter einer ſo unanſtaͤndigen Klei-
dung ſich ſehen laͤſſet, und reiſet?
Vergebet mir, fuhr er fort, wenn
ich ſo frey zu euch rede, und, da ich
euch kenne, eure Auffuͤhrung nicht
lobe. Unwuͤrdige Schmeichler allein
koͤnnten anders zu euch reden; was
mich aber anbetrift, ſo glaubte ich
Ehre und Redlichkeit zu vergeſſen,
wenn ich euch die Wahrheit verhehl-
te. Jch rede mit euch nicht von dem
Tode des Edelmanns, mit dem ihr
hier angekommen ſeyd; ich glaube,
daß ihr keinen Theil daran habt, und
daß wir allem abhelfen koͤnnen:
aber erlaubet mir, euch zu ſagen, als
euer und eures ganzen Hauſes Die-
ner, daß ihr keinen beſſern Vor-
ſchlag zu nehmen habt, als eiligſt
wieder nach Flandern zu gehen, und
die Tocher des Gonſalve von
HMen-
[114]Mendoſa zu heyrathen. Jhr muͤſ-
ſet aus allen Urſachen ihre und eure
Ehre wieder gut machen. Wenn ihr
euch nicht dazu entſchlieſſen wollet,
ſo befehle ich euch von Seiten des
Koͤniges, alſobald das Kleid, das ihr
traget, abzulegen, das eurige wieder
zu nehmen, und mit mir nach dem
Koͤnige zu gehen, der in Anſehung
des Briefes, den er von der Jnfan-
tin empfangen hat, mit euch ſpre-
chen wird. Uebrigens koͤnnet ihr mir
nichts verhehlen, denn Don Alon-
ſo
, euer Edelmann, hat mir alles
geſtanden. Don Franceſco wur-
de ſehr beſtuͤrzt, daß er den Stadt-
halter ſo frey reden hoͤrte, und ſehr
verdrießlich, da er vernahm, daß der
Koͤnig von ſeiner Auffuͤhrung unter-
richtet waͤre. Denn die Monarchen
von Spanien ſind unumſchraͤnkt,
und die Obrigkeit hat ſogar uͤber die
Groſſen ſo viel Gewalt, daß einer
von ihnen, der einem Gerichtsdiener
Stockſchlaͤge geben wollen, von dem
Praͤſidenten in Caſtilien zu einer ſehr
anſehnlichen Geld-Strafe verdammt
wur-
[115] wurde. Don Franceſco, der die-
ſen Gebrauch wohl wußte, gab ſich
auf die gelinde Seite, und antwor-
tete ihm: Jch will das Laſter, das
heut zu Tage herrſchet, nicht verthei-
digen; und weit gefehlt, daß ich mei-
ne Auffuͤhrung rechtfertigen wollte.
vielmehr tadle ich ſie: aber die Liebe
hat allezeit die groͤßten Leute uͤber-
wunden; und ich wuͤrde euch ſelbſt
fragen, ob euch dieſe Leidenſchaft un-
bekannt ſey, und ob ihr nicht zu eben
dieſer Liſt eure Zuflucht genommen
haͤttet, wenn ihr waͤret verſichert ge-
weſen, daß ſie euch gelungen waͤre?
Der Stadthalter gab ihm Recht.
So habe ich denn, was die Verklei-
dung betrift, nicht ſo groß Unrecht,
verfolgte Don Franceſco; Und
was die Heyrath anbelangt, ſo
ſchwoͤre ich euch, das Wort zu hal-
ten, das ich der Frau, von der ihr
redet, gegeben habe: Jch thue noch
mehr, ich gebe euch mein Wort,
morgen nach Madrid zum Koͤnige
zu gehen, ihn um Vergebung des be-
gangenen Fehltrittes und um Er-
H 2laub-
[116] laubniß zu bitten, alſobald nach
Flandern zu derjenigen zu gehen,
welche ich allezeit als meine Frau an-
ſehen will, und von der ich mich nur
auf Befehl meiner Verwandten ge-
trennet habe. Sehet, das iſt mein
Vorhaben. Alles, was ich von eurer
Hoͤflichkeit verlangen wuͤrde, wuͤrde
ſeyn, meine Begebenheit nicht kund
zu machen. Jch verſpreche euch mei-
ner Seits, verſetzte der Stadthalter,
alle meine Sorge darauf zu richten,
doch im Fall, daß weder ihr noch eu-
re Leute an dem Tode des Don
Ferdinands
nicht ſchuldig ſeyd.
Jch ſchwoͤre euch bey Edelmanns Treu
und Glauben, fiel ihm Don Fran-
ceſco
in die Rede, daß ihr mich un-
ſchuldig finden werdet. Jn dieſem
Fall, verfolgte der Stadthalter, er-
laubet mir, euch zu umarmen, und
euch der Reiſe nach Flandern zu
uͤberheben. Don Franceſco wuß-
te nicht, was er ſagen wollte, und
folgte ihm in die Kammer, darin Hor-
tenſie
war. Er ſahe anfangs ihr
Geſicht nicht, weil ſie ſich auf ihrem
Bette
[117] Bette tief eingedruͤckt, und auf ei-
nem damaſtenen Kuͤſſen ſaß, auch
mit Jasminen, Blumen, Lilien und
Roſen umgeben war. Der Schmerz,
den ſie ausgeſtanden hatte, und die
Ohnmacht, von der ſie ſich kaum er-
holet hatte, hatten ihr Schoͤnheit
ein wenig verdorben: Aber ſo bald
er ſie erkannte, lief er zu ihr, und
umarmte ſie, ohngeachtet ihres Wie-
derſtandes, wobey er ſie hundert-
mahl ſeine liebe Frau nannte. End-
lich wurden die Erkenntlichkeit und
die Liebkoſungen dieſer zween Ver-
liebten ſo zaͤrtlich und ruͤhrend, daß
der Stadthalter und alle diejenigen,
welche Zeugen davon waren, ſich
mitleidig befanden. Nach dieſen er-
ſten Augenblicken bezeugten ſie dem
Stadthalter die Verbindlichkeit, die
ſie gegen ihm haͤtten, und das Ver-
langen, ſie ſehen zu laſſen. Jhr habt
nur ein Mittel, ſagte er zu ihnen,
das iſt, mein Haus anzunehmen;
denn ich muß, ſetzte er hoͤflich hinzu,
fuͤr meine Gefangene ſtehen. Sie
willigten endlich drein, und er ver-
H 3ließ
[118] ließ ſie, um fuͤr ſie Zimmers zurecht
machen zu laſſen, und ihnen ſeine
Gutſchen zu ſchicken, um ſie hin zu
bringen.


Wie indeß Don Franceſco
durch den traurigen Tod des Don
Ferdinands
beſtuͤrzt und durch die
Liebe und Gegenwart der Horten-
ſie
wieder erwacht war, ſo fand er
ſeine Liebe gegen die Donne Marie
ſo erkaltet, daß er ſich, ohne ihren
ungluͤcklichen Zuſtand, kaum ihres
Daſeyns wuͤrde erinnert haben, von
welchen ſie wahrhaftig ſo geruͤhrt
war, daß ſie kaum die Vortheile
merkte, welche die Tochter des Gon-
ſalve von Mendoſa
uͤber ſie und
uͤber die Rechte, welche ſie auf das
Herz des Don Franceſco wieder
machte, davon trug. Sie hatten
viele Muͤhe, ſie ſchluͤßig zu machen,
daß ſie ihre Geſellſchaft nicht verließ,
da man ihnen die Ankunft der
Gutſchen des Stadthalters berichte-
te. Man verſicherte ſie, daß die Be-
fehle gegeben waͤren, ihr alle ihres
Man-
[119] Mannes Stande ſchuldige Ehre an-
zuthun. Endlich ließ ſie ſich dadurch
bewegen, daß ſie folgte. Sie kamen
alſo alle bey dem Stadthalter an.
Seine Frau Clarina, zwo von ſei-
nen Toͤchtern, und eine Nichte, alle
von einer groſſen Schoͤnheit, em-
pfiengen ſie. Die ganze Geſellſchaft
war nach den erſten Hoͤflichkeitsbe-
zeugungen mit nichts beſchaͤftiget, als
die Donne Marie zu troͤſten; Sie
richteten aber damit wenig aus. Den
folgenden Morgen ſchickte der Stadt-
halter beym Aufſtehen dem Don
Franceſco
ein Feld-Kleid, welches
er fuͤr eines ſeiner Kinder damahls in
Jtalien hatte machen laſſen, deſſen
Alter und Groͤſſe mit ihm voͤllig uͤber-
ein kamen. Das Kleid war von ei-
nem ſehr ſchoͤnen Lacken von Sego-
vien
, das Wamms von Gold-Lacken,
das Unterkleid war an den Seiten of-
fen; alles war mit goldenen Creutzen
bedeckt, und in den Zwiſchen-Raͤu-
men waren Schnuͤren mit ſo groſſer
Kunſt geſticket, daß ſie, wo ſie wieder
zuſammen lieffen, allerley wunderliche
H 4Geſtal-
[120] Geſtalten machten. Der Mantel,
der Hut, der Halskragen, und der
Degen waren von gleicher Koſtbar-
keit. Wie endlich Don Franceſco
erſchien, ſo konnte man nicht ſagen,
ob die heutige oder geſtrige Kleidung
ihm ſchoͤner zuließ. Hortenſie ſahe
ihn ſteif an, und konnte ſich nicht
ſatt an ihm in dem Kleide ſehen, wel-
ches ſich beſſer als das andere, wor-
innen ſie ihn angetroffen hatte, fuͤr
ihn ſchickte. Die Liebe machte, daß
ſie ſich auch nicht enthalten konnte,
ihm tauſend Kuͤſſe zu geben, welche
die Begierden der Frau, der Toͤch-
ter und der Nichte des Stadthalters
nur noch mehr aufbrachten, die ihn
recht nach ihrem Willen fanden.


Es iſt Zeit, wieder auf den Moͤr-
der des Don Ferdinands zu kom-
men. Er war nicht lange auf der
Folter, da er ſein Verbrechen be-
kannte, und ſagte, daß er Roderi-
ge von Garcia
hieſſe, ein Sohn
Peteres Garcia, eines Einwohners
in Viſo, waͤre, daß er des Oſmins
Guti-
[121]Gutierrez, eines Wirths in dieſem
Flecken, Nichte, Nahmens Catalina
von Croix
, geheyrathet haͤtte: und
da er nicht nur Proben, ſondern auch
das Geſtaͤndniß ſelbſt, der Untreue,
die ſie ihm mit Don Ferdinand
angethan, gehabt haͤtte; ſo habe er
ihn erſtochen. Denn nachdem er von
Oſmin Geld bekommen, um in
Flandern gegen die Hollaͤnder zu
dienen; ſo haͤtte ihn der Teufel ver-
fuͤhret, daß er wieder umgekehret,
und ſich nicht haͤtte entſchlieſſen koͤn-
nen, ſie ſeine Ehre uͤberleben zu laſ-
ſen; welches er auch ins Werk ge-
ſetzet haͤtte: da er hernach ſeine
Reiſe weiter fortſetzen wollen, ſo ha-
be ihn ſein boͤſer Geiſt nach Toledo
gefuͤhret; und da er beym Herausge-
hen aus der groſſen Kirche, zum Un-
gluͤck dem Don Ferdinand begeg-
net waͤre, ſo ſey er bey ſeinem An-
blick in eine ſo grauſame Wuth ge-
rathen, daß er ſich nicht habe ent-
halten koͤnnen, ſeiner Rache ein Ge-
nuͤge zu thun. Nach dieſer Erklaͤ-
rung gab der Stadthalter allen Leu-
H 5ten
[122] ten des Don Ferdinands und der
Donne Marie die Freyheit, und
ließ Roderigen ſehr fruͤh aufhaͤn-
gen, aus Furcht, ſeine Hinrichtung
moͤchte einen Aufſtand erregen. Denn
der Ertz-Biſchof hatte ſie nach dem
Gebrauche verboten, und den Stadt-
halter in den Bann gethan, weil
er den Miſſethaͤter in der Kirche in
Arreſt nehmen laſſen, ohne ihn her-
ausgeben zu wollen. Dieſes Ver-
bot war ſo ſtrenge, daß man in kei-
ner Kirche der Stadt Meſſe leſen
konnte, ehe es nicht aufgehoben war.
Wenn aber gerichtlich bewieſen iſt,
daß der alſo gefangen genommene
Menſch des Mordes ſchuldig iſt, ſo
laͤßt die Obrigkeit den Koͤrper in die
Kirche tragen; und in demſelben Au-
genblick iſt das Verbot aufgehoben:
welches man auch mit Roderigen
ſo machte.


Ohngeachtet aller Sorgfalt und
Bemuͤhungen des Stadthalters, ſei-
ne Saͤfte nicht nur in der Stadt, ſon-
dern auch auf einem niedlichen Land-
hauſe,
[123] hauſe, mit Namen Cigaral, wel-
ches er bey Toledo hatte, zu belu-
ſtigen: ſo hatte Don Franceſco
andre Vergnuͤgungen noͤthig, und die
Strenge ſeiner lieben Hortenſie
zehrten ihn nach gerade auf, denn ſie
wollte ihm keine Gunſt iemahls ver-
ſtatten, ehe nicht die Hochzeit voll-
zogen waͤre. Weil er nun ſeine Un-
geduld nicht uͤberwinden konnte, ſo
bath er ſie um Erlaubniß, ſich nach
Madrid zu begeben, um von dem
Koͤnige die Einwilligung ihrer Hey-
rath zu erhalten. Er beſtellte ſeine
Mutter auch dahin, und unterrich-
tete ſie von dem, was ſich begeben
hatte; ſie reiſeten demnach drey Ta-
ge nachher. Donne Marie woll-
te ſie wieder verlaſſen und nach Ube-
da
zuruͤck gehen; aber Don Fran-
ceſco
und Hortenſie wollten nie-
mahls darein willigen: obgleich dieſe
letztere einigen Argwohn uͤber das vor-
gegangene hatte, und folglich etwas
eyferſuͤchtig war. Jedoch der Sohn,
den ſie von ihrem Vetter hatte, der
betruͤbte Zuſtand, worinn ſie war,
wel-
[124] welchen in edelmuͤthigen Herzen das
Antheil verdoppelt, vielleicht auch,
weil ſie ſich, wegen des Vortheils,
den ſie uͤber ſie in des Don Fran-
ceſco
Herzen davon trug, ſchmeichel-
te; alle dieſe Urſachen zwangen ſie,
dieſelbe aufs innigſte zu noͤthigen, ſie
nicht zu verlaſſen. Jhre Bitten hat-
ten vollkommenen Fortgang. Sie
reiſete mit ihnen ſowohl als der
Stadthalter. Der Koͤnig und die
Koͤnigin empfiengen ſie ungemein, und
kuͤſſeten ſie eins ums andere; ja die
Schoͤnheit der beiden Verliebten
nahm den ganzen Hof ein. Der Koͤ-
nig gab dem Don Franceſco zur
Erkenntlichkeit fuͤr die Dienſte ſeines
Hauſes funfzig tauſend Ducaten Ein-
kuͤnfte; und aus Hochachtung gegen
die Vorſprache ſeiner Princeßin
Schweſter, wollte er ihre Hochzeit
auf ſeine Koſten ausrichten. Die
Pracht des Hofes und der Bedienten
war ſehr groß fuͤr die Spiele von
Laſcanos, welche vor der Hochzeit
hergeben ſollten.


Aber
[125]

Aber mitten bey alle dieſem, was
denen Herzen und der Eitelkeit der
beyden Verliebten ſchmeicheln konnte,
vergaſſen ſie der Donne Marie
nicht: und, damit ſie nicht von ein-
ander getrennet wuͤrden, ſo ſchlugen
ſie ihr vor, ſich bey Hofe niederzu-
laſſen. Die Sache war nicht ſchwer,
da ſie ſahe, daß der Vorzug der
Schoͤnheit und der Jugend durch ei-
nen groſſen Ruhm unterſtuͤtzet war,
ſo willigte ſie drein. Aber ſie ſchlug
alle Maͤnner aus, die man ihr an-
trug, um Valerio, ihres Mannes
Edelknaben, vorzuziehen. Weil ſie
von ſeiner Beſcheidenheit geruͤhret war,
ſo ſchien es ihr, daß ſie zur Beruhi-
gung ihres Gewiſſens und fuͤr das
Wohl ihrer Seelen keinen andern neh-
men koͤnnte. Jhr Beichtvater rieth
ihr eben das. Don Franceſco ver-
wunderte ſich uͤber ihre Wahl: Aber
wie er hoͤrete, daß dieſer Edelknabe
ein Edelmann war, und keinen Feh-
ler, als ſein weniges Vermoͤgen, hat-
te; ſo verſprach er, fuͤr ſein Gluͤck zu
ſorgen.


Die
[126]

Die beyden Hochzeiten wurden al-
ſo zu deſto groͤſſeren Vergnuͤgen bey-
der Theile gefeyret, weil ſie ſich
kannten; und ſie ſchliefen in beſſern
Betten, als in den Herbergen zu
Sierra Morena und zu Carcue-
la
. Aber iſt man wohl bey dem, was
man liebet, und was man lange
nicht genoſſen hat, uͤbel
daran?


ENDE.


[figure]
[][][]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 0. Die in der Liebe herumschweifende oder bestrafte Untreue. Die in der Liebe herumschweifende oder bestrafte Untreue. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhfc.0