Vorwort

[XIII]

Der Titel dieses Buches nennt den Namen eines Dichters nicht ohne Absicht. Wer von der lyrischen Dichtung unserer Zeit ein Bild geben möchte, wird den Namen Liliencron mit Nachdruck aussprechen müssen: einmal, weil er einen der ursprünglichsten und verehrungswürdigsten Dichter unserer Tage bezeichnet, und dann, weil dieser Name wie eine blitzende Grenzscheide zwischen den jungen Generationen und jenen Alten steht, die man, mit Ausnahme ihrer unvergeßlichen und von den Jungen mit Liebe gehegten Häupter, als die Vertreter einer ziemlich charakterlosen Übergangszeit bezeichnen darf. Freilich ist die gewöhnliche Vorstellung von der Zeit, die vor die bekannten literarischen Kämpfe in den achtziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts fällt, keine ganz richtige. Es sah damals nicht so öde aus, wie manche glauben möchten. Keller und Meyer, Storm, Fontane und Greif schrieben ihre Gedichte, die von Einfluß auch für viele Jüngere geworden sind. Was jene Zeit als Gesamtbild so unsympathisch und lau erscheinen läßt, ist vor allem das Niveau. Dieses, stagnierend und trivial oft bis zum Unerträglichen, war allerdings einer trostlosen Öde des Geistes und Geschmacks verfallen.

Es ist das Verdienst einer Reihe von mutigen und kampffrohen Männern, zu Anfang der achtziger Jahre auf die Schwächen der damaligen Salon-Literatur energisch hingewiesen zu haben. Sie verlangten eine gesunde Wiedergeburt des alten Geistes der Wirklichkeit und leiteten durch Gründung von Zeitschriften und Herausgabe von Broschüren[XIV] eine Revolution der Literatur in die Wege, die mit sozialen Tendenzen, wie sie gerade in der Zeit lagen, lebhaft Hand in Hand ging. Die begeisterten Apostel — Julius und Heinrich Hart, Bleibtreu und M. G. Conrad — waren zwar keine überragenden Dichternaturen, aber sie besaßen die ganze Jugendfrische, die Ausdauer und vor allem den schönen Glauben, die notwendig sind, um einem Kampf zum Siege zu verhelfen. Ideen Nietzsches, in dessen eigenen Versen sich die Trauer der Einsamkeit mit dem heftigen Begehren nach Schönheit, Lebensfreude und glücklichen Tänzen mischt, befruchteten die Bewegung, ohne daß man den Einfluß dieser Ideen überschätzen darf. Es wäre sehr bequem zu sagen, daß etwa Herrenmenschen wie Liliencron und Dehmel die künstlerischen Resultate Nietzschescher Ideen geworden sind. Der Philosoph hat auf den letzteren der beiden Dichter ohne Zweifel Einfluß gewonnen, aber man kann sich doch dem Gedanken nicht verschließen, daß Dehmel sowohl wie besonders Liliencron im Grunde die gleiche künstlerische Entwickelung durchgemacht hätten, wenn ihnen Nietzsche niemals in das Bewußtsein gekommen wäre.

Die jungen Stürmer verlangten mit lauten Stimmen nach neuer Schönheit und sahen sich nach einem Heros um. Glücklicherweise meldete er sich sofort.

Im Jahre 1883, zu Beginn der schönen Kämpferjahre, erscheinen die „Adjutantenritte“ von Liliencron. Ihre Frische steht wie ein blauäugiger Wächter vor unserer heutigen lyrischen Dichtung da. Die Verse dieses Buches wurden ein Osterläuten, das süß verlockend über das Land hinscholl: in ihrer Begleitschaft gab es eine Auferstehung, von der das vorliegende Sammelbuch einen Begriff geben möchte.

Liliencrons Bedeutung liegt vor allem in seiner wundervollen, dem Wirklichen zugewendeten Ursprünglichkeit, in seiner plastischen Kraft und seiner von ganz seltenen Bildern und Vorstellungen getragenen, fabelhaften Phantasie. Er ist ein Realist in der besten Bedeutung des Wortes, und[XV] der Urgrund seiner gesamten Dichtung ist eine Lebensfreude, die ihn wie eine ewige Jugend immer begleitet hat. Der lyrische Kreis, den er umspannt, ist nicht klein. Es gibt die duftigsten, von einem Hauch der letzten lyrischen Offenbarung überschimmerten, leis hingeflüsterten Liedchen von ihm, er hat Dinge geschrieben, die uns an die derben Weisen mittelalterlicher Landsknechte gemahnen, und seine Balladen sind von einer Stärke und Lebendigkeit, an die keiner von denen, die heute derartige Strophen schreiben, nur im entferntesten heranreicht. Er hat Gedichte des sprudelnden Übermuts und solche gebildet, in denen die ganze verschleierte Melancholie und nebelige Dämmerstimmung seiner nördlichen Heimat auferstehen. Denn daß er Norddeutscher ist, vergißt man nie. Die Landschaften, die er mit so großer Anschauung in unser Gefühl hinstellt, sind die Heide und die Knicks seiner holsteinischen Felder und die Marschen und die Watten und das Meer. Nachdem Storm diese Landschaft zuerst zu beseelen verstanden hat, ist ihr von Liliencron eine derbere realistische Nuance verliehen, die sie nicht minder liebenswert erscheinen läßt. Liliencron war Offizier, und die teuren Erinnerungen an Krieg und Manöver durchziehen sein Werk wie ein unvergängliches Glück. Nicht die unwichtigsten seiner Gedichte sind jene, in denen er den Mond über nächtlichen Biwakfeuern leuchten läßt; in denen er, von Erinnerungen heimgesucht, durch die Reihen der schlafenden Kameraden hingeht und die entfernten Rufe der Wachen vernimmt. Eins war der gewesene Offizier nie, nämlich geistreich. Zu dieser Richtung hat er sich keine Mühe gegeben. Er hat, eine Herrennatur, sein Leben gelebt, wie es ihm einfiel — „hinauf, hinab, wie tolle Kinder spielen“ —, und seine Kunst ist seinem Leben gemäß. Er hat kaum ein Gedicht aus einer Reflexion erbaut; die Basis seiner Dichtung ist Anschauung und Gefühl. Erstaunlich fein entwickelt sind die Werkzeuge seiner Sinne. Durch das Auge und vor allem durch das Ohr nimmt er die Welt in sich auf. Daneben besitzt er ein so glückliches Gefühl für die[XVI] Kultur des Wortes, daß man ihn auch in dieser Hinsicht als eine Persönlichkeit von besonderer Bedeutung ansprechen muß.

Als Gegensätze zu ihm, der sich um Zeittendenzen und soziale Probleme so gut wie nie gekümmert hat, sind einige Dichter zu nennen, die etwa um die gleiche Zeit wie er das erstemal vor die Öffentlichkeit traten, nämlich Arno Holz, Hermann Conradi, Karl Henckell und John Henry Mackay. Conradi starb früh und hat nur ein in jungen Jahren verfaßtes Gedichtbuch hinterlassen, die „Lieder eines Sünders“, voll Schwung, formal kaum neu, durchpulst von Leben und Pathos. Conradis Leidenschaft, in klangvolle Strophengebäude gebracht, hat eine ziemlich dekadente Note, und nur zu oft hat man das Gefühl, mit Phrasen bewirtet zu werden und ferner, daß hinter diesen tönenden Worten im Grunde eine große Müdigkeit schlummert. Arno Holz dagegen kommt mit Pausbacken daher. Die meisten seiner Gedichte im „Buch der Zeit“ sind wie wirbelnder Frühlingssturm. Sein soziales Mitgefühl konzentrirt sich in ganz bestimmte szenische Bilder, er ist ein lyrischer Plastiker, und sein gesundes Pathos ist darum so wirksam, weil es auf so flammenden Überzeugungen aufgebaut ist. Neben den sozialen Tönen zeigt das „Buch der Zeit“ freilich schon einige lyrische Innigkeiten, die Holzens spätere Weiterentwickelung anzeigen. Aus dem sozialen Pathetiker nämlich, der sich äußerlich noch in den Formen der Tradition bewegte, entwickelte sich allmählich ein reiner Künstler, dem öffentlichen Leben abgewendet, erfüllt vor allem von einem minutiösen Empfinden für Stil — oder besser: für Stilarten. Denn Holz liebt sich zu häuten. Mit der gleichen Energie, mit der er heute etwa den absoluten Realismus predigt, erklärt er ein andermal den Reim für eine überwundene Sache und bildet die interessanten freien Rhythmen des „Phantasus“. Neuerdings hat er die Manier des Rokoko auf sein Panier geschrieben und mit einer merkwürdig sicheren Erkenntnis der Besonderheiten jenes behaglichen Stiles närrische „Lieder auf einer alten Laute“ gespielt.

[XVII]

Bei Henckell wurde das soziale Bewußtsein zu einem Parteigefühl, und er hat als Sozialdemokrat praktisch zu wirken gesucht. Das dichterisch Wertvollste von ihm hat freilich mit Sozialismus nichts zu tun; es ist aus rein lyrischem Empfinden erwachsen, das, im Gegensatz zu Conradis vorfrüher Weltmüdigkeit, durch eine sprudelnde Frische erfreut. Auch John Henry Mackay, ein Deutsch-Schotte, stellte sich in den Dienst einer Partei. Als Schüler Stirners, dessen Biograph er wurde, trat er für die Rechte des Einzelnen ein und brachte anarchistische Ideen zu dichterischem Ausdruck, ohne, ähnlich wie Henckell, im Dienste seiner sozialen Aufgabe seine beste Poesie zu formen. Auch er verdankt die wertvolleren seiner Gedichte den alten, immer neuen Gefühlen, die das Herz jedes Einzelnen erfüllen und die bei ihm allerdings das gedankliche Beiwerk selten ganz entbehren. Als Mitstrebende der Genannten seien noch die Folgenden erwähnt, die ihre ersten Versbücher alle um die Mitte der achtziger Jahre herausgaben und von denen keiner den sozialen Ideen der Zeit seinen Tribut versagte: Julius Hart, dem Pantheismus zugewendet und von idealen Träumen nach einem schöneren Menschentum erfüllt; Heinrich Hart, eine dem Bruder verwandte Natur, aber mehr auf den Boden der Wirklichkeit gestellt; Wilhelm Arent, ein ganz zerfaserter Mensch, der über ein paar zarte lyrische Brocken nicht hinauskam; endlich Maurice Reinhold von Stern, dem das Beste aus einem liebevollen Anschauen der Natur erwuchs, und Karl Bleibtren, eine eckige Kämpfernatur, lyrisch ohne Bedeutung.

Zwei Künstler, die in ihren Anfängen mit dem Fühlen und Streben aller dieser sozial ergriffenen Poeten mannigfach verknüpft sind, begaben sich bald auf stilistisch gesonderte Wege, anf denen sie sich zu sehr aparten Persönlichkeiten entwickelten, nämlich Richard Dehmel und Otto Erich Hartleben.

Dehmel, ein heißer Grübler voll tiefer und ehrlicher Inbrunst, ringt unermüdlich nach einem stilistisch adäquaten[XVIII] Ausdruck seiner sehr verzwickten Persönlichkeit. Er ist bewußt durch alle Tiefen gegangen und sucht bewußt auf alle Höhen emporzuklimmen, in einer feurigen Sehnsucht nach Erkenntnis des Daseins und der Geheimnisse, die in uns und um uns sind. Er hat die Liebe in wuchtigen und erbarmungslos offenen Geständnissen auf allen ihren Stufen lyrisch zu durchleuchten gesucht, und alles Menschliche, der beherrschende Trieb sowohl wie der erlösende Gedanke, gelangt in seiner Dichtung zu ergreifendem Ausdruck. Er hat kleine lyrische Wunderdinge geschrieben, deren Schönheit man wünscht, sie möge unvergänglich sein. Er hat sich, immer strebend bemüht, zu einem monumentalen Stil emporgearbeitet, der sein kosmisches Empfinden, seine unbegrenzte Liebe zur Welt, zu Gott und zur Sünde glücklich zum Ausdruck bringt. In der wundervoll brausenden „Harfe“ hat er in festen Umrissen ein Bekenntnis seines leidenschaftlichen Wesens gegeben, und die letzte Entwickelung seiner Natur zeigt der Roman in Romanzen „Zwei Menschen“. Dies Buch, voll lebendigen Reichtums und gedanklicher Fülle, die sich nicht selten zu überraschenden Sentenzen konzentriert, zeigt eine wortbildende Sprache von hoher Kraft. Diese Romanzen sind wie eherne Tafeln. Die breit hinflutende, phonetisch üppige Sprache, von einem Pathos durchrankt, das sie so wirkungsvoll erscheinen läßt, ist eine stilistische Einheit von seltener Konsequenz. So scheint das Buch ein einziger Rhythmus zu sein, der berufen sein mag, nachkommenden Geschlechtern vor die Augen zu führen, daß die Lyrik unserer Tage nicht nur Weichheit und zart verrinnende Klänge, sondern auch leidenschaftliche Erregung kannte.

Hartleben, der früh verstorbene, war kein Grübler, aber eine Natur ohne Komplikation war auch er nicht. Man kann leicht einen dreifachen Hartleben unterscheiden: erstens den Menschen, der für soziale Themen ein warm schlagendes Herz besitzt; auf literarischer Seite ist es der Dramatiker. Zweitens den übermütigen Pokulanten, voll Witz und Laune,[XIX] plötzlich aber von trüber Versonnenheit oder galliger Ironie: diese Seite gelangt in seinen Novellen zum Ausdruck. Und drittens den in Ernst und Einsamkeit betrachtenden Hartleben, den es zu Goethe, nach Italien und zu den Griechen zog: der Lyriker. In der ersten Ausgabe seines Gedichtbuches „Meine Verse“ herrschen die sanft elegischen Klänge vor; doch auch der Zyniker regt sich hie und da, und dunkle soziale Bilder steigen herauf. Das Buch enthält die schönste moderne Liebesode: „Im Arm der Liebe schliefen wir selig ein“. In den Maßen antiker Oden dichtete Hartleben in seinen Anfängen besonders gern. Er hat Vortreffliches in dieser Form gesagt, und in einer Blütenlese der schönsten deutschen Oden1Deutsche Oden. Herausgegeben von Hans Bethge. Max Hesses Volksbücherei Nr. 171. (M. 0, 20.) gebührt ihm ein hervorragender Platz. Die Verse eines zweiten dünnen Büchleins „Von reifen Früchten“, das nach fast zehnjähriger Pause erschien und jetzt mit dem ersten Buche verschmolzen ist, erheben sich über die früheren, was formale Reife und Ruhe der erlesensten Stücke betrifft. Hartlebens spätere Gebärden sind von der Einfachheit des Menschen, der die Stürme des Lebens überwunden hat. Die Klänge der Liebe sind ohne Leidenschaft, im Gegensatz zu Dehmel. Auch rhythmisch sind die Verse ohne Schwierigkeit, und das Maß der früher so geliebten Ode ist verschwunden. Am liebsten erging er sich zuletzt in reimlosen, langhinwallenden Jamben, die vom Gewande der Getragenheit umflossen sind. Eine griechisch kühle Klarheit macht sich geltend und eine weise Zurückhaltung, das Wappen jener Lyriker, die nicht auf eine breite Menge, sondern auf eine verhältnismäßig kleine, ästhetisch feinfühlende Schar zu wirken berufen sind. So leitet er zu jener Gruppe junger Künstler über, als deren wichtigste Vertreter heute Stefan George und Hugo von Hofmannsthal hervorragen. Der Betrachtung dieser jüngsten lyrischen Erscheinungen wollen wir uns aber nicht eher zuwenden, als bis der Kreis der älteren Poeten geschlossen ist.

[XX]

Als ein vornehmer Vermittler zwischen der Übergangszeit vor Liliencron und den heute aufwachsenden Generationen steht der Prinz Emil von Schönaich-Carolath da, ein Ritter, in dem sich romantisches Fühlen mit Byronschem Weltschmerz, erhaben geschauten Bildern der Leidenschaft und einem oft ganz modernen Duft der Stimmung mischt. Er ist viel deutscher und sinnlich geläuterter als etwa Eduard Grisebach, der, einer gleichen Zeit zugehörig, durch eine schwüle Paarung von Müdigkeit und Ironie und durch eine absichtlich saloppe, kleine nachgeahmte Form eine Zeitlang der Dichter der Mode wurde. Schönaich-Carolath ist innerlich und äußerlich größer. Er hat, mit gedanklicher und poetischer Kraft ausgerüstet, faustischen Gefühlen in lyrisch-epischen Dichtungen einen bilderreichen Ausdruck verliehen. Etwas Glühendes, erotisch Gewaltiges pocht in diesen Dichtungen. Die sinnliche Schönheit des Weibes tritt, zur Sünde verlockend und Verderben bringend, weit in den Vordergrund, und auf ihrer betörenden Macht werden dämonisch-prächtige Szenen aufgebaut, in denen die Flammen brausender Leidenschaft lodern. Daneben schrieb dieser aristokratische Dichter einfache, innig deutsche Lieder, in deren schönsten er den Volkston mit überraschender Sicherheit traf. Deutsches Sehnen, der alte Jammer um verlorene Liebe und ein beseeltes Zeichnen der holsteinischen Landschaft charakterisieren diese im engeren Sinn lyrische Poesie, in denen wir rauschenden und mondscheinduftigen Klängen begegnen, schlicht und melodisch wie das Volkslied.

Gustav Falkes Talent wurde durch Liliencron geweckt. Aber bald schlug dieser diskrete Dichter besondere Wege ein, um, bei intensiver Betonung der Form, zu einer ruhigen, harmonischen Eigenart heranzureifen. Eine heitere, morgenfrische Pracht durchblüht seine Bücher. Er bekränzt sich die Tage mit Rosen, soviel er kann, er ist ein heiterer Lebensbejaher, aber eine dunkle Sehnsucht verläßt ihn nicht, die ihn zu schönen, unbekannten Küsten lockt, wo weiße Marmortempel stehen, schlanke Mädchen sich im Reigen[XXI] winden und eine köstliche Musik ertönt. Eine stille Vertiefung in das Leben und eine künstlerisch gebändigte Leidenschaft sind ihm eigen. Der bildhaft-symbolischen Personifizirung gewisser abstrakter Begriffe hat er diskrete Reize abgewonnen. Ernste, gütige Klänge der Liebe rauschen daher, und das Glück des Vaters, dem liebe Kinder durch die Zimmer laufen, leuchtet aus vielen Gedichten hervor. Falke ist ein Künstler von leiser, anmutiger Art, dem Tanz und der Andacht gleich freudig ergeben, doch immer von weiser Mäßigung beherrscht.

Auch Otto Julius Bierbaum hatte in seinen Anfängen mit Liliencron manches gemein. Später entwickelte er sich zu einem Liebhaber, der an den Stilen verklungener Epochen eine besondere Freude hat. Zumal die tändelnde Grazie der Biedermeierzeit hat es ihm angetan, und er hat von dem lavendelduftigen Hauch jener gefühlvollen Tage berührte Verse zu bilden gesucht. Gibt er Stimmungsmomente aus dem Weben der Natur, so läßt er den bocksbeinigen Gott Pan gerne spuken. Sein Gefühl ist von lebensfroher Hingabe. Formal hat er viele Einflüsse auf sich wirken lassen. Er ist Eklektiker. In seinen Naturgedichten klingen besonders Töne an Mathias Claudius an, auch von Dehmel ist er nicht unberührt. Aber es stehen ihm auch sehr eigene Töne zur Verfügung, Töne der Ruhe, verklärten Glückes, lächelnden Verlorenseins.

Franz Evers, zu einer jüngeren Generation hinüberleitend, ist der festlichste und feierlichste unter allen diesen Poeten. In den majestätischen „Hoben Liedern“ ist er wie ein pathetischer Priester, der in Melodieen redet. Diese „Hohen Lieder“ sind eine voll hinströmende Symphonie von großer Bilderfülle. Evers' Erkenntnisdrang wendet sich mit pathetischen Gesten dem Höchsten und Letzten zu, mit dem ihn ein Ahnen verbindet. Am innigsten ist sein lyrisches Gefühl aber dann, wenn er ein dämmeriges Lied der Liebe oder raunende Strophen über eine Stimmung in der Landschaft bildet.[XXII]

Jüngere Dichter schließen sich an. Christian Morgenstern ist eine grüblerische Natur, die eine liedhafte Wirkung nur selten erstrebt. Seine Verse stecken in rauher Schale, und das Gedankliche tritt in den Vordergrund. Er ist keine naive Natur, seine Gedichte machen den Eindruck des schwer Errungenen und mühevoll Durchdachten. Er versteht nicht zu tanzen, nichts Ätherisches ist an ihm. Sein Wesen ist ernste Ruhe und skeptische Gelassenheit. Wilhelm von Scholz steht ihm nahe, aber er ist dunkler und gedanklich verzwickter. Eine mystische Verworrenheit wallt in ihm, eine Dämmerung, aus der sich plötzlich wie Blitze die Strahlen einer nüchternen Erkenntnis des Ewig-Seienden lösen. Seine Diktion ist knorrig und schwerfällig, die Worte fallen ihm wie unbehauene Steine von den Lippen. Er führt uns, graue, unmelodische Verse murmelnd, an Abgründe, in deren Tiefen wir die Wurzeln alles Wesens sich mystisch verschlingen sehen. Sein Gegensatz ist Cäsar Flaischlen, der warme, sympathische Dichtungen in Vers und Prosa aus einem liebevollen Erschauen des Lebens herausschrieb; Dichtungen, in denen man so delikate kleine Dinge findet wie die Stimmung „So regnet es sich langsam ein...“. Weiterhin seien genannt: Wilhelm Weigand, eine Mischung von Reflexion und stillem Künstlertum; Wilhelm Holzamer, von Falke ausgehend, dann auf eigenen Wegen wandernd, von einer verhaltenen Leidenschaft durchglüht; Paul Remer, schweren Schrittes, einer Verklärung des Lebendigen zugewendet; Hermann Hesse, ein Süddeutscher von weichen abendlichen Mollakkorden und voll Sehnsucht nach Italien; Gustav Schüler, dessen erst etwas unbändige Leidenschaft sich durch die Bildung an volkstümlicher Art in erfreulicher Weise geklärt hat; Leo Greiner, von mystisch raunenden Stimmen erfüllt; Ludwig Jacobowski, ein sozial mitfühlendes Herz, in jungen Jahren vom Tode überrascht. Frank Wedekind, abseits stehend, mit traurig umflortem Lachen. Ferner: Hans Benzmann, Emanuel von Bodman, Carl Busse, Georg Busse-Palma, Max Bruns,[XXIII] Martin Bölitz, Carl Bulcke, H. A. Schröder, Ernst Collin, Börries von Münchhausen, Thassilo von Scheffer und andere. Etwas Abschließendes ist über die meisten dieser Talente bis jetzt noch nicht zu sagen. — —

Wenn alle diese Dichter nach altem Brauch mit ihren lyrischen Büchern direkt vor das Publikum hinzutreten wagten, mit dem sie sich also mindestens durch etwas (wenn auch oft durch recht wenig) verbunden fühlen mußten, schloß sich zu Anfang der neunziger Jahre ein Kreis von jungen Poeten zusammen, die, von streng ästhetischen Gesetzen beherrscht, sich nur untereinander und nicht der Öffentlichkeit mitzuteilen beschlossen: jener exklusive Kreis, der sich um Stefan George in den „Blättern für die Kunst“, einer nur für geladene Freunde gedruckten Zeitschrift, versammelte und der erst seit kurzem, nachdem die Zeit ihm genügend vorbereitet zu sein schien, aus seiner Reserve heraustrat. Was diesen Kreis und besonders sein Haupt, Stefan George, charakterisiert, ist das von jeder Nebenabsicht losgelöste, absolut Künstlerische seines Strebens, der Wille, alles Geschehen in reine lyrische Stimmung von höchster Prägnanz aufzulösen, keine Betrachtung, sondern Darstellung, keine Unterhaltung, sondern Eindruck zu geben. George, ein Künstler von erlesener sprachlicher Kultur und alle seine Freunde, von denen Ernst Hardt, Oskar A. H. Schmitz und Karl Wolfskehl genannt sein mögen, bei weitem überragend, ist diesem Programm mit ruhiger und strenger Selbstzucht treu geblieben. Er ist ein Pfadfinder und Anreger geworden, nach neuen Formen und einer stilistischen Verfeinerung des Ausdrucks ringend. Er hat eine ganze Fülle von Worten für die poetische Sprache neu entdeckt und besonders dem Reim Reize abzugewinnen verstanden, die lange vergebens darauf gewartet hatten, aus ihrem Schlaf erweckt zu werden. George hat Stimmungen zu kondensieren gewußt, die in ihrer starren, asketischen Abstraktion von allem betrachtenden Beiwerk wie Betäubungen und Räusche wirken. Wir sehen die mystischen Frauengestalten des [XXIV] Belgiers Fernand Khnopff ihre Augen auf uns richten, die langgliedrigen Figuren George Minnes, des gotisch verträumten, werden in uns wach, und ein Duft hüllt uns ein, der stärker ist als der Duft von Faulbaum, Hyazinthen und Jasmin. George weiß ein lyrisches Erlebnis in Worte zu fassen, daß man meint, einen kalten, farblosen Diamanten in einem goldenen Ringe blitzen zu sehen. Ja, diese Kunst ist kalt, oft unerwartet auffunkelnd und vornehm wie ein Diamant. Keine lauten Geräusche, nicht lautes Lachen noch lautes Weinen, sind ringsum; nur ein Ahnen und Verschweben. George ist ein Priester in der Einsamkeit. Er ist ein Herrscher über die geliebte Form, und zuweilen weiß er die inneren Beziehungen der Dinge und Klänge so hold zu entschleiern, daß wir mit neuen Augen zu sehen meinen. Er hat Symbole und Bilder heraufbeschworen, die uns mit ihrer malenden Schönheit und ihrem mystischen Zauber ganz erfüllen. So hat er, ohne freilich die Monotonie des Prinzips immer vermeiden zu können, mit einer schönen Freiheit der Bewegung in Wort, Reim und Rhythmus, starre, dem bequemen Wesen traditionellen Wortgefüges weit abgewendete lyrische Gebilde vor uns hingestellt, die eine dankenswerte Erweiterung unseres lyrischen Umkreises bedeuten und deren Einfluß auf die weitere Entwicklung unserer Lyrik man schon deutlich erkennen kann.

Hugo von Hofmannsthal, auch dem Freundeskreise der „Blätter für die Kunst“ zugehörend, hat George sprachlich mancherlei zu verdanken, ohne dabei die Selbstständigkeit seiner von erhabener Schwermut überschatteten lyrischen Natur beeinträchtigt zu haben. Auch er hat berauschende Verse geschrieben, aus denen große fremde Melodieen fluten. Ein fragendes Erstaunen vor dem Leben und seinen nicht greifbaren Werten durchzieht seine Strophen, ein Erstaunen vor dem rätselhaften Treiben der Menschen, vor der Wandlung aller Dinge, vor der Vergänglichkeit. Sowohl die bekannte wunderschöne „Ballade des äußeren Lebens“ wie die „Terzinen über Vergänglichkeit“ drücken [XXV] dieses Empfinden aus, das uns hier in einer schaudernden Bedeutung entgegentritt, beladen mit neuem Tiefsinn, neuer Trauer. Es ist als ob ein Kind Fragen stellte, die ein Großer nicht zu beantworten weiß; nun blicken die Augen des Kindes verwirrt und verlangend zu dem Großen empor, und da ihm keine Lösung wird, weiß es nicht aus noch ein, und eine namenlose Trauer kommt in seine Mienen, die zu groß ist und zu starr, als daß sie sich in Tränen lösen könnte. Eins der schönsten Gedichte, die Hofmannsthal geschrieben hat, heißt „Vorfrühling“. Er spricht von nichts weiter als von dem Frühlingswind, der wehend und flüsternd über die Erde geht. Aber es ist wundersam und ohnegleichen, wie dieser Wind gefühlt ist, wie er, ein holdes lebendiges Wesen, vor uns im Bilde aufersteht, dahintreibt, duftbringend, schluchzend durch eine Flöte geht und schnell verschwindet, gleich einer Erscheinung im Traum. So ganz Gefühl wie hier ist Hofmannsthal nicht oft. So völlig lyrische, von aller Reflexion befreite Empfindungen und Gesichte verdichtet er nur selten zu Versen. Er formt auch schwerlich ein schlichtes, glückliches Liebeslied. Das Nachdenkliche steht ihm mit erhobenem Finger zur Seite, und wo er Licht und Freude sieht, denkt er schon an die Schatten, die diesen Glanz einst überdecken werden. Die Kultur seines Verses ist groß; die Sprache am schönsten da, wo sie am einfachsten fließt; nicht selten ist sie preziös: besonders dort, wo sich eine Verwandtschaft mit George bemerkbar macht. Hofmannsthal liebt den Blankvers, den reimlosen fünffüßigen Jambus, das Maß der deutschen Tragödie seit Lessing. Er handhabt ihn — man weiß es schon von seinen Dramen her, die von lyrischen Blüten ganz durchwoben sind — mit gewissen eigenwilligen Verschiebungen des Akzentes, die ihm die Glätte nehmen und einen absichtlich schwebenden Charakter verleihen. Dann liebt er die Terzinen, dieses romanische Maß. Man darf ja behaupten, daß sein innerstes Wesen, das eine bewußte Betonung der Form darstellt, dem romanischen Geist im Grunde verwandter ist als[XXVI] dem spröden Geist der Germanen. Die großen Kulturen der lateinischen Völker üben starken Reiz auf ihn aus, und man wird sich keines unter seinen dramatischen Spielen erinnern, dessen Vorgänge Deutschland als Schauplatz hätten; die meisten spielen in Italien. Volkstümlicher Klang ist der kunstvoll gefügten Laute dieses Dichters versagt. Man horcht in ernste, von vielen edlen Gleichnissen der Trauer erfüllte Rhythmen. Eine Goldschmiedekunst, von einem Kenner für Kenner gebildet. Alles Lebendige wird stilisiert zum Ornament. Wenn man Hofmannsthals Verse mit Blüten vergleichen soll, wird man sie nicht mit Rosen vergleichen, sondern mit stark und seltsam duftenden Hyazinthen oder auch mit Orchideen, über deren kunstvoll gezüchtete Formen das geisterhafte Licht des Mondes rinnt.

Hofmannsthal ist Wiener. Österreich, das als eine Geburtsstätte lyrischer Poeten in der Geschichte der deutschen Literatur bisher eine wichtige Rolle zu spielen nicht berufen war, hat dem lyrischen Parnaß in den jüngsten Jahren einige Dichter geschenkt, deren Art sich aus dem literarischen Getriebe bedeutungsvoll heraushebt. Neben Hofmannsthal sind vor allem Rainer Maria Rilke und Richard Schaukal zu nennen.

Rilke ist ein unendlich zartes, mimosenhaftes Talent von köstlichen lyrischen Tiefen. Sein Gefühl für die Melodie des Rhythmus ist so entwickelt, daß man kaum weiß, wem man ihn in dieser Einsicht an die Seite stellen soll. Zu Jacobsen und Maeterlinck führen Fäden von ihm hin, und es ist einzig schön, wie er die Gefühle einer Blinden in Worte zu kleiden weiß. Eine tiefe Mystik, ein ahnungsvolles Vertrautsein mit dem rätselhaften Weben des All lebt in seinen Versen, die hingleiten wie das Licht der Nacht über die Zweige rieselnder Birken im Mai. Rilke hat keine Gebärde, die nicht zum Symbol eines schönen Gefühles würde. Alles beseelt sein Auge, alles erfüllt sein Traum mit Leben und Farbe, und die Beziehungen, die er zur Landschaft hat, sind so verklärt, als sei er selber eine[XXVII] Weile eine Ulme im Winde gewesen ober eine Weide am Teich oder eine Welle im Fluß. Seine Melodik hat eine Selbstverständlichkeit und einen inneren Reichtum an schönen Beziehungen, daß sie uns schnell gefangen nimmt. Seine Verse funkeln und spielen gleich den kristallenen Kugeln auf den Strahlen einer nächtlichen Fontäne. Rilkes lyrische Gesichte sind zumeist nicht in der prägnanten Weise konzentriert wie bei George oder bei Hofmannsthal, die ihn beide befruchtet haben. Rilke ist breiter und malender, und eine niederdeutsche Note mischt sich ein. Er ist ein mystischer Seher, von bilderreichen Träumen besucht, und über seinen Dichtungen liegt es wie Blütenstaub. Es ist zu bedauern, daß er und George der Einladung in dem vorliegenden Buche zu Gaste zu sein, nicht nachgekommen sind.

Schaukal, ein Dandy und Künstler von eigentümlichen Launen, gefällt sich in einem lächelnden Weltschmerz und formt am liebsten Gedichte in schleppendem, müd-dekadentem Ton. Er liebt es, in schillernden Versen mit stolzen, hochmütigen, die Menge lächelnd verachtenden Allüren seltsame Bilder heraufzubeschwören, die momentane seelische Stimmung oder wesentliche Gebärde eines Menschen festzuhalten, bei der ihn irgend etwas Geheimnisvolles, ein Schwingen von unheimlichen Untertönen reizt. So läßt er alte Marquis, verliebte Fürstinnen, Chevaliers, den spitzen Degen an der Seite, und Duchessen mit sonderbaren Wünschen und Regungen vor uns hintreten. Er liebt das Schnurrige, vertrackte, Abenteuerliche in poetischer Verklärung und erzählt es, ein Schelm, mit aristokratisch-verhaltener Miene, als sage er die allereinfachsten und allerernstesten Dinge von der Welt. In nonchalanten, vom Geiste Heines inspirierten Dichtungen über Pierrot und Colombine wird er zum Spötter, um in übermütigen und kecken sprachlichen Wendungen, bald hell auflachend, bald mit blassen Fingern und traurigen Augen kokettierend, Lieder von den Wonnen und Schmerzen der Liebe zu bilden, die er natürlich beide nicht ernstlich nimmt. Schaukal ist der launenhafteste und[XXVIII] am meisten wienerische unter den jungen österreichischen Dichtern, von denen hier noch kurz Hugo Salus, dessen spielende Grazie meist etwas Äußerliches hat, ferner Stefan Zweig und Paul Wertheimer genannt sein mögen.

Eine lyrische Gilde, die mit der von Stefan George begründeten insofern eine Verwandtschaft zeigt, als auch sie eine höchst diskrete Wahl ihrer künstlerischen Mittel betont, ist jene, als deren wichtigster Vertreter heute der kosmische Impressionist Alfred Mombert anzusprechen ist. Kosmisches Gefühl und eine impressionistisch subtil verfeinerte Technik von hohem rhythmischen Raffinement charakterisieren diesen Kreis, dem Maximilian Dauthendey die Wege gewiesen hat. Dauthendeys kleinen Gedichtband „Reliquien“ schmückt eine Deckelzeichnung von dem um unsere junge Buchkunst verdienstvoll bemühten Emil Rudolf Weiß: ein junges nacktes Menschenpaar liegt starr, wie in einem Rausch, nebeneinander; über ihnen, gleichsam aus ihrem Traum heraus, erhebt sich eine goldene Harfe, die von blassen, unnatürlich langen, sehnsüchtigen Händen gespielt wird; durch die Saiten der Harfe glänzen die Sterne des nächtlichen Himmels. Die Zeichnung drückt das dichterische Wesen Dauthendeys und derer, die von ihm angeregt worden sind, glücklich aus. Diese Kunst ist ein drangvolles Hinstammeln von Gefühlen, die aus intensiven nervösen Reizen erwachsen. Dauthendey formt kleine lyrische Schnitzel, in denen eine diskrete seelische Stimmung andeutend eingefangen wird. Er reiht oft nur in wenigen Versen ein paar Bilder aneinander und überläßt es dem Leser, das lyrische Gesamtbild sich selber zu gestalten. Der eigentümliche Rhythmus mag auf den ersten Blick lässig erscheinen, — in Wirklichkeit ist er Raffinement. Sonderbare Künsteleien in der Art zu reimen machen sich geltend: der Reim tritt etwa mitten im Verse auf oder er steht zu Anfang der Zeile. So resultieren Wirkungen von höchst fremdartigem musikalischen Reiz. Diese Kunst hat nichts Naives mehr, sie ist bewußter Ästhetizismus durch und durch.[XXIX]

Alfred Mombert ist in seinen Anfängen teilweise von Dauthendey ausgegangen, um sich bald durch sprachliche Kraft und Größe der Anschauung über ihn zu erheben. Er ist brodelnder, gärender, unruhiger als jener und ungleich mehr von Reflexionen beherrscht. Seine Stimmungen, deren schönste er in seinem Buch „Die Schöpfung“ zusammengetragen hat, sind von einer erhabenen Gewalt und Schwermut. Auch bei ihm der Verzicht auf regelmäßige Strophengebäude, auch bei ihm dieses raffinierte rhythmische Gefühl und, noch mehr als bei Dauthendey, ein Schwelgen in Bildern. Über Momberts Visionen und Phantasieen lagert ein dunkler Goldton. Sie fließen hin wie ein Strom im Abend, und große, klingende Worte rauschen empor. Dauthendey ist stiller und verträumter. Mombert hat Pathos und ist versunken in die kosmischen Urtöne des All. Das Meer zieht ihn mächtig an. Immer wieder singt er von ihm, von seinen Farben, seinen rätselhaft raunenden Klängen. Er stellt eine Harfe am Meere auf, greift mit Seherhänden in ihre goldenen Saiten und singt dunkle, mystische Lieder. Das Meerhorn klingt, und silbernes Licht schießt durch die Nacht. Wir fühlen die Einsamkeit eines Menschen, der fast zusammenbricht unter der Fülle der verworrenen Gefühle, die seine Brust erfüllen und die er mit heißem Bemühen in Worte zu fassen sucht. Er wandelt auf Wegen, die weit abseits liegen von den Wegen unkomplizierter Naturen. Aber jenen, die ein Gefühl für einen seltsamen, apart grübelnden und künstlerisch ehrlich mit sich ringenden Menschen haben, wird er vieles Anziehende und Überraschende sagen können.

Peter Hille, viel zarter und lieblicher als Mombert, ein Beseeler alles Seienden und tiefschauender Künder des Frühlings, hat manche hold beschwingten lyrischen Klänge gefunden, die er freilich nicht immer so meisterlich wie in der wundervollen „Brautseele“ zu einer geschlossenen Einheit zu verdichten verstand. Die Bedeutung dieses klugen, glücklichen, nun toten Kindes liegt in den lyrisch duftigen und psychologisch[XXX] nicht selten ergreifenden Einzelheiten seiner Dichtungen. Johannes Schlaf wandert in mystischer Ergriffenheit durch die geliebte Natur, in ihren kleinen Erscheinungen die Wunder ihrer Größe liebend. Ferner gehören noch in diesen Zusammenhang: Peter Baum, dessen Visionen zumeist etwas Gespenstiges haben; der Maler Emil Rudolf Weiß, ein Freund herbstlich-elegischer Stimmungen; und endlich eine Dame: Else Lasker-Schüler.

Die Frau, die sich in unserer Zeit so viele neue Gebiete für ihren wachsenden Betätigungsdrang zu erobern verstand, hat sich auch auf lyrischem Felde genugsam versucht, freilich ohne bisher etwas besonders Überragendes oder Erstaunliches an den Tag gefördert zu haben. Es fällt ihr gemeinhin schwer, das lyrische Gefühl künstlerisch zu bändigen, und die Klippe Tendenz ist ihr noch meist zum Verderben geworden. Am klarsten ragen aus der heutigen Frauendichtung die von formensicherem Können erfüllten Verse der Ricarda Huch hervor, jener seltenen Frau, der auch als der bewundernswerten Schöpferin des „Ludolf Ursleu“ und der „Triumphgasse“ unter den deutschen Erzählerinnen seit langem die Palme gebührt. Die Verse der Huch lassen zuweilen an die Lyrik Conrad Ferdinand Meyers denken: sie haben zumeist eine ähnliche Präzision und Kühle. Das Verlangen, die ganze Fülle des Lebens auszukosten, das Begehren nach bacchantischem, überschäumendem Genuß klingt uns aus ihnen entgegen. Die gleiche Melodie, die aus Meyers „Genug ist nicht genug!“ quellend emporströmt, waltet auch in Gedichten der Huch wie „Lebensfülle“ und „Alles oder nichts“. Freilich, es ist bezeichnend für sie, daß das eigentlich lyrische Empfinden, die vom Gedanklichen losgelöste lyrische Stimmung in ihren Prosabüchern gemeinhin zu einem reicheren und intimeren Ausdruck gelangt als in den Versen. Der Zwang von Reim-, Vers- und Strophengebäude beeinträchtigt nicht selten die Ursprünglichkeit ihrer poetischen Gesichte. Sie findet in der erzählenden Prosa glücklichere und originellere[XXXI] stilistische Wendungen und bedeutendere Bilder. In den Versen treten die kunstvoll hingefügten Worte bisweilen stärker in das Bewußtsein als der lyrische Duft. Zum Schönsten übrigens, was in ihrem bisher einzigen Gedichtbuch steht, gehören jene kleinen, sehnsüchtigen Liebesgedichte, die sich, Arabesken gleich, anmutig durch das ganze Werk hindurchziehen. Eine verhüllte Glut waltet darin. Dabei sind sie von einer herben Keuschheit und Reinheit. Das ganze Bangen und Sehnen der von ihrer Liebe Überwältigten raunt uns daraus entgegen. In diesen Liebesgedichten finden wir einige kleine, sicher gefaßte lyrische Perlen von allereinfachster Schönheit.

Weitaus früher als die Huch trat Alberta von Puttkamer auf, ein Talent, in dem sich romantische Leidenschaft mit lyrischem Pathos paart. Isolde Kurz, die ihren starken Formensinn in Italien schulte, schrieb einige Gedichte der Melancholie von schönem lyrischen Klang. Die künstlerisch interessantesten Talente der jüngeren Generationen sind Margarete Susman, Hedwig Lachmann und Else Lasker-Schüler. Die letztgenannte, in ihrem rhythmischen Gefühl, wie wir schon andeuteten, Mombert nahestehend, quillt über vor erotischer Sehnsucht und chaotischem Gefühl. Die Susman, von einer klugen Bändigung der Form beherrscht, spricht ruhige, wallende Rhythmen eines geläuterten Daseins aus. Hedwig Lachmann, in ihrer lyrischen Produktion weniger vom Herzen als vom Gehirn geleitet, ist eine grüblerische Frau, reich an Symbolen und stilistisch Dehmel verpflichtet. Agnes Miegel formte einige Gedichte an einen ungetreuen Geliebten, auf denen der stumpfe Glanz der Perlen ruht. Genannt seien ferner: Irene Forbes-Mosse, Margarete Bruns, Helene Voigt-Diederichs, Thekla Lingen, Lulu von Strauß und Torney, Margarete Beutler. In den Schöpfungen der Maria Janitschek macht sich leider eine überhitzte Erotik immer unerfreulicher geltend. Das Äußerste in dieser Hinsicht erlaubte sich eine ganze Gruppe von jungen, meist jüdischen[XXXII] Damen, die sich auf den Schlachtruf der Marie Madeleine hin mit erstaunlicher Schnelligkeit und Kühnheit meldeten. Mit der pathologischen Inbrunst dieser geschlechtlich so frappant intensiv empfindenden Frauen und Jungfrauen wollen wir uns lieber nicht weiter befassen.

Kurz rückblickend gewahren wir ein buntes, vielfarbiges Gewoge. Nichts von Einseitigkeit, nichts von Konvention und Erstarrung. Es ist eine üppige Wiese mit vielen bunten Blumen. Mächtige und fruchtbare Gegensätze machen sich geltend, und der allgemeine Geschmack zeigt eine ziemliche Höhe. Wieviel von dieser Lyrik dauernd in das Bewußtsein der Zukunft übergehen wird, kann heute noch niemand sagen. Es werden vermutlich jene Gedichte sein, die man nach Hugo von Hofmannsthals Ausspruch als vollkommen bezeichnen darf, weil sie Ahnung und Gegenwart, Sehnsucht und Erfüllung zugleich sind. Auch den bedeutenden Dichtern dürften solche vollkommenen lyrischen Gebilde nicht allzu häufig von den Lippen fließen. So sagt Rainer Maria Rilke:

Nur selten reicht in des ringenden
Lebens rauschenden Reihn
Eine der stillen, vollbringenden
Ewigen Stunden hinein;
Eine Stunde, die leise dich faßt,
Beide Hände dir preßt:
Komm und sei der einzige Gast
Meinem einsamen Fest.

Steglitz bei Berlin, Frühling 1905.

Hans Bethge.

Dämmerstunde

[1]
Sprich nur, sprich!
Ich höre die Rede rinnen,
Ich höre dich.
Durch das Ohr nach innen
Gleitet die Welle;
Frieden trägt sie und Helle
Tönend mit sich.
Ich höre die Worte rinnen —
Ich will mich auf keins besinnen:
Ich höre dich.

Das Weltgeheimnis

Sie fanden ihn — von düstrer Falte
Durchfurcht die hohe Denkerstirn —
Schlaff hing die Hand, die marmorkalte,
Verloht die heilige Glut im Hirn;
[2]
Die Augen waren sanft geschlossen —
Ein Lächeln spielte um den Mund —
Als hätt' er jede Huld genossen
Und jedes Rätsel wär' ihm kund...

Zwei Glückliche

Und sie herzten sich
Und küßten sich
Lange;
Endlich schliefen sie ein.
Lächelnd träumten sie
Arm in Arm,
Bis rauh
Der Morgen kam.

Melancholie

Meiner Jugend Träume,
Wo seid ihr hin?
Ihr himmlischen Räume,
Wie fern ich euch bin!
Draußen grünen die Bäume,
Flur in Blüte steht —
Meine Lieder sind Schäume,
Die der Wind verweht...
[3]

Lichtgestalten

Sahst du noch nicht
Um Sonnenuntergang
Gestalten,
Goldumleuchtete,
Droben in den
Schwebenden Landen?
Was von erhabenen
Seelen Ewiges
Aus dem vergänglichen
Aufwärts stieg:
Siehe, so wandelt
In leuchtenden Höhen
Segnend es
Über den Suchenden hin,
Und zu seines Volkes
Lichteskindern
Blickt der Umdunkelte
Dankbar auf.

Grauen

Das ist das Furchtbare,
Daß ich oft glaube,
Ich trüge deine Augen und deine Haare.
[4]
Daß meine Hände dann hilflos suchen
Ganz wie die deinen
Und meine Lippen mich so verfluchen
Und weinen.
Jeden Abend überkommst du mich so.
Zwei ganz gleiche Totenvögel
Fliegen dann über den Kirchhof.

Liebespsalmen

I.

Deine Nächte klagen in meine Tage,
Durch mein Träumen rieselt das Blut deiner Füße.
O ich will dir forttrinken alle Tränen,
Ich will dich tragen unter meine Wipfel.
Meine Wipfel sind kühl und voll Frieden
Und baden sich hoch in tiefen Wassern.
Himmelstiefen tropfen zu uns hernieder,
Aus ewigen Meeren, durch heilige Wipfel.
Schlummre du tief in meinen Armen!
Meine Augen sind stahlharte Engel; die wachen
Über deinen Frieden.

II.

Deine Augen leuchten vor Dunkel,
Und ein spinnendes Weinen
Deiner schwarzen Haare
Über das Leinen.
[5]
O dein blasses Gesicht,
Und wie deine schmalen Hände
Über die Kissen suchen —:
Rührendes Stammeln
Eines sprießenden Liedes,
Das blühen möchte.
Meine Seele sucht mit dir.

III.

Wenn die Rosen des Morgens aufstaunen,
Möchte ich zu dir kommen!
Ich brächte deiner Stirne kühlen Tau
Und deinen Lippen Lachen.
In meinen Nächten schreckt mich deine Einsamkeit;
Schmiege dich tief in die Flügel meiner Seele;
Dunkel rauschten sie über die Meere,
Bis sie zu dir sich fanden.

IV.

Wenn die Nacht von dannen geht,
Wollen wir uns aus dunkeln Schalen
Unser Blut reichen.
Ein Auge wollen wir sein und eine Seele,
Schauernd über der Täler
Brennend klaren Kelchen.
Siehst du den Morgenwind? Er trägt
Schwebendes Leben von Büschen zu Büschen,
Halm zu Halm.
Sei du mein! —
[6]

Nun schweig

Nun schweig und fühle, wie die Schatten wehn;
Aus tiefen Himmeln bunte Flammen sinken,
Und schwarze Wolken felsenzackig stehn
Um blanke Dächer, die wie Seen blinken.
Und suche meine Seele nicht; die liegt
In jenem Baum, weit hinterm Sonnenfeuer,
Der sich im Weltall zwischen Sternen wiegt.

Der Greis

Länder und Seen durchschwommen
Brünstig allen Fernen.
Wittre nun in den Nächten
Nach Ländern über Sternen.
Als ich ein Kind war,
Glänzte so weit mein Teich,
Hinter jedem Wipfel
Grünte ein Zukunftsreich.
Stützt zu Berg mich, Söhne,
Dicht in meine Nähe,
Daß ich noch einmal
Die kleine Erde sehe.
[7]

Heidestimmung

Bei hellem Sommersonnenlicht
Hatt' ich heut mittag ein Gesicht.
Wie ich durch Kraut und Heide schritt,
Ging neben mir ein Knabe mit.
Um seine Schläfen floß ein Glanz,
Auf seinen Locken lag ein Kranz
Von frischen Rosen voll und weich,
Gepflückt im goldnen Jugendreich.
Sein dunkles Auge blickte weit,
Als säh' es in die Ewigkeit,
Als säh' es fern im Sonnenmeer
Ein Königreich, so stolz und hehr...
Tief späht' ich ihm ins Augenlicht —
Und sah mein eignes Angesicht,
Und sah es werden blaß und bleich,
Leis schwinden, toten Nebeln gleich, —
Und sah verwehn im Heidestaub
Welk einen Kranz von Rosenlaub...

Stille Fahrt

Ich stand an einem dunklen Meer.
Da kam vom grünen Eiland her
Ein stiller Kahn geschwommen.
Mir ward so leicht, mir ward so schwer,
Mein Herz ward aller Unrast leer,
Der Schmerz ward mir genommen.
[8]
Still stieß das Schifflein an den Strand;
Sein Lenker winkte mit der Hand,
Er lachte wie im Traume
Und lud mich ein zum andern Land,
Das in der Ferne unbekannt
Grün glänzte aus dem Schaume.
Und ich stieg ein. Der stille Mann
Zog stumm die schwarzen Ruder an,
Wir schwammen aus dem Hafen.
Er sang ein seltsam Liedchen dann
Und nickte müde dann und wann,
Und ich bin eingeschlafen...

Reiter im Herbst

Vier wilde Gänse schrecken scheu empor —
Wer reitet noch zum Abend übers Moor?
Der dicke Nebel teilt sich schwer und träg —
Ein rotbraun Rößlein klappert übern Weg.
Ein Rittersmann! Sein Fähnlein schwimmt in Tau,
Schwarz ist die Rüstung, und sein Auge grau
Blickt starr und still wie in ein weites Grab,
Sein Rößlein nagt am Weg die Kräuter ab.
Er reitet wie verdrossen, wie im Traum,
Wohin er blickt, erschauern Busch und Baum,
Und was er streift mit seiner Eisenhand,
Riedgras und Rohr, sinkt nieder wie verbrannt.
So taucht er langsam in das Nebelmeer —
Dicht fallen welke Blätter hinterher.
[9]

Abschied

Im Schatten unserer Bäume standest du
Und sprachest abgewendeten Gesichts,
Indessen deine Stimme leis erbebte:
„Du siehst mich ja nicht mehr? Du hast dein Aug'
Für Wolken, Steine und den Flug der Vögel,
So schwärmerisch blickst du die Rosen an
Und biegst sie zu dir, — aber ich blüh' nicht
Für dich. Ich schreite trauernd durch den Hain,
Umsonst geschmückt mit Bändern und dem Schimmer
Des Mai. Einst gab es Tage, da du mich
Mehr liebtest als die Wolken und das Meer
Und da du lieber mit den braunen Haaren
Deiner Geliebten spieltest, ihr zur Lust,
Als mit den bunten Gräsern deiner Wiesen.
Wo ist die Zeit? Ich seh', du weißt noch eben
So hold zu lächeln wie du damals wußtest, —
Mir aber gilt dein schöner Frohsinn nicht.
Du spielst mit Blumen, und das Lied der Quelle
Weckt dein Entzücken, während ich verschmachte.
Geliebter Mann, du siehst mich ja nicht mehr?
Soll ich denn gehn?“
So rührend standst du da,
Daß ich nicht wagte auf dich hinzublicken.
Wild schlug mein Herz, indes ich deine Nähe
So drangvoll fühlte, daß ich's kaum ertrug.
[10]
Doch selig-seligen Gefühles hab' ich
In meine lieben Rosen mich gekniet,
Und zitternd sprach ich, aber hart: „So geh!“
Als ich dann aufsah, war ich schon allein.

Erneut

Vorbei? Sank nun die Sonne in das Meer?
Von blauen Hügeln wall' ich in das Tal,
Ich seh' die Wiesen dämmernd um mich her,
Verrauschte Wonnen fühl' ich noch einmal
Mich mächtig anwehn und dann sinken, sinken
In großer Schatten wundervolles Dunkel,
Geschwunden ist dein letztes Händewinken
Und deines Augs zu herrliches Gefunkel.
Ich bin allein! Es starb das letzte Brennen
Aus dem erregten Blut hinweg. O Traum!
Ich will die Blumen meine Heimat nennen,
Ich will mich lagern unter dem Wacholderbaum.

Schwester, komm mit!

Schwester, komm mit!
Deine Hände sind zart und schlank —
Mir ist um dich so bang — —
Schwester, komm mit!
[11]
Ob dich der Schlamm geboren,
Ob dich das Laster fand
Noch an der Kindheit Rand —
Ob dich die Not erkoren — —
Ich will nicht fragen.
Mein Stübchen ist friedvoll rein,
Da sind wir beide allein,
Und ich will dir Liebes sagen.
Ich will dich Schwester nennen
Um der Sehnsucht willen,
Die wir alle kennen.
Ich bette dein Haupt in meinen Schoß
Und spreche dich aller Sünde los:
Du sollst rein
Diesen kurzen Abend sein
Um meiner Sehnsucht willen.
— — Schwester, komm mit!

Tanzlied

Es ist ein Reihen geschlungen,
Ein Reihen auf dem grünen Plan,
Und ist ein Lied gesungen,
Das hebt mit Sehnen an,
[12]
Mit Sehnen, also süße,
Daß Weinen sich mit Lachen paart:
Hebt, hebt im Tanz die Füße
Auf lenzeliche Art.

Freundliche Vision

Nicht im Schlafe hab' ich das geträumt,
Hell am Tage sah ich's schön vor mir:
Eine Wiese voller Margeritten;
Tief ein weißes Haus in grünen Büschen;
Götterbilder leuchten aus dem Laube.
Und ich geh' mit Einer, die mich lieb hat,
Ruhigen Gemütes in die Kühle
Dieses weißen Hauses, in den Frieden,
Der voll Schönheit wartet, daß wir kommen.

Die Kranke

Ich fühle keinen Schmerz und bin doch krank;
Mir ist die Kraft genommen, ich bin leer.
Ich lebe ab, so wie ein Rad abläuft,
Das von der Feder, die es trieb und hielt,
Gelöst ward. — Ach, sie pflegen mich so lieb,
Und dennoch weiß ich's, balde ist's vorbei.
Und bin nicht traurig. Ruhe wird mein Teil,
Ich werde ruhig blühn in leichtem Wind,
Wie meine Blumen, die im Garten sind.
[13]

Im Wirbel fort

Moosgrün aus Samt ein Band im blonden Haar,
Ein Färblein rosarot dazwischen war,
Das ganze Kind war ganze sechzehn Jahr,
Und es war Mai.
So kam's, daß uns mit Strahlen flitterfein
Umfädelte der sanfte Sonnenschein;
Die Knospe sprang, ach Gott, es war im Mai'n.
Die Knospe sprang.
Ich hätte gern in Treuen sie gehegt,
Ich hätte gern sie mir ans Herz gelegt,
Da hat ein Wind sie wirbelnd weggefegt.
Wem blüht sie nun?

Gigerlette

Fräulein Gigerlette
Lud mich ein zum Tee.
Ihre Toilette
War gestimmt auf Schnee;
Ganz wie Pierrette
War sie angetan.
Selbst ein Mönch, ich wette,
Sähe Gigerlette
Wohlgefällig an.
War ein rotes Zimmer,
Drin sie mich empfing,
Gelber Kerzenschimmer
In dem Raume hing.
[14]
Und sie war wie immer
Leben und Esprit.
Nie vergess ich's, nimmer:
Weinrot war das Zimmer,
Blütenweiß war sie.
Und im Trab mit Vieren
Fuhren wir zu zweit
In das Land spazieren,
Das heißt Heiterkeit.
Daß wir nicht verlieren
Zügel, Ziel und Lauf,
Saß bei dem Kutschieren
Mit den heißen Vieren
Amor hinten auf.

Traum durch die Dämmerung

Weite Wiesen im Dämmergrau;
Die Sonne verglomm, die Sterne ziehn:
Nun geh' ich zu der schönsten Frau,
Weit über Wiesen im Dämmergrau,
Tief in den Busch von Jasmin.
Durch Dämmergrau in der Liebe Land;
Ich gehe nicht schnell, ich eile nicht;
Mich zieht ein weiches, samtenes Band
Durch Dämmergrau in der Liebe Land,
In ein blaues, mildes Licht.
[15]

Jeannette

Ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch, ein Schrank,
Und mittendrin ein Mädel schlank,
Meine lustige, liebe Jeannette.
Braune Augen hat sie, wunderbar,
In wilden Ringeln hellbraunes Haar,
Kirschroter Lippen ein schwellend Paar, —
Jeannette! Jeannette!
Am Fensterbrett ein Efeu steht,
Durchs grüne Geranke die Liebe späht,
Meine lustige, liebe Jeannette.
Türe auf! Da liegt mir am Halse das Kind.
Alleine wir beiden, es singt der Wind
Das Lied von zweien, die selig sind, —
Jeannette! Jeannette!

Die schwarze Laute

Aus dem Rosenstocke
Vom Grabe des Christ
Eine schwarze Laute
Gebauet ist;
Der wurden grüne Reben
Zu Saiten
Gegeben.
Oh wehe du, wie selig sang,
So erossüß, so jesusbang,
Die schwarze Rosenlaute.
Ich hörte sie singen
In mailichter Nacht,
Da bin ich zur Liebe
In Schmerzen erwacht,
[16]
Da wurde meinem Leben
Die Sehnsucht
Gegeben.
Oh wehe du, wie selig sang,
So jesussüß, so erosbang,
Die schwarze Rosenlaute.

Oft in der stillen Nacht

Oft in der stillen Nacht,
Wenn zag der Atem geht
Und sichelblank der Mond
Am schwarzen Himmel steht,
Wenn alles ruhig ist
Und kein Begehren schreit,
Führt meine Seele mich
In Kindeslande weit.
Dann seh' ich, wie ich schritt
Unfest mit Füßen klein,
Und seh' mein Kindesaug'
Und seh' die Hände mein,
Und höre meinen Mund,
Wie lauter klar er sprach,
Und senke meinen Kopf
Und denk' mein Leben nach:
Bist du, bist du allweg
Gegangen also rein,
Wie du gegangen bist
Auf Kindes Füßen klein?
[17]
Hast du, hast du allweg
Gesprochen also klar,
Wie einsten deines Munds
Lautleise Stimme war?
Sahst du, sahst du allweg
So klar ins Angesicht
Der Sonne, wie dereinst
Der Kindesaugen Licht?
Ich blicke, Sichel, auf
Zu deiner weißen Pracht;
Tief, tief bin ich betrübt
Oft in der stillen Nacht.

Der Garten

Das rote Weinlaub hängt von Sonne voll,
Ich trete ohne Schmerz in deinen Garten,
Nach langer Zeit. Auf dieser Holzbank schwoll
Einst unser junges Sehnen, und wir starrten
In manche blaue Nacht. Nun bist du tot
Drei bunte Jahre. Die Kastanien fallen.
Nun ist mir, fühle ich ihr braunes Rot,
Es müßten deine leichten Tritte hallen.
[18]
Noch fließt der alte Tropfsteinquell so klar,
Und mächtig drückt mich eine süße Schwere,
Als ob der irre Duft von deinem Haar
Noch irgendwo in diesen Büschen wäre.

Meine Mutter...

Meine Mutter sang
Über meine Wiege,
Bis zu Flur und Stiege
Flog der süße Klang.
Meine Mutter wand
Garn im Sonnenscheine,
Und sie hatte eine
Zarte weiße Hand.
Mutter war sehr schön,
Hör' ich alle sagen,
Und ich will nicht klagen,
Daß ich es nicht gesehn.

Flocken

Leise, leise fallen weiße Flocken,
Fall'n wie einstens, als dein Fuß mit Beben
In mein Haus trat, als ich hell erschrocken
Ahnte, daß ein Wunder sich begeben...
Als der Nachthauch unsre Pulse kühlte,
Droben lichte Kinderstimmen klangen...
Als ich deine schauernden Arme fühlte,
Die so einzig meinen Hals umschlangen...
[19]
Als ein trunkner Schrei aus meiner Kehle
Fuhr, der lang' in meinem Haus gewaltet...
Als zum ersten Male deine Seele
Ihre Zitterflügel froh entfaltet...

Wandlung

Das Leben, glaubte ich, sei rot von Rosen,
Man brauche nur in sein Gestrüpp zu greifen,
Um hunderte an einem Tag zu streifen...
Wohl griff ich Rosen, mehr noch Herbstzeitlosen.
Die Wünsche warf ich weg; sie narrn mich nimmer.
Ist so mein Herz um manche Hoffnung leerer,
Ist es dafür um eine Weisheit schwerer,
Und mich belebt ein heller, harter Schimmer.
Ich blicke kälter. Doch: schenkt mir im Wandern
Das Leben plötzlich eine Rose wieder,
Dann blicke ich wie trunken auf sie nieder:
Sie glänzt ja röter als die hundert andern.

Zu Ende

So ging auch unser Traum zu Ende,
Die Linden blühen noch im Tal,
Nun halt' ich deine lieben Hände
Für immer wohl zum letztenmal.
[20]
Sieh, wie die weißen Segel gleiten
Der sonndurchglänzten Ferne zu,
Laß uns zum Strand herniederschreiten,
Mein blondgelockter Liebling du.
Ich hab' nicht Schätze zu vergeben,
Und sonder Frucht steht meine Saat.
Wozu zwei jugendheiße Leben
Verketten, eh' der Sommer naht!
O küß du mir die braunen Wangen,
Du hast so oft mein Leid gestillt,
Und bin ich in die Welt gegangen,
Dann nimm den Kranz von meinem Bild.

Kurze Geschichte

Und als er lachend heimgegangen,
Da schien so traurig ihr die Welt,
Da hat sie still und ohne Bangen
Sich fremd dem Fremden zugesellt.
Er mag ihr oft die Lippen küssen,
Sie schenkt ihm willig Nacht um Nacht,
Nur manchmal in verweinte Kissen
Wühlt sie den Kopf und wacht und wacht...

Sehnsucht

Sah die Sehnsucht heut' auf ferner Heide,
Ihres Kleides weiche Sommerseide
Hielt ein goldner Gürtel, ihren Händen
War des Rappens Zügel längst entglitten,
Schweigend bin ich neben ihr geritten,
Keiner mocht' der Träume Lied beenden.
[21]
Plötzlich wandte sie den Kopf, und leise:
„Deine Stirne bleichten stille Sünden...“
Darauf ich: „Auch deine Mienen künden,
Daß du müde einer langen Reise,
Und auch du wirst keine Heimat finden! ...“

Mädchenlied

Von deinem heißen Kusse
zittert noch mein Haar,
mir ist noch wie im Traume:
fremd und wunderbar.
Du machst mich ganz zum Weibe,
so stolz und frei:
an deinem Halse lernt' ich,
was Liebe sei.
Du machst mich ganz zum Kinde,
so jung und rein:
ich weiß von keiner Sünde,
seit ich dein.
In dunkler Sommerreife
glänzt heute Feld und Flur,
ich sitze still und träume
von deiner Güte nur.
[22]
Und weich wie deine Hände
streichelt die Sonne mein Haupt —
nimmer, nimmer hätt' ich
an so viel Liebe geglaubt!

Märchen

Drei verwunschene Königskinder spielen im grünen Klee,
unter lachendem Himmel,
am sonneglitzernden See,
plaudern mit den plätschernden Wellen,
haschen nach den bunten Libellen,
schneiden sich Flöten aus Weidenrohr
und blasen den horchenden Storchen
ein Märchenliedel vor.
Eine nur sitzt still und ferne den andern,
läßt den träumenden Blick in leuchtende Weiten wandern.
Sonne schimmert auf ihrem Haar
und ihrem schwellenden Brüstepaar,
und die Lippen glänzen ihr rot und voll —:
Die wartet auf den Königssohn,
der sie erlösen soll...

Sicheres Glück

Es dunkelt schon.
Im Felde neigt sich der welkende Mohn,
weiß kommt es herauf von den Wiesen —
wir gehen schweigend Hand in Hand
und sehn das stille, ernste Land
in Dämmergrau zerfließen.
[23]
Fern flirrt noch ein winziges Bauernhaus —
nun lischt auch dort das Lämpchen aus:
Kein Licht glimmt mehr auf Erden.
Die Nacht kriecht schwarz und schwer heran —
doch tief in unsern Herzen kann
es nie mehr dunkel werden!

Katzen

Mir gegenüber, im Sonnenschein,
schnurrte ein Kätzchen, grau-weiß und klein,
die schlanken Pranken hielten
einen bunten Kinderball
und spielten.
Und ich dachte an dich, mein Weib, mein Blut,
die du den zierlichen Tierchen so gut.
Ein Vogel sang; — da ward sie stumm,
die Krallen steil, der Buckel krumm,
und dann —: mit hohem Satze
schnellte sie auf; die Meise schrie.
Die Katze
ergriff sie sicher, durchbiß das Genick —
jammernd erstarrte des Vogels Blick.
[24]
Dann ruhte sie wieder im Sonnenschein,
die Zierliche, Schlanke, grau-weiß und klein;
blutige Flaumfedern lagen
umher; aus ihrem Schnurren sang
Behagen;
doch in den Augen knisterte Glut —
und ich dachte an dich, mein Weib, mein Blut...

Nachtstück

Vor dem tiefblauen Dunkel der Nacht
verzweigt sich der Buchen finsterschwarzes
maschiges Netz;
der Mond, in Schwüle herabgestiegen,
orangerot wie ein Luftballon,
hat sich in ihrem Gewirr verfangen:
Da sind die tausend blinzelnden Sterne
lachend über ihm aufgegangen — —
und hoch im Geäste
in Duft und Pracht
lockt ein lüsterner Vogel
die ganze Sommernacht.

Schwermut

Du lehntest schweigend auf dem Schloßaltane
und träumtest in den fahlen Herbst hinein,
die Hände sanken in den wilden Wein,
die Augen folgten deinem stillen Schwane,
der einsam auf dem tiefen, leeren Weiher
den schlanken Hals so suchend niederbog,
und wieder seine müden Kreise zog. —
Dann spann um euch ein feiner Regenschleier...
[25]

Kleinstadt-Idyll

Der Marktplatz ruht. Der Brunnen in der Mitte
rauscht in der Sommernacht ... wie reifes Korn;
von weitem hallen würdeschwere Schritte,
und melancholisch ruft das Wächterhorn.
Der Nachtwind weht mit den Kastanienfächern
in tiefen Schlaf die Häuser, längst verwohnt, —
und zwischen wunderlichen Giebeldächern
ein Stückchen Himmel ... und der Sichelmond.

Der Jüngling

Sie sagten mir, dort, wo die Wälder brausen,
Sollen tief in den Höhlen die Drachen hausen.
Ich habe die Wälder nur hier von weitem gesehn,
Weiß nicht, wie die Drachen im Kampfe stehn.
Sie sagten, im Tale, das ich nicht kenne,
Lodre ein Feuer steilauf und brenne,
Das bahne sich brünstig in alle Gassen
Und würde auch mich und mein Schloß erfassen.
Ohne mich steht das Schloß allein.
Ich warte. Ich muß des Schlosses Hüter sein.
Sie sagten, die Frauen, die uns so huldvoll grüßen,
Trügen Krallen an Händen und Füßen,
[26]
Hätten keine unsterbliche Seele im Leibe,
Und ein Werwolf säße in jedem Weibe.
Ich sollte mich hüten, mein Herz zu vergeben. —
Mein Herz blieb immer noch mein im Leben.
Und sagten, eh' ich zählte bis drei,
Ständ' ich selber in Hader und Feldgeschrei,
Und sahen mich an und lachten dabei.
Der Frühling liegt mir im Blute. Ich habe die Götter geehrt.
Ich stehe erwartend, gestützt auf mein Schwert.

Sterne im Wasser

Weiß im Mondlicht träumt der Hafen,
Ruderschlag in weiter Ferne;
Meine müden Segel schlafen,
Und im Wasser stehn die Sterne
Selig blinkend.
Langsam regen sich die Mäste,
Stumm zum Meere ziehn die Wellen;
Was ich liebte, was ich haßte,
Wandert von mir auf dem hellen
Blanken Wasser.
Erst der Tod löst alle Qualen,
Erst der Tod bricht alle Riegel;
Deines Glückes Sterne strahlen
Spät zur Nacht erst auf dem Spiegel
Deiner Seele.
[27]

Du

Du, die ich liebe, die ich nie gesehn,
Und der ich einst die Stirne küssen werde,
Ich seh' dich, tiefgesenkt den Scheitel, gehn,
Ein frommes Kind im Wirrsal dieser Erde.
Sieh, meine Seele strebt, ein armer Baum,
Den Himmel an mit winterkahlen Zweigen,
Und wartet auf den großen Frühlingstraum
Und spürt voll Schauer seine Säfte steigen.
Du, die ich liebe, die ich nie gesehn,
Komm bald. Mir bangt, ich könnte sterben.
Ich will in tausend weißen Blüten stehn,
Und goldner Herbst soll meine Früchte färben.

In schwülen Nächten

In schwülen Nächten denk' ich oft an dich,
Wenn weit im Lande blaue Wetter leuchten
Und unruhvoll im kurzen Stoß des Windes
Der Pfirsichbaum an meine Scheiben schlägt.
Dann ist mir stets, als ob ich rufen soll,
Als ob ein Klopfen mich um Einlaß bittet
Und sich im Wind verstört und wandermüde
Dein weißes Antlitz an mein Fenster preßt...
[28]

Abendfriede

Jeden Abend aus der Scheune
Tönt die Ziehharmonika,
Dumme Lieder, alte Märchen
Singt Johann, der Hütejunge.
Ab und zu dazwischen rasseln
Wohl die Ketten in den Ställen,
Schreit vom Wald das Nachtgeflügel,
Und die Tauben gurrn im Schlage.
Aber unbekümmert weiter,
Tief im Dunkel seiner Scheune,
Alte Lieder, dumme Märchen
Singt Johann, der Hütejunge.

Michaelskirchplatz

Abendschwärmer zogen um die Linden,
Von den Kähnen sangen Schifferknechte,
Hob sich manchmal in bewegten Winden
Deines Haares eine lose Flechte.
O wie selig dir die Wangen glühten,
Wenn mein Arm den deinen zärtlich drückte
Und ich lächelnd von versagten Blüten
Im Vorbeigehn dir die schönste pflückte!
War die Welt so still und heilig, Lucie,
Und die Burschen überm Wasser sangen,
Von Sankt Michael die Glocken klangen,
Und wir lächelten und schwiegen, Lucie.
[29]

Trübe Antwort

Liebste mein,
Sag, wann wird es Frühling sein?
Wenn die Bäume sich beschweren,
Dulde dich, nicht lang' ist's hin,
Wenn die Wandervögel kehren
Und ich selbst gestorben bin...

Trost

Brotlos ist des Dichters Leben,
Reich an Schmerzen nur und Qualen.
Doch wo eure Häupter, schweben
Unsre Sohlen und Sandalen.
Und die Lieder, die wir singen,
Sind der Füße schlankes Schreiten,
Die uns nah und näher bringen
Leuchtenden Unsterblichkeiten.

Unnütz

Was der Frühling säte,
Kommt im Herbst zur Mahd —
Es ist spät geworden,
Und die Ernte naht.
[30]
Ich auch hör' am Wege,
Wegmüd' und verstaubt,
Sang und Sichelschläge
Über meinem Haupt.
Mähst du auch der Heide
Unnütz Kraut und Strauch,
Herr der Ernte, schneide
Dann mich auch...

Erloschen

Erloschen ist die letzte Glut im Herde,
Der Morgen graut, Zeit wird es, daß ich geh' —
Ich weiß es nicht, wohin ich wandern werde,
Ich will so weit, daß ich dich nimmer seh'.
Wüßt' ich ein Land für mich und meinesgleichen,
Wo schwarze Rosen an den Stöcken blühn,
Wo breitgeflügelt Trauermäntel streichen,
Und blasse Sterne durch die Wolken glühn.
Wo dunkle Quellen aus den Bergen springen,
Wo nie das Glück ein Menschenherz erhellt,
Wo keine Sänger und kein Harfenklingen —
Ich zög' dorthin und baute mein Gezelt.
Dann säß' ich stumm auf übermoostem Stein,
Bräch' Blatt um Blatt von dämmernden Zypressen,
Und Herz und Augen schliefen mählich ein,
Und mit der Welt würd' ich auch dich vergessen.
[31]

Kain

Zehn Tage hab' ich über ihm gekniet
Und hab' den schlaffen Leib mit wilden Händen
Gepackt und ihn geschüttelt und gezerrt
Und hab' zu ihm geschrieen und gefleht,
Bis meine Stimme rauh klang wie das Brüllen
Von Rinderherden und Geblök von Schafen:
So schlag mich doch! ich winsele wie ein Hund,
Erhör mich, Bruder, schlag mich, schlag mich doch!
Und er lag da wie regungsloser Stein.
Da bin ich zu den Leuten fortgerannt,
Zum Vater, zu den Brüdern, und wie sie
Am Morgen vor Gott knien, so fiel ich hin
Und betete: Ihr Brüder schlagt mich doch!
Ich habe ihn geschlagen; warum liegt
Er da und rührt sich nicht? Ich schlug ihn oft.
Er schlug mich wieder, warum heute nicht?
Was schlägt er mich denn nicht? So schlagt mich doch!
Wenn er es nicht mehr kann, schlagt ihr mich doch!
Ich kann den Rücken nicht mehr grade tragen,
Solang' mich niemand schlägt.
Doch dieser Gleichmut,
Mit dem sie nur den arg zerfressnen Leib
Vor Vögeln ängstlich in die Erde bargen
Und diese Kälte ihrer toten Blicke
Die trieb mich fort von ihnen in die Wüste.
Dort saß ich sieben Jahr' auf einem Stein,
Bis ich begriff, daß dies das Ende ist
[32]
Und daß der Mensch nicht so viel ist vor Gott
Wie vor ihm selbst ein Tier, das er zwei Jahre
Aufwachsen läßt, bis er es eines Morgens
Dem Hunger schlachtet; bis ich ganz begriff,
Daß dies das Ende für uns alle ist,
Dies: wie die Erde werden hohl und leer,
Nicht mehr sich rühren und gar nichts mehr sein.
Und als ich das begriffen, sprang ich auf
Und rannte in die Dörfer zu den Brüdern
Und auf dem Markte unter ihnen stehend
Sprach ich zu ihnen einen ganzen Tag:
Das ist die große Drohung und der Fluch,
Den Gott ob unserm Leben aufgehängt,
Wir werden alle wieder sein wie Erde,
So regungslos und leer. So rührt euch doch,
Solang' die Arme euch noch folgen wollen,
Sündigt und frevelt, aber seid lebendig.
Baut einen Turm, der bis zum Himmel reicht!
Schlagt Brücken übers Meer! Doch rührt euch, kommt!
Kommt mit mir, kommt!
Und als der Abend kam,
Da gingen sie ins Haus; sie wollten schlafen.
Da schwur ich mir, nicht so wie die zu sein
Und diese jämmerliche Spanne Zeit,
Die uns ein gnadenreicher Gott gegönnt,
Mit ungeheurem Leben anzufüllen.
Da baut' ich mir die Höhle in die Erde,
Wohin ich ihre Erstgebornen schleppte,
Daß ich am Abend Blut im Hause hätte,
Die Hände mir zu waschen, und die Fraun
Im achten Mond der Schwangerschaft entführte,
[33]
Daß ich die neugeborne Frucht des Leibes
Vor ihren Mutteraugen könnt' zerpflücken.
Dort bettete ich ihre schönsten Weiber,
Mit denen ich zweihundert Kinder zeugte,
Damit der Stamm der Tätigen nie verwelkt.
Dort sammelt' ich die Herden grimmer Wölfe,
Mit denen ich Geschlechter totgehetzt,
Mit Brand versengend ihre stolzen Höfe.
Nun lernten sie sich regen, und sie suchen
Bei Tag und Nacht den Brudermörder Kain,
Den Feind des Schlafes und der Mattigkeit,
Den sie, die Müden, niemals finden werden.
Und wenn sie eines Abends mich erreichen
Oder die Hand des Herren mich erlegt,
So will ich wie ein reißend Tier mich wehren
Und will die Zähne fletschen wider Gott,
Daß Er, der uns erschuf, daß ein paar Jahre
Wir uns auf Erden tummeln und wie Gräser
Vorm Schnee des Winters hilfelos hinschwinden,
Erschaudert, wenn er sieht, wie Kain stirbt.

Zur Nacht

Nun erst ist der Abend aufgewacht:
Selber Gott hält seinen Atem inne.
Eine Stille schließt sich um die Sinne,
Die das Dunkel weit und furchtbar macht.
Lautlos kehrt der Mond zur Erde wieder,
Kaum ein Zweig bewegt sich sacht
Und es rieselt meine Haare nieder
Süß die kühle Feuchtigkeit der Nacht.
[34]

Ahnung

Heut' sah ich uns beide in Pagenkleidern.
In einem sommerlich blühenden Park
Gingen wir durch eine lange Allee,
Die grüne Sträucher dicht überwölbten.
Wir hatten die Hände auf deinem Rücken
Leicht verschlungen und gingen schweigend
Und langsam dahin.
Aber weit vor uns gingen zwei große
Stolze Frauen in Samtgewändern
Ruhig und sicher voran, und das Rauschen
Von ihren fallenden schweren Kleidern
Gab unsern Schritten das gleiche Maß.

XIII. Ich weiß — ich weiß: Nur wie ein Meteor
Aus den „Schwarzen Blättern“

Ich weiß — ich weiß: Nur wie ein Meteor,
Der flammend kam, jach sich in Nacht verlor,
Werd' ich durch unsre Dichtung streifen!
Die Laute rauscht. Es jauchzt wie Sturmgesang, —
Wie Südwind kost — es gellt wie Trommelklang
Mein Lied und wird in alle Herzen greifen...
[35]
Dann bebt's jäh aus in schriller Dissonanz...
Die Blüten sind verdorrt, versprüht der Glanz —
Es streicht der Abendwind durch die Zypressen...
Nur wenige weinen... Sie verstummen bald.
Was ich geträumt: sie geben ihm Gestalt —
Ich aber werde bald vergessen...

IV. Im Sklavendienst der Lüge
Aus den „Schwarzen Blättern“

Im Sklavendienst der Lüge
Hab' ich den Tag verbracht...
Nun hat den Gnadenschleier leis
Herabgesenkt die Nacht.
Es schweigt verträumt die Runde,
Nur raunend der Nachtwind rauscht —
Ich aber mit brennendem Munde
Habe Stunde um Stunde
Mit Geistern aus nächtigem Grunde
Wilde Zwiesprach' getauscht!
Hei! Wie er mich umflattert,
Der Geister toller Schwarm!
Wie er mich preßt mit dunkler Lust
In seinen Riesenarm!
Wie Frage er auf Frage
In meine Seele schreit!
Und ob ich bang verzage,
Die Brust mir blutig schlage
Und bete, daß es tage:
Wie ist der Tag so weit!
[36]

Sommerrosen

Ich wollte dich mit Rosen überschütten,
Mit roten Rosen dein goldbraunes Haar
Und deines Mieders Knospenrundung schmücken...
Als noch der Lenz mit süßem Veilchenodem,
Ein milder Sieger, durch die Lande schritt,
Sprach ich zu dir: Geliebte! Hat sein Mund
Mit letztem heißem Abschiedskuß die Rose,
Die rote Sommerrose, aufgebrochen,
Dann will ich zu dir kommen und mit Rosen,
Mit roten Rosen deine Schönheit krönen...
Nun kam der Sommer... Und der Rosen Fülle
Seh' ich allorts und alle Stunden blühn...
Die ganze Welt scheint ihrer Macht verfallen,
Und ihre Keusche wirbt Vasallen um Vasallen...
Selbst einen Bettler sah ich heute lächeln,
Als sein vertränter Blick von ungefähr
Auf einen Korb mit roten Rosen fiel...
Ich kauf' sie in der ganzen Stadt zusammen
Und schütte sie auf tote Liebesflammen...
— — — — — — — — — — —
Nun schmückt ein andrer wohl dein Knospenmieder,
Und morgen wohl begegne ich euch beiden...
Ich blick' euch lächelnd nach...
Und denke ganz aus Zufall
Bei der Gelegenheit an einen Frühlingstag,
[37]
Da wir uns sahn... Am Abend dann
Schlug uns die Nachtigall in ihren Bann,
Umduftete uns süß der Flieder...
Wir aber liebten uns...
— — — — — — — — — — —

Lenz

Wie ich mich auf den Frühling freue!
Wie mir das Alte und doch so Neue
Schon im tiefsten Winter die Seele bewegt!
Noch ist's erst Weihnacht! Noch atmet der Winter
Aus vollen Lungen!
Und doch ist's mir, als ob schon dahinter
Sehnsuchtsbezwungen
Leise, ganz leise der Lenz sich regt...

Mein Blick, nun weide dich...

Mein Blick, nun weide dich zum letztenmal
An dieses Frühlings satter Blütenfülle!
Voll Inbrunst sauge dieser Sonne Strahl —
Mein Herz, sei stille! ...
Erschweig bewundernd vor dem Werdedrang!
Was dich erfüllt, den Winden gib's zum Raube! ...
Ob dir der Hoffnung goldnes Sieb zersprang —
Dir blieb der Glaube! ...
O glaube eine winzige Weile nur,
Daß diese Botschaft auch für dich gebracht ward!
Umfaß noch einmal trunken die Natur,
Bevor es Nacht ward! ...
[38]
Auf meinen Scheitel streut der Frühlingswind
Mattweiße Blüten — eine letzte Krönung — — —
Ich bin so fromm und heiter wie ein Kind...
Und voll Versöhnung...

Die müde schon verglühte...

Die müde schon verglühte,
Die leise schon verklang,
Jach ist sie wieder aufgeflammt
In jauchzendem Gesang!
Wie Zimbelton, wie Lautenschlag
Ward meine Liebe wieder wach,
Die müde schon verglühte,
Die leise schon verklang...
Und heller tönt ihr Rauschen,
Wie junger Frühlingswind,
Wenn er in heißem Schöpferdrang
Die Welt dem Licht gewinnt!
Und das Prophetenwort erläßt,
Daß nun der Menschheit Osterfest —
Ja! Heller tönt ihr Rauschen,
Wie junger Frühlingswind!
Und wie durch Nebelschleier
Die Sonne siegreich bricht,
Der jungen Flur ein goldnes Band
Ums Lockenantlitz flicht:
So überglänzt mit Purpurschein
Die Liebe nun mein ganzes Sein,
Gießt goldne Feuer nieder
Und wirbt um neue Lieder...
[39]
Und nah und ferne quellen
Blitzende Wellen empor
An meinem Lebenshorizont
Aus Dunst und Wolkenflor!
Gedanken, die mir nie genaht,
Und Pfade, die ich nie betrat,
Entsteigen verborgenen Gründen,
Heilige Kraft zu entzünden!
Die leise schon verklungen,
Die müde schon verglüht:
Wild ist sie wieder aufgeflammt,
Im Lenzsturm stark erblüht!
Und lag ich wieder staubbedeckt,
So hab' ich mich nun aufgereckt,
Und die Gedanken schweifen
In großem Weltbegreifen!

Im Vorüberfluge

Mit metallhartem Rotgelb
Hat sich des Himmels
Westliche Wölbung beflammt.
Mein Auge starrt staunend
In die leuchtende Blende,
Die wachsend fortglüht,
Als sei nimmer ihr Ende
Die lichtlose Nacht...
Da streift die brennende
Lichtwand ein Fittich —
Der nachtschwarze Fittich
Eines Dämmerungsvogels...
[40]
Eine kleine Spanne —
Und die Weite verschlang ihn.
Also trägt auch der Mensch
Mit schwankem Fittich
Sein zwielichtbefangenes Sein
Vorüber an der stetig leuchtenden
Kristallwand der Ewigkeit...
Er huscht dahin
Ein Traum — ein Wahn —
Auf schmaler Bahn —
So bald — so bald
Raubt seiner Gestalt
Schattengefüge
Des Nichtseins
Farblose Wahrheitslüge.
Aber im Fluge —
Im Vorüberfluge —
Ahnt er das Rätsel
Der stetig und still
In sattem Glanze
Fortdauernden Ewigkeit...

Laß mich in deinem stillen Auge...

Laß mich in deinem stillen Auge ruhen,
Dein Auge ist der stillste Fleck auf Erden.
[41]
Es liegt sich gut in deinem dunkeln Blick,
Dein Blick ist gütig wie der weiche Abend.
Vom dunkeln Horizont der Erde
Ist nur ein Schritt hinüber in den Himmel
In deinem Auge endet meine Erde.

Graue Engel...

Graue Engel gehen um mich,
Sehen trauernd auf dich, meine Seele,
Sie stehen mit lahmen Flügeln
An Aschenhügeln und sinnen;
Draußen und drinnen ist es Abend, meine Seele.

Am süßen lila Kleefeld...

Am süßen lila Kleefeld vorbei,
Zu den Tannen, den zwei,
Mit der Bank inmitten,
Dort zieht wie ein weicher Flötenlaut
Der sanfte Fjord,
Blau im Schilfgrün ausgeschnitten.
Gib mir die Hand.
Die beiden Tannen stehen so still,
Ich will dir sagen,
Was die Stille rings verschweigen will.
Gib mir die Hand...
Gib mir in deiner Hand dein Herz.
[42]

Winde quälen die Bäume...

Winde quälen die Bäume,
Die Blätter frieren und gilben.
Menschen, noch braun die Sommerwangen,
Aber die Lippen sangen die letzten Silben.
Bald ist das Lied zergangen.

Die Amseln haben...

Die Amseln haben Sonne getrunken,
Aus allen Gärten strahlen die Lieder,
In allen Herzen nisten die Amseln,
Und alle Herzen werden zu Gärten
Und blühen wieder.
Nun wachsen der Erde die großen Flügel,
Und allen Träumen neues Gefieder,
Alle Menschen werden wie Vögel
Und bauen Nester im Blauen.
Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge,
Und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,
In allen Seelen badet die Sonne,
Alle Wasser stehen in Flammen,
Frühling bringt Wasser und Feuer
Liebend zusammen.

Die Luft so schwer...

Die Luft so schwer,
Wolken stehen weiß und still,
Der Himmel hohl und aschenleer,
[43]
Ein Rabenschrei —,
Und kreischt vorbei.
Die Bäume stehen kalt umher,
Es ist, als ob das letzte Herz gestorben sei.

Auf deinem Haupt...

Auf deinem Haupt schmolz eine goldenrote Krone,
Davon glüht nun dein Haar so goldenrot und stolz.
Aus deinen Augen zieht das stille herbe Lied
Der tiefen ungeweinten Tränen.
Schliefen denn niemals Sonnenstrahlen auf deinen Lippen?
Man könnte wähnen,
Du habest nie dich selbst gesehn,
So arm bist du.

In deinem Angesicht...

In deinem Angesicht
Schwebt Stille.
Stille, welche in sommerschweren Wäldern lebt,
Auf abendblauem Berge,
Und im Blumenkelche.
Eine Stille, warm und licht,
Die ohne Laut vornehme Laute spricht.

Unsere Augen...

Unsere Augen so leer,
Unsere Küsse so welk,
Wir weinen und schweigen,
Unsere Herzen schlagen nicht mehr.
[44]
Die Schwalben sammeln sich draußen am Meer,
Die Schwalben scheiden,
Sie kommen wieder,
Aber nie mehr uns beiden.

Stille weht...

Stille weht in das Haus,
Fühlst du den Atem des Mondes,
Löse dein Haar,
Lege dein Haupt in den Blauschein hinaus.
Hörst du, das Meer unten am Strand
Wirft dir Schätze ans Land;
Sonst wuchsen im Mond Wünsche, ein Heer,
Seit ich dein Auge gesehn, ist die Mondnacht wunschleer.

Deine Brüste...

Deine Brüste an meiner Brust.
Die Seelen öffneten ihr Grab.
Ich sah durch die geschlossenen Augen,
Die Sonne sank in dir hinab.
Ich sah noch hinter der Sonne die Tiefen,
Den Urweltraum, wo alle Lebenskeime schliefen.
Sehr einfach still war es umher,
Und wir waren unendlich groß,
Wir waren alles und wußten nichts mehr
Wußten bloß, daß wir selig waren.
[45]

Die Sommernacht...

Die Sommernacht, und andachtvoll der dunkle Garten
Und schwer zufrieden mit den reichen Bäumen.
Derselbe Mond, der all die großen Bäume klein gesehen,
Vor dem die dunkeln Blätter staunend glänzen,
Unwissend stumm gekommen, unwissend stumm vergehen.
Der dunkle Garten, draus ein kalter Atem weht,
Sehr kühl vom kaltgewordnen Schweiß der Erde.
Und immer kommt und geht darin der Mond
Und wird nicht müde, nie, und kommt und geht.
Doch auszudenken, daß wir müde einst
Für immer gehen, unwissend mit uns selbst.

Allein in hoher Wohnung...

Allein in hoher Wohnung lebte ich mit meiner Laute,
Und wie die freien Töne trug ich frei mein Haupt.
Ein kühler Abend war im kühlen Haus,
Sehr fern vom Erdreich lagen meine Räume,
Ich spielte selbstzufrieden meine Laute
Und wußte, daß es keine Menschen gab.
Ich ging durch meine Zimmer, lauschte auf mein Lied,
Und meine Lieder sprachen stets von mir.
Es klopfte an die Scheiben meiner Tür,
Ich wußte: vor der Flurtür stand ein Mensch,
Als Freund klopfte der letzte Mensch an meine Tür.
Es klopfte heftig wieder und es rief.
Ich öffne nicht, mein Lautenlied sprach eben sehr befriedigend von mir.
Am Türglas sehe ich des Freundes Hand.
Ich öffne, endlich, steht ein Dunkel groß vor mir.
[46]
Weit von mir eine Stimme, die zur Erde fällt.
Ich biege mich zur Treppe, lausche tief,
Im Hause unten sinkt es in den Stein.
Vom tiefsten Grundstein ruft es meinen Namen noch.
Dann bleibt es leer. Die Angst scheint rot aus mir.
Ein Dunkel wird zu einem lauten Seufzen,
Sehr qualvoll, weltverlassen, seufzt es auch in mir.
Meine Laute finde ich nicht mehr,
Die Zimmer schwinden finster, finster Flur und Tür,
Das Dunkel tritt auf alle Schwellen, drängt,
Um mich brennt rot die Angst als letzter Schein,
Ich seufze körperlos und weiß es unabänderlich:
So soll ich seufzen müssen eine Ewigkeit,
Nie mehr ist Welt, und nie ein Körper mehr.

Mein Lied

Ich weiß, mein Lied wird nie gesungen
Von jungen Stimmen hell im Chor;
Doch sagt's, vom Dämmern lind bezwungen,
Vielleicht ein Träumer gern sich vor.
Ob vieles zur Vollendung fehle,
Er hört, in Lauten trüb und bang,
Das Atmen einer müden Seele,
Die hart um Licht und Leben rang.
[47]
Es dunkelt. Und wenn lind und leise
So Form wie Farbe rings verschwimmt,
Erklingt in seiner Brust die Weise,
So dämmerfroh und unbestimmt.
Und wenn dann, tief in seinem Innern,
Ein Abglanz meines Leids ersteht,
Soll er des Dichters sich erinnern,
Des Name längst im Wind verweht...

Im Volkston

Ich hab' kein Haus, ich hab' kein Nest,
Ich hab' kein' Hochzeit und kein Fest;
Ich hab' kein' Hof, ich hab' kein Feld,
Ich hab' kein' Heimat auf der Welt.
Am Himmel selbst der Schauerstrich,
Den fürchten sie nicht so wie mich;
Mir geht's nicht gut, mir geht's nicht schlecht —
Und so, gerade so ist's recht...

Nacht

Schon deckt beschattend dein Gefieder
Des Tages Licht, du nahst mit Macht.
Auf starken Schwingen steigst du nieder,
Du meine Mutter, stolze Nacht!
Nun öffnen sich der Seele Pforten,
So streng geschlossen kaum zuvor,
Und meinem Weh und seinen Worten
Leihst du dein mir geneigtes Ohr.
[48]
Nun stehn die Gassen öd' und düster
Und, wie in ewig regem Leid,
Haucht sein verhallendes Geflüster
Dein Wind durch deine Einsamkeit;
Nun birgt das Kleine ernst dein Schleier —
Den Blick beirrt' es kaum zuvor —
Doch riesenhaft und ungeheuer
Wächst wahrhaft Großes nun empor.
Ich liebe dich, bin dir entsprungen,
Und feind dem Tag, so laut und dreist;
Das Wenige, das mir gelungen,
Du gabst es dem verwandten Geist;
Dein Anhauch ist es, der zur Lohe
Der Seele trübes Licht entfacht —
Sei mir willkommen, ernste, hohe,
Sei mir gegrüßt, ersehnte Nacht!

Die Harfe

Unruhig steht der hohe Kiefernforst;
Die Wolken wälzen sich von Ost nach Westen.
Lautlos und hastig ziehn die Krähn zu Horst;
Dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen,
Und dumpfer tönt mein Schritt.
[49]
Hier über diese Hügel ging ich schon,
Als ich noch nicht den Sturm der Sehnsucht kannte,
Noch nicht bei euerm urweltlichen Ton
Die Arme hob und ins Erhabne spannte,
Ihr Riesenstämme rings.
In großen Zwischenräumen, kaum bewegt,
Erheben sich die graugewordnen Schäfte;
Durch ihre grüngebliebnen Kronen fegt
Die Wucht der lauten und verhaltnen Kräfte
Wie damals.
Und eine steht, wie eines Erdgotts Hand
In fünf gewaltige Finger hochgespalten;
Die glänzt noch goldbraun bis zum Wurzelstand
Und langt noch höher als die starren alten
Einsamen Stämme.
Durch die fünf Finger geht ein zäher Kampf,
Als wollten sie sich aneinanderzwängen;
Durch ihre Kuppen wühlt und spielt ein Krampf,
Als rissen sie mit Inbrunst an den Strängen
Einer verwunschnen Harfe.
Und von der Harfe kommt ein Himmelston
Und pflanzt sich mächtig fort von Ost nach Westen.
Den kenn' ich tief seit meiner Jugend schon:
Dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen:
Komm, Sturm, erhöre mich!
Wie hab' ich mich nach einer Hand gesehnt,
Die mächtig ganz in meine würde passen!
Wie hab' ich mir die Finger wund gedehnt!
Die ganze Hand, die konnte niemand fassen!
Da ballt' ich sie zur Faust.
[50]
Ich habe mit Inbrünsten jeder Art
Mich zwischen Gott und Tier herumgeschlagen —
Ich steh' und prüfe die bestandne Fahrt:
Nur eine Inbrunst läßt sich treu ertragen:
Zur ganzen Welt.
Komm, Sturm der Allmacht, schüttel den starren Forst!
Schüttelst auch mich, du urweltliches Treiben.
In scheuen Haufen ziehn die Krähn zu Horst;
Gib mir die Kraft, einsam zu bleiben,
Welt! —

Sommerabend

Klar ruhn die Lüfte auf der weiten Flur;
Fern dampft der See, das hohe Röhricht flimmert,
Im Schilf verglüht die letzte Sonnenspur,
Ein blasses Wölkchen rötet sich und schimmert.
Vom Wiesengrunde naht ein Glockenton,
Ein Duft von Tau entweicht der warmen Erde;
Im stillen Walde steht die Dämmrung schon,
Der Hirte sammelt seine satte Herde.
Im jungen Roggen rührt sich nicht ein Halm,
Die Glocke schweigt wie aus der Welt geschieden;
Nur noch die Grillen geigen ihren Psalm.
So sei doch froh, mein Herz, in all dem Frieden!
[51]

Aus banger Brust

Die Rosen leuchten immer noch,
Die dunkeln Blätter zittern sacht;
Ich bin im Grase aufgewacht,
O kämst du doch,
Es ist so tiefe Mitternacht.
Den Mond verdeckt das Gartentor,
Sein Licht fließt über in den See,
Die Weiden stehn so still empor,
Mein Nacken wühlt im feuchten Klee;
So liebt' ich dich noch nie zuvor!
So hab' ich es noch nie gewußt,
So oft ich deinen Hals umschloß
Und blind dein Innerstes genoß,
Warum du so aus banger Brust
Aufstöhntest, wenn ich überfloß.
O jetzt, o hättest du gesehn,
Wie dort das Glühwurmpärchen kroch!
Ich will nie wieder von dir gehn!
O kämst du doch!
Die Rosen leuchten immer noch.

Ein Stelldichein

So war's auch damals schon. So lautlos
Verhing die dumpfe Luft das Land,
Und unterm Dach der Trauerbuche
Verfingen sich am Gartenrand
Die Blütendünste des Holunders;
Stumm nahm sie meine schwüle Hand,
Stumm vor Glück.
[52]
Es war wie Grabgeruch... Ich bin nicht schuld!
Du blasses Licht da drüben im Geschwele,
Was stehst du wie ein Geist im Leichentuch —
Lisch aus, du Mahnbild der gebrochnen Seele!
Was starrst du mich so gottesäugig an?
Ich brach sie nicht! sie tat es selbst! Was quäle
Ich mich mit fremdem Unglück ab...
Das Land wird grau; die Nacht bringt keinen Funken,
Die Weiden sehn im Nebel aus wie Rauch,
Der schwere Himmel scheint ins Korn gesunken.
Still hängt das Laub am feuchten Strauch,
Als hätten alle Blätter Gift getrunken;
So still liegt sie nun auch.
Ich wünsche mir den Tod.

Ein Grab

Das sind die Abende, die bleich verfrühten.
Die Georginen, die im Sonnenscheine
Wie rot und gelbe letzte Rosen glühten,
Stehn fahl, Rosetten aus verfärbtem Steine.
Der Nebel klebt an unsern Hüten.
Komm, Schwester. Dort der Zaun von Erz
Umgittert eine, die zu früh verblich.
Komm heim; mich friert. Sie liebte mich.
Sie hatte nichts vom Leben als ihr Herz;
Still tat sie wohl, still litt sie Schmerz.
[53]

Stiller Gang

Der Abend graut; Herbstfeuer brennen.
Über den Stoppeln geht der Rauch entzwei.
Kaum ist mein Weg noch zu erkennen.
Bald kommt die Nacht; ich muß mich trennen.
Ein Käfer surrt an meinem Ohr vorbei.
Vorbei.

Die stille Stadt

Liegt eine Stadt im Tale,
Ein blasser Tag vergeht;
Es wird nicht lange dauern mehr,
Bis weder Mond noch Sterne,
Nur Nacht am Himmel steht.
Von allen Bergen drücken
Nebel auf die Stadt;
Es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus,
Kein Laut aus ihrem Rauch heraus,
Kaum Türme noch und Brücken.
Doch als den Wandrer graute,
Da ging ein Lichtlein auf im Grund;
Und durch den Rauch und Nebel
Begann ein leiser Lobgesang,
Aus Kindermund.

Manche Nacht

Wenn die Felder sich verdunkeln,
Fühl' ich, wird mein Auge heller;
Schon versucht ein Stern zu funkeln,
Und die Grillen wispern schneller.
[54]
Jeder Laut wird bilderreicher,
Das Gewohnte sonderbarer,
Hinterm Wald der Himmel bleicher,
Jeder Wipfel hebt sich klarer.
Und du merkst es nicht im Schreiten,
Wie das Licht verhundertfältigt
Sich entringt den Dunkelheiten,
Plötzlich stehst du überwältigt.

Geheimnis

In die dunkle Bergschlucht
Kehrt der Mond zurück.
Eine Stimme singt am Wassersturz:
O Geliebtes,
Deine höchste Wonne
Und dein tiefster Schmerz
Sind mein Glück —

Morgenstunde

Ob du wohl auch so schlaflos liegst
Und dich in wachen Träumen wiegst,
Vor Glück, wie sehr die Sehnsucht brennt?
Ich starr ins dunkle Firmament:
Der Morgenstern, in großem Bogen,
Ist langsam längst heraufgezogen
Und läßt mich lächelnd fühlen, was uns trennt.
Vor meinen schwachen Augen
— Nun weiß ich doch, zu was sie taugen —
[55]
Strahlt er, je höher her, je flimmernder.
Weihnächtig glänzt die graue Stille.
O zögre, Alltag! Ohne Brille
Sieht man die Welt unendlich schimmernder.
Schon aber glitzert sein Gezitter blasser;
Nun steh' ich auf und geb' der Lilie Wasser,
Die du mir gestern heimlich brachtest.
Und wenn du mich dafür auslachtest:
Sanft nehm' ich sie von ihrer Stätte
Und leg' sie auf mein warmes Bette
Und fühle lächelnd, wie du nach mir schmachtest.

Erhebung

Gib mir nur die Hand,
Nur den Finger, dann
Seh' ich diesen ganzen Erdkreis
Als mein Eigen an!
O, wie blüht mein Land!
Sieh dir's doch nur an,
Daß es mit uns über die Wolken
In die Sonne kann!

Bewegte See

Noch einmal so! Im Nebel durch den Sturm:
Das Segel knatterte, die Schiffer schrieen,
Am Bugspriet stand das Wasser wie ein Turm,
Ich fühlte deine Angst in meinen Knieen
Und sah dein stolz und fremd Gesicht.
[56]
Noch einmal wollte mir dein Auge drohn,
Wie eine Flamme stand dein Haar im Winde,
Und in den Wellen rang ein Ton
Wie das Gewein von einem Kinde, —
Da wehrtest du mir nicht:
Um meine Lippen lag dein naß wild Haar,
Um deine Schulter lag mein Arm gezogen,
Und unsern Kuß versüßte wunderbar
Der Schaum der salzigen Sturzwogen —
Da schrie ich laut vor Freude auf.
Noch einmal so! Was tust du jetzt so kalt,
Hast du denn Furcht vorm offnen Meere?
Es peitscht dich warm! Komm bald, komm bald!
Im Hafennebel tanzt die Fähre —
Hinaus! hinauf!

Nachtgebet der Braut

O mein Geliebter — in die Kissen
Bet' ich nach dir, ins Firmament!
O könnt' ich sagen, dürft' er wissen,
Wie meine Einsamkeit mich brennt!
O Welt, wann darf ich ihn umschlingen!
O laß ihn mir im Traume nahn,
Mich wie die Erde um ihn schwingen
Und seinen Sonnenkuß empfahn
Und seine Flammenkräfte trinken,
Ihm Flammen, Flammen wiedersprühn,
O Welt, bis wir zusammensinken
In überirdischem Erglühn!
[57]
O Welt des Lichtes, Welt der Wonne!
O Nacht der Sehnsucht, Welt der Qual!
O Traum der Erde: Sonne, Sonne!
O mein Geliebter — mein Gemahl —

Ideale Landschaft

Du hattest einen Glanz auf deiner Stirn,
Und eine hohe Abendklarheit war,
Und sahst nur immer weg von mir,
Ins Licht, ins Licht —
Und fern verscholl das Echo meines Aufschreis.

Aus „Zwei Menschen“

I, 1

Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain;
Der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
Der Mond läuft über hohe Eichen;
Kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,
In das die schwarzen Zacken reichen.
Die Stimme eines Weibes spricht:
Ich trag' ein Kind, und nit von dir,
Ich geh' in Sünde neben dir.
Ich hab' mich schwer an mir vergangen.
Ich glaubte nicht mehr an ein Glück
Und hatte doch ein schwer Verlangen
Nach Lebensinhalt, nach Mutterglück
Und Pflicht; da hab' ich mich erfrecht,
Da ließ ich schaudernd mein Geschlecht
[58]
Von einem fremden Mann umfangen,
Und hab' mich noch dafür gesegnet.
Nun hat das Leben sich gerächt:
Nun bin ich dir, o dir, begegnet.
Sie geht mit ungelenkem Schritt.
Sie schaut empor; der Mond läuft mit.
Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht.
Die Stimme eines Mannes spricht:
Das Kind, das du empfangen hast,
Sei deiner Seele keine Last,
O sieh, wie klar das Weltall schimmert!
Es ist ein Glanz um alles her;
Du treibst mit mir auf kaltem Meer,
Doch eine eigne Wärme flimmert
Von dir in mich, von mir in dich.
Die wird das fremde Kind verklären,
Du wirst es mir, von mir gebären.
Du hast den Glanz in mich gebracht,
Du hast mich selbst zum Kind gemacht.
Er faßt sie um die starken Hüften.
Ihr Atem küßt sich in den Lüften.
Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.

Aus „Zwei Menschen“

I, 16

Zwischen zwei Rappen jachtert ein Schimmel.
Sonne glitzert auf Schneestaubgewimmel:
Ein Schlitten stiebt mit zwei Menschen dahin.
Schwarz funkeln die Schellen der silbernen Bügel.
Ein Weib schwingt die Peitsche, der Mann führt die Zügel.
Jetzt reckt er das Kinn:
[59]
Lea! seit meinen Jugendjahren
Bin ich nicht so im Fluge gefahren,
So rasend noch nie.
Aber noch rasender war's gestern morgen,
Als ich im Sturm deinen Namen schrie
Und, als wäre mein Gott drin verborgen,
Mit ihm rang um dich, Knie an Knie:
Schleife mich, Sturmgott, um die Erde,
Sei sie unrein, sei sie rein!
Gönne mir nur kein Glück am Herde,
Hingerissen will ich sein! —
Sage mir, du, ich frage dich: schreit
Dein Gott auch so meinen Namen?
Peitscht dich der Schnee auch wie Frühlingssamen?
Kennst du den Wahnsinn dieser Seligkeit?!
Er reißt ihr die Peitsche weg; die Rappen schäumen schon.
Die Zügel schlackern; die Bügel bäumen schon,
Das Weib umschlingt ihn fallbereit:
Nenn's nicht Wahnsinn, nenn's lieber Ahnsinn!
Lukas! ich hab' in manchen furchtbaren Wochen
Dagelegen wie zerbrochen
Und wußte doch: ich will, muß, willmuß fliegen!
Ja, Lux: rase! laß brechen, laß biegen!
Mir wiegt ein Gefühl der Erleuchtung die Brüste,
Als ob es die Sonne blind machen müßte!
Und wenn mir der Schneestaub die Augen zerstäche,
Und wenn mir dein Sturmgott den Atem bräche,
Ich lasse mich wiegen, du — wiegen — wiegen —
Sie starrt verzückt in das wilde Gewimmel.
Zwei Menschen glauben sich im Himmel.
[60]

Aus „Zwei Menschen“

I, 23

Kaminfeuer und Morgenrotschimmer
Schmücken ein hohes Damenzimmer.
Ein Weib erhebt aus meergrüner Seide
Ihre nackten Arme beide
Vor einem Mann breit in die Luft
Und lacht, umschwebt von Mandelduft:
Ich glaub', ich bin noch immer schön;
Mein Kind hat mir nichts weggenommen.
Und hättst mich eben baden sehen,
Du wärst mit mir gen Himmel geschwommen!
Was stehst denn wieder wie im Schlaf?
O Lux, was bist du für ein — Schaf!
Er lächelt eigen, sie merkt es nicht:
Er senkt, scheinbar grübelnd, sein scharfes Gesicht.
Sein Fuß streichelt ein Eisbärfell.
Er fragt halbhell:
Schönheit? — das ist mir nichts als Hülle
Um irgend eine Liebreizfülle.
Der Reiz zur Liebe und zum Leben,
Wenn den die Reize einer Gestalt
Mir wie aus eigner Seele eingeben,
Dann bin ich — schön in ihrer Gewalt;
Sonst sind sie angeflogne Schäume,
Nachwehen toter Künstlerträume.
Du würdest ja Raffael nicht entzücken:
Du bist zu kriegrisch ins Kraut geschossen.
Deine dunkle Haut ist voll Sommersprossen.
Dein Pferdshaar, dein herrischer Nasenrücken
[61]
Taugen zu keiner klassischen Ode,
Und dein klassisch Kinn ist gar nit mehr Mode.
Aber — jetzt will ich die Augen zudrücken,
Will nichts mehr fühlen als deinen Bann,
Nichts küssen als deine Wildkatzenstirne;
Und wärst du die durchtriebenste Dirne,
Du wirst mir eine Heilige dann —
Prüfend blicken zwei Seelen einander an.

Aus „Zwei Menschen“

II, 28

Und es rauscht nur und weht.
Es liegt eine Insel, wohl zwischen grauen Wogen
Es kommen wohl Vögel durch die Glut geflogen,
Die blaue Glut, die stumm und stet
Die Dünen umschlingt.
Da gebiert die Erde im stillen wohl ihr Empfinden
Und nimmt ihre Träume und gibt sie den Wellen, den Winden.
Die Seele eines Weibes singt:
O laß mich still so liegen,
An deiner Brust, die Augen zu.
Ich sehe zwei Wolken fliegen
Wo sind wir, du? —
Und es rauscht und weht.
Es liegt eine Düne, wohl zwischen tausend andern.
Es werden wohl Sterne den blauen Raum durchwandern,
Der über den bleichen wilden Hügeln steht
Und golden schwingt.
Die Seele eines Mannes singt:
[62]
Still, laß uns weiter fliegen,
Beide die Augen zu.
Ich sehe zwei Meere liegen,
Die einen Himmel wiegen.
O du —
Es rauscht, es weht;
Über die heißen Höhenzüge geht
Höher und höher der goldne Schein
Ins Blaue hinein,
Wo das Dunkel schwebt.
Und aus dem Dunkel herüber, auf großen Wogen,
Kommt die Einsamkeit gezogen.
Und zwei Seelen singen: Eine Seele lebt,
Wohl zwischen den Sternen, den Sonnen, den Himmeln, den Erden,
Die will uns wohl endlich leibeigen werden:
Es schwellen die Wogen herüber, wie Herzen klingen,
Menschenherzen! — Zwei Seelen singen —

Tränen

Wenn ich leide, wenn ich dulde,
Wandern meine kranken Tränen
Fort in meine ferne Heimat,
Wo die gute Mutter wohnt.
[63]
Und die gute Mutter öffnet
Ihre kleinen weichen Hände,
Betet für den schwachen Dulder,
Der die Tränen heimgesandt.
Segnend legt sie dann die kranken
In ein stilles, feines Kästchen,
Das aus Seele sie gezimmert,
Das nur sie erschließen kann,
Und sie pflegt die kranken Tränen
Wie ein Gärtner, der sein Leben,
Seine edle, stumme Güte
Zarten Blütenknospen weiht...
Wenn ich einst in Freudestunden
Zitternd nach den Tränen frage,
Küßt mir meine gute Mutter
Schnell den Dank vom Herzen weg.

Rosenglut

An manchem Abend weht mich Sehnsucht an,
Dann fühl' ich, wie du liebend zu mir strebst,
Und halberregte Wünsche spür' ich dann
Und wie du nach mir bebst.
[64]
Dann muß dein Blut von neuen Wundern träumen,
Weil so das meine klingt und loht,
Vor meinem Haus, von allen Bäumen
Lockt glühender das Abendrot.
Wenn dann die Wächter von den Türmen blasen,
Will laut mein Herz nach dir vergehn...
Ist's Leidenschaft? ist's ein Verstehn?
Ich glaube dich über den stillen Rasen
Mit lauter Rosen kommen zu sehn...

Jugend

Am Schlehdorn, am Schlehdorn —
Wißt ihr, wo der steht?
Da sprach der Hirtenknabe
Sein Morgengebet.
Trieb die Schafe dann auf die Weide
Hin durch den sonnigen Raum;
Über die blühende Heide
Träumte sein junger Traum.
Am Schlehdorn, am Schlehdorn —
Wißt ihr, wo der steht?
Da sprach eine junge Dirne
Ihr Abendgebet.
Und der Wind kam von der Heiden
Und küßte ihres Kleides Saum...
Die beiden, die beiden
Träumten den ersten Traum.
[65]

Abendlied

Du ferne Flöte
Hinter dem Hügel dort,
Wie sprichst du glühenden Klangs,
Was mein Herz verschweigen muß,
Wie bebst du zitternd dahin
Über die Apfelblüten im Mondlicht,
Daß die Schatten der Bäume
Zu schwinden scheinen
Und alles in Glanz getauchte
Selige Sehnsucht wird,
Aus Menschenschmerz leise sich ringende
Selige Lebensglut.
Einsame Stimme du
Hinter dem Hügel dort,
Mein Herz, mein Herz sprichst du aus.

Der junge Gärtner

Mit leisem Herzen trat ich in dein Zimmer;
Die Rosen blühten auf; das Fenster klang.
Und draußen von den Gärten kam noch immer
Der weiche sehnsuchtsvolle Jünglingssang.
Du hingst an mir, und deine Augen glänzten;
Dein Haar verwirrte sich in meiner Hand...
Und Abendlichter, die dich rot umkränzten,
Und eine Sehnsucht, die dich mir verband.
[66]
Und nichts als goldne Fülle um uns beide:
Die bebenden Hände und der taumelnde Mund...
Der junge Gärtner draußen sang sein Lied vom Leide,
Das zitterte von dir und war so wund —
Du aber lächeltest.

Ein Frühlingsgebet

Hinter den Hügeln schlafen die Winde,
Aber du fühlst, sie schlafen nicht lang'...
An den Ästen springt schon die Rinde,
Keimt der erste Knospendrang —
Und du siehst, wie rings die Erde
Dunkel den weißen Schnee durchdringt...
Daß der Himmel voll Sonne werde,
Betet dein Herz nun und braust und klingt.
Weil die Winde nun bald erwachen
Mit aufjauchzender Frühlingskraft,
Fühlst dein Blut du zittern und lachen,
Und in den Stämmen treibt der Saft.
Aus dem Dunkel schlafender Träume
Dämmert dein Sinn dem Lebendigen zu,
Und wie Brüder sind dir die Bäume,
Denn sie gedeihen und wachsen wie du.
Horch! schon werden zum Sturm die Lüfte...
Hinter den Hügeln erwachen sie schon.
Feurige Sehnsucht sprengt die Grüfte
Und die taumelnden Wolken lohn.
[67]
Sonne! Sonne! Aus duftenden Becken
Bringt die Erde dir seligen Dank!
Die du zum Leben kannst erwecken
Täler, die schliefen, und Herzen, die krank.
Die du die Wesen füllst mit Sehnen,
Scheuche das Dunkel, verscheuche das Weh!
Sonne! Sonne! oh tilge die Tränen
Wie du tilgst den Winterschnee!
Wenn dein Glanz die Stürme begleitet
Leuchtend auf wilder Wanderschaft,
Halten die Arme ausgebreitet
Tausende, denen die Brust sich weitet,
Die eine selige Sehnsucht leitet,
Jugend zu trinken und Licht und Kraft...
Wenn dein Glanz die Stürme begleitet,
Sonne! oh gib uns deine Kraft!

Der Künstler

„Es liegt ein Plan auf breiter Talessohle,
Wo nur die Lautersten zu wandeln wagen
Und selig sind. Und du verfehlst ihn leicht.
Der schwarze Wald, der ihn vom Leben scheidet,
Ist so von ungekanntem Sehnen schwer,
Daß du dich kaum hindurchzufinden wähnst.
Der Plan ist voll von Wiesen, die nicht welken,
Von einer Ruhe, die du kaum empfunden,
[68]
In einem Licht, das Farben voller macht.
Die schmalen Wege sind mit Kies bestreut,
Auf daß es doch vertraute Laute wecke,
Wenn hohe Menschen wandeln diesen Pfad.
Denn weich und lautlos ist der milde Rasen,
Der nebenan in samtnem Grüne träumt.
Dort drüben, wo drei alte Rieseneschen
Mit vollem Laub dem leisen Grund entragen,
Raucht ein Altar aus Buchs und Rosenbüschen.
Da bringen Menschen ihre Sehnsucht dar
Und knieen dann. Und wenn es Abend ist,
Empfangen sie den Tau der Gnadensonne,
Die sacht und sicher ihre Stirnen klärt,
Die weißen Menschenstirnen. Heil den Helden,
Die ihre Sehnsucht opferten! Sie leben
Im Mund der Künftigen; ihr Name lebt;
Es lebt ihr Angesicht; und ihre Seele
Wandelt lebendig durch die Zeiten fort.“
So meldete der alte Sänger mir,
Der zu der Harfe sang. Das war erst gestern;
Und heute schon fand ich die klaren Wege.
Ich bin allein, von fern, aus dunklem Wald
Bläst nur ein Hirte noch, und hin und wieder
Scheint es von Schritten in der Luft zu liegen,
Die mir zu folgen wünschen. Sonst ist Ruhe.
Ich sehe schon den graden Rauch der Weihe,
Der sich in bleichem bläulichem Zerschweben
Im Laub der Eschen fängt. Der Abend duftet.
[69]
Der Rasen ruht in weichem Schlummer da.
Mein gelber Byssus ist mir nicht genug,
Ich leg' ihn ab. Nackt geh' ich zum Altar,
Ich bringe nackend meine Sehnsucht dar,
Und fühle meine nackte Seele lachen.
Und wie die Rosen stärker sich entfachen
Im Abendglühn, sinkt nun auf mein entblößtes
Geneigtes Haupt der Tau, der Segen ist...
Ich sehe, was mein Auge nicht vergißt,
Und was ich sehe, ist der Wunder größtes!
Es ist der Gott!

Träume

Fernhin verweht ein Lied in Duft und Stille...
Uns hat der Tag zu viel des Glücks gebracht,
Komm dicht zu mir, wir lauschen in die Nacht,
Wie ich die Welt mit unsern Träumen fülle.
Schwarz schläft die Gondel an den Marmorstufen,
Ein irres Blinken, feuchter Mondenschein,
Akazienduft strömt schwer zu uns herein,
Vom nahen Park tönt Nachtigallenrufen.
Was uns der Tag von seinem Glanz gegeben,
Lacht selig durch die blaue Dunkelheit:
Tief in uns selber rauscht die bunte Zeit,
Die wir in unsern Träumen fromm erleben.
[70]

Sommerabend

Die Luft verdämmert, noch von Sonne warm...
Sieh, wie die Berge fern im Blau zerrinnen,
Erreichbar kaum den müdgewachten Sinnen.
Fühlst du die Trauer, die mein Herz befällt?
Sieh, unsere Wünsche sind zu arm
Für diese Welt.

Das Mohnfeld

Es war einmal, ich weiß nicht wann
Und weiß nicht wo. Vielleicht ein Traum.
Ich trat aus einem schwarzen Tann
An einen stillen Wiesensaum.
Und auf der stillen Wiese stand
Rings Mohn bei Mohn und unbewegt,
Und war bis an den fernsten Rand
Der rote Teppich hingelegt.
Und auf dem roten Teppich lag,
Von tausend Blumen angeblickt,
Ein schöner, müder Sommertag,
Im ersten Schlummer eingenickt.
[71]
Ein Hase kam im Sprung. Erschreckt
Hat er sich tief ins Kraut geduckt,
Bis an die Löffel zugedeckt,
Nur einer hat herausgeguckt.
Kein Hauch. Kein Laut. Ein Vogelflug
Bewegte kaum die Abendluft.
Ich sah kaum, wie der Flügel schlug,
Ein schwarzer Strich im Dämmerduft.
Es war einmal, ich weiß nicht wo.
Ein Traum vielleicht. Lang' ist es her.
Ich seh' nur noch, und immer so,
Das stille, rote Blumenmeer.

Märchen

In deiner lieben Nähe
Bin ich so glücklich. Ich mein',
Ich müßte wieder der wilde,
Selige Knabe sein.
Das macht deiner süßen Jugend
Sonniger Frühlingshauch.
Ich hab' dich so lieb. Und draußen
Blühen die Rosen ja auch.
O Traum der goldenen Tage!
Herz, es war einmal.
Abendwolken wandern
Über mein Jugendtal.
[72]

Daß der Tod uns heiter finde

Laßt uns Blumen pflücken gehn,
Letzte Astern, späte Rosen.
Morgen werden Stürme tosen
Und den bunten Schmuck verwehn.
Auch den Becher holt hervor,
Fröhlich laßt uns sein und trinken.
Morgen werden Schatten sinken,
Und es schweigt der laute Chor.
Wißt ihr wo ein holdes Kind,
Teilt mit ihm die letzten Blüten!
Die noch heut' in Liebe glühten,
Morgen sind die Augen blind.
Scherzt und küßt und trinkt und lacht,
Eh' wir uns zum Abschied rüsten.
Drüben winkt von fremden Küsten
Eine sternenlose Nacht.
Horch. Schon meldet sich ihr Wehn.
Daß der Tod uns heiter finde!
Singend unterm Kranzgewinde
Laßt uns ihm entgegengehn.

Närrische Träume

Heute nacht träumte mir, ich hielt
Den Mond in der Hand,
Wie eine große, gelbe Kegelkugel,
Und schob ihn ins Land,
[73]
Als gält' es alle Neune.
Er warf einen Wald um, eine alte Scheune,
Zwei Kirchen mitsamt den Küstern, o weh,
Und rollte in die See.
Heute nacht träumte mir, ich warf
Den Mond ins Meer.
Die Fische all erschraken, und die Wellen
Spritzten umher
Und löschten alle Sterne.
Und eine Stimme, ganz aus der Ferne,
Schalt: Wer pustet mir mein Licht aus?
Jetzt ist's dunkel im Haus.
Heute nacht träumte mir, es war
Rabenfinster rings.
Da kam was leise auf mich zugegangen,
Wie auf Zehen ging's.
Da wollt' ich mich verstecken,
Stolperte über den Wald, über die Scheune vor Schrecken,
Über die Kirchen mitsamt den Küstern, o weh,
Und fiel in die See.
Heute nacht träumte mir, ich sei
Der Mond im Meer.
Die Fische alle glotzten und standen
Im Kreis umher.
So lag ich seit Jahren,
Sah über mir hoch die Schiffe fahren,
Und dacht', wenn jetzt wer über Bord sich biegt
Und sieht, wer hier liegt,
Zwischen Schollen und Flundern,
Wie wird der sich wundern!
[74]

Winter

Ein morscher Kahn. Vereist. Zwei Raben hüpfen
Auf seinem Rand umher und krächzen heiser
Das Lied des Todes in das weiße Land.
Fern, aus verschneiten Wäldern, Wolfsgebell.
Im Nebel über starrem Meere schwimmt
Die strahlenlose Sonne, gelb und schaurig.
Landher, aus schneeverwehten Hügeln, naht
Barhäuptig, schnellen Schritts, mit glühnden Wangen
Ein Mann, der trägt, vom Wege aufgerafft,
Vom Felde, einen plumpen Stein in Händen,
Schmutzig, umkrustet von gefrornem Schnee,
Und singt ein Lied, ein wirres, wildes Lied:
Wollt ihr mein Herz, mein heißes Herz nicht haben?
Ich will es euch ja schenken.
Müßt ihr vor solchen heiligen Liebesgaben
Euch noch bedenken?
Ist niemand denn an allen weiten Wegen,
Im Sommerland, am Winterstrand,
Dem ich's in seine treue Hand kann legen,
In seine weiche Freundeshand?
Was soll ich denn allein mit meinem Herzen,
Mit meinem heißen Herzen gehn?
Weh! es erlischt. Und könnten tausend Herzen
Sich dran entzünden und in Flammen stehn.
Und wie er singt und schreitet, singt und schreitet,
Scheucht er vom Boot die schwarzen Vögel auf,
Ihr Flug umklatscht ihn, ihr Geschrei umkreischt ihn.
Er achtet's nicht und schreitet grade aus,
Immer den kalten, plumpen Stein in Händen.
[75]
Ein Klingen läuft durchs Eis. Im Flugschnee pfeift
Der Frost um seinen Fuß. Und lauter wird
Sein wildes Lied und ringt sich durch den Nebel,
Der ihn umhüllt, verschlingt. Nur dann und wann
Schrillt heiser über seinem Lied der Schrei der Raben.
Und einsam liegt der Strand. Die Sonne sinkt
Erblassend unter in den kalten Dunst,
Und waldher giert das hungrige Geheul
Der Winterwölfe.

Stranddistel

Das Fräulein ging am Meeresstrand
Durch weißen, bleichen Sand, bis rot
Ein schüchtern Blümchen sich ihr bot,
Sie brach's und warf es aus der Hand.
Und bückte nach der Distel sich,
Die rauh und grau daneben stand.
Die trotzte ihrer kleinen Hand
Und wehrte sich mit scharfem Stich.
Sie brach sie doch und ging und sang
Ein müdes Lied mit müdem Mund,
Das überm abendschwarzen Sund
Im Wind verwehte und verklang.

Das Grab

Ein frischer Hügel ist's, darauf
Drei rote Tulpen flammen.
Zwei schwarze Taxusstauden stehn
Und stecken die Köpfe zusammen.
[76]
Und tuscheln über ein weißes Kreuz,
Darauf mit Gold geschrieben
Ein Mädchenname, darunter ein
Spruch vom himmlischen Lieben.
Wer hat das junge Ding gekannt?
Wer zündete die drei roten
Flammen über ihr Bettlein an? —
Was kümmern mich die Toten.
Ich hab' zu Haus ein krankes Weib,
Der will ich drei Rosen bringen,
Drei rote Rosen, und will ihr leis
Ein Lied vom Leben singen.

Späte Rosen

Jahrelang sehnten wir uns,
Einen Garten unser zu nennen,
Darin eine kühle Laube steht
Und rote Rosen brennen.
Nun steht das Gärtchen im ersten Grün,
Die Laube in dichten Reben.
Und die erste Rose will
Uns all ihre Schönheit geben.
Wie sind nun deine Wangen so blaß
Und so müde deine Hände.
Wenn ich nun aus den Rosen dir
Ein rotes Kränzlein bände,
Und setzte es auf dein schwarzes Haar,
Wie sollt' ich es ertragen,
Wenn unter den leuchtenden Rosen hervor
Zwei stille Augen klagen.
[77]

Zwei

Drüben du, mir deine weiße
Rose übers Wasser zeigend,
Hüben ich, dir meine dunkle
Sehnsüchtig entgegenneigend.
In dem breiten Strome, der uns
Scheidet, zittern unsre blassen
Schatten, die vergebens suchen
Sich zu finden, sich zu fassen.
Und so stehn wir, unser Stammeln
Stirbt im Wind, im Wellenrauschen,
Und wir können nichts als unsre
Stummen Sehnsuchtswinke tauschen.
Leis, gespenstisch, zwischen unsern
Dunklen Ufern schwimmt ein wilder
Schwarzer Schwan, und seltsam schwanken
Unsre blassen Spiegelbilder.

Einer Frau

Das dank' ich dir:
Ein Lächeln auf dem Munde,
Die Rosen da, und hier
Die leise Wunde.
[78]
Das dank' ich dir,
Ein Glück im Todeshauche:
Daß ich mich nicht vor mir
Zu schämen brauche.

Abendhimmel

Tiefdunkelroter Scharlachschein
Versickerte an Wolkenreihn,
Die klar von Silber flossen.
Der Himmel war wie roter Wein.
Was mochte dort zu feiern sein?
Wer hat den Wein vergossen?

Geschenk

Dies schick' ich dir, mein Liebling, zum Geburtstag.
Zwei weiße Tauben, deren weich Gefieder
In einem Tempel Indiens geleuchtet,
Und deren Kropf mit edlem Hanf gefüllt war,
Den braune Mädchen auf den Feldern pflückten.
Sie sangen leise, dachten an den Liebsten.
Sei diesen Tauben gut, sie sind wie Schneefall,
Bevor er noch die weiße Erde küßte,
Und ohne Makel, nimm sie auf die Schulter,
Beglücke sie an deiner Wang' zu schlafen,
Die weich und schneeig ist wie ihr Gefieder,
Und sich im Nest zu träumen in der Heimat.
Nimm Wischi und Schiwinda gütig auf.
In Simla waren sie der Liebe Götter,
Und alles Volk lag täglich auf den Knien
Und betete. Sie schnäbelten sich zärtlich.
Ich raubte sie, an deine Wange denkend.
[79]
Dies schick' ich dir, mein Liebling, heute früh
Durch einen braunen Boten, windbeflügelt
Und stumm, mit einem Körbchen morgenfrischer
Feuriger Küsse. Laß sie dir gut munden.

So regnet es sich langsam ein...

So regnet es sich langsam ein und immer
kürzer wird der Tag und immer seltener der Sonnenschein.
Ich sah am Waldrand gestern ein paar Rosen stehn...
gib mir die Hand und komm... wir wollen sie uns pflücken gehn...
Es werden wohl die letzten sein!

Hab Sonne...

Hab Sonne im Herzen,
ob's stürmt oder schneit,
ob der Himmel voll Wolken,
die Erde voll Streit!
Hab Sonne im Herzen,
dann komme was mag!
das leuchtet voll Licht dir
den dunkelsten Tag!
[80]
Hab ein Lied auf den Lippen,
mit fröhlichem Klang,
und macht auch des Alltags
Gedränge dich bang!
Hab ein Lied auf den Lippen,
dann komme was mag!
das hilft dir verwinden
den einsamsten Tag!
Hab ein Wort auch für andre
in Sorg' und in Pein
und sag, was dich selber
so frohgemut läßt sein:
Hab ein Lied auf den Lippen,
verlier nie den Mut,
Hab Sonne im Herzen,
und alles wird gut!

Ich habe Nächte...

Ich habe Nächte dafür geopfert,
ich habe Herzblut daran gegeben,
und feige Buben nun kommen und heben
die Hand auf gegen das fertige Werk.
— — — — — — —
Das schmerzt!
Und doch:
Glückt euch, es wirklich zu zertrümmern, ... gut!
dann war's nicht echt!
dann glückte mir nicht, was ich wollte...
und... ihr... habt... recht!
[81]

Einem Kinde

Sei nicht traurig,
sei nicht traurig...
es ist heute nur
so trübe,
es ist heute nur
so schwer!
Morgen blitzt die Sonne wieder,
Rosen leuchten weiß und rot,
und mit lauter Lerchenliedern
jubelt's in den hellen Morgen,
jubelt's in den blauen Himmel
siegreich über Leid und Not...
quillt und schwillt mit jungen Kräften,
quillt und schwillt mit junger Lust
lebenswarm dir in die Brust;
weckt und wappnet deine Seele
glaubensfroh zu neuer Wehr...
Sei nicht zag drum,
sei nicht traurig...
es ist heute nur
so trübe,
es ist heute nur
so schwer!

Februarschnee...

Februarschnee
tut nicht mehr weh,
denn der März ist in der Näh'!
Aber im März
hüte das Herz,
[82]
daß es zu früh nicht knospen will!
warte, warte und sei still!
und wär' der sonnigste Sonnenschein,
und wär' es noch so grün auf Erden,
warte, warte und sei still:
es muß erst April gewesen sein,
bevor es Mai kann werden!

Es war einmal...

Es war einmal... im Monat Mai...
kaum erst ein Jahr ist's her! ...
denk' ich an jenen Mai zurück,
wird mir ums Herz so schwer! ...
In weißen Rosen stand die Welt,
und Glocken klangen durch die Luft,
und schauernd stumm vor Glück und Lust
durchschritten Hand in Hand zwei Kinder
das blütentraumversunkene Tal...
........
Es war einmal! ..........
es war einmal!
Denk' ich an jenen Mai zurück —
Verwelkte Rosen, verwelktes Glück!

Ganz still zuweilen...

Ganz still zuweilen wie ein Traum
klingt in dir auf ein fernes Lied...
du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
du weißt nicht, was es von dir will...
und wie ein Traum ganz leis und still
verklingt es wieder, wie es kam...
[83]
wie plötzlich mitten im Gewühl
der Straße, mitten oft im Winter
ein Hauch von Rosen dich umweht,
wie oder dann und wann ein Bild
aus längstvergessenen Kindertagen
mit fragenden Augen vor dir steht...
ganz still und leise, wie ein Traum...
du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
du weißt nicht, was es von dir will,
und wie ein Traum ganz leis und still
verblaßt es wieder, wie es kam.

Spruch

Lieber auf eigene Rechnung
ein Lump sein,
als ein feiner Herr
auf Pump sein!
Dieweil:
wer ein solcher auf Pump ist,
nicht 'mal ein ehrlicher Lump ist.

Wanderschaft

In den Straßen will ich singen,
Fühl' ich auch mein Herz zerspringen,
[84]
Vor den Häusern fremd und groß...
Abends, wenn die Schatten fallen,
Menschenschritte rings verhallen,
Sitz' ich — unbekannt von allen —
Wiege traurig dich im Schoß.
Ruhlos mit den dunklen Schwalben,
Mit den Blättern, mit den falben,
Ziehn wir weiter, ich und du...
Dort, wo mildre Lüfte wehen,
Gnadenbilder auf uns sehen,
Kirchentüren offen stehen,
Deckt uns bald die Erde zu!

Gehen und Bleiben

Mancher ist betrübt gegangen
In die Winternacht hinaus,
Sah mit zehrendem Verlangen
Heller Fenster freundlich Prangen,
Lichterfülltes, warmes Haus.
Hinter jenen hellen Scheiben
Sah ein anderer ihm nach,
Starrte in das Flockentreiben...
„Freiheit“, seufzt er, aber „Bleiben,
Bleiben“ stöhnt das schwere Dach!

Eine Widmung

Mein Herz so ganz in dir beglückt,
Mit Märchenblumen ausgeschmückt,
[85]
Ein dir geweihter Schrein:
Wenn auch die Früchte nicht gereift,
Weil sie der Frost zu früh gestreift,
Die Blüten waren dein, mein Herz,
Die Blüten waren dein.

Die fremde Blume

So lange blieb sie festgeschlossen, stille,
Als wäre alle Kraft in ihr erstorben,
Es fehlte ihr zum Blühen Lust und Wille,
Seit der berühmte Gärtner sie erworben.
Sie stand im Garten rein und wohlgehalten,
Ein Paradies mit grünlackierten Kannen,
Wo alle Blumen pünktlich sich entfalten
Und Menschenhände sie auf Stäbe spannen.
Man warf sie endlich fort, ein armes Mädchen
Stellt' sie aufs Fensterbrett im kleinen Zimmer,
Die Tauben gurrten dort am grünen Lädchen,
Der Kirchturm schien so nah im Abendflimmer,
Doch Menschenstimmen klangen nur von ferne,
Und rings versank des Lebens Hast und Mühen,
Ein warmer Regen fiel, dann zündeten die Sterne
Ihr Freundeslicht... da fing sie an zu blühen!

Der Brunnen

Ich saß im Glühn der toten Mittagsstunde,
Und alles Leben schien so blaß und weit,
Die Götter träumten um mich in der Runde,
Der Brunnen flüsterte: „Trink und gesunde,
Ich bin das Wasser der Vergessenheit!“
[86]
Ich saß in Nacht und schickte die Gedanken
In jene Tage, da wir froh und jung,
Ich sah den Silberstrahl im Mondlicht schwanken:
„Trinkt nicht, trinkt nicht, ihr armen Fieberkranken,
Ich bin das Wasser der Erinnerung!“

Madlena

Das Kind Madlena hat so hell gesungen
Als sie im Haselholz sich Nüsse las,
Wie eine Spindel sich im Tanz geschwungen
Bei Glühwurms Leuchten, überm Wiesengras.
Das Kind Madlena hörte fremde Zungen,
Als sie im Mittagsschein beim Springbrunn saß...
Die düstern Gärten haben sie verschlungen,
Fern tönt ihr Stimmchen wie gesprungnes Glas!

Die Kranke

Mutter, liebe Mutter, jeden Tag
Weicht die Sonne mehr von meinem Kissen.
Bald, so ahnt mein Herz mit bangem Schlag,
Werd' ich die geliebte völlig missen.
Blatt um Blatt verliert der wilde Wein;
So entblättert leise sich mein Hoffen,
Von dem Garten flieht der bunte Schein,
Den der Frost wie mich ins Herz getroffen.
[87]
Eh' die letzten Lichter löschen aus,
Alles gleich mir selbst wird fahl und kalt sein,
Einmal noch in Feld und Wald hinaus!
Aber es muß bald sein, es muß bald sein...
Tage gibt es jetzt, so schmerzlich hold,
Farben, o so wundersame, reine!
Und der Sonne melancholisch Gold
Fließt gelinde über Flur und Haine.
In der letzten Blumenzier des Felds
Möcht' ich meinen müden Körper betten
Und des Herbsteshimmels blassen Schmelz
In das dunkelnde Gemach mir retten...
Eh' die letzten Lichter löschen aus,
Alles gleich mir selbst wird fahl und kalt sein,
Einmal noch in Feld und Wald hinaus!
Aber, Mutter, es muß bald sein... es muß bald sein...

Wie es kam

Er pochte an manche Herzenstür,
Und drinnen rief's: herein!
Er bat um einen Bissen Brot.
Man gab ihm einen Stein.
Und so bekam er Stein für Stein.
Er trug sie heimatwärts
Und baute sich ein Mauerwerk
Rings um sein eignes Herz.
[88]

Traum des Armen

Jüngst hatt' er einen schönen Traum,
Da war das Glück ihm hold.
Da fand er unter einem Baum
Im Wald einen Klumpen Gold.
Des Nachts im Wald — am stillsten Ort.
Es regte sich kein Blatt.
Er trug den Klumpen schweigend fort,
Und trug ihn in die Stadt.
Und als er kam vor Liebchens Haus,
Da hub er an zu schrein:
„Wach auf, mein Liebchen, komm heraus,
Du bist auf ewig mein!“ —
Und als sie strahlenden Gesichts
In seinen Armen lag —
Erwacht' er und bemerkte nichts
Als einen grauen Tag.

Campagna-Gewitter

Auf Wolken schwer und finster
Jagt der Scirocco ins Land;
Schwül duftet um mich der Ginster
Im brennenden Heidesand.
[89]
Vom Leuchten ferner Gewitter
Ein Schimmer herüberzuckt —
Starr wächst in das fahle Gezitter
Der alte Aquädukt.
Und plötzlich hör' ich's gellen
Ins schweigende Land hinaus —
Das sind nicht des Sturmes Wellen,
So naht einer Schlacht Gebraus!
Die ehernen Tuben schreien,
Die Kämpfer brüllen auf,
In schemenhaften Reihen
Umwogt es mich zu Hauf.
Und über den irren Klängen
Und der rasenden Kämpferschar
Schwebt, den Sieg in gierigen Fängen,
Der goldne Römeraar!
Ich seh' ihn kreisen — jetzt schnellt er
Herab — da wach' ich auf:
Der lodernde Blitz, dort fällt er,
Der Donner wirft sich drauf;
Die Erde dampft, es erzittert
Im Nachhall leis die Luft,
Wo der Tod herabgewittert,
Qualmt süßer Weihrauchduft...
Und wie die Flöre sich heben,
Seh' in weißem Wolkengewand
Ich Cäsars Schatten schweben
Über sein heiliges Land!
[90]

Liebe

Wir sind zwei Schatten, die aus Welt und Welt
An einem Eschenbaum zusammentrafen.
Wir glitten einsam im entrückten Feld
Und suchten späte Herberg, um zu schlafen.
Und standen einen tiefen Augenblick
Uralt bekannt uns gegenüber
Und grüßten uns und wuchsen bis ans Glück.
Dann sanken wir hinüber und herüber,
Zerfallend in die alte Nacht zurück.

Unter den Menschen

Ich hab' es nie so tief gewußt,
Was heimlich webt, wo Menschen mich umdrängen:
Was ich im Wind verschüttet, Rausch und Lust,
Was ich an Leid begrub auf stillen Gängen,
Flutet von euch zurück in meine Brust.
Dann bin ich wie ein Baum im Abendwehn,
Von dem ein trunkener Schatten niederschwebt,
Ich seh' verworrn in meinem Schatten gehn
Viel Menschenleben, die ich selbst gelebt:
Ein wildes Jahr, im Rausch zu Grab gelenkt,
Ein Wintermond, drin Herdschein mir gefunkelt,
Ein grauer Tag, den ich an Gott verschenkt,
Ein goldener Abend, trauerüberdunkelt.
[91]
Was ich im Wein vergaß, im Abend litt,
Trägt Brust um Brust in ihre Stille mit.
Und leis zerrinnt des Schattens blaue Pracht
Und einsam wie ein Wald rauscht tiefe Nacht.

Leben

Und immer fremder sind mir Tag und Räume...
Was weht um mich? Man sagt: ein Menschenwort.
Was rauscht um mich? Man sagt: die dunkeln Bäume,
Die rauschen noch seit deiner Kindheit fort.
Und Gärten stehn im abendlichen Land,
Ihr Schatten grüßt mich kühl und altbekannt.
Ich aber wandre dunkel fort, im Innern
Ein uralt Schattenbild, das leise weint.
Die nenn' ich Mutter, diesen nenn' ich Freund
Und lächle tief und kann mich nicht erinnern.

Regenabend

Wenn kalt der Regen um die Fenster stiebt,
Der Nebel wankend übern Berg gefunden,
Der Sumpf die Schatten meiner Wiesen trübt,
Spür' ich: in diesen grau-verschlafenen Stunden
Nimmt vieles Abschied, das ich sehr geliebt,
Ich kann die Wanderstimmen nicht erkennen,
Die dunkle Worte rufen über Feld,
[92]
Das Sterben nicht mit Namen nennen,
Das jetzt verhüllt durchwandert meine Welt.
Ich weiß nur: irgendwo im Sternenschein
Neigt ein geliebtes Haupt sich dunkler Sünde,
Ein Herz wird kalt, ein Baum verlischt im Winde,
In einem Becher welkt der kühle Wein,
Und alles geht und winkt und schwindet fern,
Im Grau verrieselt auch der letzte Stern.

Der Schatten

Zwischen mir und meinem trunkenen Leben
Wärmt ein Schatten sich an meiner Glut,
Wünschend saust mein ungestilltes Blut,
Doch er raubt mir schon im Niederschweben
Jeden Traum und jedes goldene Gut.
Meiner Schätze waren funkelnd viele,
Doch ich fühl' an meines Bechers Rand
Seines Schattenmundes wilde Kühle
Und am Griffe seine Schattenhand.
Schritt ich so verloren in die Lande,
Ließ mein Wandern keine Spur zurück.
Seine Spuren, halb verweht im Sande,
Sah mein schauernd rückgewandter Blick.
Selbst von meines Schlummers Grunde heben
Seine Hände jeden Schatz der Lust:
Schlafen muß ich steinern, traumbewußt
Zwischen mir und meinem trunkenen Leben.
[93]

Reife

Nacht, die aus den Sternen quillt,
Schmieg dich fester um mein Leben!
Was genommen und gegeben,
Ist vollendet und erfüllt.
Wie ein Brunnen ist mein Blick:
Alle Eimer, die sich hoben,
Kehren überfüllt von oben
Mit gekühltem Licht zurück.

Es war um Ostern...

Es war um Ostern: in die Welt
Zog ich mit achtzehn Jahren,
Ich bin gen Leipzig als Student
Durchs Thüringer Land gefahren.
Ich fuhr vorbei am Hörselberg
Und hörte die Flöten tönen,
Durch den Bergspalt sah ich Frau Venus auch
Und die lachenden, tanzenden Schönen.
Doch von der Wartburg Wällen blickt'
Ein bleicher Mönch hernieder,
Er murmelte Bibelsprüche,
Uralte Sterbelieder.
[94]
Es klang ans Ohr mir ernst und mild,
Es klang so wild und lüstern,
Dazwischen keuchte und ächzte und schnob
Das Dampfroß mit eisernen Nüstern.
Ich starrte den Wolken des Dampfes nach
Mit träumerischem Sinne:
O heiliger Büßer, folg' ich dir?
Folge ich dir, Frau Minne?

Feil hat sie Rettich...

Feil hat sie Rettich und Rapunzeln,
Das alte Weib, ich seh' ihr zu,
Ich sehe unter ihren Runzeln
Die Schönheit — sie war schön wie du.
Die Alte bläst ins Kohlenbecken,
Es sprühn die Funken, und sie lacht:
Die kleinen Flammengeister wecken
Erinnerung mancher Liebesnacht.
Sie seufzt, ihr rotes Aug' wird trüber,
Es zittern ihre alten Knie —
O Klara, gehn wir rasch vorüber,
Sonst denk' ich: du wirst einst wie sie.

Vierzig Tage...

Vierzig Tage, vierzig Nächte
Trank ich aus dem Zauberbecher
Süßigkeiten, Bitternisse,
Wie ich nie genoß zuvor.
[95]
Von des Bechers Rande hab' ich
Losgerissen nun die Lippen,
Und mein Aug' hat gestern abend
Sie gesehn zum letztenmal.
Gestern war ihr zwanzigjähr'ges
Wiegenfest, ich brachte schweigend
Einen Strauß von Rosenknospen,
Vierzig Knospen, halberblüht.
Dir die Rosen! mir die Dornen!
Sei so glücklich, süße Marta,
Sei so glücklich nun mit andern,
Wie du damals mich gemacht!
Schweigend nahm sie hin die Rosen,
Ich umarmte mit den Augen
Einmal noch die reizend schlanke,
Zärtlich schmiegsame Gestalt.
Keinen Kuß und keine Träne!
Und ich ging wie ich gekommen,
Dachte unsres ersten Tages,
Unsrer ersten süßen Nacht.

Es ist das alte Minnelied...

Es ist das alte Minnelied,
Das Meister Gottfried gesungen,
Das Lied begibt sich täglich neu,
Wir singen's in allen Zungen.
Es ist der Minne Zaubertrank,
Der alte, wunderholde,
Von welchem einst Herr Tristan trank
Und Frau Isolde.
[96]
Es ist der arme, betrogne Gemahl,
Herr König Marke, der greise,
Die Liebenden sündigen wie zuvor,
Der König ward nicht weise.
Es ist der alte Liebesfluch:
Tristan bricht ihr die Treue,
Die Treue, die sie dem Gatten brach —
Es gibt kein Glück ohne Reue.

Eine schwarze Perle...

Eine schwarze Perle hab' ich
In dem Kästchen japanesisch
Einst verwahrt an jenem letzten
Tag, als du bei mir gewesen.
Von dem schwarzen Seidenkleide
Sprang sie ab, die kleine Perle,
Morgens auf den weißen Linnen
Fand ich lächelnd sie im Bette.
Traurig seh' ich heut' sie wieder,
Denn uns trennen Berg und Meere,
Einsam lieg' ich in den Kissen —
Bist du treu, o schwarze Perle?

Abendlied

Still! Der Wald ist schwarz geworden,
Zu Tale zieht des Hirten Melodie...
[97]
Die Lüfte ruhen — nächt'ge Vögel
Entflattern lautlos jedem Strauch,
Walddunkel träufelt Tau und Düfte,
Den Kronen stirbt der Winde Hauch,
Die rieseln in die Ebne nieder
Und spielen mit dem Hüttenrauch.
Nun breitet Finsternis die Flügel,
Nun schwindet das Gelände auch...
Still! Der Wald ist stumm geworden:
Im Fernen zagt des Hirten Melodie:
„Gelie...bte du... Gelie...bte du...“

Das Gespenst

Mit grauen Händen tastete der Morgen
Nach meiner Stirne, die noch bleich von Sorgen
Und kühler war als diese kalte Wand.
Mich mied der Schlaf, und immer neue Zahlen
Bedrängten mich wie Seelenqualen,
Ich hob den Kopf, der keine Ruhe fand.
Da sah ich neben dir ein Dunkles lauern,
Das war ein greisenhaft verkrümmtes Kauern,
Das hielt dein liebes Herz in böser Hand
Und nagte gierig dran mit steilen Zähnen —
Da kam vom Hof der Schrei von unsern Hähnen,
Es floh — der junge Tag stieg an das Land.
Ich preßte meinen heißen Kopf und weinte,
Ich wußte, daß auch dieses uns vereinte,
Die Qual, die niedrig ist und wie ein Brand
Die Nächte frißt, die Tage und das Leben.
[98]

Über kalten, dunklen Wassern...

Über kalten dunklen Wassern
Schattete mit schwarzen Seelen
Einsam unsre Todesbarke.
Rot im feuchten Nebel glühte
Vorn am Bug die letzte Fackel,
Vor uns her schwamm blutrot-trunken
Düstern Widerscheins das Wasser.
Über kalten dunklen Wassern
Standen graue Nebelwände,
Und noch einmal preßt' ich schweigend
Deine blassen frierenden Hände.
Über schwarzen Todesfluten
Segeln wir auf unserm Sarge,
Sturm und Nacht kommt bald herauf,
Und dies ist die dunkle See
Alter Klippen, alter Riffe.
Müde sinken meine Lider
Von zu langem Wachen nieder, —
Laß uns ruhen, laß uns schlafen,
Und wohin wir treiben,
Überall ist unser Hafen.
[99]

Du gibst die Liebe hin...

Du gibst die Liebe hin mit lautlos stummem Munde,
Schweigt doch die liebende, die nachtverhüllte Stunde.
Die Angst schreit auf, die Sehnsucht stammelt bang,
Stumm ist allein des Glückes seliger Überschwang.
Die Toren und die Narren lärmen beim becherklingenden Mahl,
Einsam im duftigen Keller greift der Weise zum Pokal.
Die anderen grüßen selig des Lebens Morgenrot,
Du aber, Dichter, gehe selig schweigend in den Tod.

Nachtnebel dunkelt...

Nachtnebel dunkelt überm Moor,
Im Weidenbusche stöhnt es bang,
Dumpfraunend streicht Septemberwind
Am knappen Heidegras entlang,
Stumm gingen wir hindurch die Nacht,
Leis hallte unser Schritt am Grund,
Und was das Herz so traurig macht,
Verschlossen hielt es unsern Mund.
Ihr leises Weinen hört' ich nur,
Doch wagt' ich nicht sie anzuschaun;
Uns glänzt kein Stern und blüht kein Glück,
Wer arm ist, soll auf Glück nicht baun...
O küsse mich zum letztenmal,
Eh' dies mein Herz verdorrt. — Vergehn
Laß die Erinnerung an mich,
Weh uns, daß wir uns je gesehn.
[100]

Funkelt dein Auge noch?

Die du so fern bist in der großen Stadt,
Ich grüße dich, die mein vergessen hat.
Einst hast du meiner Tag und Nacht gedacht,
Stunden des Glücks mit mir verbracht, verlacht;
Froh unter Scherzen schlossen wir den Bund —
Funkelt dein Auge noch, und lacht dein Mund?

Ellen

Die Apfelbäume winken blütenschwer,
Und Mädchensang tönt von den Wiesen her;
Die dunklen Berge krönt der Abendschein,
Im Abendstrahle blinkt der junge Wein;
Ich starre stumpf und trocken wie der Tor —
Ich bin so müde, seit ich dich verlor.

Das war der Duft...

Das war der Duft, der deinem Haar entströmt,
Der mich umhüllt gleich einer Zauberwolke!
— In tiefem Sinnen saß ich still bei Nacht,
Und die Gedanken sengten mir die Stirn —
Da war es mir, als wehte mir entgegen
Ein fremder Hauch aus fern vergeßnen Welten — —
[101]
Ich strecke meine Arme nach dir aus!
Das war der Duft, der deinem Haar entströmte...

Lili

... Als ich dann wieder in die Heimat kam —
Im Frühling war's, die Hyazinthen blühten —
Da war sie tot — von fremden, kalten Menschen
Hinausgetragen in ein kahles Grab. — —
Ich fand es nicht. Langsam ging ich zurück
In ihre Wohnung. Ihre feiste Wirtin
Sprach schmunzelnd: „Gott! Die Menschen sind nicht rar!
Nicht eine Woche stand ihr Zimmer leer!
Jetzt wohnt ein allerliebstes Chansonettlein
Darin — ganz jung noch — mit so lustigen Füßchen!
Woll'n Sie sie sehn?“
— —
Und ich erfuhr, wie sie gestorben war.
Vor ihren Augen, während sie in Qualen
Ohnmächtig dalag, hatten — ihre Schwestern
Begierig ihrer Habe sich bemächtigt:
Sparkassenbücher, Kleider, Schmuck und Wäsche
Aus allen Kästen sich hervorgesucht
Und umgepackt in einen großen Korb. —
Da... hatte sie den bleichen Kopf erhoben
Von ihrem Kissen, hatte sich verwundert
Mit großen, schwarzen Augen umgeschaut
Und hatte... gelächelt...
— —
Mir ist... als ob ich dieses Lächeln sähe!
[102]

Die jubelnd nie...

Die jubelnd nie den überschäumten Becher
Gehoben in der heiligen Mitternacht,
Und denen nie ein dunkles Mädchenauge,
Zur Sünde lockend, sprühend zugelacht —
Die nie den ernsten Tand der Welt vergaßen
Und freudig nie dem Strudel sich vertraut —
O sie sind klug, sie bringen's weit im Leben...
Ich kann nicht sagen, wie mir davor graut!

Ellen

Mein armer Kopf lag still in deinem Schoß
Und dachte, dachte, bis er müde wurde.
Du hattest deine leichte, milde Hand
Auf meine Stirn gelegt und warst entschlafen;
Und gar ein Zauber schien mir auszugehn
Von deinen weißen Fingern: Frieden sandten
Sie nieder in mein Hirn, und allgemach
Sah ich den Schlaf in heitrer Ruhe nahn,
Und mir ward leicht, als schlief ich in den Tod.

Ich sah dich, Freund...

„Ich sah dich, Freund, durchs hohe Saatfeld schreiten.
Du gingst allein, dein Haupt nur überragte
Die Ähren, die das Abendrot vergoldet.
Doch beugtest du von Zeit zu Zeit dich nieder,
Und immer wieder warst du ganz verschwunden.
Nun sage mir: was suchtest du im Felde?“
— Mein Freund, die hohe Saat hat dich betrogen.
[103]
Ich war allein — mit einem kleinen Mädchen.
Zu ihrem Munde beugt' ich mich hernieder
Und suchte dort und fand gar süße Früchte,
Indes die goldnen Ähren uns verhüllten.

Das welke Blatt

In ihren Locken haftete ein welkes Blatt,
Als ich mit ihr den alten Berg hernieder stieg
Zum letztenmal, verstohlne Freude war es mir,
Das braune Blatt im wirren braunen Haar zu sehn,
Den stillen Zeugen still genoßner, heiliger Lust,
Und heimlich, glücklich lächelnd schritt ich neben ihr,
Indes ein schwellend Säuseln durch die Kronen ging.
Und eh' wir noch das erste Haus der Stadt erreicht,
Stahl ich ihr sacht das braune Blatt vom stolzen Haupt.
Und da ich nun nach ihren lieben Augen sah,
Die ehrsam schon und sittig wieder schauten drein,
Hob fragend sie den Blick empor: was nahmst du da?
Ich zeigt' es schweigend. — Eine dunkle Welle Bluts
Floß über ihr schamhaftes Antlitz. Aber dann
Schien plötzlich sie der heißen Wünsche eingedenk —
Ein jäher Blitz hingebungsschwüler, starker Glut
Traf mich, es zitterten die offenen Lippen ihr,
Und überwältigt bebte mir das bange Herz!
Ich faßte zuckend ihre Hand und preßte sie
An meinen Mund und küßte sie zum letztenmal,
Indes ein schwellend Säuseln durch die Kronen ging.
[104]

Liebesode

Im Arm der Liebe schliefen wir selig ein.
Am offnen Fenster lauschte der Sommerwind,
Und unsrer Atemzüge Frieden
Trug er hinaus in die helle Mondnacht. —
Und aus dem Garten tastete zagend sich
Ein Rosenduft an unserer Liebe Bett
Und gab uns wundervolle Träume,
Träume des Rausches — so reich an Sehnsucht!

Gesang des Lebens

Groß ist das Leben und reich!
Ewige Götter schenkten es uns,
Lächelnder Güte voll,
Uns den Sterblichen, Freudegeschaffenen.
Aber arm ist des Menschen Herz!
Schnell verzagt, vergißt es der reifenden Früchte.
Immer wieder mit leeren Händen
Sitzt der Bettler an staubiger Straße,
Drauf das Glück mit den tönenden Rädern
Leuchtend vorbeifuhr.

Im Tal der Freude...

Im Tal der Freude weiß ich ein stilles Haus
Am dunklen, bergquellrauschenden Tannenwald.
Es tönt ein Lied durch meine Nächte,
Das mir im Traume der Quell gesungen.
[105]
Im Tal der Freude weiß ich ein stilles Haus.
Wie hieß das Lied? Ich sinne vergebens nur.
Fern im Gebirg, durch Felsenspalten
Rieselt es heimlich — im Tal der Freude.

Auf Reisen

Die Sonne lag noch auf den Straßen,
Es war am hohen, reifen Tag —
Ein stummer Jubel ohne Maßen
Erhöhte meines Herzens Schlag.
Es klang in mir ein Spiel der Sinne
Aus Kinderlust und Manneskraft,
Und stolz und wonnig ward ich inne
Des Glücks der freien Wanderschaft.
Kein banger Führer, der mich leiten,
Kein Freund, der mich begleiten darf —
Mein sind die Höhen, mein die Weiten,
Rauh weht die Luft, so frisch und scharf.
Und dennoch süß mit sanften Mächten
Dringt Sonnenwärme tief ins Herz,
Und wie ein Traum aus fernen Nächten
Verschwindet jeder alte Schmerz.

Im Lande der Torheit

Im Lande der Torheit küßt' ich die Hände der schönen Fraun,
Sie waren schmeichelnd und weiß, mit blitzenden Ringen geschmückt.
Ich lachte wohl auch beim lieblich klingenden, lockenden Wort,
Und eitel genoß ich des eigenen spielenden Übermuts.
[106]
Doch immer wieder irrte mein Blick ins Leere ab:
Ich sah und fühlte die Hände meiner lieben Frau,
Die weich und still in ruhender Güte sich nach mir
Hersehnen aus der Ferne — deine Hände, die
Allein die Wirrnis dumpfen Wollens je gebannt —
Und ich gedachte jener Stunde, da mir einst
Im Tode diese Hände stummen Trost verleihn.

Denkst du daran...

Denkst du daran, wie du zum erstenmal
Aus deiner Heimatberge düsterm Forst
Aus dunklem Tannengrün des hohen Harzes
Als Knabe niederschautest in die Ebne? —
Die Welt ist bunt! so riefst du jauchzend aus.
Da dehnten sich die farbigen Felderstreifen
Vor dir hinab wie Blätter eines Fächers,
Entfaltet an den runden, sanften Hügeln —
Und also farbig rings die weite Welt!
Und reichlicher und dreimal leuchtender
Als drinnen in den schwarzen Tannenwäldern
Schien drüberhin das Sonnengold zu gluten...
Die Welt ist bunt! — O wär' sie bunt geblieben.

In stiller Sommerluft

Das grüne Gold der Blätter, das die Sonne malt —
Ich seh' es noch, wie's dir vom weißen Kleide blitzt
Und fühle deine Hände noch auf meinem Haar...
Die wilden Blumen dufteten rings so stark und süß.
[107]
Was sprachst du doch? — Ich höre deine Stimme nicht,
Vergebens sinn' ich ihrem fernen Klange nach.
Ich bin allein — in meine offnen Hände fällt
Das grüne Gold der Blätter, das die Sonne malt.

Der Abenteurer

Hier ist das Land. So rudert denn den Kahn zurück
Und meldet den Gefährten: Ich betrat mein Reich,
Als Fürsten sehen sie mich wieder, oder nie. —
Was steht ihr noch und zaudert? Laßt mich nun allein,
Allein mit meinem guten Schwert und meinem Roß —
Nun werb' ich in der Fremde mir die eigene Schar. —
Lebt wohl! — dem wandelbaren Meere kehr' ich heut'
Den Rücken zu — mein Auge sucht die Burgen auf,
In deren Mauern sich der Feige sicher fühlt.
Mein Auge sucht am Horizonte seinen Feind. —
Der Huftritt meines Rosses klingt an morsch Gebein,
An Menschenschädel — mich zu schrecken sind sie wohl
Vom Schicksal auf des Reiches Schwelle ausgestreut?
Zerstampfe sie, mein Schwarzer, stampfe über sie hinweg:
Sie waren nicht, der ich bin — darum fielen sie.

Elegie

Du meines Blutes Unruh', heimliche Liebste du,
Die du verstohlen nur die dunklen Blicke schenkst,
O laß aus deinen schweren Flechten braune Nacht
Um meine Sinne strömen — laß Vergessenheit
Sich breiten über niegestillte Lust und Qual.
[108]
Ich seh' uns wandeln unterm kahlen Winterwald,
Ins Morgenrot, durch streifende Lüfte ging der Weg.
Wir Frohen schritten Hand in Hand und beteten stumm
Und glaubten an den Frühling, als der Schnee noch lag...
— Du sollst nicht weinen — gib mir deine liebe Hand! —
Der Frühling kam, uns beide fand er nicht vereint;
In Sommernächten duftete süß der Lindenbaum —
Wir aber durften nicht in Liebe beisammen sein.
Nun ward es wieder Winter und es starrt der Schnee,
Doch still aus Schmerzen sprießt uns wohl ein spätes Glück,
Das leise webt und langsam um uns beide her.
Laß uns umhüllt von deinen braunen Haaren sein,
Du meines Blutes Unruh', heimliche Liebste du.

Kinderköpfchen

In scheuer Lust — doch nimmermehr verschämt —
Hobst du die runden, weißen Arme auf
Und dehntest sie empor und suchtest blinzelnd
Dein Bild im Spiegel...
Ich aber stand entfesselt hinter dir
Und sah in deinen vollen, blanken Schultern
Die beiden Grübchen...
Da beugt' ich mich auf diesen Nacken nieder
Zum Kuß...
Es ward mir klar, wie du den Göttern still
Vertraut — gar innig wohl befreundet bist.
[109]
Wenn sie dir nahen, tupfen sie dir leise
Mit leichtem Finger auf dies schwellende Rund —
Und also lieblich, Menschensinn verwirrend,
Blieb ihres Grußes Spur in deinem Fleisch.

Auf einem Stein

Auf einem Stein bei der Sonne Scheiden
Übersann ich mein Kämpfen und Leiden.
Klar erzitterte auf einmal
Glockengeläute von Tal zu Tal.
Mächtig wollten die Abendglocken
Von dem Grunde der Erde mich locken.
Selig winkte weltweite Höh',
Sacht zu Boden flockte mein Weh,
Lächelnd, leuchtend im Liliengewande,
Leidlos schwebt' ich zum Lebenslande.

Matt gießt der Mond...

Matt gießt der Mond vom Wolkensaum
Die Wehmut in den Weltenraum;
Der Wind geht klagend vorüber,
Der Himmel wird trüb und trüber.
[110]
Der Himmel ist hoch und die Welt ist weit,
Ich bin verlassen in meinem Leid,
Ich eile die dunkeln Wege,
Daß ich zur Ruh' mich lege...

Schon lag auf Erden...

Schon lag auf Erden dunkles Schweigen,
Nur hin und wieder dumpf ein Klang,
Wenn von den fruchtbeladnen Zweigen
Ein Apfel auf den Rasen sprang.
Vom Garten wehte feucht erquickend
Ein weicher, warmer Wind ins Haus,
Ich aber lehnte, traurig blickend,
Weit aus dem Fenster mich hinaus.
„Wozu dies Zweifeln, dies Verlangen,
Das quälend sich im Busen häuft?
Wozu dies sehnsuchtsvolle Bangen,
Das zitternd durch die Glieder läuft?“
Zum Herzen fühlt' ich's heißer wallen,
Mich übermannt — o süße Pein! —
Der Trieb, der reizendste von allen:
Zu lieben und geliebt zu sein.
Da spürt' ich meine Kraft versagen
In Schauern und in Fieberglut:
„Ich kann's, ich kann's nicht länger tragen,
O lernt' ich nie, wie Liebe tut!“
In Tränen schien der Mond zu schimmern,
Der hinter Wolken trübe schlich,
Vor meinen Augen sah ich's flimmern,
Ich hab' geweint — geweint um dich.
[111]

Abend auf dem See

Golden glänzt die Abendflut
Von der Purpurwolkenglut.
Ruhig zieht mein Boot die Bahn,
Farbenfurchend schwenkt der Schwan.
Holde Dame goldverklärt
Schwanenstill vorüberfährt.

Durch die Maiennacht

Durch die Maiennacht
Fuhr der Wintersturm,
Und die Frühlingspracht
Riß er nieder.
Durch die junge Brust
Fuhr der Todeshauch,
Traf mit grauser Lust
Meine Glieder.
Muß es denn geschehn,
Kann's nicht anders sein,
Will ich freudig gehn
Und entsagen.
Fahre wohl, du Welt,
Liebe, Kampf und Ruhm!
Nur ein schlechter Held
Mag es klagen.
Sinkt die Knospe hin,
Eine neue sprießt,
Und die Folgerin
Sei gegrüßt!
[112]

Vollmond am See

Mondlicht durch die Platanen rinnt,
Welle schlägt ans Gestade,
Vollmond silberne Streifen spinnt
Über die feuchten Pfade.
Jetzt mit dir, Geliebte, so
Leicht in den Lichttanz tauchen,
Überrieselt vom Mondentau
In abgründiger Himmel Blau
Unser sehnsuchtschwellendes Herz verhauchen!

Gang durch die Nacht

Durch hohe Wiesen gehen
In lauer Sommernacht,
Von linder Lüfte Wehen
Umatmet liebesacht...
Der Himmel halb verhüllet,
Fern schwacher Silberschein —
Die müde Seele füllet
Ein süßes Stillesein.

Der Wanderer und das Blumenmädchen

„Kauft Rosen, Herr! Kauft Rosen!“
„Was sollen mir die Rosen?“
„Ei —
[113]
die sollt Ihr Eurer Liebsten
schenken!“
„Ich habe keine.“
„Und wenn Ihr keine Liebste habt,
wann die Rosen glühn,
wann die Herzen blühn,
dann lägt Ihr besser im tiefen Grab —
wenn Euch kein Liebmädel herzen mag
um die Rosenzeit,
um die Rosenzeit.“

Um Mitternacht

Sieben Zwerge um Mitternacht
haben Armseelchen zu Grab gebracht.
Hat ihm kein Bitten und Beten genützt —
hat es eben sterben gemüßt.
Haben die Glocken leise geklungen,
und die Kinderchen haben gesungen.
Sieben Zwerge um Mitternacht
haben Armseelchen zu Grab gebracht.
Haben alle wilden Tiere geweint.
Hat kein Mond und kein Sternlein gescheint.
Hätt' ein Lichtlein gern leuchten gemöcht —
hat es der Wind ausgelöscht.
Sieben Zwerge in finstrer Nacht
haben Armseelchen zur Ruh' gebracht.
[114]

Wiegenlied

Und was seh' ich denn da oben im Himmel
in einem großen blauen Saal?
O viele viele weiße Englein.
Ja und was machen die denn da?
Die einen putzen den Mond blank,
die andern putzen die Sternlein,
daß sie heut nacht schön blinkblank
in mei'm Kindle sein' Traum schein'.

Herbstgang

Vom Strauche fällt die Haselnuß,
Der Vögel Sang ist jäh verklungen — —
Ich kannt' des Liedes herben Schluß,
Und doch hat es mein Mund gesungen.
Ich kannt' der kurzen Schritte Zahl,
Die durchs Geländ' zum Kreuzweg leiten,
Wo du ins wiesengrüne Tal,
Ich durch die Heide mußte schreiten.
Und doch vermocht' das Abschiedswort
Nicht um sein Glück das Herz zu bringen,
Und klang auch herb der Schlußakkord,
— Es war doch süß, das Lied zu singen!
[115]

Wandel

Auf nächtlicher Heide, von Geistern umhuscht,
Hab' ich den Stürmen ins Handwerk gepfuscht
Mit der Seele wilden Gesängen.
Und ich sang sie so laut, mit der Sehnsucht Schrei,
Und ich sang und sehnte die Sonne herbei,
Im Herzen die Nacht zu verdrängen.
Und siehe, im Himmel der alte Gott,
Er schickte den höllischen Geistern zum Spott
Auch mir die strahlende Spende.
Nachtheide, sie wurde zur Frühlingsau,
Dich seh' ich' dir lausch' ich, du herrliche Frau,
Und ich knie und küss' dir die Hände — —.

Der schwarze Ritter

Ich reite stumm aus dem Turnier,
Ich trage aller Siege Namen.
Ich neige mich vor dem Balkon der Damen
Tief. Aber keine winkt nach mir.
Ich singe zu der Harfe Ton,
Aus der die tiefen Laute steigen.
Alle Harfner lauschen und schweigen,
Aber die holden Frauen sind entflohn.
[116]
In meines Wappens schwarzem Feld
Sind hundert Kränze aufgehangen,
Die gold von hundert Siegen prangen.
Aber der Kranz der Liebe fehlt.
An meinem Sarge werden sich bücken
Ritter und Sänger und werden ihn
Mit Lorbeer bedecken und bleichem Jasmin,
Aber keine Rose wird ihn schmücken.

Ich liebe Frauen —

Ich liebe Frauen, die vor tausend Jahren
Geliebt von Dichtern und besungen waren.
Ich liebe Städte, deren leere Mauern
Königsgeschlechter alter Zeit betrauern.
Ich liebe Städte, die erstehen werden,
Wenn niemand mehr von heute lebt auf Erden.
Ich liebe Frauen — schlanke, wunderbare,
Die ungeboren ruhn im Schoß der Jahre.
Sie werden einst mit ihrer sternebleichen
Schönheit der Schönheit meiner Träume gleichen.

Nach Paul Verlaine

Ich träume wieder von der Unbekannten,
Die schon so oft im Traum vor mir gestanden.
Wir lieben uns, sie streicht das wirre Haar
Mir aus der Stirn mit Händen wunderbar.
Und sie versteht mein rätselhaftes Wesen
Und kann in meinem dunklen Herzen lesen.
[117]
Du fragst mich: ist sie blond? Ich weiß es nicht.
Doch wie ein Märchen ist ihr Angesicht.
Und wie sie heißt? Ich weiß nicht. Doch es klingt
Ihr Name süß, wie wenn die Ferne singt —
Wie eines Name, den du Liebling heißt
Und den du ferne und verloren weißt.
Und ihrer Stimme Ton ist dunkelfarben
Wie Stimmen von Geliebten, die uns starben.

Elisabeth

Ich soll erzählen,
Die Nacht ist schon spät —
Willst du mich quälen,
Schöne Elisabeth?
Daran ich dichte
Und du dazu,
Meine Liebesgeschichte
Ist dieser Abend und du.
Du mußt nicht stören,
Die Reime verwehn.
Bald wirst du sie hören,
Hören und nicht verstehn.

Die frühe Stunde

Silbern überflogen
Ruhet das Feld und schweigt,
Ein Jäger hebt seinen Bogen,
Der Wald rauscht und eine Lerche steigt.
[118]
Der Wald rauscht und eine zweite
Steigt auf und fällt.
Ein Jäger hebt seine Beute,
Und der Tag tritt in die Welt.

Lady Rosa

Du mit der Stirne voller Licht,
Du mit den wunderbaren
Braunaugen und den seidnen Haaren,
Ich kenne dich! Du aber kennst mich nicht.
Du mit dem klaren Angesicht,
Du Zarte mit deinen leisen,
Fremdländischen, süßen Liederweisen,
Ich liebe dich! Du aber kennst mich nicht.

Der Abenteurer

Mein Herz ist müd, mein Herz ist schwer;
Ich habe Sehnsucht nach dem Meer.
Ich habe Sehnsucht nach der Glut
Der violetten Abendstunde,
Die lodernd auf den Wellen ruht
In einem süditalischen Sunde.
Ich habe Sehnsucht nach den blauen
Sternhimmeln der Lagunennacht,
Nach der Kanäle welker Pracht
Und nach Venedigs schönen Frauen,
Nach welscher Schifferlieder Sang,
Nach frechen, dunklen, sturmbedrohten
Fahrten in schwanken Schifferbooten
Und nach der gellen Brandung Klang.
[119]
Deutsch und beklommen schwelt die Luft
Der Stadt um mich — o wieviel Tage
Und Jahre, die ich ohne Duft
Und Klang und Farbe hier verklage!
Indessen rollt und rollt die Zeit —
Wie einer fernen Warte Feuer
Glänzt mir herüber jahreweit
Die bunte Welt der Abenteuer,
Versunken ohne Wiederkehr
In Trauer, Traum und Dunkelheit...
Mein Herz ist müd, mein Herz ist schwer;
Ich habe Heimweh nach dem Meer.

Fiesole

Über mir im Blauen reisen
Wolken, die mich heimwärts weisen.
Heimwärts in die namenlose Ferne,
In das Land des Friedens und der Sterne.
Heimat! Soll ich deine blauen
Schönen Ufer niemals schauen?
Dennoch ist mir, hier im Süden müßten
Nah sein und erreichbar deine Küsten.

Er ging im Dunkel —

Er ging im Dunkel gern, wo schwarzer Bäume
Gehäufte Schatten kühlten seine Träume.
Und dennoch litt in seiner Brust gefangen
Nach Licht! nach Licht! ein brennendes Verlangen.
[120]
Er wußte nicht, daß über ihm die klaren
Himmel voll reiner Silbersterne waren.

Maienwind

Mutwillige Mädchenwünsche
Haben Flieder
Niedergebogen,
Blauen und weißen.
Wie Tauben sind sie weitergeflogen,
Mit Wangen, wilden und heißen.
Hoch in warmen, schelmischen Händen
Haschender Sonne
Geschwungene Strahlen.
Hellbehende Wonne
Weißer Kleider
Weht.
Mutwillige Mädchenwünsche
Haben sich Flieder
Niedergebogen,
Blauen und weißen, —
Sind weitergezogen...
[121]

Brautseele

Das Gewand meiner Seele zittert im Sturm deiner Liebe,
Wie tief im Hain
Das Herz des Frühlings zittert.
Ja, du mein heftiges Herz,
Wir haben Frühling!
Auf einmal ist nun alles Blühen da!
Meine freudigen Wangen
Sind aufgegangen
Fromm nach deinen Küssen.
Gefährlich bist du, o Frühling,
Und verwirrt;
Wie von heftiger Süße
Prangenden Weines
Pocht meine Seele.
Wie er so sinnend mich streichelt
Mit seinen Strahlen allen,
Und schlafen möchte ich
Immerzu.
So träume ich vom eigenen Blute
Und bin so wach
Von mir,
So erschrocken,
Wie man wohl aufhorcht
Im flüsternden Herzen der Nacht.
Wie Sterne, die nicht schlafen können,
Stehn meine Augen!
Und bin doch so müde,
So sonderbar müde.
Sind wir Mädchen nicht alle so sonderbar müde
[122]
Um diese Zeit?
Das macht, du bist um uns,
Du bist ein Zauberer.
In Bäumen und Menschen
Zauberst du
Ein Sehnen und Dehnen,
Ein müdes, verlangendes Gähnen.
Ja, ja, ihr Gespielinnen,
Der kennt euch!
Vor ihm kann kein Geheimnis bestehen,
Er ist ja Weib wie ihr
Und eine heimliche, schelmische Stärke.
Frühling, sag, was machst du mit uns,
Daß wir alle so sprossend müde sind?
Wir fühlen dich ganz in uns.
Du durchtönst uns,
Tust mit uns ganz das Leben!
Ja, wir beben Leben!
Fromm atmet in uns eine Andacht,
Und wohlig will es werden
Rings auf der sprossenden Erden.
Wie wir uns regen,
Da ist immer ein heimliches Bewegen.
Da ist die Quelle ein rieselnder Spiegel,
Der uns erquickt und uns darreicht,
Da ist der Spiegel eine bleibende Quelle,
Und immer wird uns leise
Süß von uns;
So zeigt es uns, verrät es uns,
Wie süß wir sind
Für den einen, andern.
[123]
O komm!
Ich bin ja so süß
Nach dir!
O komm!
Ich bin ja so schön
Nach dir!
Ich, deine lebendige,
Deine wartende Zier
Vergehe nach dir!
Jeden Tag kommt Alter, kommt Welken, —
O komm!
Komm du dem Alter, dem Welken zuvor!
Ein Sehnen geht in allen Blumen
Und will dich holen mit Farben und Duft,
Und alles, was schön ist auf dieser Weltwiese,
Ist nur aus Sehnen und Liebe schön.
Lieblich schlau
Üben wir Schönheit
So lange vor euch,
Bis daß ihr kommt!
Schüchtern, schelmisch
Spielt sich unsere arme
Lodernde Seele
Hin vor euch!
Dann, dann!
Dann kommen zwei lodernde Sonnen
In meinen Tag;
Du mein doppelter Tag
Mit deinen beiden Sonnen!
Du! du!
[124]
Und deine Hand!
Meines Mundes duftende Blüte
Vergeht vor deiner Güte.
Und meine Wangen
Sind aufgegangen,
Wie meine Flechten
Vor deiner Rechten!
Ja, du hast recht, glätte sie nur,
Du meine wirrglühende Sonne!
Rufe, locke alles heraus
Aus deiner Erde, du mein Lenz!
Du hast ja gleich zwei Sonnen,
Und eine brauchen wir nur am Himmel.
Und diese beiden Sonnen erzählen dich mir
Wie du aufgewachsen und wo du
Gewachsen für mich!
Wie der heilige Wein Palästinas
Den Heiland mir ansagt,
Sein Seelenfrühlicht,
Sein wärmendes Wandeln.
O, wie da alles aufsteht!
Feierlich, rauschend!
Vorbereitend!
O komm!
Ich bin ja so schön nach dir!
0 laß mich weinen
Tränen der Braut,
Tränen, du Böser,
Daß ich so lange warten mußte auf dich!
Das tut so wohl!
[125]
Meine Seele badet.
Dann kommt sie zu dir.
Ja?

Waldesstimme

Wie deine grüngoldnen Augen funkeln,
Wald, du mosiger Träumer!
Wie deine Gedanken dunkeln,
Einsiedel, schwer von Leben,
Saftseufzender Tagesversäumer!
Über der Wipfel Hin- und Wiederschweben
Wie's Atem holt und voller wogt und braust
Und weiter zieht — und stille wird — und saust.
Über der Wipfel Hin- und Wiederschweben
Hoch droben steht ein ernster Ton,
Dem lauschten tausend Jahre schon
Und werden tausend Jahre lauschen...
Und immer dieses starke, donnerdunkle Rauschen.

An Gott

Deine Himmel sind mir viel zu süß:
Gib mir, mit freier Brust zu ragen,
Mit dir die Welten zu ertragen,
Wo du bist!
[126]

Abbild

Seele meines Weibes, wie zartes Silber bist du.
Zwei flinke Fittiche weißer Möwen
Deine beiden Füße.
Und dir im lieben Blute auf
Steigt ein blauer Hauch
Und sind die Dinge darin
Alle ein Wunder.

Prometheus

Entgegengeschmiedet
Auf schroffem Fels
Den Pfeilen der Sonne,
Dem Hagelgeprassel,
Trotz' ich, Olympier, dir.
Der wiederwachsenden Leber
Zuckende Fibern
Hackt mir des Geiers Biß
Aus klaffender Wunde.
Ein Wimmern, glaubtest,
Olympier, du,
Würden die rauschenden Winde
Ins hochaufhorchende
Ohr dir tragen?
Nicht reut mich der Mensch,
Der Leben und Feuer mir dankt,
Nicht fleh' ich Entfeßlung von dir.
Jahrhunderte will ich
Felsentrotzig durchdauern,
Jahrtausende,
[127]
Wenn dir die Lust nicht schwindet,
Wenn der Trotzende nicht
Zu glücklich dir scheint.

Abendröte

Sieh da droben die Rosen! Ein glüher Jubel
Die Wangen der Nacht
In Scharlach und Purpurpracht.
Nun ist da droben Hochzeit:
Die Königskinder des Himmelreiches.
Strenge Augen erster Schönheit,
Frieden frierend,
Wie vor kämpfend heißen Rosen
Wundern an den schweren Schmuck goldspielender Brokate,
Des Samtes tiefenweiches Blut,
Gebettet in des Schneees nachtgeflammte,
Flockenzarte Wärme: den hehren Hermelin.
Die Kränze nehmen sie von herben Scheiteln ab
Und heben Bechertau an ihres Lebens
Rötlich reine Kelche,
Und verwunden
Die Verklärung
Saftigherber Früchte.
Des strengen Lagers scheue Falten warten...
Wie entsetzlich ist Schönheit! ...
Wie eine Siegesfahne hält
Der Himmel
[128]
Des Lebens leuchtendrote Brunst mit aller seiner Adlermacht.
Der Sieger sinkt.
Die Nacht fällt in den Wein.

Selige Grüße

Bläulicher Flieder.
Ist das ein Grüßen!
Wirbelnde Lieder
Wehen herüber, —
Stürben lieber.
Seligsein — und das heißt büßen.

Der Wind in der Nacht

Sitz' ich daheim allein
Und falte nur sacht
Die Hände im Lampenschein.
Der Wind ist in der Nacht.
Der Abend will Ruh'
Vor Tages Not und Gier
Und, o Geliebte du,
Träume von dir.
Wie ein Schwingenpaar spannt
Die Seele sich aus,
Über Berg und Land
Grüßt sie dein Vaterhaus.
[129]
Du bist noch wach
Und horchst in die Nacht,
Der Wind auf dem Dach
Hat dich elend gemacht.

Capriccio

Der Hofnarr Ihrer Majestät
Der Königin Irmelin
Klimpert ein Madrigal
So für sich hin, —
Ein wenig sentimental.
Die Saiten seiner Laute sind
Golden wohl wie das Haar
Irmelins, blink und blank.
Einmal flog eins im Wind
Und klang, wie's zu Boden sank.
Die Kammerzofe Liselot
Schenkt ihm alltäglich früh
Ein solches Goldhaar fein und rot.
Draus — flicht er sich jedenfalls
Ein Schlinglein um den Hals.

Vorfrühling

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
[130]
Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.
Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten,
Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt,
Er glitt durch die Flöte
Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei,
Er flog mit Schweigen
Durch flüsternde Zimmer
Und löschte mit Neigen
Der Ampel Schimmer.
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehen
Blasse Schatten
[131]
Und den Duft,
Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern nacht.

Die Beiden

Sie trug den Becher in der Hand,
Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand.
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.
So leicht und fest war seine Hand:
Er saß auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.
Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.

Ballade des äußeren Lebens

Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
Und alle Menschen gehen ihrer Wege.
Und süße Früchte werden aus den herben
Und fallen nachts wie tote Vögel nieder
Und liegen wenig Tage und verderben.
[132]
Und immer weht der Wind, und immer wieder
Vernehmen wir und reden viele Worte
Und spüren Lust und Müdigkeit der Glieder.
Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte
Sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen
Und drohende, und totenhaft verdorrte...
Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen
Einander nie? und sind unzählig viele?
Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?
Was frommt das alles uns und diese Spiele,
Die wir doch groß und ewig einsam sind
Und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?
Was frommt's, dergleichen viel gesehen haben?
Und dennoch sagt der viel, der „Abend“ sagt,
Ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt
Wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.

Manche freilich...

Manche freilich müssen drunten sterben,
Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
Andre wohnen bei dem Steuer droben,
Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.
Manche liegen immer mit schweren Gliedern
Bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
Andern sind die Stühle gerichtet
Bei den Sibyllen, den Königinnen,
Und da sitzen sie wie zu Hause,
Leichten Hauptes und leichter Hände.
[133]
Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
In die anderen Leben hinüber,
Und die leichten sind an die schweren
Wie an Luft und Erde gebunden:
Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
Kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
Noch weghalten von der erschrockenen Seele
Stummes Niederfallen ferner Sterne.
Viele Geschicke weben neben dem meinen,
Durcheinander spielt sie alle das Dasein,
Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
Schlanke Flamme oder schmale Leier.

Terzinen über Vergänglichkeit

Noch spür' ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt
Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind,
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.
Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war,
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar.
So eins mit mir als wie mein eignes Haar.
[134]

Erlebnis

Mit silbergrauem Dufte war das Tal
Der Dämmerung erfüllt, wie wenn der Mond
Durch Wolken sickert. Doch es war nicht Nacht.
Mit silbergrauem Duft des dunkeln Tales
Verschwammen meine dämmernden Gedanken,
Und still versank ich in dem webenden
Durchsicht'gen Meere und verließ das Leben.
Wie wunderbare Blumen waren da,
Mit Kelchen dunkelglühend! Pflanzendickicht,
Durch das ein gelbrot Licht wie von Topasen
In warmen Strömen drang und glomm. Das Ganze
War angefüllt mit einem tiefen Schwellen
Schwermütiger Musik. Und dieses wußt' ich,
Obgleich ich's nicht begreife, doch ich wußt' es:
Das ist der Tod. Der ist Musik geworden,
Gewaltig sehnend, süß und dunkelglühend,
Verwandt der tiefsten Schwermut.
Aber seltsam!
Ein namenloses Heimweh weinte lautlos
In meiner Seele nach dem Leben, weinte
Wie einer weint, wenn er auf großem Seeschiff
Mit gelben Riesensegeln gegen Abend
Auf dunkelblauem Wasser an der Stadt,
Der Vaterstadt vorüberfährt. Da sieht er
Die Gassen, hört die Brunnen rauschen, riecht
Den Duft der Fliederbüsche, sieht sich selber
Ein Kind am Ufer stehn, mit Kindesaugen,
Die ängstlich sind und weinen wollen, sieht
Durchs offne Fenster Licht in seinem Zimmer —
[135]
Das große Seeschiff aber trägt ihn weiter,
Auf dunkelblauem Wasser lautlos gleitend
Mit gelben, fremdgeformten Riesensegeln.

Dein Antlitz...

Dein Antlitz war mit Träumen ganz beladen.
Ich schwieg und sah dich an mit stummem Beben.
Wie stieg das auf! daß ich mich einmal schon
In frühern Nächten völlig hingegeben
Dem Mond und dem zuviel geliebten Tal,
Wo auf den leeren Hängen auseinander
Die magern Bäume standen und dazwischen
Die niedern kleinen Nebelwolken gingen
Und durch die Stille hin die immer frischen
Und immer fremden silberweißen Wasser
Der Fluß hinrauschen ließ, wie stieg das auf!
Wie stieg das auf! Denn allen diesen Dingen
Und ihrer Schönheit, die unfruchtbar war,
Hingab ich mich in großer Sehnsucht ganz,
Wie jetzt für das Anschaun von deinem Haar
Und zwischen deinen Lidern diesen Glanz!

Terzinen

Wir sind aus solchem Zeug, wie das zu Träumen,
Und Träume schlagen so die Augen auf
Wie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,
Aus deren Krone den blaßgoldnen Lauf
Der Vollmond anhebt durch die große Nacht.
... Nicht anders tauchen unsre Träume auf,
[136]
Sind da und leben, wie ein Kind, das lacht,
Nicht minder groß im Auf- und Niederschweben
Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.
Das Innerste ist offen ihrem Weben,
Wie Geisterhände in versperrtem Raum
Sind sie in uns und haben immer Leben.
Und drei sind Eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum.

Der Jüngling in der Landschaft

Die Gärtner legten ihre Beete frei,
Und viele Bettler waren überall,
Mit schwarzverbundnen Augen und mit Krücken,
Doch auch mit Harfen und den neuen Blumen,
Dem starken Duft der schwachen Frühlingsblumen.
Die nackten Bäume ließen alles frei:
Man sah den Fluß hinab und sah den Markt
Und viele Kinder spielen längs den Teichen.
Durch diese Landschaft ging er langsam hin
Und fühlte ihre Macht und wußte, daß
Auf ihn die Weltgeschicke sich bezogen.
Auf jene fremden Kinder ging er zu
Und war bereit, an unbekannter Schwelle
Ein neues Leben dienend hinzubringen.
Ihm fiel nicht ein, den Reichtum seiner Seele,
Die frühern Wege und Erinnerung
Verschlungner Finger und getauschter Seelen
Für mehr als nichtigen Besitz zu achten.
[137]
Der Duft der Blumen redete ihm nur
Von fremder Schönheit, und die neue Luft
Nahm er stillatmend ein, doch ohne Sehnsucht:
Nur daß er dienen durfte, freute ihn.

Aus „Der Tod des Tizian“

Gianino spricht:

Mir war, als ginge durch die blaue Nacht,
Die atmende, ein rätselhaftes Rufen.
Und nirgends war ein Schlaf in der Natur.
Mit Atemholen tief und feuchten Lippen,
So lag sie, horchend in das große Dunkel,
Und lauschte auf geheimer Dinge Spur.
Und sickernd, rieselnd kam das Sterngefunkel
Hernieder auf die weiche, wache Flur.
Und alle Früchte schweren Blutes schwollen
Im gelben Mond und seinem Glanz, dem vollen
Und alle Brunnen glänzten seinem Ziehn,
Und es erwachten schwere Harmonien.
Und wo die Wolkenschatten hastig glitten,
War wie ein Laut von weichen, nackten Tritten...
Leis stand ich auf — ich war an dich geschmiegt —
Da schwebte durch die Nacht ein süßes Tönen,
Als hörte man die Flöte leise stöhnen,
Die in der Hand aus Marmor sinnend wiegt
Der Faun, der da im schwarzen Lorbeer steht,
Gleich nebenan, beim Nachtviolenbeet.
Ich sah ihn stehen still und marmorn leuchten;
Und um ihn her im silbrig Blauen, Feuchten,
Wo sich die offenen Granaten wiegen,
Da sah ich deutlich viele Bienen fliegen,
[138]
Und viele saugen, auf das Rot gesunken,
Von nächt'gem Duft und reifem Safte trunken.
Und wie des Dunkels leiser Atemzug
Den Duft des Gartens um die Stirn mir trug,
Da schien es mir wie das Vorüberschweifen
Von einem weichen, wogenden Gewand
Und die Berührung einer warmen Hand.
In weißen, seidig weißen Mondesstreifen
War liebestoller Mücken dichter Tanz,
Und auf dem Teiche lag ein weicher Glanz
Und plätscherte und blinkte auf und nieder.
Ich weiß es heut' nicht, ob's die Schwäne waren,
Ob badender Najaden weiße Glieder,
Und wie ein süßer Duft von Frauenhaaren
Vermischte sich dem Duft der Aloe...
Und was da war, ist mir in eins verflossen:
In eine überstarke, schwere Pracht,
Die Sinne stumm und Worte sinnlos macht.

Aus „Der Abenteurer und die Sängerin“

Der Baron spricht:

Ich will hier Feste geben. Schaff mir Löwen,
Die Blumensträuße aus dem Rachen werfen!
Vergoldete Delphine stell vors Tor,
Die roten Wein ins grüne Wasser spein!
Nicht drei, nicht fünf, zehn Diener nimm mir auf
Und schaff Livreen. An den Treppen sollen
Drei Gondeln hängen voller Musikanten
In meinen Farben.
[139]
Ich will den Kampanile um und um
In Rosen und Narzissen wickeln. Droben
Auf seiner höchsten Spitze sollen Flammen
Von Sandelholz, genährt mit Rosenöl,
Den Leib der Nacht mit Riesenarmen fassen.
Ich mach' aus dem Kanal ein fließend Feuer,
Streu so viel Blumen aus, daß alle Tauben
Betäubt am Boden flattern, so viel Fackeln,
Daß sich die Fische angstvoll in den Grund
Des Meeres bohren, daß Europa sich
Mit ihren nackten Nymphen aufgescheucht
In einem dunkleren Gemach versteckt
Und daß ihr Stier geblendet laut aufbrüllt!
Mach Dichterträume wahr, stampf aus dem Grab
Den Veronese und den Aretin,
Spann Greise vor, bau eine Pyramide
Aus Leibern junger Mädchen, welche singen!
Die Pferde von Sankt Markus sollen wiehern
Und ihre ehrnen Nüstern blähn vor Lust!
Die oben liegen in den bleiernen Kammern
Und ihre Nägel bohren in die Wand,
Die sollen innehalten und schon meinen,
Der Jüngste Tag ist da, und daß die Engel
Mit rosenen Händen und dem wilden Duft
Der Schwingen niederstürzend jetzt das Dach
Von Blei hinweg, herein den Himmel reißen! ...

Derselbe spricht:

O hättest du gelernt wie ich zu leben,
Dir wäre wohl.
Ich achte diese Welt nach ihrem Wert,
[140]
Ein Ding, auf das ich mich mit sieben Sinnen
So lange werfen soll, als Tag' und Nächte
Mich wie ein ächzend Fahrzeug noch ertragen,
Leben! Gefangen liegen, schon den Tritt
Des Henkers schlürfen hörn im Morgengrauen
Und sich zusammenziehen wie ein Igel,
Gesträubt vor Angst und starrend noch von Leben!
Dann wieder frei sein! atmen! wie ein Schwamm
Die Welt einsaugen, über Berge hin!
Die Städte drunten, funkelnd wie die Augen!
Die Segel draußen, vollgebläht wie Brüste!
Die weißen Arme! Die von Schluchzen dunklen
Verführten Kehlen! Dann die Herzoginnen
Im Spitzenbette weinen lassen und
Den dumpfen Weg zur Magd, du glaubst mir nicht?
Ich sage dir, es gibt nichts Lustigres
Als hier im Zimmer auf und nieder gehn,
Sich Wein einschenken, essen, schlafen, küssen
Und draußen an der Tür den wilden Atem
Von einem gehen hören oder einer,
Die lauert und in der geballten Faust
Den Tod hält, deinen oder ihren Tod! ...
[141]

Ein Abschied

Sein Freund, der Türmer, war noch wach,
wie Silber gleißte das Rathausdach,
und drüber stand der Mond.
Er wußte kaum, wie schwer er litt,
doch schlug ihm das Herz bei jedem Schritt,
und das Ränzel drückte ihn.
Die Gasse war so lang, so lang,
und dazu noch die Stimme, die über ihm sang:
Wann's Mailüfterl weht!
Jetzt bog sich ein Fliederstrauch über den Zaun,
und die Mutter Gottes, aus Stein gehaun,
stand weiß vor dem Domportal.
Hier stand er eine Weile still
und hörte, wie eine Dohle schrill
hoch oben ums Turmkreuz pfiff.
Dann löschte links in dem kleinen Haus
der Löwenwirt seine Lichter aus,
und die Domuhr schlug langsam zehn.
Die Brunnen rauschten wie im Traum,
die Nachtigall schlug im Lindenbaum,
und alles war wie sonst!
[142]
Da riß er die Rose sich aus dem Rock
und stieß sie ins Pflaster mit seinem Stock,
daß die Funken stoben, und ging.
Das Lämpchen flackerte rot überm Tor,
und der Wald, in den sich sein Weg verlor,
stand schwarz im Mondlicht da...
Erst droben auf dem Heiligenstein
fiel ihm noch einmal alles ein,
als der Weg um die Buche bog.
Die Blätter rauschten, er stand und stand
und sah hinunter unverwandt,
wo die Dächer funkelten!
Dort stand der Garten und dort das Haus,
und jetzt war das aus, und jetzt war das aus,
und — die Dächer funkelten!
Sein Herz schlug wild, sein Herz schlug nicht fromm:
Wann i komm, wann i komm, wann i wiederkomm!
Doch er kam nie wieder.

Ninon

Ninon heißt sie. Ihre Mutter
handelt nachts mit Apfelsinen
an der Weidendammer Brücke.
Doch sie selbst ist Kammerkätzchen.
Stöckelschühchen. Sehr kokett.
Sehr kokett sitzt auch ihr Häubchen,
das auf ihrem krausen Köpfchen
weiß und niedlich balanciert.
[143]
Doch der kleine Marmorschlingel,
der dem Spiegel vis-a-vis
grad vor einem Makartstrauß hockt,
läßt sich dadurch nicht verblüffen.
Immer, wenn ihr Pfauenwedel
ihn frühmorgens abstäubt, lacht er.
Ja, die Stutzuhr kann sogar
deutlich hören, was er sagt:
„Tu mir den Gefallen, Kind, und
kokettiere nicht so viel!
Ninon nennt die gnäd'ge Frau dich?
Geh, du heißt ja gar nicht so!
Marta heißt du. Dein Papa
war der gnäd'ge Herr von Dingsda.
Vor drei Wochen in Neuyork
starb er als Konditorlehrling.
Deine Mutter lebt. Sie schielt,
hinkt und schnupft. Im übrigen
handelt sie mit Apfelsinen
an der Weidendammer Brücke. „

Aus dem „Phantasus“

Ihr Dach stieß fast bis an die Sterne

Ihr Dach stieß fast bis an die Sterne,
vom Hof her stampfte die Fabrik.
Es war die richtige Mietskaserne
mit Flur- und Leiermannsmusik!
Im Keller nistete die Ratte,
parterre gab's Branntwein, Grog und Bier,
und bis ins fünfte Stockwerk hatte
das Vorstadtelend sein Quartier.
[144]
Dort saß er nachts vor seinem Lichte
— Duck nieder, nieder, wilder Hohn! —
Und fieberte und schrieb Gedichte,
ein Träumer, ein verlorner Sohn!
Sein Stübchen konnte grade fassen
ein Tischchen und ein schmales Bett;
er war so arm und so verlassen,
wie jener Gott aus Nazareth!
Doch pfiff auch dreist die feile Dirne,
die Welt, ihn aus: Er ist verrückt!
Ihm hatte leuchtend auf die Stirne
der Genius seinen Kuß gedrückt.
Und wenn, vom holden Wahnsinn trunken,
er zitternd Vers an Vers gereiht,
dann schien auf ewig ihm versunken
die Welt und ihre Nüchternheit.
In Fetzen hing ihm seine Bluse,
sein Nachbar lieh ihm trocknes Brot,
er aber stammelte: O Muse!
Und wußte nichts von seiner Not.
Er saß nur still vor seinem Lichte,
allnächtlich, wenn der Tag entflohn,
und fieberte und schrieb Gedichte,
ein Träumer, ein verlorner Sohn!

Aus dem „Phantasus“

Die Nacht liegt in den letzten Zügen

Die Nacht liegt in den letzten Zügen,
der Regen tropft, der Nebel spinnt...
o, daß die Märchen immer lügen,
die Märchen, die die Jugend sinnt!
[145]
Wie lieblich hat sich einst getrunken
der Hoffnung goldner Feuerwein!
Und jetzt? Erbarmungslos versunken
in dieses Elend der Spelunken —
o Sonnenschein! O Sonnenschein!
Nur einmal, einmal noch im Traume
laßt mich hinaus, o Gott, hinaus!
Denn süß rauscht's nachts im Lindenbaume
vor meines Vaters Försterhaus.
Der Mond lugt golden um den Giebel,
der Vater träumt von Mars-la-Tour,
lieb Mütterchen studiert die Bibel,
ihr Nestling koloriert die Fibel,
und leise, leise tickt die Uhr.
O goldne Lenznacht der Jasminen,
o wär' ich niemals dir entrückt!
Das ew'ge Rädern der Maschinen
hat mir das Hirn zerpflückt, zerstückt!
Einst schlich ich aus dem Haus der Väter
nachts in die Welt mich wie ein Dieb,
und heut' — drei kurze Jährchen später! —
Wie ein geschlagner Missetäter,
schluchz' ich: Vergib, o Gott, vergib!
Wozu dein armes Hirn zerwühlen?
Du grübelst und die Weltlust lacht!
Denn von Gedanken, von Gefühlen
hat noch kein Mensch sich satt gemacht!
Ja, recht hat, o du süße Mutter,
[146]
Dein Spruch, vor dem's mir stets gegraust:
Was soll uns Shakespeare, Kant und Luther?
Dem Elend dünkt ein Stückchen Butter
erhabner als der ganze Faust!

Rote Rosen...

Rote Rosen
winden sich um meine düstre Lanze.
Durch weiße Lilienwälder
schnaubt mein Hengst.
Aus grünen Seeen,
Schilf im Haar,
tauchen schlanke, schleierlose Jungfraun.
Ich reite wie aus Erz.
Immer,
dicht vor mir,
fliegt der Vogel Phönix
und singt.

Die Sonne sank...

Die Sonne sank.
Ich wartete. Wie lange...
Unsichtbar,
wie ersticktes Weinen,
klang unter den Weiden der Fluß.
[147]
Durchs Dunkel, neben mir, taste ich nach den roten Blumen.
Sie sind welk.
Du hast mich vergessen!

In einem Garten...

In einem Garten
unter dunklen Bäumen
erwarten wir die Frühlingsnacht.
Noch glänzt kein Stern.
Aus einem Fenster,
schwellend,
die Töne einer Geige...
Der Goldregen blinkt,
der Flieder duftet,
in unsern Herzen geht der Mond auf!

Phantasus

Aus weißen Wolken
baut sich ein Schloß.
Spiegelnde Seeen, selige Wiesen,
singende Brunnen aus tiefstem Smaragd!
In seinen schimmernden Hallen
wohnen
die alten Götter.
Noch immer,
abends,
wenn die Sonne purpurn sinkt,
[148]
Glühn seine Gärten,
von ihren Wundern bebt mein Herz
und lange... steh' ich.
Sehnsüchtig!
Dann naht die Nacht,
die Lust verlischt,
wie zitterndes Silber blinkt das Meer,
und über die ganze Welt hin
weht ein Duft wie von Rosen.

Das Tor

Mit dumpfem Schlage fiel es nun ins Schloß. —
Ich rühre keine Hand, es wieder aufzutun:
Es bleibe zu! — Du gehst den Weg nicht wieder,
Den du gingst, der einmal nur mit meinem Pfade
Durch diesen Garten, früh am Morgen, lief,
Der einmal nicht ein Weg war, wie der andern
Breit-ausgetretene, flache Herdenspur.
Der zwischen Büschen ging und frühen Blüten,
Auf weichem Moos hin, wo des Lebens Tritte
In keiner rauhen Härte hallen...
Das Tor ist zu — ich rühre keine Hand —
Wenn du den stillen Garten auch vergissest,
Den Schlag des Tores wirst du nicht vergessen,
[149]
Wie er die Stille aus den Büschen scheuchte,
Die dir mit ihren feuchten Träumeraugen
Ein einzigmal in deine Seele hat geschaut.

Letzte Fahrt

So hab' im Traum ich unser Boot gesehn
Rauschend durch die Wogen streichen,
Am Maste breit ein rotes Wimpel wehn,
Flatternd über zwei umschlungnen Leichen —
Und am Steuer sah ich Ihn, den bleichen
Lenker, wie er lächelnd auf uns schaute,
Da der Morgen freundlich uns mit seinem Kuß betaute

Letztes Leid

Ich suche eine Hand, die ich nicht finden kann —
Die Sterne find' ich, die im Klaren leuchten,
Und auch den Mond, der aus den Fluten steigt,
Die Wege auch, die wir zusammen gingen,
So kindergut und ohne Arg und Fehle.
Ich suche einen Mund, den ich nicht hören kann —
Die Wellen hör' ich, die im Meere wandern,
Und auch den Sturm, der durch Zypressen rauscht,
Die Tauben, die im Haine gurren, und
Die Schiffer, die zu ihren Hütten ziehn.
Und alles hab' ich, was wir einst besessen,
Nur deine Hand nicht, nur nicht deinen Mund,
Daß sie mich trösten, da ich sterben muß.
[150]

Deine Hände

Laß mich allein mit meinen Schmerzen —
Deine Hand auf meinem Herzen,
Geliebte, tut mir weh:
Ich fühl' es zucken drin und brennen,
Von Leiden, die nicht Lippen nennen,
Von einem unstillbaren Weh.
Was selbst dein Auge mir verschwiegen,
In deinen Händen fühl' ich's liegen,
Wie kalt erstarrte, schwere Glut...
Und doch, Geliebte, meine Schmerzen
Sind leichter, wenn auf meinem Herzen
Der Kummer deiner Hände ruht.

Carnesie Colonna

Verlieren — und verwinden —
Und immer wieder finden
In schmerzlichem Gestalten — —
Und doch nicht besitzen und halten...
— — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — —
Über den Sternen, einmal,
Weit, weit über allem Träumen,
Glüht ein Sonnenstrahl;
Der will unseren Tag,
Unseren Tag
Golden umsäumen...
[151]

Träume am Kamin
Der Greis spricht:

Es geht ein Traum durch meine Seele,
Von seiner Jugend träumt mein Herz,
Und alle Freude, alle Fehle
Und meines Lebens tiefster Schmerz
Verblassen, und ich höre wieder
Die Glocken meiner Kindheit gehn,
Und Kuckucksruf und Amsellieder
Und frohen Lärm im Winde wehn.
Und rote Rosen seh' ich leuchten,
Und Falter sich im Winde wiegen,
Und Ziele, die mir ewig deuchten,
Auf sonnbeglänzten Höhen liegen.
Es ist ein Traum, darin kein Schatten,
Darin das Leben glänzt und gleißt,
Darin auf frischergrünten Matten
Ein Tag den andern schöner preist.
Ich lausche, wie man tiefen Quellen
Im neuerwachten Lenze lauscht,
Ich höre, wie auf flinken Wellen
Bekränzter Kahn vorüberrauscht.
Es ist ein Traum, darin das Leben
Sich wie im Spiegel prüfend schaut,
Daraus sich tiefe Blicke heben,
Verkündend, was aus Wahn und Fehle
Zu dauerndem Besitz der Seele
Ein Menschenalter sich erbaut...
... Von seiner Jugend träumt mein Herz...
[152]

Sehnsucht

Um bei dir zu sein,
Trüg' ich Not und Fährde,
Ließ' ich Freund und Haus
Und die Fülle der Erde.
Mich verlangt nach dir,
Wie die Flut nach dem Strande,
Wie die Schwalbe im Herbst
Nach dem südlichen Lande.
Wie den Alpsohn heim,
Wenn er denkt, nachts alleine,
An die Berge voll Schnee
Im Mondenscheine.

Unersättlich

Ganz mit Frühling und Sonnenstrahl,
Klang und duftendem Blütenguß
Mein verlangendes Herz einmal
Füll mir, seliger Überfluß!
Gib mir ewiger Jugend Glanz,
Gib mir ewigen Lebens Kraft,
Gib im flüchtigen Stundentanz
Ewig wirkende Leidenschaft!
[153]
Aus dem Meere des Wissens laß
Satt mich trinken in tiefem Zug!
Gib von Liebe und gib von Haß
Meiner Seele einmal genug.
Gib, daß Tau der Erfüllung mir
In die Schale des Herzens fließt,
Bis sie, selber verschwendend, ihr
Überschäumendes Glück ergießt!

Du

Seit du mir ferne bist,
Hab' ich nur Leid,
Weiß ich, was Sehnsucht ist
Und freudenlose Zeit.
Ich hab' an dich gedacht
Ohn' Unterlaß
Und weine jede Nacht
Nach dir mein Kissen naß.
Und schließt mein Auge zu
Des Schlafes Band,
So wähn' ich, das tust du
Mit deiner weichen Hand.

Heimatlos

Hör mich, Mutter, höre mich in deinem dunkeln Grabe,
Sage mir, wo ich Verirrter meine Heimat habe.
Wenn ich schlafe unter deinem Trauerweidenbaume,
Zeige mir das Land, das süße Vaterland, im Traume.
[154]
Laß mich meine Sterne sehen, eine milde Sonne
Durch das Meer des Himmels segeln, junger Saaten Wonne
Und die Wasser jubelnd hoch von meinen Bergen stieben!
Meine Brüder, meine Schwestern zeig mir, die mich lieben.
Wär' der Weg auch noch so weit, ich will ihn gerne gehen;
Wär' er noch so hoch und steil, ich will ihn gern bestehen.
Denn ich mag nicht, mag nicht länger in der Fremde weilen,
Ich bin krank im Herzen, nur die Heimat kann mich heilen.
Käm' ich auch als Bettler zu der vielgeliebten Stelle,
Legen will ich mich auf meines Vaterhauses Schwelle;
Küsse werden, Tränen auf die alten Steine brennen,
Die mich besser als die Menschen in der Fremde kennen.
— „Kind, dein Vaterland ist ferne, und der Weg ist weiter,
Als die Erde weit ist, und die Nacht ist dein Begleiter.
An der Pforte wird die Ewigkeit dich still begrüßen
Und die Wanderschuh' dir lösen von den wunden Füßen.“ —

Erinnerung

Einmal vor manchem Jahre
War ich ein Baum am Bergesrand,
Und meine Birkenhaare
Kämmte der Mond mit weißer Hand.
[155]
Hoch überm Abgrund hing ich
Windbewegt auf schroffem Stein,
Tanzende Wolken fing ich
Mir als vergänglich Spielzeug ein.
Fühlte nichts im Gemüte
Weder von Wonne noch von Leid,
Rauschte, verwelkte, blühte,
In meinem Schatten schlief die Zeit.

Verstoßen

Ich weiß, daß ich sterben muß
An deinem Lieben.
Du hast mich ins Elend getrieben
Mit deinem Kuß.
Ich irre verbannt, allein
Und ohne Frieden,
Seit ich von der Welt mich geschieden,
Um dein zu sein.
Nie werd' ich mein Vaterland,
Das süße, schauen;
Nie wirst du den Herd für uns bauen
Mit froher Hand.
Oft streckst du die Arme aus,
Wenn ich dir fehle.
So fern bin ich; nur meine Seele
Irrt um dein Haus.
[156]

Herbst

Herbst ist es, siehst du die Blätter fallen?
Nicht wie die Welkenden fromm
Wollen wir beide zu Tode wallen —
Küsse mich, komm!
Wolkenjagd oben in fernen Räumen!
Köstlich und wonnevoll
Ist es, die Perlen vom Wein zu schäumen,
Übermutstoll.
Aber noch herrlicher ist's, zu schlürfen
Alles in einem Zug!
Größeste Fülle, doch dem Bedürfen
Nimmer genug!
Laß uns das weinleere Glas zerschmettern,
Komm von dem Gipfel ins Grab
Gleich unverletzlichen ewigen Göttern
Lächelnd hinab!

Ankunft im Hades

In des Hades Grüfte trat ein neuer Gast.
„Sei, Genosse, uns willkommen!
Sprich, was du vernommen
Auf der Erde schönen Fluren hast.
Sprich uns von der vielgeliebten Sonne Glanz
Und von rosenroten Wangen;
Sag, ob fröhlich schwangen
Kleine Mücken den geschwinden Tanz.
[157]
Sahst du Liebchen Hand in Hand beim Abendmond?
Über unsern Leichensteinen
Sahst du uns beweinen
Jene Schar, die froh im Lichte wohnt?
Ihnen strömt der Tränen holder Tau,
Der befreit und löst die Schmerzen,
Wie das Eis im Märzen
Frühlingswinde wonnevoll und lau.“
— „Lenz war droben, da von dannen ich gemußt.
Mit hinab in eure Grüfte
Nahm ich Veilchendüfte:
Diesen vollen Strauß an meiner Brust.“ —
Seht, da ruhn die Danaiden; von der Qual
Muß auch Tantalus sich wenden;
Jäh aus müß'gen Händen
Stürzt der Stein des Sisyphus zu Tal.

Liebesreime

I.

So fern und so entlegen,
Wie Erd' und Himmel sich,
Bist du mir allerwegen,
Und dennoch lieb' ich dich.
Die himmlischen Gewalten
Und ird'schen sagen nein,
Sie senden Schreckgestalten,
Und dennoch bist du mein.
[158]
Kein Stern, der unserm Bunde
Nicht Untergehen droht —
Wir hängen uns am Munde
Und warten auf den Tod.

II.

Nicht der Nachtigall und nicht der Lerche Lied
Kann mich freuen, wenn es klingt das Tal entlang;
Hört' ich jemals wieder einen süßen Klang,
Seit das Schicksal mich von meinem Freunde schied?
Wenn er sprach zu mir und meinen Namen rief,
O, wie wurde mir dabei die Seele weit;
Wenn ich tot einst bin und lieg' im Grabe tief,
Hör' ich's wohl um Mitternacht zur Sommerszeit.

III.

Ich hatte so viel dir zu berichten,
Neuigkeiten, allerhand Geschichten;
Aber nun bist du auf einmal so nah
Mit diesem Kinn und diesen Wangen,
Alle Gedanken sind mir vergangen —
Ach Gott und dein Hals, der weiche, runde,
Nur eine Spanne von meinem Munde,
Den ich so lange, die Lippen zerbeißend, von weitem sah!

IV.

Einen guten Grund hat's, daß mein Liebchen
Über alles schön und herrlich ist geraten:
Denn mit Lenztau ward getauft das Bübchen,
Mond und Sonne waren seine Paten.
[159]
Sonne setzt' ins Aug ihm goldne Kerzen:
Wenn er aufschaut, glühen alle Herzen.
Und der Mond küßt' ihm den Mund von ferne:
Wenn er lächelt, klingen alle Sterne.

Frau Sorge

Durch die Abendhelle geht ein Pärchen hin,
Er ein Schmiedsgeselle, sie ist Nähterin.
„Rosel, wenn wir beide einen Karren ziehn,
Ist es doppelt Freude und ein halbes Mühn!“
Und sie lehnt sich müde an den Liebsten an;
Unterm Augenlide zuckt es dann und wann.
„Rosel, laß das Weinen um das täglich' Brot;
War's genug für einen, langt's für zwei zur Not!“
Nahm sie in die Arme, fragte länger nicht,
Streichelte das warme, glühende Gesicht...
Mählich wich die Helle, und sie gingen weit —
Auf dieselbe Stelle setzt' ein Weib sich breit,
Sah mit grauem Blicke, hob die welke Hand,
Drohte mit der Krücke, murmelte und schwand...
Kam das Paar geschritten in die Stadt hinein,
Saß Frau Sorge mitten schon im Kämmerlein.
[160]

Trost der Nacht

Weiche Hände hat die Nacht
Und sie reicht sie mir ins Bette;
Fürchtend, daß ich Tränen hätte,
Streicht sie meine Augen sacht.
Dann verläßt sie das Gemach;
Rauschen hör' ich, sanft und seiden;
Und den Dornenzweig der Leiden
Zieht sie mit der Schleppe nach.

Träumerei

So müßt' es sein:
In deinem Erkerzimmer
Verglühn die roten Scheite im Kamin;
Dein Füßchen leuchtet auf im Feuerschimmer
Und zuckt zurück, wenn ein paar Funken sprühn.
Sonst Finsternis. — Doch niemand ruft nach Licht,
Im weiten Schlosse ist kein Schritt zu hören.
Nur manchmal will ein fremder Laut uns stören...
Gewiß, die Bodenfenster schließen nicht. —
Und wieder schaun wir reglos in die Glut
Und sind so stumm und hätten viel zu sagen,
Doch niemand will das erste Wörtchen wagen,
Denn dieses Schweigen ist so süß und gut.
In unsern Augen ruht ein eigner Glanz;
Der überleuchtet tiefste Dunkelheiten,
Und so, im Atem stummer Seligkeiten,
Fühl' ich dich ganz,
Fühlst du mich ganz...
So müßt' es sein!
[161]

Mädchenfrage

Als Kind hab' ich oft geweint,
Wußt' nicht, warum,
Nun muß ich oft heimlich lachen,
Weiß nicht, warum.
Es greift in meine Saiten
Eine rätselhafte Hand,
Ein Fremdes will mich leiten
In ein unbekanntes Land.
Seltsam wunderliche Gedanken,
Die mein Wort nicht nennen kann,
Baun um mich purpurne Schranken
Und halten mich in Zauber und Bann.
Ich fasse dich nicht, o Leben,
Weiß nicht, wer wir beide sind,
Weiß nicht, wohin wir streben,
Wo ich mein Ziel wohl find'.
Als Kind hab' ich oft geweint,
Wußt' nicht, warum.
Nun muß ich oft heimlich lachen,
Weiß nicht, warum.
[162]

Gomorra

Das Feuer schleicht in den Gassen
Mit leisem Raubtiertritt,
Die schönen Töchter, die blassen,
Vernehmen nicht seinen Schritt.
Sie ruhn auf weichen Fellen,
Müde von Tanz und Gelag,
Ihre jungen Brüste schwellen
Entgegen dem morgigen Tag.
Sie träumen von dunklen Freuden,
Von heimlicher Harfen Klang,
Von königlichem Vergeuden
Und lachendem Überschwang.
Sie träumen von Cherubsflügeln —
Da stoßen die Wächter ins Horn,
Rot über Gassen und Hügeln
Lodert Jehovas Zorn.

Triumph

„Wie ist dein Kind so seltsam“ sagten die Leute.
Arme Myriam!
Wie ist mein Knabe so herrlich! dachte sie.
Glückliche Myriam!
„Wie liebe ich ihn!“ rief die Unsterblichkeit.
Königin der Mütter!
[163]

Was war ich?

Was war ich? —
Eine Blüte,
Die in der Sturmnacht starb.
Ein Bettler, der am Wege
Müd und hungrig verdarb.
Was war ich? —
Eine Tanne,
Die tief im Walde sank.
Ein Vöglein, das aus einem
Bitteren Brünnlein trank.
Eine Wolke, die am Himmel
Sich leis im Blau verlor.
Eine Seele, die vor Sehnsucht
Nach ihrem Heim erfror.

Abendlied

Wie still die Nacht!
In Andacht muß ich lauschen.
Es schweigt das Erdenrauschen
Der Sternenmacht.
Ich höre nur
Ein ätherreines Klingen
Von goldnen Engelsschwingen
Ob weiter Flur.
[164]

Südliche Weise

Du sprichst von Sünde gleich und ew'gen Flammen,
Will ich ein Stündchen nur mit dir verkosen,
Weil noch kein Priesterwort uns gab zusammen.
Doch neulich sprach der Pfaff beim Messelesen, —
Er sprach Latein, drum blieb der Sinn dir dunkel,
Ich aber bin einst Ministrant gewesen.
Er sagte: Fromme Christen, laßt euch raten!
Ihr müßt für jeden ungeküßten Kuß
Einhundert Jährlein in der Hölle braten.

Die erste Nacht

Jetzt kommt die Nacht, die erste Nacht im Grab.
O, wo ist aller Glanz, der dich umgab?
In kalter Erde ist dein Bett gemacht.
Wie wirst du schlummern diese Nacht?
Vom letzten Regen ist dein Kissen feucht,
Nachtvögel schrein, vom Wind emporgescheucht,
Kein Lämpchen brennt dir mehr, nur kalt und fahl
Spielt auf der Schlummerstatt der Mondenstrahl.
Die Stunden schleichen — schläfst du bis zum Tag?
Horchst du wie ich auf jeden Glockenschlag?
Wie kann ich ruhn und schlummern kurze Frist,
Wenn du, mein Lieb, so schlecht gebettet bist?
[165]

Mädchenliebe

Nächtlich war's am stillen Weiher,
Wo ich ihm zur Seite stand,
Als im Wind mein langer Schleier
Sich um seinen Nacken wand.
Ach, was ließ ich's nur geschehen,
Daß er fest den Knoten schlang,
Mich an seiner Hand zu gehen,
Ein gefangnes Füllen, zwang!
Denn seitdem auf allen Wegen
Fühlt' ich unzerreißlich stets
Über mich und ihn sich legen
Magisch jenes Schleiers Netz.
Seit mich gar sein Arm umwindet,
Schwand der Freiheit letzter Rest.
Fessel, die uns beide bindet,
Liebe Fessel, halte fest!

Die Nicht-Gewesenen

Über ein Glück, das du flüchtig besessen,
Tröstet Erinnern, tröstet Vergessen,
Tröstet die alles heilende Zeit.
Aber die Träume, die nie errungnen,
Nie vergeßnen und nie bezwungnen,
Nimmer verläßt dich ihr sehnendes Leid.
[166]

Schwermut

Mir ist, wie wenn in einer Sommernacht
Die Menschen schweigsam in den Lauben sitzen.
Die Luft ist schwer. Ein Wolkenhimmel dacht
Sich über ihnen. Und die Fernen blitzen.
Sie fragen in die Höh': Kommt wohl ein Sturm?
Und legen spät sich und bekümmert schlafen.
Und lauschen oft gepreßt, ob nicht vom Turm
Ihr Ohr im Halbschlaf Glockenklänge trafen.

Heimweh

O wüßt' ich meiner Sehnsucht einen Fergen,
Daß er ihr eine sanfte Fährte weise!
So kehrt sie mir zurück aus hohen Bergen,
Todmatt vom Flug und fast erstarrt vom Eise.
Ich wollte, daß ein leichter Kahn mich führe
Den Strom entlang in ebene Gelände,
Und daß ich dort durch eine niedre Türe
In einem stillen Hause Eingang fände.
Und drinnen nur von abendlichen Kerzen
Ein mildes Dämmerlicht am eignen Herde.
Ein warmer Raum, ein Kind an meinem Herzen,
Und eine Seele mein auf dieser Erde.
[167]

Am Abend

Weißt du denn — wenn auf Baum und Strauch
Das Astwerk zittert und sich sträubt,
Und wenn der leicht gewellte Rauch
An einer Wetterwand zerstäubt —
Ein scheuer Vogel ohne Laut
An dir vorbei die Flügel schlägt,
Und Wolke sich an Wolke baut —
Wohin dein wilder Wunsch dich trägt?
Weißt du denn, wenn nun alle Welt
Sich eng an Hof und Heimstatt schmiegt,
Und deine Sehnsucht dich befällt, —
Wo deine eigne Heimat liegt?

Unterwegs

Ich wandre in der großen Stadt. Ein trüber
Herbstnebelschleier flattert um die Zinnen,
Das Tagwerk schwirrt und braust vor meinen Sinnen,
Und tausend Menschen gehn an mir vorüber.
Ich kenn' sie nicht. Wer sind die vielen? Tragen
Sie in der Brust ein Los wie meins? Und blutet
Ihr Herz vielleicht, von mir so unvermutet,
Als ihnen fremd ist meines Herzens Schlagen?
Der Nebel tropft. Wir alle wandern, wandern,
Von dir zu mir erhellt kein Blitz die Tiefen.
Und wenn wir uns das Wort entgegenriefen —
Es stirbt im Wind und keiner weiß vom andern.
[168]

In die Ferne

Die Mondessichel mit dem Abendstern
An dunkler Himmelswölbung tief und fern —
Das Leben am Gestade, wo ihr treibt,
Fließt sachter, bis nur ein Erinnern bleibt.
Seefahrer ihr, an Bord der Mitternacht,
Vor Anker nun auf eurer Wanderwacht!
Seefahrer um den Pol der Ewigkeit
Im Kreis von Dunkelheit zu Dunkelheit!

Wir beide

Der Abend weht Sehnen aus Blütensüße,
Und auf den Bergen brennt wie Silberdiamant der Reif,
Und Engelköpfchen gucken überm Himmelsstreif,
Und wir beide sind im Paradiese.
Und uns gehört das ganze bunte Leben,
Das blaue, große Bilderbuch mit Sternen,
Mit Wolkentieren, die sich jagen in den Fernen
Und hei! die Kreiselwinde, die uns drehn und heben!
Der liebe Gott träumt seinen Kindertraum
Vom Paradies — von seinen zwei Gespielen,
Und große Blumen sehn uns an von Dornenstielen...
Die düstere Erde hing noch grün am Baum.
[169]

„Täubchen, das...“

„Täubchen, das in seinem eignen Blute schwimmt.“
Als ich also diese Worte an mich las,
Erinnerte ich mich
Tausend Jahre meiner.
Eisige Zeiten verschollen — Leben vom Leben,
Wo liegt mein Leben —
Und träumt nach meinem Leben.
Ich lag allen Tälern im Schoß,
Umklammerte alle Berge,
Aber nie meine Seele wärmte mich.
Mein Herz ist die tote Mutter,
Und meine Augen sind traurige Kinder,
Die über die Lande gehen.
„Täubchen, das in seinem eignen Blute schwimmt“...
Ja, diese Worte an mich sind heiße Tropfen,
Sind mein stilles Aufsterben.
„Täubchen, das in seinem eignen Blute schwimmt“...
In den Nächten sitzen sieben weinende Stimmen
Auf der Stufe des dunklen Tors
Und harren.
Auf den Hecken sitzen sie
Um meine Träume
Und tönen,
Und mein braunes Auge blüht
Halb erschlossen vor meinem Fenster
Und zirpt. —
„Täubchen, das in seinem eignen Blute schwimmt“...
[170]

Mairosen

Er hat seinen heiligen Schwestern versprochen,
Mich nicht zu verführen,
Zwischen Mairosen hätte er fast
Sein Wort gebrochen,
Aber er machte drei Kreuze
Und ich glaubte heiß zu erfrieren.
Nun lieg' ich im düstern Nadelwald,
Und der Herbst saust kalte Nordostlieder
Über meine Lenzglieder.
Aber wenn es wieder warm wird,
Wünsch' ich den heiligen Schwestern beid' Hochzeit
Und wir — spielen dann unter den Mairosen...

Chaos

Die Sterne fliehen schreckensbleich
Vom Himmel meiner Einsamkeit,
Und das schwarze Auge der Mitternacht
Starrt näher und näher.
Ich finde mich nicht wieder
In dieser Todverlassenheit!
Mir ist: ich lieg' von mir weltenweit
Zwischen grauer Nacht der Urangst...
Ich wollte, ein Schmerzen rege sich
Und stürze mich grausam nieder
Und riß mich jäh an mich!
Und es lege eine Schöpferlust
Mich wieder in meine Heimat
Unter der Mutterbrust.
[171]
Meine Mutterheimat ist seeleleer,
Es blühen dort keine Rosen
Im warmen Odem mehr. —
... Möcht' einen Herzallerliebsten haben!
Und mich in seinem Fleisch vergraben.

Die Liebe

Es rauscht durch unseren Schlaf
Ein feines Wehen wie Seide,
Wie pochendes Erblühen
Über uns beide.
Und ich werde heimwärts
Von deinem Atem getragen,
Durch verzauberte Märchen,
Durch verschüttete Sagen.
Und mein Dornenlächeln spielt
Mit deinen urtiefen Zügen,
Und es kommen die Erden
Sich an uns zu schmiegen.
Es rauscht durch unseren Schlaf
Ein feines Wehen wie Seide —
Der weltalte Traum
Segnet uns beide.
[172]

In später Nacht

Klopft jemand noch an mein vergessen Haus?
Die Nacht ist rauh — o komm zu mir herein!
Der Nußbaum weint, der Stürme wilder Graus
Jagt sich im Feld, der Regen klagt hinaus —
O komm zu mir, denn ich bin ganz allein.
Bist du verbannt und vieler Qualen voll?
Bist du ein Mensch, dem Gottes Trost verblich?
Wenn du im Regenguß, im Sturmgeroll
Vergessen willst der eignen Seele Groll —
O komm zu mir, ich habe Trost für dich!
Ich hör' ein Rascheln — steht am Brunnen dort
Ein Kind, das sich versteckt? O komm zu mir!
Wenn du entflohst vor hartem Menschenwort
Und wenn du Wärme suchst an besserm Ort —
Ich habe, was du suchst, o komm zu mir...
Es kommt kein Gast, es naht kein scheues Kind,
Es bringt kein Mann sein Weh zu mir herein.
Auf öden Hügeln irrt der dunkle Wind,
Der Nußbaum weint, der kalte Regen rinnt,
Die Nacht ist rauh — und ich bin ganz allein.

Glaube

Wie eine Blume in milder Nacht,
Vom Mond gespeist, vom Tau getränkt,
Wachs' ich von deiner Erde auf
Zu dir, der mich hier eingesenkt.
[173]
Deine Stürme fahren daher, dahin,
Deine Lenzluft lockt, deine Mondnacht taut —
Tue mit mir nach deinem Sinn:
Du bist mein Gärtner, ich dein Kraut!

Rückblick

Eh mir aus der Scheide schoß
Blitz und blank der Degen,
Ließ noch einmal Mann und Roß
Kurzer Rast ich pflegen.
Und die Hand als Augenschild,
Meine Lider sanken,
Rasch vorbei, ein wechselnd Bild,
Flogen die Gedanken.
Kinderland, du Zauberland,
Haus und Hof und Hecken.
Hinter blauer Wälderwand
Spielt die Welt Verstecken.
[174]
Weiter nun in bunten Reihn
Zog mein wüstes Leben,
Wenig Taten, vieler Schein,
Windige Spinneweben.
Würfel, Weiber, Wein, Gesang,
Jugendrasche Quelle,
Und im wilden Wogendrang
Schwamm ich mit der Welle...
Doch Dragoner glänzen hell
Dort an jenem Hügel.
An die Pferde! Fertig! Schnell
Klebt der Sporn am Bügel.
Zügel fest, Fanfarenruf,
Donnernd schwappt der Rasen.
Bald sind wir mit flüchtigem Huf
An den Feind geblasen.
Anprall, Fluch und Stoß und Hieb,
Kann den Arm nicht sparen,
Wo mir Helm und Handschuh blieb,
Hab' ich nicht erfahren.
Sattelleere, Sturz und Staub,
Klingenkreuz und Scharten.
Trunken schwenkt die Faust den Raub
Flatternder Standarten.
Täuschend gleicht des Feindes Flucht
Tollgehetzten Hammeln.
Freudig ruft in Wald und Schlucht
Mein Signal zum Sammeln.
[175]
Schweiß und Blut an Stirn und Schwert,
Laß es tropfen, tropfen.
Dankbar muß ich meinem Pferd
Hals und Mähne klopfen.
Nächtens dann beim Feuerschein,
Nach des Kampfes Mühe,
Fielen mir Gedanken ein
Aus des Tages Frühe.
Schwamm ich viele Jahre lang
Steuerlos im Leben,
Hat mir heut der scharfe Gang
Wink und Ziel gegeben.

Tod in Ähren

Im Weizenfeld, in Korn und Mohn,
Liegt ein Soldat, unaufgefunden,
Zwei Tage schon, zwei Nächte schon,
Mit schweren Wunden, unverbunden.
Durstüberquält und fieberwild,
Im Todeskampf den Kopf erhoben.
Ein letzter Traum, ein letztes Bild,
Sein brechend Auge schlägt nach oben.
Die Sense sirrt im Ährenfeld,
Er sieht sein Dorf im Arbeitsfrieden,
Ade, ade, du Heimatwelt —
Und beugt das Haupt, und ist verschieden.
[176]

Am Strande

Der lange Junitag war heiß gewesen,
Ich saß im Garten einer Fischerhütte,
Wo schlicht auf Beeten, zierlich eingerahmt
Von Muscheln, Buchs und glatten Kieselsteinen,
Der Goldlack blüht, und Tulpen, Mohn und Rosen
In bäurisch buntem Durcheinander prunken.
Es war die Nacht schon im Begriff dem Tage
Die Riegel vorzuschieben; stiller ward
Im Umkreis alles; Schwalben jagten sich
In hoher Luft; und aus der Nähe schlug
Ans Ohr das Rollen auf der Kegelbahn.
Im Gutenacht der Sonne blinkerten
Die Scheiben kleiner Häuser auf der Insel,
Die jenseit lag, wie blanke Messingplatten.
Den Strom hinab glitt feierlich und stumm,
Gleich einer Königin, voll hoher Würde,
Ein Riesenschiff, auf dessen Vorderdeck
Die Menschen Kopf an Kopf versammelt stehn.
Sie alle winken ihre letzten Grüße
Den letzten Streifen ihrer Heimat zu.
In manchen Bart mag nun die Mannesträne,
So selten sonst, unaufgehalten tropfen.
In manches Herz, das längst im Sturz und Stoß
Der Lebenswellen hart und starr geworden,
Klingt einmal noch ein altes Kinderlied.
Doch vorwärts, vorwärts ins gelobte Land!
Die Pflicht befiehlt zu leben und zu kämpfen,
Befiehlt dem einen, für sein Weib zu sorgen,
Und für sich selbst dem andern. Jeder so
[177]
Hat seiner Ketten schwere Last zu tragen,
Die, allzu schwer, ihn in die Tiefe zieht.
Geboren werden, leiden dann und sterben,
Es zeigt das Leben doch nur scharfe Scherben,
Vielleicht? Vielleicht auch jetzt gelingt es nicht,
Auf fremdem Erdenraum, mit letzter Kraft,
Ein oft geträumtes, großes Glück zu finden.
Das Glück heißt Gold, und Gold heißt ruhig leben:
Vom sichern Sitze des Amphitheaters
In die Arena lächelnd niederschaun,
Wo, dichtgeschart, der Mob zerrissen wird
Vom Tigertier der Armut und der Schulden...
Das Schiff ist längst getaucht in tiefe Dunkel.
Bleischwere Stille gräbt sich in den Strom,
Indessen auf der Kegelbahn im Dorf
Beim Schein der Lampe noch die Gäste zechen.
In gleichen Zwischenräumen bellt ein Hund,
Und eine Wiege knarrt im Nachbarhause.

Letzter Gruß

Herbsttag, und doch wie weiches Frühlingswetter,
Ich schlenderte langseits der Friedhofshecke,
Ein Sarg schien unter Gramgeläut zu sinken,
Dann bog ich auf dem Wege um die Ecke.
Da kamst du, keine Täuschung, mir entgegen,
Wir hatten gestern Abschied schon genommen,
Du gingst zur Bahn, begleitet von Geschwistern,
Was mußte noch einmal die Marter kommen.
[178]
Ich grüßte dich, und sah dein freundlich Danken,
Die mit dir schritten, haben's nicht beachtet.
Und ich blieb stehn, du wandtest dich verstohlen,
Von Leid war meine Seele dicht umnachtet.
Im Schmerz grub ich die Linke in den Dornbusch,
Und ließ die Stacheln tief ins Fleisch mir dringen,
Ein letzter Gruß von dir, von mir — vorüber,
Die Hand im Strauch will fest die Qual bezwingen.
Es tat nicht weh, ich hab' in Wachs gegriffen,
Kein Tropfen sprang, es hat nicht warm geflutet,
Die roten Ströme sind zurück geflossen,
Es hat mein Herz, mein Herz nur hat geblutet.

Der Ländler

Auf die Terrasse war ich hinbefohlen,
Der jugendfrischen, schönen, geistvollen,
Holdseligen Prinzessin vorzulesen.
Ich wählte Tasso.
Durch den Sommerabend
Umschwirrt' uns schon das erste Nachtinsekt.
Die Sonne war gesunken. Rot Gewölk
Stand hellgetönt, mit Blau vermischt, im Westen.
Der Garten vor uns, tief gelegen, hüllt
Sich ein in dunkle Schatten mehr und mehr.
Und eine Nachtigall beginnt.
Der Diener
Setzt auf den Tisch die Lampen, deren Licht
Nicht durch den schwächsten Zug ins Flackern kommt,
Von unten, aus dem Dorfe, klingt Musik,
[179]
Und deutlich aus der Finsternis heraus,
Leuchtstriche, blitzen eines Tanzsaals Fenster.
Die Paare huschen schnell vorbei in ihnen.
Zuweilen, wenn die Tür geöffnet steht,
Erschallt Gestampf, der Brummbaß, Kreischen, Jauchzen.
Unbändig scheint die Freude dort zu herrschen.
Ich trage unterdessen weiter vor,
Wie flüchtige Bilder, unbewußt, den Trubel
Im Tal an mir vorüber ziehen lassend,
Und jene Verse hab' ich grad getroffen:
„Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein,
Der schäumend wallt und brausend überquillt?“,
Als ich die Lider hob und die Prinzeß,
Die säumig ihre Linke dem Geländer
Hinüber ruhen läßt, erblicke, wie sie,
Nicht meiner Lesung achtend, niederschaut,
Das braune Auge träumerisch, sehnsüchtig
Hinuntersendet auf den fröhlichen Ländler.
„Wie wär' es, fänden wohl Durchlaucht Vergnügen,
Dem frohen Reigen dort sich anzuschließen?“
Und sie, ein Seufzer: „Ach, ich tät's so gern!“
Wenn ich's nur bringen könnte, wiedergeben,
Wie jenes Wort von ihr gesprochen ward,
Das „so“, das „gern“, wenn ich's nur treffen könnte,
Wie sie das sagte: „Ach, ich tät's so gern!“

Wer weiß wo

Auf Blut und Leichen, Schutt und Qualm,
Auf roßzerstampften Sommerhalm
[180]
Die Sonne schien.
Es sank die Nacht. Die Schlacht ist aus,
Und mancher kehrte nicht nach Haus
Einst von Kolin.
Ein Junker auch, ein Knabe noch,
Der heut das erste Pulver roch,
Er mußt' dahin.
Wie hoch er auch die Fahne schwang,
Der Tod in seinen Arm ihn zwang.
Er mußt' dahin.
Ihm nahe lag ein frommes Buch,
Das stets der Junker bei sich trug,
Am Degenknauf.
Ein Grenadier von Bevern fand
Den kleinen erdbeschmutzten Band
Und hob ihn auf.
Und brachte heim mit schnellem Fuß
Dem Vater diesen letzten Gruß,
Der klang nicht froh.
Dann schrieb hinein die Zitterhand:
„Kolin. Mein Sohn verscharrt im Sand.
Wer weiß wo.“
Und der gesungen dieses Lied,
Und der es liest, im Leben zieht
Noch frisch und froh.
Doch einst bin ich, und bist auch du,
Verscharrt im Sand, zur ewigen Ruh',
Wer weiß wo.
[181]

In einer großen Stadt

Es treibt vorüber mir im Meer der Stadt
Bald der, bald jener, einer nach dem andern.
Ein Blick ins Auge, und vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.
Es tropft vorüber mir ins Meer des Nichts
Bald der, bald jener, einer nach dem andern.
Ein Blick auf seinen Sarg, vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.
Es schwimmt ein Leichenzug im Meer der Stadt.
Querweg die Menschen, einer nach dem andern.
Ein Blick auf meinen Sarg, vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.

Vor Last und Lärm

Die frühste Sonne legt sich übers Feld,
Und steigt empor; und schweigend dampft der Morgen.
Aus dem im letzten Traum verstrickten Städtchen
Bin ich dem Tore schon weitab entrückt.
Wen seh' ich dort im nassen Graben liegen?
Ein Bauer, der zu viel getrunken hatte,
Ist hier die Nacht gefallen, unter Disteln.
Das linke Knie hat er herangezogen;
Mit offnen Lippen schnarcht der wüste Kerl.
Vorüber — schon verliert sich das Geräusch.
Was ist denn das dort rechts am Meilenstein?
Ein kleiner, weißer Bologneserhund
Mit blutgeröteten Behangesspitzen,
Von tauerweichter Erde arg beschmutzt.
Wie kommt der hierher, frag' ich mich vergebens.
[182]
Ist's Tante Minnas süßer Liebling nicht?
Wenn die das wüßte, was Bijou ergötzt:
Er wühlt mit seinem Schnäuzchen emsiglich
Im Eingeweide eines toten Fuchses.
Als ich ihm in die Näh' gekommen, drückt er
Ein Vorderpfötchen auf den Balg des Aases
Und duckt den Kopf und äugt mich mürrisch an;
Sein ganzer Körper bleibt unregbar stehn,
Nur seine Augen folgen meinem Schritt,
Vorüber — lautlos alles noch und ruhig.
Auf einer Pflugschar gleißt im grellsten Weiß
Das Taggestirn, als brennte dort sich's fest.
Da schallt der erste Ton, vom Lager klingt er,
Das meinem Blick zwei Meilen abseits leuchtet.
Unendlich schwach hör' ich die Trommeln wirbeln,
Die Hörner: Habt — ihr noch — nicht lang — genug —
Geschla — — — fen.
Die Straße, die mein Fuß lebendig geht,
Zieht sich in schnurgerader Linie hin,
Auf zehn Minuten hab' ich Übersicht.
Just, wo für mich der Weg den Anfang nimmt,
Erscheint ein Punkt, der größer wird und größer.
Hurra! Sie ist's! Hurra, Hurra! Sie ist's!
Rasch zieh' und hastig ich mein Taschentuch
Und winke, und ein Fähnchen zeigt sich auch
In ihrer Hand; und muntrer greif' ich aus.
An meinen Stock knüpf' ich das Banner an,
Und an den Sonnenschirm das ihre sie.
Und nun ein Hin und Her, ein Schwenken, Kreisen,
Als wollten Tauben wir vom Dache scheuchen.
[183]
Indessen trommelt's immer fort: Wacht auf;
Und tutet: Habt — ihr noch — nicht lang — genug —
Geschla — — — fen.
Mein Antlitz glüht in freudigster Erwartung,
Die Kehle ist mir fast wie zugeschnürt,
Wie schlägt mein Herz, wie atmet meine Brust.
Nun sind wir sprechweit nah, und dann, und dann,
Wie sonderbar, verkürzt sich unsre Eile.
Sind wir beschämt? Auf ihren Wangen flog
Ein Purpur hin wie schneller Wolkenschatten.
Nun lächelt sie. Das Köpfchen biegt sich etwas
Nach rechts und rückwärts; ja, und dann, und dann —
Indessen brechen Horn und Trommel ab —
Stumm wie der mönchverlassne Klostergang
Liegt rings um uns des Morgens heilige Stille.

Weite Aussicht

Steht eine Mühle am Himmelsrand,
Scharfgezeichnet gegen mäusegraue Wetterwand,
Und mahlt immerzu, immerzu.
Hinter der Mühle am Himmelsrand,
Ohne Himmelsrand, mahlt eine Mühle, allbekannt,
Mahlt immerzu, immerzu.

Erinnerung

Die großen Feuer warfen ihren Schein
Hell lodernd in ein lustig Biwaktreiben,
Wir Offiziere saßen um den Holzstoß
[184]
Und tranken Glühwein, sternenüberscheitelt.
So manches Wort, das in der Sommernacht
Im Flüstern oder laut gesprochen wird,
Verweht der Wind, begräbt das stille Feld.
Die Musketiere sangen: „Stra — a — ßburg.
O Stra — a — ßburg...“ Da fühlt' ich eine Hand,
Die leise sich auf meine Schultern legte.
Ich wandte rasch den Kopf, und sah den Lehrer,
Bei dem ich, freundlich aufgenommen, gestern
Quartier gehabt; der nun, verabredet,
Mit seinem Töchterchen gekommen war.
Ein Mädel, jung gleich einer Apfelblüte,
Die niemals noch der Morgenwind geschaukelt.
Der Alte mußte neben uns sich setzen,
Und während ihm das Glas die Freunde füllten,
Führt' ich, von allem ihr Erklärung gebend,
Das Mädchen langsam durch die Lagerreihen.
Sie sprach kein Wort, doch lautlos sprach ihr Mund,
Ihr lächelnd und ihr staunend großes Auge.
Wie schön sie war, wenn sie beim Feuer stand,
Und rote Funken knisternd uns umtanzten.
Es hob sich die Gestalt vom dunklen Himmel
Scharf ausgeschnitten aus dem schwarzen Rahmen.
Und einmal, als Soldaten, ausstaffiert
Als Storch und Bär, uns ihre Künste zeigten,
Da lehnte flüchtig sie, beinah erschrocken,
An meine Brust ihr frommes Kinderantlitz.
Wir traten zögernd dann den Rückweg an,
— Es stahl der Mond sich eben in die Bäume,
Und in der Ferne, bei den Doppelposten,
Fiel dumpf verhallend durch den Wald ein Schuß. —
Wir gingen Hand in Hand,
[185]
Und so, halb stehend, halb im Weitergehn,
Bog ich mein Haupt hinunter zu dem ihren.
Ich fühlte, wie die jungen Lippen mir
Entgegenkamen, und ich seh' noch heut
Ihr dunkles Auge in die Sterne leuchten...
Als längst der Alte mit ihr weggegangen,
Saß ich im Kreise meiner Kameraden
Und dachte voller Sehnsucht an das Mädchen,
Bis mir zuletzt die schweren Lider sanken.
Mein treuer Bursche trug mich in mein Zelt
Und deckte sorgsam mir den Mantel über.
Seitdem bin ich durch manches Land gezogen,
Doch unvergessen bleibt mir jene Nacht.

Kalter Augusttag

I.

Wir standen unter alten Riesenulmen,
An unseres Gartens Rand. Mein Arm umschlang
Die schlanke Hüfte dir. Es lag dein Haupt,
Das schöne, blasse, still an meiner Schulter.
Ein kalter Hauch drang uns entgegen; fröstelnd
Zogst fester du das Tuch um deinen Hals.
In grauer Luft, unübersehbar, lag
Der Wiesen grünes Flachland ausgebreitet.
Wie deutlich hörten wir den Jungen schelten
Auf seine Kühe, immer hör' ich noch
Dein fröhlich Lachen, als uns die gesunden,
Vom Winde hergetragnen Worte trafen.
Und eine Öde, nordisch unbehaglich,
Durchfror die Landschaft. Krähen stolperten,
Laut krächzend, übern Garten. Schläfrig zog
[186]
Am Horizont die Mühle ihre Kreise.
Und doch! Es lag auf Wegen fern und nah
Der Sonnenschein, der Sonnenschein des Glücks.
Und langsam kehrten wir zurück ins Haus.

II.

Und wieder stand ich unter unsern Ulmen,
Doch nicht mit dir. Allein sah ich hinaus
In lichten Frühlingstag: Der Junge pfiff
Ein lustig Liedchen seinen Kühen; glänzend
Im Licht umkreisten Krähen hohe Bäume,
In blauer Luft schaut' ich am Horizont
Die Mühle schnell im Wind die Flügel drehn.
Und doch, ich sah nur graue Todesnebel,
Und teilnahmlos kehrt' ich zurück ins Haus.

Auf dem Deiche

Es ebbt. Langsam dem Schlamm und Schlick umher
Enttauchen alte Wracks und Besenbaken,
Und traurig hüllt ein graues Nebellaken
Die Hallig ein, die Watten und das Meer.
Der Himmel schweigt, die Welt ist freudenleer.
Nachrichten, Teufel, die mich oft erschraken,
Sind Engel gegen solchen Widerhaken,
Den heut ins Herz mir wühlt ein rauher Speer.
Wie sonderbar! Ich wollte schon verzagen
Und mich ergeben ohne Manneswürde,
Da blitzt ein Bild empor aus fernen Tagen:
Auf meiner Stute über Heck' und Hürde
Weit der Schwadron voran seh' ich mich jagen
In Schlacht und Sieg, entlastet aller Bürde.
[187]

Die Insel der Glücklichen
Sizilianen

Das Hängelämpchen qualmt im warmen Stalle,
In dem behaglich sich zwei Kühe fühlen.
Der Hahn, die Hennen, um den Sproß die Kralle,
Träumen vom wunderbaren Düngerwühlen.
Der Junge pfeift auf einer Hosenschnalle
Dem Brüderchen ein Lied mit Zartgefühlen.
Und Knaben, Kühe, Hühner lassen alle
Getrost den Strom der Welt vorüberspülen.

Souvenir de la Malmaison
Sizilianen

Die menschenblasse Rose legte ich
Auf deine kalten, überkreuzten Hände,
Und strich dein Haar zurück und pflegte dich,
Ob ich dein jubelnd Leben wiederfände.
Im Zimmer, irrgeflogen, regte sich
Ein Schmetterling, die alte Grablegende.
Dein Sarg schloß zu, der Kummer fegte mich
In fernes Land aus trostlosem Gelände.

Sommernacht
Sizilianen

An ferne Berge schlug die Donnerkeulen
Ein rasch verrauschtes Nachmittagsgewitter.
Die Bauern zogen heim auf müden Gäulen,
Und singend kehrten Winzervolk und Schnitter.
Auf allen Dächern qualmten blaue Säulen
Genügsam himmelan, ein luftig Gitter.
Nun ist es Nacht, es geistern schon die Eulen,
Einsam aus einer Laube klingt die Zither.
[188]

Nach der Hühnerjagd
Sizilianen

Erhitzt und müde, durstig, stark verbrannt,
Kehr' ich in meine Waldherberge ein.
Gewehr und Mütze häng' ich an die Wand,
Den Eimer sucht mein Hund und schlappt ihn rein.
Die junge Witwe lehnt am Schenkenstand,
Freundarm und stumm, im letzten Abendschein,
Dann lächelt sie verstohlen, abgewandt,
Der Gäste Aufbruch läßt uns bald allein.

Der Hohenfriedeberger
Sizilianen

Die Instrumente her! daß ihr euch sputet,
Wenn einst der Tod macht in mein Buch den Klecks,
Den großen Klecks, der alles überflutet.
Den Schlachtentrumpfer blast, und nicht perplex!
Den Hohenfriedeberger trommelt, tutet,
Mit seinen Pauken sei mein Leben ex!
Und komm' ich oben an so unvermutet,
Aufbrüll' ich: Vivat Fridericus Rex!

Einer Toten

Ach, daß du lebtest!
Tausend schwarze Krähen,
Die mich umflatterten auf allen Wegen,
Entflohen, wenn sich deine Tauben zeigten,
Die weißen Tauben deiner Fröhlichkeit.
Daß du noch lebtest!
Schwer und kalt bedrängt
Die Erde deinen Sarg und hält dich fest.
Ich geh' nicht hin, ich finde dich nicht mehr.
Und Wiedersehn?
[189]
Was soll ein Wiedersehn,
Wenn wir zusammen Hosianna singen,
Und ich dein Lachen nicht mehr hören kann?
Dein Lachen, deine Sprache, deinen Trost:
Der Tag ist heut so schön. Wo ist Chasseur?
Hol aus dem Schranke deinen Lefaucheux,
Und geh ins Feld, die Hühner halten noch.
Doch bieg nicht in das Buchenwäldchen ab,
Und leg dich nicht ins Moos und träume nicht,
Paß auf die Hühner und sei nicht zerstreut,
Blamier dich nicht vor deinem Hund, ich bitte.
Und alle Orgeldreher heut verwünsch' ich,
Die luftgetragnen Ton von fernen Dörfern
Dir zusenden, ich seh' dann keine Hühner.
Und doch, die braune Heide liegt so still,
Dich rührt ihr Zauber, laß dich nur bestricken.
Wir essen heute abend Erbsensuppe,
Und der Margaux hat schon die Zimmerwärme;
Bring also Hunger mit und gute Laune.
Dann liest du mir aus deinen Lieblingsdichtern.
Und willst du mehr, wir gehen an den Flügel
Und singen Schumann, Robert Franz und Brahms.
Die Geldgeschichten lassen wir heut ruhn.
Du lieber Himmel, deine Gläubiger
Sind keine Teufel, die dich braten können,
Und alles wird sich machen.
Hier noch eins:
Ich tat dir guten Kognak in die Flasche;
Grüß Heide mir und Wald und all die Felder,
Die abseits liegen, und vergiß die Schulden.
[190]
Ich seh' indessen in der Küche nach,
Daß uns die Erbsensuppe nicht verbrennt.
Daß du noch lebtest!
Tausend schwarze Krähen,
Die mich umflatterten auf allen Wegen,
Entflohen, wenn sich deine Tauben zeigten,
Die weißen Tauben deiner Fröhlichkeit.
Ach, daß du lebtest!

Gestorbene Liebe

In nackter Wüste ruht ein Löwenpaar,
Das gelbe Fell vom gelben Sand abhebend.
Im Schlafe dehnen sich die trägen Glieder.
Erwachend, leckt bedächtig eins das andre,
Und streckt und reckt sich, gähnt, und schläft von neuem.
Ein zweiter Leuenherr zeigt sich in Fernen.
Er nähert sich, er stockt, als die Genossen
Er unbekümmert vor sich liegen sieht.
Nun peitscht sein Schweif, nach Katzenart, die Erde,
Er reißt den Rachen auf wie eine Torfahrt,
Und Donner rollt ihm aus dem heißen Schlunde.
Er kauert sich, und knurrt, und äugt hinüber.
Schwerfällig wird das Ehepärchen munter,
Schwerfällig kommt es endlich auf die Beine.
Der zweite Nobel holt zum Sprunge aus,
Und springt, und springt dem Weibchen an die Seite.
Das Weibchen dann trabt mit dem Seladon
Gemütlich einem Felsendache zu.
Das Männchen stutzt, will brüllen, schweigt,
Und legt sich wieder nieder: Lat ehr lopen.
[191]

Der Genius

Gewitter drückt auf Sanssouci,
Ich stand im Park und schaute
Zum Schloß hinan, das ein Genie
Für seine Seele baute.
Und Nacht: Aus schwarzer Pracht ein Blitz,
Vom Himmel jäh gesendet,
Und oben steht der alte Fritz,
Wo die Terrasse endet.
Ein Augenblick! Grell, beinernblaß,
Den Krückstock schräg zur Erde,
Verachtung steint und Menschenhaß
Ihm Antlitz und Gebärde.
Einsamer König, mir ein Gott,
Ich sah an deinem Munde
Den herben Zug von Stolz und Spott
Aus deiner Sterbestunde.
Denselben Zug, der streng und hart
Verrät die Adelsgeister,
Der aus der Totenmaske starrt
Bei jedem großen Meister.

Die Spinnerin von Sankt Peter

Auf der Magdalenenspitze
In den Dünen von Sankt Peter
Sitzt in hellen Sommernächten
Stumm die schöne Frau Maleen.
[192]
Ihr zur Seite steht das Spinnrad,
Doch die Hände ruhn im Schoße,
Ihrer Augen Sehnsuchtsketten
Ankern in der wilden See.
Sieht sie einer aus der Ferne,
Macht er schaudernd Kehrt. Ihr Schatten
Bringt ihm noch vor Jahreswende
Unglück oder Tod ins Haus.
Gestern in der Julimondluft
Sah ich sie aus großer Weite.
Plötzlich zog mich toller Fürwitz,
In der Nähe sie zu sehn.
Tiefe Ruhe. Flutgewisper.
Nur die Düneneule flattert
Leise, wie mit Vampirflügeln,
Wohlig durch die weiche Nacht.
Nah und näher, immer näher,
Zagen Schrittes, offnen Mundes,
Mit weitaufgerißnen Augen,
Komm' ich endlich zu ihr hin.
Und mich dünkt, die dort ich finde,
Ist nicht mehr als eine Puppe,
Eine Puppe aus dem Vorstadt-
Wachsfigurenkabinett.
Da — entsetzlich! dreht sie langsam,
Lautlos-ruckweis wie ein Uhrwerk,
Ihre Stirn nach meiner Stirne:
Grinst mich eine Leiche an?
[193]
Ohnmächtig brach ich zusammen,
Bis der Morgentau mich weckte.
Kalt und keusch, unendlich einsam
Lag das unbewegte Meer.

Märztag

Wolkenschatten fliehen über Felder,
Blau umdunstet stehen ferne Wälder.
Kraniche, die hoch die Luft durchpflügen,
Kommen schreiend an in Wanderzügen.
Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen,
Überall ein erstes Frühlingslärmen.
Lustig flattern, Mädchen, deine Bänder,
Kurzes Glück träumt durch die weiten Länder.
Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen,
Wollt' es halten, mußt' es schwimmen lassen.

Hilf mir!

Du mußt mich küssen, wie die Sonne glüht,
Hoch wie das Meer muß deine Liebe rauschen,
Wie Orgelbrausen durch die Kirche zieht,
Wie Glockenklang, so stark und hehr zu lauschen.
[194]
Ich hab' in dich mein ganzes Sein gesenkt,
Und wie die Erde mußt du Kraft mir geben,
Zu tragen, was mir das Geschick verhängt,
In meiner eignen Sonne Licht zu leben.
Dann findet mich der Spott der Menge nicht,
Dann laß sie schmähen und mein Tun verhöhnen —
Was ihres Alltags kalte Stimme spricht,
Soll unsrer Liebe Jauchzen übertönen.

Die Alte

Im Park, wo die Reichen spazieren,
Auf einer Bank saß eine arme Frau,
Müde und krank.
Es gingen und kamen
Geputzte Herren und Damen,
Lachten und plauschten,
Und die seidenen Röcke rauschten.
Die Alte saß, gekrümmt den Rücken,
Und sah ihnen zu mit stummem Nicken. —
Ich schritt vorüber, sorglos, fein,
Und meine Schleppe hinterdrein
Fegte über raschelndes Laub
Und wühlte im Staub.
Und die Alte, eifrig und ohne Neid,
Sprach: „O das schöne, das reiche Kleid!“
Da stieg in die Wangen mir jähe Glut,
Und plötzlich war mir so eigen zumut
Und war mir mein reiches Leben leid
Und war mir, als müßt' ich zerreißen mein Kleid,
Als müßt' ich auf immer dem Glanz entsagen
Und Elend und Not mit der Alten tragen.
[195]

Die Meister-Geige

Ist dies, o Meister, deine Geige,
Die eine Welt schon schlug in Bann?
Dies kleine, braune Ding? — Nun zeige,
Was unter deiner Hand sie kann.
Und stille wird's mit einem Male,
Wie er sie langsam hebt ans Kinn —
So stille in dem weiten Saale...
— — — — — — — — — —
Und sie singt, die Betörerin!
O Seele unter allen Geigen,
Wie zieht sie jedes Herz sich nach:
Sie singt — und alle Schmerzen schweigen,
Sie singt — und jede Lust wird wach...
Sie singt von einem fernen Lande,
Wo weich die warmen Lüfte wehn,
In dessen hellem Ufersande
Menschen gleich seligen Kindern gehn...
Sie singt — da naht sich dir die Küste,
Der Heimat längstentbehrte Flur...
Sie singt — die Sonne geht zur Rüste
Und alles war ein Traumbild nur...
[196]
Sie singt — wie einst an weißer Wiege
Die Mutter dich in Schlummer sang...
Sie singt — singt deine höchsten Siege,
Dein Glück und deinen Untergang...
Sie singt und singt... Auf Weltenbahnen
Lockt wie verzaubert dich ihr Ton...
Sie singt unser geheimstes Ahnen...
Sie singt — keiner weiß mehr: wovon...
Sie singt in Jubel und in Klagen
Ein sinnverwirrendes Gedicht,
So süß — keiner vermag's zu sagen!
Wie süß weiß selbst ihr Meister nicht!

Schrei

Es verging, es verging keine Stunde in der Nacht,
Daß ich deiner, ferne Liebe, daß ich deiner nicht gedacht.
Jede Stunde, jede Stunde bin vom Schlafe ich erwacht,
Hab' die Tore der Gedanken auf- und wieder zugemacht.
Wie mit Sehnsucht, wilder Sehnsucht, hast du meine Brust erfüllt,
Daß sogar in diesem Dunkel dein Bild strahlend sich enthüllt!
Nieder fiel der Trennung Schleier, doch der Schleier liegt zerknüllt,
Aber hungrig ist mein Schmerz, der Löwe, der in Wüsten brüllt! —
Es vergeht, es vergeht keine Nacht, nicht eine geht,
Daß dein Bild nicht leuchtend vor mir, leuchtend mir vor Augen steht...
[197]
Jeder Atem meines Mundes ist ein Wunsch, der dich erfleht —
Warum ist dein Fuß so lässig und so glühend mein Gebet?!
Mein Gebet, mein Gebet, daß du länger nicht mehr weilst,
Diese schwarzen Nächte mit dem Lichte deines Lächelns teilst,
Dieser Stunden blutige Kette, diesen Kettenring zerfeilst,
Meine Sehnsucht, die mich tötet, meine Sehnsucht endlich heilst!

So wird es kommen...

So wird es kommen, so kommt es gewiß:
Es naht die Nacht und die Finsternis,
Wir stehen beide am Scheidewege.
Stumm gehen des Herzens schmerzliche Schläge:
„Noch bist du mein! — noch bist du mein! ...“
Viel will ich noch sagen und kann es nicht.
Ich streichle nur immer dein liebes Gesicht.
Von meinem Nacken löst du die Hände,
Und ich begreife: das ist das Ende! — —
Und rings erblaßt der letzte Schein...
Dann küssest du mich zum letztenmal
Und schreitest zurück in dein Heimatstal.
Ich sehe, wie sich die Schatten breiten
Um deine Gestalt — und jäh entgleiten
Seh' ich dich mir — und bin allein! ...
[198]

Freiheit

Es fragte mich heute dein bebender Mund, wer frei denn sei?
Ich hob meine Hand zum Himmel und sagte: die Wolken sind frei,
Und frei ist der Wind, der die Weiten der Welt im Fluge durchwühlt,
Und frei ist das Meer, das den schimmernden Strand mit Küssen bespült.
Frei sind jene Bergeshäupter, die nie ein Fußtritt bog,
Und frei sind die ruhenden Wälder, die nie ein Ruf durchflog —
Dort baut der Fuchs sein Nest, der Hirsch wirft sein Geweih:
Natur, ihr glühendes Leben, ihr schweigender Tod, sie sind frei!
Sprich, sahst du den Adler kreisen? Was lenkt seinen ziellosen Flug?
Und sahst du ein Roß in der Wüste, das nie den Halfter trug?
Vernahmst du mein Lied, mein stürmisches Lied, meinen ersten und letzten Schrei? —
Das Meer und der Aar und der Wald, das Roß und mein Lied, sie sind frei!
Dort spielt ein Kind am Ufer... die Barke durchschneidet den See...
Es küßt die Rose der Tau — was lächelst du trübe und weh?
[199]
Ach, jetzt erst versteh' ich die Frage, die Frage: wer frei denn sei? —
Wir Toren, wir Knechte der Torheit, nur wir sind nicht frei! — — —

Mädchengebet

Ich bitte dich, Herrgott, durch Christi Blut,
Bewahr mir meinen lieben Liebsten gut!
Ich bitte dich, Herrgott, aus Herzensgrund,
Daß mich mein Liebster küßt auf meinen roten Mund!
Kniefällig bitt' ich dich, bei meiner Seligkeit,
Gib, daß er stirbt, wenn er ein' andre freit.

Deine Hände

Wenn ich deiner schlanken Hände denke,
Die so weich wie Frauenhände schmeicheln,
Die so grausam sind wie Kinderhände —
Schließ' die Augen ich in süßer Freude,
Schließ' die Augen ich in wilder Angst,
Denn ich weiß, es halten diese Hände
Eine goldne Kugel, mein Geschick.

Liebe

Eh' du nicht stirbst in Elend und Not,
Eh' deine Stirn nicht mit Wahnsinn geschlagen —
[200]
Keine Rose und Nelke rot
Werde ich mehr im Tanze tragen.
Meine kleinen schneeweißen Schuh',
Die ich getragen bei Reigen und Geigen,
Sollen verstauben in ihrer Truh'
Unter welken Lavendelzweigen.
Aber kommt dann endlich der Tag,
Wo sie mir sagen: „Er ist gestorben;
Fluch auf all seinen Wegen lag,
Unstet und flüchtig ist er verdorben“ —
Dann wird lachen mein blasser Mund,
Süß und hell wie in alten Tagen,
Seidene Kleider werd' ich zur Stund',
Ringe und Spangen und Ketten tragen;
Werde tanzen drei Nächte lang,
Rosen im Gürtel und Rosen im Haare —
Während dein Weib, verzweifelnd und bang,
Knieend betet an deiner Bahre.
Aber kommt dann die vierte Nacht,
Ist die rote Sonne gegangen,
Dann ist mein Lachen ausgelacht,
Blaß wie der Tod sind dann meine Wangen,
Werde sagen: „Nun liegst du fern,
Tief in der gefrorenen Erde,
Gingest dahin — nicht wie ein Stern,
Loschest aus wie ein Fünkchen am Herde.“
Wieder werd' ich, in Reu und Leid,
Deinen geliebten Namen nennen,
Wieder, wie in verschollener Zeit,
Wird mein Mund nach dem deinen brennen,
Und, die Kerze in zitternder Hand,
[201]
Schreit' ich hinab die Treppenstufen —
Wie ein Brautkleid rauscht mein Gewand,
Und mir ist, ich hörte dich rufen...

Chevalier errant

Ich ritt durch die Wälder hin auf manchem verwachsenen Pfad,
Wach lag ich im tauigen Gras, wenn die Nacht genaht,
Der Nachtwind kam und ging durch die Birken am Heidegrab,
Und mein Sehnen glitt mit dem Mond hinter fernen Hügeln hinab.
Meine Arme streckte ich aus, dumpf klirrte der Rüstung Stahl,
Wo liegst du hinter den Bergen, heiliger Gral?
Gelbhaarig ritt ich einst aus, ein Knabe zum Waffenspiel,
Grau ward mein Haar, zerstoßen mein Schild — und ferne mein Ziel.
Ein Abend kam, wie kein andrer; schwül war die Luft,
Verwirrend unter den Buchen trieb es wie Rosenduft,
Ein junger Mond stand am Himmel silbern und schmal,
Und aus brauendem Nebel röhrten die Hirsche im Tal.
Und ich wußte, nah war die Stunde; unter dem Panzererz
Zuckte und bebte es wieder, wie einst des Knaben Herz,
Ein zaubergetroffener Mann, so ritt ich langsam dahin,
Und vergessene Liebeslieder kamen in meinen Sinn.
[202]
Es steht eine Buche am Felshang nach Süden zu,
Da lag eine Hinde gebunden, — die Hinde bist du.
Mein Schwert zerschnitt deine Bande. O Mondlicht traurig und blau!
Ich ging den Gral zu suchen und fand eine nackte Frau.

Das junge Liebchen...

Das junge Liebchen saß bei mir am Tisch.
Ich aß und trank und weinte bitterlich.
Es hatt' ein zartes Linnen aufgelegt.
Das war aus seinem Hemdelein genäht.
Es bot mir dar ein silbern Becherlein,
Da war sein eigen Blut darin.
Es reichte mir vom frischen Brot den Laib.
Das war sein eigner liebewarmer Leib.
Dann lächelt' es geheim und sonderbar,
Steckte eine Rose sich ins Haar. —

Ich liege...

Ich liege mit einer Frau im offnen Fenster.
Die beiden Arme ruhen beieinander,
Wir schaun hinab in ein Blumengärtchen.
Blicken beide stumm auf eine rote Nelke.
Wir wissen, daß wir jetzt und so uns lieben.
Auch: daß wir niemals mehr uns lieben werden
Nach diesem Augenblick.
[203]

Ja in der Jugend...

Ja in der Jugend war ich der starke Junge,
Schleppte die stärksten Helden an meinem Tau;
Aber da wässerte mir die Zunge,
Und da hing ich am Arm einer Ehefrau.
Ich hab' eine schöne Tochter, einen stolzen Sohn.
Die lehnen rechts und links an meinem steilen Thron.
Ich bin in der Höhe der Kaiser.
Aber mein Haar wird stündlich weißer.
Sie lächeln, sie flüstern in der Tiefe in geheimem Ton.

Nun beugt die Nacht...

Nun beugt die Nacht sich singend über mich.
Ich ward erwählter Liebling der Natur.
In einer Barke liegend
Einen blauen Strom hinab durch grüne Landschaft,
Die Sonneseele über mir, Fahnen
Am Ufer, tönt Musik, und Festtagmenschen —
O Seele! volles, volles Leben!
Einem schäumenden Silberwassersturze treib' ich zu.
Stolze Klippen! jubelnd grüßt euch
Das reichste Herz! seid würdig,
Schmettert kühn hinab!

Wann ich von dir gehe...

Wann ich von dir gehe,
Noch schallt die Marmortreppe unter mir,
Verwandelt sich mein Antlitz, meine Haltung —
Werd' ich zum Wurm? werd' ich zum Engel?
[204]
Aus dunklen Wäldern kam ich her zu dir
In die sonnige Marmorstadt.
Küsse mich
In goldenen Strähnen!
Doch in mir sind die dunklen Eibenwälder.

Auf steilem Felsrücken...

Auf steilem Felsrücken hingestreckt mächtig ein Weib,
Ein einzig fühlend Auge der weiße weiche Leib.
Zugepreßt krampfhaft das winzige graue Augenpaar:
Sieghaft droben die Sonne. Die Sonne sieghaft, ruhend klar.
Sie zuckt! bäumt! windet sich! empor! schimmernd in Qual!
Goldene Ströme: es schäumt ihr wild Haar zu Tal.
Und eins — immer eins das weiße Ringen spricht:
Schmerzvoll ist das Licht!

Ich möcht' es kosten...

Ich möcht' es kosten, aus seliger Neugier,
Das was man Tod nennt.
Manch lange Nacht hab' ich gekostet,
Was so fremd mir war, so übermächtig,
Wie kein Tod es sein kann.
Ich stand so oft an jener feinsten Linie
Und war wohl schon mit halber Seele drüben.
Ich hab' das nicht gewollt; es war ein Leiden.
Nur eine Stimmung kräftigte ich mir.
Ein Kinderlächeln meinen Seelewundern.
Am Ende fließen nun die Freudetränen.
Wo bist du, Sehnsucht? Alles ist Erfüllung.
[205]

Schwindsucht

Aus einer Wallfahrtskirche treten sie,
Drin wundertätig eine Heilige wirkt.
Ein junger Mann und eine blasse Frau.
Sie führen sich an der Hand wie Kinder,
Die scheu verstohlen Zuckerwerk genascht.
Ein müdes Lächeln hißt sich auf Halbmast.
'Nun bin ich bald gesund, du süßer Mann'...
„Nun bist du bald gesund, mein süßes Weib“...

Trinkend hatt' ich...

Trinkend hatt' ich erharrt
Deine Gegenwart.
Und nun du eingetreten,
Ist alles schön und stille,
Du und deine feierlichen Reden,
Lächelnd ruht mein Wille.
Du und dein Samt- und Sternekleid.
Ich und meine schaffende Vergangenheit.
Und ich bemerke wein- und glutselig:
Die Krone, die um deine Schläfen blitzt und dämmert,
Hab' ich vor tausend Jahren zurechtgehämmert.

Im Mondlicht...

Im Mondlicht und im Sonnelicht
Schrieb ich manch Gedicht,
Aber selten im Sternelicht.
Die kleineren Lichter
Überließ ich dem guten deutschen Dichter. —
[206]

Da spülst du bunte Muscheln...

Da spülst du bunte Muscheln an den Strand
Zum Spiel für die alte Schöpferhand.
Und so ruhend Hand in Hand mit dir
Fühl' ich ein Unvergängliches in mir.
In blauer Luft der Adler schreit.
O feuchter Wind! o kühle Zeit!
Ein spielend Kind,
Ein Kind mit uferloser Vergangenheit.
O Lächeln, das aus meinem Menschenherzen fließt
Und sich in tränendem Gesang vergießt.
Du Glut und Pracht!
Du meine Schöpfermacht!
Du Meer! Du Sonne! — Adlerschrei! —
Und immer, immer die große Melodie dabei.

Zwischen zwei dunklen Wogen...

Zwischen zwei dunklen Wogen liegend,
Ihren Untertanentrotz mir niederbiegend,
Ruf ich meine Machtstunde auf.
Alsobald schwebt der Nachtplanet herauf,
Er lagert hoch über der glänzenden Ozeanfläche
Am Stamm der himmeldunklen Esche.
Dröhnende Stunde der feierlichen Achtung.
Der schweigenden Betrachtung.
Einst war hier nichts als mein Beruf.
Heut lieg' ich körperlich in großen Träumen
Zwischen weißen Wogenschäumen,
Und rede mit dem Licht, das ich erschuf.
[207]

Ich tat große Dinge...

Ich tat große Dinge,
Und gab dem Saturn wundervolle Ringe.
Aber da sah ich dann alles von selber geschehen,
Nichts mehr warten und stehen,
Mein Geist geriet in Zwang,
Hinein in fürchterlichen Zusammenhang,
Daß ich wahnsinnig in einer Kette rang.
Seit der Zeit schaff' ich nichts Neues mehr.
Sonne und Mond sind mein einziger Verkehr.
Vielleicht noch das Feuer, vielleicht noch das Meer.
Weite Stillen
Überwölben meinen Willen.
Unsichtbare Geigen
Bereden mich, zu schweigen.

Ich lag auf dem Meer...

Ich lag auf dem Meer, über mir wälzte sich das Licht.
Ich sah von einer fernsten Klippe
Eine Bande weißer Vögel aufschwirren.
Ich schleuderte ein Seil, sie einzufangen.
Weiße Tiere, Traum, Phantasie und Meer.
Weiße Tiere und ewig lächelnde Wiederkehr.

Der Mond betrat...

Der Mond betrat der Urnacht Land
Hinter meiner tastenden Führerhand.
In einem Tal, im neu beleuchteten Reiche
Fanden wir liegen eine große Leiche,
[208]
Die uns fremd war, einsam, ohne Namen.
Saßen; aufgestützt ins dunkle Antlitz starrend;
Traumhaft; einen Gedanken erharrend.
Und wir haben
Flüsternd uns beraten;
Den Toten im Felsgebirg begraben.
Doch wohin wir forschend später kamen,
Fanden wir die Spuren seiner Taten.

Mich jammerte...

Mich jammerte dein graues Dämmerweh,
Ich legte dich sanft hin auf weißen Schnee.
Ordnete dein rotes Flammenhaar,
Das einst so schmerzhaft, hier so selig war.
Und knieend im Schnee und über dich geschoben
Hab' ich aus deiner grünen Augentiefe
Einen schönen Stern gehoben.
Sterne schwimmen auf den milden Fluten,
Die alles tragen.
Was willst du noch sagen,
Du Glänzende, in deinen Abendgluten!

Bevor ich...

Bevor ich diesen Inselstrand verließ,
Entdeckt' ich letztmals streifend eine Höhle,
Da drinnen ward mir eine neue Seele,
Die mir ein höchstes Glück verhieß.
[209]
Und so saß ich lange,
Ein tiefes Lächeln auf meiner Wange.
Vom Licht umzittert in der Dämmerkühle.
Glühend in einem neuen
Heimat-Urgefühle.
Es war zur Nacht, da ich ins Meerhorn stieß.
Es war zur Nacht, da ich zum Aufbruch blies.
Es war zur Nacht, da ich den Strand verließ.
Mein Boot lag in der Mondquelle.
Ich stand in vollendeter Helle.
Ich stand schlafähnlich starr auf silbernem Kies.

Ich hörte den Wind...

Ich hörte den Wind durch die Eichenkronen streichen.
Mein Herz war kühl wie die Teiche meiner Heimat.
Die weißen Wolken über den grünen Hügeln!
Dann kam die Schwalbe, die Schwalbe übers Meer.
Ein Haus... Nur der Grille Stimme klang
In die stillen Bereiche.
Manchmal eines Mädchens kühler Sang,
Der wellengleiche.
Und ein Kind, ein Knabe lag tagelang
Am zitternden Teiche.

Am Saume...

Am Saume eines fruchtbewachsenen Berges,
Felsig in die Klarheit tauchte der Gipfel,
Stand ich im Zwiegespräch mit einem Weibe.
[210]
Die starken Schultern glänzten in der Dämmerung,
Es ruhte hoheitvoll der nackte Leib.
Wir blickten redend, sinnend in die Landschaft
Über reiche Wiesen, violette Ströme,
Bäume dunkelten am Himmel,
Leise brausend sprach fernher ein Meer.
Manchmal schritten Gestalten:
Erzengel, in großem Abend
An uns vorüber: grüßten:
Und wünschten uns und unsern Kindern Heil.

Erster Schnee

Aus silbergrauen Gründen tritt
Ein schlankes Reh
Im winterlichen Wald
Und prüft vorsichtig, Schritt für Schritt,
Den reinen, kühlen, frischgefallenen Schnee.
Und deiner denk' ich, zierlichste Gestalt.

Vöglein Schwermut

Ein schwarzes Vöglein fliegt über die Welt,
Das singt so todestraurig...
Wer es hört, der hört nichts anderes mehr,
Wer es hört, der tut sich ein Leides an,
Der mag keine Sonne mehr schauen.
[211]
Allmitternacht, Allmitternacht
Ruht es sich aus auf dem Finger des Tods.
Der streichelt's leis und spricht ihm zu:
„Flieg, mein Vögelein! Flieg, mein Vögelein!“
Und wieder fliegt's flötend über die Welt.

Welch ein Schweigen...

Welch ein Schweigen, welch ein Frieden
In dem stillen Alpentale,
Laute Welt ruht abgeschieden.
Silbern schwankt des Mondes Schale.
Von den Wiesen strömt ein Düften.
Aus den Wäldern lugt das Dunkel.
Brausend aus geheimen Klüften
Bricht der Bäche fahl Gefunkel.
Überm Saum der letzten Bäume
Weiße Wände stehn und steigen
In die blauen Sternenräume.
Welch ein Frieden, welch ein Schweigen!

Das sind die Reden...

Das sind die Reden, die mir lieb vor allen:
Die Wässerlein, vom hohen Felsen rinnend,
Mein ganzes Herz mit ihrer Lust gewinnend,
Ohn' End' zum tiefen Grund hinabzufallen.
Du Wiegenlied vor allen Wiegenliedern,
Zur Ewigkeit hinweg vom Eintag wiegend,
Das laute Selbst zu jener Ruh' besiegend,
Die keine leeren Klagen mehr erniedern!
[212]

Das Spinnennetz

O sieh das Spinnennetz im Morgensonnenschein,
Wie es vom Tau noch voll kristallner Tropfen hängt!
Im leichten Winde wiegt es seiner Perlen Pracht,
Die in den silbergrauen Maschen hier und dort
So flüchtig sich wie sanft und zierlich eingeschmiegt.
Sieh, so ist alles Glück. So hängt es flüchtig sich
In unsrer Tage schwankendes Gespinst,
Und es erschauert unter seiner köstlichen Last
Des Majaschleiers weltdurchwallendes Geweb.

Verbannung zur Höhe

Noch niemals fiel es irgend einem Volke ein,
Zu schenken einem Dichter einen hohen Berg,
Mit dem Beding, von ihm herabzusteigen nur,
Um ihm zu bringen diesem Ebenbürtiges.
Ja, bannen müßt' es selbst das allzu schweifende
Geschlecht der Dichter an so hohen Aufenthalt,
Wo nur das höchste Recht hat und der Dinge Maß,
Gereckt ins Ungemeine, seinen Blick entwöhnt
Des bunt zufälligen Wirbels, drein sein Tag ihn warf.

Deine Rosen

„Deine Rosen an der Brust,
Sitz' ich unter fremden Menschen,
Laß sie reden, laß sie lärmen,
Jung Geheimnis tief im Herzen.
[213]
Wenn ich einstimm' in ihr Lachen,
Ist's das Lachen meiner Liebe;
Wenn ich ernst dem Nachbar lausche,
Lausch' ich selig still nach innen.
Einen ganzen langen Abend
Muß ich fern dir, Liebster, weilen,
Küssend heimlich, ohne Ende,
Deine Rosen an der Brust.“

Der Bach

Wie der wilde Gletscherbach
Selber sich entgegenbraust,
Auf sein wogendes Gejach'
Weiß zurückgekraust!
So der Einzelne der Zeit
Zornerfüllt entgegenschwillt.
Doch die rollt zur Ewigkeit.
Und alles ist ein Bild.

Christus klagt:

Wachet und betet mit mir!
Meine Seele ist traurig
Bis in den Tod.
Wachet und betet!
Mit mir!
Eure Augen
Sind voll Schlafes —
Könnt ihr nicht wachen?
Ich gehe,
Euch mein Letztes zu geben —
Und ihr schlaft...
[214]
Einsam stehe ich
Unter Schlafenden,
Einsam vollbring' ich
Das Werk meiner schwersten Stunde.
Wachet und betet mit mir!
Könnt ihr nicht wachen?
Ihr alle seid in mir,
Aber in wem bin ich?
Was wißt ihr
Von meiner Liebe,
Was wißt ihr
Vom Schmerz meiner Seele!
O einsam!
Einsam!
Ich sterbe für euch —
Und ihr schlaft!
Ihr schlaft!

Begegnung

Wir saßen an zwei Tischen — wo? — im All...
Was Schenke, Stadt, Land, Stern — was tut's dazu.
Wir saßen irgendwo im Reich des Lebens...
Wir saßen an zwei Tischen, hier und dort.
Und meine Seele brannte: Fremdes Mädchen,
Wenn ich in deine Augen dichten dürfte —
Wenn dieser königliche Mund mich lohnte —
Und diese königliche Hand mich krönte —!
Und deine Seele brannte: Fremder Jüngling,
Wer bist du, daß du mich so tief erregest —
Daß ich die Kniee dir umfassen möchte —
Und sagen nichts als: Liebster, Liebster, Liebster!
[215]
Und unsre Seelen schlugen fast zusammen.
Doch jeder blieb an seinem starren Tisch —
Und stand zuletzt mit denen um ihn auf —
Und ging hinaus —. Und sahn uns nimmer mehr.

Ein Kontertanz

Im Saal voll Pracht und Lichterglanz
Lädt die Musik zum Kontertanz.
Es stehen in der Tänzer Reihn
Ein Jüngling und ein Jungfräulein:
Compliment!
„Hier fände ich mein Glück vielleicht!“
Der Jüngling denkt's und sinnt und schweigt.
Und schweigend denkt das Mägdelein:
„Soll dieser wohl der Rechte sein?“
Balancez!
Die Augen beider grüßen sich.
Dem Jüngling wird so seltsamlich.
Der Jungfrau Busen hebt sich bang.
Mir scheint: die Sache kommt in Gang.
Tour de main!
Dem Frieden trauen soll man nie!
Die Dame seines Vis-a-vis
Beäugt den Jüngling höchst kokett.
„Sieh!“ denkt er, „die ist auch recht nett!“
Chaine anglaise!
[216]
Mit Staunen sieht die Jungfrau an
Den bösen, wankelmütigen Mann.
Und alsogleich sie bei sich spricht:
„Der Rechte ist das wieder nicht!“
Dos-à-dos!
Der Jüngling merkt, daß sie sich grämt,
Geht in sich und ist tief beschämt.
Er macht sich schnell zum Sturm bereit,
Daß er versöhnt die holde Maid.
Le cavalier en avant!
Er schneidet ihr mit Macht die Cour
Und schwört, daß sie alleine nur
Die Sehnsucht seiner Träume stillt.
In ihrem Busen wogt es wild:
Moulinet!
Sie glaubte gern und zaudert doch.
Da wird er ungestümer noch
Und fängt sie endlich glücklich ein.
Sie flüstert schämig: „Ich bin dein.“
En avant deux!
Er küßt, in heißer Lieb' entbrannt,
Verstohlen ihre kleine Hand
Und spricht: „Ob's stürmt, ob Sonne scheint,
Wir ziehn durchs Leben nun vereint!“
Grande ronde!
[217]

Straßenlied

Es liegt etwas auf den Straßen im Land umher,
In Welschland und in Britannien und am Meer,
Am Rhein und wo die Scholle der Newa splittert wie Glas,
Es liegt etwas auf den Straßen, ich weiß nicht was.
Ich hab' auf den Straßen verlaufen sieben paar Schuh,
Mein Stecken blieb immer derselbe, mein Herz dazu,
Ich wanderte sieben Jahre durch Regen und Sonnenlicht,
Und die Straßen wußten mein Glück und sagten es nicht.
Es pfeift eine Drossel in Thule am Holderstrauch,
Und hab' ich Land Elend gefunden, so find' ich Thule auch,
Die Drossel weiß meiner Sehnsucht süßesten Reim,
Und alle Straßen im Lande sagen: „Kehr heim!“

Im Kleinen Saal

Am offnen Fenster standen wir zu zwein.
Der Duft des Kaffees in den kleinen Schalen
Zog mit dem Hauche des Parketts herein
Zu unsrer Nische Doppelplatz, dem schmalen.
Ein Diener kam und bot Likör uns an, —
Im Parke draußen knirschte laut ein Karren, —
Und wieder kam ein goldbetreßter Mann
Und präsentierte Feuer und Zigarren.
[218]
Und zwischen all dem Trubel sah ich nur
In deinen vornehm-kühlen Frauenzügen
Mitten im Allerweltsgespräch die Spur
Von ungesprochnen Worten selig liegen.

Lebensweg

Ich bin durchs Leben auf dich zugegangen,
So fest und klar, wie übers grüne Land
Die Taube flog, die lange eingefangen
Und doch den Weg zur süßen Heimat fand.
Und denke ich an Sturm und Streit und Streben,
An meiner Jugend Wandern dort und hier,
So ist mir oft: Es war mein ganzes Leben
Ein stiller, unbeirrter Weg zu dir.

An den Mistral
Ein Tanzlied

Mistralwind, du Wolkenjäger,
Trübsalmörder, Himmelsfeger,
[219]
Brausender, wie lieb' ich dich!
Sind wir zwei nicht eines Schoßes
Erstlingsgabe, eines Loses
Vorbestimmte ewiglich?
Hier auf glatten Felsenwegen
Lauf' ich tanzend dir entgegen,
Tanzend, wie du pfeifst und singst:
Der du ohne Schiff und Ruder
Als der Freiheit freister Bruder
Über wilde Meere springst.
Kaum erwacht, hört' ich dein Rufen,
Stürmte zu den Felsenstufen,
Hin zur gelben Wand am Meer.
Heil! da kamst du schon gleich hellen
Diamantnen Stromesschnellen
Sieghaft von den Bergen her.
Auf den ebnen Himmelstennen
Sah ich deine Rosse rennen,
Sah den Wagen, der dich trägt,
Sah die Hand dir selber zücken,
Wenn sie auf der Rosse Rücken
Blitzesgleich die Geißel schlägt, —
Sah dich aus dem Wagen springen,
Schneller dich hinab zu schwingen,
Sah dich wie zum Pfeil verkürzt
Senkrecht in die Tiefe stoßen —
Wie ein Goldstrahl durch die Rosen
Erster Morgenröten stürzt.
Tanze nun auf tausend Rücken,
Wellenrücken, Wellentücken —
[220]
Heil, wer neue Tänze schafft!
Tanzen wir in tausend Weisen,
Frei — sei unsre Kunst geheißen,
Fröhlich — unsre Wissenschaft!
Raffen wir von jeder Blume
Eine Blüte uns zum Ruhme
Und zwei Blätter noch zum Kranz!
Tanzen wir gleich Troubadouren
Zwischen Heiligen und Huren,
Zwischen Gott und Welt den Tanz!
Wer nicht tanzen kann mit Winden,
Wer sich wickeln muß mit Binden,
Angebunden, Krüppelgreis,
Wer da gleicht den Heuchelhänsen,
Ehrentölpeln, Tugendgänsen,
Fort aus unserm Paradeis!
Wirbeln wir den Staub der Straßen
Allen Kranken in die Nasen,
Scheuchen wir die Krankenbrut!
Lösen wir die ganze Küste
Von dem Odem dürrer Brüste,
Von den Augen ohne Mut!
Jagen wir die Himmelstrüber,
Weltenschwärzer, Wolkenschieber,
Hellen wir das Himmelreich!
Brausen wir... o aller freien
Geister Geist, mit dir zu zweien
Braust mein Glück dem Sturme gleich.
Und daß ewig das Gedächtnis
Solchen Glücks, nimm sein Vermächtnis,
[221]
Nimm den Kranz hier mit hinauf!
Wirf ihn höher, ferner, weiter,
Stürm empor die Himmelsleiter,
Häng ihn — an den Sternen auf!

Vereinsamt

Die Krähen schrein
Und ziehen schwirrend flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein —
Wohl dem, der jetzt noch — Heimat hat!
Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts ach! wie lange schon!
Was bist du Narr
Vor Winters in die Welt entflohn?
Die Welt — ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
Nun stehst du bleich,
Zur Winterwanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg, Vogel, schnarr
Dein Lied im Wüstenvogelton! —
Versteck, du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein,
Weh dem, der keine Heimat hat!
[222]

Zarathustras Lied

O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief —,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: —
Die Welt ist tief
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh —,
Lust — tiefer noch als Herzeleid!
Weh spricht: vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit —
Will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

Venedig

An der Brücke stand
Jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
Goldener Tropfen quoll's
Über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik —
Trunken schwamm's in die Dämmerung hinaus...
Meine Seele, ein Saitenspiel,
Sang sich, unsichtbar berührt,
Heimlich ein Gondellied dazu,
Zitternd vor bunter Seligkeit.
— Hörte jemand ihr zu?
[223]

Sils-Maria

Hier saß ich, wartend, wartend, — doch auf nichts,
Jenseits von Gut und Böse, bald des Lichts
Genießend, bald des Schattens, ganz nur Spiel,
Ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.
Da, plötzlich, Freundin! wurde eins zu zwei —
— Und Zarathustra ging an mir vorbei...

Die Sonne sinkt

I.

Nicht lange durstest du noch,
Verbranntes Herz!
Verheißung ist in der Luft,
Aus unbekannten Mündern bläst mich's an;
— Die große Kühle kommt...
Meine Sonne stand heiß über mir im Mittage:
Seid mir gegrüßt, daß ihr kommt,
Ihr plötzlichen Winde,
Ihr kühlen Geister des Nachmittags!
Die Luft geht fremd und rein.
Schielt nicht mit schiefem
Verführerblick
Die Nacht mich an? ...
Bleib stark, mein tapfres Herz!
Frag nicht: warum? —
[224]

II.

Tag meines Lebens!
Die Sonne sinkt.
Schon steht die glatte
Flut vergüldet.
Warm atmet der Fels:
Schlief wohl zu Mittag
Das Glück auf ihm seinen Mittagsschlaf?
In grünen Lichtern
Spielt Glück noch der braune Abgrund herauf.
Tag meines Lebens!
Gen Abend geht's!
Schon glüht dein Auge
Halb gebrochen,
Schon quillt deines Taus
Tränengeträufel,
Schon läuft still über weiße Meere
Deiner Liebe Purpur,
Deine letzte zögernde Seligkeit...

III.

Heiterkeit, güldene, komm!
Du des Todes
Heimlichster, süßester Vorgenuß!
— Lief ich zu rasch meines Weges?
Jetzt erst, wo der Fuß müde ward,
Holt dein Blick mich noch ein,
Holt dein Glück mich noch ein.
Rings nur Welle und Spiel.
Was je schwer war,
[225]
Sank in blaue Vergessenheit,
Müßig steht nun mein Kahn.
Sturm und Fahrt — wie verlernt er das!
Wunsch und Hoffen ertrank,
Glatt liegt Seele und Meer.
Siebente Einsamkeit!
Nie empfand ich
Näher mir süße Sicherheit,
Wärmer der Sonne Blick.
— Glüht nicht das Eis meiner Gipfel noch?
Silbern, leicht, ein Fisch,
Schwimmt nun mein Nachen hinaus...

Ruhe

Es gibt so stille Stunden, wo das Leid,
Gleichwie das Glück in uns zu schlafen scheinen.
Wir sind vielleicht zu müde, um zu weinen,
Zu müde auch vielleicht zur Seligkeit.
Gleichwie im Schlaf zu hoher Mittagszeit
Die Waldesseele, Pan, ruht in den Hainen,
Und nur verstohlen Sonnenlichter scheinen
In diese traumgefangne Einsamkeit:
So wiegt auch uns in heißer Zeit der Schmerz
In Schlummer, und wir wissen's selber kaum.
Das Leben ruht in uns gleichwie im Traum —
[226]
Nicht Glück, nicht Sehnsucht rührt das müde Herz —
Und wir empfinden wunschlos unser Wesen
In die Natur, ins Ewige sich lösen...

Wie ich sterben möchte

Es müßte tief im späten Sommer sein,
In seiner allerletzten Vollmondnacht —
Und in den Lüften schliefe noch ein Duft
Von blühnden Hecken und von reifem Korn.
Die Wälder schlössen ihrer Stämme Nacht
Zum Purpurdunkel — wie ein fürstlich Grab,
Das auf ein müdes Leben harrt; — und fern
Erklänge eines Wandervogels Ruf...
Vom Himmel sänken goldne Tropfen leis,
Verirrte Lichter, die von Sternen fall'n —
Und sie verstiebten in die große Nacht...
— — — — — — — — — — — — — —
Doch plötzlich bliche wie in Schatten hin
Das Mondesleuchten und die Sternenglut
Denn von den Matten her, vom Waldessaum,
Käm' wandelnd deine stolze Lichtgestalt.
Sehnsüchtig winktest du mit müder Hand —
Es leuchtete dein Blick von Tränen so —
Und du riefst bang: „Sag, was versteckst du dich?
In allen Erdengründen sucht' ich dich!“
Ich aber säh' dich furchtsam lange an,
Ob du ein Herbstgespinst der Heide seist;
Und langsam rührt' ich dir an Haupt und Herz —
Doch die erbebten noch von Lebensglut.
Und ich rief laut: „Du bist es, du, mein Lieb!
O Gott, so sind wir sehnend uns entflohn,
[227]
Denn ich auch suchte dich durch alle Welt;
So hat das Schicksal arg mit uns gespielt.“ ...
Drauf sagtest du, wie mit entrücktem Ton
Und legtest letzte Blume mir ins Haar:
„Bist du vom Wandern auch so sterbensmüd'?“
Ich nickte still — du bögest dich herab,
Ein voller Mondstrahl fiel auf deine Stirn —
Und deine Lippen, die ich jugendlang
Und heiß gesucht, berührten meinen Mund...
— — — — — — — — — — — — — —
Dann aber rief ich selig in die Nacht:
„Das ist die Zeit, ins Paradies zu gehn —
Der Himmelsweg ist offen — stirb mit mir!“ —
— — — — — — — — — — — — — —

Ein Aufschrei

Und ich soll hingehn in die Einsamkeit,
Und soll mich lösen aus der Trunkenheit,
Die fiebernd mich und dich in Fesseln schlägt,
Und übersinnlich uns zur Gottheit trägt!
Und es soll Stunden dieser Erde geben,
Die wir zusammen nicht mehr werden leben!
Und Tage sollen dunkel sich verbluten,
Wo unsrer Herzen zitternd junge Gluten,
Die einst, sich suchend, loderten zusammen,
Aufbrennen müssen in getrennte Flammen!
[228]

Sommernachts

Wie trunken schläft die Juninacht!
Es ist wie Duft von reifem Korn
Weither im Lande aufgewacht —
Die Rose glüht am Heckendorn —
Der Bergwald atmet; — manchmal stehen
Die Winde aus den Wolken auf
Und führen sehnsuchtschwüles Wehen
Der Leidenschaft vom Tal herauf.
Dort blitzt aus dem entschlafnen Land
Ein einzig waches Fensterlein,
Ich habe bald dein Haus erkannt,
Von dort entloht der schwüle Schein...
Und aus beglänzten Büschen fragen
Mich Nachtigallen, wo du bist,
Warum in diesen trunknen Tagen
Die Sehnsucht nicht die Liebe küßt. — — —

Mädchenlied

Ach, wenn es nun die Mutter wüßt',
Wie du so wild mich hast geküßt,
Sie würde beten ohne Ende,
Daß Gott der Herr das Unglück wende.
[229]
Und wenn es mein Herr Bruder wüßt',
Wie du so wild mich hast geküßt,
Er eilte wohl mit Windesschnelle
Und schlüge dich tot auf der Stelle.
Doch wenn es meine Schwester wüßt',
Wie du so wild mich hast geküßt,
Auch ihr Herz würde in Sehnsucht schlagen
Und Glück und Sünde gerne tragen.

Die jungen Liebenden

Da weht kein Halm im Winde, mit dem
ihr nicht zitternd bebt — da fliegt kein Vogel
in Lüften, mit dem ihr nicht himmelan schwebt —
Da rieselt kein Quell am Grunde, der nicht
tief in euch erklingt — da fließt kein Strom
in die Weite, der nicht durch euch sein Silberband schlingt —
Da ruht kein See im Mondschein, mit dem
eure Seele nicht träumt — da donnert keine
Woge ans Ufer, in der eure Seele nicht schäumt —
Da erblüht keine Blume im Felde, in die
ihr nicht selig versinkt — da erglüht kein Stern
am Himmel, dessen Licht eure Liebe nicht trinkt —
Da steigt keine Sonne am Morgen, die
nicht groß in euch aufgeht — da sinkt keine
Sonne am Abend, die nicht leuchtend in euch vergeht...
[230]

Die Flucht

In einer stillen Sternennacht,
Da ist sie aus Traum und Schlaf erwacht.
Da rang sich aus glühender Welten Schoß
Ein Sehnen unermessen groß.
Da ließ sie Vater- und Mutterhaus
Und lief in die glitzernde Nacht hinaus.
Die Füße bloß, gelöst das Haar,
Dem Nachtwind frei das Brüstepaar,
So lief sie im bleichen Sternenlicht
Und fühlte die harte Erde nicht,
So lief sie, bis der Morgen kam
Und von ihr alle Schauer nahm.
Still sank sie zu seinen Füßen hin,
Der ihre Sehnsucht seit Anbeginn.
Hoch stand er im flammenden Morgenrot
Und hob sie empor aus Nacht und Not.
Und hob sie empor so sternenbleich
Und trug sie in seiner Sonne Reich.

Herbstgang

Nebel brauen über dem See,
Kranichruf aus dunkler Höh'.
Bleich die Sonne und grau die Welt,
Nirgends ein Glück, das Treue hält.
[231]
Leisen Schrittes mir zur Seit'
Wandelt allein Frau Herzeleid.
Trägt ein nebelgrau Gewand,
Welke Blumen in der Hand.
Tief in die Ferne ihr Auge sinnt —
Ach, wie gleicht sie dir, mein Kind!
Hat dein Auge so dunkel-klar,
Hat dein nachtblau Lockenhaar.
Hat auch deinen seligen Mund,
Der mein Herz geküßt so wund —
Leise klopft mein Herz dir zu:
„Du mein liebes Unglück, du!“

Rosenlied

Wir senkten die Wurzeln in Moos und Gestein,
Wir wiegten die Schultern im rosigen Schein,
Wir tranken die Sonne, den Tau und das Licht,
Wir prangten in Schönheit und wußten es nicht.
Der Lenz strich vorüber und küßte uns leis,
Der Tag ward so still und die Nächte so heiß,
Der Wind sprach von Liebe manch flüsterndes Wort,
Ein Schritt kam gegangen... ein Arm trug uns fort. —
— — — — — — — — — — — — — —
Wer hält unser Leben in zitternder Hand?
Es duftet und rieselt ein weißes Gewand...
[232]
Wir sehn eine Brust, die die Sehnsucht erregt,
Wir hören ein Herz, das in Leidenschaft schlägt.
Von Liebe gebrochen, zu Liebe gebracht —
Wir grüßen dich, Schwester, in schweigender Nacht.
Der Tag, der zu holderem Blühen dich ruft,
Er senkt unsre Schönheit verwelkt in die Gruft.

An blauen Frühlingstagen

Vom stolzen Glück des eignen Werts getragen,
Als brächt' ihr Blühn der Landschaft erst Gewinn,
Gehn schöne Fraun an blauen Frühlingstagen
Wie Königinnen durch die Menge hin;
Als hätt' der Knabe Frühling nur im Sinn,
Das Krönungsvließ um ihren Leib zu schlagen
Und, wie ein Page, seiner Königin
Mit stillem Dank die Schleppe nachzutragen...

Im stillen Hafen

Dies ist mein Glück: in allen Bitternissen
Des Seins daheim mein junges Weib zu wissen,
Das mädchenhaft und hold und lieb und rein
Nichts andres wünscht, als mein, nur mein zu sein;
Das weich ihr Haar anschmiegt an meine Wange
Und mir vertrauend, wie ein frommes Kind,
Mit feuchten Augen, die voll Güte sind,
Für Gaben dankt, die — ich empfange.
[233]

Erinnerung

Zünd festlich im Salon die Kerzen an,
Zieh aneinander fest des Vorhangs Spitzen,
Ich schiebe zum Kamin die Sessel dann,
Dort laß uns, uns umarmend, niedersitzen.
Denn sieh, an solchem Winterabend oft
Bin als Student ich durch die Stadt gegangen.
Mein Auge, das Erfüllung nie gehofft,
Ist oft an solchen Lichtes Schein gehangen.
An Lampenschein, der mild ins Dunkel bricht,
An Fenstern, draus ich frohe Stimmen hörte,
An Schatten hinterm Vorhang, eng und dicht,
Indes die Sehnsucht drunten mich verzehrte.
Heut ist ein solcher Abend, kalt und rauh,
Das Glück vertieft sich mir in diesen Räumen:
Lehn fest dein Haupt an mich, geliebte Frau,
Recht fest an mich — und laß mich träumen, träumen!

Frühlingsfeier

Ein Blütenzweig, blaßrosa, weiß und grün,
Die Welt hat tausend solcher Blütenäste,
Da darf der eine auch für uns erblühn
Und darf verblühn bei unserm Liebesfeste.
Befrei das schwere Haar von Kamm und Band
Und laß die schwarzen Fluten niederwallen
Auf dieses blumenhelle Lenzgewand,
Und laß die neidischen Achselspangen fallen!
[234]
Nun nimm den Blütenzweig — wie wunderbar
Die Blüten glühn von deines Pulses Schlägen! —
Und rühre mir die Stirne und das Haar
Und sprich dazu den heiligen Frühlingssegen:
„Blick auf, der Lenz ist kommen über Nacht,
Die Welt ist voll von Liebe und Erbarmen!“
Ich blicke auf; der Frühling ist erwacht;
Ich halt' den ganzen Frühling in den Armen!

Schatzkästlein

Was durch der goldnen Zweige Gitter glänzte,
Die bunten Türme und das rote Wasser,
War wie ein Schatzkästlein. Und zart begrenzte
Türkisenblaue Luft das helle Bild.
Die Mauern waren wie ein blanker Schild,
Und grell und flimmernd. Fernhin standen blasser
Die Türme wie in einem Silberduft.
Rubinendächer und Smaragdendächer,
Und über allem lag der zarte Fächer
Der glänzenden, türkisenblauen Luft.
Ein warmer Wind, der durch die Büsche fuhr,
Bog einem Rahmen gleich den spanischen Flieder,
Und weiße Tauben flogen hin und wieder
Und leuchteten wie eine Perlenschnur.
[235]

Frühlingsnacht

Vom Burgturm zwölf silberne Schläge klingen voll und rund und hold,
Als seien zwölf silberne Sterne in den Burggraben hinunter gerollt.
Schwarzer Efeu schlingt seine Arme um die Mauern warm und sacht,
Und um die Mauern schlingt sich eine schwarze Frühlingsnacht.
Um Wall und Turm hängt wie ein samtener Mantel die Luft,
Hier müssen Veilchen stehen, man fühlt es an ihrem Duft.
Nun gehe leise, leise über die Veilchen hin,
Dort steht sie, deine holde, schwarzhaarige Königin.
Aber halt an den Atem, und geh sacht, verstohlen und still,
Sonst wird deine Nacht so dunkel, daß kein Morgen ihr folgen will.

Heimat

Ein Reiherflügel streift um Erlenzweige,
Und Käfergesumm
Zittert und schwebt um grüne Gartensteige,
An die der Fluß in weichen Wellen klopft.
Vom spanischen Flieder
Und von den Aprikosenbäumen tropft
Der Morgentau in Silbertränen nieder,
Als hätt' der Mai geweint. — Ich weiß, warum.
[236]

Begegnis

Und als ich gegen den Marktplatz kam,
Beim Torweg unter dem Rathaus,
Da strömten die Menschen kreuz und quer,
Zweibeinig ein jeder und gradaus.
Sie waren gar wohl in Kleider gehüllt,
So Kinder wie Männer und Weiber,
Sie zogen mit schwerem, eiligem Schritt,
Aufrecht balancierend die Leiber.
Fremd zogen sie aneinander vorbei
Mit großen begegnenden Blicken
Und geschlossenem Mund, ein jeder für sich,
Ein jeder mit seinen Geschicken.
Ein jeder mit einem sehnenden Drang
Nach fernen Häusern und Türen,
Ein jeder fortgezogen wie blind
An unsichtbaren Schnüren.
Ein jeder beladen mit Erdenweh,
Ob auch sein Mund 'mal lache —
Ein jeder hinwandelnd in dunklem Traum
Und verstrickt in den Wahn, daß er wache.

Blut-Propheten

Wir träumen über die Erde hin,
Wir kennen nicht oben noch unten,
Wir horchen nur in die Erde hinein,
Wir verstehen nur ihre Wunden.
[237]
Und liegen wie träumend am Boden hin,
Dann sind wir selbst fast Erden,
Als wollte in dunkel-chaotischem Trieb
Sie bewußt den Lebendigsten werden.
Und wir fühlen den Durst nach Blut, nach Blut
Der ausgetrockneten Erde,
Daß einer verjüngten Lebensbrut
Ein saftiges Erdreich werde.
Wir träumen über die Erde hin:
Tut Buße, Buße in Zeiten!
Doch wir wissen genau, es kommt der Tag,
Den wir ahnend früh prophezeiten.

Gebet eines Selbstmörders

Stille! oh stille!
Hier schlägt ein letztes Herz,
Zerrinnt ein letzter Wille,
Verhallt im Nichts ein Schmerz.
Verbluten hier im Sande
An dieses Ufers Rand,
Im Angesicht der Sterne
Und jener Wolkenwand —
Ja, jener Nacht von Wolken,
Die drohend rückt heran,
Die dir den letzten Ausblick
Gar bald verfinstern kann!
Drum still, mein Herz! verblute
In dieser stillen Nacht,
Solang' ob Tod und Leben
Dir zusteht noch die Macht!
[238]
Denn weh, sie werden kommen,
Dich binden recht und schlecht,
Dein letztes Gut zu nehmen —
Dies häßliche Geschlecht.
Doch stille, oh stille!
Und störe nicht die Ruh:
Es strebt ein letzter Wille
Dem letzten Glücke zu...

Das Lied von der Zeit

Die lichten und schwarzen Lose
Leg leise dem Leben zu Fuß,
Freu dich der gelben Rose,
Freu dich der Herbstzeitlose,
Wahre dir Klang im Gruß.
Jauchze deine Fanfare
Über die Wälder weit,
Lieb deine lodernden Jahre:
Einmal die schlichteren Haare
Kränzt dir die schweigende Zeit.

Das Glück

Wanderer, du stehst und sinnst:
Leise wehend kam's gegangen,
Tät dein Haar wie Schleier fangen,
[239]
Aber eh aus deinem bangen,
Zitternd ahnenden Verlangen
Du mit heißen Kinderwangen
Stammelnd einen Wunsch beginnst:
Flüchtig und mit Flügelschritten
Flatternd ist es fortgeglitten,
Und von deinen hohen Träumen
Hängt nur bebend in den Bäumen
Windbewegtes Duftgespinst.

Der Fiedler

Ein Spielmann auf seiner Geige strich.
Es klang so rot, so königlich.
Das harte Kinn lag auf der Fiedel.
Ein Knabe ging und stand und blieb.
Und jeder Strich war ein Sensenhieb.
— — Den andern war's nur ein Straßenliedel.

Kophetua

König Kophetua hob seine goldene Krone
Von den goldenen Locken und schwieg.
Auf sein Schwert gestützt ging er und stieg
Über die steilen Stufen, und ohne
Sich umzusehn, ließ er die staunende Schar.
Oben saß in mondlichtschimmernder Blässe
Eine Bettlerin, in den Mantel der dichten
Haare gehüllt. Ein großes Verzichten
Lag in ihrer Augen blinkender Nässe.
Und so träumte sie, jeglichen Schmuckes bar.
[240]
König Kophetua legte die goldene Krone
Über die eisengerüsteten Kniee und harrte
Auf einer der Stufen, bis ihn die traurige, zarte
Magd erblicke, flehentlich, ohne
Sich umzusehn, wo sein Gefolge war...

Raub

An seinen schwarzen, flatternden Flechten
Hab' ich das Glück aufs Roß mir gerissen.
Die Dirne wehrt sich mit wütenden Bissen.
Ich aber muß und werde sie knechten.
Rot ist ihr Mund, die Zähne blitzen.
Ich will ihn küssen. Sie soll mich lieben.
Dann reiten wir, daß die Funken stieben:
Ein Sieger will ich im Sattel sitzen.

An die Baronin Colombine

Baronin Colombine ist so zierlich und zart.
Ich zupfe die Mandoline — leider noch keinen Bart.
Baronin Colombine, nimm dich in acht:
Auf meiner Mandoline sind Funken erwacht.
Baronin Colombine, lach nicht so laut!
Wie meiner Mandoline vor deinem Lachen graut!
Baronin Colombine, du nahmst mir meine Ruh.
Ins Wasser die Mandoline — und mich dazu!

An die Wanderer

O schließt nicht alle Tore vor mir zu,
Laßt mir noch eines, in das Licht zu fliehen!
Ich seh' die wilden Schwäne weiter ziehen:
Noch bin ich nicht gebrochen durch die Ruh.
[241]
Geht nicht von hinnen mit den Wanderstäben,
Geht grausam nicht vorbei an meinem Flehn!
Ich komm' zurück ins rote heiße Leben.
Laßt mir noch eins der Tore offen stehn!

Porträt eines spanischen Infanten von Diego Velasquez

Mit blutgemiedener langer schmaler Hand,
Feinen Fingern, die den Duft der weißen Rosen fühlen,
Manchmal mager und müd in warmen Damenhaaren wühlen,
Halt' ich einen zierlich-kalten Degenkorb umspannt.
Meine Blicke gleiten kraftlos von der glatten silbergrauen Wand,
Von rieselnden leisen Gebeten sind meine Lippen schlaff und bleich,
Ein scharfer Dolchschnitt ist mein verachtender Mund,
Ich streichle manchmal einen hohen schlanken Hund.
Manchmal bin ich mit häßlichen Zwergen weich:
Ich beschenke sie reich —
Und peitsche sie wieder wund.
Mit dichten Schleiern schütz' ich mich vor dem Morgenrot:
Die Sonne hat Pfeile. Pfeile wirken Tod.

Pierrot pendu

Und ich sah dich nachts an der Laterne:
Bleich und traurig hingst du, Pierrot,
Trübe schimmerten die späten Sterne,
Als dein alter Freund, der Mond, entfloh.
[242]
Da im Gassendunkel deine Züge
Schmerzlich schienen und gedankenbang,
Sann ich über deines Lebens Lüge,
Armer Narr am selbstgeknüpften Strang.
Und ich hab' dich nicht herabgeschnitten,
Rührte leise nur an deiner Hand.
Husch, ein Schatten war hinweggeglitten,
Der verstohlen mir im Rücken stand.

Musset

Ich liege mit der Zigarette
Bis an den Morgen — o das böse Licht! —
Müd ohne Schlaf im Seidenbette
Meiner geliebten kleinen Ninette
Und kräusle den Rauch zu einem Gedicht.
Was hast du mit meinem Leben getan!
Wenn ich dich betrachte, dumme Kleine,
Deine marmornen runden Beine,
Fange ich fast zu weinen an
Um die ewig verlorene Eine.
Ninette, du hast verdünntes bleiches
Schnellrieselndes Blut, mein Kopf ist schwer:
Wo nehm' ich den Mut für heute her?
Sänke ich doch in dein faltenreiches
Morgengewand gehüllt ins Meer!
[243]

Der Bravo

Bis zum Spiegel dürft Ihr gehen,
Stützet Euch auf meinen Arm:
Mögt Euch noch einmal sehen
Vom blonden Haar bis zu den rosa Zehen,
Weiß wie Ihr seid und warm.
Dann aber, schöne Frau,
Beachtet meine Gebärde,
Schließt die Augen kornblumenblau:
Ich treff' Euch ins Herz genau
Und leg' Euch achtsam auf die Erde.

Tod und Liebe

Zur Pforte des Glückes trat auf leisen Sandalen
Im weißen wallenden Kleide der Tod;
Mit dürren Fingern bog er das Rankenrot
Des Weinlaubs weg; da war dem hohen fahlen
Gaste wehrend ein schmächtiger Knabe genaht,
Mit heißen Wangen der nackte Page der Liebe;
Lächelnd fragte der Wanderer: Glaubst du, mir bliebe
Keiner sonst als dein rosenbestreuter Pfad?

Notre-Dame

Kavaliere, bleich und mit schmalen Gelenken,
Den Degenkorb von der Kräusel-Manschette
Zierlich bedeckt: sie denken
An eine Frau in weißem Spitzenbette;
Sie haben Schach gespielt, Hengste geprobt,
Sie singen: Großer Gott, dich lobt
Die gläubige Gemeinde;
Vernichte unsre Feinde!
[244]

Goya

Ich habe die lange schwüle Nacht
Bei einer jungen Dame verbracht:
Nun liegt sie und träumt mit offenen Lippen von meinem Nacken...
Ich will jetzt malen, ihr sollt euch packen!
Steht nicht herum und gafft so ledern!
Sonst zerr' ich euch an euren Agraffenfedern
Oder kitzle eure dünnen Waden
Mit meinem Degen. Ich bin von Gottesgnaden,
Ich bin ein Grande im offnen Hemd.
Ich liebe das Licht, das die Welt überschwemmt,
Ich liebe ein Pferd,
Das bäumend sich gegen den Zügel wehrt,
Den Juden lieb' ich, den keiner bekehrt.
Dem König lass' ich sagen, er solle
Klopfen, wenn er mich stören wolle.

Porträt des Marquis de...

Halte mir einer von euch Laffen mein Pferd,
Hole mir einer von euch Lumpen mein Schwert:
Ich ließ es bei einer Dame liegen.
Lass' einer von euch Schurken einen Falken fliegen:
Ich will ihm nachsehen und mich ins Blau verlieren.
Störe mich keiner von euch Tieren!

Herodias

Zuerst ein Zwerg, der gleich mit frechen Fratzen
Des Geifermauls den Kreis begann zu höhnen,
Da Krausgelockte sich den Zimbeltönen
Im Gruße tief geneigt und glatte Glatzen.
[245]
Zwölf nackte Mädchen, knapp an steilen Brüsten
Goldene Schuppengürtel; ambrawarme,
Vor Kinn und Kehle hochgekreuzte Arme,
Die geile Blicke lüstern spähend küßten.
Herodias. Zwei schwarze Panther gingen
Gelassen züngelnd schmiegsam ihr zu Seiten:
Leis bei der schmalen Leiber weichem Gleiten
Klirrten die Ketten in den Silberringen.
An breiter Hüfte spältig das geraffte
Silberdurchwirkte, grüne Florgewand,
Erhob sie langsam ihre Totenhand,
Starrend von Steinen. Wie das lusterschlaffte
Schneebleiche Fleisch der Wangen unter Lidern,
Die safranfarben schwiegen, bei der Schritte
Erschüttern bebte, schwankte nach dem Tritte
Der riesige Rubin vor ihren Gliedern.

Sommernacht

Wir gingen zu zweien durch die Welt,
Und die war öd und leer.
Der Mond lag überm Ackerfeld,
Als ob's ein Mantel wär'!
Ein feuchter Duft quoll aus dem Grund,
Die Nacht war schwül und weich.
So heiß dein Herz, so heiß dein Mund,
Dein Leib so weiß und bleich.
[246]
Ein warmer Mantel deckt' uns zu —
Im Grase sang so sacht
Uns wiegeweich in sel'ge Ruh
Der Sommer und die Nacht.

Von dem klaren Dunkel

In dunkelblauen Klüften schlief ein Mann.
Der hob sein Haupt erst, wenn die Sterne kamen,
Und stieg hinauf und feierte die Nacht
Als seinen Tag, nicht jene wetterschwarze
Und gramdurchpeitschte, nein! Die klare, dünne
Und helle Nacht, die endlos einsam ist
Und endlos schön. Und oben, wo die Steine
Gereckt und schwarz wie ein gestorbnes Meer
Starr und geborsten steil herniedersanken,
Da saß er, wach, aufmerksam, hellen Auges,
Sah ernst aufs weite, grüne Meer hinaus
Und in des Himmels grenzenlose Tiefe...
Und träumte dennoch nicht. Ihm flog der Geist
So klar und warm wie nach dem frischen Bade.
Und leichten Fußes schritt er durch die Steine
Nach Osten weiter, fern und immer ferner,
Und wurde dennoch immer groß und größer...
Und ging ins Morgenrot...

Ewige Gefährten

Als wir noch Schatten waren,
Von keinem Licht durchtränkt,
Und noch mit stummen Scharen
In dunkeln Grund gesenkt,
[247]
Als wir noch ohne Ahnen
In Stein und Laub geweilt
Und in der Sterne Bahnen
Zeitlos davongeeilt,
Hast du schon damals leise
Zur Seite mir geruht
Auf jener großen Reise
Durch unsrer Erde Blut?
Gabst du mir jenes Sehnen,
Das mich zum Licht erweckt,
Daß ich mit lauten Tränen
Ins Leben aufgeschreckt?
Nun sich die Tage bauen
Ins weite Sonnenland,
Und wir uns lächelnd schauen,
Sind wir uns lang' bekannt;
Sind einer Sehnsucht Blüte,
Die hier getrennt erscheint,
Bis daß der Erde Güte
Uns träumend wieder eint.

Sehnsucht

Wie ich dich überall sehe, du Meine
Und Eine!
[248]
Immer du so fern-nah!
Gegenwärtig und doch nicht da!
Immer nur Spuren und Spuren. —
Viel, ach! wie viel!
Im Wandern folg' ich ihnen,
Zu welchem Ziel?
O du, o Dunkelgewillte!
Wann, wo empfängt der Niegestillte
Seine Ruh? —

Hoffnung

Ein weißes Grau hüllt weit den Himmel ein.
Ein stumpfer Glanz liegt auf den Uferweiden.
Träge, mit gurgelnden Wellen treibt der gelbe Strom.
Ich muß mich noch bescheiden.
Ich will noch ein Stückchen so weitergehn.
Bald müssen ja alle Höhn
In hellen Frührotfeuern stehn...

Abendgang

Und ich führte das blonde Jungfräulein
In den weiten, schleiernden Abendfrieden hinein.
Nebel über die Wiesen gingen,
Und vom Bache durch das braune Dunkel kam ein Singen.
Am Himmel alle unsre goldenen Geigen hingen.
Die tönten so sacht und fein. —
[249]

Trübes Wetter

Das Meer! — Das Meer — —
Die grauen Wolken hingen so trüb und schwer.
Ich sah nur ein weites Armebreiten,
Und wie ein dunkelsüßer Heimatston kam's her
Aus den nebelverhüllten, schluchzenden Weiten. —

Doppelliebe

Wie eigen ich dich einst küßte!
Du lagst in deinem Sessel
Und decktest schelmisch
Die Hand vors Gesicht.
Über den Fingern
Waren nur deine Augen zu sehn,
Deine Augen. —
So fern plötzlich
Und eigen. —
Und ich erschrak.
Zwei andre Augen sah ich,
Zwei ferne Augen.
Die Augen der andern...
Und da bog es mich zu dir,
Und leise
Küßt' ich —
Diese Augen...
[250]

Leben

Sie wandelt durch den Gartengang,
Bebend im Dufte der Syringen,
In Wegen, die am Blütenhang
Sich durch begrünte Gitter schlingen.
Sie geht zur weißumfaßten Quelle
Und lauscht des Brunnens leisem Sang,
Wie Kinderlachen tönt die Welle,
Gemengt mit Stöhnen fern und bang.
In ihrem Busen schläft ein Wähnen
Von einem Glück, das blütenschwer
In goldnen, fruchtgeschmückten Kähnen
Gen Abend schwimmt zum hellen Meer.
Ein Vers hat Kunde ihr gegeben,
Ein Duft, vielleicht ein altes Lied,
Daß irgend fern ein großes Leben
Voll Rätseln durch die Länder zieht.

Ich hörte flüstern...

Ich hörte flüstern, daß in jener Bai,
Wohin die Toten spült der Ozean,
Die Stadt des Königs Ys versunken sei;
Wer in der Dämmerung auf stiller Bahn
[251]
Steuert am schwarzen Vorgebirg vorbei,
Dieser vernehme unter seinem Kahn
Von fernen Glocken süße Melodei,
Wie Pilger, die dem Abendziele nahn.
Die Sehnsucht aus so vielen trüben Tagen,
Die tränenlos und harrend du getragen,
Verhüllend in der Blicke Finsternis,
Will aus der Augen ungelöstem Schweigen
Zu mir gleich tiefen Glockentönen steigen,
Wie von der stummen Stadt des Königs Ys.

Heimat

Hier ist das Land der lichten Wiesenhänge,
Umbuschter Weiler in begrüntem Grund,
Abends ertönen aus der Frauen Mund
Verschollner Zeiten halbvergeßne Sänge.
Hier ist das Land der stillen Abendgänge,
Hier trotzt kein Fels, hier gähnt kein jäher Schlund;
Den Heimgekehrten, dem die Seele wund,
Grüßen aus Hürden ferne Glockenklänge.
Am Abend zieht ein silbermatter Schein,
Voll Schleier zart durchwirkt mit milden Farben
Über die Wälder und die goldenen Garben.
Wann spät im Tal die letzten Lichter starben,
Zittert ein Raunen durch den Birkenhain:
Der Wandrer schläft auf moosverhülltem Stein.
[252]

Albumblatt

Hab nicht zu lieb die knospende Rose;
Es flöge gar bald
Ohn' Heimat, ohn' Halt
Ihr Duft dir vorüber ins Uferlose.
Unsterblich ist der Schmerz allein.
Was nie du besessen,
Ersehnt, nie vergessen,
Wird deines Himmels Grundbau sein.

Vom Scheiden

Wenn dir ein Mägdlein recht gefällt
Und sie nimmt einen andern,
Dann heißt es in die weite Welt
Zu wandern.
Da draußen viele Mädchen sind,
So viele blond' und braune,
Als Rosen blühn im Maienwind
Am Zaune.
Mit neuem Glück an neuem Ort
Zufrieden sind die mehrsten,
Oft treibt ein zweiter Nagel fort
Den ersten.
[253]
Doch wenn die Kur dir schlecht gelingt,
So werde Kapuziner,
Und wenn kein Ablaß Frieden bringt,
Trink Valtelliner.
Trink aus und würfle bei Morgenrot
Um Dirnen mit blankem Messer —
Stäch' dich vorher ein Lanzknecht tot,
Wär's besser.
Und tut er's nicht, so zeche fort,
Doch wirf hinaus auf die Gasse
Die Menschen mit ihrem Krämerwort,
Daß Liebe sich heilen lasse...
Wenn dir ein Mägdlein recht gefällt
Und sie nimmt einen andern,
Dann ist's am besten, aus der Welt
Zu wandern.

Der betrübte Landsknecht

Das Land durchströmt der Regen,
Singschwäne südwärts ziehn,
Nun will aufs Herz ich legen
Ein Sträußchen Rosmarin.
Das haben zwei Hände, zwei schmale,
Durchflochten mit schwarzem Band,
Drauf haben zum letzten Male
Zwei Mädchenlippen gebrannt.
Hoch braust ein Krieg durch Flandern,
Dort muß gewürfelt sein,
Die Werbetrommeln wandern
Um Jülich und Bei-Rhein.
[254]
Nach Spanien über die Schelde
Zieht gleißender Heerestrab,
Herr Christ, hilf allen zu Gelde,
Uns beiden gib ein Grab.
Drauf sollen zwei Linden wiegen
Die Wipfel glückbesonnt,
Draus sollen zwei Herzen fliegen,
Die nimmer sich trennen gekonnt.

Genrebild

Herr Holger am Kamine sitzt,
Sein Brackhund bei ihm wacht,
Nacht ist's, die Flamme springt und blitzt
Und der Klotz in der Lohe kracht.
Herr Holger in Sinnen versunken ist,
Er wirrt des Bartes Flaum.
Es streckt die Bracke den Widerrist,
Und beide sinken in Traum.
Es denkt der Hund an einen Tag,
Da die Heide hilfefern,
Da der Keiler über Herrn Holger lag
Und er befreit' den Herrn. —
Herr Holger martert seine Stirn
In Sinnen schwer und stumm:
Wie er zu Willen einer Dirn
Den Blutsfreund brächte um.
[255]

Carmen

I.

Ganz blumenhaft, gewiegt vom Sonnenstrahle,
Das feine Köpfchen träumerisch verdrossen,
Von der Mantilla Faltenwurf umschlossen,
Drin eine Nadel von Toledostahle.
Ihr Händchen flog, das ringgeschmnückte, schmale,
Im Fächerspiel, es scherzten die Genossen;
Da plötzlich hob, hintastend an den Gossen,
Ein Greis zu ihr die leere Sammelschale.
Kein einzig Wort, nur eine scharfe Volte,
Ein Fächerschlag — und fort der Teller rollte.
Die Mutter sprach: erschrick nicht, Carmencita.
Und dann zu uns: Ihr müßt sie recht verstehen,
Sie ist so gut, und kann nicht leiden sehen...
Sie ist nervös, die arme Marquesita! ...

II.

Es drängt das Volk an der Barera Reifen,
Ein braver Stier ward heut zum Kampf gesendet;
Seht, wie er rast, von Staub und Wut geblendet,
Röchelnd und wild, bedeckt mit Blut und Schleifen!
Das brechend Auge läßt im Kreise schweifen
Ein Picador, vom Horne umgewendet,
Acht Pferde liegen aufgeschlitzt, verendet —
Ein Toben ist's, ein Stampfen und ein Pfeifen.
Das Händchen ballt, das blasse und nervöse,
Die Marquesita — doch schon naht der Rächer,
Mit Schwert und Capa tritt er aus dem Tore.
[256]
Und toller, brausender wird das Getöse;
Sie lacht vor Glück — Armbänder, Blumen, Fächer
Wirft an den Kopf sie dem Torreadore.

Altes Bild

Der Markusdom, der bunte, klangumtönte,
Hat seine Pforten gähnend aufgeschlagen,
Am Hochaltar, wo Priester Kerzen tragen,
Tront stolz der Doge, der vom Volk gekrönte.
Es lehnt an ihm in mädchenhaftem Zagen
Sein junges Weib, das holde, glückverschönte.
Ein Page, der an Schleppendienst gewöhnte,
Kniet stumm dabei in Puffenwams und Kragen.
Der Weihrauch dampft, zu Ende geht die Messe,
Es blickt verklärt die schöne Dogaresse...
Doch sehen könnt ihr, wenn ihr näher tretet,
Daß tief im Samt, dem dunkelvioletten,
Des Pagen Hand und ihre sich verketten —
Der alte Doge kniet im Stuhl und betet.

Künstlerroman

Als tot auf schlechtem Gasthofbette lag
Sein junges Weib bei Unschlittkerzenflammen,
Da schob Papier, verstreutes, er zusammen,
Und schrieb darauf bis an den grauen Tag.
Es ward an Inhalt und an süßem Schalle
Ein also großes, ewiges Gedicht,
Daß die Genossen es verstanden nicht,
Und schweigend wichen, tiefergriffen alle.
[257]
Er aber blieb allein mit einem Sarg,
Darin begrub er seine Jugendliebe —
Und jenes Buch, das ew'gen Ruhm verbarg,
Und das kein Denker leichthin nach ihm schriebe,
Er schob es unters fahle Goldgelock
Als Ruhekissen für die schöne Tote,
Und riß sich aus den Hecken einen Stock
Und schritt hinaus ins Morgenlicht, das rote.

Ver sacrum

Wir saßen am Strande der Syrten,
Es rollte und grollte das Meer,
Ein Duft von Narden und Myrten
Zog tief aus Süden her.
Die Wellen brausen und funkeln,
Doch bäumt sich mein Herz vor Weh,
Wenn ich das große Verdunkeln
Unsres Lebens seh'.
Wir haben die weißen Paläste
Der Träume hochgetürmt,
Wir haben, zwei jubelnde Gäste,
Den Himmel des Glücks erstürmt.
Das mahnt mich an sündige Städte
Voll Lichtgewirr und Samt,
Wo reich aus goldnem Geräte
Der Weihrauch der Luft geflammt.
Da wurde vergeudet, zerrüttet
Der Arbeit Segenstat,
Da wurde der Weizen verschüttet,
Der Jugend heilige Saat.
[258]
Da wurde von trunkener Zunge
Manch Hosianna gelacht,
Bis plötzlich mit Raubtiersprunge
Einbrach die Flut bei Nacht.
Versunken im rächenden Meere
Die Städte hochbenannt,
Die Tempel, drin einst Cythere
Im thyrsischen Reigen stand,
Verschwunden die Marmorlöwen,
Die Meisterhand einst schuf —
Nur weiße, raublüsterne Möwen
Kreisen mit hungrigem Ruf.
Die Stadt voll Tempeln und Türmen,
Darüber die Wellen ziehn,
Ist unsre Jugend, in Stürmen
Versunken, wie einst Julin.
Wir wollen vom Haupt uns streifen
Der Kränze sengenden Saum,
Das fiebernde Lustergreifen,
Den großen Griechentraum.
Wir wollen die Hand erfassen
Des Schiffsherrn von Nazareth,
Der, wenn die Sterne verblassen,
Nachtwandelnd auf Meeren geht,
Der tief in Wellen und Winden
Verlorenen Stimmen lauscht,
Um Städte wiederzufinden,
Darüber die Sintflut gerauscht,
[259]
Der aus dem brausenden Leben,
Drin unser Gut verscholl,
Versunkene Tempel heben
Und neu durchgöttern soll.

In der Fremde

Nun schmilzt am Weg der letzte Schnee,
Das ist das Littorale —
Tiefblau und blendend liegt die See
Im heißen Sonnenstrahle.
Von jeder Hecke, von jedem Zaun
Verblühte Rosen fliegen,
Lachende Mädchen, schlank und braun,
Aus allen Fenstern liegen,
Wie Riesentrauben stehn in Pracht
Orangen und Mandarinen,
Aus allen Lauben flehn bei Nacht
Verliebte Kavatinen,
Verschränkte Paare schlank und kühn
Durch alle Vignen wandeln,
Das Liebeswerben überblühn
Frohlockend rote Mandeln.
Und über dem heißen, glückseligen Land
Da rauschen im Winde die Pinien,
Da ragen die Berge unbekannt
In weichen sonnigen Linien,
Und über der See tiefblau und weit
Liegt der Himmel unermessen —
Doch über allem mein Herzeleid
Um dich, die ich in Ewigkeit
Nicht werd' vergessen!
[260]

In einer Dämmerstunde

Ich wohne, wo die Wolken gehn,
Stillhoch in einer Dämmerstunde;
Waldtiefer Bäume Wipfel stehn
Um meinen Tisch in naher Runde,
Die gern mein Licht im Abend sehn.
Alt ist der Leuchter, der es trägt,
Alt sind die Bäume, die es schauen,
Die Flamm' ist alt, die sich bewegt
Und flattert durch das ewige Grauen,
Wenn die uralte Luft sich regt.
Flüsternd umkreist die Dämmerung
Mich und mein Licht, das nach ihr greift.
So alt ist alles, ich so jung —
Da ist's, als ob ein Wort mich streift,
Das rings um mich zur Fülle reift.
„Du bist so alt als alle wir —“
Sprach es das Licht, sprach es der Baum,
Sprach's der zersprungne Tisch vor mir,
Sprach's um mich her der Dämmertraum?
Ich fühl' es dunkel jetzt und hier.
Wie lächeln doch die ewigen Dinge,
Wenn solch ein Strudel Erdenzeit,
Ein Mensch, aufwacht in ihrem Ringe,
Aufbraust in ihrer Einsamkeit —
Wie lächeln doch die ewigen Dinge!
[261]
Sie lächeln mich in ihre Ruh —
Nun rag' auch ich uralt vom Grunde.
Du Flamme, warum zitterst du?
Bist du ein Wort aus meinem Munde,
Rief dich die Dämmerung mir zu? —

Abschied

Oft, wenn die stille Mitternacht
Einsam im dunkeln Parke wacht,
Wenn meine Fenster offen stehn,
Ein Sternlein durchs Gezweige leuchtet
Und Nachtluft mir die Stirne feuchtet,
Dann weiß ich, daß mich deine Augen sehn
In dieser stillen Mitternacht.
Doch dieser Erde weit entschwebt
Ist, was mich hier umgibt und mit mir lebt:
Mein still Gemach, der Park, der leise rauscht,
Der See, der über seine Ufer lauscht.
In ewige Fernen treiben wir dahin:
Du kennst den Ort nicht, wo ich bin
In dieser stillen Mitternacht.
Noch seh' ich dich; und dein Gesicht ist blaß,
Von Schauer wird mein Auge naß,
Und tausend Wünsche werden wach.
Doch schneller treibt der Park und das Gemach
Hin in den fernenklaren Raum —
Da lischt, ein Flackerlicht, dein Traum
In dieser stillen Mitternacht.
[262]

Heimat

Eine Heimat hat der Mensch.
Doch er wird nicht drin geboren —
Muß sie suchen traumverloren,
Wenn das Heimweh ihn ergreift.
Aber geht er nicht in Träumen,
Geht er sicher ihr vorüber,
Und es wird das Herz ihm plötzlich
Schwer bei ihren letzten Bäumen.

Abendgang

Das ist unser schweigender Abendgang.
Herbst. Blätter fallen wegentlang.
Nasse Äste tragen den Himmel, der bleich
Und dunstig niederhängt über den Teich.
Die Brücke. Trüber Laternenschein
Fällt schwankend in schmutzigen Schlamm hinein,
Vorüber. Dunkel wie Menschen stehn
Die Bäume und sehn uns weitergehn.

Der Wandrer

Schwermütig wächst mein Frieden
In Herbst und Einsamkeit.
Mein Weg zur Dämmerzeit
Vergraut wie abgeschieden.
Ich fühle mich Gestalt
Und Wesen tief vertauschen;
Wildfremde Schritte rauschen
Durchs Blattgewirr im Wald.
[263]
Still geh' ich, schattenlos
Im Grau, als wandle sich
Der lange Weg in mich,
Auf dem ich wurde groß.
Daß ich der Wandrer bin,
Der diesen Weg gegangen,
Sind Worte, die verklangen,
Und haben keinen Sinn.

Erde

Das ist der Erde furchtbares Gewicht:
Gelang es dir, dich schwebend frei zu halten,
Zu tauchen in das erdenfremde Licht,
Daß sich die Meere unter dir gestalten,
Winzig die Wolken unter dir verwehn,
Und zitterst nicht —
So fliegt die Erde auf in deine Höhn.

Ich weiß es wohl...

Ich weiß es wohl, wie du zur Ruh dich legst,
Wenn müde dich die Mitternacht umfängt.
Du gehst verträumt im Zimmer auf und ab,
Schaust das unwillige Schweigen an der Wand,
Das seufzend hie und da ein Rahmen unterbricht.
Dann sprichst du leise in den Kerzenschein,
Als ob gleichgültig ihn ein andrer spräche,
Meinen Namen, horchst — hörst ihn und erglühst...
Und deine süßen Hände küssend, schläfst du ein.
[264]

Nächtlicher Weg

Schwer schweigt der Wald in schwarzer Pracht.
Mein Mantel flattert durch die Nacht,
Streift welkes Laub am Boden mit;
Und wo die Äste wie Gestalten
Hoch über mir die Hände halten,
Folgt Zittern meinem festen Schritt.
Und leis an mir herniederglitt,
Als woll's im feuchten Gras erkalten,
Was in mir kämpfte, rang und litt;
Was ich in mir für schlecht gehalten,
Das nahm die Nacht im Atem mit.
Und stiller meine Schritte hallten,
Wie eines fremden Freundes Tritt.

Am Söller

In Wirbeln geht der Strom durchs Tal.
Die Blätter wirbeln auf Söller und Saal.
Tief herbstlich naht die frühe Nacht,
Die unsere einsame Fackel entfacht.
Und wie die Sterne schweigend steigen,
Werden der Erde wir zu eigen.
Nachtdunkel hat so wilde Weisen —
Wir fassen uns, uns zu umkreisen.
Der Sternsaal muß sich rasend drehn
In seiner Ferne.
Im ganzen Raum der Welten stehn
Nur deine Augensterne.
[265]
Wir sind wie des Herbstes tanzendes Laub,
Wir sind, was wir werden:
Kreisende Erden,
Wirbelnder Staub.

Aus den „Liedern an eine Geliebte“

Nun kam der Abend

Nun kam der Abend.
Die Sonne geht ins Meer,
Der Wind ruht im Laub,
Den sanften Weg entlang
Ziehen die Herden heimwärts.
Sieh, wie die milden Berge
In Dunkelheit verhüllt sind —
Im Tal
Blinken Lichter auf.
Wanderer, wohin eilst du?
„Nach Hause.“
Wohin eilst du?
— — — —

Aus den „Liedern an eine Geliebte“

„Die Lüge“ sagst du

„Die Lüge“ sagst du
Und „Die Wahrheit“
Und redest wie ein Narr.
Sage „Die Liebe“
Und du redest wie ein Weiser.
[266]

Aus den „Liedern an eine Geliebte“

Ich habe keine Schmerzen

Ich habe keine Schmerzen:
Aber die Sehnsucht verzehrt mich.
Ich habe keine Sehnsucht:
Aber mein Verlangen macht mich unruhig.
Ich habe kein Verlangen:
Aber meine Schmerzen quälen mich!

Aus den „Liedern an eine Geliebte“

Ach, noch immer glaube ich

Ach, noch immer glaube ich,
Wenn ein Klang die Luft aufweckt,
Daß deine Stimme
Im Zweiggewirr der Bäume,
In Blumen, Gebüsch und Gräsern
Nachzitternd sich gefangen hält.
Ach, noch immer glaube ich,
Wenn ein Duft
Von ungefähr
Auf Windflügeln
Zu mir kommt,
Daß es dein Atem sei.
Ach, noch immer glaube ich,
Daß ich nicht ganz verlassen sei.

Aus den „Liedern an eine Geliebte“

Das Glück ist ein leerer Schall

Das Glück ist ein leerer Schall;
Und der Schmerz ist ein Name.
Was uns von allem bleibt,
Ist: allein zu sein.
Und ist uns allen ein Los,
Daß wir viele Güter haben
Und darben müssen.
[267]

Sonett an eine Verstorbene

An jedem Tage gibt's ein Abschiednehmen;
Und irgend etwas, das uns angehört,
Wird jeden Augenblick für uns zerstört
Und wandelt hin zu den vergessenen Schemen.
Wohl, über dieses soll sich keiner grämen,
Weil immer auch ein Neues uns betört;
Und kein Verlassen ist so unerhört,
Dem wir uns nicht zu guter Letzt bequemen.
So gehn auch wir, und lassen alle Welt
Und sind nicht mehr; und jenes Wort: Gewesen
Erklingt von uns, wie wir's von vielem sagen.
Doch daß auch du dich denen zugesellt,
Von denen wir nur noch den Namen lesen,
Mein Herze will das nicht, und will's nicht tragen!

Unterdessen

Schönheit ist Atem. Aber Brot ist Brot.
Und Tausend hungern. Und die Mühlen mahlen.
Und Königstische wissen nichts von Not.
Und Tausend beten nachts zu ihren Qualen.
Und Mütter fiebern, wie kein Fieber schlägt,
Weil ihre Kinder schwer im Schlafe wimmern.
Die Mütter hören's, daß man Bretter trägt,
Um einen rohen Armensarg zu zimmern.
[268]
Und unterdessen lauscht die heilige Nacht,
Und unterdessen wird das Licht erkoren,
Und unterdessen hat die Schönheit acht
Auf jede Perle, die der Tau geboren.

Mignon

Wer in die Nacht geht, müßt' mich sehn
Am Wege auf dem Stein —
Mein Krug und Wanderstecken stehn
Im hellen Mondenschein.
Die Schuhe hab' ich abgetan,
Das Haar ist aufgelöst,
Ich hab', als wüßt' ich keinen nahn,
Auch meine Brust entblößt.
Der Nachthauch kühlt mich wie ein Bad.
Alle Wanderer ferne gehn. —
Nur wer die Erde begraben hat,
Kann mich hier sitzen sehn.

Freude! Freude!

So kommt und jauchzt! Das ist des Lebens Sinn.
Denn Angst und Gram und Weinen taugt zu nichts.
Gebt wie ein wunschlos Kind die Seele hin:
So spielt ihr euch hinein ins Meer des Lichts.
Und sterbt mir freudig! Alles Ding hat Sinn,
Und das geheimste will das größte sein.
Geht wie zur Hochzeit. Geht wie Gäste hin
Und nicht wie Knechte in das Festhaus ein.
[269]
Und eure Wiegen kränzt mit Rosenglut,
Sät Freude in die kleinen Seelen ein.
Das künftige Geschlecht soll stark und gut,
Soll Herrenvolk mit freien Stirnen sein.
Ihr Mädchen, schmückt euch! Jeder Leib ein Fest!
Deckt ihn mit Seide! Seide ist's genug —
Und Blumen in das lose Haar gepreßt!
Gürtel von Gold! Denn Golds ist auch genug.
Und euer Leib ist euer hohes Gut.
Je mehr ihr seid, je höher wächst der Mann.
So werdet, was ihr sollt, die Morgenglut,
Die füllenmächtige Tage schaffen kann.
Und jedes Schreiten sei der Schönheit Tanz,
Und jedes Auge sei wie Quellen klar.
O Erde, selige du, du bist voll Glanz,
Der gestern noch um Gottes Throne war.

Am Abend

Komm, denn der Abend kommt.
Wir haben ihn so wild ersehnt.
Nun ist er da. Wie er im Mantel
Sich an die alten Pappeln lehnt.
Jetzt schlägt er seine Wimpern auf
Und sieht uns an und nickt uns zu,
Hat er nicht ganz dieselben Augen,
Nicht ganz denselben Mund wie du?
[270]

Nun schlug der Sturm in weiches Wiegen um

Nun schlug der Sturm in weiches Wiegen um,
Ein friedestilles Säuseln schwimmt einher.
Der blaue Äther ist ein blaues Meer,
Drauf Wölkchen segeln, wie das Glück so stumm.
Ganz ohne Ziel, wie stille Wandrer tun,
Die sehnsuchtsheilig nach der Schönheit gehn,
Die bald vor jeder Blume stillestehn,
Bald mit den Augen in der Höhe ruhn.
Ein Stillesein durchduftet Flur und Feld,
Der Wald sinkt in den eigenen Schatten ein.
Ein jedes Ding ist wunderlich allein,
Ein jedes Ding ist seine eigene Welt.

Am Kreuzweg

Vom Dorf her durch die Nacht erklingt Gesang:
Ein altes deutsches wehes Liebeslied,
Von Lieb' und Not
Und Treu' und Tod.
Ein Schatten, der am Kreuzweg zieht,
Lauscht lang'.
Der Kauz schrie so entsetzlich schrill,
Der hat ihn auch gesehn.
Das Lied schweigt still.
Der Schatten bleibt noch immer stehn.
[271]

Was ist das Glück?

Was ist das Glück?
Ein klimmendes, schwimmendes Fliegen?
Ein Siegen,
Ein Augenblick,
Wo du der Sonne jauchzend winkst
Und dann versinkst?
Oder ist es das treue Schauen,
Wie sich Wolken aus Wolken bauen,
Bis sich eine mit rotem Rand
Hoch hinstellt über dein Ernteland?

Verklungenes

In dem tiefblau stillen Wasser
Glänzen milde, weiße Sterne
Lockend in die weite ferne
Tröstende Unendlichkeit.
Nur ein Abglanz jener stolzen
Prächtigen Unendlichkeit,
Und vom fallenden Blütenkleid
Eingehüllt in tiefes Schweigen.
Lächelnd spür' ich einmal wieder
Jenes bleiche, müde Sehnen,
Aufzugehn in dieser schönen
Tröstenden Unendlichkeit.
[272]

Wenn mich die Sehnsucht...

Wenn mich die Sehnsucht weiter trug
In Schwärmerei und Selbstbetrug
Zu meinen stolzen milden
Wildbergigen Gefilden,
Dann tat ich einen wehen Blick
Vom Fenster in mein Nichts zurück,
In meine engen Wände,
Und rang die müden Hände.
Und drunten lag verdämmernd schon
Der Hof in grauem stumpfem Ton,
Und matte bleiche Tritte
Erschollen aus der Mitte...
Kahl stieg das Haus hinauf ins Grau,
Und drüber lag ein stilles Blau
Und
Ferne —
Ferne —
Ferne —
Winkten die blassen Sterne.

Gruß von ferne

Die Nacht ist still. Das leise Ticken
Der Uhr nur mahnt mich an die Welt,
Vor meinen blindgewordnen Blicken
In Finsternis das All verfällt.
[273]
Da kommt ein leises süßes Tönen
Von fern zu mir wie Flötenklang: —
Ein Gruß des Feinen und des Schönen,
Das mir die dreiste Welt verschlang.
Ein Blütenzweig in Traum und Trauer
Voll Glanz zu mir herniederschwebt.
Und duftgeküßt, in freud'gem Schauer,
Fühl' ich, daß meine Welt noch lebt.
Die Hand, die mir aus nächt'gem Dunkel
Zum Trost die lichte Dolde brach,
Führt mich noch einst zum Lichtgefunkel,
Das ew'ge Sehnsucht mir versprach.

Murmeln der Quelle

Im Murmeln der Quelle ist Ewigkeit,
Ist uferlos träumende Ewigkeit.
Hier steht die Zeit
Und ihr goldener Zeiger tastet.
Sie, die sonst hastet,
Die Stunde,
Steht mit erschrockenem Munde
Und lauscht und lauscht,
Wie die Quelle rauscht.
Die schöpft und schöpft in das Becken hinein
Mit klingendem, goldenem Becherlein
Und kichert fein.
Es scheint dies Kichern und Wasserfallen
Leise in dich hineinzuschallen.
[274]
Du weißt schon nicht, ist es in dir, das Rauschen,
Und mußt verwundert nach innen lauschen,
Wie dort nun forttönt der goldene Klang,
Der lieb wie von lebenden Lippen sprang.
Im Murmeln der Quelle ist Ewigkeit,
Ist labende, kühlende Ewigkeit —
Und Vergessenheit!
Es löst sich die Seele im Klingen,
Eint sich den Dingen
Und dämmert.
Der Schmerz hat nun ausgehämmert.
Du hast die Ruh
Und bist nicht mehr du.
Und du bist nicht mehr du, und der Zauber zerrann,
Du bist nun die Quelle, der rauschende Tann,
Du selbst bist die lachende Erde.
Jauchz nur mit Quelle und rauschendem Wald,
Wie jung ist die bräutliche Welt von Gestalt
Und wie lieblich des Lebens Gebärde!

Lied des Troubadours

Ich mag nicht länger im Schatten gehn,
Ich mag nicht mehr beim Gesinde stehn.
Gebt mir Licht zu trinken,
Kränzt mir mein Haar!
Mit Rosen sollt ihr des Weges ziehn,
Mich grüßen mit Wein und mit Tamburin.
Gebt mir Licht zu trinken,
Kränzt mir mein Haar!
[275]
Hinweg, du Nebel der Dämmerung,
Ich liebe den Glanz, ich bin stark und jung!
Am roten Bandelier
Hängt mir die Laute.
Gebt mir Licht zu trinken,
Kränzt mir mein Haar!

Erlösung

In deinen dunklen Augen dämmert sacht
Ein ernster Friede auf aus Sturm und Streiten,
Ich sehe dich aus deines Schicksals Nacht
In eines hellen Morgens Hoffnung schreiten.
Ein Lächeln hat dein junges Angesicht,
Seit wir zuletzt uns sahen, neu gefunden,
Ein tiefes Lächeln, das von Schmerzen spricht,
Doch auch von Kraft und knospendem Gesunden.
Und sieh, ich weiß: die so wie du geirrt,
Und so vom Tal der Schatten aufgestiegen,
Die sind erlöst. Um ihre Stirnen wird
Ewig des großen Sieges Leuchten liegen!

Julitag

Der reife Weizen steht im Sonnenbrand —
Die vollen Ähren streif' ich mit der Hand.
[276]
Die schweren Häupter beugt ein leiser Hauch —
Und meine Stirne beug' ich schauernd auch.
Tiefblaue Sommerstille nah und weit —
Das Leben schweigt und harrt der Erntezeit.

Waldabend

Im Wald die Lichter verglimmen
In goldenem Schein.
Des Tages lärmende Stimmen
Schlafen ein.
Verrauscht am Ufer der Stille
Der Strom der Zeit —
Weitum die schweigende Fülle
Der Einsamkeit.
Das Dunkel winkt aus den Gründen
Mit blasser Hand —
Wie soll ich den Heimweg finden
Ins Menschenland —?

Im Feld ein Mädchen singt...

Im Feld ein Mädchen singt —
Vielleicht ist ihr Liebster gestorben,
Vielleicht ist ihr Glück verdorben,
Daß ihr Lied so traurig klingt.
Das Abendrot verglüht —
Die Weiden stehn und schweigen —
Und immer noch so eigen
Tönt fern das traurige Lied.
[277]
Der letzte Ton verklingt. —
Ich möchte zu ihr gehen.
Wir müßten uns wohl verstehen,
Da sie so traurig singt.

Ich weiß nicht, was es ist...

Ich weiß nicht, was es ist, was mich am Abend
Zu müder, namenloser Sehnsucht zwingt.
Das Antlitz in den Händen tief vergrabend
Vernehm' ich, wie die Stille um mich singt.
Das Leben hör' ich leis vorüberschreiten,
Die Zeit, die rastlos mit den Flügeln weht —
Und meine Arme muß ich sehnend breiten
Nach jeder Stunde, die vorübergeht.

Ich liebe unter allen...

Ich liebe unter allen die am meisten,
Die unsichtbare Kronen tragen,
Wohl lieb' ich auch die heitern jungen Häupter,
Auf deren Locken Rosenkränze liegen,
Das Haupt, das sinnende Gedanken beugten,
Der Demut frommgesenkte Kinderstirn;
Doch lieb' ich unter allen die am meisten,
Die frei und königlich im Leben stehn
Und unsichtbare Kronen tragen.

So in die still verschneite Nacht...

So in die still verschneite Nacht
Blick' ich hinaus;
[278]
Die alte Sehnsucht ist erwacht
Und singt und flüstert, weint und lacht
Und lacht mich aus.
Sie zieht um mich den Zauberkreis
Von Wunsch und Wahn;
Sie spricht wie du so scheu und leis;
Sie starrt mich an so traurig heiß,
Wie du getan.

Kein Liebeswort...

Kein Liebeswort ist zwischen uns gefallen.
Du hast mir nicht einmal die Hand geküßt,
Wie mancher tat, der mir nicht teuer war.
Ich sprach mit dir wie mit den andern allen -
Der du mir Licht und Luft gewesen bist
Und Lebensodem dieses ganze Jahr.
Doch das, was deine Augen mir verkündet,
Die leuchtenden Verräter, halt' ich fest,
Sowie in Sturm und Schnee ein armes Kind
Sein Püppchen hält und wunderherrlich findet
Und immer wieder zärtlich an sich preßt,
Neidlos auf die, die reich und glücklich sind.

Die gelben Blätter...

Die gelben Blätter wirbeln von den Bäumen,
Der Sturm schlägt mir den Regen ins Gesicht,
In schwarzen Wolken stirbt das letzte Licht.
Ich geh' voran — jetzt ist nicht Zeit, zu träumen.
[279]
Ich geh' voran. Des Sommers Blumen starben,
Viel süße Träume starben matt und schwer.
Nach keiner Hand greift heut die meine mehr.
Ich geh' allein. Ich hab' gelernt, zu darben.
Die Hände, die nach meinen greifen wollen,
Mit sanftem Druck geb' ich sie wieder frei.
Nicht glaub' ich mehr, daß jede würdig sei.
Doch ward ich still. Ich hab' verlernt, zu grollen.
Nun bahn' ich durch des Herbstessturmes Tosen
Mir einen Weg, den nichts mehr hemmen soll,
Zu einem Land von neuen Träumen voll,
Zu einem neuen Sommer schwer von Rosen.

Schmetterlinge

So sah ich dich zuerst. Ein Juniabend
Mit sanftumflorten Rosenflammen hellte
Noch einmal gütig Straßengrund und Gärten,
Da strichst du aus dem Nachbarhause heim.
Weit lauschte ich herab aus finsterm Fenster.
Mein Auge spürtest du, und hobst ganz leise
Die seidne Hülle deiner langen Wimpern
Und senktest sie sogleich. War es des Abends
Leuchtrote Fackelglut, die deine Wangen
Mit Purpur färbte? —
Eben schwebte trunken
Ein weißer Falterschwarm aus weichumblautem,
[280]
Duftschwerem Wipfel, und um deines Hauptes
Zartgoldne Jugend zog er klare Kreise.
Ein lieblich Spiel! Und meine Seele, zitternd,
Ein kleiner Silberschmetterling, stieg auf
Und mischte sich, du schönste Sommerrose,
Still flügelnd in den frohbewegten Reigen.
Zehn Schritte noch — ach, da entschwandest du
In einer Türe Dunkel. Und der Abend
Schlich müde hinter schwarze Wolkenmauern...
Fernher die Nacht. Und in die Nacht hinstoben
Wie sturmgescheucht die weißen Blumengeister.
Doch einer, Herzen sichtbar bloß, du Süße,
Blieb bei dir.

Versäumt

Wir sprachen nicht der Worte drei,
Vom Zufallspiel hierher geführt,
Kaum daß am Lampenschirm vorbei
Sich flüchtig unser Blick berührt.
Nun deine Hand sekundenlang
In meiner abschiednehmend träumt,
Da überschleicht mich trennungsbang,
Wieviel wir beide heut versäumt.
[281]

Verirrt

Herbstliche Buchen. Regenreif
Lastet der Himmel. Rings ein Streif
Von müder Sonne blankdunstigem Schein.
Gestern mit dir noch. Heut bin ich allein.
Holztauben gurren. Häherschrei her
Durch den silberflimmernden Wald fliegt,
Weckt in mir Sehnsucht schwer, schwer,
Die weitab von meinem Glück liegt.

Fallendes Laub

Oktobermorgen. Dampfgewordner Tau
Erhebt zur Sonne sich in lichten Säulen.
Der Park liegt traumhaft noch im blassen Grau,
Vom Stoppelfelde klagt Maschinenheulen.
Verschlafen reibt die Stirn der junge Tag.
Die Krähen ziehn. Von schweren Flügelschlägen
Wird in der Linde leiser Luftzug wach.
Aufschauernd sinkt der gelbe Blätterregen.
Sinkt mir aufs Haupt. Ich wollt', ich wäre blind
Und könnte mit dir durch die Stille schreiten
Und träumen, daß es deine Hände sind,
Die segnend über meine Haare gleiten.
[282]

Erdgeist

Greife wacker nach der Sünde;
Aus der Sünde wächst Genuß.
Ach, du gleichest einem Kinde,
Dem man alles zeigen muß.
Meide nicht die ird'schen Schätze:
Wo sie liegen, nimm sie mit.
Hat die Welt doch nur Gesetze,
Daß man sie mit Füßen tritt.
Glücklich, wer geschickt und heiter
Über frische Gräber hopst.
Tanzend auf der Galgenleiter
Hat sich keiner noch gemopst.

Perversität

Ein Waisenkind, mit nassen, blassen Wangen,
Mit hohlen Augen und mit dünnen Armen
Huscht scheu hervor, inständig mein Erbarmen
Anflehend, stotternd, schlotternd, furchtbefangen.
Eisig sein Körper, glühend sein Verlangen,
Müht sich's frostbebend, menschlich zu erwarmen.
Vergebne Qual; erschlafft in meinen Armen,
Bewimmert es sein Hoffen und sein Bangen.
Beschämt schleicht sich's von hinnen, ächzend, siechend,
Nachts bettelnd und bei Tage sich verkriechend,
Heut in Verzweiflung, morgen in Verzücktheit;
[283]
Verfällt gemach schmerzstillender Verrücktheit,
Stutzt, lacht, jauchzt todesfroh, und, der Gewandung
Vom Gischt beraubt, zerschellt es in der Brandung.

Ilse

Ich war ein Kind von fünfzehn Jahren,
Ein reines unschuldsvolles Kind,
Als ich zum erstenmal erfahren,
Wie süß der Liebe Freuden sind.
Er nahm mich um den Leib und lachte
Und flüsterte: O welch ein Glück!
Und dabei bog er sachte, sachte
Mein Köpfchen auf das Pfühl zurück.
Seit jenem Tag lieb' ich sie alle,
Des Lebens schönster Lenz ist mein;
Und wenn ich keinem mehr gefalle,
Dann will ich gern begraben sein.

Der Anarchist

Reicht mir in der Todesstunde
Nicht in Gnaden den Pokal!
Von des Weibes heißem Munde
Laßt mich trinken noch einmal!
Mögt ihr sinnlos euch berauschen,
Wenn mein Blut zerrinnt im Sand
Meinen Kuß mag sie nicht tauschen
Auch für Brot aus Henkershand.
[284]
Einen Sohn wird sie gebären,
Dem nie ein Kreuz im Herzen steht,
Der für seiner Mutter Zähren
Eurer Kinder Häupter mäht.

Waldweben

Zwischen duftigen Büschen
Stieß ich auf einen Quell;
Meinen Mund zu erfrischen,
Dünkt' er mich rein und hell.
Als ich mich satt getrunken,
Träumend wankt' ich zur Stadt,
Bin aufs Lager gesunken,
Fiebernd und todesmatt.
Hat kein Arzt sich gefunden,
Dessen Kunst mich geheilt;
Werd' auch nimmer gesunden,
Bis mich der Tod ereilt. —
Ei du mein durstiger Knabe,
Streife nicht durchs Gebüsch;
Bleib bei der Mutter und labe
Fromm dich am Kaffeetisch.
[285]

Menschheit

Daß ich hoch im Lichte gehe,
Müssen tausend Füße bluten,
Tausend küssen ihre Ruten,
Tausend fluchen ihrem Wehe;
Müssen tausend Hände weben
Tief im Dunkel Himmelsgaben;
Tief in Schmutz und Nacht vergraben,
Tausend ihrem Gott vergeben. —

Lenz

Aus den quellenseligen Schluchten,
Wo der Lenz uns still empfing,
Sieht mein Aug' nur goldne Buchten,
Nur des Meeres lichten Ring —
Lautlos Leben!
Fern ein Segel aus dem Hafen
Wiegt sich purpurn in das Licht.
Meine Träume sind entschlafen,
Meine Sehnsucht darf hier nicht
Die Lider heben!
Licht und lichter glänzt die Runde,
Aller Höhen Duft und Glast,
Und der Blütenfall der Stunde
Ist der Erde einzige Last
Im Entschweben.
[286]

Im Dorfe

Wie mir dieser Juliwochen
Einsam schöne Zeit verrann!
Schauend in dem Schattenkühlen
Durft' ich meine Seele fühlen,
Die des Glücks Gesichte sann.
Golden sah ich rings sich bräunen
Weich im Wind das Ährenfeld.
Blutrot glomm an allen Wegen
Wilder Mohn im Windesregen,
Lerchenselig ward die Welt.
Lerchenselig meine Seele,
Die auf Gottes Wegen ging
Und im Dufte jeder Blüte —
Eine Fülle, eine Güte —!
Stillsten Gruß der Welt empfing. —

Heiliger Hain

Heilig Dunkel füllt des Parks Gehege,
Schauernd schreiten wir geweihte Wege.
Schon erfüllt ein lauschendes Vergessen
Uns im Schatten ewiger Zypressen.
Geisterlaut und kühler Brunnen Rauschen — —
Seligkeit ist Blick, ist süßes Lauschen!
Still entrückt des Lebens lauten Brücken,
Bebt die Brust wie einer Flamme hell Entzücken.
Nun mit blühndem Lorbeer darfst du krönen
Meine Stirn, zum Priester mich des Schönen,
Rein mich zu den Göttern zu geleiten,
Und in stummer Schönheit darf ich schreiten. —
[287]

In frühster Frühe — —

In frühster Frühe
Schlaflos lehn' ich am Fenster.
Eine Amsel, unsichtbar,
Singt und ruft
Glühend und heftig aus schlafender Gruft
der grünen Welt,
die frühster kühlster Tag
erhellt.
O Nacht, die vorüberging!
O Licht, das wieder
so fern! fern neu anfing!

Sehnsucht

Oft am langen Tage
seufz' ich ach! nach dir,
fühl' ich dich mir nahe,
sprech' ich so mit dir.
In der kühlen Frühe
aufgewacht zu mir,
fühl' ich, was uns trennet,
seufz' ich ach! nach dir.
Seh' dein Auge schauen
liebevoll zu mir,
schaut mich an und weilet
einen Blick bei mir.
[288]
Geht von mir am Tage,
kommt zurück zu mir,
wenn ich nach dir klage,
schweigend und in mir.
Schmerz und Trost der Schmerzen,
bist in einem mir —
oft am langen Tage
seufz' ich ach! nach dir.

Dein Bild

Der Regen rauscht
schwer nieder,
mein Herz lauscht
auf Lieder.
Meine Augen gehen
von den frühen Blumen,
die im Glase stehen
vor deinem Bild,
in die Regenwelt,
stumm und kühl und wild,
die dein Bild im Herzen
einzig mir erhellt.

Seelen

Du weißt, wir bleiben einsam: Du und ich,
Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht,
Mit freien Kronen, die der Seewind küßt...
[289]
So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei.
Doch zwischen beiden webt ein feines Licht
Und Silberduft, der in den Zweigen spielt,
Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin...

Ostsee

Da lieg' ich an dem weißen Ostseestrande.
Das Meer... Das Meer! Mein wahrgewordner Traum!
Ich bin vergraben in dem feinen Sande
Und bin nur Wind und Welle, Sturm und Schaum.
Und meine Wunschgedanken lass' ich gleiten
Hinauf-, hinunterwärts die grüne Bahn.
O meines jungen Traums Unendlichkeiten!
Ein Hauch bewegt der Sehnsucht goldnen Kahn.
Mein Kahn ist ganz mit Wein und Obst beladen
Und voll Musik: von Gott und Welt und Mut,
Und von des Meeres königlichen Gnaden
Und von der Kraft, die lächelnd in mir ruht!

Tote Stunde

Menschen sterben von mir ab wie Blüten
Meines lieben Baumes vor dem Fenster.
Gestern war er noch voll rot und weißen
Glanzes, sieh, nun ist er grün und keimend.
Hat ein Wandrer an dem Stamm geschüttelt —
Solch ein aufrecht-großer Lebensschreiter?
Sprach zu laut ein Vogel im Gezweige?
[290]
Murmelte der Wind zur Nacht von neuen,
Ahnungsvollen, ungewissen Dingen —
Und die Blüten stoben hin erschrocken
Und sie fielen weit, weit ab und starben...

Begehren

An manchen Tagen faßt mich ein Begehren
Nach Glanz und Glück und wilder Rhythmen Glut,
Nach Purpurrosen, tief und rot wie Blut,
Und heißen Frauen, die mit liebesschweren
Sturmküssen dämmen meiner Wünsche Flut. —
Doch tief in diesem grellen Lustverlangen
Zittert ein einz'ger leiser Wunsch allein
Nach einem atemstillen Glücklichsein,
Nach Frieden, den mir stille Lieder sangen
In meiner Kindheit goldnem Sonnenschein.

Schneewinter

Nun, da die Dächer schneeumkleidet liegen,
Der Wintersturm durch leere Heiden irrt,
Daß sich die nackten Bäume seufzend biegen,
Da sehn' ich mich an eine Brust zu schmiegen,
An der mein wildes Trauern stiller wird.
Nach Fingern, die nur meine Stirne streifen,
Und aller Gram und Unlust flattert fort,
Nach Blicken, die mir an die Seele greifen,
Bis mir dann neue Frühlingsträume reifen
Aus einem einz'gen leisen Liebeswort.
[291]

Brügge
(Aus einem Zyklus)

Nun kommt der Abendfriede in die stille Stadt,
Der Sonne rotes Blut verströmt in den Kanälen,
Und eine Sehnsucht, die nicht Ziel und Worte hat,
Beginnt nun von den grauen Türmen zu erzählen.
Die alten Glocken singen dumpf und wunderbar
Von Tagen, da ihr Jubelruf das Land umspannte,
Da Glanz und Leben in den lichten Straßen war
Und fackelfroh das Herz des Hafens brannte;
Von reichen Tagen, wundersam und längst verglüht
Und die wie süßer Kindheitstraum so fern geworden.
Das letzte Ave schweigt... Und langsam stirbt ihr Lied
Und zittert aus in leise schluchzenden Akkorden.
Die letzten Töne trägt noch sanft der Abendwind,
Und traurig irrt der Nachhall in die toten Gassen,
Die alle schweigsam und so schmerzverschüchtert sind,
Ein blindes Kind, das jäh die Führerhand verlassen. —
Durchs stille Wasser streicht ein wildes Schwanenpaar,
Und leise raunt die Flut, die schwingensacht erschauert,
Von einer schönen Frau, die Königin einst war
Und nun im dunkeln Nonnenkleide einsam trauert...

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The Beginnings of Modern Poetry Project

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TextGrid Repository (2024). The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. Deutsche Lyrik seit Liliencron. Herausgegeben von Hans Bethge. Leipzig 1905. Deutsche Lyrik seit Liliencron. Herausgegeben von Hans Bethge. Leipzig 1905. The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. The Beginnings of Modern Poetry Project. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-0014-43D6-D