Erwin von Steinbach
[1]Am Werktisch sitzt der Meister sinnend
Mit Maß und Zirkel in der Hand,
Den hehren Wunderbau beginnend,
Der klar vor seiner Seele stand.
„Ein Bau,“ so spricht er, „soll es werden,
Ein Haus des Herrn, so hoch und hehr,
Wie nimmer noch auf weiter Erden
Empor es ragt zu Gottes Ehr'“.
Und sieh, zu Meister Erwins Ruhme
Steigt frei empor im deutschen Gau
Aus Fels und Stein die Riesenblume,
Zu Straßburg stolz des Münsters Bau.
Wie laut die Welt sein Werk bewundert,
Nicht lüstet's ihn nach Gold und Gunst;
So steht es da durch die Jahrhundert',
Ein Zeuge gottgeweihter Kunst.
[2]Und drinnen, wo durch Farben milder
Die Sonne strahlt in Gang und Chor,
Da heben hehre Marmorbilder
Dein Herz aus Erdenstaub empor.
Es sind die heil'gen Gottesboten,
Die einst des Evangeliums
Holdsel'gen Gruß der Welt entboten,
Die Hüter dieses Heiligtums.
Und diese holden Lichtgestalten
Schuf Meister Erwins Töchterlein;
Durchströmt von seines Geistes Walten
Haucht sie dem Marmor Leben ein.
Was sie erschaut in stiller Kammer,
Enthoben über Raum und Zeit,
Dem leiht ihr Meißel dann und Hammer
Den Zauber schöner Wirklichkeit.
So schufen still im ernsten Bunde
Hier Geist und Schönheit Hand in Hand,
Und herrlich schaut noch diese Stunde
Des Münsters hoher Bau ins Land.
Sieh, wie die farb'gen Scheiben glühen
Im Sonnenglanz so rein und klar,
So rein und schön auch möge blühen
Die edle Baukunst immerdar!
Wilhelminenhöhe am Kieler Hafen
Dort Stadt und Dorf im grünen Kranze,
Und hier die blaue, blanke Bai
Im leichtbeschwingten Wellentanze,
[3]Und drüber kreist im Sonnenglanze
Die weiße Möwe frank und frei.
Von Bord und Masten hörst du schallen
Der munteren Matrosen Lied;
Hier Anker rasselnd niederfallen,
Und dort des Schiffleins Segel wallen,
Das in die blaue Ferne zieht.
Sieh dort die schwarzen Panzerrosse!
Schon braust des Atems heiße Glut
Tief aus der Brust der Erzkolosse;
Ein Gruß der ehernen Geschosse
Rollt donnernd längs der blauen Flut.
Zieht hin, des Reiches Schutz und Wehre,
Laßt stolz die deutschen Farben wehn,
Uns schützt und schirmet Deutschlands Ehre
Von Land zu Land, von Meer zu Meere,
Fahrt wohl! Auf frohes Wiedersehn!
Wir winken still vom grünen Strande
Bewegt den Scheidegruß euch nach,
Umschlingen uns doch feste Bande;
Kehrt froh zurück aus fernem Lande
Einst unter euer heimisch Dach.
Noch einmal aus metallnem Munde
Ertönet fern der Abschiedsgruß,
Ein lautes Echo in der Runde
Hallt ihn zurück; die nächste Stunde
Lenkt still ans Tagwerk unsern Fuß.
Aus weiter Werkstatt wieder tönet
Berußter Schmiede Hämmerklang,
Und längs den Eisensträngen dröhnet
Das schwere Feuerroß und stöhnet
Daher mit dumpfem Donnergang.
Dort Schiffer ihre Netze ziehen
[4]Im sauren Schweiße durch die Bucht;
Hier klingen süße Harmonieen,
Und Kinder durch die Hecken fliehen,
Sich haschend in verstellter Flucht.
Dort schafft im Feld mit harten Händen
Der fleiß'ge Landmann früh und spat,
Doch auf den schimmernden Geländen,
Umkränzt von grünen Waldeswänden,
Keimt auch voll Hoffnung ihm die Saat.
Bald reift zur Erde still der Samen,
Das grüne Halmenmeer verblaßt,
Der Erde Kräfte leis erlahmen, —
So spannt sich in den weiten Rahmen
Des Lebens Ernst und Lust und Last.
Doch ist das Taggestirn geschieden,
Rauscht ferne schon die Nacht daher,
Dann breitet rings herum hienieden
Im Abendgold ein sanfter Frieden
Sich lieblich über Land und Meer.
Dann löscht ein Engel in den Herzen,
Der durch Palast und Hütte zieht,
Des Tages Lust und Müh' und Schmerzen;
Im Strahlenglanz der Himmelskerzen
Summt leis das Meer sein Wellenlied.
Wie glänzt der Wald so goldengrün
Wie glänzt der Wald so goldengrün
Im jungen Blätterschmuck!
Nun laß die Freude Funken sprühn
Nach langem, bangem Druck.
[5]Was zagest du und klagest du,
Bedrücktes Menschenherz!
Wach auf aus starrer Winterruh',
Verbanne Sorg' und Schmerz!
Auf Sonnenglanz durch Feld und Flur
Weht frischer Lebenshauch;
O glaube nur, und hoffe nur,
Erschließ dein Herz ihm auch!
Vom Walde klingt ein heller Gruß
Herüber in dein Haus,
So eile mit beschwingtem Fuß
Hinaus, hinaus, hinaus!
Echo
Wenn tausendfarbig glänzt die Au,
Der Himmel strahlt im reinsten Blau,
Die Lerche froh sich aufwärts schwingt
Und laut dem Lenz ihr Loblied singt:
O sage, was mit ihrem Lied
Als Echo durch die Seele zieht! —
Dann zieht der Freude goldner Schein
So wonnesam ins Herz hinein,
Und jubelnd klingt es durchs Gemüt,
Daß aus dem Tod das Leben blüht.
Und wenn im Maiensonnenschein
Ringsum aus jedem Blütenhain
Der Nachtigallen Lied erklingt,
Ums Herz dir seinen Zauber schlingt:
O sage, was mit ihrem Lied
[6]Tief durch die Menschenseele zieht! —
Der Mensch durchlebt mit Blum' und Baum
Des Erdenlebens Blütentraum,
Des heller Abglanz im Gemüt
In ewig schönen Farben glüht.
Und wenn die Schwalbe unterm Dach,
Die früh dich grüßte Tag für Tag,
Zum letzten Mal ins Fenster schaut
Und Abschied singet sanft und traut:
O sage, was mit ihrem Lied
Als Echo durch die Seele zieht! —
Dann schwebt mit leisem Flügelschlag
Erinnrung um dein stilles Dach,
Und klagend klingt es durchs Gemüt,
Wie Lenz und Lust so bald verblüht!
Selbstgespräch
Die Wende deiner Lebenstage
Liegt hinter dir, dein Haar ward grau,
Und nun ich tief ins Aug' dir schau',
Les' ich darin: Entsag, entsage!
Die Lehre scheint's uralter Mythen
Von unsres Daseins Schattenspiel,
Als lägen Larven unter Blüten,
Als wär's ein Streben ohne Ziel.
Doch ist's das Aug', das Erd' und Himmel
Einst strahlend offen vor sich sah,
Das Auge, dem das Glück so nah
[7]Erschien in all dem Weltgewimmel;
Das Auge, das in seinem Flimmer
Zu schaun gewagt den Siegeskranz,
Das sich erfreut' an seinem Schimmer,
Als wär' kein eitler Trug der Glanz.
Dann wieder sagen mir die Falten
Der Stirn und all der Kämpfe Spur,
Mit welcher Last und Mühe nur
Du noch am Leben festgehalten,
Als fort und fort im goldnen Klange
Des Tages dich wie Spott gemahnt
Die goldne Zeit, die im Gesange
Der Dichter — wie so selig — ahnt!
Denn, ach, du warst am Lebensbaume
Der Menschheit nicht der erste Sproß,
Der frei sie dachte, wahr und groß,
Bis es verschwand gleich einem Traume,
Und mit ihm die Erfüllungsstunde
Und jede Hoffnung Stück für Stück,
Bis du allein standst in der Runde
Und nur der Tod erschien als Glück.
Da hilft's nicht mehr, wenn um Ruinen
Noch webt ein stilles Abendrot,
Wenn ernster Lebenskampf dem Tod
Als Aureole scheint zu dienen;
Da helfen nicht die hohen Geister,
Von denen noch die Sage geht,
Und nicht die Namen all der Meister,
Die mit der Zeit noch nicht verweht.
Da ringelt sich die Muhme Schlange
Um jedes Glied, da lähmt das Herz
[8]Die ew'ge Qual, der ew'ge Schmerz,
Drin uns vor unsrer Gottheit bange.
Da wird im großen, wie im kleinen
Das Hoffen schwach, der Glaube zag,
Bis alles Leben in dem Einen
Zusammenfließt: Entsag! Entsag!
So dir, dem Kämpfer und dem Krieger,
Bis jede Locke weiß, wie Schnee;
So dir, trotz aller Täuschung Weh,
Auf diesem Feld ein echter Sieger.
Nichts mehr für dich, doch Hand und Habe
Für alle, die, wie um den Preis,
Ums Leben ringen mit dem Grabe,
Wie du einst rangst so thränenheiß.
Nächtliches Gewitter
Zuerst von fern ein dumpfer Strom,
Noch grollend, in verhaltnen Tönen,
Dann durch der Wolken Riesendom
Mit Blitz auf Blitz des Donners Dröhnen,
Als strebe jegliches Atom
Die feste Ordnung zu verhöhnen,
Wie zügellos, im Hippodrom
Der Kräfte, tollster Lust zu fröhnen.
Umsonst! Es herrscht in all dem Schwall,
Ob er der Menschen Zirkel störet,
Das Urgesetz, wonach im All
Eins zu dem anderen gehöret
Vom Kleinsten bis zum Sonnenball,
Und wenn sich's noch so sehr empöret,
Der Flut folgt Ebbe, Hall dem Schall —
Schon da ist, was den Graus beschwöret.
[9]Frühlerche
Im Osten blitzt' die Sonne
Aus Morgengraun hervor,
Da stieg auch schon die Lerche
Mit Jubelschlag empor.
Ihr Schlag, der war so schmetternd,
So aller Freuden voll,
Daß mir mit ihm die Seele,
Dem Licht entgegen schwoll.
Mir ist nun Sonnenaufgang
Und Lerchenschlag wie eins;
Mich dünkt, es fei'rte jenen
Des Vögleins Lied wie keins.
An einem Grabe
Es deckt nun längst der Erde Grund
Ein Herz, das treu für dich geschlagen;
Du gabst ihm wenig Liebe kund
Und kannst nur stehn, dich anzuklagen.
So stumm ist wohl das stille Grab
Und Staub nur, was es in sich hüllet —
Du aber kniest und blickst hinab,
Als wär's mit Leben dir erfüllet, —
[10]Und sähst ein blasses Menschenbild
Dort unter deiner Reue Zähren
Mit einem Lächeln, schmerzlich mild,
In alter Liebe sich verklären.
Sonett
Den Weltgeist wähnt' ich mir vorüberschweben
In heil'gen Nächten auf Gebirg und Meer,
Und meine Seele hob es hoch und hehr,
Als könnt' ich Ird'scher, ihn erschauend, leben.
Zwar heiß' ich dies ein thöricht Überheben,
Doch drum ein Träumen nicht, das hohl und leer.
Den Mantel wob die Gottheit um sich her,
Und so viel nur, als um empor zu streben
Mit Hochgefühl in menschlichem Vermögen
Der Seele frommt, entquoll ihr aus dem Sein
Der Urgewalt voll Offenbarungssegen.
Enthüllte sich die Gottheit ganz und rein
In ihrer Füll' vollwirkendem Bewegen,
Tot sänk' ich hin — hinschwundner Widerschein.
Mythos
Es schied das Licht. O thatenfreud'ge Glut!
Wie neiget segensvoll ein klarer Mut
Sich seiner Wirkung auf der Frühlingserde!
Lichtleben, das des Glückes überschwillt,
Zu reinem Traum drangvolle Jugend füllt —
Nacht, stille Seelenweih' im Fest des Werde!
Am Blütenbaume sieh den Dichter stehn.
Ihn hießen Luft und Duft die Pfade gehn,
[11]Mit da ist er, wo Lebensquellen rinnen:
Der Menschheit Sohn, in dem sie freiheitsklar,
Erschloss'nen Sinnes in der Größe wahr,
Der sich gewonnen, alle zu gewinnen!
Er trinkt des Lichts urvolle Lebenslust,
Glücksel'ger Klarheit freud'ger sich bewußt,
Als wär's in ihm der Menschheit Blütenstunde —
Der tiefsten Wirkung ew'ge Zuversicht,
Lebend'ger Wahn, daß, so er „Werde!“ spricht,
Die Menschheit jäh zu ihrem Glück gesunde!
Du Dichterherz, verstummend dem Gesang!
Natur, und gabst du Antwort seinem Drang?
Sieh einen Strahl, der in den Baum gesunken —
O heiß' ihn Traum: Goldwipfel, wundersam!
Das Vöglein höre, das zum Baume kam,
Auf goldnem Zweig sich wiegend sangestrunken!
Geeintes Paar
Sie haben einen weiten Schall,
Die Brünnlein sondrer Art;
Des Wassers Ruhm ward überall,
Das sich in ihnen wahrt,
Drob lichter Geist die Flügel schwingt
So sonnig!
Darin die Menschheit sich verjüngt
So wonnig!
Und gleichwohl ist sie schwarz, die Flut
Mit übermächt'ger Kraft,
In einem engen Häuslein ruht,
Was also innig schafft;
[12]Und nahst du dich ohn' eigen Licht
Inwendig,
So wird's im dunkeln Borne nicht
Lebendig.
All' Lands, wo man des Brünnleins acht't
Der Schwarzkunst Zauber übt,
Davor sein dunkler Quell erwacht
Und lichte Ströme giebt:
Da ist ihm aller Brunnen Feind
Gesellig
Und ihm, zu wertem Dienst vereint,
Gefällig.
Neb'an im hunderthür'gen Haus,
Und eilt — treu' Dieners Preis! —
Zu hundert Pforten gleich heraus
In emsigem Beweis;
Trinkt ein der Strömlein Überfluß,
Daß helle
In Wunderkraft verbleiben muß
Die Welle.
O Menschengeist, magst schauen dich
Im kleinsten Dinge groß!
Wie ringt vom nächsten Scheine sich
Die Kraft tiefsinnig los,
Die Kraft, in der sich Gott bekannt
Hienieden,
Vor der sich eins dem andern band
Zum Frieden!
[13]Am Ostermorgen
Zum Schloß hinauf bei Heidelberg
Stieg ich am Ostermorgen.
Doch eh ich trat ins Mauerwerk,
Blieb ich im Wald verborgen.
Der bannte mich in sein Revier
Mit Klingen und mit Singen.
So wie in diesen Büschen hier
Hört' ich's noch nirgends klingen.
Der Dompfaff stimmt die Messe an
Und wirft sich in den Kragen.
Die andern kehren sich nicht dran,
Die singen nach Behagen.
Spottdrossel gar, die pfeift dazu
Und hebt gar stolz ihr Köpfchen.
Da pfeifen die andern all' im Nu
Aus aufgeblas'nen Kröpfchen.
Was kümmert sich der Schelm, der Fink,
Um Dompfaff und um Messen!
Die Amsel auch, das lust'ge Ding,
Die schmettert wie besessen.
Schwarzplättchen ruft: Bin überall
Beim Singen und beim Scherzen.
Im Grunde flötet Nachtigall,
Der kommt's so recht von Herzen.
[14]Wie alles dies um mich geschah,
Saß ich im Wald verborgen,
Und schweigend feiert' ich allda
Den Auferstehungsmorgen.
Auf dem Heidelberger Friedhof
Auf dem Heidelberger Friedhof prangt Natur in reichster Fülle.
Welch ein Grünen, welch ein Blühen rings, daß es den Tod verhülle!
Doch auf blanken Monumenten läßt in ernster Schrift sich's lesen:
Was hier ist, das ist gewesen; was gewesen, muß verwesen.
Gleicht das Leben einem Strome — hier die See, in die er mündet.
Gleicht das Leben einer Reise — hier wird ihr das Ziel verkündet.
Hier begrüßt uns ew'ger Friede, ach wie manchen allzufrühe!
Mancher ward des Wartens müde, seufzend unter Last und Mühe.
Grausam hat der Tod den Liebling aus der Mutter Arm gerissen.
Warum mußte das so kommen? Sie vermag's nicht, ihn zu missen.
Such ihn nicht im Grabe drunten, such ihn nicht in Himmelsauen!
Kannst ihn nur noch in dem eignen treuen Mutterherzen schauen.
Trauernd neigt sich dort ein Antlitz über eine heil'ge Stätte,
Und es klingt wie Dank und Segen nieder auf das Friedensbette.
Wenn zwei Herzen miteinander alles trugen treu gemeinsam,
Schwer dann lebt es hinterdrein sich so verlassen und so einsam.
Halte still! In dieser Reihe ruhn des Rechts und Lichts Heroen.
Mag ihr Leib im Grabe modern, ihre Lichtgedanken lohen,
Ob unsichtbar, dennoch sicher zündend fort, bis sie auf Erden
Über Lug und Irrtum siegreich zum Gemeingut aller werden.
[15]Dort das Kreuz und hier das Denkmal künden Deutsche und Franzosen,
Die hier stillen Frieden fanden nach des Kampfes wildem Tosen.
Aus den heißen Wundenschmerzen hat der Friedhof sie gerettet
Und hieher sie nicht als Feinde, nein, als Mensch zu Mensch gebettet.
Warte noch! Hier ruht ein Armer. Bosheit hat an ihm gerüttelt,
Bis er endlich mit der Kugel allen Kummer abgeschüttelt.
Mögen andre pharisäisch gegen dich die Zungen schärfen —
Schlummre sanft! — wir sind nicht willens, einen Stein auf dich zu werfen.
Was ist Tod? Mag jedes Wesen, das gewesen ist, verwesen,
Doch zum Keim für neues Leben ist auch jeder Tod erlesen.
Mag ich doch mein Sonderleben an das ew'ge Ganze geben!
Nein, der Tod ist nicht zu fürchten. Nichts ist Tod und alles Leben.
Friedhof, pred'ge deinen Frieden tröstend in bedrückte Herzen!
Die hier ruhn, sie fühlen nichts mehr von des Lebens Mühn und Schmerzen.
Bald vielleicht treibt unser Schifflein auch schon in den Friedenshafen;
Ob es hier sei, ob wo anders, überall ist Platz zum Schlafen.
[16]Auf dem Felde der Ehre
War das ein Heulen, ein Sturmgebraus
Die ganze Nacht um das Fischerhaus,
Als sollte die Welt schier vergehen!
Den Fischer treibt es im Morgengraun,
Von luftiger Düne hinaus zu schaun,
Ein Fahrzeug vielleicht zu erspähen.
Und wahrlich! dort ferne — er täuscht sich nicht —
In schäumender Brandung ein Wrack in Sicht.
Hoch wälzen die Wogen sich über das Schiff,
Das eingekeilt auf dem Felsenriff,
Dem tückischen, längst ihm bekannten.
Der Segel Fetzen, vom Sturm erfaßt,
Wie Möwen flattern sie um den Mast,
Drei Männer, so scheint's, in den Wanten.
Hier gilt kein Säumen: „Ein Schiff in Not!
Herbei, herbei mit dem Rettungsboot!“
Da kommt es, mit sieben Lotsen bemannt;
Wie sicher das Auge, wie fest die Hand
Der wettergestählten Gesellen!
Nicht denken sie lange an Weib und Kind,
Sie prüfen die Brandung, die See, den Wind,
Das Schiff dort in sprühenden Wellen,
Sie müssen's gewinnen, sie müssen hinaus:
„Was sinken, ertrinken! Gott wacht übers Haus!“
Die Brandung rollt, und der Sturmwind braust;
Sie führen die Ruder mit wuchtiger Faust,
Mit Händen von Eisen das Steuer.
[17]Voran nun die Spitze — setzt ein mit Macht!
Du hinten am Steuer, hab acht, hab acht!
Die Woge dort scheint nicht geheuer,
Und trifft sie zur Seite des Bootes Wand,
Tritt nimmer ein Fuß mehr auf trocknen Sand.
Heran rollt die Woge, hoch hebt sie den Kahn,
Tief schießt er hinab dann auf schäumender Bahn,
Die Planken, sie krachen und beben.
Jetzt nahe dem Wrack schon — die Ruder gefaßt!
Dort folgen drei Männer am schwankenden Mast
Dem Kampf um Tod und um Leben;
Doch die See übertönt, und der Sturm verweht
Der Hoffnung Ruf und der Angst Gebet.
Noch einmal dem Feinde ins Angesicht!
Doch menschliche Kräfte, hier reichen sie nicht
Im Kampf mit den Winden und Wellen.
Noch einmal dort bäumt sich's und rollt heran —
Gebrochen das Steuer, gekentert der Kahn,
Vom Wrack dort drei Angstrufe gellen!
Ein sausender Stoß noch, dann neigt sich der Mast,
Und die Woge entführt ihn mit seiner Last.
Die Wogen, sie rollen gen Süd und Nord;
Wer sucht die Stätte, wer kennt den Ort,
Wo sie bleichen, des Seemanns Gebeine!
Sein Bett ist tief unten auf grünem Tang,
Da singt ihm die Nixe den Totensang
Bei des Meerleuchtens dämmerndem Scheine.
Tief unter dem Sturm und dem Wogengebraus,
Auf dem Felde der Ehr' ist sein letztes Haus.
[18]Morgen- und Abendthräne
Ein Frühgewitter rauschte durch den Wald,
Und große Tropfen glänzten an den Zweigen,
Schwer hing die Wolke, dunkel noch und kalt,
Und jäh verstummt war rings der Vögel Reigen.
Da kam der Sonnenstrahl, und trocknend fiel
Sein warmer Kuß auf feuchte Blätter nieder,
Es trieb der Frühlingswind sein kosend Spiel,
Und wieder jubelten der Vögel Lieder.
So auch die Thräne in dem jungen Aug';
Wohl quillt sie leicht, doch währt sie nimmer lange,
Sie schwindet in des Morgenwindes Hauch,
Vielleicht noch ehe sie erreicht die Wange.
Doch wenn sie kommt am Abend, trüb und schwer,
Wie Tau des Herbstes bei der Sonne Neigen,
Dann trocknet sie der matte Strahl nicht mehr,
Und drüber deckt die Nacht ihr starres Schweigen.
Spruch
Fischlein schnellt aus klarer Flut.
Schnelle, Fischlein, schnelle!
Erdenluft ist dir nicht gut,
Kehrst zurück zur Welle.
Menschlein, strebst du aus dem Strom?
Menschlein — eitles Streben!
Weltenstroms gering Atom
Bleibst du Wichtlein eben.
[19]Auf!
Wie? ist's schon spät, daß ich zur Ruh' soll gehen,
Hat schon der Tag zum Abend sich geneigt?
Soll ich nur träumend noch das Leben sehen,
Wo meines Daseins Bahn noch aufwärts steigt?
Wohl glüht die Sonne, und ein groß Ermatten
Verlangt die Ruh' für Seele, Leib und Geist,
Ersehnt des Nachmittages lange Schatten,
Die man des Greisenalters Anrecht preist.
Doch lange ist das Ziel noch nicht errungen,
Um das als Jüngling schon der Mann gekämpft.
Mit Nachdruck sei die Waffe jetzt geschwungen,
Wo Zeit der Jugend Brausemut gedämpft.
Drum rasch zur That, so lang' die Jahre blühen,
Die Parze an dem alten Faden spinnt,
So lange uns Hochmittagssonnen glühen
Und eh' das Lebenswasser thalwärts rinnt.
Ins Stammbuch
Motto: Ev. Lucae 24, 29
Die Wasser rinnen zu Thale
In kräuselndem Wellenspiel.
Im goldigen Abendstrahle
Erglühen und flüstern sie viel.
Der Ernst kann sie nirgends bannen,
Sie sind in beständ'ger Flucht.
Sie eilen schon wieder von dannen,
Wenn Halt sie eben gesucht.
[20]So eilen die Menschen von hinnen:
Hier Kosen, dort Scherzeswort.
O möchten sie Ruhe gewinnen!
Doch wirbelnd geht es fort.
Von Tausend verharren nicht Hundert,
Von Hundert rechne kaum Eins,
Des Weilen die andern verwundert;
Doch bleiben kann wohl keins.
„So will ich hier bei dir weilen,
So lang' das Lied erklingt;
Und liesest du wieder die Zeilen,
Erinnrung mich zu dir bringt!“
Toblizo!
Du schaffest und rennest,
Daß eigen du nennest
Viel Hab und Gut,
O junges Blut!
Toblizo!
Viel Ämter und Würden,
Die goldenen Bürden
Erstrebt als Gewinn
Dein hoher Sinn.
Toblizo!
[22]Die Orden und Sterne
Vermiß'st du einst gerne,
Wenn Frieden und Ruh'
Dir fiele zu,
Toblizo!
So schweb nur, bald steigend,
Bald fallend, dich neigend,
Im Gnadenlicht,
Du armer Wicht!
Toblizo!
Des Kaisers Traum
Zur Feier der Vollendung des Kölner Doms am 15. Oktober 1880
Der Kaiser schläft. Schon grüßt des Frührots Schein
Durch busch'ge Wipfel auf des Schlosses Zinnen;
Ein feiner Dunst hüllt noch die Wasser ein,
Die an dem Fuß des Babelsberges rinnen;
Doch rosig glühen, wie ein Werk der Fee
Morgana, schon der Havelbrücke Bogen,
Und die Fregatte auf dem Jungfernsee
Taucht mit den Masten aus des Nebels Wogen.
Der Kaiser schläft. Ein Traum hält ihn im Bann:
In eine Höhle tritt er — magisch flimmert
Ein Lämpchen dort — am Steintisch sitzt ein Mann,
Des Vollbart rötlich durch den Dämmer schimmert;
Und wie der Kaiser naht, steht jener auf
Und spricht: „Mit Euch, mein Fürst, sei Gottes Segen!“
Die Linke stützt er auf des Schwertes Knauf,
Die Rechte streckt zum Willkomm er entgegen.
[22]Der Kaiser fühlt den Druck der kalten Hand:
„Bist du ein Geist? Wie soll ich dich begrüßen?“ —
„Der erste Friedrich ward ich einst genannt,
Das römisch-deutsche Reich lag mir zu Füßen.“ —
„Wie? Barbarossa — Ihr?“ — „Ja, Majestät!
Der Rotbart darf Euch kühnlich Weißbart taufen;
Der kaiserliche Hohenzollern steht
Vor'm Geist des kaiserlichen Hohenstaufen.“ —
Und beide Recken sehen lang' sich an,
Drauf an dem Steintisch strecken sie die Glieder.
„Wie sonderbar,“ — hebt Kaiser Wilhelm an —
„Daß Ihr noch immer kehrt zum Lichte wieder!
Als zu Versailles der Ruf die Luft durchschnitt:
Ein Kaiser ward dem deutschen Reich! da hieß es:
Des Harrens ist jetzt Barbarossa quitt,
Für immer ledig seines Felsverließes“. —
„Wahr sprach man, Herr! denn als Ihr jugendfrisch,
Dem greisen Haupt die Kaiserkron' erworben,
War ich erlöst! — gewachsen durch den Tisch
War schon mein Bart — mein Hoffen fast erstorben.
Nun trat ich endlich aus der Felsenkluft
Und sucht' ein Plätzchen, das mir ruhsam deuchte;
Doch Frieden fand ich nicht — ich mied die Gruft:
Ein letzter Wunsch mir noch den Schlummer scheuchte.“ —
„Dem Wunsche werde, wenn ich's kann, Gewähr!
Sprecht, edler Herr! ich lausche Eurem Worte.“
„Nun wohl — so hört! Als ich von Siegen schwer
Aus Mailand kehrte mit erkämpftem Horte,
Um durch der heil'gen Könige Gebein
Den alten Dom zu Köln mir zu verpflichten,
Gelobt' ich mir, einst dem Reliqnienschrein
Ein Münster ohnegleichen zu errichten.
[23]Treu war mein Sinnen, und mein Plan war gut;
Doch erst mit Türken mußt' ich blutig ringen —
Was keinem Heidenschwert gelang, der Flut
Des Kalykadnus sollte es gelingen:
Sie riß mich fort — ich starb. Doch Kaiserwort
Geht nicht verloren mit des Kaisers Leben;
In deutschen Herzen wirkte fort und fort
Der Anstoß, den mein frommer Sinn gegeben.
Nach wenigen Jahrzehnten schon begann
Zu Köln am Rhein ein freudig-reges Schalten;
Was Meister Gerhard wunderbar ersann,
In Stein fing's an sich ragend zu gestalten.
Hier in der Kluft saß ich erwartungsvoll
Und freute mich der Dinge froher Wendung;
Doch langsam wuchs das Werk — und bittrer Groll
Ließ oft mich zweifeln an des Doms Vollendung.
Wie müd' ich war, noch war nicht Schlafens Zeit,
Noch blieb mein Geist an diese Welt gekettet;
Erst wenn das deutsche Volk in Einigkeit
Erstarken würde, war auch ich errettet;
Und ahnend wußt' ich's: erst zum Wolkenzug
Des Münsters hehre Türme mußten streben,
Eh Deutschlands Aar in siegessicherm Flug
Durch Stürm' und Wetter würde lichtwärts schweben.
So hab' in dieser Höhle ich geharrt;
Die Jahre kamen, und die Jahre gingen;
Erbarmungslos hat mich die Zeit genarrt;
Ich sah sie die Jahrhunderte verschlingen,
Und immer blieb das Werk noch weit vom Ziel.
Da dröhnte Luthers Trutzwort durch die Gassen —
Kampf wogte auf — des Friedens Fahne fiel —
Das Baugerüst des Münsters stand verlassen!“
[24]Der Rotbart seufzt, und Kaiser Wilhelm spricht:
„Ich selbst bin Protestant! Nicht dürft Ihr zeihen
Den Augustinermönch verletzter Pflicht —
Nur Duldung kann den Fürsten heut gedeihen.“
Der Andre nickt; „Ja edler Herre, ja!
Nie soll der Glaube sitzen zu Gerichte;
Vergebens nicht durch sieben Säkula
Lauscht' ich dem Genius der Weltgeschichte.
Die Formen wechseln, doch der Geist besteht;
Einst kommt die Zeit, wo reinen Liebesdranges
Die Menschheit nur zum Ewig-Einen fleht,
Des Streites müd' und des Gewissenszwanges.
Der Vorzeit Finsternisse sind vorbei;
Allwärts des Geistes Opferfeuer flammen;
Einst wird der Mensch das rohe Feldgeschrei:
Hie Katholik, hie Protestant! verdammen.“ —
Der Kaiser Wilhelm drückt des Sprechers Hand:
„Dies Wort, mein Held und Fürst, sei unvergessen!
Zu gleichem Hoffen hat sich Der bekannt,
Der mir zuvor auf Preußens Thron gesessen;
Ihr wißt, mein königlicher Bruder rief
Ein neues Werde dem verlassnen Werke,
Und was unfertig schon in Trümmern schlief,
Er weckt' es auf zu neuem Wuchs und Stärke“. —
„Ich weiß es, Herr; und diese Königs-That
Bleibt deutschem Volk ein herrliches Vermächtnis;
Daß bis ans Ziel Ihr gingt den gleichen Pfad,
Bürgt Eurem Namen ewiges Gedächtnis;
Wenn einst der Strom der Zeiten Blatt um Blatt
Aus Eurer Siege reichem Kranz entwendet,
Wird dauernd doch des Doms geweihte Statt
Den Kaiser künden, der den Bau vollendet.
[25]Denn jenes Münsters nationales Werk
Erzählt, was Deutschlands ein'ge Stämme schufen;
Es überhöht Ägyptens Gräberberg,
Der Cheops-Pyramide Schwindelstufen.
Hoch ragt Sankt Peters Kuppelbau in Rom,
Und Rom sah lang' die Welt zu Füßen liegen,
Doch höher ragt zu Köln der deutsche Dom,
Und deutscher Geist wird einst die Welt besiegen.
Und nun, mein Fürst, den letzten Wunsch erfahrt,
Der noch mich bannt aus der Entschlaf'nen Reihen:
All Deutschland rüstet sich zur Pilgerfahrt
Nach Köln am Rhein, der Türme Knauf zu weihen;
Gebt diesem Fest durch Eure Gegenwart
Die wahre Deutung! rüstet Euch zur Reise!
Der deutsche Dom des deutschen Kaisers harrt —
Den Schlußstein fügt auf kaiserliche Weise!“ —
Der Rotbart schweigt; der Held im weißen Bart
Ruft: „Diesen Wunsch will freudig ich erfüllen!
Der Kaiser darf beim Feste einz'ger Art
Sein Angesicht dem Volke nicht verhüllen.
Schürt blinder Eifer auch noch manchen Brand,
Und schleppt der Wahn zum Brande dürre Reiser,
Doch stehn die Besten all' im Vaterland
Ohn' Unterschied des Glaubens um den Kaiser.“ —
„Habt Dank, mein Held! Und was ich künde jetzt,
Es ist Prophetenwort und wird geschehen:
Nach tausend Jahren noch wird unverletzt
Der deutschen Einheit Kathedrale stehen!
Nach tausend Jahren wird zum Jubelfest
Des Doms ein Sproß von Eurem Stamme wallen,
Und weil sich deutsche Treu nicht brechen läßt,
Wird Gott und ihm ein Lobgesang erschallen!
[26]Des Morgenlandes Weise sprach die Gunst
Der Kirche heilig: so spricht uns und Euern
Gekrönten Bruder heilig einst die Kunst,
Und unsre Namen wird der Ruhm verteuern;
Des Doms Begründer und das Fürstenpaar,
Das ihn gefördert und zum Ziel geführet,
Als Dreigestirn sie leuchten immerdar,
So lang' ein Menschenwerk die Herzen rühret!“ —
Der Schemen schwindet, und des Lämpchens Schein
Erlischt; doch hold verklärt ein strahlend Lächeln
Des Träumers Antlitz, der sich noch allein
In finstrer Höhle wähnt. — Ein frisches Fächeln
Geht draußen durch den Park; der Nebel sinkt;
Der Vögel Jubelchor die Sonne feiert;
Demantenhell der Havel Spiegel blinkt,
Und Fahrlands Forst bei Sakrow steht entschleiert.
Die Thür zum Schlafgemache öffnet sich;
Der Kammerdiener huscht herein: „Noch immer
Schläft Seine Majestät! ich scheue mich,
Zu wecken ihn — —.“ Da flammt der blaue Schimmer
Der Kaiseraugen. „Wie? Freund Engel, schon?
Ich schlief wohl lang'? Mich führt' auf fernen Gleisen
Ein Traum. Ist Pückler da? Ruf ihn, mein Sohn!
Ich will ihn sprechen, weil wir nächstens reisen.“ —
[27]Freudige Jugend, du bist nicht mehr!
Fährt über Stoppeln der Wind daher,
Wird mir das Herz so bang, so schwer.
Wogte das Korn in goldenem Glanz,
Blitzte darin der Cyanen Kranz,
Jubelten Lerchen darüber her —
Zierde der Fluren, du bist nicht mehr!
Rosen erwachen noch jeden Tag,
Aber es welkt auch in Flur und Hag.
Leis in den Lüften klingt ein Ton —
Will denn die Lerche südwärts schon?
Schleicht schon heimlich der Herbst daher? —
Sprühende Sommerlust, bist nicht mehr!
Frisch noch das Herz, und das Auge klar,
Trotze dem Leben noch immerdar!
Aber die seligsten Träume — wie fern!
Aber mein Hoffen ein sinkender Stern!
Kämpfe ringsum und Sorgen schwer —
Freudige Jugend, du bist nicht mehr!
Das kranke Mädchen im Walde zur Herbstzeit
Du goldig schimmernd Laub am Buchenbaum,
Wie träumst du selig deinen letzten Traum
Und spielst bewegt im leisen Windeswallen.
Hat dich berauscht das warme goldne Licht,
Und ahnest du die nahe Stunde nicht,
Wo du mußt fallen?
[28]Den milden Hauch trinkt meine kranke Brust
Wie einen letzten Traum der Lebenslust:
Mir ist so wohl im herbstlich stillen Walde.
Vergessen will ich selig auch wie du,
Daß mir vielleicht zur letzten tiefen Ruh'
Ein Glöcklein ruft: wer weiß wie balde!
Nachwinter
Noch herrscht der Winter auf der Flur,
Doch fehlt sein schützend Schneegewand.
In graue Nebelflöre nur
Hüllt fröstend sich das öde Land.
Wie fleh'nde Arme streckt der Baum
Sein kahl und dürr Gezweig empor.
Und wie ein schwerer dunkler Traum
Fliegt dort ein Rabe übers Moor.
Weh dem, der glücklos und verwaist
Jetzt einsam seine Straße zieht!
Ihm singt der Schwermut finstrer Geist
Bethörend sein Sirenenlied.
Einschneidend fährt der Wind ihn an,
Wie Grabesodem feucht und kalt,
Und schaudernd fühlt er unterthan
Sein Herz dämonischer Gewalt.
Aufsteht vor ihm verjährte Schuld
Und foltert hin mit wilder Pein.
Die Sorge drängt mit Ungeduld,
In der Verzweiflung Nacht hinein.
[29]Verlockend rauscht der Bach ihm zu
„Komm, komm, ich ende deine Not!
Was kämpfest und was duldest du?
Komm, komm! Erlösung bringt der Tod!“
Abendtrost
Tief versenkt in bange Sorgen
Blieb verborgen
Mir des Maienabends Pracht.
Plötzlich klang aus blüh'nden Zweigen
In mein gramvoll düstres Schweigen
Eines Vögleins heller Jubel —
Und mein Herz ist aufgewacht.
Sah die letzten Sonnenträume
Um die Säume
Maiengrüner Waldeshöhn,
Junger Saaten üppig Wogen,
Stromesfluten, überflogen
Von den abendroten Strahlen —
O wie war die Welt so schön!
In der Vöglein Festfrohlocken
Klang der Glocken
Feierlicher Abendchor;
Und ich rief: O Mutter Erde,
Reifst du Pein auch und Beschwerde,
Deiner Schönheit Zauber tragen
Rettend aus dem Staub empor!
[30]Erinnerungsblätter
Gefallne Blätter spielen
Müd' über meinen Pfad —
Und wieder denk' ich deiner,
Mein alter Kamerad!
Hier war's: wir sahen die Schwalben
Vom Süden heimwärts ziehn,
Hier draußen und uns im Herzen
Sproßte das erste Grün.
Halb Kinder noch, halb Männer,
So gingen wir Arm in Arm,
Die Brust von junger Freundschaft,
Den Kopf vom Schwärmen warm.
Wir sprachen gar tiefe Worte
Von Leben, Gott und Natur,
Wir kamen selbst den letzten
Der Rätsel auf die Spur,
Wir sprachen gottlose Worte
Und waren doch frömmer nie —
Uns klang ja alles, alles
Zusammen in Harmonie.
O goldnes Kinderdenken
Du wurdest klug und alt!
Dein letzter Himmelsschlüssel
Verblühte längst im Wald. —
[31]Mir machen die Knabensorgen
Noch heut die alte Not;
Dir schloß die ernsten Augen
Der Eltern Kuß zum Tod!
An ein Kind
Heut wacht' ich wunder-, wunderglücklich auf,
Wie im Gefild der Seligen der Fromme,
Und noch umwob's wie Maiensonnenschein,
Wie goldne Unschuld frühlingshold mein Herz.
Doch sieh, nicht weiß ich, was mir heut geträumt:
Ein Bild, ein Ton, ein weiches, liebes Wort
Zog wohl wie eines Engels Scheidegruß
Noch lang' verschwebend über meine Seele —
Wie ich mich müht', ich konnt' es nicht mehr bannen!
Doch flimmernd weilt auf meinem Zimmer heut
Den ganzen Tag der Sonnenduft des Traums —
'S ist drin so hell, so kindheitsfrisch, so jung —
Die Arabesken der Tapete schlingen
Sich wunderlich zu drolligen Gestalten
Und schaun so närrisch-gravitätisch drein,
Wie unsre Kleinen, wenn sie würd'ge Alte
Im Spiele konterfein. Hör, im Kamin
Das Feuer kramt gewicht'ge Märchen aus:
Dem lauscht im Ofenschirm die Schäferin,
Und steif und schmachtend blickt sie in den Himmel —
Just wie 'ne Puppe, wenn die kleine Herrin
Gelernte Weisheit stolz zum besten giebt.
Und durch die Zittergräser, durch die Farne
Des Straußes dort im Wasserkruge huscht's
Wie Elfenspielen, und die Blumen gar
Mit ihren großen, klaren, blauen Augen:
[32]Unheimlich sind sie fast, so kindertief
Sehn sie mich an. Und sehn sie lang' mich an,
Dann denk' ich deiner, süße, kleine Tote,
Und wähne fast, daß heute nacht dein Geist.
Mit mir geplaudert.
Königlich Gebet
Senke, Mutter Natur, ewiger Liebe voll,
Süßen Wohllautes Geist tief in mein dürstend Herz,
Daß ich lebe dir, Schönheit,
Heil'ge Himmelentsprossene!
Laß mich wachsen und blühn, sicher in deinem Schutz,
Frei und fröhlich empor! wehre mit güt'gem Sinn
All dem Gifthauch der Seele!
Daß mir fromme des Lebens Mai.
Laß mich künden dein Lob, deines Gesetzes Wort!
Priester treu mich dir sein, schaffen das Gute gut!
Weise bessernd die Menschen,
Daß da komme der Wahrheit Reich.
Wenn das Alter mir naht, rühre mit sanfter Hand
Leise dann mir das Haupt! banne hinweg mir still
Von den Schläfen die Sorge, —
Lächle freundlich dem Genius!
Sinkt die Sonne hinab, dunkele mir Aug' und Sinn,
Nimm dann, Mutter, mich auf liebend in deinen Schoß!
Eins mit dir, laß mich wachsen
Ewig durch die Aeonen fort!
[33]Allzu schnell
Allzu schnell entfliehn die Stunden,
Und das Werk ist nicht gethan,
Was wir heut als wahr empfunden,
Morgen ist's ein schöner Wahn.
Irrtum muß mit Irrtum ringen;
Denn die Wahrheit dämmert fern.
Wollen wir zum Ziele dringen
Ist versunken schon der Stern.
Um das Gute zu begreifen,
Frommt ein langes Leben kaum;
Flatterhaft die Blicke schweifen
Durch den weiten Weltenraum.
Lebensweisheit zu erwerben,
Glückt vielleicht in spätem Jahr;
Doch wir müssen just dann sterben,
Wenn sie unser eigen war.
Sie zu nützen und zu künden,
Ist zu kurz die Lebenszeit;
Um das Höchste zu ergründen,
Reicht nur aus die Ewigkeit.
[34]Blumenschicksal
Wenn Blumen könnten sprechen,
Dann wär' ihr Leid bekannt;
Es würde sie nicht brechen
Die frevle Menschenhand.
Es liegt in ihrem Schweigen
Verborgen tiefer Sinn;
Von Kummer schwer sie neigen
Ihr Haupt zur Erde hin.
Wenn aufgeküßt vom Lichte
Sie lebensfroh erglühn:
Die Pracht geht schnell zu nichte;
Denn Leben heißt: Verblühn!
Drum zittern sie und zagen
Im zarten Farbenkleid;
Ihr Duft ist süßes Klagen
Von tiefem, tiefem Leid.
Die Nacht kennt ihre Schmerzen
Und stärker wallt ihr Duft;
Früh morgens sich die Herzen
In Thränen machen Luft.
Doch bei der Sonne Scheinen
Die Thränen all' vergehn:
Es soll ihr stilles Weinen
Der laute Tag nicht sehn.
So blühn sie uns zur Wonne,
Wir merken nicht ihr Leid;
Und jede neue Sonne
Weckt neue Herrlichkeit.
[35]Der erste Veilchenstrauß
Es harrt am hohen Portale
Ein schönes blasses Kind,
Umhüllt vom ärmlichen Kleide, —
Und eisig weht der Wind.
Im Auge glüht eine Bitte,
Der Mund spricht zögernd sie aus:
„Ich bringe des Frühlings Grüße,
Den ersten Veilchenstrauß!“ —
Ich nahm ihn aus ihren Händen,
Den lieblichen Blumenbericht;
Da verklärte ein Lächeln der Freude
Ihr kummerbleiches Gesicht.
Wie des Lenzes freundliche Gaben
Begleitet nagende Not;
Wie nah bei einander sie wohnen,
Des Lebens Lust und der Tod:
So quellen die süßesten Lieder
Hervor aus dem bittersten Leid;
Die duftigsten Blüten des Geistes
Sind Kinder der Traurigkeit.
Winterlied
Demantsterne groß und klein
Funkeln in der Sonne Schein
Zaubrisch von den Zweigen;
Kalt und öd sind Wald und Flur,
Ausgestorben die Natur,
Und die Vöglein schweigen.
[36]Doch die Welt, wie ist sie schön,
In den Tiefen, auf den Höhn
Noch im starren Leben!
In des Winters langer Nacht,
Aus krystallner Zauberpracht,
Frühlingsträume schweben.
Harre aus mit deinem Schmerz,
Weltverkanntes Dulder-Herz
Sonder Furcht und Wanken;
Denn aus schmerzerstarrter Brust
Sprudeln einst in höchster Lust
Leuchtende Gedanken.
Abseits vom Wege
Willst du auf staub'ger Straße vorwärts schreiten,
So wirst du nicht, was dich erquicket, finden,
Marksteine nur, die es dir trocken künden,
Wie viel du schon durchmessen von den Weiten.
Abseits vom Wege fand ich süßre Blüten,
So zart, so hold, wie Frühlingshauch im Walde,
Wie Elfentanz im Mondschein auf der Halde,
Und welche auch, die nächtlich duftend glühten,
Wie wenn der Tropen Kuß sie ließ entfalten —
Und lauten Herzschlag spürt' ich, leises Klingen,
Ich sah sie all', die luftigen Gestalten,
Die um den Dichter ihren Reigen schwingen —
Und ich erwacht' auf staub'gem Lebensstege
Von meinem schönsten Traum abseits vom Wege.
[37]Im Gebirg
Es rauschet der Gießbach hinab in das Thal
Im wilden, im tosenden Schäumen,
Hinweg über moosige Steine! Wie schnell,
Wie fröhlich du wanderst, du hast'ger Gesell —
Zur Seite die Tannen dir träumen.
Die stehen so einsam, so dunkel und still,
An schmucklose Felsen gelehnet;
Sie wachsen und grünen zum Himmel empor,
Dem Menschenherz gleichend, das alles verlor
Und nur nach oben sich sehnet.
Der Gießbach aber stürmt lustig vorbei
Und singt seine fröhlichen Lieder, —
Besprühend die Farren mit kühlendem Gischt,
In den sich's wie leuchtender Sonnenschein mischt,
Wie helle Demanten fällt nieder.
Gegrüßt sei, du wilder und schäumender Bach,
Du freier, du kecker Geselle!
Gegrüßt sei, du frische und würzige Luft,
Du wonnige Ruhe, du lieblicher Duft,
Du felsig-zerklüftet Gefälle!
Wie hebt sich die Seele da siegend empor,
Wie fühlt sie sich frei! Und sie badet
Sich froh in der freien, der sonn'gen Natur,
Wo überall Gottes erhabene Spur
Zum Schauen und Denken uns ladet.
[38]Schwalbenflug
Siehst du die Schwalbe, wie sie zieht?
Und blitzesschnell zur Ferne flieht?
Sie weiß, wohin die Reise geht:
Von Meereslüften mild umweht,
Durchschneidet sie des Äthers Blau,
Wie Erdendunst und Nebel-Grau;
Nach den Gesetzen der Natur
Folgt sie der eignen lichten Spur.
Und sollt' der Mensch es nicht verstehn,
Die eigne Lebensbahn zu gehn?
Besitzt er nicht die Willenskraft,
Die unabhängig, frei ihn macht?
Daß er durch innern tiefen Drang,
Was gut und wahr, erkennen kann
Und seiner Seele fernem Zug
Nur folget, ihres Geistes Flug!
Frage nicht
Frage nicht, warum der Freude
Beigesellt das Leid muß sein?
Gottes Hand wand dir sie beide
In den Kranz des Lebens ein!
Blüten, die sich erst entfalten,
Hüllt er in der Knospe Grün,
Was an Reiz sie reich enthalten,
In der Zukunft wird dir's blühn!
[39]Schützt er doch die holde Rose
Durch der Dornen scharfe Wehr;
Um das Veilchen baut aus Moose
Ein Versteck er rings umher.
Selbst die welk gewordne Blüte
Trennt er nicht von aller Pracht,
Schafft, daß milde dein Gemüte
Das Erinnern glücklich macht.
Wie der Sarg des, der vollendet,
Unterm Blumenschmucke ruht,
Wird, was wohl hier wird beendet,
Für das Dort ein heilig Gut!
Drum frag nicht, warum der Freude
Ward das Leid so nah gestellt:
Erd' und Himmel wurden beide
So einander zugesellt.
Das Rosenblatt
Ich hörte dich im Zorn von deinem Bruder sagen:
„Des Menschen Treiben läßt sich länger nicht ertragen!
Das Maß der Schuld ist voll, und voll das Maß der Duldung;
Nun komme über ihn die Folge der Verschuldung!“
Ich aber ging hinweg und ließ den Zorn sich legen,
Und mahnend bring' ich nun ein Gleichnis dir entgegen. —
[40]Sieh dieses Glas gefüllt, gefüllt zum Überfließen;
Du wähnst, es sei nicht mehr ein Tropfen zuzugießen.
Ich aber brech' ein Blatt aus jener Rose Gluten,
Gebogen wie ein Kahn, und setz' es auf die Fluten.
Und in den kleinen Kahn lass' ich manch Tröpflein fallen;
Die Flut im Glase trägt's und wird nicht überwallen.
So faßt das Maß der Schuld, ob auch gefüllt zum Rande,
Gar manchen Tropfen noch, und nichts verrinnt im Sande.
Nur sorge, daß die Hand mit weiser Schonung schiebe
Als Tragkahn auf die Flut das Rosenblatt der Liebe!
Kosmopolitisch
In fremde Länder mußt' ich frühe gehen
Und fühlte mich in ihnen wie verbannt;
Als ich Verbannte dann bei uns gesehen,
Von Liebe zu der Heimat übermannt, —
Da streifte mich des Weltengeistes Wehen,
Und meine Seele hat es tief erkannt:
Jedwedes Vaterland ist eine Fremde,
Und jede Fremde ist ein Vaterland.
Lebenswanderung
Ein ewig Wandern ist des Menschen Leben,
Von Berg zu Thal, von Thal zu Berge weiter,
Bald über sich den Himmel sonnig heiter,
Bald von Gewölk der Sonne Glanz umgeben.
[41]Und stehst du still auf flüchtige Minuten,
Sieh hinter dir der Berge steile Massen,
Die blau im fernen Ätherduft verblassen,
Noch leis gegrüßt von letzten Abendgluten.
Und alle Schluchten, alle rauhen Wege,
Die du durchschritten einst in heißen Stunden,
Sind in der blauen Ferne längst entschwunden,
Als ob ein Eden hinter dir nun läge.
Und sieh, dort winken neue Höhn herüber,
Mit blauem Duft gekrönt, dich einzuladen,
Als ob auf ihren steilen Felsenpfaden
Kein heißer Tag dein wartet' und kein trüber.
Nur wo du stehst, nur auf dem engen Raume,
Da sind zerklüftet, öd und rauh die Steine,
Da sengt die Sonn' auf heißen Fels, und keine
Erquickung winkt dir unter schattigem Baume.
Und dennoch weißt du, daß auch jene blauen
Lockenden Fernen solche Klüfte waren,
Die du durchpilgert hast vor manchen Jahren,
Und die so freundlich jetzt herniederschauen.
Wie wund die Steine dir die Füße brennen,
Auch sie wird einst der Ferne Zauber hüllen,
Und auch der Schmerz wird dich mit Lust erfüllen,
Wenn dich von ihm erst Tag' und Jahre trennen.
Und auch dem Stein entringt sich manche Blüte,
Späh emsig nur umher, sie auszufinden:
Vielleicht gelingt es, einen Strauß zu winden,
Der Trost verleiht bescheidenem Gemüte.
[42]Glockenriß
Dumpf und traurig ist der Ton
Einer Glocke, die zersprungen,
Jede Harmonie entflohn,
Die so süß dir einst erklungen;
Aber größer brich den Spalt,
Und es wird dir wieder bald
Das harmonisch süße Klingen
Aus dem Riß entgegendringen.
Riß ein Menschenherz entzwei,
Hin sind seine Melodieen,
Und mit dumpfem Klageschrei
Muß des Friedens Geist entfliehen;
Aber brach des Todes Schmerz
Erst das arme bange Herz,
Findet es verlorne Lieder
Und den alten Frieden wieder.
An die Arbeit
Wer gebeut den wilden Wellen,
Die dem starken Mann
Mit gewaltigen Schlägen schwellen
Bis ans Herz hinan?
Arbeit macht die Qual vergessen,
Allen Jammer unermessen
Deckt mit sanfter Ruh
Arbeit lindernd zu.
Wund und matt vom Druck des Lebens
Flüchtet' ich zu ihr,
Und ich suchte nicht vergebens:
[43]Ruhe gab sie mir;
War's auch eines Kirchhofs Ruhe,
Wenn man in der stillen Truhe
In das Grab hinein
Senkt sein Liebstes ein.
Nicht dies dumpfe finstre Brüten
Um verlornes Glück;
Ach, die hingewelkten Blüten
Bringt es nicht zurück!
In den Strom des Lebens eile,
Schaff und teile, stärk und heile,
Frischer That bewußt,
Die gepreßte Brust!
Rückwärts fliehn die bleichen Schatten —
Laß, o laß sie fliehn!
Nach dem Ziele ohn' Ermatten
Laß die Seele ziehn!
Werd im ernsten Kampf der Geister
Der Gefühle sichrer Meister;
So nur kehrt das Glück,
Glaub es, dir zurück.
Fern und Nah
Es reißen Erde nicht noch Meere,
Es reißet nicht des Grabes Schoß,
Ja nicht des Himmels lichte Sphäre
Zwei Herzen voneinander los,
Die sich in inniger Liebe Banden
Für ewig, ewig eins empfanden.
[44]Und ob in nachbarlichen Wänden,
Wie nahgestellt zu Freud' und Leid,
Sich auch zwei Menschenherzen fänden,
Die ewig finstrer Haß entzweit:
Die Herzen sind sich ewig ferne,
Geschieden wie durch Himmelssterne.
Nur der Gedanke trennt und gattet
Die Menschen hier im Erdenthal,
Wo frühe Dämmerung umschattet
Der Lieb' und Freundschaft holden Strahl.
Kann ein Gedanke wohl uns beiden
Mehr Trost verleihn, indem wir scheiden?
Im Frühling
Bin im Frühlings-Prangen
Vorig Jahr gegangen
Diesen Weg entlang,
Als mein blonder Knabe
Leicht am leichten Stabe
Lustig vor mir sprang.
In das Thal hernieder
Steig' ich heuer wieder
In des Frühlings Pracht;
Doch mein blonder Knabe
Liegt im stillen Grabe,
Schläft in ewiger Nacht.
Schart euch, meine Lieben,
Die ihr mir geblieben,
Dichter um mich her;
Schließt dem Aug' die Lücke,
Die in unserm Glücke
Riß das Schicksal schwer!
[45]Hanna
Sieben Nächte, sieben Tage
Hallte der Verzweiflung Klage
Durch Karthagos Straßen hin;
In des Brandes Flammenlodern
Über Leichen, die vermodern,
Die sich neu im Kampfe türmen,
Sah man Romas Krieger stürmen,
Scipio als Sieger ziehn.
Byrsa nur, die hohe Feste,
Ragte noch, wo flücht'ge Reste
Trotzten hinter Wall und Turm;
Doch der Imperator winket,
Vor dem Mauerbrecher sinket,
Was die Gluten nicht erreichen;
Dreimal scholl der Tuba Zeichen,
Gab Befehl zum letzten Sturm.
Alle Hoffnung war verloren;
Jetzt erst aus des Schlosses Thoren
Brach sich eine Schar die Bahn;
Mit des Gottes heil'gen Binden,
Die sie um den Ölzweig winden,
Knien sie hin im Staub und beben,
Flehen um das nackte Leben
Ihres Feindes Mitleid an.
[46]Gnade sprach aus Scipios Blicke,
Und sie nehmen ihr Geschicke,
Wie es fiel, aus seiner Hand;
Schon beim frühen Morgengrauen
War ein langer Zug zu schauen;
Nieder wanken die Gestalten,
Die sich mühsam aufrecht halten,
Von des Hügels steilem Rand.
Öde war's dort. Waffenblitze
Schimmerten nur auf der Spitze
Bei Asklepios' Tempelsaal;
Hoch hinauf die sechzig Stufen
Ging ein Laufen, ging ein Rufen;
Zuflucht hier noch zu gewinnen,
Eilte zu des Daches Zinnen
Mit den Seinen Hasdrubal.
Standhaft blieben ihm zur Seite
Hundert Krieger als Geleite,
Wie dem König es gebührt;
Auch die Gattin war nicht ferne,
Leuchtend gleich dem Morgensterne,
Hanna, sie voll Jugendschöne,
Neben ihr die kleinen Söhne,
Die sie an den Händen führt.
Götterzorn nicht zu beschwören,
Sich im Stolz nicht zu bethören,
Drängte sie mit Bitten ihn;
Doch auch jetzt der Seinen Leben
Achtet er nicht preiszugeben,
Er, der einst mit blindem Grimme
Hörte keiner Warnung Stimme,
Als noch Friede möglich schien.
[47]Kalt gleich einem Marmorbilde,
Steht er, hingelehnt am Schilde,
Hinter ihm die kleine Schar;
Finster blickt er hin zum Grunde,
Zu dem offnen Feuerschlunde,
Wo des Qualmes düstre Wolke
Hinzieht über seinem Volke,
Das sich beut der Fessel dar.
Horch! da hört man's näher brausen,
Wie des Meeres Stürme sausen,
Wie des Samums Atem geht;
Bis zum Tempel vorgedrungen,
Leckten schon die roten Zungen,
Und von unten rief's: „Der Ehre
Ward genügt; von Gegenwehre
Lasset ab, bald ist's zu spät!“
Hasdrubal vernimmt's; er schwanket,
Im Entschluß, er zittert, wanket
Und erliegt dem innern Kampf;
Von der Stirn die Königsbinde
Reißt er, daß sie fliegt im Winde;
Straffer zieht er die Gewande,
Daß sie bergen seine Schande,
Eilt hinab durch Rauch und Dampf.
Unten beugt er sich dem Sieger;
Doch ihm folgten nicht die Krieger,
Und auch Hanna blieb zurück;
Lautlos war er fortgegangen,
Keine Sehnsucht, kein Vorlangen
Nach der Gattin, nach den Sprossen,
Deren bittre Thränen flossen,
Wandte seinen feigen Blick.
[48]Hanna starrt mit bleichem Munde,
Und wie ihn die Schreckensstunde
Umgewandelt, so auch sie;
Wie ihn Todesfurcht umnachtet,
Ist's der Tod, nach dem sie trachtet;
Soll sie Sklavenketten tragen,
Folgen des Triumphes Wagen?
Lebend schaut sie Roma nie!
Und sie denkt mit Scham der Bitte,
Daß er lenke seine Schritte
Gnadeflehend niederwärts;
Seine Schmach, die eignen Schwächen
Will sie sühnen, will sie rächen,
Küßt noch einmal ihre Lieben,
Küßt den Dolch, der ihr geblieben,
Stößt ihn — in der Kinder Herz.
Dann die warmen kleinen Leichen
Birgt sie in des Mantels reichen
Purpurfalten, den sie trägt,
Schmückt sich, wie zur Hochzeitsfeier,
Mit der Krone, mit dem Schleier,
Und, gleich Dido, in der Flammen
Glut versinkt sie, die zusammen
Über ihrem Haupte schlägt.
Krachend stürzt die Tempelhalle
Und begräbt mit ihrem Falle,
Was noch atmet dort und lebt;
Aus des Schuttes schwarzen Grüften
Dringt ein Wehschrei zu den Lüften;
Punier, Römer, Männer, Frauen,
Die es hören, faßt ein Grauen;
Selber Scipio erbebt.
[49]Sinnend tritt er aus dem Kreise;
Mit Polybius spricht er leise,
Seinem Freunde, dem er winkt;
Ahnungsvoll am Schauerorte
Flüstert er des Dichters Worte —
Prophezeiung war's und Klage:
„Kommen werden einst die Tage,
Wo die heil'ge Ilios sinkt!“
An meine Laute
Freundin meiner Jugendtage,
Noch im Alter mir so treu,
Weckest du der Sehnsucht Klage
Wieder mir im Herzen neu?
Tausend Bilder schönrer Zeiten
Rufst du in der Seele wach,
Doch im Nachhall deiner Saiten
Hör' ich stets ein schmerzlich „Ach!“
Als mir nichts den Frieden trübte,
Als ich froh ins Leben sah,
Als noch mein war, was ich liebte,
O wie anders klangst du da!
Einst Gefährtin meiner Freude,
Heitrer Sangeslust geweiht,
Bist mein Trost du jetzt im Leide,
Teilst mit mir die Einsamkeit.
Freundin meiner Jugendtage,
Noch im Alter mir so treu,
Weckst du mit der Sehnsucht Klage
Mir nicht auch die Hoffnung neu?
[50]Mut'ger rauschen deine Saiten,
Stimmen tönen aus den Höhn:
„Zage nicht! die Jahre gleiten;
Ewig währt das Wiedersehn!“
Seerose
Weiße Rose,
Die dem Schoße
Dunkler Fluten du entquillst,
Wem wohl soll ich dich vergleichen?
Ach, ich kenne deine Zeichen,
Weiß, was du mir sagen willst:
Wenn am düstern
Abend flüstern
Schilf und Busch den Gruß der Nacht,
Öffnet sich die Geisterpforte,
Und mir ist, als hört' ich Worte
Deinem Kelch entsteigen sacht.
Reine Blüte
Im Gemüte,
Die dem Himmel sich erschloß,
Ringt sich, um so schnell zu leuchten,
Nur aus dunklem thränenfeuchten
Grunde tiefer Schmerzen los.
[51]Mahnung
Beachte, was die Blume klagt,
Wann sie dir ihren Kelch erschließt,
Und merke, was der Weinstock sagt,
Wenn Wein er aus den Adern gießt.
„Willst du dein Herz erfreun am Duft,
So rieche dran mit heil'ger Scheu,
Und atme wieder freie Luft.
So bleibt der Duft dir ewig neu!“ —
„Und soll mein Blut von Segen sein
Und Hohes regen in der Brust,
So brauche mäßig nur den Wein,
Genieße kurz die süße Lust!“
Und was die Blume dir geklagt,
Und was der Weinstock dich gelehrt,
Das sei von allem Glück gesagt,
Das uns des Lebens Wert beschert.
Die Freude bringt nur dann Gewinn,
Wenn du sie brauchst mit rechtem Ziel;
Doch Fluch liegt tief verborgen drin,
Wenn aus dem Wenig wird Zuviel.
[52]Den Feinden der Liebe
Wenn Natur ihr treues Lieben
Uns so recht erschließen will,
Öffnet sie der Blumen Kelche,
Läßt den Duft entströmen still.
Legt so manchem kleinen Sänger
Süße Lieder in die Brust,
Daß er singe treue Liebe,
Wecke Menschenliebelust.
Sendet aus dem blauen Himmel
Goldnen Strahl auf klare Flut,
Läßt der Trauben Fülle schwellen
An der Sonne Feuerglut.
Läßt durch dunkle Blätterhüllen
Goldene Orangen glühn,
Läßt im höchsten Farbenglanze
Ihre Blumenkinder blühn.
Sendet von der ew'gen Liebe
Einen Strahl in jede Brust,
Daß er sich zur Flamm' entfache,
Liebe übe unbewußt.
Leider nur in wenig Herzen
Dringet echter Liebe Schein;
Um die meisten liegt ein Panzer,
Führt kein Weg und Steg hinein.
[53]Gefahr
Ich saß am blumigen Ufer,
Der Strom zieht still vorbei,
Und murmelt eine dunkle
Und seltne Melodei.
Doch endlich aus dem Rauschen
Versteh' ich manches Wort,
Das singet und das klinget
Im Traume immer fort:
„Willst du nicht mit uns ziehen,
Du menschgewordnes Leid,
Willst du nicht mit uns fliehen
Ins Meer der Ewigkeit?
In sanfte, weiche Kissen
Wir betten dich hinein,
Mit königlichen Weisen
Singen wir gern dich ein.“
Den sonderbaren Klängen
Hab' lange ich gelauscht,
Und bittender, ja klagend,
Hat mich der Strom umrauscht.
Wie Lieder froher Jugend,
So drang es mir zu Herz,
Wie Weisen von der Wiege,
Voll grünem Liebesscherz.
Da wollt' es mich erfassen
Und ziehen tief hinab:
Ein Schifflein kam geschwommen,
Hielt mich zurück vom Grab.
[54]Das war mein guter Engel,
Vom Himmel mir gesandt,
Der hat mein Lebensschifflein
Zum Rechten hingewandt.
Gefährlich ist's, zu stehen
Allein am stillen See,
Wenn still im Herzen schlummert
Ein unauslöschlich Weh.
Trost
Herz, du schlägst so bang und traurig,
Findest nirgends Ruh noch Rast,
Sehnst dich nach vergangnen Zeiten,
Wo gesehn du Bess'res hast.
Dulde ringend bis ans Ende,
Harre aus im heil'gen Krieg,
Gingst du drüber auch zu Grunde:
Ohne Kampf erblüht kein Sieg.
Zage nicht, das tiefste Leiden
Ändert sich und wird vergehn.
Aus dem Tod erblühet Leben,
Aus der Trennung Wiedersehn.
[55]Bischof Meinwerk
Der Bischof einst zu Paderborn
Manch trächtig Schaf erwürgen hieß;
Das Fell der Lämmer ungebor'n
Als Marderkürsch er nähen ließ.
An Kaiser Heinrich, zubenannt
Der Heil'ge, ward der Pelz gesandt.
Der Kaiser stolz den Mantel trug
Und laut den seltnen Marder pries,
Bis ihn gar bald ein Höfling klug
Aus seinem schweren Irrtum riß:
„Der Bischof zog, der schlaue Mann,
Dem Kaiser einen Schafsrock an!“
Der Kaiser lacht; er nimmt's nicht schief.
Es kam der Bischof selber an
Bald drauf bei Hof. Der Kaiser rief
Im stillen seinen Kapellan
Und sprach: „Schnell nach dem Meßbuch lauf
Und schlag die Totenmesse auf!“
Und wo im Buch „pro famulis
Et famulabus“ steht, allda
Er sauber ihn radieren ließ
Hinweg bei jedem Wort das „fa“;
Der Bischof, sonst im Kopfe klar,
Lateinisch schlecht beritten war.
[56]Der Kaiser sprach: „Ehrwürd'ger Herr,
Ich bitt' Euch, übernehmt die Müh',
Für meine Väter, Gott zur Ehr',
Singt eine Messe morgens früh!“
Und früh im Trauermeßgewand
Der Bischof am Altare stand.
Es sang für der Verstorbnen Heil'
Der Bischof fromm in Moll und Dur
Vom Pergamente Zeil' für Zeil',
Bis daß er stand an der Rasur:
Und anstandslos es domentlang
„Pro mulis et mulabus“ klang.
Der Kaiser in die Lippen biß
Und sprach beim Mahl in Heiterkeit:
„Herr Bischof, Dank fürs Mardervließ!
Doch welche Messe sangt Ihr heut?
Ihr habt in Eurem Meßgebet
Für Maultiers Seelenheil gefleht!“
Laut alles an zu lachen fing,
Mitlachte der gefoppte Mann;
Doch als er hörte, wie es ging,
Da bleute er dem Kapellan
Den Rücken so, daß der verschwur
Für ewig jede Korrektur.
[57]Das Komma
Verachtet mich, das Komma, nicht!
Oft ohne mich man sich zerbricht
Umsonst das Hirn, es fallen
Die Weisen sich ins Haar verpicht;
Ein Beispiel steh' statt allen:
Es ist der Papst unfehlbar nicht
In Irrtum kann er fallen.
Allhier, wo unentwirrbar flicht
Sich Wort an Wort, bring' ich nur Licht;
Und zögernd ernst man langsam spricht
Aus Vatikan'schen Hallen:
„Es ist der Papst unfehlbar, — nicht
In Irrtum kann er fallen!“
Doch wer dagegen hitzig ficht,
Läßt es mit Nachdruck schallen:
„Es ist der Papst unfehlbar nicht, —
In Irrtum kann er fallen!“
Das Komma sprach's, und ins Gesicht
Gar boshaft allen lacht der Wicht.
Übertriebene Hoffnungen oder Münchhausens Versprechung
Ich weiß ein Land (wo? sei verschwiegen),
Da ist die Bildung hoch gestiegen;
Da trägt das Schaf im Wollenkittel
Den Doktorhut und manchen Titel;
Da muß der Esel hoch studieren,
Der stumme Fisch muß deklamieren;
[58]Es bläst der Frosch „die Zauberflöte“,
Es liest der Ochs im Stall den Goethe,
Nachkratzt die Henne in den Lehm
Kaulbachs „zerstörtes Jerusalem“.
Und wollt zu dieser Kunst und Tugend
Befördern ihr auch eure Jugend,
So sagt es nur, ich kann's betreiben:
Ich darf nur nach dem — Schulplan schreiben.
Der deutsche Manglebaum (1815—1866)
Zeitbilder
Groß ist der Stamm Deutschlands; doch zur Erde ein jegliches Ästlein
Senkt Luftwurzeln und will heißen ein eigener Baum.
De mortuis nil nisi bene (1867)
Zeitbilder
Heuchler, mit Steinen und Kot einst warfst du den schlafenden deutschen
Bund; doch seit er verschied, jammerst und heulst du um ihn.
Kyffhäuser (1869)
Zeitbilder
Horch, dumpf trommelt's im Berg! Es bedeutet der fliegenden Raben
Banges Gekrächz', daß vom Schlaf endlich der Kaiser erwacht!
Das Hermannsdenkmal
Zeitbilder
Schwinge das Schwert in der riesigen Faust Jahrtausende, Hermann!
Fällst du, so schirme dein Geist noch die germanische Mark!
[59]Lessings hundertjährige Todesfeier
15. Februar 1881
Zeitbilder
Kränze des Danks auf die Gruft nach hundertjährigem Zweifel
Deutschland streut dir und fleht: Gieb mir die Wahrheit, o Gott!
Denkwürdige Planetenkonjunktion
Hohenzollern und Augustenburg. Vermählungsfeier zu Berlin am 26. Feburar 1881
Zeitbilder
Jupiter stürzte Saturn. — Nun wundre dich, Erde: die beiden
Feindlich Entzweiten vereint Venus im Glück des Olymps!
Alpenklub
Relative Wahrheiten
Der Staatsdienst ist ein Bergansteigen;
Die höher stehn, herab sich neigen
Zum Schwächern, und sie ziehn mit Kraft
Aufwärts die ganze Vetterschaft.
Recipe
Relative Wahrheiten
Wiß alles besser und sei steif und dreist
Und ignorier' des Anderen Verdienst und Thaten:
Dann hast du mit dem nöt'gen Herrschergeist
Untrüglich ein Rezept zu einem Bureaukraten.
Überfluß und Mangel
Relative Wahrheiten
Sei kein Allerweltsverkenner,
Sei kein finstrer Zeitverkläger! —
Weißt du das nicht? Hosenträger
Giebt es immer mehr als Männer.
[60]Zeitgeist
Sie bauen Kirchen, hoch und hehr,
Die stolz zum Himmel streben,
Doch sind die Herzen glaubensleer,
Dem Weltsinn nur ergeben.
Sie baun Paläste für die Kunst
Im allerreichsten Stile,
Doch schenken sie nur ihre Gunst
Dem Aftermusenspiele.
Es ist ein inn'rer Widerspruch,
Der nimmer kann genügen,
Wenn sie mit all dem äußern Trug
Sich selber auch belügen!
Jugendzeit
Jugendfeuer, Jugendlust,
Wohliges Behagen,
Läßt das Herz in unsrer Brust
Frohen Mutes schlagen.
Sorge um den andern Tag
Soll uns nicht verdrießen:
Komme, was da kommen mag,
Heute gilt's Genießen!
Jugendzeit entschwindet doch
Allzu früh auf immer,
Wirft sie auch ins Alter noch
Der Erinn'rung Schimmer.
[61]Laßt drum, unsers Glücks bewußt,
Freudig, doch in Ehren,
Uns den Becher ihrer Lust
Bis zur Neige leeren!
Mein Tagebuch
Ich fand aus frühern Zeiten
Mein altes Tagebuch,
Das auf vergilbten Seiten
Gar reichen Inhalt trug.
Und als ich es gelesen,
Dünkt mir vergangen kaum,
Was lange schon gewesen —
Mir war es wie ein Traum! —
Ich sah mein Mühn und Ringen
Nach hochgestecktem Ziel
Bald scheitern, bald gelingen
Im wechselvollen Spiel.
Rings tauchten mir Gestalten —
Vergess'ne — wieder auf,
Und liebe Stimmen hallten
Vom Geisterreich herauf.
Es waren schöne Stunden,
Die mir das Buch gewährt,
Wo mir, was längst entschwunden,
Die Gegenwart verklärt.
[62]Jedem das Seine
Ich liebe nicht die ausgetretnen Gleise
Und nicht die Bahn, die Tausende schon wandeln.
Ich lebe gern auf meine eigne Weise,
Ein freier Mann in meinem Thun und Handeln.
Doch gönn' ich gleiches Recht auch allen andern
Und will auch keinen, mir zu folgen, bitten.
Es möge jeder seine Straße wandern,
Nur muß er achten Gott, Gesetz' und Sitten.
Wie dürften wir auch richten und verdammen?
Dient doch verschiedne Kraft dem Weltgetriebe,
Und viele Wege gehn am Ziel zusammen:
Drum ziemt uns allen Duldsamkeit und Liebe.
Bekenntnis eines Optimisten
Mein Lied klingt nicht im priesterlichen Stil,
Erfüllt von aller Wesen Schuldgefühl;
Nicht hängt sein Aug' erbangend an der Gruft,
Zum Himmel steigt aus ihm kein Sehnsuchtsduft.
Die Sünde ahn' ich und der Sünde Leiden,
Doch wilde Blumen wachsen über beiden.
Ich klage nicht dem Weltschmerz meinen Zoll,
Vom Elend alles Erdendaseins voll;
Ich spinne nicht den Sang der Einsamkeit,
Noch schrei' ich, wie der Hirsch nach Wasser schreit.
Auch ich sah Nattern schleichen, Blitze fallen —
Doch eine Sonne strahlet über allen.
[63]Ich pfeife nicht des Spötters Melodie.
Zu leichter Pfeil dünkt mich verlorne Müh,
Der Speerwurf grausam, welcher schmerzlich trifft,
Ruchlos die Hand, die träuft in Wunden Gift;
Was mir mißfällt, soll nicht von Spott noch kranken,
Denn etwas hab' ich jedem Ding zu danken.
Ich schelte nicht, ein zorniger Prophet,
Der grollend auf der Zeiten Warte steht;
Ich drücke nicht mit eiferglühem Stahl
Der Schande auf die Stirn das Kainsmal;
Nicht Furcht noch Trotz auspräg' ich den Gesichtern; —
Das Schlechte beugt von selbst sich seinen Richtern.
Ich bin die Lerche, die dem Feld entfliegt
Und sich am Wohllaut ihrer Brust vergnügt;
Die Blume bin ich, die zur Sonne dreht
Ein Lufthauch, der sich gern mit Duft belädt,
Die Biene, der selbst gift'ge Blüten taugen,
Aus ihrem Kelch den süßen Seim zu saugen.
Ich fleh' zur Wolke: Wilde, flieh' vorbei!
Ich schaff' im Winter mir ein Stückchen Mai;
Ich flög' vom Morgen- bis zum Abendrot,
Könnt' ich damit entfliehn nur einer Not;
Von Gräbern seh' ich nichts, als drauf die Rosen, —
Mein Auge haftet nicht am Wonnelosen.
Ich bin nicht feig: giebt mir die Not nicht Raum,
Ich zwing' sie nieder, doch dann acht' ich's kaum.
Stets rechn' ich mit dem Tag erst, wenn er naht;
Auf ferne Zukunft werf' ich keine Saat.
Ich habe kein Gedächtnis meiner Leiden,
Und doch den Mut, von dieser Welt zu scheiden.
[64]Wo ist der Neid? Hier steh' ich, seiner wert;
Ich bin vom Tau des Glückes groß genährt.
Wo ist, der finster diese Welt verklagt?
Ich halt' ihm Widerpart, ich hab's gewagt.
Wie viel' Gott hat vom Paradies getrieben:
Ich und mein Herz, wir zwei sind drin geblieben.
Der deutsche Michel
Einst war ich als deutscher Michel
Ein Spott der ganzen Welt, —
Doch schweigt nun alles Gestichel,
Denn ich ward ein berühmter Held.
Einst sang ich von Nixen und Elfen
Und zärtlichem Herzenserguß —
Das kann mir jetzt nichts mehr helfen,
Denn ich ward ein Politikus.
Einst war ich linkisch und schüchtern,
Doch froh beim vollen Glas —
Jetzt bin ich stramm und nüchtern,
Denn der Ernst geht über den Spaß.
Einst folgt' ich dem Glockengeläute
Und fehlt' in der Kirche nie —
Ungläubig bin ich heute,
Denn ich treibe Philosophie.
Vergebens mit seiner Sichel
Späht nun der Tod umher
Nach dem alten deutschen Michel,
Denn ich bin ich selbst nicht mehr!
[65]Das neue Reich
Vollendet steht — Dank unsern Schlachtgewinnern —
Und festgegründet schaut in Herrlichkeit
Das Reich nach außen sriedlich, — doch im Innern
Weckt neu von Rom geschürter Glaubensstreit
An sinstre Zeit ein mahnendes Erinnern.
Wohl ragt der Baum der Einheit hoch und weit,
Und wetterfest, wie sehr der Sturm auch wüte;
Doch schmückt ihn noch kein Laub und keine Blüte.
Nichts Großes — außer neuem Schlachtenruhme —
Enthüllt er uns, als was wir längst schon hatten:
Zu seinen Füßen sproßt manch schöne Blume,
Die Krone giebt ihr weder Licht noch Schatten;
Rings reift das Korn aus setter Ackerkrume,
Tas Gras wächst hoch auf wohlgepflegten Matten —
So ist es heute, und so war es immer,
Es ward damit nicht besser und nicht schlimmer.
Schön steht der Heldenstirn der Lorbeerkranz,
Toch was das Schwert gewann, kann es verlieren,
Und einem großen Reich geziemt's, mit Glanz,
Der unvergänglich, seine Macht zu zieren.
Mauch hochbegabter Sohn des Vaterlands
Muß harmvoll um sein täglich Brot hantieren,
Der sorglos, an den rechten Platz gestellt,
Ein Stolz des Reiches würde und der Welt.
Doch für Genies ist noch kein Platz gefunden,
Zu hohem Ziel sie fördernd zu vereinen;
An Rang und Titel bleibt, was gilt, gebunden:
Am meisten gelten, die am meisten scheinen,
Und so vom Ehrenflittern gleich umwunden
Gesellt sich leicht das Hohe dem Gemeinen
[66]Der Genius wird höchstens nur geduldet
Und durch ein Band im Knopfloch angehuldet.
Im Felde siegten große Schlachtenmeister
Durch Einheitskraft und überlegnen Plan,
Zum Sieg des Schönen eint kein Bund die Geister,
Ein jeder kämpft sich durch auf eigner Bahn;
Die Einzelkraft versagt, wo immer dreister
Die Schwärme geistiger Verwildrung nahn;
Manch edler Geist verfällt — weil nicht gehalten —
Wehrlos dem Zug dämonischer Gewalten.
Hier krankt das deutsche Reich. Mög's bald gesunden!
Daß Schönheit seinem Glanze sich vermähle; —
Wenn echt, ist sie der Wahrheit eng verbunden,
Die allem Großen Leben giebt und Seele;
Sie scheucht den Trug, hat Balsam für die Wunden
Und macht, daß nicht dem Baum die Blüte fehle,
Die wunderthät'ge Frucht enthüllt, vom Bösen,
Das Deutschland noch bedrängt, uns zu erlösen.
Der Vesuv
Der Vesuv speit seine Gluten
Himmelan aus Höllenschlunde,
Und ein Meer von Lavafluten
Wogt verheerend bis zum Grunde.
Aber höh're Mächte wecken,
Wo die Glut erstarrt verglühte,
Neues Leben und bedecken
Lava selbst mit frischer Blüte.
[67]Aus den Schlacken der Zerstörung
Rote Blüten treibt die Feige;
Aus der Asche der Empörung
Streckt der Ölbaum Friedenszweige.
Verschiedener Beruf
In wen die Götter ihren Odem hauchen,
Der ist geweiht, das Höchste zu vollbringen,
Klar kann sein Blick in dunkle Tiefen tauchen,
Sein Feuergeist zu allen Lichthöhn dringen;
Doch für Gemeines ist er nicht zu brauchen
Und nur zum Hochflug wuchsen ihm die Schwingen;
Treibt Zwang und Not ihn in die Werktagsbahn,
So geht er schwankend wie am Land ein Schwan.
Recht und Unrecht
Wenn sich zwei Menschen streiten,
Liegt nie das Recht ganz klar:
Ein bißchen ist immerdar
Unrecht auf beiden Seiten.
Geduld und Nachsicht üben,
Ist besser allezeit
Als selbst durch Recht im Streit
Bewährte Freundschaft trüben.
Leicht springt uns von der Zunge
Ein unbedachtsam Wort,
Hält man's nicht auf im Sprunge,
Wirkt's unbedachtsam fort.
[68]Alt und Neu
Wer das Alte pflegt mit Starrheit,
Unberührt vom Strom der Zeit,
Ist so groß in seiner Narrheit,
Als wer Neues sucht mit Streit.
Zu gewahren, was im Innern
Sich der ganzen Schöpfung regt,
Als ein Ahnen und Erinnern
Jede Menschenbrust bewegt:
Dies lebendig zu gestalten
Durch der keuschen Muse Gunst,
Solches war die Kunst der Alten
Und bleibt stets die wahre Kunst.
In fremder Zone
Nun, wo vom eignen Dufte trunken
Der Lorbeerwald in Schlummer liegt,
Und nur wie ein verirrter Funken
Im dunklen Laub der Glühwurm fliegt:
Nun führt der Traum den Elfenreigen
Und streut den Mohn mit leichter Hand;
Ein tiefes, atemloses Schweigen
Hält jeden Wunsch von hier gebannt.
Und doch, ich weiß es nicht zu sagen,
Was mich so eigen mahnt auch hier;
Bei all dem Zauber muß ich klagen:
Du fehlst, geliebte Heimat, mir.
[69]Um stille Haiden gern vertauschen
Würd' ich der Wildnis Blütenpracht,
Hört' ich der Eichen Wipfelrauschen
In einer herbstlich deutschen Nacht.
Mit Liebesaugen schaun die Sterne
Besänftigend herab auf mich;
Doch horch — erscholl da nicht von ferne
Ein Lied so deutsch, so feierlich?
Und lauter fühl' mein Herz ich pochen,
Des Nordens Waldluft weht mich an,
Als hätt' ein Freundesmund gesprochen:
Glück auf, du wandermüder Mann!
Wie griff nach so viel langen Reisen
Ans Herz mir der vertraute Klang!
O tönet fort, ihr süßen Weisen!
Tön fort, du deutscher Heimatsang!
In der Nacht
Durchs Waldthal unter den Bäumen
Im Mondlicht schreit' ich dahin;
Ein altes vergessenes Träumen
Umspinnt mir lockend den Sinn.
Die dunklen gespenstigen Säulen
Ragen am Berghang dort,
Den Käuzlein nur und den Eulen
Ein heimlicher Zufluchtsort.
Aus den Felsen klingt's; in den Zweigen
Gelinde säuselt der West,
Und goldene Türme steigen
Aus Schutt und Mauerrest.
[70]Aus wallendem Nebel leise
Die tote Liebe taucht;
Sie bannt mich in ihre Kreise,
Vom Glanz der Jugend umhaucht.
Wie selig wir damals waren,
Weißt du's? so flüstert sie drauf;
Und was mir versunken seit Jahren,
Lebendig leuchtet es auf.
Doch wie es gekommen, so balde
Zerrinnt mir das Wundergesicht!
Wo ich sie küßte im Walde,
Die Holde — ich weiß es nicht.
Das luftige Bild ist zerstoben,
Der duftige Traum ist verweht!
Nur das wüste Gemäuer da droben
Gespenstig noch vor mir steht.
Im Frühlicht unter den Zweigen
Vereinsamt irr' ich umher —
Die Sonne dort seh' ich steigen;
Die Herrliche schau' ich nicht mehr.
Nach dem Sturm
Aufatm' ich froh — denn schon verhallt
Des Wetters wilder Reigen;
Es sinkt der sturmesmüde Wald
In traumverlornes Schweigen.
Doch neubelebt vom frischen Hauch
Abschüttelt er den Schrecken;
Es dampft empor der Morgenrauch
Aus Moos und grünen Hecken.
[71]Die Vögel bergen länger nicht
Das Köpfchen bang' im Neste,
Und flutend bricht das Sonnenlicht
Herein durch Busch und Äste.
Tiefinnen fühlt von Sturm und Braus
Auch mein Gemüt den Segen,
Und fröhlich klingt mein Lied hinaus
Dem jungen Tag entgegen.
Warum so schweigsam?
Eines Arbeiters Antwortschreiben aus fernem Lande
Warum so schweigsam? fragst du mich,
Mein Kind mit blauen Blumenaugen:
O, frag mich nicht! — ich bitte dich —
Nein, schau mir in die müden Augen,
Sieh, wie die Lippe brennt so heiß,
Wie hart die Schwielen in den Händen,
Wie an der Stirne perlt der Schweiß,
Mich Arbeit ruft an allen Enden;
Dann wirst du nicht mehr klagen
Und vorwurfsvoll mich fragen:
Warum so schweigsam?
Du sahst der Schnitter müde Schar
Gewiß schon oft vom Felde kehren, —
Wenn schwül der Tag der Ernte war,
Bei kühler Rast die Schüssel leeren.
Kein Wort, kein Laut würzt dann ihr Mahl,
Erschöpft sehnt jeder sich nach Ruhe;
So geht's auch mir; — des Tages Qual,
[72]Die harte Arbeit, die ich thue,
Sie mag allein dir Antwort sagen,
Wenn deine Blumenaugen fragen:
Warum so schweigsam?
Darum so schweigsam, holder Stern,
Der mir aus schöner Heimat lächelt
Und meiner Arbeit aus der Fern'
Wie Abendkühle Segen fächelt.
Sag, könntest du mich lieben, Kind,
Wenn ich mich pflegt' auf weichen Kissen?
Des Arbeitsschweißes Perlen sind
Saatkörner, die einst reifen müssen; —
O dürft' ich dann auf deine Fragen
Mit frohem Greisesblicke sagen:
Darum so schweigsam!
Mütterleins Sorge
Laßt mich still zur Kirche gehn,
Für mein armes Kind zu beten,
Daß die Blume mag erstehn,
Die ein rauher Fuß zertreten.
Blaue Augen und Thränen darin —
Wer vermag den Schmerz zu tragen?
Goldiges Haar und düsterer Sinn,
Jugend im Antlitz — das Herz voll Klagen —
Also schleicht mein Kind einher,
Wie ein bleicher Frühlingsengel,
Eine Knospe, die zu schwer
Ihrem eignen schwanken Stengel.
[73]Auch ihr, Herr, zum großen Schmerz
Gieb die Kraft, ihn zu ertragen —
Lächle wieder, kindlich Herz,
Wie der Lenz nach Sturmestagen.
Laßt mich drum zur Kirche gehn,
Für mein armes Kind zu beten,
Daß die Blume mag erstehn,
Die ein rauher Fuß zertreten.
Die Braut des Nihilisten
An der Newa sonn'gem Strand
Geht ein Brautpaar Hand in Hand, —
Tändelnd, kosend, plaudernd, scherzend
Wandern sie durchs grüne Land.
Da sieht er so traurig bang
Ihr ins Auge tief und lang':
„Liebste! wirst du stets mir folgen,
Gehst du mit mir schweren Gang?
Heute thue ich dir kund:
Ich beschwor den heil'gen Bund,
Der des Volkes Rechte schützet
Und Tyrannen wirft zum Grund.
Achtest du mein streng Gebot?
Folgst du mir in Not und Tod?
Gieb ihr, Herr, zum großen Schmerz
Auch die Kraft, ihn zu ertragen.“
[74]Wie ward sie so kalt und bleich
Bei dem dumpfen, schweren Streich
Seiner unheilvollen Worte! —
Doch sie sprach zu ihm sogleich:
„Gerne wollt' ich dir vertraun,
Folgte dir durch Nacht und Graun,
Aber, — zu so bösem Werke
Darfst du niemals auf mich baun.
Treu verehre ich den Zar,
Dem dein Bündnis droht Gefahr,
Der, wenn er auch menschlich fehlte,
Doch dem Volk ein Vater war.
Lieber, unglücksel'ger Mann!
Wie bestrickt dich schlimmer Bann!
Höre meiner Liebe Flehen,
Meiner Liebe Seufzer an!
Laß uns beide rasch entfliehn
Und in ferne Lande ziehn!
Überall will ich dir folgen;
Laß die Mordgedanken fliehn!“ —
Da schaut er so traurig bang
In ihr Auge tief und lang':
„Nimmermehr kann ich entrinnen
Der Gefährten wildem Drang.
Denn ich schwor mit furchtbarm Eid
Ihnen Beistand jederzeit;
Wollt' ich treulos sie verlassen,
Bin ich selbst dem Tod geweiht.“ —
[75]Und sie gehen Hand in Hand
Schweigend an der Newa Strand;
Da hat sie mit leisem Beben
Sich dem Liebsten zugewandt:
„Wartet dein solch traurig Los,
Flüchte in der Newa Schoß!
Freudig will ich mit dir sterben,
Reiß dich von den Mördern los!“ —
Da ward ihm so leicht zu Mut,
Lang herzt er sein Liebchen gut;
Dann — von ihrem Arm umschlungen —
Stürzt er in der Newa Flut.
Die Sterne
Ihr schönen, lichten Sterne,
Weit in des Himmels Ferne,
Die ihr so still und leise
Dahinzieht eure Gleise,
Ihr seid in jenen Reichen
Mir soviel Trosteszeichen, —
Denn nur ein göttlich Walten
Kann also euch erhalten.
Kommt ihr am Himmelsbogen
So hell einhergezogen
Auf hehren stolzen Bahnen,
Ergreift mich gläubig Ahnen;
Das ist kein ziellos Wagen
Das ist kein planlos Jagen,
Ihr schreitet sichrer Weise
Durch vorbestimmte Gleise.
[76]Jahrtausende vergehen,
Ihr bleibet fortbestehen,
Ihr lichten Himmelszeichen
Voll Ordnung ohnegleichen.
Ihr strahlt in frischem Glanze,
In unverwelktem Kranze
Und nur ein göttlich Walten
Kann also euch erhalten.
Wenn ihr so freundlich winket,
Wenn ihr so sanft mir blinket,
Wie fällt da eu'r Gefunkel
In meines Herzens Dunkel!
Wie jauchzet meine Seele,
Daß ihr der Trost nicht fehle,
Denn nur ein göttlich Walten
Kann also euch erhalten.
Und trübten mir auch Sorgen
Den frischen, heitern Morgen,
Und hatte ich am Tage
Auch Grund zu mancher Klage,
Am Abend schau ich gerne
Auf euch, ihr lichten Sterne,
Die ihr so sichrer Weise
Dahinzieht eure Gleise.
Da freue ich mich immer
An eurem sanften Schimmer,
Da wird der stille Abend
So tröstend mir und labend,
Da wächst bei eurem Schauen
Mein Mut, mein Gottvertrauen,
Denn nur ein göttlich Walten
Kann also euch erhalten.
[77]Gesang des Papyrus von Syrakus
O Wandrer im Kahne, vernimm meinen Sang,
Wenn sanft die Kyane du gleitest entlang!
Aus bläulichen Fluten blüh' dort ich empor:
Gefiederte Ruten auf schwankendem Rohr.
Zum Strome mich neigend, bei Farren und Moos,
Betrachte ich schweigend mein wechselndes Los:
Sonst ward mir die Pflege des Wissens vertraut;
Jetzt wachs' ich am Wege, ein nutzloses Kraut.
Jahrhunderte kommen, Jahrhunderte gehn,
Hab' selten vernommen, was draußen geschehn.
Aus uralten Tagen, die spärlich erhellt
Von dämmernden Sagen, nur kennt mich die Welt.
O sonniger Frieden, von Träumen umwallt,
Vom Leben gemieden, das ferne verhallt!
Stumm kreist die Libelle im zitternden Licht,
Die silberne Welle im Schilfe sich bricht.
Da rauscht's in den Halmen mit schläfriger Ruh,
Am Ufer die Palmen, sie flüstern dazu.
Gern lausch' ich dem Klange in träumendem Bann —
Ich lausche schon lange, weiß selbst nicht, seit wann.
Und sank dann hernieder die tauige Nacht,
So sind mir die Lieder der Lüfte erwacht,
Sie rauschen und flüstern und künden mir viel
Von fernen Geschwistern am heiligen Nil.
[78]An die Arbeiter
Zur Eröffnung des Gotthardtunnels
Ein Lorbeer, schöner als der blut'ge Kranz,
Der nach der Schlacht den kühnen Sieger schmückt,
Sei freudig euch gewährt, euch wackern Männern,
Die ihr das ruhmgekrönte Werk vollendet,
Das staunend noch die Nachwelt preisen wird!
Als kühne Kämpfer, die der Macht des Geistes
Den Arm geliehen, habt ihr der Natur
Gewalt'ge Macht gebändigt und bezwungen;
Gebahnt habt ihr den Völkern eine Gasse,
Die ferner Länder Kraft und Sinn verbindet.
Vergebens trotzte stolz die Felsenfeste,
Die euerm Mute sich entgegen türmte;
Durchbrochen ist die hohe Riesenmauer,
Die zwischen Nord und Süd vor tausend Jahren
Natur zur ew'gen Trennung einst erhoben;
Und nimmer über schneebedeckte Firnen,
Wo todesschwanger die Lawine lauert
Und schreckensvoll vom Berg die Ströme tosen,
Drängt mühsam sich der lastbeschwerte Wagen,
Sucht unheilfürchtend seinen Weg der Wandrer.
Ihr habt die Bahn geöffnet durch die Felsen,
Wo bald des Handels Reichtum sicher zieht
Und eine bunte Welt zur Lust verkehrt.
Wie viele Jahre, Tage lang und Nächte,
Habt um den Siegespreis ihr heiß gerungen!
Wie manche wackere Genossen sanken
Im Kampf zum Tod verwundet und zerschmettert!
Es sank der Führer auch, der Freund und Meister,
Des Feuereifer euch das Ziel gewiesen,
[79]Das nie sein klares Auge schauen sollte.
Sie alle starben auf dem Feld der Ehre,
Und über Leichen drangt ihr vor als Sieger.
Wo sie gefallen, heben sich zum Ruhm
Den Lebenden, den Toten zum Gedächtnis
Sankt Gotthards schneeige Firnen in den Äther,
Umleuchtet von der Sonne lichten Gluten;
Ein Denkmal, herrlicher als dies die Kunst
Im stolzen Königsbau der Pyramiden
Aus Marmorglanz und goldnem Prunk geschaffen.
Und weit ins Land und ferner Zukunft werden
Die Alpenfesten eure That verkünden —
Mag ihr des Himmels Segen sich verbünden!
Des Friedens Werk, es diene stets dem Frieden!
Nie möge durch das Alpenthor sich drängen
Des Krieges finstrer Dämon blut'gen Sinnes
Und Wolken gleich, die des Verderbens Blitze
Auf Flur und Hütten fühllos niederschleudern,
Die Boten der Zerstörung und des Todes
Aus dunklem Bergesschoß ins Thal hernieder
Auf Auen, die der Herr gesegnet, senden!
Dem Geist des Friedens sei das Werk geweiht,
Der Länder nicht, doch Herzen sich erobert!
Die Liebe wandle, nicht der Haß die Pfade,
Die euer Blut, die euer Schweiß benetzt;
Der Süden bringe hier des Landes Schätze
Dem Norden, der die Gaben ihm erwidre;
Und wie sie tauschen ihrer Fluren Fülle,
So mögen wechseln sie des Geistes Gaben,
Mit Sinn und Hand wetteifernd in dem Streit,
Den Gegner mit der schönsten Frucht zu laben,
Daß jeden Kampf verwandeln sie zum Streben,
Sich selbst erhebend andre zu erheben.
[80]Ob auch die Alpen einst getrennt sie haben,
Sei jetzt ihr Felsenpfad ein heilig Band,
Das Volk mit Volk verbinde, Land mit Land!
Ich harre aus
Wem diene ich? — Ich weiß es nicht,
Ich kenn' ihn nicht, der mich hierher gesendet;
Doch auszuharren, das ist meine Pflicht!
Und wenn sich alles gegen mich auch wendet,
Ich harre aus, bis er die Wache endet.
Ich kämpf' wofür? Ich weiß es nicht!
Ihr mögt darum mich einen Söldner schelten.
Doch tief im Herzen eine Stimme spricht:
Es kann nur etwas Großem, Gutem gelten,
Zum Kampfe rief der Schöpfer mich der Welten!
Was ist dein Lohn? — Ich frage nicht;
Genug, daß er zum Kampfe mich erkoren!
Und ruft er mich dereinst vor sein Gericht,
Und ward ich nicht zum Kampfe bloß geboren:
Dann, Feldherr, bin vor dir ich nicht verloren.
Denn treulich übt' ich meine Pflicht!
Und konnt' ich nicht den Kampf zum Sieg gestalten,
Geflohen, Herr, geflohen bin ich nicht!
Trotz aller Wunden hab' ich standgehalten,
Und gnädig wirst du, gnädig wirst du walten.
[81]So diene ich! Wem — weiß ich nicht,
Ich kenn' ihn nicht, der mich hieher gesendet;
Doch auszuharren, das ist meine Pflicht!
Und wenn sich alles gegen mich auch wendet:
Ich harre aus, bis Er die Wache endet.
Heimkehr
Weltverlassen, gottverlassen,
Wankt ein Wandrer durch die Gassen,
Steuert hastig nach dem kleinen
Raume, wo er an dem einen
Treuen Herzen ruhen will,
Eh' es steht für immer still.
Nur mit Zagen kann er wagen,
Seine Schmerzen jetzt zu tragen
Zu der Mutter wundem Herzen,
Der er schuf ach! tausend Schmerzen,
Deren Lieb' er von sich wies,
Die er schnöde einst verließ.
Angstvoll lauscht er an der Pforte
Und vernehmlich hört er Worte
Drinnen von der Mutter Munde,
Hört, wie sie zu dieser Stunde
Innig spricht ihr Nachtgebet
Und für ihn, für ihn nur fleht.
Und ihm ist's, als schlügen Flammen
Über seinem Haupt zusammen;
Schluchzend stürzt er ihr zu Füßen
[82]Und bedeckt mit heißen Küssen
Ihres schlichten Kleides Saum — —
Engel schweben durch den Raum.
Das schönste Kleinod
Wir stiegen eilig ins Koupee:
„Wer fährt wohl mit in Freud' und Weh?“
Zwei schöne Frauen nahmen Platz,
Und jede trug besondern Schatz. —
Der einen strahlt' von Hals und Haar
Und Brust Geschmeide wunderbar;
Ihr Auge blickte stolz und hoch
Und frug: Wer trägt wohl reichres noch?
Die andre trug nicht Stein noch Gold,
Sie hielt im Arm ein Knäblein hold,
Und heller als Gold und Edelstein
Glänzten des Kindes Äugelein.
Frühlingsgruß
Hellschimmerndes Grün und Lerchenschlag
Und Blütengesproß allerwegen!
Die Menschen begrüßen den leuchtenden Tag
Und jubeln dem Lenz entgegen!
In engem, düstrem Hofesraum,
Von Mauern rings umschlossen,
Steht unbeachtet ein Kirschenbaum,
Von Blüten übergossen.
[83]Doch sieh! am Fenster schmal und klein,
In niedrem Stubenraume,
Da schaut ein altes Mütterlein
Still lächelnd nach dem Baume.
Sie trägt nicht mehr der schwache Fuß
Hinaus aus dem kleinen Hause,
Da schickt ihr der Frühling seinen Gruß
Durch den Baum in ihre Klause.
Der unpoetische Mann
Es lebt ein unpoet'scher Mann,
Der doch poetisch ist;
In schwarzer Tasche Freud' wie Leid
Birgt er zu jeder Frist.
Von Tausenden wird täglich er
Aufs sehnlichste erharrt;
Und dennoch — Schmerz und Täuschung bringt
Auch seine Gegenwart.
Das Mägdlein eine Stunde wohl
Schon hin zum Fenster fliegt,
Zu schaun, ob der ersehnte Mann
Nicht um die Ecke biegt.
[84]Was will sie denn, was hat sie nur?
Sie wird bald rot, bald blaß;
Die Hände preßt aufs Herzchen sie,
Das pocht ohn' Unterlaß.
„Kommt er noch nicht?“ Die Mutter fragt,
Dieweil sie emsig schafft —
Dabei des fernen Sohns gedenkt
Sie still voll Liebeskraft.
Der Vater aus der Stube ruft:
„Ei, ist er noch nicht da?“
Zu wissen ja verlangt's ihn sehr,
Was in der Welt geschah.
Großmutter in dem Stuhle nickt,
Sie hofft nicht mehr so viel;
Zu warten hat sie längst gelernt,
Sie ist schon bald am Ziel. —
Da pocht's; — erstarrt das Mägdlein steht,
Die Mutter ruft: „Herein!“
Großmutter schaut zur Thüre hin
Und murmelt: „Wer wird's sein?“ —
Auf groben Schuhn der Bote tritt
Ein mit gemess'nem Schritt;
„Die Zeitungen, und Briefe auch!“
Spricht er. „Krieg' ich was mit?“
„Dem Vater bring die Zeitung schnell!“
Die Mutter sagt zum Kind,
Und auf dem Brief in ihrer Hand
Ruht's Mutteraug' so lind.
[85]Das Mägdlein auch, es nahet sich
Dem Tische fast verzagt; —
Ein Brief auf rosenrot Papier —
Wie's da im Antlitz tagt!
Vom Sohn ein Brief, vom Bräutigam;
O Freude wunderbar! —
Großmutter nimmt das Tagblatt auf
Und macht die Brille klar.
Ei wie? studiert die alte Frau
Denn auch noch Politik? —
Nein, auf die letzte Seite nur
Fällt träumerisch ihr Blick.
Sie weiß das Plätzchen gar zu gut,
Wo Todeskunden stehn;
Da trifft manch liebe Namen sie —
Was ist ihr denn geschehn? —
„Auch Dieser tot!“ — so spricht sie leis.
„Bald bin ich ganz allein!“ —
Vor ihrer Seele steht ein Bild
In lichtem Jugendschein.
Und auf das Mägdlein schaut sie still:
„Da war ich auch wie Du!“ —
Sie legt das Tagblatt auf die Seit'
Und denkt der ew'gen Ruh'!
[86]O Mutter
„O Mutter!“ Ach, wie wecket in der Brust
Des Menschen doch dies Wort ein mächtig Tönen!
Wie führt es oft von höchster Freude Lust
Zu tiefstem Schmerz, zu reuevollem Sehnen!
Sie steht vor dir, die freundliche Gestalt,
Du siehst das milde Aug', den Blick voll Liebe,
Vernimmst der Rede fesselnde Gewalt,
Denkst an der Hände Dienst in reinem Triebe.
Ihr Arm umfängt dich, wenn dir Kummer naht,
An ihrer Brust beweinst du dein Verschulden,
Sie geht mit dir auf deines Glückes Pfad,
Dein Vorbild ist sie in ergebnem Dulden.
Es klingt kein Ton in Herzens Saitenspiel,
Den man dem Mutterherzen nicht vertraute;
Es giebt kein schönes, edles, hohes Ziel,
Das für ihr Kind die Mutter nicht erschaute.
Mit gläub'ger Liebe hoffender Gewalt
Und mit der Ahnung wunderbaren Träumen
Umschließet sie ihr Kind; ihr Wort erschallt
Tief in der Brust, wo auch der Fuß mag säumen.
Verlornes Kind, verirrt im Weltgewühl,
Hörst du der treuen Mutterstimme Warnen?
Zu ihr, zu ihr! Dort winkt noch ein Asyl,
Wie auch die Lust der Welt dich mocht' umgarnen.
[87]Doch ach, — es naht ein Tag, bald ist er da, —
Das treuste Mutterherz hört auf zu schlagen.
Wie drücket dann die Brust, was einst geschah!
Wie viel blieb noch zu bitten, noch zu sagen! —
O Kind, wenn sich die Trauerweide neigt
Sanft über der geliebten Mutter Hügel,
Wie spricht dann erst der Mund, der fortan schweigt!
Der Liebe Botschaft weiht des Todes Siegel.
Wohl dem, der dann am teuern Grab darf stehn,
Umweht von frommer Mutter heil'gem Segen.
Gefaßt in Gott wird er durchs Leben gehn
Stets aufwärts der Geschiedenen entgegen.
Trost
Dünkt das Menschenherz dir oft
Kalt wie Schneeesflocken;
Scheint dir auch der Menschen Wort
Wie die Wüste trocken: —
Selbst die Schneeesflocke ja
Wärme in sich schließet;
Selbst noch aus der Wüste Sand
Dich ein Bächlein grüßet.
[88]An die deutschen Dichter, die mich zu meinem achzigsten Geburtstage begrüßten
Der äußern Welt entzogen,
Sah ich in tiefer Ruh'
Manch langes Jahr dem Wogen
Des lauten Lebens zu;
Ich sah's dort leuchten, funkeln,
Auch oft in falschem Schein,
Und spann mich da im Dunkeln
In düstres Sinnen ein.
Der Kreis ward immer enger,
In dem ich einst gelebt,
Hin schwanden wackre Sänger,
Mit denen ich gestrebt;
Flugs über mich hinüber
Schritt rascher stets die Zeit,
Ich wurde trüb' und trüber
In meiner Einsamkeit.
Doch seit Ihr edlen Dichter
Mich traut und warm begrüßt,
Ward mir der Himmel lichter,
Das Herbste mir versüßt;
Mir winkt manch heitre Stunde,
Da hochbeglückt ich seh',
Daß ich in Eurer Runde
Noch immer aufrecht steh'.
[89]Und aufrecht will ich bleiben,
Getreu der hehren Kunst,
Wie immer, fern dem Treiben
Nach flücht'ger Tagesgunst;
Gottlob, noch sind die Schwingen
Des Geistes nicht erschlafft,
Mein Lied kann hell noch klingen,
Noch fühl' ich Schaffenskraft.
Wohlan denn! nehmt, Genossen,
Mich auf in Euern Bund,
Ich bleib' Euch angeschlossen,
Und offen werd' es kund,
Daß Eure Huld und Liebe,
So schön mir dargebracht,
Die Glut der Sangestriebe
Mir neu zur Flamm' entfacht.
Euch dank' ich's, daß geheitert
Die Welt mir wieder scheint,
Daß sich der Kreis erweitert,
Der mich den Besten eint;
Ihr habt mit holder Gabe
Mich Lebenden erfreut,
Ihr habt den Weg zum Grabe
Mit Blumen mir bestreut.
Aus einem Cyklus: Dichter und Gedichte I
Guten Stoff zu gutem Gedicht
Mußt du zu suchen dich befleißen;
Fandest du ihn, dann frage nicht,
Lag er in China oder in Preußen.
[90]Frag auch nicht, ob er jetziger Zeit
Wechselnder Mod' und Stimmung fröhne;
Dichtest du doch nicht nur für das „Heut'“,
Ewig schön ist das wahrhaft Schöne.
Sorge nur, daß Sinn und Gewand
Deines Gedichts von echtem Wesen,
Fliege sein Ruf durch Stadt und Land,
Oder mögen's nur wenige lesen;
Wenige, doch von Weih' und Wert,
Edlem geneigt, für das Schöne voll Liebe —
Dichter, hast du noch mehr begehrt,
Dichtest du nicht aus reinem Triebe.
Aus einem Cyklus: Dichter und Gedichte II
Ein lyrisches Gedicht ist das!
Von fernher klingt die Hirtenflöte,
Der Baum ist grün, und grün das Gras,
Und purpurn glänzt die Abendröte.
Dann Sternenschimmer, Mondesschein,
Und Rosenduft und Nachtigallen —
Die Verse sind, die Reime rein,
Das Lied wird manchem wohlgefallen.
Gefällt es dir? — Ich weiß es kaum,
Kann seine Wirkung nicht ermessen,
Mir schien es wie ein leichter Traum,
Den, schnell erwacht, ich schnell vergessen.
Der Grundton fehlte mir, der Halt,
Ein Festes, dran der Geist sich ranke,
Es fehlt der Dichtung Allgewalt,
Der alles leitende — Gedanke.
[91]Aus einem Cyklus: Dichter und Gedichte III
Ich bitt' euch, häuft nicht Epitheta,
Ein Bild zu beschreiben, es zu verstärken;
Stehn euerm Bilde wir noch so nah,
Wir können die rechte Gestalt nicht ermerken.
Es ist, als zöge jemand im Wahn,
Er möcht' in freier Luft erkalten,
Drei Röcke übereinander an,
Wo einer genügt, ihn warm zu halten.
So ausgestopft, ist der arme Mann
Auch noch mit Puffen und Shawl gesegnet,
Daß ihn ein Freund nicht erkennen kann,
Der eben plötzlich ihm begegnet.
Erzürnt wirft Rock um Rock er von sich:
„Willst du mich denn mit Absicht meiden?“
Der andre drauf: „Jetzt erkenn' ich dich.
Wie mochtest du dich so arg verkleiden!
Du sahest ja dir selbst nicht gleich,
Warst fremd mir, ganz entstellt, auf Ehre!“
Ihr schwülstigen Dichter, ziehet euch
Aus den „drei Röcken“ eine Lehre! —
Aus einem Cyklus: Dichter und Gedichte IV
Willst du als ein Meteor,
Dichter, plötzlich prachtvoll flimmern,
Oder zieht dein Sinn es vor,
Als ein fester Stern zu schimmern?
[92]Meteor! ein Meteor!
Alles Volk ruft's im Gedränge,
Zu dem Wunder starrt empor
Eine unzählbare Menge.
Doch das Wunder dauert nicht,
Hat allmählich sich verzogen,
Nur der Sterne mildres Licht
Scheint noch fort am Himmelsbogen.
Auf zu ihnen Nacht für Nacht
Kann mit Sehnsucht und Entzücken,
Wer je Göttliches gedacht,
Heiliges empfunden, blicken.
Braucht er Trost, dann sternenwärts
Wird sein trübes Aug' er lenken,
Und er fühlt ins bange Herz
Hoffnung und Vertraun sich senken.
Doch wenn ihn ein Glück erfreut,
Blickt verklärt er in die Ferne,
Dankt in seiner Seligkeit
Alles seinem guten Sterne. —
Dichter, sprich, entscheide jetzt:
Willst du einem Feuerzeichen,
Das die Welt in Staunen setzt,
Oder — einem Sterne gleichen?
Aus einem Cyklus: Dichter und Gedichte V
Vor allem freut uns ein Gedicht,
Das seltsam uns gemahnet,
Als hätten wir, was laut es spricht,
Schon lange still geahnet;
Ans Herz uns legt sich's warm und lind,
Wie an der Mutter Brust ein Kind.
[93]Gar manches dämmert wie ein Traum
Verborgen in der Seele,
Wir fühlen es, doch wissen kaum,
Wo es sich uns verhehle;
Da — plötzlich wird uns alles klar,
Im Liede ward's uns offenbar.
Hat denn der Dichter es entdeckt
In unsers Busens Tiefen,
Gedanken und Gefühl erweckt,
Die unerkannt dort schliefen,
Blickt er ins Innerst' uns hinein?
Der Dichter muß ein Zaubrer sein.
Kein Zaubrer, doch durch Musengunst
Begabt mit feinern Sinnen,
Auch läßt die Weihe hehrer Kunst
Das Hellsehn ihn gewinnen;
Er trägt, sich solcher Kraft bewußt,
Das Herz der Menschheit in der Brust.
Das Sonett
Sonette dichten! 's ist ein kühnes Wagen;
In Banden frei und leicht sich zu bewegen,
Ja, mit den Fesseln spielend sich zu regen,
Als wär' es eine Lust nur, sie zu tragen;
In wenig kurzen Zeilen viel zu sagen,
In engen Schranken, die uns rings umhegen,
Den Hauptgedanken mächtig auszuprägen,
Bestimmt, allüb'rall siegend vorzuragen
[94]Und dann am Ende diesen Hauptgedanken,
Um den sich all' die andern schlingen, ranken,
Zusammen noch zu drängen, zuzuspitzen:
Ein schwierig Werk! Wen so die Bande drücken,
Daß sie das Ziel, nach dem er rang, verrücken,
Der lass' es bleiben, ein Sonett zu schnitzen.
Die Mondbewohner
Weil die qualbefangne Erde,
Stets mit Täuschung mich belohnte,
Sprach ich jüngst: „O teure Muse!
Auf! entführ mich nach dem Monde!
Wunder sind dir ja ein Leichtes:
Geh, bei Zeus den Aar zu holen!
Leih mir Fausts berühmten Mantel
Oder Hermes' goldne Sohlen!
Soll ich, not- und gramdurchschauert,
Ringen nach geträumtem Glücke?
Was die Erde mich gelehrt hat,
Bosheit war's, Verrat und Tücke.
Ewig tönt der Ruf des Jammers
Aus der Menschheit bleichem Munde;
Ewig rinnt der Strom der Zähren,
Ewig brennt die Todeswunde ...
Hoch im Mond nur winkt der Friede
Und das Ziel des dunklen Sehnens ...
Leuchtend blüht die blaue Blume
Fern im Wunderland Selenens.“
[95]Und vom Helikon verstohlen
Schien ein Kichern mich zu grüßen,
Und der düstre Mantel Fausti
Wogte rauschend mir zu Füßen.
Ha! im Nu versank die Erde
Hinter mir als starre Leiche,
Und ich nahte sturmbeflügelt
Luna's mild verklärtem Reiche.
Abend war's; am Ringgebirge
Hing der Sonne grelles Funkeln,
Und im Schoß der steilen Krater
Fing es magisch an zu dunkeln.
Jählings brach die Nacht hernieder,
Und am farblos finstern Himmel
Stand des Erdballs volle Scheibe
Flammenklar im Sterngewimmel.
Ja, sie ist's, die gramverhüllte,
Wo die Dulder flehn und winseln ...
Deutlich seh' ich dort Europa
Samt den nah'gelegnen Inseln.
„Arme Erde, Thal der Leiden,
Thal des hoffnungslosen Strebens!
Gott sei Dank, ich such' im Monde
Jetzt das wahre Ziel des Lebens“!
Jubelnd rief ich's, und der Erdball
Schien dämonisch mir zu flimmern ...
Horch! Da tönt's zu meinen Ohren
Wie ein halbverhaltnes Wimmern.
[96]Aus der Hütte dort am Hügel
Drang der Laut voll Weh und Jammer ...
Nach dem Fenster schleich' ich bebend,
Schaue blinzelnd in die Kammer ...
Von des Gatten Arm umschlungen,
Blaß, mit aufgelöstem Haare,
Stand ein Weib in heißen Thränen
Vor der frisch bekränzten Bahre.
Zwischen halberschloss'nen Blüten
Hingestreckt auf weichem Moose
Lag ihr bestes Glück und Hoffen,
Lag ihr Kind, die bleiche Rose.
Und der Gatte, schmerzlich lächelnd,
Hob den Blick zum Himmelszelte,
Nach dem Erdball, der die Kammer
Mild und wundersam erhellte:
„Tröste dich, du bange Seele!
Nichts hienieden geht verloren!
Sieh! Auf jener goldnen Kugel
Weilt das Kind, das du geboren!
Blick empor zur heil'gen Erde
Aus dem dunklen Thal der Mängel!
Selig dort im Hain des Friedens
Wandeln goldbeschwingte Engel ...
Dort, im Reich des ew'gen Glanzes,
Giebt's kein unverstandnes Sehnen,
Keine Trennung für die Liebe,
Keinen Tod und keine Thränen!“
[97]Schweigend hört' ich's, und im Herzen
Wuchs ein Weh mir allgewaltig,
Und es schnob wie bittrer Hohn mir
Um die Braue, kraus und faltig.
Und zum Mantel griff ich wieder
Mit verstörter Gramgebärde, —
Und das Weltenweh im Herzen,
Flog ich heimwärts nach der Erde.
Ein Lied vom Haß
Wohl ist der Liebe erster Traum
Ein Traum voll Himmelslust ...
Doch hat der Haß denn keinen Raum
In gottgeweihter Brust?
Es schleiche stumm aus unsrem Bund
— Hier wird nicht sein begehrt! —
Wer nie im tiefsten Herzensgrund
Des Hasses Brand genährt!
Ihr, die ihr feil nach schnödem Gold
Und fahlem Prunke lauft,
Und schmunzelnd für Verrätersold
Das Vaterland verkauft!
Die ihr der Ehre keuschen Sinn
Im Schlamm vermodern laßt!
Wir haben euch von Anbeginn
Mit voller Glut gehaßt!
Ihr, die ihr frech die Kunst verhöhnt,
Vor der wir betend knien,
Und strebt, was diese Welt verschönt,
[98]In euren Staub zu ziehn!
Die ihr Papiere nur begreift
Und Kurse nur erfaßt:
So weit die trunkne Seele schweift,
Sei eure Brut gehaßt!
Und die ihr winselnd euch kasteit
In Fasten und Gebet,
Und ungerührt im Bettlerkleid
Den Bruder darben seht;
Die schmachtend ihr zum Himmel schaut,
Mit Blicken trüb und naß;
Die ihr den Dom der Lüge baut:
Erzittert unsrem Haß!
Und was das teure Heiligtum
Der Menschenwürde kränkt;
Und was vom Pfad zum echten Ruhm
Die freien Völker lenkt;
Und was des Daseins schönste Zier
Nur anzurühren droht:
Dem schwören ewige Feindschaft wir
Und Haß bis in den Tod!
Seht unser Banner! Leuchtend weht's
Und flammig durch die Nacht ...!
Auf sichrer Tempelzinne steht's,
Von unserm Haß bewacht!
Ja, wenn im Kampf die Liebe fiel,
Vom Ringen schlaff und laß,
So führt der Haß ans goldne Ziel:
Ein Hoch dem deutschen Haß!
[99]Zur Saison
Im Winter, wenn beim frohen Feste
Des Balles Wirbel euch umlärmt
Und rings die muntre Schar der Gäste
Durch eure Prunkgemächer schwärmt:
O mahnte dann mit ernsten Worten
Ein Freund euch an des Lebens Not!
Ach, schüchtern pocht's an eure Pforten:
Das bleiche Elend fleht um Brot!
Bedenkt ihr, wenn die Kerzen funkeln,
Daß von des Hungers Zahn zernagt,
Am nächsten Straßenstein im Dunkeln
Vielleicht ein Bruder steht und klagt?
Stumm schaut er nach den hellen Scheiben
Mit starrer, düstrer Bitterkeit,
Und fühlt bei eurem lauten Treiben
Nur doppelt tief das eigne Leid.
Wie groß — so flüstert er mit Beben —
Muß hier des Himmels Segen sein!
Ach, was sie ihren Hunden geben,
Wär's nur von einer Mahlzeit mein!
Wie müssen hier die Kinder prangen
In Jugendkraft, gesund und rot!
Den meinen härmt die Not die Wangen,
Das bleiche Elend fleht um Brot!
Wild pfeift des Nordwinds jähes Toben, —
Er schickt sich zitternd an zum Gehn
Und sieht noch einmal, wie sich droben
Die Schatten eurer Tänzer drehn.
Er denkt nach Haus, und Thränen dringen
Ihm heiß hervor, er stöhnt und schweigt ...
[100]Ach, eure Jubeltöne klingen
Bis an ein Sterbebett vielleicht ...
Ihr aber schlürft im goldnen Becher
Den süßen Schaum der eitlen Lust;
Die Wange flammt, es blitzt der Fächer,
Und höher wallt die trunkne Brust.
Ihr glaubt nicht an die düstre Sage
Von Angst und Jammer, Qual und Tod,
Und nur zum Himmel steigt die Klage,
Das Wehgeschrei um Brot, um Brot!
Am Grabe der Mutter
Still sahst du ins blühende Feld hinaus,
Gebannt ans einsame, düstre Haus;
Trugst lautlos in der bewegten Brust
Den finstren Tod und die Lebenslust.
Rings lachte der Frühling im Blumengewand,
Und ein Segen ging durchs erwachende Land;
Die Lerchen sangen im Sonnenstrahl;
Und du weintest, du weintest vor bittrer Qual.
Und es zuckte mir wild durchs kindliche Herz,
Und ich floh den Jubel und Spiel und Scherz.
Ich faßte zitternd dein schlichtes Gewand,
Und die lilienreine, geliebte Hand!
Was sinnst du, Mutter? o sprich, o sprich!
Und du lächeltest freundlich und küßtest mich;
Und ich dachte vergangener schöner Zeit,
Und weinte, und weinte vor schwerem Leid.
[101]Und zuletzt dann, als nun die Stunde kam,
Die das Liebste, Beste von hinnen nahm —
Da erblichen die Sterne am Himmelszelt,
Da erblich mein Himmel für die Welt.
Blaß lagst du im Kampf mit dem bitteren Tod;
Von fern her glänzte das Morgenrot ...
Und der ewigen Sonne beglückender Strahl —
Und du weintest, du weintest zum letzten Mal.
Am Strande des Meeres
Die du fromm und liebend mich geleitet
Durch des Lebens rätselvolles Land,
Die ums Haupt den Fittich mir gebreitet,
Wenn ich bang am Scheidewege stand:
In des Himmels ungeheurer Leere
Herrlich, wie auf wonnereicher Flur:
Dich begrüß' ich gläubig auch im Meere,
Allgewalt'ge Göttin, o Natur!
Wo der Brandung Lilienbrüste schwellen,
Bis die Flut den dunklen Sand betaut;
Wo ins Blau der schaumgekrönten Wellen
Nur die Möwe hoch herniederschaut:
Ach, da schwebt den lichtumwobnen Blicken
Weh und Wonne schattengleich vorbei:
Wo der Gottheit Schauer mich entzücken,
Fühl' ich wieder mich als frei!
Manchen Pfad bin sehnend ich gegangen;
Treulich hoffend wand ich mich hinan,
In die sel'gen Thäler zu gelangen
Und das Unvergängliche zu fahn.
[102]Doch umsonst verlangte ich nach Gnade,
Doch vergeblich suchte ich das Glück:
Alle meine wechselvollen Pfade
Führten zur Natur zurück.
Dämmernd, wie die Schatten ihrer Wogen,
Lag das Weh auf meinem düstren Sinn:
Um den Himmel fühlt' ich mich betrogen,
Nur die Klage deuchte mir Gewinn;
Alles sah ich sinken und verderben,
Was die Gunst der frohen Stunde gab ...
Alles Leben lebte, um zu sterben,
Selbst die Liebe sank ins Grab.
Aber mild und lächelnd auf die Grüfte
Goß der Lenz die blütenreiche Pracht ...
Melodieen rauschten durch die Lüfte,
Glutgestirne flammten durch die Nacht.
Nun begann die Hoffnung ihren Reigen,
Neu das Leben seinen Lauf ...
Aus des Herbstes halbvergess'nen Leichen
Sproßten tausend Kelche auf!
Und ich lernte friedlich überwinden,
Ebbend schwieg des Herzens bange Not:
Nur ein Traum ist Welken und Verschwinden,
Nur ein Wandern ist der Tod ...
Heil'ge Mutter! gläubig und ergeben
Folg' ich deiner glanzumfloss'nen Spur!
Du allein versöhnest mit dem Leben,
Du allein bist göttlich, o Natur!
[103]Nänie
Wohin das edle Lächeln
Vollendeter Lieblichkeit?
Das so feine, geheimnisholde?
Zerflattert und, ach, zerstreut!
Es war wie Frühlingslichtschein,
Der auf Blumen zaubrisch floß;
Und das auf ewig vernichtet,
Seit der schöne Mund sich schloß?
Nicht kann ich's wieder gewinnen
Mit Phantasie und Sinn —
Verloren und doch unsterblich,
O, wohin verweht, wohin?
Das war wie geistig Grüßen
Aus einem reicheren Sein,
Poesie, ein Strahl, Traumwonne,
Unendlich gut und rein!
Wie von unnennbarem Reize
Eine göttliche Melodie,
Glückatmend, herzentzückend,
Nur einmal hört' ich sie.
Eine wunderbare Weise,
So süß, so eigen verstummt,
Davon mir in tiefster Seele
Verstörter Nachklang summt.
[104]April
Apfelbäumlein in holder Blüt',
Wie erquickst du mein wund Gemüt!
Jungfräulich rein, von Lüftchen umkost,
Leuchtest du, lieblicher Augentrost!
Frühling, du schick ihm keinen Sturm,
Lenznacht, scheuche den schlimmen Wurm,
Himmel, behüt's, ihm sorglich gesinnt,
Erd', o Mutter, schütze dein Kind!
Das ist der Tag des Herrn
Ich stand in eines Tempels Säulenbau,
Den einst ein edler deutscher Fürst erschuf
Und reich mit Griechengöttern ihn geschmückt,
Die aus Athens und Romas Gräberschutt
Zu neuen Daseins Glanz er auferweckt
In seinem nord'schen Gartenparadies.
Weit überflog durchs offene Portal
Der Blick des lieblichsten Geländes Rund,
Das zu des Hügels Fuß gebreitet lag.
Da hielten wie in sel'ger Liebesglut
Sich grünes Land und blauer See umarmt,
Und wie ein Priester am Altar ergoß
Die Sonne goldnen Segen auf das Paar.
Der Wipfel lindes Rauschen und des Schilfs
Geflüster, Vogelsang und Blütenduft,
Am Horizont der blaue Waldesstreif,
[105]Die Purpurflocken hoch im Himmelszelt
Und Feierstille rings — denn Sonntag war's:
Welch Herz kann solchem Zauber widerstehn,
Welch Sehnen in die Fremde schwiege nicht,
Welch Wünschen steht nicht wonneschauernd still,
Wenn solche Pracht sich in die Seele gießt?
In Schauen so und Sinnen süß verträumt,
Ward ich durch eine Sängerschar geweckt,
Die Liederbrocken trällernd nahete —
Ihr kennt ja lust'ger Sänger Weis' und Art.
Sie traten ein, und schnell gefangen nahm
Auch sie des Ortes Genius, und ihr Sang
Erhub sich kunstgeübt und weihevoll —
'S war Uhlands Lied: Das ist der Tag des Herrn!
Still lehnt' ich mich an die Urania,
Und wundersam ward mir der Geist bewegt;
Mir war, als töne memnon-gleich ihr Bild,
Und holdes Lächeln schweb' um ihren Mund,
Als denke sie an Pindars Festgesang.
Seltsamer Widerspruch, der mich umgab!
Wo prächtig in Pompejis Farbenglanz
Die Wölbung strahlte, mich zum Parthenon
Der Marmorbilder ew'ger Zauber trug,
Da zog mir durch die Seel' ein deutsches Lied,
Da weht' ein Hauch der Schwaben-Alp mich an.
Und doch, wie löst es sich in Harmonie!
Ein jeder Tag, der uns vom Staube hebt
Empor in ew'ger Schönheit lichtes Reich,
Der uns erschließt die Pforten höhern Seins,
So oft der Geist sein Werkeltags-Gewand
Abthut und rastet von der Erde Dienst:
Das ist ein Tag des Herrn! Den feiern wir,
[106]Sei's unter Hellas' blühender Götterwelt,
Sei's durch des deutschen Liedes Frömmigkeit,
Und unvergeßbar lebt er fort in uns.
Morgenwanderung
Wie wallt sich's schön durch regenduft'ge Felder
Im heitern Morgenlicht,
Wo um die gelbe Au das Grün der Wälder
Als voller Kranz sich flicht!
Viel Tropfen leuchten in demantnen Farben
Auf segenschwerem Stiel;
Hold mischt sich in den heil'gen Ernst der Garben
Der blauen Blumen Spiel.
Unsichtbar aus des Halmenwalds Verstecke
Die helle Sens' erklingt,
Und unter dichtgewölbter Blätterdecke
Das Vöglein Frühmeß singt.
Die Pappel zittert träumerisch im Winde,
Die Mühle rauscht am Fließ,
Und alles klopft ans Herz und mahnet linde:
O Menschenherz, genieß!
[107]Über Nacht
Besorgte Mutterhände decken
Das innre Walten der Natur,
Von ihren Wundern, ihren Schrecken
Gewährt sie leise Ahnung nur;
Wer sah die Knospe sich erschließen?
Wer weiß, wo sich der Sturm entfacht?
Die Schleier, die das All umfließen,
Sie lüften nur sich über Nacht.
Gleich Wundern der Natur, entsteigen
Geheimnisvoll der Menschenbrust
Im bunten, wechselvollen Reigen
Der tiefste Schmerz, die höchste Lust;
Wer kennt ihr Kommen, wer ihr Gehen?
Der Liebe Glück, der Dichtung Pracht,
Des Todes letztes stilles Wehen:
Sie alle kommen über Nacht.
Wanderlust
Das ist die alte Wanderlust,
Die ungestillt sich reget
Und mir das Herz in tiefster Brust
So ungestüm beweget; —
Die dem gefangnen Falken gleich
Am Käfiggitter rüttelt
Und zu dem Flug ins Sonnenreich
Die Schwingen sehnlich schüttelt.
[108]O gönnt ins Freie mir den Lauf,
O öffnet Thür und Riegel!
Laßt mich die lichten Berg' hinauf,
Bis zu dem letzten Hügel!
Daß ich in Zügen voll und lang
Des Himmels Odem trinke
Und sel'gen Muts, erlöst vom Zwang,
Ans Herz der Schöpfung sinke.
Wenn kalt ein Herz sich von dir wendet
Wenn kalt ein Herz sich von dir wendet,
Das innig du und wahr geliebt,
Und Trost, wie ihn das Mitleid spendet,
Nicht Frieden deiner Seele giebt:
Dann pflanz ein Kreuzlein an der Stätte,
Die einst in Lieb' euch glücklich sah;
Da weile oft in deinem Leide,
Und der Verlorne ist dir nah!
Du siehst, wie einst in frohen Stunden,
Sein Auge klar, sein Auge licht,
Und lauschest, wie verständnisinnig,
Wie edel, liebevoll er spricht;
Und sieh, das Glück, das dich verlassen,
Um das du bitterlich geweint,
Es lebt aufs neu' in deinem Herzen,
Es hält aufs neue euch vereint.
[100]Doch triffst du auf des Lebens Straße
Ein kaltes, fremdes Angesicht,
Und trüg' es des Verlornen Züge,
O glaube mir, er ist es nicht!
Er starb dem Aug'; in deinem Herzen
Lebt er als Friedensengel fort,
Und treu wird er dich stets geleiten,
Ein starker Schirm, ein starker Hort!
Der feste Wille
Du zagst, mein Herz, wenn in dem bunten Ringen
Des Erdendaseins deine Freuden fliehn,
Wenn sie, im Schwall von tausend Nebendingen,
Genossen kaum, an dir vorüberziehn,
Wenn dir das Glück, das hold sich zu dir neiget,
Das sanft und lind die Schläfe dir umfacht,
Sich unverhofft als unbeständig zeiget
Und kalt sich von dir wendet über Nacht; —
Du zagst, mein Herz, wenn dir die heiße Liebe
Die trübsten, grellsten Schattenseiten weist,
Wenn du im Sonnenstrahle edler Triebe
Das Menschenherz siehst kalt und urbeeist;
Wenn auf der Freundschaft heiligem Altare
Das letzte Licht mit einem Hauch erlischt,
Der Priester dort im glänzenden Talare
Die letzte Thräne aus dem Auge wischt; —
Du zagst, mein Herz, wenn dich verfehmt, verlassen,
Das bloße Dasein an die Erde bannt.
Auf! Lerne erst des Lebens Kern erfassen,
Er schlummert in der Brust, von dir verkannt,
[110]Er zeigt sich dir in wechselnden Gestalten,
Doch trägt er stets ein ernstes Würdenkleid,
Und unterthan sind ihm der Welt Gewalten,
Des Glückes Gunst und die Zufriedenheit.
Der feste Wille ist's, der ewig hehre,
Der alle Erdenleiden überstrahlt,
Er ist der beste Schutz, die beste Wehre,
Gen Leid, das dir das Leben trübe malt!
Er ist der Stern, der ewig lichte, klare,
In düstrer, schmerzensvoller Leidensnacht.
O, daß sein Glanz sich rein und voll bewahre
Dein ganzes Leben lang, hab acht, hab acht!!
Gedanken-Begegnung
„Schau doch, heute steht der Nachbar
Schon so früh vor seiner Thür,
Und aus seinem Antlitz leuchtet
Neue Vaterfreud' herfür!“ —
Und wir halten uns umschlungen,
Lippe sich auf Lippe preßt,
Und wir sehn uns in die Augen,
Ach, so innig und so fest. —
„Sag mir doch, mein Liebster, was du
Dir soeben hast gedacht,
Denn ich seh', daß aus dem Auge
Sel'ge Herzenslust dir lacht!“ —
[111]„Ach, ich weiß nicht, was ich denke;
Wird wohl nichts gewesen sein —
Doch aus deinem Auge strahlet
Ein so heller Widerschein!
O gesteh, welch ein Gedanke
Brachte diesen Schein hervor?
Sag mir's doch, mein holdes Bräutchen,
Sag mir's leise in das Ohr!“ —
„Ich — es ist mir just entfallen,
Ach, ich kann — ich weiß es nicht —
Strahlen von der Morgensonne
Fielen wohl auf mein Gesicht.“ —
Und kein Laut hat es gesprochen,
Was die Herzen sich gedacht,
Und kein einzig liebes Wörtchen
Hat es zu Gehör gebracht; —
Aber eines wußt' vom andern
Die Gedanken ganz genau:
Liebe hat gar scharfe Augen,
Liebe ist gar klug und schlau.
Kuß und Thräne
Willst du von der Liebe singen? —
Laß das eitle Streben sein;
Denn des Herzens Worte dringen
Nicht auch in das Herz hinein.
[112]Einen Laut nur kennt die Liebe,
Einen stummen heil'gen Gruß:
Ja, des Herzens zarte Triebe
Kündet nur der süße Kuß! —
Willst du singen von den Leiden,
Von dem innerlichen Schmerz? —
Dieses mußt du wieder meiden;
Machst nur leidender das Herz!
Giebt ja nur ein einzig Zeichen
Für die Leiden ohne Zahl:
Nur die Thräne kann erweichen
Alle Schmerzen, jede Qual!
Vorsicht
Damit im Himmel Frieden und ew'ge Ruh' bestehen,
So werden alle Weiber als Männer auferstehen.
Mein Lied
Wie die Lerche witt! witt!
Wie die Schwalbe quiwitt!
Möcht' ich fliegen
Und mich wiegen
In den Lüften,
Über Triften
Weit, weit in ein schönres Land!
[113]Wie die Nachtigall singt,
Wie so hell schlägt der Fink,
Möcht' ich singen,
Sollt' es klingen
Auf den Feldern,
In den Wäldern
Weithin durch die ganze Welt.
Wie der Aar auf dem Grat,
Wohin steil führt der Pfad,
Möcht' ich wohnen,
Hoch dort thronen,
Wie ein König,
Hehr und mächtig,
Unter mir die ganze Welt.
Hab' nicht Flügel zum Flug,
Nur im Herzen den Zug,
Hoch zu fliegen,
Mich zu wiegen,
In den Fernen,
Unter Sternen,
In den Lüften ätherblau!
An Tommaso Cannizaro in Messina
Poetische Epistel
Unter unserm nebelgrauen,
Frostig feuchten Winterhimmel,
Der nur selten Sonnenblicken
[114]Flüchtigen Besuch gestattet —
War ich jüngst dahingewandelt
Nach dem neuen Kindergarten,
Einer Schöpfung schöner, reiner,
Selbstlos wahrer Christgesinnung —
Um an jüngster Menschheitblüte
Zu erlaben, zu erheben
Mein verdüstertes Gemüte
Vor dem Mummenschanz und Markte
Ungezählter Eitelkeiten
Friedenloser großer Kinder,
Die bergan den Stein nur wälzen,
Daß er wieder abwärts rolle
Und in seinem Sturz begrabe
Ihre kaum gehäufte Habe,
All die Früchte zarter Sorgen:
Ihre Hoffnung für das Morgen.
Solch ein Anblick froher Kinder
Ist mir stets der Feste liebstes.
Diesmal hat es mich erinnert
An die zaubervollen Tage
In Paganos Haus auf Capri,
Jener reizend stillen Insel,
Wo ich unter Fischerkindern
Lebte halkyon'sche Stunden.
Kinderaugen, Meer und Inseln,
Wonnigliche Südenlüfte,
Tempelruhe, würz'ge Düfte,
Märchenlicht der blauen Grotte
Und die vollen, reichen Laute
Der geliebten Sprache Dantes —
Alles war zu neuem Leben
Mir erwacht mit alter Stärke
In dem lust'gen Kindergarten,
[115]Und erfüllt von holden Bildern
Kam ich heim in meine Kammer —
Losgelöst vom Erdenjammer.
Da begrüßt mich auf dem Schreibtisch
Aus Italien eine Sendung:
Ein paar Bändchen Poesieen,
Die „In solitudine“ Du
Überschrieben, Cannizaro,
Du mein Bruder in Apollo,
Wackerster der Sizilianer,
Würdig Deines edlen Freundes,
Des Poeten Lizio Bruno,
Deines Kunst- und Kampfgenossen.
Und zur Zweisamkeit sofort
Ward „in solitudine“ mir;
Denn Dein Wesen, guter Thomas,
Tapfer, geistvoll, lebensmutig,
Trat aus Deinem Werk lebendig
Zu mir in die Wirklichkeiten,
Und mit holder Wahlverwandtschaft
Winkte mir aus jeder Zeile
Deiner Lieder Geist des Südens,
Schwelgend am Gemüt des Nordens.
Ganz Dein eigen in der Dichtung
Und ein Sohn der schönen Heimat,
Bist Du doch vertraut Germanien
Und der deutschen Laute kundig,
Bist ein Dolmetsch unsrer Meister
An dem Strande von Messina
Und mir darum doppelt teuer,
Heutzutage dreifach teuer,
Da ringsum Barbarenhände
Das Palladium bedräuen
Deutscher Kunst, Kultur und Sitte,
[116]Da Mongolen und Sarmaten
Plötzlich sich verbrüdern wollen,
Unter eines Herostratus Führung
Der Zerstörung Werk zu krönen!
Lasse denn auf ein paar Wochen
Deine „solitudo“ feiern
Auf der prächtig stolzen Insel,
Und vertraue Dich dem Dampfe,
Daß er Dich herüber trage
An die Donau, in die Weltstadt
Zu dem „Capua der Geister“,
Wo trotzdem und alledem noch
Strebensmut'ge Männer wohnen
Und auch herzenskund'ge Frauen,
Welche Dichtung, sowie Dichter
Gern empfangen und verstehen.
Komm und laß Dir herzlich danken
Für Dein Lied und jene Liebe,
So Du deutschem Sang erwiesen.
Menschlich schön soll's Dich gemahnen
Deiner Heimat — in der Fremde.
Solamen
Man pflegt zumeist im Leben
Nur sehr geringen Wert
Dem alten Spruch zu geben,
Der also uns gelehrt:
Es diene den Elenden
Zum Troste allezeit,
Daß sie die Blicke wenden
Auf andrer Menschen Leid.
[117]Ich selber hielt zu jenen,
Die solchen Trost verlacht,
Als mir noch keine Thränen
Das Schicksal hatt' gebracht.
Doch als ich, schwer getroffen,
Ins Knie danieder sank,
Ward Ohr und Herze offen
Für jenes Trostes Klang.
Da ward in voller Klarheit
Erschlossen meinem Sinn,
Welch wundertiefe Wahrheit
Verborgen liegt darin:
Vom Glücke mußt du scheiden,
Willst du ein Tröster sein,
Mußt selber Schmerzen leiden,
Zu lindern fremde Pein!
Wanderlied
Ich schritt einst meines Weges hin
In dunkler Winternacht,
Da kam mir's plötzlich in den Sinn:
Ob wohl dein Schatz noch wacht?
Und aus den Wolken klar und licht
Der Vollmond bricht hervor
Und flüstert — glaubt es oder nicht! —
Mir leise in das Ohr:
[118]Ich habe in ihr Kämmerlein
Jetzt eben noch geblickt,
Da hat sie mit dem Mondenschein
Dir einen Gruß geschickt, —
Ja, mir befohlen, nicht zu ruhn,
Bis daß ich ihn bestellt —
Als ob ich weiter nichts zu thun
Hätt' auf der Gotteswelt.
Nebeltag
Wo bist du, Leuchte meines Pfades,
Auge der Welt, voll Glanz und Lust?
Wie düstere Schatten aus dem Hades,
Beklemmen die Nebel meine Brust.
Dort kommt es vom Berg, da aus den Wiesen,
Bedächtig streift es Halm um Halm!
Die Herbstzeitlose wird wuchern und sprießen,
Und sättigen sich an Dunst und Qualm.
Nun wehe dem armen Schmetterlinge,
Der Blume, die noch am Raine blüht!
Erlahmen muß die bewegliche Schwinge,
Erbleichen, was gestern purpurn erglüht.
Komm, Licht, und lasse den Falter schlürfen!
Komm, Sonne, die Blume harret dein! —
Was sterben muß, das soll sterben dürfen
Auf Erden im warmen Sonnenschein.
[119]Winter
Die weite Erde zeigt sich
Verschämt im Armenkleid,
Der Himmel aber neigt sich
Zu ihr in Heimlichkeit.
Er webt aus zarten Flöckchen
Zu Häupten ihr den Flaum
Und wiegt mit Schlittenglöckchen
Sie in den Wintertraum.
Nun wird sie bald vergessen
Des Sommers heiße Mühn
Und wie der Herbst vermessen
Geschmeid' ihr nahm und Grün.
Dicht wirbeln schon die Flocken,
Und starrer wird die Ruh',
Die Krähe fliegt erschrocken
Dem Heim der Menschen zu.
Die Jagd verstummt im Walde,
Das Vögelein im Feld;
Der Quell hat an der Halde
Sein Plaudern eingestellt.
So schläft sie nun im Eise —
Ein ferner Schlitten klingt,
Darauf ein Pärlein leise
Von seinem Frühling singt.
[120]Wie der Falter entstand
Blume mit freudigem Angesicht
Blickte sehnend ins Sonnenlicht;
Rief: O blendende Mutter du,
Löse mich doch, dir flieg' ich zu!
Glanz bist du und leuchtende Pracht,
Ewiger Tag — ich fürchte die Nacht.
Sonne hörte den Klagelaut,
Hat voll Erbarmen hinabgeschaut;
Sah der Blume verzehrende Qual,
Sandte einen befreienden Strahl.
Sonnenstrahl mit demantnem Licht
Schoß herab — sie erzitterte nicht —
Löste die Blüte vom dumpfen Kraut,
Küßte sie innig, wie eine Braut,
Küßte sie lang' — da taumelt, da hebt
Die Blüte sich, erzittert und lebt;
Gaukelt als Falter bei Sonnenschein
In die leuchtende, blühende Welt hinein.
Nachenfahrt
Leicht auf den schaukelnden, gaukelnden Wellen
Treibt uns der hurtig gleitende Kahn;
Sieh, wie sie funkeln, die dunkeln Libellen,
Magisch umschwärmen die glitzernde Bahn.
[121]Lachende Fluren! azuren der Himmel!
Auf dem Gewässer ihr flimmerndes Bild!
Drüben ein rankend und schwankend Gewimmel
Blühender Nelken am Ufergefild!
Nun aber düster Geflüster der Weiden,
Ängstliche Kiebitzrufe im Rohr!
Fährmann faltet und faltet die beiden
Hände zu frommem Gebet empor.
Denn wo die Wellen erschwellen und branden,
Da ist der Gottesacker im Rhein:
Tausend' umschlang er und zwang er, sie fanden
Tief ihre Ruh' in Geröll und Gestein.
Aus ist das Plaudern. Wir schaudern und sinnen;
Über die Gräber gleitet der Kahn.
Kannst du die Fluten zum Guten gewinnen,
Schiffsmann, hast du Gelübde gethan?
Auf dem Kirchhof
Auf deinem Grabstein, den das Wetter trifft,
O meine Mutter, bleicht nun schon die Schrift.
Der Hügel sinkt — ich glaub', der dunkle Schrein
Dort unten barst, dein müdes Herz sank ein.
Der Rosenbusch will nicht mehr weiter blühn,
Die Nelke krankt, es welkt des Epheus Grün.
Mir ist, als hätte dich in tiefer Rast
Im stillen Grab ein Kummer noch erfaßt,
Ein schweres Leid, wie es so oft dich traf,
Eh' du noch schlafen gingst den ew'gen Schlaf!
Ach ja, ich weiß es, wie du dann geweint
[122]In stiller Nacht, gerungen und gemeint,
Das wär' das Letzte! Kam der andre Tag,
Dann sah ich: eine schwere Furche lag
Auf deinem Antlitz; also grub der Gram
Dir Furchen, bis die letzte Stunde kam. —
Auf deinem Grabstein, den das Wetter trifft,
O meine Mutter, bleicht nun schon die Schrift!
Doch welche Furchen! — Diesem harten Stein
Grub doch das Wetter keine Furchen ein?
Da steht er so gebückt und ernst wie du!
Ich aber weiß: du hast noch keine Ruh!
Es geht ein Leid auf Erden, das dich traf
Und dir gestört den tiefen Todesschlaf:
Nun gräbt sich deinem stillen Leichenstein
Die tiefe Furche deines Kummers ein!
Mutter und Sohn
Wie fühl' ich es mein Herz bewegen,
So oft in stiller Frühlingsau
Mir nahe kommt auf meinen Wegen
Mit ihrem Söhnlein eine Frau.
Das Weib spricht viel, noch Mehres träumend;
Der Bub', in kindlich droll'gem Lauf,
Bald vorwärts eilend und bald säumend,
Blickt altklug zu der Mutter auf.
[123]Indessen so die beiden scherzen
Mit Blick und Worten süß und traut,
Wird selber mir im tiefsten Herzen
Gar eine leise Ansprach' laut:
„O die du so mit Wohlgefallen
Auf deinem kleinen Liebling ruhst,
Weißt du, wie deine Lose fallen,
Und weißt du, Weib, auch, was du thust?
Blick auf zur Hochgebenedeiten
Und sieh, welch Schicksal dich bedroht:
Wie oft schon war im Lauf der Zeiten
Der Sohn schuld an der Mutter Tod!“
So denk' ich oft im Wehgefühle
Und bete leise ein Gebet
Für Eine, deren Ruhepfühle
Schon lang' das Kirchhofgras umweht!
Zur Warnung
Die Eishauer riefen: „Wer kauft den Fluß?
Wir führen gefesselt ihn durch die Gassen!“
Der Stromgott weinte: „O herbes Muß!
Warum hab' ich Freier mich binden lassen!“ —
Beglückt, wer hier im Bild ermißt,
Welch hohes Gut die Freiheit ist!
[124]Am Karfreitag
Sei du mein Lied,
Erhabenster von allen,
Die einsam je im Opferkampf gefallen
Für eine Welt, die sie verriet!
Wie Sphärenklang
Noch tönet in Äonen,
Klingt deine Botschaft fort in allen Zonen,
Der Menschheit letzte Spur entlang.
Du bliebst uns nah ...
In deines Geistes Erben
Kamst du noch oft zu kämpfen und zu sterben
Auf aller Völker Golgatha.
Sei du mein Lied!
Du bist die That der Worte,
Womit der Mensch erfüllt die heil'gen Orte,
Die ich geliebt, dann zweifelnd mied.
Mild und versöhnt,
Ein Opfer rein vor allen,
Bist du im Kampf mit Lug und Wahn gefallen
Für eine Welt, die dich verhöhnt.
Und dennoch stieg
Dein Schatten immer wieder
In neuem Fleisch und Bein zur Erde nieder
Und rang in Qualen um den Sieg.
[125]Noch oft, o Gott,
Kamst du in deinen Söhnen,
Die Menschen an die Liebe zu gewöhnen
Und zu entwaffnen Haß und Spott.
Noch oft, noch oft!
Und dennoch will's nicht tagen? ...
Die Morgenröte kommt mit leisem Zagen;
Sie bringt den Tag, den du erhofft!
Sie ist getaucht
In Ströme deines Blutes;
Sie ist durchglüht vom Strahle deines Mutes,
Vom Duft des Friedens mild umhaucht.
Sie sei gegrüßt,
Die neue wärmre Sonne,
Die Worte tilgt und Lebenskraft und Wonne
In aller Menschen Pulse gießt!
Auf Golgatha
Im grausen Todesdunkel
Sahst du am fernen Himmel ihr Gefunkel
Und hörtest ihr Hallelujah!
Sei du der Priester deiner selbst!
Sei du der Priester deiner selbst,
Sprich selbst mit deinem „Ebenbilde“!
Kannst du es nicht, so kann es, traun,
Auch keiner von der Hirtengilde!
Sei du der Priester deiner selbst
Und eigner Hüter deiner Seele!
Im Herzen wohnt ein Richter dir,
Der weiß um alle deine Fehle.
[126]Sei du der Priester deiner selbst,
Wasch' büßend rein dich von Gebrechen;
Was auch ein andrer dir verheißt —
Dein eigen Herz muß frei dich sprechen!
Sei du der Priester deiner selbst,
Auch auf des Sterbelagers Kissen;
Des Todes bange Nebel scheucht
Dir nur ein lächelndes Gewissen.
Der Muttersprache
Sinndurchwoben, kraftdurchdrungen,
Aus dem Schoße dunkler Tage
Rauschet auf in vollen Zungen
Meines Volks gewalt'ge Sprache.
Ehern, wie der Schilde Tönen,
Lieblich, wie des Haines Sang —
Allem Starken, allem Schönen
Leiht sie ihres Goldes Klang.
Hörest du des Zornes Grollen
Aus der Schwerter wucht'gen Streichen?
Hörest du des Donners Rollen
Und die Windsbraut in den Eichen,
Und des Freiheitsstromes Rauschen,
Und der Treue heil'gen Sang? —
Stolzen Blickes magst du lauschen
Deiner Sprache Wunderklang!
Hörst im schwertdurchklirrten Gaue
Singen du von Lieb' und Leide?
Hörst du's beten auf der „Aue“,
Klingen auf der „Vogelweide“?
[127]Hörst vom „Eschenbach“ du rauschen
Das gewaltig-tiefe Wort? —
Nicht um Indiens Perlen tauschen
Möcht' ich solchen Liederhort!
Hörest du des Geistes Rufen
Aus des Mönches kühner Seele?
Furchtlos vor geweihten Stufen
Kündet er der Zeit Befehle;
Daß im Priester-Heiligtume
Kreischend hell der Vorhang reißt
Und zu seines Landes Ruhme
Jauchzt der auferstandne Geist!
Steigt herauf, ihr großen Toten,
Aus den engen, dunkeln Betten,
Ihr, von Ulfila dem Goten
Bis zum Schenk von Winterstetten!
Gießet aus von heil'ger Stelle
Deutscher Laute eine Flut,
Daß des Wohlklangs goldne Welle
Läutre das entdeutschte Blut!
Sinndurchwoben, kraftdurchdrungen
Rausche fort durch alle Tage,
Durch das Lispeln fremder Zungen,
Alte heil'ge Muttersprache!
Blumen bring' und Liedesehre
Allen Fraun mariengleich,
Und trotz Kön'gen siegreich mehre
Das zukünft'ge deutsche Reich!
[128]Dem Rhein!
Ein „Großer“ wandelt nie allein ...
So fließt ein Strom auch mit dem Rhein
Vom Münster bis zum Dome:
An beiden Ufern wogt entlang
Mit lebensprudelndem Gesang
Der Wein in goldnem Strome.
Ein „Goldner“ wandelt nie allein ...
So fließt ein Strom auch mit dem Wein
Vom Berge hin zu Thale:
Es fließt mit ihm in jede Brust
So holder Wahn, so reiche Lust,
Wie einst aus Hebes Schale.
Die Lust, sie wandelt nie allein ...
Gleich sind die Lust'gen hinterdrein,
Vorauf die gecken Kölner!
Der Strom verschlingt im Karneval
Die Frommen und die Freien all',
Die Sünder und die Zöllner.
Besungen haben dich, o Rhein,
Viel trunkne Sänger, groß und klein,
Als „alten“, „heil'gen Vater“ ...
Der Leier willenloser Spott
Macht nimmer alt dich jungen Gott,
Dich Weltkind nicht zum Pater.
Die „Pfaffenstraße“ schiert dich nicht,
Hell ist und bleibt dein Angesicht,
Du einzig Duldungsvoller!
Und schelmisch übt dein gastlich Haus
Die „Parität“ am Zahltisch aus
Für Kutte, wie für Koller.
[129]Der gleiche Preis — das gleiche Recht!
Rein ist die Luft von „Herr“ und „Knecht“,
Wo deine Geister schweben.
Die Welle blinkt, der Becher schäumt,
Der Fels ergrünt, der Zecher träumt
Von Frühlings ew'gem Leben ...
Der goldnen Fülle deiner Lust
Bist du dir selber nicht bewußt,
Weil lauter deine Güte.
Wie hell und frei, wie froh und rein
Lacht deine Jugend, lacht der Wein
Aus deiner Rebenblüte!
So wallt, o Großer, deine Flut
Mit deiner Trauben Wunderglut
Zum Hafen aller Herzen.
Dich grüße, was da lebt und liebt,
Was Wonne sucht und Wonne giebt,
Dich Todfeind aller Schmerzen!
Einem Romantiker
Wie, du klagst, daß jenes Schloß gefallen,
Daß verödet seine Kampfeshallen
Und die Eule in den Trümmern wohnt?
Daß der Harfe goldne Saiten sprangen
Und die Lieblichen dahingegangen,
Die den Sieger mit dem Kranz belohnt?
Klage nicht! Noch manches ist gestorben,
Manches „Recht“, das sich dies Schloß erworben
Auf der Arbeit schweißbedeckten Lohn.
Was die Zeit gegeben, nahm sie wieder;
Aus den Wolken fuhr ein Blitz hernieder:
Der Leibeigne ward zum Menschensohn!
[130]Hoch da droben — eh'mals stolze Zimmer
Voller Reichtum, voller Freudenschimmer,
Voller Schönheit, Liebe, Heldenmut!
Aber unten! — Blicke nicht zu Thale! —
Unten Kreuz und blut'ge Nägelmale
Und ein erblos Volk auf eignem Gut.
Jene Mauern, jene stolzen Zimmer,
Jener Reichtum, jener Freudenschimmer, —
Ha, du fragst nicht, wer das aufgebaut?
Die da unten, die im Schmutz verendet,
Haben es gestiftet und vollendet;
Die da droben ... haben zugeschaut!
„Edle“ Männer, „Helden“ die da droben!
Nicht genug kann sie die Nachwelt loben,
Wie sie prangen in dem Eisenkleid.
Aber — wie sie peitschen ihre Knechte,
Wie sie morden ew'ge Menschenrechte, —
„Davon schweigt des Sängers Höflichkeit!“
Und du klagst, daß jene Zeit vergangen,
Wo der Minne süße Lieder klangen
Und der „Held“ die „Jungfrau“ sich „erkämpft“?
Freund, mit jener Lieder holden Tönen
Drang empor der Unterjochten Stöhnen,
Und die Waffe hat den Geist gedämpft!
[131]An die Freiheit
Im Hinblick auf des Renegaten Ollivier „liberale“ Thätigkeit unter Louis Napoleon Bonaparte
Wohl bebt mir's im Herzen, wohl zuckt mir's im Arm,
Wohl rötet die fliegende Scham
Das Antlitz mir vor dem gleißenden Schwarm,
Der dich zur Buhlerin nahm!
Der dir mit dem Tand für ein sinnliches Haupt
Die züchtige Stirne geschändet
Und heimlich indes mit frevelnder Hand
Dir deine Perlen entwendet.
Wohl flammt mir ein Haß durch Mark und Gebein,
Der jegliche Milde verzehrt,
Wenn liebend ich denk', o Herrliche, dein
Und wie sie dich schmeichelnd entehrt —
Sie, jene Verlebten, die nie gewußt
Von männlicher Herzen Lieben,
Die dich geliebt auf bübische Art,
Kurzweil mit dir getrieben!
Und doch — gedenkend des höheren Ziels,
Das über den Wandlungen schwebt —
Wie spott' ich jenes kindischen Spiels,
Das eine Welle begräbt!
Ja, eine Welle des grollenden Stroms,
Der durch die Jahrtausende schäumet
Und auf die Gefilde den Segen gießt,
Von dem die Weisen geträumet.
Wie sicher sich wähne im Ackerloch
Der Mäuse diebische Brut —
Der wallende Tod ereilet sie doch,
Es erstickt sie die brausende Flut!
[132]Und über den alten Bauen der List
Beginnt es fröhlich zu sprossen:
Auf grünt der völkerernährende Halm,
Von des Lenzes Strahlen umflossen ...
So laß sie spielen und flunkern denn,
O Heilige, mit deinem Bild! —
Die Buben ersticken wie Mäuse, wenn
Der Strom zum Meere schwillt.
Laß Dämme sie bauen der steigenden Flut,
Die Ufer bepflanzen mit Ruten — —
Zu wild ist der Strom, zu schäumend das Blut
Der Erschlagnen in seinen Fluten!
Auf Theodor Körners Grab
Hier, Jugend Deutschlands, ist ein Platz zum Beten,
Geheiligt ist der Staub — hier sinke nieder!
Hier ruht ein Jüngling, edel, stark und bieder:
Es that sein Arm, was seine Lippen flehten.
Mit Schwertesstreich fürs Vaterland zu beten,
O lern es hier an diesem Grabe wieder!
Hier schläft die Harfe jener Sturmeslieder,
Die einst des Korsen Adler niederwehten.
Hier lerne trau'n auf deutsche Kraft und Treue,
Daß du mit stolzem Angesicht aufs neue
Darfst an des Sängers Schlummerhügel treten
Und mahnen darfst die kommenden Geschlechter:
Hier schläft der Freiheit Sänger und Verfechter,
Hier, Jugend Deutschlands, ist dein Platz zum Beten!
[133]Dort an den drei Eichen
Dort an den drei Eichen am Bergeshang,
Da seh' ich im Traume mich stehen;
Ich spähe hinunter, ich lausche so bang,
O möchte sie endlich mich sehen!
Es flüstern die Wipfel von seliger Zeit,
Von Rosen und Kosen, von Sehnen und Leid
Hier an den drei Eichen am Berge.
Still raunt es und traut manch liebliches Wort
Aus fröhlich grünenden Zweigen:
Hier einst, vor Jahren, an diesem Ort
Gab sie sich mir zu eigen.
Als Kind schon war sie gewogen mir —
Wir suchten uns immer, wir fanden uns hier,
Hier an den drei Eichen am Berge.
Hier blühte mein Leben, hier blühte es aus —
So wollten's die ewigen Sterne —
Der Kampf ums Brot, er trieb mich hinaus
In die schicksalsdunkele Ferne.
Mit tausend Schwüren zog ich fort —
Hier gaben wir uns das letzte Wort,
Hier an den drei Eichen am Berge.
Nun kehr' ich wieder — nach manchem Jahr,
Seit wir hier oben gesessen.
Es ist wohl nimmer, wie es war:
Sie hat mich längst vergessen ...
Ein fremdes Geflüster treibt jach mich davon —
Wie leer ist, ihr Zweige, wie kalt euer Ton
Heut' in den drei Eichen am Berge!
[134]Wiedersehen
Vor langer Trennung hatt' ich
Vergessen dich beinah',
Ein Schmerz hat mich ergriffen,
Da ich dich wiedersah.
Du lächeltest mir entgegen
Wie in vergangner Zeit,
Doch klang aus deiner Stimme
Ein langverhaltnes Leid.
Es lag auf deinen Wangen
Wie bleicher Rosen Schein;
Es klagt' aus deinen Augen
Wie stille Thränenpein.
Lang' hab' ich mich gefraget,
Warum dein Lenz erblich,
Warum von deinen Wangen
Das blüh'nde Leben wich.
Nun frag' ich heut' dich selber,
Was ich mir oft verneint:
Ob's wahr, daß du so lange
Um mich, um mich geweint?
Am Allerseelentag
Ging' ich jetzt mit euch unter jene Linden,
Wo, wie ihr glaubt, mein Gatte still vermodert,
Aus seinem Auge bräch' ein herber Strahl,
Mich fragend: Ist dein Feuer schon verlodert,
Daß du dem Brauche fröhnst, im Jahr ein Mal
Mit der Vergangenheit dich abzufinden? ...
[135]O geht, ihr wollt den letzten Trost mir rauben!
Was sagt das Grab, was sagt der Haufen Erde?
Daß er dahin und es ein Ende giebt! ...
Seht, wie er winkt mit lächelnder Gebärde!
Er ist nicht tot, so lang' mein Herz ihn liebt;
Es giebt kein Ende, und ich will's nicht glauben!
Meeresleuchten
Die Sonne geht — ein Flammenball — zu Rüste,
Dann legt sich Dunkel übers weite Meer;
Ich wandle sinnend einsam an der Küste,
Und Wogenlieder rauschen um mich her.
Das sind Gesänge aus uralten Tagen,
Voll tiefen Wehs, voll himmelhoher Lust,
Und was die Lieder singen mir und sagen,
Das füllt mit mächt'gem Sehnen meine Brust.
Ein Sehnen füllt sie, in die Flut zu steigen,
In jene Flut, geheimnisvoll und tief,
In deren dunklen Schoß zum frohen Reigen
Des Meeres Maid oft den Erkornen rief.
Sie schmückte ihn mit bleichen Wasserrosen
Und flocht ihm grüne Algen um das Haupt,
Doch haben ihre Küsse, hat ihr Kosen
Die warme Menschenseele ihm geraubt.
Die Menschenseele, deren heil'ge Gluten
Einst loderten in majestät'scher Pracht,
Erlosch dort unten in den kalten Fluten,
Tief in des Meergrunds ewig feuchter Nacht.
Erlosch? O nein! Es mühte sich vergebens
[136]Das Element um der Vernichtung Preis,
Und durch die Wogen glühen noch des Lebens
Zersprengte Strahlen weiter, hell und heiß.
Und abends, wenn die Sonn' ins Meer gesunken,
Wenn tiefes Dunkel lagert in der Rund',
Dann sprühen aus den Wassern all' die Funken
Und leuchten auf aus dunklem Meeresgrund.
Sie sprühen aus dem Wasserreich, dem feuchten,
Die weißen Wogenkämme hell entlang —
Ach, Grüße sind's, die aus dem Meere leuchten,
Die Grüße derer, die das Meer verschlang!
Die Blume Poesie
Tief in des Herzens Heiligtume,
Auf einem Grund von lautrem Gold,
Erblüht mir eine Wunderblume,
Das wahre Blümchen Wunderhold.
Der Kelch der Blume sind Rubinen,
Die Blätter sind Smaragdgestein;
Die Hoffnung muß als Tau ihr dienen,
Die Liebe ist ihr Sonnenschein.
Die Blume blüht in ew'ger Schöne,
Und sie verdorrt und welket nie;
Sie sprühet Glanz und duftet Töne —
Die Blume ist die Poesie.
Wenn ich den Kelch nur leis berühre,
Entsteht ein Klingen, süß und rein;
Das läutet lieblich aus der Thüre
Des Herzens in die Welt hinein.
[137]Wer auf des Lebens dunklen Wegen
Der Blume süßen Klang vernimmt,
Der fühlet selbst im Herzen regen
Ein Klingen, jenem gleichgestimmt.
Die dunklen Wege, die er gehet,
Ein mildes Himmelslicht erhellt,
Und seine Stirn ein Hauch umwehet,
Wie Odem aus 'ner andren Welt.
Ihn fliehn die niedren Erdensorgen,
Von seiner Seele fällt der Bann,
Und strahlend bricht der Schönheit Morgen
Vor seinen trunknen Augen an.
Die Zweifel, die ihn sonst durchglühet,
Sie lösen sich in Harmonie,
Und in der eignen Brust erblühet
Ihm selbst — die Blume Poesie.
Ein Lied vom Haß
Von Liebe singt man Jahr um Jahr,
Von Liebe ohne Unterlaß,
Von Lieb' und Frühling immerdar. —
So laßt mich singen denn vom Haß!
Die Liebe ist ein Mägdlein zart,
Mit Blütenkranz und leicht geschürzt;
Der Haß ein Ritter edler Art,
Der kühn sich auf die Feinde stürzt,
[138]Der kämpfend für das gute Recht,
Für Wahrheit, Freiheit, Pflicht und Licht,
Genüber allem, was da schlecht
Und dunkel ist, die Lanze bricht.
Das ist ein Mann der Ehrlichkeit,
In dem kein Falsch zu finden ist,
Der überall und allezeit
Mit gleichem, richt'gem Maße mißt.
Der nie den richt'gen Pfad verläßt
Und falsches Wort nicht leiden kann —
Und halt' an solchem Hasse fest
Ein jeder richt'ge deutsche Mann!
Der Mensch ist seines Glückes Schmied
Du Mensch bist deines Glückes Schmied.
Nimm nur den rechten Hammer mit,
Um an des Lebens sprödem Eisen
Des Armes Kräfte zu beweisen.
Der rechte, starke Hammer heißt:
Ein fester Wille, starker Geist.
Das ist der Hammer, den dir gab
Der Herrgott, brauch ihn bis ins Grab.
Der Teufel selbst ficht den nicht an,
Der auf sich selbst vertrauen kann,
Der, kalt im Kopf, im Herzen warm,
Sein Eisen schlägt mit festem Arm.
[139]Trost im Leid
Auf Regen folget Sonnenschein,
Auf Stürme Zephyrfächeln,
Und helle Lust auf Not und Pein,
Auf Thränen — sel'ges Lächeln.
Drum mögst du nachts beim Wettersturm
Zu sehn die Sonne wähnen
Und, nagt am Herzen dir ein Wurm,
Still lächeln unter Thränen!
Die Kunst
Die Kunst, die holde Tochter der Kamönen,
Vermag in Formen, Farben, Reimen, Tönen
Zu Sitt' und Zucht den Roh'sten zu gewöhnen,
Des Lebens Widersprüche zu versöhnen,
Was hoch und herrlich ist, noch zu verschönen,
Und trotz der Welt Verfolgen und Verhöhnen
Mit Himmelskränzen Irdisches zu krönen.
An den Rhein
O Vater Rhein mit deinen blauen Wellen,
Wie macht dein Rauschen stark mein Herz und froh!
Bei deinem Blicke, flammt, dem silberhellen,
Vor Freude meine Seele lichterloh!
[140]Wohin nur soll ich schweifen, soll ich wandern?
Durchzög' ich auch die Welt ohn' Rast und Ruh',
Doch fände keinen Strom ich, keinen andern,
Der mir zum Herzen spräche so wie du!
Laß seine Lorbeerkrone nur dem Tiber,
Dem Rhodanus des Ölzweigs Silberglanz;
Dein Schmuck, o hehrer Vater, ist mir lieber,
Denn du, du trägst den vollen Rebenkranz.
Mit Eichenlaub, das einst gekrönt die Ahnen,
Als sie besiegt das königliche Rom,
Umflichtst die Schultern du, Hort der Germanen;
So walle hin, du stolzer, deutscher Strom!
Todesahnung
Der heitre Morgen ist vorüber,
Die stolze Mittagssonne sank,
Jetzt kommt der Abend, trüb und trüber,
Und höher steigt die Wolkenbank.
Wie dehnt vor mir die Haidestrecke
Sich endlos aus! Es gleicht der Rest,
Der letzte, dieser Pflanzendecke
Den Kränzen, welkgetanzt beim Fest.
Ein feuchter Wind streicht durch den Ginster,
An dem kein goldnes Knöspchen flammt;
Die runden Hügel schwellen finster,
Wie'n Katafalk, gedeckt mit Samt.
[141]Kein Lichtchen lockt aus ferner Hütte
Und lädt zum Herd ein, warm und hell;
Nicht hör' ich eines Wandrers Schritte,
Nicht eines Wächterhunds Gebell.
Im Dunkeln ist mein Pfad verborgen,
Doch fühl' ich wohl, es geht hinab;
Weh! diese Nacht hat keinen Morgen,
Kein Ziel der Weg, als wie das Grab!
Beim brennenden Baum
Zum brennenden Baum, den das Wetter zerschlug,
Kam's hingeflogen mit Geisterflug,
Und Schattenstimmen klangen im Kreis
Und flüsterten durch die Flammen leis.
Hier war's — so hört' ich die erste sagen —
Hier war mein Heim; nun ist es zerschlagen!
Ich war ein Eidschwur; hier ward ich gesprochen
Im Lenz, und im Herbst schon war ich gebrochen!
Die zweite sprach: Er gehörte mir!
Als böses Gewissen haust' ich hier!
Aus Blättern rauschte ich raschelnd nieder;
Es floh ein Verbrecher und kam nicht wieder!
Dann sprach die dritte mit leisem Klagen:
Hier bin ich entstanden in schönen Tagen;
Ich war ein lachendes Jugendglück;
Nun komm' ich leider zu spät zurück!
[142]So sprachen die Schattenstimmen zusammen;
Am Boden zerknisterten leis die Flammen.
Wer weiß noch, von wem die Stimmen sind?
Ein Häufchen Asche, zerstäubt im Wind.
Ein verlornes Kind
Ein Kind, das im Menschengewühl der Stadt
Einst Vater und Mutter verloren hat,
Erst schrie es; dann gab ihm das Mitleid zu essen;
Dann hat es ganz still das Vergangne vergessen.
Nun bettelt es einsam seit vielen Jahren;
Nur einmal sah's, im Vorüberfahren,
Sein hohes, leuchtendes Elternpaar,
Das im Augenblick wieder verschwunden war:
So durchbricht mit strahlender Herrlichkeit
Ein sonniger Traum aus anderer Zeit
Manchmal das umdüsterte Menschenleben
Und bringt dir Verheißung und will dich erheben.
Dann streifen mit goldenem Flügel dich Boten
Ersehnten Glückes und seliger Toten;
Und wenn sie wieder verschwunden sind,
Ist's Abend um dich, und du weinst wie ein Kind!
[143]Der Rhein
Wer je am Rhein gewesen
Und muß dann ferne ziehn,
Den läßt nie mehr genesen
Die Sehnsucht nach ihm hin;
Und wo er auch mag säumen:
In süßen, sel'gen Träumen
Trägt sie zum Rhein das Herz ihm fort,
Als läg' die Heimat dort!
Doch wer am Rhein geboren,
Der sagt es treu und laut:
Ich bleib' ihm zugeschworen,
Wie einer teuern Braut;
Es mögen ziehn und wandern
Aus aller Welt die andern;
Ich bleib', wo's keine Sehnsucht giebt,
Die eine andre Heimat liebt!
Der Lenz
Schlaftrunken schaut vom Blütenbaume
Der Lenz verwundert in die Welt;
Es ist ihm just als wie im Traume,
So schlecht ist alles noch bestellt.
[144]Und sinnend schüttelt er die Locken,
Da regen sich in Feld und Hain,
Zu sammeln flink die Blütenflocken,
Die Blumen alle, groß und klein.
Ein glühend Rot nimmt sich die Rose,
Das Weidenkätzchen greift nach Grau;
Das Veilchen, tief versteckt im Moose,
Erkürt sich ein bescheidnes Blau.
Die Tulpe macht, die eitle, tolle,
Mit Rot und bald mit Gelb sich breit,
Die Lilie, die unschuldvolle,
Wählt sich ein schlichtes weißes Kleid.
So streut er all' die bunten Farben
Mit milder Hand freigebig aus,
Und muß er schließlich selbst auch darben,
So macht er sich doch wenig draus.
Er freut sich, alles zu verschenken,
Bis auf sein grünes Werktagskleid,
Drin will er sich gemach bedenken,
Auf goldne Frucht zur Herbsteszeit.
Dornröschen
Dornröschen sitzt am Waldessaum
Und strählt die braunen Locken,
Der Nordwind pfeift durch Busch und Baum;
Dornröschen lauscht erschrocken.
[145]Das zieht so kalt durch Herz und Sinn,
Wie dumpfe Grabeslieder,
Bang sinnend starrt es vor sich hin,
Das Kinn gesenkt aufs Mieder:
„Wie öd' der Wald und liebeleer!
Kein Bienchen kommt zu nippen,
Und auch kein bunter Falter mehr,
Zu küssen meine Lippen!
Dahin sind Jubel und Gesang,
Fort all' die muntren Gäste!“
Dornröschen seufzt und blickt gar bang
Auf die entlaubten Äste.
Und fröstelnd hüllt es tief sich ein,
Schließt müd' die Augenlider:
„O Lenz voll Lieb' und Sonnenschein,
O Lenz, wann kehrst du wieder?“
Auf dem Friedhof
Der Friedhof lag im Abend-Dämmerschein;
Ein heimlich Flüstern ging durch die Cypressen,
Ich saß gedankenvoll auf moos'gem Stein
Und hatte rings um mich die Welt vergessen.
Nicht fern von mir bemühte sich ein Kind,
Ein Knabe war's, mit thränenfeuchten Blicken,
Das Lockenhaar umspielt vom Abendwind,
Mit Blumen frisch der Mutter Grab zu schmücken.
[146]Und wie es bat und was es fromm begehrt,
Zu mir herüber leise schluchzend drang es:
's war das Gebet, das sie mich einst gelehrt,
Die Mutter mein, in Tagen süßen Klanges. —
Da zog's wie Wehmut tief ins Herz mir ein,
Als ob die Teure selbst zu mir geredet, —
Und scheidend hab' ich für die Mutter mein
Nach Jahren wieder kindlich fromm gebetet.
Tauwetter
Von Westen weht der Wind —
Lau und lind.
Wie es sickert und rinnt
Die Berge herunter
Froh und munter,
Geschwind, geschwind!
Unter dem Schnee hervor
Durch ein kleines Thor,
Das sie selbst sich gemacht
In der stürmischen Nacht,
Stürzen die Wässer —
Wer springt wohl besser? —
Von Stein zu Stein,
Um bald unten zu sein
In dem weiten Thal,
Viel hundert an Zahl.
Ihr murmelt und schwätzt —
So sagt mir doch jetzt:
[147]Wer seid ihr, was wollt ihr?
Wer schickt euch, was sollt ihr?
Ich hör's mit Entzücken:
Lenz will uns beglücken;
Er nahet wohl bald
Mit Allgewalt.
Vorläufer ernannte
In euch er und sandte
Zu uns sie voraus.
Von Haus zu Haus
Macht nun die Runde
Die frohe Kunde,
Und Freude und Lust
Schwellt hoch uns die Brust.
Willkommen, ihr Boten
Des Frühlings, willkommen!
Bald wird nun genommen
Die Macht dem Despoten,
Dem Winter, dem toten,
Und Leben und Glück
Kehren zurück.
Die Schneegefilde
Taut fort der milde,
Der liebliche Sonnenschein,
Und der Himmel wird blau
Und blumig die Au,
Und grün wird der Hain,
Und fröhliche Lieder
Erschallen wieder
Im Wald, auf der Flur.
Die ganze Natur
Verjüngt sich, erwacht
Aus der Todesnacht.
So rinnt nur, rinnt,
[148]Ihr Riesel, geschwind
Die Berge herunter,
Froh und munter!
Schneeglöckchen
An verborgener Stelle im Nadelwald,
Wenn kaum der Schnee geschmolzen, alsbald
Ein leises Klingen und Läuten erschallt,
Das ungehört zumeist verhallt.
Nur wer die Städte und Dörfer flieht,
Wen die Sonne lockt und ins Freie zieht,
Wem eigen ein tief und sinnig Gemüt,
Im Walde draußen die Glöcklein sieht.
Und nur wer hoch die Natur verehrt,
Wer gern sich aus ihrem Walten belehrt,
Wem schlechte Neigung den Sinn nicht bethört,
Das Klingen und Läuten der Glöckchen hört.
Schneeglöckchen läutet den Frühling ein:
Es wird zwar noch manchmal frieren und schnein;
Doch bald wird lieblicher Sonnenschein
Im ganzem Lande Gebieter sein.
Stare
Mit dem linden, lauen Weste kam auch eine schwarze Schar,
Doch mit trefflichem Atteste: nicht der Priester, nein — der Star.
Das sind gern geseh'ne Gäste beim verständ'gen Bauersmann;
[149]Wie zu einem hohen Feste kommen sie im Dorfe an.
Aufgebaut schon die Paläste für das kleine, schwarze Heer —
Jedem Paare eine Meste in den Gärten rings umher.
Die wird bald zum trauten Neste von ihm eingerichtet sein;
Im etwa vorhandnen Reste nisten sich die Spatzen ein.
Ja, der Bauer meint's aufs beste; thut doch nun das Eure auch!
Säubert, Stare, alle Äste von den Raupen, jeden Strauch!
Seid beim Mahl auch nicht modeste! Freßt, so viel ihr fressen könnt!
Was den Raupen ein Gebreste, jeder Bauer Segen nennt.
Die Drossel
Die Drossel pfeift ihr Abendlied
Im stillen, heil'gen Wald,
Weithin durch grünes Baumgebiet
Die helle Stimme schallt.
Ich liebe, Drossel, so wie du,
Den stillen, heil'gen Wald,
Die feierliche Waldesruh,
Im Wald den Aufenthalt.
Drum preis' ich, Drossel, gern mit dir
Den stillen, heil'gen Wald,
Weithin durch grünes Forstrevier
Mein frohes Lied erschallt.
Wie ist es doch so wunderschön
Im stillen, heil'gen Wald,
Zumal wenn er auf Bergeshöhn
Sich breitet, hoch und alt!
[150]Wenn über Kämme weg sich dehnt
Der stille, heil'ge Wald;
Wo bald die tiefe Bergschlucht gähnt,
Und bald der Felsenspalt.
Es rauscht, sowie am Strand das Meer,
Der stille, heil'ge Wald;
Bald kommt es von den Blättern her
Und von dem Wildbach bald.
Wie herrlich reiht sich Baum an Baum
Im stillen, heil'gen Wald!
Die Säulen sind's im Tempelraum,
Schlank, prächtig von Gestalt.
Auch fehlt es nicht an Weihrauchsduft
Im stillen, heil'gen Wald;
Erquickend kühl die Abendluft,
Der Morgen frisch und kalt.
Frisch wird der Sinn, das Herz wird weit
Im stillen, heil'gen Wald;
Es stirbt der Gram in kurzer Zeit,
Die Sorge wird nicht alt.
So sing' ich, Drossel, gern mit dir
Vom stillen, heil'gen Wald;
Im weiten, grünen Forstrevier
Laut unsre Stinme schallt.
So froh!
Die Lerche singt, steigt himmelan —
Was singt die Lerche so?
Von neuem bricht der Frühling an —
Wie ist die Lerche froh!
[151]Schneeglöcklein guckt hervor und blüht —
Was blüht Schneeglöcklein so?
Sein Blühen ist ein Frühlingslied —
Wie ist Schneeglöcklein froh!
Der Lerche Lied, des Blümleins Duft —
Was locken sie mich so?
Ich atme wieder Frühlingsluft —
Wie bin auch ich so froh!
Waldbach
Schon lange horch' ich lächelnd deinem Schwätzen!
Von meiner Muße doch zu profitieren,
Will ich dein Sanskritrauschen hier studieren,
Du kleiner Bach, ins Deutsch dich übersetzen.
Du plauderst mir mit kindischem Ergötzen
Von deiner Waldeswiege Lustrevieren,
Vom kecken Scherz mit Blumen und mit Tieren,
Die sich an deiner frischen Welle letzen.
Freust deiner Freiheit dich von Zwang und Bann
Und springst thalabwärts rauschend mir voran,
Vergnügt in deinem stillen Waldesraum.
O halt ihn fest, den holden Jugendtraum!
Bald wird der Lauf dir in der Fläche schwer,
Im Fluß verloren, wallst du stumm ins Meer!
Petrarca und Rückert
Hab' ich, Petrarca, dich so lang' gepriesen,
Will ich fortan, mein Rückert, dich nun preisen,
Der Jüngste du von allen alten Weisen,
Der mir so mild den rechten Weg gewiesen.
[152]Wie einst ich jenen pries, heut' preis' ich diesen,
Wie jener jung mich lehrte Liebesweisen,
Lehrt dieser Gottesweisheit nun dem Greisen;
Sei jeder denn zu seiner Zeit gepriesen!
Und soll ich preisen nicht sie alle beide?
Bin ich noch jung genug für Liebesleide,
Alt für der Gottesweisheit hehre Freude.
So hegt mein Herze beide euch vereint,
Wird keiner durch den andern doch verneint,
Weil Lieb' und Gottesweisheit Eins erscheint!
Medusa
Im Dämmerscheine locken Zaubertöne
Zum Meeresstrand! Auf schroffem Felsgesteine
Sitzt eine Jungfrau einsam und alleine,
Von sinnbestrickend wunderbarer Schöne.
Bald klagt sie sanft, bald klingt, als ob sie höhne,
Ihr wilder Sang, dann, ach! als ob sie weine,
Und jedem scheint sie die geliebte Seine:
Medusa — Gretchen — Lorelei — Sirene!
„Flieh, Jüngling, flieh! Trau nicht der süßen Lippe,
Dein Nachen scheitert an der glatten Klippe,
Schau, in den Wogen wälzen sich Gerippe!“ —
Sie ist zu schön! Er muß sie heiß umfangen —
Eiskalt ihr Kuß! Hu! Das sind Totenwangen,
Ihr Blick versteint, die Locken werden Schlangen — —
So starrt die Sünde — wenn du sie begangen!
Form und Inhalt
Form oder Inhalt? Das ist doch die Frage!
Soll eines mangelhafter sein von beiden,
So mag die Form an Unvollendung leiden,
[153]Nur daß sie rein und voll den Inhalt trage.
Wenn ich an einem heißen Sommertage
In hohler Hand den Felsenquell mir fasse,
Ha, welch ein Trunk! Ob ich beim frischen Nasse
Wohl jemals nach dem schönen Becher frage?
Verachten werd' ich wahrlich nicht beim Mahle
Den Götterwein in goldenem Pokale,
Doch ist und bleibt Hauptsache mir der Trank.
Nur satte Zecher haben Zeit zu prahlen
Mit Goldgefäßen und kristallnen Schalen,
Der Durst'ge sagt nur für den Trank dir Dank!
An meinen alten Flügel
I.
Sie schalten dich, du altes Instrument,
Und hast mich doch so innig oft entzückt,
Hoch über Erdenräume mich entrückt
Zu sel'ger Sphären ew'gem Firmament!
Ja was kein Wort der Erdensprache nennt,
Kein Ohr gehört, kein Auge je erblickt,
Was Menschenweisheit nimmer ausgedrückt,
Du sprachst es aus, was dort in Sternen brennt.
Ein Flügel wahrlich, hast du mich getragen,
Das höchste Jauchzen und das tiefste Klagen
In deiner Saiten Klängen angeschlagen.
Nun bist du alt — ich ward es ja mit dir,
Die Töne stocken mählich dort und hier —
Den Schwanensang, du Alter, singen wir!
II.
Ja, wir sind alt! Was hilft es, drum zu streiten!
Das Neue zieht die jungen Herzen an,
[154]Ein alter Mann ist ein vergess'ner Mann,
Hinab mit ihm zu den Vergangenheiten!
Du schmiegtest dich dem Sang, ihn zu begleiten,
Mit sanftem Klang bescheiden lieblich an,
Jetzt macht sich jeder breit, so viel er kann,
Und paukt und donnert greulich vor den Leuten.
Wir wußten beide nicht uns vorzudrängen,
Zufrieden, wenn an unsres Herzens Klängen
Sich gleichgestimmte Seelen still erbauten.
Was ew'ge Mächte gnädig uns vertrauten
An Himmelsgaben, streuten treu wir aus,
Und stiller Dank begleitet uns nach Haus!
Der fröhliche Geselle
Noch ruht die Welt im Bann der Nacht,
Da steigt er von den Bergen sacht,
Der fröhliche Geselle;
Sein Auge blitzet helle.
Sein Hauch berührt die Wälder kaum,
Da geht ein Flüstern durch den Raum,
Und in den Thälern allen
Die Schatten ziehn und wallen.
Und wie er schreitet königlich,
Erhebt die goldne Sonne sich
Und breitet ihm zu Füßen
Den Teppich aus mit Grüßen.
Und weiter geht sein Siegeslauf,
Die Vöglein alle weckt er auf,
Er rüttelt an den Zweigen,
Die Lerche heißt er steigen.
[155]Und wo ein See im Traum noch ruht,
Taucht er hinab in seine Flut,
Und um ihn goldig helle
Erglänzen Wog' und Welle.
Dann zu den Blumen minniglich
Mit holdem Lächeln neigt er sich:
Die Äuglein all' mit Taue
Netzt er auf Feld und Aue.
Sieht fröhlich drauf die Welt sich an
Und spricht: „Ich hab' genug gethan,
Ich will den Tag nun senden:
Der mag mein Werk vollenden!“
Schlaf, Dornröschen, geh zur Ruh
Schlaf, Dornröschen, geh zur Ruh,
Schließe nun die Äuglein zu!
Lenz und Sommer sind nicht mehr,
Und dein Thron ist blumenleer!
Schlaf, Dornröschen, schlaf!
Deine Krone ward zu Staub,
Und dein Schmuck des Herbstes Raub!
Horch, die wilden Stürme wehn:
Was da lebet, muß vergehn!
Schlaf, Dornröschen, schlaf!
Was da lebet, muß vergehn!
Aber du wirst auferstehn,
Wenn das Schneeenglöckchen klingt,
Wenn die erste Lerche singt!
Schlaf, Dornröschen, schlaf!
[156]Zwei Weltanschauungen
Griechische Tempel, wie deutet ihr klar auf ein irdisch Genügen!
Gotische Dome, wie kühn strebt ihr zum Himmel empor!
Mensch und Dichter
Jeglichem ward, zu empfinden, was ihn bewegt; das Empfundne
Zu bewegen, vermag einzig der Genius nur!
Maler und Dichter
Was uns der Maler entrollt, das zeig' in der Ruhe Bewegung;
In der Bewegung Ruh atme des Dichters Gebild!
Warnung
Hundert Pfade führen hinauf zu den Tafeln der Götter,
Tausend führen von dort dich an die Stätte der Qual!
Jerusalem
Deine Mauern zerbrach zwar das weltbeherrschende Rom einst,
Doch als Ruine bezwangst du noch die ewige Stadt!
[157]Der Kulturkampf
Immer bekämpfen Ideen und Interessen sich, immer
Siegten die letzten zuerst, immer die ersten zuletzt!
Memento mori
Naht dir der Tod, nicht zählt er die Jahre, die hinter dir sind, die
Stunden zählt er, die er dir noch zu leben vergönnt!
Dämmerungsstunde
Großmutter sitzt in dem Lehnstuhl und spinnt,
Drehet das Rädchen und schweiget und sinnt.
Neben dem Rädchen, das sauset und surrt,
Leckt sich behaglich das Kätzchen und schnurrt.
Großmutter weilt in der Gegenwart nicht;
Über das runzlige, welke Gesicht
Gleitet ein Lächeln wie rosiger Schein —
Großmutter dünkt sich wohl, jung noch zu sein?
Draußen im Hause, da waltet und schafft
Wirtlich die Mutter in rüstiger Kraft.
Sondert und sichtet; treppab und treppauf
Führt sie der sorglich geschäftige Lauf.
Großmutter, Kinder, der Mann und das Haus
Füllen ihr Dichten und Trachten noch aus.
Stets in der Gegenwart opferbereit,
Liegt ihr, was war und was kommen wird, weit.
[158]Tief aus dem Winkelchen, bei dem Kamin,
Schelmische Äugelein funkeln und sprühn.
Dorther ein rosiges Wangenpaar glänzt,
Üppig von goldenen Löcklein umkränzt.
Das ist das Töchterlein. Bänder und Tand
Heftet zusammen des Mägdeleins Hand.
Sorgsam im Schoße, vom Schürzchen bedeckt,
Ruhet die Puppe, zum Schlummer gestreckt.
Aber als leise die Wiege sich regt,
Hat sie zur Seite das Püppchen gelegt,
Schleicht auf den Zehen zum Brüderlein klein,
Wieget und singet in Schlummer ihn ein,
Singet gar altklug: „Und kommt auch die Nacht,
Sitzt doch die Mutter am Bettchen und wacht;
Sei es so spät noch, sei es so früh,
Mutter, lieb Herzchen, entschlummert ja nie.“
Büblein entschlummert bei Schwesterleins Sang,
Großmutters Rädlein erlahmet im Gang,
Liebevoll wirft auf das welke Gesicht
Lächeln der Freude sein rosiges Licht.
Dann sinkt die zitternde Hand in den Schoß,
Fädchen löst achtlos vom Finger sich los,
Großmutter murmelt und nicket im Traum,
Büblein erglühet im wärmenden Flaum.
Mägdlein singt leiser, und leiser sie wiegt,
Wange an Wange des Bruders geschmiegt.
Scheu durch des Fensters verglimmenden Schein
Huscht von der Linde die Dämmrung herein.
[159]Zwielicht und Stille im Zimmerchen; nur
Pickt und tickt lauter im Takte die Uhr;
Lindenbaum flüstert und kost mit dem Wind,
Mondenschein schlüpft durch die Blätter geschwind.
Laut auf der Schwelle jetzt scharret ein Fuß:
Vater kehrt heimwärts mit traulichem Gruß.
Mutter eilt schnell mit dem Lichte herbei —
Mutter, geh leise, sonst weckst du die Drei!
Karfreitag
Es kam der Tag, an dem der Herr der Welt
Am Kreuz für uns den Sühnungstod erlitten,
Und schweren Herzens war ich in das Feld
Und auf den Friedhof still hinausgeschritten.
Noch rang die Erde mit dem Wintertraum,
Ein wolk'ger Himmel deckte weit die Lande,
Ein einzeln grünes Hälmchen zeigte kaum,
Sie kämpfe frei sich von dem Winterbande.
Und zwischen öden Gräbern sah ich ein,
Wie nichtig sei des Menschen eitles Streben,
Da über Gräbern, für das Grab allein
Wir armen Menschenkinder einzig leben.
„Und nach dem Grab — was dann?“ — so sprach der Schmerz:
„Entsteigen sie dereinst den schwarzen Truhen,
Und drückst du wieder sie ans treue Herz
Die Lieben, die in kalter Erde ruhen?“ —
„Nein!“ — zischte leis des Zweifels gift'ger Hohn,
„Hat seinen Raub das Grab je hergegeben?“ —
„Ja!“ rief der Glaube laut, „des Menschen Sohn
Starb an dem Kreuz und lebt, damit wir leben!“ —
[160]Da spaltete die Sonn' des Nebels Brust,
Es glänzten hell verklärt die moos'gen Grüfte,
Und schmetternd trug die Lerche, siegsbewußt,
Die Auferstehungs-Hymne durch die Lüfte.
Heimliches Leid
Es dunkelte. — Das Mägdlein sitzt
Allein.
An ihrem Finger glänzt ein Ring
Mit blauem Stein.
Sie schaut aufs Ringelein hinab
So trüb:
„Du bist ja alles, alles, was
Von ihm mir blieb.
Du solltest seiner Treue Pfand
Mir sein ...
Dahin die Lieb', dahin die Treu,
Ich bin allein,
Ich bin allein! — O halt dich stark,
Mein Herz,
Daß keiner schaue deinen Gram
Und deinen Schmerz!“ ...
Ein bleiches Sternlein hat es doch
Gesehn:
Sein Strahl schwamm auf dem blauen Stein
In einer Thrän'.
Der Schwarzdornstab
Die Sonne scheinet hell und heiß,
Da spricht der Schnee, da ruft das Eis:
„Wir ruhten g'nug auf Thal und Höh'n,
Komm, komm, wir wollen weiter gehn
Und wandern!“
[161]Der Bach, der lang' im Schlummer lag,
Warf seine Decke ab und sprach:
„Steh auf, steh auf, du lust'ge Well',
Der Schlaf ist aus, wir wollen schnell
Nun wandern!“
Zum blauen Himmel hoch empor
Schwingt sich der Lerchen muntrer Chor:
„Auf, auf, ihr Schläfer weit und breit,
Es kommt der Lenz, macht euch bereit
Zum Wandern!“
Das Knösplein lauscht mit offnem Ohr;
Es drängt die grüne Saat empor;
Manch Blümlein kommt in lichtem Schein:
Sie wollen alle Zeugen sein
Beim Wandern. —
Am Schwarzdorn, unterm grünen Hag,
Ein junger Bursch im Schatten lag.
Der Schwarzdorn flüstert: „Wär' ich du,
Mir ließe weder Rast noch Ruh
Das Wandern! —
Steh auf, steh auf, du fauler Knab',
Schneid dir von mir den Wanderstab,
Wir wollen beide, treugesellt,
Hinausziehn in die weite Welt
Und wandern!“ —
Manch Jahr schon ziehen kreuz und quer
Die Beiden in der Welt umher.
Und möcht' der Bursche gern nach Haus,
Der Schwarzdorn spricht: „Da wird nichts draus:
Wir wandern!“
[162]Drei Jahr' sind bald vorbei
Als auf die Wanderschaft ich ging,
Das war des Morgens früh:
Da gaben das Geleite mir
Die Ann' und die Marie.
Die Anne meine Schwester war,
Die trug mein Bündelein;
Marie hing an meinem Arm,
Das war die Liebste mein.
Und wo der Weg sich kreuzen thut,
Da standen still wir drei;
Da küßt' ich scheidend die Marie
Und schwur ihr ew'ge Treu.
Ein Wanderbursch des Weges kam,
Der sang gar frisch: „Juchhei!
Drei Jahre mußt' ich wandern wohl,
Drei Jahr' sind bald vorbei.“
Und wie er dicht nun an uns war
Und guten Morgen bot,
Ward plötzlich Schwester Anna bleich
Und plötzlich wieder rot.
„Wilhelm!“ rief sie — „Anna!“ rief er
Und zog sie an die Brust.
Sie herzten und sie küßten sich
In sel'ger Liebeslust.
Doch ich gab traurig meinem Lieb
Den allerletzten Kuß,
Nahm's Bündel auf den Rücken und
Die Landstraß' untern Fuß.
[163]„Behüt' dich Gott!“ rief sie mir nach;
Ich rief: „Auch dich, Marei!“
Und schluchzte, ohne umzuschaun:
„Drei Jahr' sind bald vorbei!“
Sonnenaufgang
Grüne Saaten, Tannendunkel,
Taues Diamantgefunkel,
Lerchenlied und Finkenschlag,
Blauer Himmel, goldne Sonne,
Ros'ge Wolken, Herz voll Wonne:
Das giebt einen guten Tag!
Kraft, Gesundheit, muntre Glieder,
Jugendlust, Gesang und Lieder,
Freie Brust und heller Mut,
Und in tiefstem Herzensschreine
Lieb' und Treue für die Eine —
Ha, wie wandert's sich so gut!
Morgenfrühe
Die Kornblum' nickt, die Mohnblum' lauscht,
Die grüne Saat im Winde rauscht
Und wallt, wie Wellen im Meere.
Der Klee färbt rot den grünen Plan,
Die Lerche trillert himmelan
Und giebt dem Schöpfer die Ehre.
[164]Der Himmel wölbt sich rein und blau,
Und funkelnd blitzt der Morgentau
Wie Perl' und Demantgesteine.
Durch ros'ger Wolken Strahlenthor
Tritt flammenglühend, stolz hervor
Die Sonne in blendender Reine.
Licht, Glanz und froher Jubelschall,
Lust, Freude, Wonn' allüberall,
Wohin die Blicke ich kehre;
Und fröhlich stimm' ich in all' die Lust
Hell jauchzend ein aus voller Brust:
„Herz, gieb dem Schöpfer die Ehre!“
Abenddämmerung
Es prangt der Wald in Frühlingstracht;
Durch seine Blätterdämmrung lacht
Und kost und schmeichelt die Sonne.
Durch seine Schatten winkt's und springt,
Da wispert's, flüstert's, klingt's und singt:
O Herz, wie trägst du die Wonne? —
O Wald, o Feld, o Berg und Thal,
O Welt, du schöne, allüberall,
Gott grüß' dich, Gott grüß' dich vieltausendmal! —
Wie lustig ist das Wandern!
Es flammt der Berg in Purpurschein,
Es springt die Quelle klar und rein
Herab mit fröhlichem Rauschen.
Im Thale tief ein Glöcklein klingt,
Wie mir sein Klang zum Herzen dringt! —
Hier will ich ruhn und lauschen.
[165]O helles Glöcklein, o murmelnder Fall,
O Welt, du schöne, allüberall,
Gott grüß' dich, Gott grüß' dich vieltausendmal! —
Wie lustig ist das Wandern!
Ein Sternlein durch die Wolken bricht,
Vertraulich winkt sein goldnes Licht
Mir Gruß vom dunkelnden Runde.
Gott grüß' dich, holder Liebesstern,
Grüß mir die Liebste in der Fern'
Zu stiller, nächtiger Stunde! —
O du, mein Glück und meine Qual,
Marie, du Schönste allüberall,
Gott grüß' dich, Gott grüß' dich vieltausendmal! —
Wie lustig ist das Wandern!
Im Abendwinde
Es träumt mir, wenn der Abendwind
Um meine Stirne weht,
Von einer breiten, grünen Lind',
Die in der Heimat steht.
Sie steht vor meines Vaters Haus
Wohl auf dem freien Platz;
Die Vöglein fliegen ein und aus,
Und drunter sitzt mein Schatz.
Der Schatten sinkt hinab ins Thal,
Das Abendglöcklein klingt,
Der Abendstern mit hellem Strahl
Durchs Blätterdickicht blinkt.
[166]Sanft rauscht der Wind im Lindenbaum;
Sie schaut den Abendstern
Und flüstert still, in süßem Traum:
Grüß mir den Liebsten fern! —
O Schatz, o Stern, o Lindenbaum,
Wie seid ihr ferne mir! — —
Ich wollt', das alles wär' kein Traum
Und ich säß' neben ihr.
Der Blumenstrauß
Als ich schied von meinem Mädchen,
Steckte sie mir fromm und gut
Einen Strauß Vergißmeinnichte
Weinend an den Reisehut.
Seine Blümlein sind verwelket,
Seine Blätter sind verdorrt,
Und der Sturm nahm Blatt und Blüten,
Eines nach dem andern fort.
Heut riß auch das letzte Stielchen
Mir der Wind vom Hute ab,
Eben heute, wo zur Heimkehr
Ich den Schritt gewendet hab'.
Ei, das ist ein glücklich Zeichen:
Fort das welke Reis vom Hut,
Während unverwelkt im Herzen
Noch der frische Strauß mir ruht.
[167]Neue Wanderlust
Die kleine Lerche ist schon da! —
Sie schwebte überm Haus
Heut' morgen schon, in aller Früh,
Und rief: „Heraus, heraus!
Dein Bündel schnür, 's ist Wanderzeit,
Der Frühling regt sich weit und breit,
Heraus, Gesell, heraus!“
Flugs sprang ich in das Kämmerlein,
Das Ränzel ward geschnürt,
Holt' aus der Eck' den Wanderstab,
Mit Namen wohl verziert,
Bracht' Pfeif' und Reiseflasche vor,
Schob flott den Hut aufs linke Ohr —
Juchhei! Jetzt wird marschiert!
Und als ich unterm Thorweg stand,
Da rief ich keck ins Haus:
„Frau Meistrin, ich will wandern gehn,
Bring Sie den Paß heraus!“
Die Meistrin kam und sah mich an:
„Bist du verrückt, mein lieber Mann?
Für dich ist's Wandern aus.“
Potz Blitz! Was hab' ich mich geschämt!
Im Wandereifer gar
Vergaß ich, daß seit Monden schon
Ein Ehemann ich war.
Daß mich die Lerche angeführt,
Der Kuckuck grausam mich blamiert,
Ward mir mit Schrecken klar.
[168]Ganz kleinlaut sprach ich: „Liebster Schatz,
So arg ist's nicht gemeint. —
Wir haben Lenz, der Krokus blüht,
Die Frühlingssonne scheint,
Der Lerche Jubellied erschallt —
Ich wollt' nur schauen, ob auch bald
Der Storch — bei uns erscheint.“
Ein Gesicht
Im fernen Indierlande
Schlief unter einem Baum
Der weise Sakiamuni;
Da kam ihm dieser Traum:
Er wähnt', es wölbe wieder
Sich über ihm das Dach
Des stolzen Vaterhauses,
Das goldene Gemach,
Wo er auf weichem Polster
Geträumt als junger Mann
Und wo des Volkes Elend
Das Herz ihm aufgethan.
Er träumt', er säße selber
Auf hohem Königsthron,
Und seine Stirne schmückte
Die goldene Herrscherkron'.
Da dehnten sich die Hallen,
Da dehnte sich das Haus —
Die stolzen Pfeiler strebten
Ins Himmelslicht hinaus.
Und sieh! von nah und ferne,
[169]Von Osten und von Süd'
Nahn sich die Menschenscharen,
Von einem Drang durchglüht.
Und immer weiter dehnt sich
Der goldene Königsbau,
Und seine Pfeiler streben
Hinauf ins Himmelsblau.
Und alle, die sich nahen,
Umfaßt der weite Raum,
Und alle, die noch folgen —
Und weiter zeigt der Traum:
Wie jene Menschenscharen
Sich ringsher angebaut,
Und einer mit dem andern
Lebt friedlich und vertraut.
Nicht Haß und blut'ge Fehde
Zerstöret das Gefild;
Nur Lieb' und Friede schmücken
Das anmutvolle Bild.
Und froh erwacht der Weise:
„O was im Traum ich sah,
Möcht' es sich einst erfüllen!
O wär' die Zeit doch nah,
Da alle Menschenbrüder
In freundlichem Verein
Die höchste Weisheit übten:
Mit Menschen — Mensch zu sein!“
[170]Abwehr
Du, der du die Versuchung nie gekannt,
Des Herz geschlummert stets in träger Ruh —
Ich bin mit deinem Wesen nicht verwandt,
Was fragst du mich: warum ich nicht wie du?
Mein Lebensschiff ward nicht von kund'ger Hand
Sorgsam geleitet zu dem sichren Port;
Allein schifft' ich vom trauten Heimatstrand
Und trieb auf wilden Wellen hilflos fort.
Das Steuer lenkt' ich selbst mit trotz'gem Mut,
Kein Gott, kein Stern erleuchtete den Pfad —
So kämpft' ich mit der Elemente Wut,
Verzweifelnd oft, daß mir ein Retter naht —
Und ging nicht unter; aber rauhen Sinn
Ertrotzt' ich mir auf wildem Lebensmeer;
Nie gab ich je mein bestes Fühlen hin,
Doch blieb mein Herz dabei nicht liebeleer.
Drum, der du die Versuchung nie gekannt,
Des Herz geschlummert stets in träger Ruh —
Ich bin mit deinem Wesen nicht verwandt;
Was fragst du mich: warum ich nicht wie du?
Vorüber rauscht des Tages Welle
Vorüber rauscht des Tages Welle;
Der Strom der Nacht zieht ernst und groß;
Es glänzt mit zauberhafter Helle
[171]Der Mond in ihrem blauen Schoß.
Kein buntes Treiben mehr und Schwanken,
Nur Friede rings und süße Ruh;
Selbst dem bewegtesten Gedanken
Fällt kindergleich das Auge zu.
Die Welt mit ihrer sel'gen Stille
Besänftigt jeden wilden Drang:
Es stirbt der Wunsch, es fügt der Wille
Sich unbewußt dem holden Zwang.
Zu süßem Träumen wird das Denken,
Nur Bilder flattern hin und her,
Bis auch die Bilder sich versenken
In des Vergessens tiefes Meer.
Nun ist verschmolzen alles Leben;
Eins ward der Mensch mit der Natur;
Was sie getrennt, es war das Streben,
Und wo blieb seine letzte Spur?
Für wenig Stunden kehrt die Einheit,
Und Gott beschaut sich ungestört
Sein Schöpfungswerk, das voller Reinheit
Ihm einzig wieder angehört.
Die Rosenlacherin
Woher der reiche Segen
An frischer Rosenpracht,
Woher der reiche Segen
In jeder neuen Nacht?
Es ist ein altes Märchen
In meinem Sinn erwacht,
Die Mär von jenem Jungfräulein,
Das rote Rosen lacht.
[172]Giebt's denn in meiner Nähe
Ein Kind, das Rosen lacht
Und, früh mich zu erfreuen,
Sein Spiel treibt in der Nacht?
Ich hab' das Kind gefunden,
Das mir die Freude macht:
Es ist mein lustig Töchterlein,
Das rote Rosen lacht.
Wenn abends um die Beete
Das Kind so herzlich lacht,
Was Wunder, daß am Morgen
Erblüht der Rosen Pracht.
Das Frauenherz
Hat Gott ein Wesen dir beschert,
Das treu dir angehöret,
So halt's vor allem lieb und wert,
Was euch auch irrt und störet.
O hör auf Neid und Mißgunst nicht,
Sei nicht vor Zweifel bange,
Und wenn der Bosheit Zunge sticht,
Zertritt die gift'ge Schlange.
Ja, so dein Lieb dich selber quält,
Halt an mit rascher Schelte,
Frag, ob du selber nicht gefehlt
Durch Mißmut oder Kälte!
Doch mußt du tadeln, hüte dich,
Mit Bitterkeit zu tadeln —
Es soll in echter Liebe sich
Der Vorwurf selber adeln.
[173]Und wenn dein Lieb oft klagt und weint
Und dich bestürmt mit Thränen, —
Was dir wie Laune nur erscheint,
Ist oft das tiefste Sehnen.
Es ist ein schwierig Instrument,
Das Frauenherz, das treue,
Und wer's nicht gut und gründlich kennt,
Schlägt's an zu Leid und Reue.
Die einsame Tanne
Die Tanne ragt so hoch und stolz —
Die Sträucher kichern und schwätzen,
Sie haben am stolzen Tannenbaum
Gar vieles auszusetzen.
Die Tanne hört von allem nichts,
Sie sieht die Au'n sich weiten,
Sie schaut der Wälder wogend Meer
Sich über die Lande breiten.
Sie tauscht, wenn unten vom Föhn durchwühlt
Die Sträucher zittern und schwanken,
Mit ihrem Freunde, dem heiligen Sturm,
Gewaltige, hohe Gedanken.
Die deutschen Riesen
Von Lichtenberg Herr Jakob — im Elsaß blüht sein Haus —
Lag einst mit drei Franzosen in einem heft'gen Strauß.
Es fordern ihn die Herren zu einem Rennen scharf,
Wozu jedoch Herr Jakob zwei Helfer küren darf.
Da kürt er sich zwei Helfer: ein Salm der eine war,
Ein Fleckenstein der andre, ein ganz gewaltig Paar;
[174]Von Lichtenberg Herr Jakob war selbst ein Enakssohn —
So ziehn die drei Gefährten getrosten Muts davon.
Als sie dem Kampfplatz nahen im Waffenschmuck — par bleu,
Wie recken die Franzosen die Köpflein in die Höh:
„Mon dieu, das seind die Deutschen? Das keine Menschen seind,
Das seind drei Goliathe, das seind drei böse Feind!“
Wie bebte den Franzosen das arme bange Herz:
„Mit Riesen sich zu schlagen, das ist ein schlimmer Scherz!
Wir fordern, daß zur Stelle sich bild' ein Kampfgericht
Und endgültig entscheide, ob solch ein Streit uns Pflicht.
Wir dachten uns mit Menschen zu schlagen — Element,
Da kommen aus dem Elsaß die Heunen angerennt!“ —
Die deutschen Goliathe hell lachend stimmen ein
Und warten der Entscheidung bei gutem Frankenwein.
Drei Tönnchen sind vertrunken, als so der Spruch ergeht:
„Dieweil und sintemalen es klar erwiesen steht,
Daß Menschen sie gefordert, doch solche Riesen nicht,
So ist in diesem Falle zu kämpfen keine Pflicht.“
Die deutschen Helden lachen: „Uns ist die Sache gleich,
Doch kommen wohl noch Zeiten, da spürt ihr unsern Streich.“
Es kamen solche Zeiten, doch währt' es freilich lang:
Jüngst als man bei Reichshofen sich traf im Waffengang,
Da haben die drei Riesen im Grabe sich gerührt
Und rasselnd draus erstanden manch wucht'gen Streich geführt;
Gleich düstern Wolkensäulen durchtobten sie die Schlacht,
Doch als der Sieg errungen und niedersank die Nacht,
Da sind sie still gekehret zum grauen Sarkophag,
Doch hört' man, wie der eine zum andern freudig sprach:
„Wie vor vierhundert Jahren ist's heute noch bestellt:
Noch sind die Deutschen Riesen, Trotz bietend aller Welt.“
[175]Wahnfried
Das ist der Fluch, der uns auf Erden
Folgt von der Wiege bis zum Grab:
Daß niemals wir zufrieden werden,
Ob uns auch Gott das Höchste gab;
Daß wir, gequält von eitlem Streben,
Verzehren unser kurzes Leben,
Rastlos getrieben auf und ab!
Ein Tantalus in seiner Weise,
Wird jeder von Begier zernagt;
Fühlt sich nicht wohl im eignen Kreise,
Wünscht immer nur, was ihm versagt.
Und für Genüsse, die wir träumen
In fernen, nie erreichten Räumen,
Wird kindisch Gut und Blut gewagt.
„Was könnt' ich sein, was thun und haben,
Hätt' anders mich mein Pfad geführt!
Bei meinem Streben, meinen Gaben
Mir wohl ein höh'rer Platz gebührt!“ —
Mit solchen oftgehörten Klagen,
Die nur vermehren unsre Plagen,
Wird stets des Sehnens Glut geschürt.
Und doch: — Wär' alles dir beschieden,
Was du begehrst: es ist ein Wahn!
Dir würde doch nicht Seelenfrieden,
Du klagtest doch auf deiner Bahn!
Denn ach des Lebens goldne Sterne,
Sie bleiben ewig, ewig ferne,
Wir können nimmer ihnen nahn.
[176]Wissen
Gold, Ehre, Macht und Sinnenlust
Sind flüchtig, wie der Blumen Glanz;
Sie füllen nicht die Menschenbrust,
Erfreun uns nur mit kurzem Tanz.
Nur was der Geist sich selbst erwarb,
Durch eignes Forschen, eignes Thun,
Ob alles, was er liebte, starb:
Es bleibt im tiefsten Innern ruhn.
Der Wahrheit niemand uns beraubt;
Ob man uns Gold und Ehre nimmt,
Es bleibt, was wir gethan, geglaubt,
Auch wenn das Leben längst verglimmt.
Kein Schicksal beugt des Weisen Mut.
Er trägt im Busen seine Welt —
Die Wahrheit ist das höchste Gut,
Das uns erfreut, das uns erhält!
Träume
Du klagst: „Es war ja nur ein Traum,
Ein Rausch, der schnell vorüberschwand;
Das Glück ist nur ein flücht'ger Schaum
An eines bittern Bechers Rand!“ —
Nun wohl! Doch warst du nicht beglückt,
Als du so kurz, so süß geträumt?
Warst du zum Himmel nicht entrückt,
Als höchste Lust die Lipp' umschäumt?
[177]Das Kind träumt an der Mutterbrust,
Am Busen der Natur der Mann;
Ruhm, Ehre, Liebe, Macht und Lust —
Es ist ein Traum, der schnell entrann!
Ja, unsrer Zukunft Wonnebild,
Die Schmerzen der Vergangenheit
Umziehn als Träume lind und mild
Der Gegenwart unendlich Leid.
Drum träume, träume oft und gern,
Bist du auch manchmal jäh erwacht;
Das Glück, am Tage ewig fern,
Sucht jeden auf im Traum bei Nacht!
Häusliches Glück
In dieser Zeit, wo Schmach und Not
Das teure Vaterland bedrückt,
Wo Recht und Freiheit man bedroht —
Fühl' ich daheim mich hochbeglückt.
Mag draußen Trug und Heuchelei,
Verleumdung wüten, Haß und Neid:
Zu Hause bin ich froh und frei,
Erfüllt von stiller Seligkeit!
Da waltet treu mein liebes Weib,
Mein bester Freund in That und Wort;
Mir eng' vereint mit Seel' und Leib,
Scheucht sie mir Zorn und Kummer fort.
Da lebt und lacht mein holdes Kind,
So engelrein und unschuldsvoll;
Wieg' ich's im Arme leicht und lind,
Bin ich befreit von allem Groll!
[178]Da schöpf' ich neuen Lebensmut
Aus der geliebten Wissenschaft,
Der Kunst und Dichtung heil'ge Glut
Giebt stets dem Herzen neue Kraft.
Drum zieh' ich aus dem Sturm der Welt
Mich in mein stilles Heim zurück:
Wie viel auch draußen wankt und fällt —
Fest steht zu Haus mein Herzensglück!
Torringer
Der Torringer war ein Rittersmann;
Wenn er des Nachts am Kirchhof ritt,
Hielt er sein schnaubend Rößlein an
Und zügelt sanft es Schritt für Schritt.
Und jeden, der dort schlummernd ruht,
Befiehlt er leis in Gottes Hut.
Er betet recht aus Herzensgrund,
Das war kein Beten vor der Welt;
Es segnet fromm des Ritters Mund,
Wem dort sein stilles Haus bestellt.
Oft, wenn es leis im Winde rauscht,
Scheint's ihm, daß man der Andacht lauscht.
Einmal geschah's, mit wildem Schrei
Jagt nachts der Feind dem Ritter nach;
Am Kirchhof grade ging's vorbei,
Als Mann und Roß zusammenbrach.
Da hört er, wie mit Haß und Hohn
Die Rotte naht, die Feinde drohn.
[179]Der Feind ist nah, die Not ist groß,
Der Torringer spricht sein letzt Gebet;
Zu sicher schien des Gegners Stoß,
Doch kommt die Hilfe nicht zu spät —
Aufspringt des Kirchhofs eisern Thor,
Die Toten sind's, sie rücken vor.
Manch Toter aus dem Grabe sprang
Mit hastig schlotterndem Gebein;
Dem Beingerippe knochenblank
Fügt sich der harte Schädel ein.
Sie rücken vor, sie greifen an
Zu Wehr und Hilf' dem frommen Mann.
O wie im mondlichtweißen Feld
So grausig traumhaft wunderbar
Der Mordlust sich entgegenstellt
Dankbar der Toten stumme Schar. —
Nun Torringer, reit du froh nach Haus!
Die Feinde fliehn, der Kampf ist aus.
Die alte Mühle
Das ist die alte Mühle nicht,
Die einst in jungen Tagen
Im Morgengold, im Abendlicht
Die Flügel froh geschlagen.
Nun steht sie müde, morsch und lahm,
Vereinsamt und gebrochen;
Hin ging das Jahr, ein neues kam,
So ging's in Tag und Wochen.
[180]Doch einmal hat der Sturm gepackt
Zur Nacht die alten Glieder
Und griff ins Herz und sang im Takt
Umschwingend seine Lieder.
Und wie er singt und schwingt mit Macht,
Kommt jäh der Blitz gesprungen,
Wie hat der Feuerräder Pracht
Sich leuchtend umgeschwungen!
So war's, so mußt' ihr Ende sein,
Hell lodernd wunderprächtig —
Doch manch ein Wandrer sieht den Schein
Noch leuchten mitternächtig.
Das Glück ist taub
Aufwirbelt der Wind das dürre Laub,
Ich poch' ans Thor, das Glück ist taub;
Der Abend ist kalt, und hart der Stein,
Ich poch' ans Thor, o laß mich ein!
Das Glück ist taub, wie sollt' es nicht!
Es wärmt sich drin am flammenden Licht,
Es dehnt sich drin in behaglicher Ruh —
Ich poch' umsonst, das Thor bleibt zu.
O wär' ich nicht elend, arm und krank,
Du ließest mich ein mit Gruß und Dank!
Du locktest mir zu, du riefst mich hinein,
Du brächtest im goldnen Becher den Wein.
[181]Zum Strande
Während noch in müder Seele
Halbverträumte Wünsche schlafen,
Treibt mich hastig ohne Fehle
Schon mein Schifflein fort zum Hafen.
Ach so viel noch möcht' ich wissen,
Ach so viel noch möcht' ich fragen,
Doch dem Traum von Finsternissen
Wird kein Tag die Antwort sagen.
Und schon gleitet schwärzlich leise
Schiff und Flut zum Uferrande,
Schon verklingt der alten Weise
Letzter Ton — ich bin am Strande.
Alles muß vergessen sein
Saus', o sause, dürres Blatt,
Alles muß vergessen sein!
Trank ich einst mich frühlingssatt,
Ruh' ich jetzt auf kaltem Stein.
Und der feuchte Nebel spinnt
Alles tief und tiefer ein,
Bis es ganz in Traum verrinnt —
Alles muß vergessen sein!
[182]Ein Pfingstlied
Die Thür mit grünem Kranz geschmückt,
Den frohe Hände wanden;
Wohin das Auge spähend blickt,
Nur Blumen und Guirlanden;
Und um uns her ein Meer von Licht,
Ein Meer von Frühlingswonne,
In dem sich tausendfarbig bricht
Der Strahl der jungen Sonne!
Und jeder Strahl des goldnen Lichts,
Der uns entgegenzittert,
Und jeder Hauch des Lebens spricht,
Der froh die Luft durchzittert:
„Erhebet euch von dumpfem Schmerz
Und träumendem Entsagen!
Die Lieb' erschuf das Menschenherz,
In Lieb' und Lust zu schlagen.“
Die Erde ist kein Jammerthal
Zu Thränen nur und Schmerzen,
Zu läutern erst durch Not und Qual
Die sünd'gen Menschenherzen:
Was lebt, hat auch ein heilig Recht
Zur Freude! Wehe denen,
Die auserkorenem Geschlecht
Sie vorbehalten wähnen!
Doch nicht dem Tiere gleich, das nur
Nach Augenblicksgenusse
Sucht auf der immergleichen Spur
Nach Fraß im Überflusse,
[183]Aus dunklem Trieb sich Höhlen gräbt
Bei Frost und Winters Nahen,
Für fremde Leben Netze webt,
Als Beute sie zu fahen!
Dem sei nicht gleich des Menschen Geist
In seinem hohen Streben!
Wer sich das Bild der Gottheit heißt,
Der zeig's in seinem Leben,
Zeig', daß, ob Einzelwesen noch,
Er über solche Schranken
Im Geiste sich erhoben doch
Zum wahren Gottgedanken; —
Der Wahrheit ist und freie That,
Dem Werkzeug Leib und Sinne,
Und der das eine Ziel nur hat,
Daß jeder sich gewinne,
Gewinn' aus jedem fremden Zwang,
Der Freiheit macht zu Schanden,
Ob es der eignen Sinne Drang,
Ob Druck von äußren Banden.
Dann ist dem Menschen lieb und wert,
Nicht Tand noch Last, das Leben,
Das er mit Sorgfalt pflegt und ehrt,
Durch menschlich freies Streben;
Und ruft der Wahrheit Zeugenschaft,
Mag auch die Hölle drohen,
Dann flammet seines Geistes Kraft
Empor mit offnem Lohen!
[184]Dann kündet er der Wahrheit Wort
Und scheut nicht Tod noch Bande:
Er wird der Geister Schirm und Hort,
Ein Schreck der Lügenbande;
Sein Auge blitzt in höherm Glanz,
Sein Wort hat Feuerzungen,
Und ein Prophetenstrahlenglanz
Hält seine Stirn umschlungen.
Und wer noch hat ein offnes Ohr,
Ein Herz, noch unbestochen,
Dem kommt so traut die Rede vor,
Als wär's in ihm gesprochen;
Und wie das Echo tausendfach
Des einen Rufes Leiter,
So klingt's in allen Seelen nach
Und klinget immer weiter.
So blüht in alter Sagen Kreis
Auch diese „Wunder“-Blume
Ihm, der den Duft zu deuten weiß,
Zu Geistes Freud' und Ruhme!
Du Geist, so licht, so warm, so klar,
O weih auch den Geringsten,
Mach allenthalben offenbar
Die Wunder deiner Pfingsten!
[185]Dieselben! (1813—1870)
Ha, bei Gott! Noch stets dieselben,
Wie vor siebenundfunfzig Jahr:
Bauernsöhne mit goldgelben
Haaren, und Augen, blau und klar!
Kerle, die jetzt wie geflügelt
Auf des Schlachtfelds Tennen schreiten
Und im Sattel festgebügelt
Selbst den Teufel überreiten!
Bursche aus dem Weserthale,
Märker, Pommern, zäh wie Eschen,
Niedersachsen — der Westfale,
Glaubt mir, kann ganz furchtbar dreschen!
An der Katzbach trotz dem Regen
Drauf und dran ging's sonder Scheu:
Flegel, die mit Kolbenschlägen
Quetschten welsches Korn zu Brei!
„Grenadier, dem Bauernsohne“,
Rief der Marschall Ney, „mir steh!“
Doch von einem Bataillone
Ward zerdroschen das Karree.
König rief: „Ihr Schwerenöter,
Wie nur könnt ihr“ — „Majestät,
Kolben vor! So fluscht es beter,
Als wenn Lauf vor Kolben geht.“
Achtzehnhundertdreizehn war das,
Als das Volk trat ins Gewehr,
Voll Bewundrung russ'scher Zar das
Sah; ah wart, er sieht noch mehr!
[186]England sieht es und der Däne,
Den des Franzmanns Hafer sticht,
Ja, selbst zu Paris die Hähne
Riefen: So was sahn wir nicht!
Preuße, Würtemberger, Bayer —
Alles pfeift auf einem Loch!
Ach, die alte deutsche Leier
Wär' dem Franzmann lieber doch!
Preußen, Bayern, Sachsen, Hessen,
Schwaben — Deutsche allesamt,
Deutsche, welche nicht vergessen,
Was aus deutscher Wurzel stammt!
Die auf einem Stamm jetzt rauschen,
Zweig an Zweig und Ast an Ast,
Die, so sehr sie seitwärts bauschen,
Doch ein mächtiger Wipfel faßt!
O wie mich erquickt dies Wogen!
Hab' ich dieses noch erlebt:
Daß im kühngeschwungnen Bogen
Deutschland ost- und westwärts strebt!
O wie jetzt, so ewig haltet
Herz an Herz und Hand an Hand!
Sieh ein Bild — wie schön gestaltet
Stehst du da, o Vaterland!
[187]Epigramme
Hölderlin
Urspünglich für das Hölderlin-Denkmal in Tübingen bestimmt
Dem edlen Dichter, der aus tiefer Nacht
Zur Höhe strebte, sei der Kranz gebracht!
Stockblind
„Stockblind ich die Erde finde,
Dran man nichts von Absicht spürt!“
Rief der Doktor, den — die Blinde
Jährlich um die Sonne führt!
Mens movet molem
Auf der Eisenbahn Herr Dickwanst
Widerbellt angeblich hohlem
Geisttum, und der Esel spürt nicht,
Wie derweil mens movet molem!
Pessimisten
In die Flucht den Teufel schlugen,
Daß er lahm ward, tapfre Christen;
Doch, bereits verteufelt, trugen
Ihn zurück die Pessimisten.
[188]Auf einem Kirchhofe
Einsam lieber fürwahr in des Meers frischatmender Salzflut
Ruht' ich, als hier, wo Leib modernd zu Leib sich gesellt!
Leichenbestattung durch Verbrennung
Seele, du bist im Gefäße des Leibes das geistige Feuer,
Feurig entschwebe dem Leib, der sich als Fackel dir beut!
Wohlfeiler Ruhm
Ärmliches Zeug! wer liest es? Doch wurde das Männlein berühmt, weil
Pomphaft Reklamen von ihm täglich das Publikum liest.
Stümper
Pfui mit der Form! — so ruft, auf den Geist sich berufend, der Stümper,
Weil er, zu schwächlich, dem Geist schaffen nicht konnte die Form.
Verlornes Glück
Wenn mein verlornes Glück mir vor die Seele
Des Abends tritt, da sehn' ich mich zum Strande
Des ew'gen Friedens und der sel'gen Ruhe,
Wo schon so mancher schmerzerfüllte Wandrer,
Des Sterne sich verdunkelten in Träume,
Nach langem Leiden fand des Friedens Segen.
[189]Wenn ich gesprochen dann den Abendsegen,
Dann sucht nach frohen Bildern meine Seele,
Sie träumt sich fort bis hin zum fernsten Strande,
Will suchen sich in süßen Träumen Ruhe,
Doch bleibt sie plötzlich stehn, gleich einem Wandrer,
Des Hoffnung leichter Hauch, des Pläne — Träume.
Dann blick' ich hin auf die verblichnen Träume
Und spreche: Nein, bei Gott! es ist kein Segen,
Daß eine junge muterfüllte Seele
Am kahlen Felsen eitler Hoffnung strande,
Daß niemals von der Kämpfe Mühen ruhe
Ein müder Krieger, ein gequälter Wandrer.
Wohl spricht mit müden Lippen manch ein Wandrer,
Legt er des Abends sich zum Schlafe: Träume
Von bess'rer Zeit, mein Herz! Da kommt der Segen
Der schönsten Bilder ihm vor seine Seele,
Ein Eiland schwebt ihm vor mit blum'gem Strande,
Dann ruft er froh: Dies ist mein Ort der Ruhe.
Wenn sich erhoben dann von nächt'ger Ruhe
Zu neuen Tagereisen hat der Wandrer,
Dann haben ihn gestärkt die lichten Träume,
Im Herzen tief fühlt er den heil'gen Segen,
Und Hoffnungsbilder wiegen seine Seele:
Er naht ja bald dem süßen Heimatstrande.
Mein Hoffnungsschiff liegt längst zerschellt am Strande,
Wo find' ich nun, als nur im Grabe, Ruhe,
Ein vielgeprüfter, tiefgebeugter Wandrer?
Die kurze Nacht nur hebt mich, wo ich träume;
Dann, wenn mein Herz genießt den holden Segen,
Fühlt nichts von herben Leiden meine Seele.
[190]Wohl sehnt die Seele sich zum dunkeln Strande,
Ich selbst zur Ruhe mich, ein müder Wandrer,
Hätt' ich die Träume nicht und ihren Segen.
Allsiegerin, Liebe!
Du bist die höchste der Erdengewalten, Allsiegerin, Liebe;
Wunderbarste von allen Gestalten, Allsiegerin, Liebe!
Von der Erde zum Himmel und durch unermeßliche Räume
Fliegst du, beglückend mit zaubrischem Walten, Allsiegerin, Liebe!
Lächelnd winkst du, da blühen empor holdschimmernde Rosen
Aus des Felsens unwirtlichen Spalten, Allsiegerin, Liebe! —
Darum laß mich auch heute an deinem bekränzten Altare
Niederknieen, um Andacht zu halten, Allsiegerin, Liebe!
Huldreich warst du mir wieder, drum laß zum wonnedurchglühten
Dankgebete die Hände mich falten, Allsiegerin, Liebe!
Wie ein Priester will ich dir dienen, und mag auch das Alter
Einst mein Antlitz durchfurchen mit Falten, Allsiegerin, Liebe!
Höre den Weihespruch denn! — O daß doch ewig die Worte,
Dir zu Ehren, die Welt durchhallten, — Allsiegerin, Liebe:
Alles, was je ward um Liebe gesungen, geweint und gelitten,
Läßt sich in diese zwei Worte gestalten: Allsiegerin, Liebe!
Der Ring
Daß auch ein äußres Band umranke ewig
Uns Liebende, wie ein Gedanke ewig,
Reich' ich den Ring dir. Rein soll unsre Liebe
Erstrahlen, wie sein Gold, das blanke, ewig;
Die Liebe soll ja nicht der Lilie gleichen:
Du meinst, in Schönheit blüh' die Schlanke ewig,
Doch, wär' sie auch unsterblich, magst du's hindern,
[191]Daß sie in wilden Stürmen schwanke, ewig?
Nein! Unsre Liebe soll der Eiche gleichen,
Umspannt von Epheus grüner Ranke, ewig.
Ein Ring bedeutet Ewigkeit. So schwebe
Um diesen Ring auch der Gedanke: „Ewig!“
Geharnischtes Ghasel
Kein Lied sing' ich zu Ende je, das würdig eines Knaben ist,
Weil solch Gedicht auf Gassen stets zu hören und zu haben ist.
Denn wenn ich singe, wünsch' ich auch, daß manches gramgebeugte Herz
Turch meines Liedes frohen Ton zu trösten und zu laben ist. —
Auch giebt es Rezensenten, die gar gierig bei mißlungnem Lied,
Gleichwie beim Hochgerichte stets die Schar gefräß'ger Raben ist. —
Drum töne fürder nur Gesang, der über schnödem Mittelmaß, —
O wollte Gott! — auch überm Neid und seiner Macht, erhaben ist.
Ich müßte sonst erröten auch in meinem Innern vor dem Geist
Des Dichters, der im Palmenwald zu Syrakus begraben ist.
Höchstes Glück
Höchstes Glück hienieden
Ist zu jeder Zeit
Innrer Seelenfrieden
Und Genügsamkeit.
[192]Erhoffter Nachruhm
Motto: Auf daß die stumpfen Herzen
Du doch zuletzt besiegst,
Wenn frei von allen Schmerzen
Tief unterm Gras du liegst.
Platen.
Die Welt hat eine schmerzensvolle Krone
Aus blütenlosen Dornen mir gewunden,
Manch herbes Wort hat sie hineingebunden
Und setzt aufs Haupt sie mir, dem Liedersohne.
Allein bei meines Sanges vollem Tone
Ist aus der Brust mir aller Schmerz entschwunden,
Und ahnungsvoll hab' ich's im Traum empfunden,
Wie einst ein spätes Herz mein Lied belohne:
Ein Mägdelein vernimmt mit Glutverlangen
Mein Lied — und spricht, indes an ihren blauen,
Lichtvollen Augen feuchte Perlen hangen:
„Warum bist du zu jenen Lenzesauen,
Verklärter Geist, so früh emporgegangen?!
O könnt' ich einmal dir ins Auge schauen!“
Abend am Nil
Sanft durchströmt der Nil das Thal,
Schlank und stolz wiegt sich die Palme,
Und die leis bewegten Halme
Küßt der Sonne letzter Strahl.
[193]Müde von des Tages Bangen,
Ziehn vom Strome heim die Fischer,
Um am heim'schen Herd zu frischer
Arbeit — Ruhe zu empfangen.
Seht dort übertaucht die Wogen
Jetzt das Krokodil, das grause,
Durch das Riedgras mit Gebrause
Kommt das Flußpferd angezogen.
Bei des Abends Purpurglühn
Sieht man über ferne Hügel
Mit in Glut getauchtem Flügel
Den Flamingo heimwärts ziehn.
Frieden rings — wie Grabesfrieden,
Als der Zeit Vernichtungszeichen,
Die den Grabdenkmälern gleichen,
Starren dort die Pyramiden!
Beglückung der Muse
In des Waldes Schatten
Auf der Wiesen Grün
Und den saft'gen Matten
Seh' ich Leben blühn.
Wenn vom Süd die Störche
Kehren heim zum Ried,
Wenn im Blau die Lerche
Schmettert froh ihr Lied,
[194]Wenn in Lenzes Sonne
Veilchen wieder blüht,
Mir im Innern Wonne
Neues Leben glüht;
Wenn der Sonne Strahlen,
Gottes Purpurschein,
Ferne Berge malen:
Wiegt mich Zauber ein.
Ruht im Thal, auf Hügeln
Welten-Harmonie,
Naht auf Geisterflügeln
Göttin Poesie!
Das Leben
Das Leben gleicht auf Erden
Dem Meer mit Ebb' und Flut,
Man muß Matrose werden,
Nur dann durchschifft man's gut.
Wir richten nach den klaren
Gestirnen unsern Lauf
Und blicken bei Gefahren
Getrost zum Himmel auf.
Dort oben aber wohnet
Der freundliche Pilot,
Der unsre Mühe lohnet,
Wenn Schiffbruch uns bedroht.
[195]Der uns schon nah dem Riffe
Als Pharus freundlich winkt,
Und der dann unsre Schiffe
Zum sichern Hafen bringt.
Trost
Laß dich's nie verdrießen,
Wenn der Sturm auch heult,
Wenn dein Schiff mit Mühe
Well' um Well' zerteilt.
Wenn am nächt'gen Himmel
Dir kein Sternchen blinkt,
Wenn der Hoffnungsstrahlen
Letzter dir versinkt;
Wenn der Brust Bussole,
Deine Jugendkraft,
Auch dem Sturme weichet,
Müd' wird und erschlafft:
Laß dich's nie verdrießen,
Steure mutig fort;
Unverhofft, doch sicher
Lächelt dir ein Port.
Häfen giebt es viele
Auf dem Erdenrund,
Und der beste Hafen
Ist der Meeresgrund.
[196]Sonntag im Meere
Sonntag ist's, der Tag des Herren,
Der uns ladet zum Gebet;
Alles wandelt still zum Dome,
Am Altar der Priester steht.
Segen spendet er der Menge,
Die in tiefer Andacht kniet
Und ihr Halleluja singet
Und das schönste Kirchenlied.
Alles tauchet fromm die Hände
In geweihtes Wasser ein,
Will gereinigt von der Sünde,
Will vom Herrn gesegnet sein. —
Tausend Meilen weit vom Lande,
Fern im stillen Ozean,
Treibt ein Schiff am Sonntagsmorgen,
Auf der großen Weltenbahn;
Ringsumher die Wasserwüste,
Keinen milden Weihrauchduft,
Keine Kirche, keine Glocke,
Die zur Sonntags-Andacht ruft;
Doch als Dom der blaue Himmel,
Der auf uns hernieder sieht,
Im Ornat als Hoherpriester
Glänzt die Sonne im Zenith;
Durch die Taue und die Takel
Säuselt es wie Orgelklang,
Und die Wellen plätschern lieblich
Einen sanften Chorgesang.
[197]Und ich tauche meine Hände
In die gottgeweihte Flut
Und bekreuze meine Stirne,
Wie man's in der Kirche thut.
Solche Andacht auf den Wellen
Billigt man wohl auch in Rom:
Mit Choral, geweihtem Wasser
Und in Gottes eignem Dom.
Logik
„Ja, wenn der Wind nicht wär',“
Sagte zu mir das Meer
In einer Sternennacht,
Die ich an Bord verbracht,
„Ja, wenn der Wind nicht wär',
Gäb's keine Stürme mehr.
Still wie ein frommes Kind
Wär' ich stets ohne Wind.“ —
„Wirklich, und ohne Wind,“
Säuselt die Brise lind,
„Denke nur, was das Meer
Ganz ohne Winde wär'!
Gräuliches Totenbild,
Immer so glatt und mild,
Mir gebührt das Verdienst,
Daß du an Weg gewinnst.“ —
Ich geb' euch beiden recht,
Weil ihr so logisch sprecht,
Habe nur eins gehofft:
Zankt euch nicht gar zu oft.
Matrosenlied
Ich bin ein lustiger Matros
Und leb' in lust'ger Weise,
Beneidenswert erscheint mein Los,
Weil ich beständig reise.
Heut säuselt günst'ge Brise mir
Und schaukelt mich die Welle,
Und wenn ich morgen auch lavier',
So geht's doch von der Stelle.
Und tobt der Wind, und brüllt die See,
Und treibt sie wilde Wogen,
So blick ich hoffnungsvoll zur Höh,
Bis sich der Sturm verzogen.
Erreiche ich ein freundlich Land,
Lass' ich den Anker fallen;
Dort sieht man mich dann Hand in Hand
Mit meinem Liebchen wallen.
Beschwört die Liebe Sturm herauf
Und traurige Geschichten,
Dann kommandier' ich: „Klüver auf!“
Und lass' die Anker lichten.
Und meine Hängematte schwingt
Mich freundlich auf und nieder;
Der Wind im Takelwerke singt
Mir schöne Wiegenlieder.
Und ruft der Sturm mich aufs Verdeck
Zum oft erlebten Ringen,
So blick' ich ihm ins Auge keck
Und such' ihn zu bezwingen.
[199]Es geht schon, wenn man ernstlich will,
Nach alter Lebensregel,
Und endlich kommt man doch ans Ziel,
Auch mit gerefftem Segel.
Wolkentrost
Wenn das Meer dich wild umstürmt,
Rasend um dich tost,
Sich die Woge schäumend türmt:
Suche Wolkentrost.
Schau, wie sie der Sturmwind treibt,
Jagend grau in grau,
Bis er endlich sie zerstäubt,
Und der Himmel blau.
Schneller klären Lüfte sich,
Wenn der Sturm sie fegt,
Als wenn trüber Nebel sich
Auf den Himmel legt.
Gleichgültigkeit
Liebe oder hasse mich,
Alles ist willkommen;
Jedes Wetter nehm' ich hin,
Windstill' ausgenommen.
Denn die Stille ist der Tod,
Nur im Kampf ist Leben,
Gegen einen jeden Sturm
Kann man sich erheben.
[200]Aber hat sich Äolus
Ganz zurückgezogen,
Dann ist man der sichre Raub
Wild bewegter Wogen.
Darum liebe, hasse mich!
Alles will ich tragen;
Nur wenn ich dir gar nichts bin,
Bin ich zu beklagen.
Meine Jugend
Ach, wo sind die goldnen Tage,
Da ich ohne Gram und Plage
Hingeträumt den Jugendtraum,
Froh mit jedem Blatt am Baum!
Lenzerwachen, Herbstesschauer,
Heller Jubel, süße Trauer,
Morgenstrahl und Abendschein
Füllten meine Seel' allein.
Tief empfand ich, daß auf Erden
Größre Dinge nicht mehr werden,
Als seit Ewigkeit Natur
Vorbestimmt für Wald und Flur.
Und so blieb ich wonnetrunken
Selbst in Ewigkeit versunken,
Wenn ich fort und fort gelauscht,
Wie's in Wald und Strömen rauscht.
[201]Ach, dahin die goldnen Tage!
Eingeschränkt in Gram und Plage
Harr' ich jetzt, zum Tod bereit,
Einer andern Ewigkeit.
Naturfriede
Ich stand auf hohem Berg im Abendrot;
Kein Vogel will das tiefe Schweigen brechen,
Wenn aufgelöst in Ruh, die nicht der Tod,
Natur und Geist unhörbar sich besprechen.
Dann ruht ein Zauber auf Gebirg' und Thal!
Sie lauschen still, beglückt und einverstanden
Mit dem verborgnen Sinn der Erdenqual,
Als wüßten sie, wozu der Schmerz vorhanden.
Wie kommt's, daß wir die Qual, die uns zerreißt,
In der Natur als Friedensglück gefunden?
Den Zauber hat erforscht kein Menschengeist,
Kein Menschenherz das gleiche Glück empfunden.
Aufwärts
Die Jahre fliehen, von dem Strom der Zeiten
Dahingerollt ins Meer der Ewigkeit;
Nur ihre Engel, die sie still begleiten,
Sie bleiben treu in ihrer Wesenheit;
Sie schmiegen sich an jede Menschenseele,
In jede Brust gießt sich ihr klarer Schein,
Und daß der Mensch nur immer Gutes wähle,
Sind sie durchs ganze Erdenleben sein.
[202]Wenn alles, was die Finsternis geboren,
Sich wie ein wüster Knäul zusammenballt;
Wenn sich die kranke Seele giebt verloren
Und jeder milde Friedenston verhallt —
Da löst die Gotteskraft dich aus den Banden,
Es leitet aufwärts dich der Wahrheit Licht,
Und Wahn und Trug, sie werden dann zu Schanden,
Wenn kühn der Geist des Schmerzes Fesseln bricht.
Wenn solcher Kampf dem Geist einmal gelungen
Fühlst du des Nachwehs leisen Ton verwehn,
Dann halten dich die Engel zart umschlungen
Und führen sanft dich auf des Lebens Höhn:
Dort blühet der Erkenntnis reine Blume,
Sie rankt sich um des Wissens ew'gen Baum,
Sie giebt dir selber sich zum Eigentume,
Und dein ist dann des Friedens sel'ger Traum.
Tief unter dir liegt das gemeine Leben,
Denn in dir hat sich dann dein Gott verklärt,
Du kannst empor in alle Himmel schweben,
Denn du bist solcher Seligkeiten wert:
So deut' ich der Propheten schöne Sagen,
So wird mir klar der Christenlehre Sinn,
So stieg Elias in den Himmelswagen,
So schwebte Christus in den Wolken hin.
In dir ist Gott, das mußt du stets erkennen:
Bedenke nur, o Geist, wie groß du bist!
Ich kann dir nichts im weiten Weltall nennen,
Was nicht dem Menschengeist erreichbar ist:
Des Meeres Fluten hat er längst bezwungen,
Zum Heil gebändigt wilde Feuersglut,
Selbst in die Lüfte hat er sich geschwungen,
Und sein ist dieser Erde reiches Gut.
[203]Zur wahren Größe mußt du dich erheben
Und deinen Lebensengeln gern vertraun —
Dann wird dir licht das ganze Erdenleben,
Kannst du der Wahrheit treue Augen schaun;
Dann siehst du still der Jahre Zahl entschwinden,
Du thust das Gute um des Guten Preis,
Und deine Liebeswerke — sie verkünden
Dein reines Streben in der Engel Kreis.
Am Wasser
O Wasser, du aller Frische Quell,
Du Ader rinnend voll Leben,
Du Spiegel von allem, was hoch und hell,
Du Mehrer von Blüten und Reben!
Hier sitz' ich an deinem Rande so grün,
Und sauge ein deine Kühle;
Stromauf, stromab die Gedanken ziehn,
Wog' auf, Wog' ab die Gefühle.
Stromauf zu den Bergen hoch und hehr,
Den steinernen Bronnen der Quellen;
Stromab hin zu dem ewigen Meer,
Dem endlichen Ziele der Wellen.
Es will sich mir stellen keine Gestalt,
Die Frische, das Wogen, das Schimmern
Sind meiner Seele ganzer Gehalt,
Da ist kein Suchen noch Kümmern.
[204]Möcht' ruhen den ganzen Morgen hier aus,
Vergessen der Sorgen und Mühen,
Da kommt die Schwalbe, Genossin vom Haus,
Und mahnt mich, nach Hause zu ziehen.
Die Laute und das Horn
Die Laute mit goldnen Saiten
Am rosenroten Band
Hub an mit dem Horne zu streiten
Am rost'gen Panzergewand.
„Wie bist du so rauh von Tönen,
Du scheuchest sogar das Wild;
Ich aber verlocke die Schönen,
So süße kling' ich und mild.“
Spricht's Horn: Was hilft es, zu streiten
Mit Worten, das ist mir zu lang,
Ein Schloß dort liegt im Weiten,
Da streiten wir um den Dank.
Nun horch, welch liebliches Klingen
Dort unter dem hohen Altan,
Dazu ein herrliches Singen
Vom Sehnen der Liebe hebt an.
Ein holdes Antlitz sich neiget
Mit Augen, helle und blau;
O glückliche Laute, es beuget
Nach dir sich die schönste Frau.
[205]Es fällt eine Rose hernieder,
Es ruft eine Stimme so hold:
„Zum Herzen gingen die Lieder,
Vom Herzen nimm diesen Sold.“
In Weisen, in siegesfrischen,
Die Laute da hat gerauscht,
Derweile verstohlen in Büschen
Das Horn am Panzer noch lauscht.
Nun läßt's einen Ruf erschallen,
Der Ruf, der klang wohl rauh,
Bracht' keine Rose zum Fallen,
Zwang doch die schönste Frau.
Sie hat es gekannt gleich wieder,
Das Horn, das den Ruf gethan,
Sie wirft ihm den Lohn nicht nieder,
Sie winkt es selber hinan.
Wohl Rosenlippen statt Rosen
Da hemmen des Hornes Klang,
Am Panzer, da brachte mit Kosen
Das Herz sich selber zum Dank.
Da perlten wohl Wonnethränen;
Da rief es zur Laute zurück:
„Schön sangst du der Liebe Sehnen,
Nun sing' uns der Liebe Glück.
Und hast du es lieblich gesungen,
Wir lohnen's mit Wein und mit Gold.“
Wohl hat da die Laute geklungen,
Doch klang sie nicht helle, noch hold.
[206]Um Liebes- und Siegesfreude
Nicht hallt' es da mehr zumal;
Von herbem Liebesneide,
Scholl's fern und ferner im Thal.
Die Umkehr
Aus Marmor ausgehauen
Im Garten ist zu schauen
Apollos göttlich Bild;
Der Goldfisch plätschert niedlich,
Orangen duften südlich,
Das Herz des Dichters schwillt.
„O laßt mich dorthin ziehen,
Wo das mag heimisch blühen,
Was hier ist fremde Zier;
Was soll ich ewig bangen,
Im kargen Land gefangen,
Fort treibt es mich von hier.“
Rasch ist er aufgesprungen;
Da ist es rings erklungen:
„Fahr wohl, zur Reise Glück!“
Die Nachtigallen schlagen's,
Die grünen Plätze sagen's,
Der Quelle Silberblick.
Ein Mägdlein spricht's herzinnig,
Ein Mägdlein treu und sinnig.
Der Schritt versagt ihm schier.
„Fahrt selber wohl, ihr Träume!
So grünen doch die Räume,
So nirgends Lieb' wie hier.“
[207]Der Dichter im Frühling
Lenz öffnet seine Thüren;
Ein Dichter ging spazieren;
Aufstieg ein Schneeglöcklein,
Fing an sich umzusehen,
Wußt' nicht, wie ihm geschehen
Im schönen Sonnenschein.
Möcht' singen gern und sagen
Sein Wohlsein, sein Behagen,
Ach keine Sprach' es fund;
Der Dichter spricht: Nicht kränken
Mag dich dein stummes Denken,
Mein Mund ist euer Mund.
Dich hebend aus dem Schneee,
Da dacht'st du wohl: O wehe,
Wie grimm ist Winters Wut!
Ach wär' ich doch geblieben
Im Mutterschoß, dem lieben,
Da ruhte sich's so gut.
Doch, als dein Kelch war offen,
Dich Sonnenstrahl getroffen,
Da hast du wohl gedacht:
Tod war mein früher Leben,
Ja Leben ist nur Streben
Zum Lichte aus der Nacht.
Und sieh, nach einem Weilchen
Gar schüchtern drängt ein Veilchen,
Noch kleines Wickelkind,
Hervor sich aus dem Boden,
Fühlt, wie der Lüfte Odem
Es anweht sanft und lind.
[208]Da wickelt's auf sich schneller
Und breitet grüne Teller
Ringsum, sein Häuptlein nickt;
Was mag das Blümlein sinnen?
Nicht Rede kann's gewinnen,
Und wehmutsvoll sich's bückt.
Da ist der Dichter kommen,
Hat wieder's Wort genommen:
Du Blümchen zart und blau,
Du denkst: Ach wie verdiene
Ich doch mein Kleid, das grüne,
Und daß die Sonn' ich schau',
Und weißt nicht, daß die Lüfte
Schon stehlen deine Düfte,
Kennst nicht dein still Verdienst;
Würd'st sonst dich nicht so bücken,
Fühlst heimlich doch Entzücken,
Wie du im stillen grünst.
Drauf auch die Anemone,
Sich sehnend nach dem Tone,
Den Dichter schaute an;
Der Dichter wollt's wohl sagen,
Was sie im Sinn getragen,
Da hat sich aufgethan
Dort eine Blum', noch eine,
Es grünen alle Steine,
Die Knospe quillt am Strauch,
Die Fische in den Wellen,
Die Bienlein, die gar schnellen,
Sehn an den Dichter auch.
[209]Für alle soll er sprechen,
Da mag ihm wohl gebrechen
Das Wort, das er versprach,
Und wie er um sich blicket,
Für das, was ihn entzücket,
Ihm selbst das Wort gebrach.
An die Heimat
Heimat, Heimat, süßes Träumen,
Heimat, Heimat, liebstes Glück,
Mächtig zieht nach deinen Räumen
Mich es fort und fort zurück!
Jeden Tag, wohl jede Stunde
Denk' ich deiner sehnsuchtsvoll,
Und es schließt sich nicht die Wunde,
Daß ich fern dir bleiben soll.
Ach, wo hört' ich solche Lieder
Als in deinem Waldesgrün,
Sah ich solche Blumen wieder,
Wie auf deinen Auen blühn?
Was dem Aug' kann Lust bereiten,
Was nur schuf des Künstlers Hand,
Seiner Wunder Herrlichkeiten
Zeigte mir das fremde Land.
Doch ob Köstliches ich schaute,
All mein Sehnen blieb bei dir,
Deine Sprache, deine Laute
Klangen fort und fort in mir!
[210]Schöner noch als Prachtpaläste
Dünket mich das liebe Haus,
Wo die Mutter mir, die beste,
Wand den ersten Blütenstrauß.
Wo sie Märchen mir erzählte,
Manches Sprüchlein mich gelehrt,
Wo sie liebreich, wenn ich fehlte,
Meinem kind'schen Sinn gewehrt.
Heimatstätte, da sich einte,
Was mir Lieb' und Freundschaft gab,
Teure Stätte, wo ich weinte
An dem ersten offnen Grab!
Erste Freuden, erste Schmerzen,
Die bewegt des Kindes Brust:
Tiefer wurzeln sie im Herzen,
Als des Mannes Weh und Lust!
Heimat, Heimat, süßes Träumen,
Heimat, Heimat, liebstes Glück,
Ja nach deinen trauten Räumen
Zieht es mächtig mich zurück!
Wanderlied
Wer die Welt will fröhlich lieben,
Schaue selber sie nur an;
Was in Büchern steht geschrieben,
Führet leicht zu Trug und Wahn:
Frisch hinaus mit frohem Lauf,
Schließe Herz und Augen auf,
Sieh, wie überall die Welt
Gottes Lieb' hat wohl bestellt!
Wandern, wandern durch die Wälder
Hin an Bach und Thal und See,
Durch die Au'n und goldnen Felder
Nimmt der Menschenbrust ihr Weh!
Auf der Berge Gipfel stehn,
Aus in weite Lande sehn,
Und ein Lied aus voller Brust:
Wanderglück, o Wanderlust!
Sinket in des Meeres Wogen
Tief hinab der Sonne Rot,
Kommt der Abend leis gezogen,
Endend Tages Freud' und Not:
Dann in sel'ger Friedensruh
Winkt des Mondes Glanz dir zu,
Mit dir wandern Stern an Stern
In des Himmels heil'ger Fern'!
Still wird's in der Welt, ganz stille,
Stille wird es auch in dir,
Und du fühlst: 's ist Gottes Wille,
Daß wir alle wandern hier,
Bis ein neuer Morgenstrahl
Weg aus diesem Schattenthal
Nach des Wanderns Ernst und Spiel
Leuchtet uns zu ew'gem Ziel!
Waldlied
Grüner Wald, mit deinem Rauschen
Stillest du der Seele Drang;
Fern den Menschen laß mich lauschen
Deiner Lieder trautem Klang!
Wald, du lieber, grüner Wald,
[212]Ach wie bald, ja wie bald
Lernt in dir man wieder glauben,
Was der Klugheit eitles Wort,
Was uns Kleinmut wollte rauben
Aus des Herzens heil'gem Hort.
Reh und Vöglein wohlgeborgen
Finden in dir warmes Zelt;
Müden nimmst du gern die Sorgen,
Die so emsig schafft die Welt.
Wald, du lieber, grüner Wald,
Ach wie bald, ja wie bald,
Scheuchest du mit deinem Segen
Haß und Groll so weit zurück,
Daß uns blühet allerwegen
Neuer Liebe Lust und Glück!
Durch der Bäume stilles Dunkel
Streuet milder Sonnenschein
Goldig flimmerndes Gefunkel
Leise über Moos und Stein.
Wald, du lieber, frommer Wald,
Ach wie bald, ja wie bald,
Lässest du die Herzen hoffen,
Daß sie aus der Erde Nacht
Schaun den goldnen Himmel offen,
Wo der ew'ge Waldherr wacht!
Ewiger Frühling
Ach, es sind die alten Lieder,
Sind die süßen Melodein,
Und der Frühling ziehet wieder
Mir in Herz und Seele ein.
[213]Und es sproßt und grünt und blühet,
Milde weht und weich die Luft,
Erd' und Himmel rosig glühet
In dem goldnen Abendduft.
Und ich denk' der alten Zeiten
In der neuen Frühlingslust,
Und die alten Seligkeiten
Füllen wieder mir die Brust.
Altes Herz, was soll das Schlagen,
Bist du immer wieder jung?
Laß dir doch in deinen Tagen
G'nügen an Erinnerung!
Nein, ach nein! Laß mich auch hoffen!
Eben weil das Herz jung bleibt,
Sieht es auch den Himmel offen,
Wo es neue Blüten treibt.
Lenzweihnacht
Kastanie, du Frühlingsweihnachtsbaum
Mit leuchtenden Blütenkerzen,
Welch wunderlieblichen Mainachtstraum
Zauberst du meinem Herzen!
Die lind sich senket auf Hain und Flur,
Die blumenduftige Mainacht,
Mir scheint sie das Wiegenfest der Natur,
Der Schöpfung heilige Weihnacht.
[214]Und ob auch silbern der Quell vom Stein,
Der Tau von den Blumen sintert,
Es muß ja nicht immer nur Weihnacht sein,
Wenn's stürmt und schneit und wintert;
Mir ist so weihnachtlich zu Sinn,
So will ich denn Weihnacht haben,
Ich kenne die Gottgebärerin
Und kenne den Jesusknaben.
Ich kenne sie, seit die Lerche schwirrt,
Verkündigend große Freude,
Die allem Volk widerfahren wird,
Und weiß ihre Namen beide:
Schön Hertha heißt die Jungfrau hold,
Zur Heilands-Mutter erkoren,
Sie hat im Abendsonnengold
Den Gottsohn Lenz geboren.
Sie hat ihn geküßt vieltausendmal
Mit kräuterwürziger Lippe,
Sie hat ihn gebettet ins blumige Thal,
Das Thal ist seine Krippe;
Es kommen, zu schauen das Wunderkind,
Die Sippen aus weitester Ferne;
Es spenden ihr goldstrotzend Angebind'
Die Sonne, der Mond und die Sterne.
Die Morgenlands-Könige fehlen zwar,
Doch kommen, geleitet vom Maihauch,
Die Dichter der Völker und bringen ihm dar
Gesänge statt Myrrhen und Weihrauch,
Und an die Hirten ergeht das Lied
Der Lerchen und Nachtigallen:
Ehre sei Gott und auf Erden Fried'
Und den Menschen ein Wohlgefallen!
[215]Lied vom Johannistage
Die Sommersonnenwende mit ihrer Blütenpracht
Und Sommerwonnenspende hielt ihre Weihenacht.
Und am Johannistage da ist ein Sprühn und Glühn,
Da öffnen sich die Berge, verborgne Schätze blühn.
Es tönet Glockenläuten herauf aus tiefen Seen,
Und Wunder über Wunder die Sage läßt geschehn.
Wer Augen hat, zu sehen, den dünket nicht ein Wahn
Der Väter Wundersage; er sieht, was jene sahn.
Wer Augen hat, zu sehen ins Innre der Natur,
Gewahret allerwegen der Gottheit Wunderspur.
Er sieht die Höhn und Tiefen erschließen ihren Schoß,
Und blüh'nde Schätze liegen vor seinen Blicken bloß. —
Wer Ohren hat, zu hören, den dünket nicht ein Trug
Der Väter Wundersage; sie weissagt ihm genug.
Wer Ohren hat, zu hören, dem tönt aus all dem Drang
Und Lärm des Weltgetriebes ein ahnungsvoller Klang.
Er hört aus Wald und Wellen in jedem Laut und Ton
Am Sankt-Johannistage die Weihnachtsglocken schon.
Johannistag und Christtag sind von verwandtem Schlag,
Der eine wie der andre ein Heilverkündungstag.
Geweiht der Sonnwendfeier seit Menschen-Anbeginn,
Sind sie uns zwiefach heilig im höhern Christen-Sinn.
Johannistag wie Christtag ward ein Verbrüdrungsfest
Für alle Menschenkinder der Welt von Ost bis West.
Ein Fest, da wir uns fühlen vor Gott dem Vater gleich
Als Erben der Verheißung vom ew'gen Himmelreich.
[216]Ein Fest, da wir gedenken der Lieben nah und fern,
Auch derer, die gestorben und ruhen in dem Herrn.
Da wir den Freunden Liebes, den Fremden Gutes thun
Und pilgern zu den Stätten, wo unsre Toten ruhn.
Denn auf dem Gottesacker, o seht, wie noch zur Stund'
Die Sankt-Johanniswunder der Sage werden kund!
Seht, vom Johannisfeuer verklärt die Gräber glühn!
Es öffnen sich die Grüfte, und ihre Schätze blühn.
Hervor aus Grabestiefen erklingt ein hold Getön,
Dem süße Sphärenklänge antworten aus den Höhn.
Wer Augen hat, zu sehen, sieht seiner Toten Bild;
Wer Ohren hat, zu hören, hört ihre Stimme mild.
Die Sommersonnenwende macht alles Bangens quitt,
Sie bringt als Wonnenspende uns frohe Botschaft mit.
Die Botschaft, so geschrieben in Blumen uns verheißt:
„Aufblüht zu höherm Leben aus Leibestod der Geist!“
O Leipzig, Stadt der Opfer so mancher blut'gen Schlacht,
Die nun in deiner Erde verruhn die Todesnacht!
Du menschenfreundlich Leipzig, auf dessen Leichenfeld
So friedlich Staub und Asche von Freund und Feind gesellt!
Du Stadt der linden Linden! Das hast du wohl bedacht,
Daß du den Tag Johannis zum Totenfest gemacht.
Zum Sommertotenfeste den heil'gen Täufertag,
Zum Feste aller Seelen den Allerblumentag!
[217]Glosse
Im Glück nicht stolz sein und im Sturm nicht zagen;
Das Unvermeidliche mit Würde tragen;
Das Rechte thun, am Schönen sich erfreun;
Das Leben lieben und den Tod nicht scheun;
Und fest an Gott und bess're Zukunft glauben:
Heißt leben, heißt dem Tod sein Bittres rauben.
Streckfuß.
Des Menschen Leben ist von kurzer Dauer,
Wenn er es mißt nach Spannen nur der Zeit;
Doch wenn nach Lust und Last, nach Freud' und Trauer,
Nach Sieg und Niederlag' in Kampf und Streit:
Dann fühlet er voll tiefer Wonneschauer
Es angelegt für alle Ewigkeit,
Lernt gleichen Muts genießen und entsagen,
Im Glück nicht stolz sein und im Sturm nicht zagen.
Denn nicht nach Würdigkeit und nach Verdiensten
Sind sie verteilt, die Güter dieser Welt;
Dem Frechsten oft, nicht immer nur dem Kühnsten,
Noch Besten zeigt das Glück sich hold gesellt;
Einst aber winkt das Lorbeerreis am grünsten
Ihm, der das höchste Ziel im Auge hält;
Nur er auch kann in allen Lebenslagen
Das Unvermeidliche mit Würde tragen.
Und für jedweden Sterblichen, gleichviel
Ob Könige, ob Bettler seinesgleichen,
Ist es erkennbar, dieses höchste Ziel,
Ein jeder kann's erstreben und erreichen;
Die Tugend heißt es! Wer im Ernst, im Spiel
Sie nimmt zur Richtschnur und zum Wegeszeichen,
Der wird in Sonnenschein, in Sturmesdräun
Das Rechte thun, am Schönen sich erfreun.
[218]Sie ist kein nebelhaft Mysterium;
Ihr Sinn ist klar, ihr Blick gen Himmel offen;
Ihr Priester, das Gewissen, nimmer stumm,
Lehrt das dreiein'ge Glauben, Lieben, Hoffen;
Welch Opfer sie auch heische, sei es drum!
Der Tugendstarke wird durch nichts betroffen;
Ihn dünket es kein Widerspruch zu sein:
Das Leben lieben und den Tod nicht scheun.
Dereinst'ger Lösung aller Widersprüche
Im Leben selbst harrt er ergebungsvoll;
Ob auch das Laster falsche Wohlgerüche
Der Tugend streut als heuchlerischen Zoll;
Ob Kaiserkronen feil um Eidesbrüche:
Er, weit entfernt von Neid und frei von Groll,
Wird keinem Zweifel Raum und Macht erlauben
Und fest an Gott und bess're Zukunft glauben.
Drum ob auch alle Freuden dir erstarben,
Gott lebet noch, der einst belebt, was tot;
Und ob die Gegenwart dich lasse darben
An manchem, was zum Leben scheinet not;
Dir winkt mit desto reichern, vollern Garben
Des großen Erntetages Morgenrot;
Nur treu der Tugend hoffen, lieben, glauben:
Heißt leben, heißt dem Tod sein Bittres rauben!
Sonnenaufgang
Wie mit der Schlang' ein Löwe,
So ringen Tag und Nacht:
Er in der goldnen Mähne,
Sie in der Schuppen Pracht.
[219]Er, wie er majestätisch
Den Berg im Ost erklimmt;
Sie, wie sie wegelagernd
Sich auf dem Bauche krümmt.
Er, wie er groß und edel
Sein feurig Auge rollt;
Sie, wie sie listig lauernd
Ihm gift'gen Blickes grollt —
Und zischelnd dann und züngelnd
Ihn eng und fest umschlingt,
Daß durch die schwarzen Ringe
Die goldne Mähne dringt.
Er aber, angefallen
Zu ungerechtem Kampf,
Entgegenreckt die Glieder,
Durchzuckt von Zorneskrampf;
Entgegenschwellt den Banden
Die königliche Brust,
Sich seiner Riesenstärke
Und Leuenkraft bewußt;
Und reißt die Schlang' in Stücke,
Daß triefend rings von Blut
Der Horizont erglänzet
In purpurfarbner Glut.
Dann ruhig weiter schreitend,
Ein sieggewohnter Held,
Vollendet er am Himmel
Die Laufbahn um die Welt.
[220]Frühlings-Ghasel
Sieh, wie das junge morgenfrische Licht
In goldnen Spitzen durch die Büsche bricht;
Sieh, wie der Berge neuergrünter Kranz
Sich um der Fluren bunte Tische flicht;
Die Vögel singen, und im Wellentanz
Des Baches wimmeln muntre Fische dicht:
Nun, Herz, sei ruhig und erschließ dich ganz
Der Frühlingslust; dein Seufzen zische nicht
Durch all den Jubel; all den Farbenglanz
Mit deiner Thränenflut verwische nicht,
Und Wimperntau in Frühtau mische nicht!
Vergißmeinnicht
Sonder Sinn ist keine Blum',
Sonder Reiz kein Blümlein;
Hat die Rose ihren Ruhm,
Veilchen hat sein Rühmlein;
Aber allergrößten Ruhm
Hat die allerkleinste Blum',
Deren Blick ist Himmelsahnung,
Und ihr Gruß die Gottesmahnung:
Vergißmeinnicht! Vergißnichtmein!
Nun und nimmer vergess' ich dein.
Darum wo zwei Herzen sind,
Zwei vertraute Seelen,
Die ein tröstend Angebind'
Sich zum Abschied wählen,
Sie erkiesen Hand in Hand
Jenes Blümlein sich als Pfand,
[221]Dessen Blick voll Himmelsbläue
Das Gelöbnis ew'ger Treue:
Vergißmeinnicht! Vergißnichtmein!
Nun und nimmer vergess' ich dein.
Sonder Reiz ist keine Blum',
Sonder Sinn kein Blümlein;
Hat die Rose ihren Ruhm,
Veilchen hat sein Rühmlein;
Aber allergrößten Ruhm
Hat die allerkleinste Blum',
Deren Äuglein, sanft erhoben,
Stumm gemahnen, still geloben:
Vergißmeinnicht! Vergißnichtmein!
Nun und nimmer vergess' ich dein.
Maler und Dichter
Wenn nicht der Maler auch zugleich ein Dichter,
Wenn nicht der Dichter auch zugleich ein Maler,
So sind sie beide Pfuscher nur und Prahler,
Nicht Lichter ihrer Kunst, nur leicht Gelichter.
Des Kunstwerks Inhalt sei ein noch so schlichter,
An äußrem Reiz sein Stoff ein noch so kahler:
Nicht ohne Dichtersinn schafft es der Maler,
Nicht ohne Bildnersinn schafft es der Dichter.
Drum wie die bildnerischen Augenmerke
Der Maler sich erliest am Dichterwerke
Und das Gedicht im Bilde dichtet weiter:
So malt auch der Poet die Traumgesichte
Des Malers nach im schildernden Gedichte;
Denn einer ist des andern bester Deuter.
[222]Dorflandschaft
Ein Hüttlein, mit des Giebels Schindelmütze
Ins Freie lugend, sonst versteckt in Bäumen,
Die Schatten bieten seinen stillen Räumen,
Und seinen Menschen, was zur Labe nütze; —
Ein Kirchlein, mit des Turmes Fingerspitze
Gen Himmel weisend, sonst versteckt in Bäumen,
Die seines Friedhofs Schläfer ernst umträumen,
Doch Pilger laden ein zu kühlem Sitze; —
Dazu der Vortrab einer Rinderherde,
Zublökend trauten Gruß dem Herrn der Erde,
Der nicht sich seiner Macht hier überhebet:
O du, des Kunst geschaffen dies Naturbild,
Das mir die Sehnsucht weckt nach seinem Urbild,
Sprichst du von einer Landschaft, so da lebet?
Erste und letzte Wanderschaft
Das Kindlein in der Wiegen
Will nicht mehr stille liegen,
Strampelt im Bett und richt't sich auf;
Kommt die Mutter in raschem Lauf,
Nimmt das Kindlein auf.
Von einem Arm zum andern
Muß nun mein Kindchen wandern:
Mühmchen nimmt's aus Mutters Arm,
Mutter nimmt's aus Mühmchens Arm,
Halten es weich und warm.
[223]Von einem Arm zum andern
Muß so mein Kindchen wandern.
Bis es kann alleine stehn,
Bis es kann alleine gehn:
Wann wird das geschehn?
Da sieht das liebe Kindchen
Spazieren gehn das Hündchen,
Will sich machen frei und los
Von der Mutter Arm und Schoß,
Dünket sich stark und groß.
Die Mutter ganz gelassen
Lehrt festen Fuß es fassen;
Kindlein wackelt kreuz und quer;
Mühmchen ruft: Komm her! komm her!
Aller Anfang ist schwer.
Großväterchen steht daneben,
Beschaut sein eignes Leben,
Wie er sprang als kleiner Knab'
Und nun wankt als Greis am Stab
Hin zur Wieg' im Grab.
Beim Gastfreund auf Kephallonia
Rings nun habt Ihr durchstreift Kephallonias herrliches Eiland
Freund, den Zauber des Süds nordischem Nebel entführt;
Berg nun kennt Ihr und Thal, Weingärten, Olivengefilde,
[224]Saht altgriechischer Kunst manchen zerfallenden Rest;
Fürder zieht es Euch nun zur Burg der athenischen Pallas,
Aber zur Fülle der Lust fehlet, o Bester, noch eins:
Kommt zum Gestade hinab! Seht an: zu entzückender Strandfahrt
— Blauend in lichtestem Glanz — laden uns Himmel und Meer.
Wohl! Der Kahn ist bereit, steigt ein! Nun greifet zum Ruder!
Seht, schon schweben wir leicht über die Fläche dahin.
Hinter uns, goldig umstrahlt, versinkt Akarnaniens Küste,
Ithakas Felsengeklipp ragt in den Äther empor.
Vor uns steigt aus der Flut, der lichten, das liebliche Zante,
Während zur Seite uns rechts grüßt Kephallonias Strand.
Ferner und ferner entweicht, dem jüngst wir entfuhren, sein Hafen,
Rasch mit beflügeltem Bug steuert nach Süden der Kahn.
Seht: da türmt er sich auf, der Berg, der erhabene Ainos,
An des Gewaltigen Fuß schmiegt sich ein Inselchen an.
Als Kephallonias Kap, als äußerstes, ragt es im Süden,
Geister verwichener Zeit hausen im öden Gestein.
Fragend seht Ihr mich an; wohlan. so wollet vernehmen
Seltsame Kunde, die hier geht von Geschlecht zu Geschlecht:
Einst — Jahrhunderte längst entschwanden, ob griechischen Fluren,
Brünstig in Tempeln verehrt, herrschten noch Zeus und Apoll —
Seht: da segelte hier, von schäumenden Wellen geschaukelt,
Rings von Klippen bedroht, keuchend ein schwankendes Schiff.
Enokles hatt' es gebaut, der reichste der cyprischen Kaufherrn,
Fracht unschätzbaren Werts führt' es zu Sybaris' Bucht.
Selber stand er am Bug und sah in die tosenden Fluten,
Welche mit gähnendem Tod Menschen bedrohten und Schiff.
Da, in der drängendsten Not, zur heimischen cyprischen Göttin,
Die einst dem Meere entstieg, hob er anbetend die Hand:
„Göttliche, die wir daheim in Amathus' Tempeln verehren,
Scheuche die grause Gefahr, zwinge das rasende Meer!
Wenn du mein Flehen erhörst, mich selbst und die Ladung mir rettest,
[225]An Kephallonias Strand bau' ich ein Heiligtum dir!“
Kaum noch sprach er das Wort und gelobt' es mit stygischem Eidschwur,
Da — o Wunder — vom Land nahte ein Vogel dem Mast,
Ja, sie war es — o Lust — die heilige Taube der Venus,
Und wie durch Zaubergewalt ruhte das Tosen der Flut.
Rasch am Felsengeklipp anlandete sicher der Kaufherr,
Rasch im Myrtengebüsch baute die Taube ihr Nest.
Traun, und zur Seite dem Nest, wie's Enokles flehend gelobte,
Über dem felsigen Grund hob sich ein Tempelchen bald.
Weithin schaut' es aufs Meer mit ragender offener Halle,
Leuchtender Farben Gemisch schmückte Gesimse und Wand.
Aber von Myrten umblüht, von Bläue des Himmels umflossen,
Ragte inmitten des Raums Cyprias steinernes Bild.
Fern aus der lärmenden Stadt dem einsamen Tempelbezirke
Einmal stetig im Mond nahte die Priesterin sich,
Blumen brachte sie dar und Dank für die gnädige Rettung,
Spendete Nahrung zugleich Tauben im Myrtengebüsch.
Würdig, zu walten des Amts, galt einzig das schönste der Mädchen,
Neigte das Jahr sich zum Schluß, wurde sie ledig der Pflicht;
Hatte sie treu sich bewährt, ward Lohn ihr, reicher, zu eigen,
Fülle erfreulichen Guts brachte dem Gatten sie zu.
Also hatt' es bestimmt der Herr des geretteten Schiffes,
Also blieb es im Schwang viele Jahrhunderte lang.
Trüb schon nahte die Zeit, als wankend auf himmlischen Thronen
Sich der Olympier Schar bange des Endes versah,
Doch in Romas Bezirk noch flammten die Weihrauchaltäre,
An Kephallonias Strand flehte die Priesterin noch.
Seht: da einstens geschah's, daß Zeus von hehrem Triumphfest,
Des er in Rom sich erfreut, heim zum Olympe sich hob.
Rasch mit ehernem Huf durchs Luftmeer stürmten die Rosse,
Goldige Mähne umflog stolz den ambrosischen Hals.
Aber gar weit war die Fahrt zum fernen Thessalierlande,
[226]Sommerlich hoch im Zenith flammte des Helios Glut.
Süßes Ermatten bezwang die Glieder des höchsten der Götter,
Siehe: da stieg vor dem Blick lockend der Ainos herauf.
Rasch drauf hemmt' er die Fahrt, und hoch auf dem Gipfel des Berges,
Schützend von Wolken umhüllt, gab er dem Schlummer sich hin.
Stunde um Stunde verstrich, schon dämmerte mählich der Abend,
Hell in Purpur erglomm rings das ionische Meer,
Da erst scheuchte den Schlaf der Gott und schaute zu Thale:
Ach, welch himmlisches Bild sah er mit staunendem Blick!
Schön wie Io nicht war, auch Semele nicht und Europa,
Schön wie die Himmlische selbst, der sie zum Dienste geweiht,
Lehnte die Priesterin dort an Aphroditens Altare,
Blickte mit träumendem Sinn über die schäumende Flut.
Erstmals hatte sie heut des göttlichen Amtes gewaltet,
Harrte nun rastend des Kahns, der sie entführte zur Stadt.
Sehnsucht, zehrende, schlich ins Herz des alternden Gottes,
Liebe, die letzte, bezwang bannend des Schauenden Herz.
Wenden nicht konnt' er den Blick von der Lieblichen drunten, der Jungfrau,
Gern ihr wär' er sofort liebend zu Füßen gestürzt.
Aber nicht frommt' es, zu nahn der Zarten in göttlicher Hoheit,
Ach und der süße Betrug, des er vordem sich befliß
— Wandelnd Form und Gestalt — er wollte nicht fürder verfangen;
Klug ward der Menschen Geschlecht und es zu täuschen nicht leicht.
Lang' nachsann er, der Gott; doch eh' er noch Mittel und Weg fand,
Trug hernahend der Kahn, die ihn bestrickte, hinweg.
Selbst auch zog er darauf von dannen zum hohen Olympos,
Aber nicht Ruhe fortan labte sein pochendes Herz.
Rasch herrief er zu sich Merkur, den Boten der Götter,
Hieß ihn enteilen im Flug nach Kephallonias Strand,
[227]Klug dort sollt' er erspähn der Jungfrau Leben und Wesen,
Und wie am füglichsten Zeus stillte des Herzens Begehr.
Hermes eilte hinweg und Botschaft bracht' er bald rückwärts:
Doris sei sie genannt, wackeren Fischern entstammt,
Liebend glühe ihr Herz dem schönsten der Fischer des Eilands,
Gönne ihm Seele und Hand, wenn sie des Priestertums frei,
Aber noch elfmal zuvor betrete sie opfernd die Insel,
Bis sich in rollendem Lauf schließe das wechselnde Jahr.
Zeus aufatmete froh, nun war er dem Zweifel enthoben,
O wie harrt' er des Tags, der sie zum Opfer berief!
Endlich zog er heran; zuvor am Abend — des Morgens
Früh im Dämmerungsgraun galt es das Opfer zu weihn —
Rings mit Blumen bekränzt, geschaukelt von silbernen Fluten,
Nahte, der Jupiters Glück trug, der gesegnete Kahn.
Langsam fuhr er zurück, doch sie, die entzückende Jungfrau,
Wieder am Marmoraltar lehnte sie träumend wie einst;
Freundlich vom Tempel umschmiegt, sich hüllend in fromme Gedanken,
Fern dem Getriebe der Welt, harrte sie schweigend der Nacht.
Seltsam-üppiger Duft enthauchte dem Myrtengebüsche,
Über die Wogen erklang's gleichwie Sirenengesang,
Zaubrisch strahlte wie nie im Lichte des Abends die Göttin,
Feucht erglänzte der Blick, Lächeln umspielte den Mund.
Seltsam stieg es herauf und wogte im Busen der Jungfrau,
Da, noch eh' sie's gedacht — täuschte sie Auge und Ohr? —
Ja, da stand er vor ihr, wie Tiefen der Erde entstiegen,
Er, dem liebenden Sinns sich ihre Seele ergab.
Ach wie strahlte so lieb im Schimmer der Jugend der Jüngling,
Glanzreich-dunkles Gelock fiel von der Stirne herab,
Augen wie Sterne der Nacht! Es lachte der Mund apollinisch,
Anmutszauber umfloß rings den geschmeidigen Leib.
Ach und wie sank er zu Füßen ihr hin, der zärtlich Geliebte,
Flehte und bat und beschwor, daß sie verzeihe sein Nahn.
Wer doch hätt' es vollbracht, so stürmischem Drängen zu zürnen?
[228]Grollend verzog sie den Mund, aber sie grollte nicht lang'.
Huldreich wich sie zur Seit' auf schimmernden Stufen des Tempels,
Gönnt' ihm voll Liebe die Hand, maß ihn mit schmachtendem Blick,
Zärtlicher wurde das Wort, stets kühler wehte der Nachthauch,
Leicht erschauernd gemach lehnte da Brust sich an Brust.
Leuchtend den Wogen entstieg Selenes silbernes Antlitz,
Ungestümer im Laub tönte der Taube Gegirr,
Mund sank nieder zu Mund, die Worte erstarben in Stammeln,
Glücklich war Doris' Gemahl, glücklich — der liebende Gott.
Mählich dämmerte auf der Eos rosiges Leuchten,
Ruf der Lerche im Blau trennte die Liebenden erst,
Er zog scheidend hinweg, der Gott, zu den Höhn des Olympos,
Sie an der Göttin Altar pflegte des heiligen Amts,
Drauf die Stunden des Tags erfüllte des Glückes Erinnrung,
Bis sie am Abend der Kahn wieder entführte zur Stadt.
Einsam schwanden und grau die Tage dem höchsten der Götter,
Sehnend harrt' er aufs neu, daß sich vollende der Mond.
Drauf als nahte der Tag, der brachte des Glückes Erneuung,
Ehe noch Doris erschien, harrt' er als Fischer am Strand.
O wie weilte sie lang'! Da sieh, was naht auf den Fluten?
Das ist nicht Doris' Gestalt, Himmel! welch seltsames Bild!
Vorn am Buge des Schiffs, mit Furchen im hageren Antlitz,
Bleich, langwallend der Bart, stand eines Greisen Gestalt,
Hoch mit zitternder Hand aufreckt' er das Zeichen des Kreuzes
Gleichwie zum Schutze und Schirm wider verderblichen Spuk.
Also landeten sie am Ufer des seligen Eilands,
Zogen mit düsterm Gesang hin vor der Göttin Altar,
Stürzten ihr leuchtendes Bild, aufschäumend begrub es die Meerflut,
Und des Gekreuzigten Bild ragte am Ufer dafür.
Doch der Olympier, weh, im Schreck ob der argen Enttäuschung
War ihm entfallen das Wort, das ihn aus Menschengestalt
[229]Wieder erhöhte zum Gott, und schnöde im Garne gefangen
Haust er verborgen seitdem ewig im Felsengeklipp.
Einmal im Monat allein, am Tage, der einst ihn beglückt sah,
Statt prometheischer Qual winken ihm Stunden der Lust.
Früh dann findet sein Blick am Ufer die schaukelnde Barke,
Die ihn als Fischer einst trug an Kephallonias Strand,
Rasch besteigt er den Kahn und segelt auf wonniger Meerflut,
Mustert aufs neue die Welt, die einst zu eigen ihm war;
Oft auch fährt er um Lohn, frachtführend, zu andern Gestaden,
Rasend mit Windesgewalt eilt er von Strande zu Strand;
Jeglicher sah ihn bereits und meidet den fliegenden Schiffer,
Wenn er im schwanken Gefährt gähnende Fernen durchmißt.
Oft auch über die Flut hinrudert er Fremde aus Norden,
Weist dem bewundernden Blick Reize von Meer und von Land.
Also fuhr er zuletzt — so raunt man im Volke die Kunde —
Steuernd den britischen Lord, der Kephallonias Strand
Heiß vor andern geliebt und lang in Metaxata hauste,
In Missolunghi zuletzt schleichendem Tode erlag.
Doch wie er steuert und schweift, der Gott in des Fischers Erscheinung,
Heim stets zwingt ihn sein Los, ehe der Abend sich neigt.
Weilt er noch fern auf der Flut, wenn Schatten des Abends sich senken,
Bleibt er zwölf Monde dafür tief ins Geklüfte gebannt —
Also vernahm ich die Mär schon oft aus dem Munde des Volkes,
Stets von der früheren Zeit erbt sie das Enkelgeschlecht.
Aber der Abend bricht ein, ums Berghaupt türmen sich Wolken,
Drum zum Hafen zurück sei nun gewendet der Kahn.
Freundlich winkt uns daheim das Mahl der harrenden Gattin,
Und der Moscato wird Glut gießen ins fröstelnde Herz.
[230]An Friedrich von Bodenstedt
Ich grüße Dich und rufe froh:
Ein Lied soll Dir gesungen sein;
Mög' es wie unsrer Reben Saft
Von frischer Kraft durchdrungen sein.
Des Weines Geister führ' ich vor,
Die des Ohio Strand erzeugt.
Ein Becher soll zu Deinem Preis
Von jedem hoch geschwungen sein.
Catawba dort, der wilde Bursch,
Ist wie ein Trapper stark und rauh.
Stets wird der Trunk, den er kredenzt,
Von Waldesduft durchdrungen sein.
Die dunkle Isabell' enthüllt
Nur schüchtern ihrer Jugend Reiz.
Wen Schiras' Götterwein erquickt,
Wird der von ihr bezwungen sein?
Ives Seedling, mürrischer Gesell,
Zeig heut dein freundlichstes Gesicht,
Sonst denkt Schaffy, du könntest der
Retorte gar entsprungen sein.
Nun Concord-Rebe, tritt heran,
Du Backfisch, süß, doch ohne Geist.
Wann dich der Jungfrau Reife schmückt,
Soll auch dein Lob gesungen sein.
[231]Der Jüngling dort ist unser Stolz,
Held Delaware, reich den Pokal
Dem Dichter dar — bald wird dein Blut
Ein Labsal aller Zungen sein.
Nun huldigt unserm hohen Gast,
Er preise eurer Blume Duft
Und möge, wenn von Anmut nicht,
So doch von Kraft bezwungen sein.
Dir floß des Ostens Wunderborn,
Nimm auch des Westens Gabe an.
Das deutsche Herz wird stets von Dank
Für Deinen Sang durchdrungen sein.
Und ist der Trunk noch etwas herb —
Die Wildnis will bezwungen sein;
Was unsrem Wein noch fehlt, wird bald
Durch deutschen Fleiß errungen sein.
Der deutsche Farmer
Ich sah dich im Regen und Sonnenbrand,
Im Kampf mit der Wildnis Gewalten
Die Steppen des Westens mit schwieliger Hand
Zum blühenden Garten gestalten.
Wo jagend der Puma durchschweifte das Moor,
Da sproßte dir goldener Weizen empor.
Ich hörte dich sprechen am Waldesrand
Vom Volk und von ewigen Rechten,
Und was du als lautere Wahrheit erkannt
Mit trotzigen Worten verfechten.
Und wenn deine Rede des Glanzes entbehrt,
Nie fehlte ihr Kraft und der innere Wert.
[232]Oft hast du im ärmlichen Werktagskleid
Gesetzesverächter gerichtet
Und redlichen Sinnes verderblichen Streit
Im Kreise der Nachbarn geschlichtet.
Und war dir der Römer Gesetz nicht bekannt,
Dir sagte, was Recht ist, dein klarer Verstand.
Wie kühn seine Brut der gereizte Aar
Befreit vom verfolgenden Schwarme,
So hast du gerettet aus Not und Gefahr
Die Deinen mit schützendem Arme.
Und als es Rebellen zu züchtigen galt,
Da traf deine Büchse in Feld und in Wald.
Oft fragt' ich voll Staunens, ist dies der Mann,
Den Armut gen Westen getrieben,
Der zagend des Elends entnervendem Bann
Entflohn mit den weinenden Lieben?
Der Mann, der hier wirket mit Wort und mit That,
Im Kampf ein Held und ein Weiser im Rat?
Wohl bist du derselbe! Doch stolz, wie der Baum
Zum Himmel erhebt seine Krone,
Wenn man ihn verpflanzet in sonnigen Raum
Aus kalter, unwirtlicher Zone,
So reifte der Freiheit erwärmender Schein,
Was menschlich in dir und was edel und rein.
[233]Am Meere
I.
Im freudigsten Vereine,
Beim schäumenden Pokal —
Nicht traue du dem Scheine! —
Sitzt oft der Schmerz beim Mahl.
Das Lächeln auf den Lippen
Birgt oft das tiefste Weh!
Kein Auge ahnt die Klippen
Bedeckt von heitrer See.
II.
Und die Welle, sie sprach: Was dich in unserm Spiel
Also fesselt? In uns siehst du das eigne Bild
Schnell sich heben und kurz glänzen, und schnelle dann
Spurlos sinken ins ew'ge Nichts.
Doch mir sagte das Herz: „Nicht wie der Woge fiel,
Mensch, dein Los; es umschließt hohe Genüsse dir,
Lang' nachwirkende That reichlich das Leben. Hoch
Halt es, mach es bedeutend mir!“
[234]Trost im Unglück
Wie rasch verrauschten mir die Jugendjahre
Im Bann der Liebe und im Dienst des Schönen,
Indes ich freudig ließ mein Lied ertönen,
Begeistert für das Hohe und das Wahre!
Wie trat ich hochbeglückt dann zum Altare,
Um meiner Liebe Bund vor Gott zu krönen,
Bereit, mit aller Welt mich zu versöhnen, —
Wie jetzt, mit Silberstreifen in dem Haare!
Doch Freude, Sangeslust und Glück verschwanden,
Seit schweres Leid mein treues Weib getroffen
Und wir des Schicksals vollste Wucht empfanden.
Mein letzter Trost ist nun allein mein Hoffen,
Daß sie befreit wird von des Siechtums Banden,
Und daß mein Herz für fremdes Leid noch offen!
An meinen Wanderstab
Trauter Freund in jungen Tagen,
Du mein lieber Wanderstab,
Seh' dir's an, du möchtest klagen,
Daß ich dir den Abschied gab.
Doch schau her, ich muß mich stützen
Leider auf ein Krückenpaar,
Würde lieber dich benützen,
Wär' zu groß nicht die Gefahr.
[235]Ungern mag ich dich betrüben,
Doch die Not zwingt mich dazu,
Muß dich in den Winkel schieben,
Ist verhaßt dir auch die Ruh.
Zeuge meiner Jugendfreuden,
Kannst du mich auch leidend sehn,
Mußt geduldig und bescheiden
Jetzt dort hinterm Ofen stehn!
Kernig, fest bist du geblieben,
Unberührt vom Zahn der Zeit,
Könntest ferner Pflichten üben,
Wie du mir sie einst geweiht.
Doch mein Lenz ist längst geschwunden,
Herbst und Winter folgten nach.
Flocken Schnee, ums Haupt gewunden,
Mahnen an den Abschiedstag.
Dich jetzt Fremden überlassen,
Wäre wahrlich Treuebruch,
Gäb' ein Recht dir, mich zu hassen,
Und mich träfe gar dein Fluch.
Drum mußt du geduldig tragen,
Was nicht mehr zu ändern ist,
Darfst nicht trüben gar durch Klagen
Meine kurze Lebensfrist.
Treuer Freund auf Lebenswegen,
Sollst mir's auch im Tode sein:
In mein Grab soll man dich legen,
Mir zur Seit' im kleinen Schrein.
[236]Geistes-Freiheit
Wenn gar zu schwer die Sorgen drücken,
Gehäuft auf uns als Zentner-Last,
Dann muß dem Irdischen entrücken
Sich unser Geist in schneller Hast;
Zum Himmel muß er sich nur wenden,
Und alle Sorgen werden enden.
Dem Mutigen wird's stets gelingen,
Selbst in der größten Not und Pein,
Frei seinen Geist hinaufzuschwingen,
Frei von der Erde Last zu sein;
Und sollt' der Körper auch erliegen,
So wird der Geist doch immer siegen.
Nur kurz ist hier ja unser Leben,
Nichts als ein rascher Übergang,
Und eitel wäre alles Streben,
Geweiht dem sichren Untergang:
Dürft' nicht der Geist auf Zukunft hoffen,
Und stünde nicht der Himmel offen.
Die letzte Stunde
Was ist's, so oft der Mensch dran denkt,
Was dann in Schwermut ihn versenkt;
Was täglich ihm vor Augen schwebt,
Er sicher weiß, daß er's erlebt,
Ihn schmerzt im Herzensgrunde?
Es ist die letzte Stunde. —
[237]Was ist's, was gar zu oft vergißt
Der Jüngling, da's ihm ferne ist,
Der Sieche kaum erwarten kann,
Nur schmerzlich scheint dem reichen Mann,
Doch heilt auch manche Wunde?
Es ist die letzte Stunde.
Was ist's, das manchen Kummer stillt,
Mit Hoffnung unser Herz erfüllt,
Uns ruft zum wahren Leben wach,
Wie's einst der Heiland uns versprach
Mit seinem eignen Munde?
Es ist die letzte Stunde.
Da kurz hier nur die Lebensfrist,
In Nacht gehüllt die Zukunft ist,
So sei der Mensch auch stets bedacht,
Was er im Leben hier vollbracht;
Vom Jenseits bringt ihm Kunde
Des Lebens letzte Stunde.
Sprüche
Den Baum, der stets bei schwachem Winde kracht
Den Baum, der stets bei schwachem Winde kracht,
Bricht nicht der Sturm so leicht, wie man's gedacht.
Wenn dir dein herrlich Schloß zusammenfällt
Wenn dir dein herrlich Schloß zusammenfällt,
Das du dir hast auf leichte Luft gebaut,
So sei dein Trost: es kostet dir kein Geld,
Hat dich erfreut, so lang' du's angeschaut.
Nicht eine Thräne darf verschwinden
Nicht eine Thräne darf verschwinden,
Die man aufs Grab geschiedner Freunde weint;
Man wird sie bei den Freunden finden
Als Perlenschmuck im schönsten Glanz vereint.
[238]Sei nur getrost, es keimt die gute Saat
Sei nur getrost, es keimt die gute Saat,
Die du gestreut durch eine edle That;
Und darf auch hier manch Korn der Sturm verwehn,
Wird dort dein Feld in schönster Blüte stehn.
O forsche nicht
Ein kleiner Friedhof! An der Mauer
Stand Kreuz und Denkmal, groß und klein,
Dazwischen auch ein altersgrauer
Bemooster, helmgezierter Stein.
Mit Forscherlust begann zu schaben
Das Moos vom grauen Stein ich fort,
Und als ich lange schon gegraben,
Las endlich ich das ernste Wort:
O forsche nicht!
Da hielt ich tieferschrocken inne,
Ein Frevel schien mir, was ich that;
Wehmütig ward es mir zu Sinne;
Der unbekannte Tote bat:
„O lasse ruhn mich müden Recken,
Den lange schon der Tod besiegt,
Und wolle nicht aus Neugier wecken,
Was mit mir hier begraben liegt —
O forsche nicht!
Was kann's dir Nachgebornem frommen,
Wenn dir mein Grabesstein verriet,
Wann ich in diese Welt gekommen
Und wann ich wieder von ihr schied?
Ob ich für Ehr' und Pflicht gestritten,
[239]Ob Eid und Treu ich brach entzwei,
Ob Unrecht ich gethan, gelitten —
Was kümmert's dich — es ist vorbei.
O forsche nicht!“
Seither vergingen Jahr' und Stunden,
Ohn' daß ich ihn vergessen kann,
Den stillen Ort, den ich gefunden
In Böhmen einst im grünen Tann.
Und treff' ich auf ein Menschenwesen,
Dem schwere Zeit grub Runen ein,
Denk' ich des Worts, das ich gelesen
Auf jenem übermoosten Stein:
„O forsche nicht!“
Albumblätter
I.
Noch ist des Lebens Drang dir ferne,
Dein Dasein ist noch Licht und Lust,
Und hell wie deines Auges Sterne,
Trägst du den Himmel in der Brust.
Doch wie das Laub rollt von den Bäumen,
So wird dein Jugendtraum verwehn
Und unbewußt aus deinen Träumen
Wirst du ins ernste Leben gehn.
Doch hast du dir mit Kindestraum
Der Jugend Unschuldsinn bewahrt,
Dann wird dir immerdar aufs neue
Vergangenheit zur Gegenwart;
[240]Dann wird dich lange noch umschlingen
Erinnrungreich ein lichtes Band,
Oft wird's wie Alphornklänge klingen
Aus deiner Jugend schönem Land.
O bleib dir treu auf allen Wegen,
Bewahr ein Herz, das hofft und glaubt —
So laß zu meinem Dichtersegen
Die Hand dir legen auf das Haupt,
Daß nie mit ernstem, trübem Scheine
Dein frommes Auge sich umflort,
Daß nie der Schmerz sich in das reine,
Ins warme Kindesherz dir bohrt;
Daß, wie der Schiffer auf den Wellen
Nach der Plejaden Sternbild schaut,
Der Jugend Sterne dir erhellen
Den Platz, auf den dein Herd gebaut.
II.
Wenn dich die Menschen verspotten, verwunden,
Lehne dich still ans Herz der Natur,
Dir auch sind ihre Kränze gewunden,
Dir auch blüht es in Wald und Flur;
Hoch am Himmel gehen die Sterne,
Dein sind sie auch, o glaub es nur,
Scheinen sie gleich in unendlicher Ferne,
Treulich leuchten sie deiner Spur.
Das ist das ärmste der menschlichen Wesen,
Das, von der Welt gequält und betrübt,
Nicht aus dem Buch der Natur kann lesen,
Daß es auch einen Schöpfer giebt.
[241]Unverzagt
Warum denn gleich verzagen,
Wenn eine Hoffnung trügt,
Wenn dunkle Wolken jagen
Und alles schlimm sich fügt?
's ist nicht zum ersten Male,
Zum letzten Male nicht!
Von neuem Sonnenstrahle
Ein neuer Morgen spricht.
Im ew'gen Wechsel ziehen
Uns Leid und Glück vorbei,
Eins um das andre fliehen,
So Angst- wie Freudenschrei.
Darin ruht alles Leben,
Im Wogen auf und ab;
Steh fest, und ohne Beben
Nimm hin, was es dir gab!
Doch gilt's nicht nur zu dulden,
Zu kämpfen gilt's noch mehr;
Nur eigenes Verschulden
Erlahmt so Hand als Wehr.
Die Wolken zu verjagen
Vermögen wir ja nicht —
Doch kann der Geist uns tragen
Durch sie zu höherm Licht!
[242]Im Hochsommer
Hochsommer, schöne Erntezeit,
Wo klar der Himmel blaut,
Die Sonn' im hellsten Strahlenkleid
Den Segen sich beschaut.
Den Segen, den sie selber schuf
Auf Wiesen und im Feld —
Nun klingt's wie froher Dankesruf
Zu ihr zum Himmelszelt.
Es singt ihr Preis der Schnitter Chor,
Die Ähren flüstern drein:
Du locktest uns zum Licht hervor,
Gabst Leben und Gedeihn!
Nun sinken wir bei deinem Kuß,
Der wonnig uns gereift;
Ein letztes Lied, ein letzter Gruß
An uns vorüberstreift.
Es ist so wie ein Echohall
Aus unsrer Blühenszeit,
Da Lerchengruß und Nachtigall
Uns früh und spät geweiht.
Sie sind verstummt, bald ist vorbei
Der Erde höchstes Glück —
Drum nimm uns hin in stolzer Reih',
Wir bleiben nicht zurück! —
Die Sonne hört's und glüht und winkt:
Ihr sterbt gar schön und hold;
Ein Segen, ihr für andre sinkt,
Gott hat es so gewollt.
[243]Des Lebens Lied
Als ich in zarter Kindheit Tagen
Versteckt mein erstes Lied gesungen,
Mit tiefem Augenniederschlagen
Das Wort vernahm: es sei gelungen:
Da weint' ich, daß man es erlauscht,
Und war doch stolz und glückberauscht.
Nicht Lob noch Ruhm mocht' ich begehren,
Vor niemand wollt' ich eitel glänzen,
Ich dachte nie an äußre Ehren,
Ich träumte nie von Lorbeerkränzen;
Noch höher Ziel mein Herz mir riet:
Mein ganzes Leben sei ein Lied.
Ein Lied, vor Gottes Thron gesungen
Im höhern Chor, in Himmelsnähe,
So von Begeisterung durchdrungen,
Daß nur Begeistertes geschähe,
Daß alles Sein in Poesie
Vor mir ersteh' und anders nie!
Und anders nie! — ein kühnes Sinnen;
Doch was ich wollt', hab' ich gehalten —
Die Prosa jagt' ich stolz von hinnen,
Vergönnt' ihr nie ein stetig Walten;
Hoch ging mein Flug, und Himmelsschein
Verbannte alles, was gemein.
Wird einst mein letztes Lied ertönen,
Nach allen Kämpfen schwerer Zeiten:
Mein Leben war ein Dienst des Schönen,
Der Trost soll an mein Grab mich leiten;
Ich danke Gott, der mir beschied,
Mein ganzes Leben war ein Lied.
[244]Im Vorwinter
Menschwerdung
In den Werken hoher Meister,
In den Werken der Natur
Folgt' ich schon seit langen Jahren,
Hehre Schönheit, deiner Spur.
Endlich trittst du mir entgegen
Wieder in dem Menschenbild,
Wie die lichte Frühlingssonne,
Lang' ersehnt, verklärt und mild.
Entschuldigung
„Äugelst du nach schönen Mädchen,
Falten im Gesicht?
Lieber Alter, laß dir sagen:
Dieses schickt sich nicht“.
Ihr seid schon mit dreißig Jahren
Schläfrig, matt und kalt;
„Dichterherzen und die Engel“
Werden niemals alt.
Deutsch und Welsch
Unsre finstren Tannenbäume
Können sich mit den Cypressen
An des Mittelmeers Gestaden
Kühn an stolzer Hoheit messen.
Flötet eure Sprache weicher
In geschmolzenen Akkorden,
Tränkt die unsre urgewaltig
Noch der Götter Born im Norden.
[245]Verständnis
Wer mag einem Ohre dichten,
Welches nur die Trommel spürt,
Das das Rasseln eines Wagens,
Nicht des Rhythmus Wohllaut rührt?
Doch für dich, du liebes Mädchen,
Dicht' ich, dicht' ich emsig fort,
Denn du liest, eh' ich's geschrieben,
Mir im Auge jedes Wort.
Widerspruch
Täglich seh' ich dich vor Augen,
Süße, liebliche Gestalt;
Dich an meine Brust zu ziehen,
Hindert der Verstand mich kalt.
Senkte sich von meiner Stirne
Doch der Schnee herab ins Blut,
Oder stieg', um ihn zu schmelzen,
Wild empor des Busens Glut!
Angeschneit
Hat das Wetter sich verzogen,
Decket weiß und rein
Neuer Schnee des Berges Scheitel,
In der Sonne Schein.
Wenn des Herzens Stürme schweigen,
Und der Sieg mir winkt,
Sind gebleicht wohl diese Haare,
Wie der Schnee dort blinkt.
Äquinoktium
Wenn im Lenz die Stürme rasen,
Werden länger auch die Tage,
In des holden Frühlings Anfang
Tönt der Nachtigallen Klage.
[246]Wenn die Tage kürzer werden,
Rasen auch die Stürme wieder,
Nur entführen mit den Blumen
Sie uns auch der Vögel Lieder.
Lektüre
Greife lieber zu den Alten,
Warum alle neuen Moden?
Zwar nicht rat' ich zum Messias,
Oder auch zu Platens Oden.
Wähle Shakespeare, wähle Byron,
Wenn ihn England auch verbannte;
Sollte dich im Winter frieren —
Wag die Höllenfahrt mit Dante.
Symposion
Warum willst du Plato lesen?
Dieser schrieb ja nicht für Frauen,
Aber seine schönsten Mythen
Will ich gern dir anvertrauen.
Daß die Liebe und die Tugend
Eins im hohen Sternenkreise,
Das erkläret bei dem Gastmahl
Ernst und sinnig dir der Weise.
Architektur
Gotisch, Renaissance, Barock dann, —
Keines macht mir heiß,
Dem Erfinder, nicht dem Finder
Geben wir den Preis.
Reich zwar ist der Vorwelt Erbe, —
Doch was hilft uns das?
Trinken will ich nicht vom Tropfschaff,
Sondern von dem Faß.
[247]Das neunte Gebot
Nicht des Nächsten Frau begehr' ich,
Auch des Nächsten Mädchen nicht,
Aber sonnen will ich immer
Mich an junger Schönheit Licht.
Nur mein Lied soll sie begleiten,
Wenn sie wandelt hold und klar;
Junger Freund, du sollst sie führen
Stolz mit dir zum Trau-Altar.
Der Bräutigam
Aber wem soll ich dich gönnen?
Doch wohl nicht dem nächsten Besten,
Den sie fashionable preisen,
Mit Glacee und feinen Westen!
Nur der Jüngling, welcher mutig
Wagt für deutsches Recht zu ringen,
Darf dir einst zum Hochzeitskranze
Den erkämpften Lorbeer bringen.
Vorzeichen
Wenn der Stern der Liebe funkelt
In der lauen Sommernacht; —
Plötzlich flammt ein Wetterleuchten,
Und der wilde Sturm erwacht.
Dichten wir nicht Leitartikel,
Singen wir von Lieb' und Wein;
Bis uns ruft der Zukunft Zeichen
Und des nahen Wetters Schein.
Wien
Reiche Stadt der Babenberger,
An dem Strom der Nibelungen,
Denkst du, wie zu deutschen Harfen
Einst das deutsche Lied geklungen?
[248]Wie ein steingewordnes Märchen
Ragt dein Dom mit seiner Blume,
Und in Östreichs Wappen steigen
Deutsche Lerchen ihm zum Ruhme.
Der Ost
Zwischen Buchen wilder Hopfen,
Unten reift die süße Traube,
Auf dem Nibelungenstrome
Schwimmt mein Hoffen und mein Glaube.
Flatternd stolz im Morgenwinde,
Ziehn mit dir einst unsre Fahnen
Bis zum fernsten Oriente,
Denn der Ost ist des Germanen.
Wetterläuten
Es reiten die Wolken
Mit Donner und Sturm;
Es kann sie nicht bannen
Die Glocke vom Turm.
So schreitet das Schicksal,
Und wenn es dich fällt,
Du kannst es nicht biegen,
Ob Feigling, ob Held.
Trauerkunde
Der Morgenstern tritt glänzend an dein Lager,
Du wirst kein Aug' mehr, ihn zu grüßen, heben,
Anstatt des Salve tragen schon die Glocken
Die Trauerbotschaft hin mit dumpfem Beben.
In alle Fernen zwitschern sie die Schwalben,
Aus Blumen fließt der Tau wie Thränentropfen,
Ich fahr' empor und greife an die Seite:
Warum, mein Herz, hörst du nicht auf, zu klopfen?
[249]Adam
Aus dem Paradies vertrieben,
Mochte Adam rückwärts schauen,
Bis er mit der Hand voll Schwielen
Lernte sich ein neues bauen.
Sei's denn! Fahre fort zu kämpfen —
Ziehest du dabei auch Nieten —
Bis zum letzten Atemzuge,
Wie dir Ehr' und Pflicht gebieten.
Zenith
Näher, scheint es, gehst der Sonne
Du nach Ost mit jedem Schritte,
Aber sie steigt fern und höher
Flammend auf zu dem Zenithe.
Sinkst du müd' am Abend nieder,
Mußt du dich nach rückwärts drehen,
Willst du, eh' dein Aug' geschlossen,
Sie noch einmal scheidend sehen.
Vergänglich
Nicht allein die Blumen welken,
Wie's ihr Erdenlos,
Auch die Sterne sind vergänglich
In des Weltalls Schoß.
Warum soll ich mich beklagen,
Wenn mein Ende naht?
Nur dem Wurm möcht' ich nicht gleichen,
Den ein Fuß zertrat.
[250]Eine Heimkehr
Noch seh' ich dich, den apollinisch Schönen,
Voran zum Wettkampf eilen hoheitsvoll,
Voran dich streben dieses Eilands Söhnen
Zum Hochgebirg, wenn froh das Jagdhorn scholl;
Im Geiste hör' ich deine Harfe tönen,
Der Wohllaut, wie ein Brautgesang, entquoll,
Und seh' dich schreiten zu des Tempels Thoren,
Als du die Anmutreichste dir erkoren.
Du warst es wert, mit jenen Auserwählten,
Des Geistes Rittern, frei zu stehn im Feld,
Mit den Erhabenen, im Streit Gestählten
Zu teilen Brot und Wein im Lager-Zelt;
Denn ihnen, denen Götter sich vermählten,
Hat dich Athene huldreich zugesellt,
Dich lockend nach entlegenen Gestaden,
Wie einst den vielgeliebten Laërtiaden.
Und hast du jemals dort den Kampf gemieden?
Stand dein Panier nicht auch vor Ilios?
Hast du, gleich jenem zürnenden Peliden,
Zur Ruh verurteilt mürrisch Mann und Roß?
O nein! auch du bist eher nicht geschieden,
Als bis erlag die stolze Pergamos:
Erst mit den Letzten, als das Werk vollendet,
Hast du dein Segel heimatwärts gewendet.
Und Schätze hast du eingeheimst: nicht golden,
Nicht silbern zwar erglänzte deine Fracht —
Was dir Athene bot und jene holden
Neun Schwestern schenkten, hast du heimgebracht:
[251]Ein Saitenspiel, bekränzt mit Blüten-Dolden,
Ein Heldenlied von deiner letzten Schlacht,
Den freien Blick in der Erkenntnis Weiten
Und hohen Mut, das Ew'ge zu erstreiten.
Du kehrtest heim — an wohlbekannter Küste
Bohrt sich des Meerschiffs Anker in den Grund,
Als ob die Flur des Eigners Rückkehr wüßte,
Schmückt sich mit Rosen rasch des Eilands Rund,
Und daß auch sie zum Willkomms-Gruß sich rüste,
Entquellen Perlen Philomelens Mund,
Wie sie noch keinen Königsschatz verschönten,
Auch des Atriden nicht, des ruhmgekrönten. —
Du eilst ans Land; wem schlüg' das Herz nicht wärmer,
Wenn er die eigne Scholle froh betritt?
Ein Ophir selbst schien dem Phönikier ärmer,
Wenn, trotz des Golddursts, er an Heimweh litt —
Kein Argonaut, kein Weltumseglungs-Schwärmer
Bestreitet dies, wohin sein Kiel auch glitt,
Ein Heimweh nur war Iphigeniens Sehnen,
Das Land der Griechen suchten ihre Thränen.
Vor dir dein Vaterhaus! Im Sternenflimmer,
Beleuchtet von des Mondes Silberglanz,
So stand es hell vor deiner Seele immer,
Ob dich, umspielt vom Nerëiden-Tanz,
Das Schiff auf purpurfarbner Wogen Schimmer
Hintrug auf heil'ger Meerflut Griechenlands,
Ob mutvoll trotzend troischem Geschosse,
Du im Skamander tränktest deine Rosse.
Schon öffnen sich die lang' vermißten Hallen —
Berückt den Vielgewanderten ein Traum?
Gespenstisch hört er seine Tritte schallen
[252]Allein im schaurig-öden, weiten Raum!
Ach, niemand grüßt ihn von den Teuern allen,
Die er verließ — vor wenig Lustren kaum:
Sie sind den dunkeln Weg vorangeschritten,
Das liebste Band hat Atropos zerschnitten.
Nicht wartet dein der Mord, wie des Atriden,
Nicht Freier tafeln in Odysseus' Haus,
Und doch ist dir Entsetzliches beschieden:
Die Sonne deines Lebens löschte aus;
Still ist's im Saal, doch ist's des Todes Frieden —
Du bist daheim und sehnest dich hinaus;
O hartes Los, das dir der Gott bereitet,
Der unerforschlich die Geschicke leitet!
Wie öd' erscheinen plötzlich die Gelände!
Was du geschaffen und der Väter Fleiß,
Dünkt dir vernichtet, wie durch Feindeshände
Verwüstet auf des Kriegsgotts wild Geheiß —
Ein Bettler stehst du vor des Reichtums Ende,
In goldnen Locken ein gebrochner Greis,
Und deine thränenschweren Blicke fragen
Nach jenem Meerschiff, das dich hergetragen.
Im Winde siehst du seinen Wimpel wehen —
Ein letzter Blick auf das, was dein einst war,
Und neu den Kampf des Daseins zu bestehen,
Rufst du zum Strande der Gefährten Schar;
„Wohin die Fahrt?“ „Das mag der Gott versehen,
Vor dessen Blitzstrahl sank mein Hausaltar!“
Und dann hinaus! — Der Brandung wildes Tosen
Klingt wie Musik ins Ohr dem Heimatlosen.
[253]Der Hakelberger
Hubertustag — der Hirschbock schrie;
Das Laub war gelb, da jagten sie
Am kleinen Teich im Hakelwald,
Die Jagdgenossen jung und alt.
Getroffen lag am Hakelteich
Ein Sechzehnender bald so weich
Auf feuchtem Moos mit Kopf und Bauch
An einem dürren Haselstrauch.
Der fromme Bischof Buko stand
Dabei, den Jagdspieß in der Hand.
Herr Buko sprach von Halberstadt,
Als man den Hirsch betrachtet hatt':
„Der Herr, dem unsre Herde brüllt,
Der uns im Herbst die Speicher füllt,
Die Sau zum Mahl uns hält bereit:
Sein Name sei gebenedeit!
Ihm, der die Rehe machet feist,
Mit Rotwild uns so oft gespeist,
O Brüder, benedicite
Für Schnepfen, Hasen, Hirsch und Reh!
Er lässet zu den Brünnlein gehn
Die Hirsche und die schlanken Rehn
Und ruft einst mit Posaunenstoß
Die Jäger all' in seinen Schoß.“
[254]Darauf der Hakelberger spricht:
„Der Seligkeit begehr' ich nicht!
Ich wünsche nicht die ew'ge Ruh;
Ich möchte jagen immerzu.“
Mit Hund und Jäger stimmt er dann
Im Walde das Halali an.
Die schwarze Drossel sang darein;
Es bellt der Fuchs, die Hirsche schrein.
Nun zogen aus dem tiefen Thal
In Hakelbergers Ahnensaal
Die Jäger alle, die als Gäst'
Er einlud zum Hubertusfest.
Jedoch erkrankte nach dem Mahl
Der Hakelberg im Ahnensaal
Und starb nach der Hubertusjagd
In stürmischer Novembernacht.
Und schon am nächsten Morgen schallt
Geläut und Klingeln durch den Wald:
Denn Bischof Buko las gar schnell
Die Seelenmess' in der Kapell'.
Es ging im Wald das schlanke Reh
So zierlich auf dem ersten Schnee;
Da trugen spät bei Fackelschein
Den Sarg die Förster durch den Hain.
Dem Sarge schritt ein Knabenchor
In weißen Mänteln singend vor.
Der Bischof Buko folgte nun
Mit goldnen Ringen an den Schuhn.
[255]Sie kamen in der Ordnung auch
Bis an den dürren Haselstrauch:
Da übertönt' ein Hirschgeschrei,
So hell und wild, die Litanei.
Sogleich nun aus dem Sarge scholl
Gebell von Hunden laut und voll.
Ein Sechzehnender sprang empor
Dort in die Luft aus Busch und Rohr.
Schon übertönte den Gesang
Des Hakelbergers Hörnerklang.
Die Hunde führt der Junker frei
Aus seinem Sarge mit Geschrei.
Der Ritter fliegt dem Harze zu,
Das Wild verfolgend ohne Ruh'.
Verdammt hat ihn der Bischof jetzt,
Die frommen Knaben fliehn entsetzt.
Noch jetzt, wenn Wind die Stoppeln fegt
Und Regen an die Fenster schlägt,
Dann hört im Dorfe groß und klein
Die Jäger nachts Halali schrein.
Waldesnacht
Es sinkt die Sonne nieder
Auf blauer Himmelsbahn,
Es kehrt der Mondschein wieder
In seinem Silberkahn.
[256]Er bringt dem Walde Stille
Und Kränze, die er flicht
In seine Blätterfülle
Aus mildem Sternenlicht.
Es schließen sich die Blüten;
Aus ihrem Blumenhaus,
Die Unschuld sich zu hüten,
Der Falter muß hinaus.
Es träumen Birken, Eichen,
Sie schlummern Arm in Arm;
Es träumen in Gesträuchen
Die Vögel liebeswarm.
Verweil bei Waldesträumen
In stiller Waldesnacht,
Weil unter seinen Bäumen
Gewiß dein Herz erwacht.
Kärntners Heimatsliebe
Du Land mit deinen Wäldern, Seeen,
Du Land, wo meine Wiege stand,
Wo mich die Mutter lehrte gehen,
O schönes, liebes Heimatland,
Ich muß dich lieben!
Dich Land mit deinen Alpenrosen,
Gepflücket oft mit Müh' und Fleiß,
Dich Land mit Gletschern, Wäldern, Moosen,
Mit deinem schönen Edelweiß,
Ich muß dich lieben!
[257]Dich Land mit deinen Gärten, Auen,
Wo ich die erste Blume brach,
Dich Land mit deinen holden Frauen,
Wo mich die erste Rose stach,
Ich muß dich lieben!
Dich Land, wo mich die Trauben laben,
Wo mich umwehet Alpenluft,
Dich Land mit deinen Eisengaben,
Dich Land mit meiner Eltern Gruft,
Ich muß dich lieben!
Schatten und Licht
„Wer nicht gelitten, hat nur halb gelebt;
Wer nicht gefehlt, hat wohl auch nicht gestrebt;
Wer nie geweint, hat halb auch nur gelacht;
Wer nie gezweifelt, hat auch kaum gedacht!“
O klage nicht, daß ernste, bange Stunden
In deinem Leben häufig sich gefunden,
Daß tiefer Schmerz die Brust dir oft zerschnitt:
Der bittren Thränen keine ging verloren,
In Schmerzen nur wird Höheres geboren,
Der Kern der Muschel führt die Perle mit;
O denk, wenn deine Brust sich seufzend hebt:
„Wer nie gelitten, ... hat nur halb gelebt!“
Verzweifle nicht, wenn in des Lebens Treiben
Manch edler Vorsatz auch zurück muß bleiben,
Du bist kein Gott, der frei von Fehlen ist!
Wenn du den Irrtum nur erkannt, gefunden,
[258]Wenn kämpfend du die Schwäche überwunden,
Wenn besser stets du nur geworden bist,
Wenn nur dein Herz sich ob Gemeinem hebt:
„Wer nicht gefehlt, hat wohl auch nicht gestrebt!“
Bedaure nicht, daß dir ein banges Sehnen
Gar manches Mal die Augen füllt mit Thränen:
Das Höchst' und Schönste bleibt oft unerreicht.
Der Wurm nur mag vom Staube sich ernähren,
Ein edles Herz muß edler Sinn verklären,
Es trauert, wenn das Ideal entweicht:
Der Nacht folgt Tag, dem heitren Tage Nacht:
„Wer nie geweint, hat halb auch nur gelacht!“
Erschrecke nicht, wenn gegen feste Normen,
Das tote Wort, die abgelebten Formen
Dein freier Geist sich zweifelsstark erhebt;
Es kann dem Schwachen nur der blinde Glauben
Das heil'ge Recht des freien Urteils rauben;
Der rechte Mann für Licht und Wahrheit lebt!
Drum sei das Leben beiden dargebracht:
„Wer nie gezweifelt, hat auch kaum gedacht!“
Moses und der Fels
Als einst im heißen Wüstensand,
Verschmachtend in der Sonne Brand,
Der Juden Volk nach Wasser schrie,
Streckt Moses seinen Stab nur aus,
Und aus dem Felsen sprang heraus
Ein frischer Quell und labte sie.
„Welch Wunder!“ — schreit noch heut die Welt —
„Wer solchen Stab in Händen hält,
Dem fehlt es wohl an Labung nicht!“
[259]Ich kann bei dem, was hier geschehn,
Bei Gott kein großes Wunder sehn,
Weil's uns an Gleichem nicht gebricht.
Denn in des Lebens Wüstenland
Ich manches Felsenherz schon fand: —
Wer suchte Seelen-Labung hier?
Doch schlug ich, als verständ'ger Mann,
Nur mit dem richt'gen Stabe an,
So bot es reiche Schätze mir.
Sonst und jetzt
Einst sah mein junges Auge
Dem Falken gleich;
Da war mein Haar noch dunkel
Und lockenreich;
Da kannt' ich keine Sorgen
Und keinen Gram,
Bis in dem Sturm der Zeiten
Das Alter kam.
Jetzt ist das Haar mir silbern
Und dünn und licht;
Dem sonst so scharfen Auge
Die Kraft gebricht.
Des Lebens rauhe Stürme,
So eisig kalt,
Sie machten mürb den Körper
Und müd und alt.
Doch ist mir Eins geblieben:
Ein Herz voll Glut,
Ein Geist voll Licht und Wärme,
[260]Und Lebensmut!
Drum laßt die grauen Haare;
Was liegt daran!
Im Haar nicht ... in dem Herzen,
Da wohnt der Mann!
Dichterlos
„O traurig Los! Verlornes Streben!
Umsonst verschwend' ich Müh' und Zeit —
Und mag ich auch mein Bestes geben —
Was ist mein Lohn? — Vergessenheit.
Manch sinnig Lied hab' ich gedichtet;
Doch ach! kein Auge weilt darauf,
Kein Bild, kein Stein wird mir errichtet,
Ist einst vollbracht mein Lebenslauf!“
Der Dichter spricht's, in seine Kammer
Bricht Abendsonnengold herein
Und webt um ihn und seinen Jammer
Aus Strahlen einen Märtrerschein.
Und irgendwo — er hat nicht Kunde
Davon — in einem fernen Land,
Hält eine Maid um diese Stunde
Sein Liederbüchlein in der Hand;
Sie hat es eben zugeschlagen
Und träumt noch in die Nacht hinein:
„Wer solches singen kann und sagen —
O Gott! wie glücklich muß er sein!“
Anwandlung
Mich wandelt jezuweilen an
Ein ahnungsvolles Beben,
Als müßt' — ich weiß nicht, wo und wann —
Sich Unerhörtes begeben.
Sei ruhig nur! 's geht schlecht und schlicht
Der Weltlauf weiter eben,
Und hättest du deine Träume nicht,
Es lohnte sich kaum zu leben!
Die vier Äpfel
Ein Bäumchen stand am Spalier,
Es trug der Äpfel vier;
Mit Bast war's ausgeputzt,
Beschnitten war's und gestutzt.
Es wurde gehegt und gepflegt;
Mit Mist war's unten belegt;
Es kam auch öfter Besuch,
Zu sehen, was es trug.
Der Onkel, der geschickte,
Dem stets das Pfropfen glückte,
Hat's in der Kur gehabt
Mit Äpfeln verschiedener Art;
Der erste war weiß und zart;
Der zweite sah darein
Wie Gold, so gelb und fein;
[262]Dem dritten die roten Wangen
Sogar wie Purpur prangen;
Der vierte war häßlich und grau,
Geädert war er und rauh.
Der rote und der weiße
Lachten und kicherten leise;
Der gelbe stimmte bei,
Sie spotteten alle drei
Über den vierten, der grau,
Der häßlich war und rauh.
Sie riefen: „Seht doch, wie plump
Sich vordrängt der graue Lump;
Er ist mit Runzeln bedeckt,
Gesprenkelt und häßlich gefleckt,
Er ist ein Bettelmann,
Man sieht's ihm von weitem an;
Wir aber sind vornehme Leut',
Es schmückt uns glänzend Kleid,
Das in der Sonne blinkt;
Wir sind geputzt und geschminkt!“
Es türmten am Abend darauf
Am Himmel sich Wolken auf;
Ein Wind flog daher aus Westen,
Er rüttelte an den Ästen
Des Bäumchens; es fuhr das Wetter
Zerzausend durch die Blätter;
Es platschte herab mit Macht
Der Regen in der Nacht.
Am Morgen aber war
Der Himmel wieder klar;
Die Dünste waren verflogen,
Das Wetter war fortgezogen.
[263]Die Flur war wie erquickt;
Lächelnden Auges schickt
Die Sonne belebenden Strahl
Ins gärtengeschmückte Thal.
Dem Bäumchen an der Mauer
Haben die Regenschauer
Der sturmdurchtobten Nacht
Nicht Kümmernis gebracht;
An seiner Blätter Spitzen
Regentropfen blitzen;
Es freut sich der blanken Zier
Und klammert sich ans Spalier.
Von den Apfeln trug es jedoch
Nur einen einzigen noch;
Nicht war es einer der schönen,
Die im Spotten sich übten und Höhnen,
Die erhaben sich dünkten und schlau —
Der häßliche war's, der rauh
Und faserig war wie Bast;
Er hing noch an seinem Ast,
Im Laube bescheiden versteckt,
Von Blättern halb verdeckt.
Die übrigen lagen im Gras,
Beschmutzt und vom Regen naß.
Der eine sowohl, der hold
Und prunkend war wie Gold;
Wie auch der andre, der weiß
Wie Lilien war und Eis;
Nicht minder der, dessen Wangen
Sogar wie Purpur prangen;
Sie hatten im Innern den Wurm,
Drum fielen sie vor dem Sturm. —
[264]Der graue ward später gebrochen;
Wie Moschus hat er gerochen;
Er hatte ein Fleisch, das weich
Und saftig war zugleich;
Man pflanzte seinen Kern
Im Hofe, vom Hause nicht fern.
Er erhob sich als Baum in die Lüfte:
Jetzt spendet er Schatten und Düfte.
Nach der Schale frage nicht,
Auch nicht, ob glatt das Gesicht;
Denn beide verbergen gern
Verdorbenen, morschen Kern! —
Köln
Erhabne Stadt! an Deutschlands hehrstem Strome
Entstrebst du Fluren, goldnen, ährenreichen, —
Und ein Juwel, ein Denkmal sondergleichen,
Umschlingt dein Arm: den König aller Dome!
Und ob, o Dom, auch deine Stirn Symptome
Erlittner Unbill trägt: vor dir erbleichen
Die Tempel selbst in Indiens fernen Reichen,
Im holden Heim des Zephyrs, der Azome.
Denn suchet in Hispaniens blum'gem Raine,
Durchforscht das Land der Pinien und Cypressen,
Das Eden auch der schaumgetränkten Weine:
Ihr findet Marmors Prunk und Elfenbeine!
Doch keine Räume, gottgeweihte, messen
Dem Dome Kölns an Hehre sich und Reine!
[265]An die Lerche
Ja, schwinge dich nur hoch im Blau,
Erfrischt vom klaren Morgentau,
Und bade dich im goldnen Licht;
Ich neide deinen Flug dir nicht.
Wie hoch du schwebst in blauer Luft,
Hell schmetternd in den Morgenduft,
Weit höher sich die Seele schwingt,
Die, gottentstammt, empor sich ringt.
Hinauf, hinauf zum Wettgesang,
Du, meiner Seele Lerchenklang,
Und bring als Siegespreis zu Thal
Vom Himmelslichte einen Strahl!
Zartsinn im Leid
Quäle nicht mit Trost ein Herz,
Dem noch frisch die Wunde!
Niemand glaubt im ersten Schmerz
An die bessre Stunde.
Laß den Freund an deiner Brust
Klagen, weinen, schweigen;
Was an Liebe dir bewußt,
Mußt du still erzeigen.
Nimm von ihm in schwerer Zeit
Alle harten Pflichten;
Ist sein Herz voll Bitterkeit,
Wolle milde richten.
[266]Leite jeden Sonnenstrahl
In sein armes Leben:
Bessern Trost in tiefer Qual
Kann dein Herz nicht geben.
Leeres Trosteswort im Schmerz
Schneidet in die Wunde;
Zarter Liebe dankt das Herz
Auch in schwerster Stunde.
Den stillen Frauen
Die Frauen lieb' ich, die im stillen walten
Und deren Wirken ein harmonisch Fügen,
Die mit erborgtem Geistesglanz nicht lügen
Und dennoch für das Schöne nie erkalten;
Die Geist und Anmut auch daheim entfalten,
Aus deren feinen, liebevollen Zügen
Die Sanftmut spricht und heiteres Genügen
Und die stets fest an ihren Pflichten halten.
Wohl hört man ihre Namen selten nennen,
Denn ihres Wesens Tiefe zu erkennen
Genügt nicht der Gesellschaft eitles Treiben;
Doch wer in ihrem Haus, in trauten Stunden
Den Segen ihrer Nähe je empfunden,
Dem wird ihr Zauber unvergeßlich bleiben.
Herbsttrost
Laß dich's nicht kümmern, wenn so manche Blüte,
Die schön sich zu entfalten schon versprach,
Für deren Glanz dein Herz im Traum erglühte,
Ein rauher Frühlingssturm dir grausam brach.
[267]Laß düstre Trauer nicht dein Herz umnachten,
Wenn Frühlingstage dir statt Sonnenglanz
Nur unglücksschwangre Wolkenschatten brachten,
Die trüb umnachten den verwelkten Kranz.
Sieh die Natur! Wie oft hat Sturm und Regen
Den Mai betrogen um die Blumenpracht,
Und doch ist ihre Triebkraft nicht erlegen;
Von neuem keimt's in ihres Busens Schacht.
Und reich an Blüten, reich an sonn'gen Tagen,
Und reich an farbensattem Blätterschmuck,
Wagt sie im Herbst die Rose noch zu tragen,
Erlöst von schwerer Frühlingstage Druck.
Läßt farbenglänzend sie es so vergessen,
Daß Maienlust erlitt ein Herbstgeschick,
So wird auch aus des Frühlingstraums Cypressen
Dein Herbst dir sprießen lassen Maienglück.
Besitz und Verlust
Was wir besitzen, ach, wir schätzen's kaum,
Weil wir es trotzig unser Recht nur nennen
Und oft in heißer Sehnsucht nur entbrennen
Nach Sternen, hoch und fern im Weltenraum.
Doch wenn zerfloß der Hoffnung goldner Schaum,
Wenn wir von Glück um Glück uns mußten trennen,
Erst dann wir des Verlornen Wert erkennen,
Und reicher noch erscheint es uns im Traum.
So lernt das Herz, sich weise zu bescheiden,
Erst, wenn es fühlt des Schicksals Gunst ermatten
Und möcht' im heißen Kampf zurück erstreiten
[268]Des einst verschmähten Glückes blasse Schatten;
Doch härter straft der Himmel kein Vergehen,
Als wenn wir seine Gnade nicht verstehen.
An Robert Schumann
bei der C-dur Symphonie
Wie kühne Taucher aus dem Grund der See
Die Perle an das Licht zu heben wagen,
So ziehst du aus der Menschenbrust zur Höh'
Die Perlen, die dort tiefverborgen lagen;
Was je ein Herz an ungesprochnem Weh,
An ungesprochner Seligkeit getragen,
Das offenbarst du ihm in diesen Tönen,
Du kühner Taucher in dem Meer des Schönen.
Nun jubelt's in uns auf, die Fessel sprang,
Nun haben wir erst voll und rein empfunden,
Was sich als Seufzer einst der Brust entrang
In unsern stillen, weihevollen Stunden,
Und nicht mehr an des Wortes kalten Klang
Ist unsre Lust und Seligkeit gebunden:
So hebst du uns mit dir aus ird'schen Schranken,
Die vor der Macht des Genius versanken.
Aus der „Flucht nach Ägypten“
In Ägyptens Wüste raget
Ein steinern Rätselbild,
Ein Weib von Antlitz und Busen,
Von Rumpf eine Löwin wild.
[269]So liegt es hingestrecket
Im heißen Wüstensand,
Mit steinernen Augen starrend,
Auf seinem Haupte zittert der Sonnenbrand.
Die Sage weiß zu melden,
Vom lebenden Löwenweib,
So vordem hier gehauset
In gräßlichem Zeitvertreib;
Es gab den erschrockenen Wandrern
Dunkele Rätsel auf,
Und wer sie nicht gelöset, —
Die Gebeine dorren zerstreut rings und zuhauf.
Nun aber ruht das Steinbild
Im gleißenden Mondenlicht.
Da naht eine Wandrergruppe;
Ein Mann, demütig, schlicht,
Am Leitseil führt ein Lasttier,
Darauf, vom Mantel umwallt,
Eine Mutter sitzt mit dem Kindlein,
Jedoch in zart jungfräulicher Gestalt.
War's nicht, als ob das Steinbild
Plötzlich sich geregt,
Als ob die steinernen Augen
Funkelnd es bewegt?
Als ob auf die mächtigen Pranken
Gestemmt es sich höb' empor,
Als träf' ein Zischen und Murren
Der heiligen Wandrer überraschtes Ohr?
Schwebt auf den geöffneten Lippen
Der tückische Spruch voll Not,
Des Lebens dunkeles Rätsel,
[270]Das Rätsel vom grimmigen Tod,
Das keiner noch gelöst hat
Der Erdenwanderer all,
Drob manchem das Herz verschmachtet?
Tönt's von den Lippen mit gepreßtem Schall?
Da wickelt aus dem Schleier
Und zeigt dem Mondenlicht
Die Jungfrau still das Kindlein,
Ob es den Zauber bricht, —
Das Wort, das Fleisch geworden,
Das Welterlösungswort,
Das alle Rätsel löset! —
Ein Grau'n durchfährt die Löwin allsofort.
In starrendes Entsetzen
Sie zu versinken scheint;
Es ist, als wär' das Steinbild
Itzund erst versteint.
Und horch: zu seinen Füßen
Sacht es rieselt und rinnt;
Als wollt' er das Bild begraben,
Der Sand an ihm emporzuschwellen beginnt.
In Ägyptens Wüste raget
Noch heut ein steinern Haupt;
Der Rumpf ist vom schwellenden Griese
Dem Anblick längst geraubt.
Es starrt mit steinernen Augen
Hinaus in das Meer von Sand;
Das Wort der Erlösung aber
Den Umzug hält durch alles Erdenland.
[271]Schwalbenankunft
Seglerin, Schwalbe,
Bote des Frühlings!
Keines von allen Kindern der Lüfte
Freuet die Herzen
Innig, wie du!
Keinem von allen —
Liebling des Lenzes —
Jauchzen der Menschen sehnende Scharen
Hoffenden Herzens
Freudiger zu!
Kehre denn wieder,
Segenverkündend!
Schwing dich durchs Luftmeer, schwimmend im Äther,
Lenzlichtumleuchtet,
Weither im Flug!
Baue dein Nestlein
Wieder am Dache!
Zwitschre und singe, daß wir vergessen,
Ach, wie der Winter
Wunden uns schlug!
Brüte in Ruhe —!
Blau wie in Hellas,
Wo du geweilet, ist nun des Himmels
Wogende Weite
Ringsum auch hier.
Ach, und wenn wieder
[272]Schwindet die Helle,
Folgen, o Vöglein — sprößlingumflattert —
Fernhin die Herzen
Sehnsuchtvoll dir!
Mein süßes Kind, du weißt noch nicht ...
Da hüpft mein liebes, lockiges Kind
Im grünen, sonnigen Rosenhag,
Umrankt von Knösplein, weiß und rot,
Umschallt von hellem Lerchenschlag.
Sein Äuglein strahlt, sein Mündchen jauchzt
In unbewußter Lebenslust.
Mein süßes Kind, du weißt noch nicht,
Wie bald du wieder sterben mußt.
Wie sieht sich doch im Wahne ewigen
Lebenstags ein Frühling an?
Du fühlst, was aufblüht; doch was welkt,
Zu Grabe sinkt? Du denkst nicht dran.
Ein junger Gott bist heute noch;
Wie wirst du dich entsetzen, Kind,
Wenn dir die erste Nachricht kommt,
Daß alle Wesen sterblich sind.
Ja, ich verschweig' dir, was ich weiß,
Nur blick mir nicht ins Aug' hinein,
Es könnt' sich spiegeln drinnen noch,
Was ich gesehn im weißen Schrein. —
O leb in Glück, mein Kind, und erst
Wenn du von allem, allem satt,
Erst dann vernimm, was Gott
In seiner Lieb' für dich bereitet hat.
[273]Des Daseins holdbekränztes Ziel
Das Grünen, das ist Auferstehn,
Das Reifen ist schon Sinken;
Drum laß das Kind zu seiner Zeit
Die reinen Freuden trinken.
Das Kind in seiner jungen Zeit
Ist Brennpunkt aller Sonnen,
Des Daseins holdbekränztes Ziel,
Des heiligen Glückes Bronnen.
Wächst es heran, ist nichts mehr sein,
Muß um die Wette laufen;
Mit jedem Tag und jeder Plag'
Muß es sich neu erkaufen.
Der erste Drang der Lieb' ist schon
Des Todes erstes Fordern;
Ein Korn, das junge Keime treibt,
Fängt selbst schon an zu modern.
Das Grünen, das ist Auferstehn,
Das Reifen ist schon Sinken:
Drum laß das Kind zu seiner Zeit
Die reinen Freuden trinken.
[274]Erfolgreiche Worte Blüchers
Paßt auf! ein Held tritt jetzt heran;
Das war ein Mann, ein deutscher Mann,
Von altem, echtem Schrot und Korn
Und, galt's dem Vaterland, stets vorn;
Von wenig Worten, rascher That,
Voll Demut, ehrend treuen Rat,
Doch, wenn es galt, den Augenblick
Gleich zu benutzen, mit Geschick.
Der alte Blücher ist's, man hat
Von ihm erzählt manch kühne That.
Ein Schlagwort „Vorwärts!“ und so weiter
Ermutigte stets seine Streiter
Und half gar oft aus großer Not;
Gesagt, ging's freudig in den Tod.
In heißer Schlacht einst stießen sie
Auf eine feindliche Batterie;
Da sprach der Held: „Seht, Kameraden!
Die kann und wird uns mächtig schaden;
Doch haben wir sie, ja, dann auf Ehr',
Dann thut sie sicher uns nichts mehr;
Drum drauf und dran!“ — Der Gang wohl schien
Selbst manchem Tapfern toll und kühn;
Doch frischen Muts erkämpften sie
Kraft Blüchers Wort die Batterie.
[275]Blümleins Gebet
Der erste freundliche Morgenstrahl
Begrüßet das Blümlein im Wiesenthal.
Das hat sich gebadet im Morgentau
Und schaut nun erquickt ins Himmelsblau.
Dann nach der Sonne neigt's betend sich:
Du hast mich erweckt, nun erwärme auch mich. —
Sehr möglich
„Wohin so eilig, Doktor Keil?“ —
„Hans Latz will sterben, darum eil'
Ich so; dem muß ich helfen!“
Ein glücklicher Schreibfehler
Hans dankt dem Doktor Braß,
Daß er am Leben blieben,
Nicht, daß er ihm etwas,
Nein, daß er sich verschrieben.
Die blinde Nachtigall
Zu Leipzig, in der Lindenstadt,
Wohnt' ich am wohlbekannten Brühl.
Es rauschte um mich überlaut
Der Ostermesse Marktgewühl.
Doch wenn zu Nacht die Straßen leer,
Da hört' ich süßen Zauberschall:
„Laïsk tüdrück, laïsk tüdrück“ —
Das Lied der blinden Nachtigall.
[276]Von Sonnengold und Blitzesprühn,
Von der Gefährtin, treu und traut,
Von heißem Mühn im Kampfe kühn
Um die geliebte kleine Braut,
Von Lenzeswehn und Minneglück
Im maiengrünen, duft'gen Wald, —
Laïsk tüdrück, laïsk tüdrück —
Die wundervolle Stimme schallt.
Nach arbeitvoll durchwachter Nacht,
Im würz'gen Frühlingsregenduft,
Erklang der Flötenstimme Pracht
Wie Engelsgruß mir durch die Luft.
Und kehrt' ich abends spät zurück
Ins schlafbefangene Revier,
Laïsk tüdrück, laïsk tüdrück —
Erklang, wie Geisterstimme, mir.
Wohl hört' ich manchen holden Sang
In Rußlands dunkler Wälderpracht,
Doch keiner hat, wie der, mein Herz
In süße Träumerei gebracht.
Wohl lernte deuten ich den Ruf:
Laïsk tüdrück, laïsk tüdrück —
Am Moskwastrand, im Zarenheim,
Umrauscht, umwogt vom blüh'nden Glück.
Aus feuchter Erde steigt ein Hauch
Im Lenzesweben himmelwärts,
Wie gläubig inniges Gebet
Aus hoffnungsbangem Menschenherz.
Da rankt es sehnend sich empor:
Laïsk tüdrück, laïsk tüdrück —
Nicht suche hier, o armer Thor,
Nicht auf der Erde wohnt das Glück.
[277]Wohl hielten Fesseln, sanft und stark,
Mich fest im heitern welschen Land,
Doch Lied und Gruß dem Vaterland
Blieb treu und innig zugewandt.
In Albions Metropolis
Laïsk tüdrück, laïsk tüdrück —
Erklang mir wie ein Mahnungsruf:
Zur Heimat kehr, o kehr zurück!
Nun ruht das Nachtigallenherz
Wohl längst von seinem letzten Sang,
Nun schweigt die Klage, schweigt der Schmerz,
Die liederreiche Brust zersprang;
Doch lange, lange tönt ihr Lied
Noch in der Hörer Ohren nach
Und ruft in Träumen, schwer und bang,
Erinnrung an ihr Leiden wach.
Es fiel in meine Leidensnacht
Verheißungsreich ein Strahl von Glück,
Doch als ich ihn erfassen wollt',
Da zog die Sonne sich zurück,
Und klagend tönt's, wie Schwanensang:
Laïsk tüdrück, Laïsk tüdrück —
Sei stille, stille, armes Herz,
Entsag, entsag dem Erdenglück!
O wann erscheinest du auch mir,
Du heißersehnter letzter Tag,
Da endlich sich mein blutend Herz
Erhebt zum letzten Pulseschlag?
O wollte Gott, ich hörte dann:
[278]Laïsk tüdrück, laïsk tüdrück —
Der Himmel jauchzenden Gesang:
„Geh ein, geh ein zum ew'gen Glück!“ —
Taubenbotschaft
O fliege, meine Taube,
In sehnsuchtsvoller Hast!
Der Holden Hand dir raube
Die thränenfeuchte Last.
Sprich, wenn sich dein Gefieder
Sanft kosend an sie schmiegt,
Vom Sänger süßer Lieder,
Der hier verschmachtend liegt,
Der gern sein junges Leben,
Den letzten Tropfen Blut,
Für sie dahin gegeben;
O blieb' sie treu und gut!
Was lebend sich nicht einte,
Das eint zuletzt der Tod;
Und ob um mich auch weinte
Kein liebes Aug' sich rot:
Hinauf zum Vaterlande
Lenk' ich den Glaubensflug,
Der schon im Staubgewande
Mich oft gen Himmel trug.
[279]Dort will ich dir begegnen,
Du Maid, so schön und rein,
Und deine Treue segnen;
Dort bleibst du ewig mein.
Sehnsucht
Wie sich des Kindes Seele
Sehnt nach dem Elternhaus,
Wie aus der Kerkerhöhle
Der Gefangne strebt hinaus:
So nach der Heimat droben
Schwingt sich mein Geist hinauf,
Des Herren Rat zu loben
Nach hier vollbrachtem Lauf.
O stärke und behüte
Mich ferner in Geduld,
Gieb Frieden dem Gemüte,
Bewahre mich vor Irrtum und Schuld!
Hausmärchen
Um des Schlößleins ragende Zinnen
Bei des Vollmonds blasser Pracht
Webt des Winters erste Nacht
Leis aus Reif und Duft und Glanz
Sich den schimmerndsten Strahlenkranz. —
Und auf den Treppen, den Gängen innen,
Flüsternd und knisternd und raunend leis,
[280]Ziehen schwebend mit flatterndem Wehn,
Ungeahnet und ungesehn,
Durch die hallende Einsamkeit
Lauschende Geister der alten Zeit. —
Doch im Stüblein beim flackernden Reis
Webt und wallet des Abends Friede.
An der Wiege mit summendem Liede,
Selig sinnend und bangend allein,
Sitzt das rosige Mütterlein.
Träumend auf dem schneeigen Linnen
Dehnt sich das Kindlein und lächelt hold;
Und sich neigend mit süßem Kosen,
Küßt sie der Locke wallendes Gold
Und auf den Wänglein die blühenden Rosen,
Nickt und lächelt dem Träumer zu:
„Schlummre, liebliches Herzlein du!“
Doch ob dem Lauschen und Schauen und Sinnen
Sinken ihr endlich die Lider sacht
Nieder auf die schwellende Wange,
Bis der Schlummer, der Gott der Nacht,
Sie mit leisem Liebesgesange
Selbst umwoben mit Zaubermacht.
Der Schnee
Nun zitterst du, Erde, verlassen, allein;
Ich komme, mein Liebling, und schläfre dich ein,
Ich komme auf Flügeln so leise, so lind,
Wie Schritte der Mutter zum schlafenden Kind.
[281]Wie hat doch der Sommer geküßt dich so warm,
Und der Blitz dich umschlungen mit flammendem Arm,
Bis der purpurne Kranz dir gesunken vom Haupt,
Dir die Sichel die goldenen Locken geraubt!
Wie hat dich der Sturm und der Donner geschreckt,
Und der Hagel die zitternde Brust dir bedeckt!
Wie hat dir der Regen gebleicht dein Gewand!
Ich komme, mein Liebling, mit heilender Hand.
Ich komme nicht laut, wie Gewitter dich trifft,
Nicht rauh, wie des Reiffrosts ätzendes Gift;
Ich komme nicht klirrend mit blitzendem Speer,
Wie der Frost, mein grimmiger Bruder, daher.
Ich bringe nicht Farben und Düftepracht,
Nicht die wonnigen Schauer der Julinacht;
Ich presse nicht wild, wie der Sturm, dich ans Herz,
Ich schmeichle nicht süß, wie Lenzluft im März.
Nicht wie Maienwind kosend, der, irisbeschwingt,
Dir Nachtigall, Rose und Schmetterling bringt;
Ich komme nicht prächtig, wie Nordlichtschein flammt,
Doch lieb' ich dich mehr, als sie alle mitsamt.
Ich komme und mach' dir ein Lager bereit
In demantflimmernder Herrlichkeit;
Ich hülle in wärmende Schleier dich ein,
Aus Silber gesponnen und Mondenschein.
Ich komme, mein Liebling, dein Treuer, der Schnee,
Und Blüten ersprießen, wo immer ich geh';
Ich hab' dir kristallene Blüten gebracht,
Wie prächtiger nie sie der Frühling erdacht.
[282]Dann liegen wir zwei wie im Tode gestreckt,
Es hält dich mein blitzender Mantel bedeckt;
Doch sind wir nicht tot, nein, wir leben, und heiß
Klopft Herz uns an Herz unterm hüllenden Weiß.
Ich halte dich fester und treuer, als je
Der Lenz dich umfing, und ob weinend ich geh',
Verdrängt einst von Liedern und Blumen und Blatt,
Doch kehr' ich, wenn alles verlassen dich hat.
Am Ufer
Am Wasser stand sie und schaute hinein;
„Siehst, Kindlein, du drunten das Engelein?
Das will sich erbarmen“, die Mutter spricht,
„Doch die Welt und die Menschen, die wollen's nicht.
Es streckt dir die Ärmchen entgegen, mein Kind;
Seine Locken sind licht, wie die deinen sind;
Laß beide uns fliehn zu dem Englein hin,
Damit du nicht werdest, was ich jetzt bin:
Eine arme Mutter, verlassen, allein,
Verstoßen, verhöhnt, mit dem Kindchen klein!
Laß sterben uns, Liebchen, damit nicht die Not
Dich mit deinem Kinde einst treib' in den Tod!
Du weißt nichts vom Leben, vom Tode noch nichts;
Du gleichst dem da unten, dem Englein des Lichts,
Und ich weiß, daß du elend wie ich einst würd'st sein.
Komm mit mir, und mög' mir der Himmel verzeihn!
[283]Wir haschen die Fischlein mit silbernem Glanz
Und pflücken uns goldene Tulpen zum Kranz,
Und die Wellen, die wogen und wiegen uns ein —
Komm mit mir, und mög' mir der Himmel verzeihn!
Wohl hab' ich geklopft an die Thüren so oft,
Hab' gekämpft und gerungen, geliebt und gehofft.
Und weil ich dich lieb', lass' ich nicht dich allein —
Komm mit mir, und mög' mir der Himmel verzeihn!“ —
Und als sie gefunden das arme Weib
Am Wehre, im schäumenden Wassergestäub,
Mit dem Kind, das geflohn zu dem Englein hin,
Da fluchten sie ihr mit frommem Sinn —
Und gruben sie ein, wie's Recht ist und Brauch,
Im Friedhof beim Armensünderstrauch,
Drauf sangen die Vöglein im Abendrot
Von Lieben und Leiden und bittrer Not.
Den Dichtern
Wo ist im Wirrsal dieser Tage
Ein gottbegeisterter Poet,
Der in der Völker Not und Klage
Nicht opfermutig vorwärts geht? —
Ihm sei des Himmels Thor verschlossen,
Der nur vom eignen Leide singt,
Der nicht des Geistes volle Sprossen
Als Opfer, von Gesang umgossen,
Zum Hochaltar der Menschheit bringt.
[284]Der hehren Worte tönten viele
Vom Weltberuf der Poesie,
Doch meint der Wahn, daß nur zum Spiele
Ein heitrer Gott die Kunst ihm lieh:
Wer sie verpraßt, die Himmelsgaben,
Nicht vor dem Volk enthüllt ihr Licht,
Der soll nicht Teil am Lorbeer haben,
Der wandle stumm, in Nacht begraben
Am Tage, wo man Kränze flicht.
Ruhmreiche Bahnen wirst du wallen,
Wann, wo ein Aug' in Thränen steht,
Vom Priestermund du läßt erschallen
Den Psalm des Trostes, o Poet,
Wann auf des Glaubens sel'ger Schwinge
Dein Lied uns trägt in lichte Gaun,
Daß es wie Sphären uns umklinge
Und wir die Harmonie der Dinge,
Im Wechsel das Beständ'ge schaun.
Der Unbestand mag flüchtig gleiten
Vorüber am verhüllten Kern;
Der Dichter sing', daß alle Zeiten
Und Kreaturen sind des Herrn;
Mit Flammenschrift begnadet, deute
Sein Lied der Offenbarung Hort:
Entrissen ist dem Tod die Beute,
Es giebt kein Gestern, giebt kein Heute
Vor dir, du unerschaffen Wort!
Nicht soll die Menschheit er befeuern,
Wenn der Parteiung Wunde klafft;
Er soll der alten Zwietracht steuern
Im Sturm und Drang der Leidenschaft;
[285]Ein Siegfried, stark und mild und weise,
Geh' er gepanzert durch den Spott,
Verein' er die getrennten Kreise
Und führ' auf friedevollem Gleise
Die Herzen zum lebend'gen Gott.
Ein Thor nur mag vom Dichter fodern,
Daß er Partei-Apostel sei:
Frei soll der Dichtung Flamme lodern,
Beirrt von keiner Tyrannei!
Die Bruderhand beim frohen Reigen,
Der Sänger beut sie allen gern:
Gen Himmel läßt sein Lied er steigen,
Daß die verworrnen Stimmen schweigen
In heil'ger Ruh vor Gott dem Herrn.
Zu baun, zu ordnen, zu versöhnen,
Dies Amt, o Dichter, lernt verstehn,
Dann ruht ein Segen auf den Tönen,
Die lieblich euch vom Munde wehn;
Dann seid ihr in der Stürme Tosen
Die Felsen der Gerechtigkeit,
Die Anker für die Hoffnungslosen,
Die Gärtner für der Liebe Rosen,
Die Bildner einer neuen Zeit.
Trinklied
Ob wir Schwaben oder Preußen,
Müller oder Schulze heißen,
Das thut nichts dazu;
Aber ob wir deutschen Blutes,
Deutschen Geistes, deutschen Mutes:
Das thut was dazu.
[286]Ob in Östreich, ob in Sachsen
Oder Bayern aufgewachsen,
Das thut nichts dazu;
Aber ob wir deutsch im Herzen,
Deutsch in Wort und Lied und Scherzen:
Das thut was dazu.
Ob wir in Palästen thronen
Oder Aftermiete wohnen,
Das thut nichts dazu;
Aber ob mit heil'gen Trieben
Volk und Vaterland wir lieben;
Das thut was dazu.
Ob wir Dichter oder Maler,
Gulden wechseln oder Thaler,
Das thut nichts dazu;
Aber ob wir tief im Sinne
hegen reines Gold der Minne:
Das thut was dazu.
Ob wir jung in braunen Locken
Oder alt im Lehnstuhl hocken,
Das thut nichts dazu;
Aber ob die alte Treue
In uns grünt und blüht aufs neue:
Das thut was dazu.
Ob wir uns mit Fischen ätzen
Oder an Fasanen letzen
Das thut nichts dazu;
Aber ob wir bei dem Essen
Auch der Arnen nicht vergessen:
Das thut was dazu.
[287]Ob wir Bürger oder Ritter,
Edelleute oder Schnitter,
Das thut nichts dazu;
Aber ob wir feind dem Schlechten,
Freund dem Schönen, Wahren, Echten:
Das thut was dazu.
Unserm Volk zum Heil und Segen
Laßt uns Fuß und Hände regen, —
Das thut was dazu;
Kräftig wird es aus den Wehen
Seiner Neugeburt erstehen,
Thun wir all' dazu!
Wenn du ein echter Dichter bist
Was du nicht fühlst, das singst du nicht,
Wenn du ein echter Dichter bist,
Schwärmst nicht von Küssen im Gedicht,
Wenn du dein Liebchen nicht geküßt.
Du malst uns keine Thräne vor,
Die nicht von deiner Wimper rann,
Und klagst nicht wie ein kranker Thor,
Wenn du ein kerngesunder Mann.
Strohfeuerwerk ist dein Gedicht,
Wenn deine Glut erheuchelt ist:
Was du nicht fühlst, das singst du nicht,
Wenn du ein echter Dichter bist.
[288]Italienische Nacht
Säng' ich in tausend Schwüren
Des Südens Sternenpracht,
Du würdest immer spüren
Der lauen Sommernacht
Bestrickendes Verführen
Und holde Liebesmacht,
Wenn rings an allen Thüren
Die Jugend scherzt und lacht.
Du mußt wie ich erküren
Die schlichte Pilgertracht,
Vom Hut mit Muschelschnüren
Die Schläfe leicht bedacht,
Dich von der Scholle rühren,
Von Reiselust entfacht,
Den Zauber selbst zu spüren
Der italienischen Nacht.
Musik und Gesang
Musik! Gesang! Im Dichterrohre,
Im Sturm, im Wogenkatarakt,
Im Waldgerausch, im Sternenchore —
Allüberall Gesang und Takt!
Du wohnst, wie Gott, in allen Dingen,
Und Allmacht ist auch dir verliehn,
Durch alle Menschenherzen klingen
Die Zauber deiner Melodien.
Wo wär' ein Land, das nicht umhauchte
Ein Ton aus deinem Wunderhorn?
Ein Dulder, der nicht gerne tauchte
In deinen Melodieenborn?
[289]Du weckst im Kind, im neugebornen,
Der Sehnsucht ahnungsvollen Sinn,
Strömst durch die Seelen der Verlornen
Die reinigenden Flammen hin.
Der Jungfrau erste zarte Neigung,
Das Hochgefühl der Jünglingsbrust,
Das Wort, das bei der Thronbesteigung
Der König schwört in ernster Lust,
Der Opfermut des tapfern Kriegers —
Sagt, was erhabner ihn beschwingt,
Was, gleich dem Lied, ums Haupt des Siegers
Des Ruhms geweihte Kränze schlingt!
Lieh Orpheus doch Getier und Steinen
Ein Herz für seine Melodien,
Und deiner ersten Priester einen,
Arion, schützte der Delphin;
Schürzt, Griechenmädchen, die Gewänder,
Die Zimbel lockt und die Schalmei,
Und festlich wogen Meer und Länder
Zum eleusinischen Tanz herbei.
Zum ew'gen Schnee, wo Adler kreisen,
Auf seiner Berge freien Höhn,
Singt froh der Schweizer seine Weisen,
Wenn durch die Schluchten braust der Föhn;
Doch wenn der Heimat süßen Reigen
Zum fernen Land der Älpler singt,
Das tönt so wundersam, so eigen,
Daß uns die Thrän' ins Auge springt.
Wo fromme Menschenherzen lauschen,
Im Sturm, im Wogenkatarakt,
Im Weizenfeld, im Waldesrauschen —
[290]Allüberall Gesang und Takt!
Die Nachtigall, das Sterngewimmel,
Sie jauchzen laut einander zu;
Verbrüdert tönen Erd' und Himmel:
Der Anfang und das End' bist du.
Ein Wort
Es giebt ein Denken solcher Tiefe,
Daß es des Meeres Ungrund gleicht,
Wohin kein Sturm, so laut er riefe,
Doch wohin auch kein Anker reicht.
Ein Wort kann es heraufbeschwören,
Ihm folgt's, ein schauervoll Geleit;
Was läßt sich alles nicht enthören
Dem einen Worte: Ewigkeit!
Wie aus der Muschel engem Hause,
Hältst du die leere an dein Ohr,
Allmählich sich ein dumpf Gebrause,
Gleich ferner Brandung, schleicht hervor;
Das immer lauter, immer stärker,
Sich endlich steigert zum Getos,
Als bräche aus dem schwachen Kerker
Das ganze Weltmeer donnernd los:
So öffnet in dem einen Worte
Dem Geiste, der sich drein versenkt,
Auch leise eine dunkle Pforte
Den Pfad, der nie zum Ziele lenkt.
[291]Durch Todesgraun, Verwesungsschrecken
Führt weit und weiter er den Sinn,
Bis fahle Nebel alles decken;
Horch dennoch kühn dem Worte hin!
Denn den allein der Welt verbürgten,
Unwandelbaren Trost verspricht's:
Nichts hast du Mensch dort mehr zu fürchten,
Doch auch zu hoffen hast du nichts!
Zum Himmel
Die Lerche, die noch kurz zuvor
Mit lautem Jubel sich empor
Zum Himmel warf,
Dem Auge sich bereits verlor,
Und bald verzittert auch dem Ohr
Ihr zart Geharf.
Im Felde saß sie still, versteckt,
Als sie, durch Schritte aufgeschreckt,
Vom Neste floh;
Und nun, wo zwar kein Halm sie deckt,
Doch wohin auch kein Arm sich streckt,
Lobsingt sie froh.
O, daß es nicht ein jeder hält
Der Lerche gleich, wenn ihm die Welt
Den Frieden stört!
Sich jubelnd schwingt zum Himmelszelt,
Wohin der Menschen Blick nicht fällt,
Ihr Ohr nicht hört!
[292]Menschen und Wolken
Die Menschen unten, Wolken oben wandern,
In Sehnsucht stets — die einen wie die andern;
Die einen weinend nach des Himmels blauen,
Die andern nach der Erde grünen Auen.
Wenn nun hernieder träuft der Wolke Regen,
Gereicht dem Erdengarten sie zum Segen —
Treibt fest verschloss'ne Knospen zur Entfaltung,
Blüht duftend auf in holder Umgestaltung!
Und wenn sich aufwärts schwingt des Menschen Seele
— Glaub nicht, daß sie allein ihr Ziel verfehle —
So wird auch ihrer in des Himmels Garten
Gewiß noch mancherlei Verwandlung warten.
Am Felde
Das war in tauverweinter Nacht,
Ein leises Lüftchen seufzte sacht,
Als, folgend grüblerischem Hang,
Ich ging das dunkle Feld entlang.
Mir war so klein zu Mut, so zag —
Die sonst auf deinen Locken lag,
Die Rechte, nun des Spiels beraubt,
Glitt ob der Ähren blondem Haupt.
Die Halme — ohne Widerstand —
Kaum rauschend, beugten sich der Hand;
Sie neigten tief sich ihrem Druck
Und hoben dann sich wieder schmuck.
[293]Da blieb ich stehn und sprach zu mir:
Du schwaches Herz, so lerne hier
An diesen Halmen, leicht bewegt,
Zu tragen, was dir auferlegt!
Gleich ihnen harre still gebückt,
Wenn dich die Hand des Schicksals drückt;
Gleich ihnen richte auch darauf
Dich ungebrochen wieder auf!
Und so, in stetem Wechselspiel
Erstarkend, wachs zu deinem Ziel,
Daß einst in dir die Sichel schneid'
Ein für die Scheuer reif Getreid!
Das Alter
Der du des Sommers Blüten erbst,
Nicht nur, um rauh sie abzustreifen,
Auch um zu Früchten sie zu reifen,
— Sei mir ein schönes Vorbild, Herbst!
Daß einst, wenn anders meinem Leben
Ein höh'res Alter zubestimmt —
Es meine Hoffnung einzig nimmt,
Um Glauben mir dafür zu geben!
Einem Sonderling
Dornstrauch zu sein, darfst du nur wagen,
Weißt Rosen du zugleich zu tragen;
Denn trägst als solcher du nur Schlehen,
So läßt ein jeder bald dich stehen.
[294]Zum Wettkampf
Willst du an das Ziel gelangen,
Schaue vorwärts unverwandt,
Wo die Lebenskronen prangen,
Wenn das Herz im Kampf bestand.
Schau in Hochmut nicht zurücke,
Wenn du Vorsprung schon gewannst;
Fallend würdst du dem zur Brücke,
Dem du Spott nicht wehren kannst.
Weit vor Augen liegt das Schöne,
Vor uns winkt der hohe Preis,
Daß er uns am Ziele kröne; —
Selig, wer zu kämpfen weiß.
Hinüber
Hinüber! Hinüber! Noch fehlen mir Schwingen,
Noch soll die vergängliche Welt mich umringen:
Verzagen, Verwelken, Erbleichen und Sterben,
Verlöschende Lichtlein und klirrende Scherben.
Noch lachen die Augen, die einst mich beweinen,
Soll ihnen nicht früher ihr Stündlein erscheinen.
Hinüber! Hinüber! Da wird ja das Leben
Mit Frieden und Freuden auf ewig gegeben.
Da stehet der Tempel auf ewig gegründet,
Da sind wir dem Retter auf ewig verbündet,
Da giebt es nicht Schein und nicht Leid und nicht Grauen,
Wo ewig die Sonne der Liebe zu schauen.
[295]Drei „frische Lieder vom Rhein“, gesungen in diesem Jahr von dem „alten Landsknecht“
I. Frei und selig am Rhein
Den Staub von den Füßen,
Die Sorg' von der Brust,
Die Schultern entlastet,
Es winket die Lust!
Die Berge, sie nicken,
Es locket das Thal:
„Hoch lebe die Freiheit,
Zu End' ist die Qual!“
Zum Teufel das „Müssen“,
Das „Wollen“ allein
Bestimmet mein Wesen,
Verschönet das Sein!
Wo sind nun die Grillen,
Die stets mich umsummt?
Das „Wandern“ erlöset,
Das „Hocken“ verdummt!
Da drunten die Wellen,
Sie eilen ins Meer;
Verlorene Tage
Bringt nichts wieder her!
[296]Gott grüß' euch, ihr Berge!
Willkommen, o Rhein!
Hier braucht's keine Pfaffen,
Um selig zu sein!
II. Sankt Rochus
Sankt Rochus war ein frommer Mann,
Er bannt' die Pest, so gut er kann,
Und pflanzte schlau am Bergesrand
Die feinsten Reben in das Land!
Kein besser Mittel, daß ihr's wißt,
Wohl gegen Pest und Seuchen ist,
Als duft'ger, reingehaltner Wein
Vom Rochusberge überm Rhein!
Doch „Pfui“ den Menschen ins Gesicht!
„Sankt Rochuswein“ trinkt keiner nicht;
Doch „Scharlachberger“ schlemmen all',
Der Bischof wie der Knecht im Stall!
Daraus zieht euch die weise Lehr':
Thut wohl den Menschen nicht zu sehr!
Sitzt erst der frömmste Mann beim Wein,
Verduftet jeder Heil'genschein!
[297]III. Rauenthaler Sonnenseite
Aus den Trauben in die Kelter,
Aus der Kelter in das Faß,
Aus dem Fasse in die Flasche,
Aus der Flasche in das Glas!
Aus der Sonne in das Dunkel,
Aus dem Dunkel an das Licht!
Hei! das giebt ein Goldgefunkel,
Wenn der Geist die Nacht durchbricht!
Was die Pfaffen einst versteckten,
Nicht die Lüge war es, traun!
Nur die Wahrheit sie bedeckten
Mit den Kutten, schwarz und braun!
Hatten sie dich auch verschlossen:
Süßer Geist mit goldnem Hut?
Wir befreien unverdrossen
Dich mit frischem, frohem Mut!
Her um mich, ihr Gut-Gesellen,
Füllt die Römer, hell und licht!
Diese grünen Klosterzellen
Gönnen wir den Pfaffen nicht!
Rauenthaler Sonnenseite,
Unser A und unser O:
Hin bis zu den Sternen leite
Uns dein Geist, so lichterloh!
[298]Angestoßen — ausgetrunken!
Meer der Wahrheit glänz' im Licht!
Das giebt echte Götterfunken,
Wenn der Geist die Nacht durchbricht. —
Neuer Frühlingsgruß
Starr schlummerten die Fluren,
Da kamen über Nacht
Auf einmal tausend Gäste
Und singen laut: „Erwacht!“
Schnell schütteln Erl' und Weide
Die Blütenlocken auf,
Und Krokus, Anemone,
Schneeglöckchen kommt herauf.
Und in den Lüften webet
Ein wunderbares Wehn,
Ein zärtliches Verheißen,
In heil'ger Lieb' Aufgehn. —
Auch du, Lied, regst dich wieder,
Entgegen ihm zu ziehn,
Dem Lenz, dem Freudebringer,
Mit Klang zu grüßen ihn.
So sag ihm: schlichte Liebe
Hab' ich ihm treu bewahrt
Als gläubiger Genosse
Auf seiner Erdenfahrt.
[299]Sag ihm: des Welkens Trauer
Kommt er, leg' ich sie ab,
Vergess' der Jahre Trauer,
Vergess' das nahe Grab.
Sein Sprossen und sein Blühen,
Neu weckt's des Schaffens Lust
Und macht des Schöpfers Güte
Mich wieder froh bewußt.
Zum Aufbruch
Ansteckt der Lenz im Freudensprung
Die Auferstehungslichter
In Wald und Flur, bei alt und jung,
Im Träumereich der Dichter.
Da sprosset, was nur sprossen mag,
In kecken Blütentagen;
Da klinget, was nur klingen mag,
Von Lieb' und Lust zu sagen.
Dem Bache gleich, der hochgeschwellt
Enteilt mit Hast von hinnen,
Eilt, Freunde, nun auch in die Welt,
Noch jung sie zu gewinnen! —
Zu bald, zu bald erscheint die Zeit,
Da fehlt der Mut zu wandern,
Da folgt die Erdenmüdigkeit,
Der Zug zur Welt, der andern. —
Ja, schon ist auch mein einzig Glück,
Zum Aufbruch euch zu mahnen
Und, während still ich bleib' zurück,
Zu segnen eure Bahnen.
[300]Am Tagessaume
Schon schliefen Busch und Aue
Im Abendlispeln ein,
Da läßt sich noch vernehmen
Hell Waldes Vögelein.
Eh' es die Augen schließet,
Gedenkt es noch einmal
Des Tages Lust und danket
Auch seinem letzten Strahl. —
Nun hat es ausgesungen
Und birgt das Haupt im Flaum,
Und schlummert sanft und sinket
Vielleicht noch heut vom Baum. —
Wie's Vöglein will ich's halten:
Hab Dank, du schöner Tag;
Ich segne dich befriedigt, —
Sorg' nicht, was folgen mag! —
Im Abenddämmer
Es schweigt nach Tages Lärm die Flur;
Nur leiser wag' ich aufzutreten,
Denn stille Andacht hält Natur
Und mahnt den Wandrer, mitzubeten.
O Gott, aus vollem Herzen flehn
Möcht' ich und kann nicht Worte finden;
Ich kann nur ahnend dich verstehn,
In Liebessehnsucht dich empfinden. —
[301]Sanft säuselnd reget sich das Laub —
Bist du's? Mir ist, als hab' gesprochen
Aus dem Gezweig ein Hauch: „Ja, glaub,
Glaub an des Herzens ahnend Pochen!“
Müder Erdenwaller
Müde bin ich, oft so müde,
Sehne mich nach nichts, als Ruh;
Abgeschlossen scheint mein Tagwerk,
Neues füg' ich nichts ihm zu.
Auch die Welt bringt mir nichts Neues,
Bin fast fremd geworden ihr,
Und, o schmerzliches Erkennen,
Fremd geworden selber mir.
Von dem Blütenflor, der sproßte
Um mich, in mir, von der Frucht,
Zu der froh mein Schaffen reifte,
Blieb Erinnrung nur der Flucht. —
Müde bin ich, oft so müde,
Sehne mich nach nichts, als Ruh,
Harre, daß, der sie erschlossen,
Sanft mir schließt die Lider zu. —
Sei's zum hohen Geisterfluge
In ein Reich des ew'gen Lichts,
Sei's zum friedlichen Versinken
In das schmerzenlose Nichts.
[302]Tagesstimme
Bummeln, das ist mein Vergnügen,
Bummeln, mein Beruf, mein Stolz;
Mag die Menge säen, pflügen,
Ich bin nicht aus solchem Holz.
Plagen sich, um zu verdienen —
Es ist auch so wenig fein;
Gar für andre, wie die Bienen,
Honig sammeln — Narretein!
Narren setzen ein ihr Leben
Für die Menschheit; wer kein Thor,
Greift zum Nächsten, Besten eben;
Wesp' und Hummel macht's uns vor. —
Bummeln wär' des Tropfs Vergnügen? —
Meine Weisheit sagt euch stolz:
Mögt ihr säen, ernten, pflügen,
Jeder fragt zuletzt: „Was soll's?“ —
Bummle ja auch nicht alleine:
Bursche, Backfisch, Überlauf,
Männer, Frauen, ja, Vereine
Bummeln auch in hellem Hauf;
Nicht von Viertel nur zu Viertel
Und nicht nur von Stadt zu Stadt,
Bummeln um der Erde Gürtel,
Müßig, bis sie lebensmatt.
Arbeitslust und Schaffens Wonne —
Nichts, als eingebildet Glück!
Auf die Straße lockt die Sonne,
Lockt, was sie bescheint, zurück.
[303]Im Verborgenen
Soll dichten ich in wilder Eile,
Fehlt's leicht an Form, an letzter Feile,
Und die Kritik, von Haus aus bitter,
Sie macht zum Balken gern den Splitter.
Drum mag die Seele weiter dichten;
Doch vor der Welt gilt es verzichten.
Nicht fragt der Tag mit seinen Pflichten,
Was holde Träume uns berichten;
Er heischt nur des Berufes Thaten —
Und weh, wenn flüchtig sie geraten;
Nicht kann ein Herz, das schuldbeladen,
Im frohen Licht der Dichtung baden.
So lasset denn, ihr trauten Lieder,
Die ihr noch sprosset hin und wieder,
Genügen es euch mit dem Lose
Der Waldesblumen, die im Schoße
Der heil'gen Einsamkeit erstanden,
Geblüht und ungesehn entschwanden.
Tiefste Ruhe
Im Häuschen am Ufer, so still und klein,
Da liegt die Mutter in Todespein.
Sie fühlt nicht der Sonne belebenden Strahl,
Sie weiß nicht, ob Dunkel bedeckt das Thal.
Der Mutter zu Häupten, an Schmerzen reich,
Da sitzet die Tochter, so traurig und bleich.
[304]Sie nimmt von der Stirne, durchfeuchtet und heiß,
Die Binde, die lindernde, sorglich und leis.
Sie wechselt die Tücher mit liebender Hand,
Sie legt um das Haupt ihr das kühlende Band.
Die Sonne, sie wandert, sie neigt sich zum Wald;
Da fährt's durch die Seele ihr ängstlich und kalt.
Im Zimmer, da ist's so still und stumm,
Es rührt sie ein Schauer, sie weiß nicht, warum.
Doch säumt sie nicht lange, mit liebendem Blick
Zur Pflicht, zur gewohnten, kehrt bald sie zurück.
Sie wechselt die Tücher mit sorgender Hand,
Sie legt um die Stirne das kühlende Band.
Doch endlich da neiget ihr Haupt sich zur Ruh,
Die Lider, die müden, sie sinken ihr zu.
Durchs Fenster da schimmert das Abendrot,
Die Tochter, sie schlummert, — die Mutter ist tot!
Am Pfühle da schwärmen die Fliegen frei,
Leis ticket die Wanduhr, die alte, dabei.
Pfingsten
Schmeichelndes Lüftchen, so kühlend und labend,
Felder und Fluren mit Düften begabend,
Liebliches Lüftchen, woher und wohin? —
„Aus des Allgütigen Hauche geboren,
Himmlische Liebe zu künden, erkoren,
Frohen zur Freude! — Daher und dahin!“
[305]Herrscher der Wolken, zerstörungumwittert,
Der die gewaltigen Eichen zersplittert,
Brausender Sturmwind, woher und wohin? —
„Himmlischen Heeres Gefilden entstiegen,
Höhnende Häupter zu brechen, zu biegen,
Mahnung den Mächt'gen! — Daher und dahin!“
Fliegender Funke in flammenden Wettern,
Die durch die Waldung zünden und schmettern,
Zündende Blitze, woher und wohin? —
„Zeugen des Zornigen, heilige Schrecken,
Sünder zur Buße zu rufen, zu wecken,
Fragender Forscher! — Daher und dahin!“ —
Geister der Pfingsten, geheiligte Gluten,
Die durch die Herzen erbrausen und fluten,
Sturmwind der Seelen! — woher und wohin? —
„Öffne die Pforte dem stürmenden Freier,
Opfre das Herze dem himmlischen Feuer,
Fragest nicht fürder Woher? noch Wohin?“
Herbstahnung
Verschwunden sind des Sommers muntre Gäste,
Schon kühlt ein rauher Nord des Südens Wange;
Es schweigen, die mit fröhlichem Gesange
Gebirg' und Wald und Flur belebt aufs beste.
Des Parkes Lauben, falber Blüten Reste
Durchstreicht der Nachtwind seufzend herbstlich bange,
Vergilbte Blätter dort, mit leisem Klange
Sie gleiten nieder, lassen kahl die Äste.
[306]Und wie sie welk zur Erde hin sich senken,
Durch meine Seele zieht ein herbstlich Mahnen,
Das Ende aller Dinge zu bedenken.
O segne, Herr, du selbst mein ernstes Ahnen
Und gieb mir Mut, die Blicke hinzulenken
Zu meiner Wallfahrt Ziel auf rechten Bahnen!
Das Lied
'S ist eine wunderbare, heil'ge Macht,
Womit das Lied die Menschenherzen feit;
'S ist eine Macht, vor der sich jung und alt,
Vor der sich Könige und Bettler beugen.
Der Töne süße Sprache, sie erklingt
Von Pol zu Pol, und — wer versteht sie nicht?
Die innersten Empfindungen der Seele,
In dieser Sprache geben sie sich kund,
In dieser Sprache jauchzt die höchste Wonne,
In dieser Sprache klagt der tiefste Schmerz.
Ja, der Gesang schlingt seine Zauberbande
Um Volk und Volk, um Herz und Herz. Er tönt
In ferner Wildnis, tönt im Festsalon
Und tönt im traulich stillen Kämmerlein.
Den Säugling grüßt das Lied; die Jugend pflegt's
Wie einen lieben Freund; ihm lauschet gern
Des Mannes Ohr, und selbst den müden Greis
Begleitet es auf seiner letzten Reise.
Gesegnet sei der Genius der Töne!
Gesegnet sei, wer ihm Altäre baut!
[307]Gesegnet jede schöne Feierstunde,
Die wir begeistert seinem Dienste weihn!
Die schöne Sage aus der alten Welt,
Wie Orpheus mächtig seine Leier schlug,
Und wie die wilden Tiere, wie die Felsen
Dem Zauber seiner süßen Töne folgten:
Daß sie in ihrer sinnigen Bedeutung
In jedem Sängerkreis lebendig würde!
Daß, wie die Töne kunstreich sich vermählen,
So auch die Herzen freundlich sich umschlingen
Und keine Dissonanz die Harmonie
Der Seelen und des Lebens Frieden störe!
Ja, dann erfüllet sich des Dichters Spruch:
„Da, wo man singt, da laß dich ruhig nieder,
Denn böse Menschen haben keine Lieder.“
So wollen wir in Lust und Liebe singen,
So lang' das Herz noch lebenskräftig wallt!
Bis einst — ob spät, ob früh — mit leisen Schwingen
Das letzte Lied, der letzte Ton verhallt.
Dann — nach der großen Pause — laßt uns ziehen
Ins ew'ge Reich der Himmelsharmonieen.
Mein Lied
Was in der Jugend längst entschwundnen Tagen
Entzückend auf das Herz sich mir gelegt;
Was, von Erinnerung mit fortgetragen,
Aus jener Zeit noch heut sich in mir regt:
[308]Das ferne Glück, die kleinen, leichten Sorgen,
Mit denen früh das Leben sich umzieht —
In meinen Liedern hab' ich es geborgen,
Und aus dem Herzen kam mir jedes Lied.
Und später, als in Liebestraum gewoben,
Ein süß Geheinnis mir im Herzen schlief,
Hat mich zum Himmel selbst das Lied gehoben,
Darin mein Glück ich wahrte treu und tief.
Es steht vor mir, ein lichter Frühlingsmorgen,
Von dessen Glanze noch kein Strahl mir schied —
In meinen Liedern hab' ich es geborgen,
Und aus dem Herzen kam mir jedes Lied.
Dann zog des Vaterlandes Ruhm und Ehre
Mit mächt'gem Stolze durch des Mannes Brust:
Der heil'ge Waffengang der deutschen Heere
Und der errungnen Siege Glück und Lust.
Der neuen Einheit und der Freiheit Morgen
Pries meine Harfe, als das Schwert entschied —
In meinen Liedern hab' ich es geborgen,
Und aus dem Herzen kam mir jedes Lied.
Nun ist ein stilles, trautes Heim gewähret
Dem Sänger, der ernst mit den Wogen rang;
Sein größtes Glück, von treuer Lieb' verkläret,
Bleibt immer noch ein Lied, das ihm gelang.
Und nahen auch so manche Erdensorgen,
Ich weiß ein Heil, vor dem die schwerste flieht:
In meinen Liedern halt' ich es geborgen,
Und aus dem Herzen kommt mir jedes Lied.
[309]Am Jahresschlusse
Wieder hat uns ein langes Jahr
Der Herr in Gnaden gegeben,
Mit mancher freudigen Stunde war
Uns geschmücket das Leben.
Wieder hat seine gütige Hand
Uns am Wege geleitet,
Hat um das teuere Vaterland
Schützend den Segen gebreitet.
Und ob auch manchmal unser Herz
Fand ein getäuschtes Hoffen:
Es hat, den Er gesandt, kein Schmerz
Unverdient uns getroffen.
Drum wird auch fürder keine Pein
Unseren Frieden zerschmettern;
Er schickt immer noch Sonnenschein
Nach den stürmenden Wettern.
Vom alten deutschen Kaiser
Seit manchen hundert Jahren
Hat man die Mär' erfahren
Vom alten deutschen Kaiser,
Der sitzet im Kyffhäuser.
Im Haare weiß wie Schlehen
Erharrt er das Erstehen,
Bis ihm die Vögel der Runde
Geben die rechte Kunde.
[310]Dann hebt er sich, gleich Stürmen,
Das Reich zu schützen und schirmen,
Und Siegesglanz erscheinet,
Weil er die Stämme vereinet.
O einst'ges Singen und Sagen,
Es hat sich zugetragen,
Und sichtbar ist den Landen
Der alte Kaiser erstanden!
Im Bart und Haar wie Schlehen
That er das Banner erhöhen,
Er hob sich, gleich den Stürmen,
Das Reich zu schützen und schirmen.
Die schwarzen Adler flogen,
Sind allen vorangezogen,
Und gaben in der Runde
Das Zeichen rechter Stunde.
Die Stämme, tief zerklüftet,
Haben neu den Bund gestiftet,
Und helles Ruhmesscheinen
Erstrahlte beim Vereinen!
Nun sei der Herr gepriesen,
Hat uns ein Wunder gewiesen —
An Kaiser und Reiches Walten
Ist fürder das Erhalten!
[311]Kreuzesdeutung
Habe oft aufs Kreuz gesehen,
Stetig wollt' die Form mir deuten:
Streb empor zu lichten Höhen
Mehr als nach der Scholle Breiten!
Und so mag's als Sinnbild gelten
Allen, allen, die da leben,
Daß sie zwischen beiden Welten
Mehr sich nach den Höhen heben!
Hoch das Haupt und offne Arme,
Liebreich gen die Welt gerichtet,
Fest in allem Sturmesharme,
Anker, der nach oben lichtet!
Bienleins Reigen
Ich saß am Waldesraine
Bedeckt vom Laubenschatten,
Vor mir im hellen Scheine
Erglänzten Blumenmatten.
Im feierlichen Schweigen
Schien die Natur zu lauschen —
Ein Bienlein begann zu reigen
Mit Summen und mit Rauschen.
Die schönsten Blütenräume
Durchschwärmt es mit Behagen;
Mir aber stört's die Träume,
Ich wollt' das Bienlein jagen.
[312]Da hört' ich's aus dem Brause,
Als spräch's mir klar ins Herze:
Hol dir Honig zum Freudenschmause
Und Wachs zur Totenkerze!
Venezia
Sie saß am Meere, ein Jahrtausend lang,
Sie wuchs, sie träumte bei der Wogen Sang.
Geheime Schönheit, fernem Ost entschwebt,
Hielt sie mit wundersamem Reiz umwebt.
Doch auch des Meeres mitternächtig Grau'n
Lag, wie ein Duft der Flut, um ihre Brau'n.
In ihre Wiege legte eine Fee
Die Zaubergabe: daß sie schön im Weh;
Daß sie, die nicht geglänzt im Krongeschmeid,
Bestrickend blieb auch noch im Bettlerkleid;
Daß jede Falte, die sie, gramversteint,
Im Antlitz trägt, noch wie ein Reiz erscheint. —
So ruht auf ihr bis heut der Duft, der Schein,
Doch traurig starrt sie in die Flut hinein.
Und lange prüft sie jeden Schmerzenszug,
Und bange fragt sie, ob noch Reiz genug.
Und dunkel träumt sie, daß ein Tag wohl kommt,
An dem die Zaubergabe nicht mehr frommt.
[313]Das Nebelmännlein und der Ritter von Schauenburg
Elsässische Sage
Im Lager bei Jerusalem,
Im Feld, nicht weit von Bethlehem,
Da schlief im Zelt ein Ritter.
Vom Elsaß fern seit Jahr und Tag,
An schweren Wunden er niederlag,
Die schlug ihm ein Lanzensplitter.
Allmählich heilen die Wunden aus,
Wie innig sehnet er sich nach Haus,
Nach Gertrud, seiner Frauen!
Wie freut sich der Edle von Schauenburg,
Bald wieder seiner Väter Burg
Zu Herlisheim zu schauen!
Doch plötzlich — es graute der Morgen kaum —
Da weckt ihn ein banger, böser Traum:
Er stand an des Burghofs Schwelle
Und sah einen Brautzug feierlich nahn
Mit Priester und Chor, mit Kreuz und Fahn',
Beim Glöcklein der Kapelle.
Wer ist die Braut mit Schleier und Kranz?
Schön Gertrud ist es im Jugendglanz —
Ach, ist sie in Untreu gefallen?
Und wer ist ihr Freier? Wer führt sie heim?
Es ist der Nachbar von Isenheim,
Der Burg mit den stolzen Hallen.
Wie peinlich schreckt ihn das Traumgesicht!
Auf einmal erfüllt ein Gewölk voll Licht
[314]Des Ritters Gezelt, und siehe!
Mit grauem Mäntelchen angethan,
Tritt vor den Ritter ein Männchen heran,
Kaum reicht es ihm an die Kniee.
„Das Nebelmännlein bin ich genannt,
Am Rhein und im Wasgau wohlbekannt;
Ich komme zur guten Stunde.
Es droht Euch wirklich die Gefahr,
Die Euch im Traume ward offenbar,
Sie droht Eurem Herzensbunde.
Doch wenn Ihr mir folgt, so weiß ich Rat,
So bringt Euch rasch meine rettende That
Nach Haus in die festliche Runde;
Und ehe der Priester den Trauring weiht,
Vernimmt schön Gertrud zu rechter Zeit
Von Eurer Heimkehr die Kunde.
Denn wisset, sie brach Euch die Treue nicht,
Hielt unverbrüchlich der Ehe Pflicht,
Verschmähte Freier in Menge;
Erst, als ihr der böse Nachbar schwor,
Ihr wäret gefallen vor Zions Thor,
Da kam ihre Lieb' ins Gedränge.
Im Witwenschleier ging sie umher,
Ihr Auge war naß, ihr Herz war schwer;
Doch endlich gelang's dem Freier.
Sie lieh seinem Kosen und Flehn ihr Ohr
Und tauschte den schwarzen Trauerflor
Mit dem weißen, bräutlichen Schleier.
Noch, edler Herr! ist es nicht zu spät,
Vertraut mir nur, und wohl gerät
[315]Der Flug mit Euch in die Ferne.
Sobald schön Gertrud Euch erblickt,
Zerreißt sie das Band, das sie umstrickt,
Ist wieder die Eure gerne.
Doch eines bitt' ich mir flehend aus:
Sobald wir im Wasgau sind zu Haus
Und neblige Tage grauen,
So lasset die Glocken läuten all'
In Schloß und Dorf mit hellem Schall,
Bis weicht der Dunst von den Auen.
Denn wisset, ich bin ein verwünschter Geist,
Im Leben war ich ein Mönchlein feist,
Gar sündig war einst mein Handeln;
Zur Strafe muß ich durch Au und Gau
Nun fröstelnd, gehüllt in Wolkengrau,
Als Nebelmännlein wandeln.
Wohl schafft zuweilen der Sonnenschein
Mir etwas Linderung meiner Pein;
Doch ganz vom Fluche des Bösen
Kann nur die Glocke, dem Herrn geweiht,
Durch helles Läuten zur Nebelzeit
Mein armes Seelchen erlösen.“ —
Der gute Ritter sofort verheißt
Den Liebesdienst dem gequälten Geist,
Dann eilt er, sich aufzuraffen;
Er kleidet sich an, er tritt vors Zelt
Und steht, vom Morgenschimmer erhellt,
Gerüstet in blanken Waffen.
Jetzt hüllt ihn das Nebelmännchen fein
In seinen Zaubermantel ein
[316]Und hebt ihn hoch in die Lüfte;
Auf Sturmesflügeln fährt es einher
Und trägt ihn über das weite Meer
Und über die Alpenklüfte.
Der Sturmflug währt eine Stunde kaum,
Dem Ritter däucht es ein kurzer Traum,
Schon tritt er ans Burgthor eben
Und sieht Frau Gertrud bräutlich geschmückt
Und ihren Verlobten hochbeglückt,
Von schmuckem Gefolg umgeben.
„Ach Gertrud!“ Klagend eilt er herbei.
„Mein Hugo!“ ruft sie mit Freudenschrei,
Fällt weinend ihm in die Arme.
Der falsche Nachbar schleicht sich davon,
Das Fest wird gefeiert, doch ihm zum Hohn,
In fröhlicher Gäste Schwarme.
Dem Nebelmännchen hält auch sofort
Der treue Ritter mit Dank sein Wort,
Läßt läuten das Nebelglöcklein;
Zu Herlisheim erscholl es noch lang,
Bis endlich verstummte sein heller Klang:
Nun ward wohl zum Schäfchen das Böcklein.
Vernunft
Vergöttert die Vernunft ja nicht,
Doch schmäht, verteufelt sie auch nie!
Von Gott geschaffen für sein Licht,
Ist unsres Geistes Auge sie.
[317]Füchse und Gänse
„Die höheren Töchterschulen — ach wozu?
Verschont die Mädchen mit gelehrtem Plunder!“
So eifern Klerikale, und was Wunder?
Den Füchsen sagen eben Gänse zu.
Poesie und Leben
O Poesie auf lichten Höh'n!
Für dich zu leben, ist so schön;
Doch von dir leben um den Lohn,
O welch ein schnöder Spott und Hohn!
Silber im Haar
Sie legte in traulicher Stunde
Um seinen Hals den Arm
Und blickt' dem geliebten Gatten
Ins Auge treu und warm.
„Ei Väterchen!“ spricht sie flüsternd,
„Was nehme ich plötzlich wahr?
Es schimmert ja weiß und silbern
In deinem gekrausten Haar.“ —
„So ist's“, entgegnet er lächelnd,
„Doch, wie ich eben es seh',
Glänzt in deinen weichen Locken,
Mütterchen, auch schon der Schnee!“ —
[318]„Was Wunder? Wir standen zusammen
So lang' in Freud' und Leid,
Bis fünfundzwanzig Jahre
Uns Schnee ins Haar gestreut.“ —
Da hat er die teure Gattin
Bewegt an sein Herz gepreßt;
Beseligt feierten beide
Das silberne Hochzeitsfest.
Laßt friedlich uns die Hände reichen
Sieh dort den Krüppel, der von Thür zu Thür
Mit mattem Schritt und scheuen Blicken wankt
Und jedem, der ihn mild beschenkt, dafür
Mit Thränen in den Augen innig dankt!
Hilf ihm, du kannst ihn leicht erreichen! —
„O nein! er ist nicht meinesgleichen“.
Siehst du den Mann im Leinenkittel dort,
Dem von der Stirn der Schweiß wie Perlen rinnt?
Siehst ihn sich mühn an jenem steilen Ort,
Daß er sein täglich Brot ihm abgewinnt?
Tröst ihn, du kannst ihn leicht erreichen! —
„O nein! er ist nicht meinesgleichen“. —
Vom Kohlenstaub geschwärzt das Angesicht,
Mit kräft'ger Hand ein Bursch den Hammer schwingt,
Er läßt von seiner schweren Arbeit nicht,
Bis nicht im West die Sonne untersinkt.
Hilf ihm, du kannst ihn leicht erreichen! —
„O nein! er ist nicht meinesgleichen.“
[319]Wer war's wohl, den man dort zu Grabe trägt,
Weil niemand hinter seinem Sarge geht?
Ein Pfründner nur, im Armenhaus gepflegt,
Des Herzschlag nun auf ewig stille steht.
Folg ihm, du kannst ihn leicht erreichen! —
„O nein! er ist nicht meinesgleichen“.
Sag an! Warum nicht deinesgleichen er?
Hat doch in ihm auch Gottes Geist gelebt,
Und bist du selbst nur Mensch und wohl nicht mehr,
Und redlich hat er auch gleich dir gestrebt.
Laßt friedlich uns die Hände reichen,
Da wir uns alle, alle gleichen!
Weltbetrachtung
Selber baut sich die Seele ihr Haus hier,
Selber vermag's die beflügelte Kraft;
Aber die Seelen entschweben dem All,
Alle die unsrigen kamen von oben!
Ungleich sind sich die Häuser, die Leiber:
Hütten, Paläste, niedrig und hoch;
Alle doch gleich vor dem Weltallsherrn
Ganz wie das Gräschen der Palme hier gleich ist.
Kinder und Greise, Starke und Schwache,
Irrende Grübler und Freunde des Lichts,
Alle zusammen blicken ins All,
Keiner ins Ganze, doch jeder ein Teilchen.
[320]Wo sie auch stehen, sie sehen ein Teilchen,
Und was die andern nimmer erschaun,
Leuchtet dem Einzelnen einzig im Hirn,
Jeder ein Äuglein ewiger Gottwelt.
Drum unzählbar bleiben die Strahlen
Jener unendlich unfaßbaren Macht;
Genüge denn jedem der Platz, wo er steht,
Doch soll er ehren die fremde Gesinnung.
Hoch wohl ragen die herrlichen Türme,
Zinnen der Dichter und Weisen der Welt;
Solche ersteige und blicke hinaus,
Freu dich der weitesten göttlichen Aussicht.
Aber Weltweise und alle die Dichter,
Alle Propheten, sie blicken's nicht aus;
Rühme sich keiner der ganzen Enthüllung,
Allen mitsammen nur ist es enthüllt.
Auf der Pilgerschaft
I.
Es klingt vom Turm des Städtchens
Hoch oben der Choral,
Am Herde sitz' ich unten,
Müd' und bestaubt zumal.
Die Wanderschaft war schwer und lang,
Nun dünkt mir, seit das Lied erklang,
Ich wär' daheim, daheim.
[321]Der Wirt spricht: „Schön willkommen!“
Drückt mir die Hand so warm;
Den Krug bringt mir die Wirtin
Und hält das Kind im Arm.
Am Blick und Gruße merkt der Gast:
Er hält bei Lieb' und Treue Rast,
Als wär' er schon daheim.
Und zieh' ich morgens weiter,
Halt' bei der Kirch' ich an;
Es schlummern rings die Schläfer,
Die längst ihr Werk gethan.
Da hebt sich hoch die Lerch' empor, —
Still betend schreit' ich durch das Thor
Und denk an mein Daheim.
II.
Die kleine Lerche flog empor
Bis an das goldne Himmelsthor.
Sie pickt' mit ihrem Schnabel an,
Da ward das Thor ihr aufgethan.
Und Engel hier und Engel dort
Drin singen Psalmen fort und fort.
Die Lerche lauscht und stimmt mit ein,
Da ward sie selbst ein Engelein. —
Seit wandl' ich traurig und allein,
Ich glaub', es war die Seele mein;
[322]Die Seele mein, der Jugend Lied,
Das immer mich nach oben zieht.
Die Zeit ist kurz, der Raum ist klein,
Bald werden wir beisammen sein.
Der Schmied von Rotenburg
Der harte Amboß ist mein Teil,
Schlag drauf, Gesell, schlag drauf!
Er ist mir um die Welt nicht feil,
Schlag drauf, Gesell, schlag drauf!
Mein Hab und Gut
Heißt froher Mut,
Gern grüß' ich Kron' und Fürstenhut, —
Doch wer sich knechtisch schmiegt und biegt,
Ist wert, daß er im Staube liegt;
Schlag drauf, Gesell, schlag drauf!
Und steh' ich an dem hellen Herd,
Schür an, Gesell, schür an!
So halt' ich mich des Besten wert,
Schür an, Gesell, schür an!
Bei Wehr und Schild,
Sobald es gilt
Für Weib und Kind und Stadtgefild,
Die Faust, die erst den Hammer schwang,
Sie liebt auch Schwertes Sang und Klang;
Schür an, Gesell, schür an!
O Rotenburg, du edle Stadt,
Stoß an, Gesell, stoß an!
Heil dem, der einst gebaut dich hat,
Stoß an, Gesell, stoß an!
[323]Das Glück begleit'
Dich allezeit
In Fried und Lust, in Kampf und Streit, —
Dein treuster Bürger ruft es laut,
Dem nie vor Schwert noch Amboß graut, —
Stoß an, Gesell, stoß an!
Ein Gruß
Blauer Himmel, wölbe dich,
Grüner Rasen, sprieße!
Ruft der Mai doch aus dem Wald:
Menschenherz, genieße!
Wird nicht müd' bei Tag und Nacht,
Durch die Welt zu schweifen
Und von Baum und Busch und Strauch
Blüten abzustreifen.
Und die schönsten, die er pflückt,
Legt er mir zu Füßen,
Von dem Kirchhof bringt er sie,
Heimlich mich zu grüßen.
Blauer Himmel, wölbe dich,
Sprieße, grüner Rasen!
Decke sanft, die von der Lust
Und dem Weh genasen.
[324]Ein ungelöstes Rätsel
Wer hätte nicht, — wenn in das dunkle Land
Der Tod entführt ein heißgeliebtes Leben —
Wer hätte nicht versucht, mit leiser Hand
Den Schleier, der das Jenseits deckt, zu heben?
Wer hätte nicht gesonnen und geträumt,
Wie drüben, durch des Weltenmeisters Walten,
Das Leben, das dem ird'schen Tod entkeimt,
Sich einst zu neuer Blüte wird entfalten?
Doch kein Verstand, wie er sich rühmt und preist,
Vermag die dunkle Pforte zu entriegeln;
Es liegt das Jenseits vor dem Menschengeist,
Ein festverschloss'nes Buch mit sieben Siegeln. — —
So hab' auch ich — wenn in der stillen Nacht
Am Himmel wandelten die ew'gen Sterne —
So hab' auch ich gefragt oft und gedacht;
Doch keine Antwort tönte aus der Ferne.
Jetzt, wo mein Blut nicht mehr so stürmisch wallt,
Wo ich so nah der Wandrung Ziel auf Erden,
Jetzt harr' ich still, ich weiß es ja, so bald
Wird Antwort mir auf jene Frage werden.
Ich weiß, ob sie zu sterben auch verdammt,
Die ird'schen Glieder, die mich jetzt umgeben,
Mein Geist, der aus dem Geiste Gottes stammt,
Der wird durch ihn und mit ihm ewig leben.
[325]Was mich umgiebt dann für ein neu Gewand —
Wo mein Daheim? — Das kümmert mich nicht weiter;
Ich weiß, es führet seine Vaterhand
Mich hoch und höher auf der Wesenleiter. —
Die Unvermählte
I.
Sie fand ihn nicht für diese Lebensreise,
Den Mann, um reich die Tage ihm zu schmücken;
Nun drängt es sie, die Teuren zu beglücken,
Die nah ihr stehn im häuslich stillen Kreise;
Es lebt ihr ja der Vater noch, der greise,
Auf den die Lasten langer Jahre drücken;
Die treue Mutter, die mit Liebesblicken
Das Wiegenlied ihr sang einst, süß und leise. —
So strömt sie denn der Liebe ganzen Segen
Aus auf die Häupter dieser teuern Beiden;
So müht sie sich, die Schwachen treu zu pflegen,
Bis sie einst müde aus dem Leben scheiden.
Und kann sie so auch Großes nicht erstreben:
Nicht nutzlos ist und nicht verfehlt ihr Leben. —
II.
Sie gingen heim, wie unser Los hienieden!
Doch daß sie jetzt auch nicht die Ruhe missen,
Hat sie mit zarter Hand auf weiche Kissen
Gebettet zu dem langen Schlaf die Müden;
Und ob sie auch getrennt sind und geschieden:
Das schöne Band hat nicht der Tod zerrissen; —
Sie nahen ihr mit warmen Liebesgrüßen,
Zu senken in das Herz ihr stillen Frieden.
[326]Sie fühlet ihre Nähe, wenn die Freude
Als heller Stern die Pfade ihr beleuchtet;
Sie sind ihr tröstend nahe, wenn im Leide
Das Auge sich in heißen Zähren feuchtet;
Sie fühlt's, was ihr auch sonst das Leben raubte:
Der Eltern Segen ruht auf ihrem Haupte!
Der edle Stein
Ich hörte jüngst von einem edlen Steine,
Der kühn gewonnen aus der Erde Schacht
Und von dem Strahl der Sonne angelacht,
Die Strahlen alle eng in sich vereine;
Der, wenn sich auf die Fluren, auf die Haine
Mit ihren Schleiern niedersenkt die Nacht,
Ausströmt sein Licht in wunderbarer Pracht,
Verklärend alles rings mit mildem Scheine. —
Gleich jenem edlen Steine faß, o Herz,
Der Freude Strahlen eng in dir zusammen,
Die dir in sonnenhellen Tagen flammen,
Als Talismann, droht Sorge dir und Schmerz;
Als Talismann, der trotz des Winters Macht
Dein Leben schmückt mit Lenz und Blütenpracht —
Centaurea Cyanus
Wer kennt die Blume des Kaisers nicht,
Die zartbefiederte, blaue,
Die, mild, wie freundlicher Sterne Licht,
Sich mischt der prangenden Aue?
[327]Wie oft zu ihm in Freud' und in Leid,
Der Bote des Volks im bescheidenen Kleid,
Hat sie Grüße der Liebe getragen! —
Doch erst vor kurzem erfuhr die Welt,
Warum er sie hoch und teuer hält
Seit seiner Kindheit Tagen.
Das war in trüber, unseliger Zeit,
Nach Jenas blutiger Schande,
Als der Korse schmählichem Fall geweiht
Und zermalmt die preußischen Lande;
Da war in Berlin nach dem gastlichen Recht,
Das niemals ruht für der Großen Geschlecht,
Die Welt von Napoleons Gnaden,
Generäl' und Gesandte mit ihrem Troß
Nach dem altehrwürdigen Fürstenschloß
Zum heitren Feste geladen.
Und sie kamen, sie füllten Hallen und Saal,
Auf den Lorbeer der Sieger trotzend,
Die fränkischen Damen und Ritter zumal,
Von Gold und Juwelen strotzend;
Doch keine ward in den schimmernden Reihn
In unverwelklicher Anmut Schein,
Wie Preußens Herrin erfunden:
Sie schien eine Königin ganz und gar,
Doch um ihr blondes, leuchtendes Haar
War — ein Kranz von Cyanen gewunden.
Das gab ein Flüstern und Zischeln rings
Und spöttischer Blicke Wechseln!
Die Herren vergaßen schlechterdings
Das Komplimentedrechseln.
„Wohl wagt in Paris und in Fontainebleau
Die Letzte sich nicht zu Hofe so“, —
[328]Und der Keckste: „Bei meinem Eide!
Fürstinnen kenn' ich in großer Zahl,
Doch seh' ich heute zum erstenmal
Eine Königin ohne Geschmeide!“
Des Frechen Wort, einer Natter Stich,
Nicht war's Luisen entgangen,
Und sie wandte sich stolz und königlich
Ihm zu mit flammenden Wangen.
„Herr Marschall!“ — wie brennt ihr heißer als je
Im Herzen der Zorn und das tiefe Weh,
An dem ihr Leben verblutet! —
„Was Ihr vermisset, der Edelstein
Und die Perlen dürften Euch näher sein,
Herr Marschall, als Ihr vermutet!
Einst ließ in Frieden der Erde Schoß
Uns reichlichen Segen sprossen,
Nun liegt die Flur uns wüst und bloß,
Zertreten von Frankreichs Rossen!
Ringsum im Lande nicht Dorf, nicht Haus,
Das Ihr nicht beraubt und geplündert aus,
Keine Truh', die Ihr nicht zerschlagen —:
Unsre Habe wandert nach Frankreich hin,
Drum kann auch Preußens Königin
Nur Blumen des Feldes tragen!“
Was der Spötter empfunden, bekannt' er nie,
Verschwiegen hat's die Geschichte;
Doch eine neue Glorie lieh
Sie dem holdesten Angesichte.
Voll Hoheit unter der Leiden Druck,
Stellt sie fortan sich in edlerem Schmuck,
Als Perl- und Demantensträußen,
[329]Dem liebenden Auge des Volkes dar:
Mit der blauen Blume im goldenen Haar,
Die schöne Luise von Preußen!
Und die Blume selbst, die die Herrliche trug,
Umringt von den fränkischen Horden,
Sie ist von dannen mit Recht und Fug
Des Sohnes Liebling geworden.
Und wie er in ihrem bescheidenen Wert
Der hohen Mutter Gedächtnis ehrt,
So tön' es immer aufs neue:
Vor den stolzen Schwestern, voll Duft und Schein,
Soll sie die Blume des Kaisers sein,
Die Blume des Muts und der Treue!
Dornen
I.
Was tretet ihr zu mir und sprechet: Halte
Zurück die Thränen! — eh' mein Aug' verdorrte?
Was redet ihr verlorne Trostesworte
Und zwinget mir die Hand, die schmerzgeballte?
Was zählt ihr meine Pulse, deckt mir über
Die fieberische Stirne feuchte Linnen
Und seht die Tropfen mir vom Antlitz rinnen
Und lächelt fröhlich: Sieh, es geht vorüber!
Ihr guten Herzen! Fieber könnt ihr heilen,
Den Todestrank mir von den Lippen reißen,
Doch aus der Brust, der wunden, brennend heißen,
Zieht ihr mir keinen von den Schmerzenspfeilen!
[330]Nur Eine kann das, Eine! Daß zur Stunde
Sie sanft die Hand aufs kranke Haupt mir lege,
Nur leise betend ihre Lippen rege,
Mir ein Mal lächle nur, und ich gesunde!
Nie — niemals mehr! Stumm ruht sie unterm Boden, —
Ich lebe noch und schau' — in öde Weiten;
Noch Jahre vor mir, Monde, Ewigkeiten,
Und keine Hoffnung! — Selig sind die Toten!
II.
Ein Kind zu sein! — Es streckt sich meine Hand
Nach meiner Jugend, meiner Unschuld Land;
Aus rauher Wirklichkeit reiß' ich mich los
Und flüchte, Mutter, mich in deinen Schoß!
Wie sonst ich's that im stillen Abendlicht,
Vor meinem Blick dein liebes Angesicht,
An deinen sanften Lippen hing mein Ohr,
Die Märchen mir und Lieder sprachen vor!
Und dann wohl fragtest du mit leisem Ton:
Du bleibst mir doch mein guter, frommer Sohn?
An deiner Wimper hing ein Tropfen da —
Ich aber küßte dich und lallte: Ja!
Nun schläfst du längst im dunklen Grabesschrein,
Um deinen Hügel spielt der Mondenschein, —
Der alte Freund — er lächelt Frieden dort,
Doch nicht die Thränen mir vom Auge fort!
Wohl über bleiche Wangen gleiten sie,
Und eine Totenklag' bereiten sie
Zerriss'nen Kränzen, welkem Hoffnungsgrün,
Erstorbnem Mut, verloschnem Lebensglühn!
[331]Der Tag am Rhein
Rheinlieder
Im sonnigen Schein
Ein Morgen am Rhein:
Wie strahlend die Lüfte, die Wellen!
Und ins Städtchen voll Wein
Zum Thore herein
Viel durstige, frohe Gesellen.
Und ihr Liedersang durch die Gassen hallt,
Und die Mädchen lauschen am Fensterlein —
Es beschwingt die Seele mit Sturmesgewalt
Ein Morgen am Rhein.
Nachmittags am Rhein
Welch Leben muß sein
Überm Strom in den schattigen Lauben!
Wie sprudelt vom Faß,
Wie funkelt im Glas
Der köstliche Labsaft der Trauben! —
Und manch trefflich Wort, manch kerniger Spruch
Von den Lippen dringt in die Herzen ein —
Wie füllst du mit Weisheit der Seele Buch,
Nachmittag am Rhein!
Den Vollmondschein
Mild spiegelt der Rhein
Und zum Tanze die Brummfiedeln laden.
Doch wer schleichet allein
Aus dem wiegenden Reih'n
[332]Auf des Weinbergs steinichten Pfaden?
Und am Felseneck regt sich's: und an die Brust
Ihm sinkt erglühend das Mägdelein —
Und wie wiegst du die Seele in Himmelslust,
O Mondnacht am Rhein!
Anderlei Herbste
Rheinlieder
Ich zog im Herbst den Rhein entlang —
Der Jahrgang ist mißraten.
Da hallt so dumpf der Glocken Klang,
Und die Mienen so bang,
Die Herzen Buße thaten.
Und trüb der Wein im Römerglas,
Ja, trüb und herb,
Und die Lippen der Mädchen — o trauriger Spaß! —
Ach, die Lippen der Mädchen so herb, so herb! —
Wo bist du, o Rhein,
Mein goldner Rhein?
In der Uckermark träum' ich zu sein!
Ich zieh' im Herbst den Rhein entlang:
Der Jahrgang wohlgeraten!
Hell übermütig Glöckleinklang,
Und es tönet Gesang,
All duftet's wie Festtagsbraten.
Und klar der Wein im Römerkelch,
Ja, klar und süß,
Und die Lippen der Mädchen — nun, Trinker, schwelg! —
Ja, die Lippen der Mädchen so voll, so süß! —
Das bist du, o Rhein,
Mein goldner Rhein:
Im Eden träum' ich zu sein!
[333]Ode an den Tod
Stiller Weltgott, einziger aller Götter,
Den die zahllos sprießenden Menschen alle,
Weil die Not zwingt, glauben und alle fürchten,
Wenige lieben, —
Tod, dies Fleh-Lied heilige reinen Herzens
Deiner Willkür ewiger Majestät ich.
Sieh, auch ich weiß, daß ich in deiner Hand bin.
Höre mein Flehen!
Nicht vor mir nimm meine Geliebte zu dir,
Daß im Holzschrein nimmer ich sie, dem schwarzen,
Liegen sehn müss', bleich und in kalten Linnen!
Nimmer ertrüg' ich's!
Doch mich selbst führ lächelnd und leis von hinnen,
Wenn der Tag kommt, welchen ich nicht ersehne,
Leis und lächelnd, Lieber, so daß ich leis und
Lächelnd dir folge.
Im neunzehnten Jahrhundert
Ein Sonett
„Hepp, hepp!“ Was war das? Halbverschollne Lieder,
Die höhnend sich von Stadt zu Stadt verbreiten,
Hör' ich durch meine Morgenträume gleiten;
Und schon im Traume drückt die Furcht mich nieder.
„Hepp, hepp!“ Kein Traum! ich hör' den Ruf schon wieder.
Den Schatten längst verweht geglaubter Zeiten
Seh' ich gespenstisch über Deutschland schreiten,
Und jäher Schrecken lähmt mir alle Glieder.
[334]Ich war so stolz aufs neunzehnte Jahrhundert,
War über Deutschlands Größe voller Freude,
Und muß nun Stolz und Freude fahren lassen.
Der Fortschritt war nur Schein, den ich bewundert;
Nur blinder Kreislauf herrscht im Weltgebäude,
Und ewig werden sich die Menschen hassen!
Sonnenglanz
Steig herauf mit deinen Strahlen,
Morgensonne, klar und mild,
Brich der Dämmrung dunkle Schalen
Still mit deinem Feuerschild;
Stecke an des Himmels Räumen
Nach der Nacht und wirren Träumen
Nun fürs weite Erdenhaus
Deine goldne Fahne aus!
Ha, du kommst! Im Lichtgewande
Seh' ich alles auferstehn,
Bis hinauf zum blauen Lande
Fühl' ich Lust und Leben wehn.
Auf der Eiche, auf der Rose,
Auf dem Felsen, auf dem Moose
Schmückt sich liebend die Natur
Mit des Taues Perlenschnur.
Aus dem Strauche, aus dem Felde
Schwingen Vöglein sich empor,
Aufwärts nach dem luft'gen Zelte
Tragen sie den reinen Chor.
Alles flieht die Ruhekammer;
[335]Aus der Werkstatt tönt der Hammer,
Und die Hütte, arm und klein,
Offnet sich dem Sonnenschein.
Und wer hat mich eingeladen
Zu des Sonnenmahles Pracht?
Sie, die über Myriaden
Solcher Sonnen liebend wacht;
Sie, die Urkraft alles Lebens,
Alles Denkens, alles Strebens,
Sie, die frei auch mich durchweht,
Sie, die mein Gebet versteht.
Mensch, richte nicht!
Mensch, richte nicht! geheimnisvolle Blätter
Giebt's in dem Tagebuche deiner Brüder,
Und jeder trägt solch Buch tief in der Seele, —
Dicht an der Tugend stehn oft Schuld und Fehle,
Und diese Schrift kein fremder Blick durchdringt.
Wie hart auch oft des Richters Urteil klingt,
Und wie die Menge dann verdammend schreit —
Sei mild, o Mensch, und übe Menschlichkeit!
Bedenke doch, was ist's, daß noch dein Schritt
Nicht abwärts von dem rechten Wege glitt?
Warst du nicht oft gar nahe schon daran,
Zu thun, was jener Schuldige gethan?
Du thatst es nicht, — ein Vorteil sprang dir bei
Und machte dich vom nahen Falle frei, —
Ein Freund vielleicht, er reichte dir die Hand,
Ein kräft'ger Ruderschlag — du warst am Land,
Ein kecker Wurf, ein einz'ges Wagestück,
Ein einz'ger Zufall festete dein Glück.
Drum schlage wen'ge Blätter nur zurück
Parteilos in dem eignen Tagebuche. —
[336]Und nicht beladen wirst du den mit Fluche,
Der heißer wohl als du im Kampf gerungen,
Und dem doch nicht gelang, was dir gelungen.
Ob das Gesetz daher den Stab auch bricht, —
Doch du, o Mensch, verdamm und richte nicht!
Marksteine
Schrift oder Feld:
Steh recht als Mensch, dann bist du ein Held!
Staat oder Haus:
Halt wacker nur im Sturme aus!
Lied oder Wort:
Nur Wahrheit klinge im Akkord!
Frei oder Haft:
Nur Mut und Trost durch eigne Kraft!
Blatt oder Kranz:
Nur aus der Seele ganz!
Sieg oder Tod:
Nur nach dem Kampf ein Morgenrot!
Hoch über brandenden Wogen
Welch reicher, welch üppiger Zauber liegt ringsum auf Thälern und Hügeln!
Es wiegt sich der Falke in schwindelnder Höh auf leichten, geschmeidigen Flügeln;
So zieht er ruhig die endlose Bahn fern in die schimmernde Weite,
[337]So schwebt er in einsamer Größe dahin, kein Gegner steht ihm zur Seite.
Er überblickt von dem einsamen Thron die grünenden Saaten und Felder,
Er sieht die Ströme zum Meere entfliehn, ihm rauschen die herrlichen Wälder.
Doch unter ihm wandelt im Schutt und im Staub der Mensch auf der irdischen Bühne
Und hebt den Blick zu dem endlosen Blau: „O wär' ich der Falke, der kühne!“
Doch weiter schweift stets des Menschen Blick, wenngleich in anderer Weise,
Und zieht durch der Welten unendlichen Bau die nimmer sich schließenden Kreise.
Das ist der Gedanke! Wie schwingt er sich weit in die unermeßliche Ferne,
Weit über der Erde Nebel und Dunst, bis über den Schimmer der Sterne!
Und weiter noch geht sein endloser Flug; wer setzte auch Grenzen und Schranken,
— Den keiner gemessen mit irdischem Maß — dem kühnen Flug der Gedanken?
Beneide, o Mensch, den Wanderer nicht, der hoch über gähnenden Klüften,
Dem Staube entzogen, die Schwingen dehnt in höheren, reineren Lüften.
Denn dir auch ward eine Schwinge verliehn, die trägt dich mit kräftigen Schlägen,
Die hebt dich empor, ein allmächtiger Gott, dem Licht der Erkenntnis entgegen.
Versuche und prüfe der Fittige Schwung, versuche nur, ohne zu wanken,
Den nie und nimmer besiegten Flug unsterblicher, hoher Gedanken.
[338]Und höher, stets höher, steigst du empor, dem Nebel der Erde entzogen,
Und schwebst, ein freier, entfesselter Geist, hoch über den brandenden Wogen!
Entfaltet haben die Blätter
Entfaltet haben die Blätter
Sich leise über Nacht,
Beim linden Frühlingswetter
Stehn Wald und Feld in Pracht.
Die Knospen strecken und dehnen
Sich nach des Winters Traum,
Welch freudiges Hoffen und Sehnen
Durchrieselt jeden Baum!
Gegrüßt, ihr seligen Tage!
Gegrüßt, du selige Zeit!
Nun liegen Schmerz und Plage
So endlos fern und weit.
Nun jubeln allenthalben
Mit Stimmen, hell und klar,
Hoch in den Lüften die Schwalben
Und auf dem Dache der Star.
Vor meinem Fenster blühn Winden,
Und fernab rauschet der Strom,
Es strecken grünende Linden
Die Zweige zum Himmelsdom.
Als möchten sie fassen die Freude
Mit ihrem grünen Arm,
Die durch das Weltgebände
Zieht lebensfrisch und warm.
[339]So such auch du zu erringen,
Was sich dir täglich beut,
Es eilt auf flüchtigen Schwingen,
Was unser Herz erfreut.
Drum preise mit seligem Munde,
Von keiner Sorge beschwert,
Des Lebens glückliche Stunde,
Die nimmer dir wiederkehrt!
Abendruhe
Wie still die Luft; kein Blatt bewegt sich
Rings in den Buchen, dichtbelaubt;
Der Sonne letzter Strahl, er legt sich
Den stolzen Bäumen auf das Haupt.
Und wie in Schlummer hingesunken,
Liegt rings die schöne, weite Welt,
Noch von dem Glanz der Sonne trunken,
Der farbenprächtig sie erhellt.
Es wirft der Abend seine Schatten
Und seines tiefen Schweigens Spur
Rings auf der Wiesen grüne Matten,
Auf Thal und Hügel, Feld und Flur.
Und aus dem Walde kommt geschritten
Der stolze Hirsch, das scheue Reh;
Sie nahen sich mit flücht'gen Tritten
Dem stillen, schilfumkränzten See.
Es tritt der Mond am Waldessaume
In stiller Majestät hervor,
Die Birken flüstern wie im Traume,
Und leise regt sich Schilf und Rohr.
Dazwischen schallt in banger Klage
Mit lautem Ton des Uhus Schrei,
[340]Er fliegt mit leisem Flügelschlage
Am Saum des Waldes dir vorbei.
Die Sterne ziehn im ew'gen Wandern,
Um zu vollbringen ihren Lauf,
Hell leuchtend, einer nach dem andern,
Am ew'gen Himmelsdom herauf.
Und ringsum liegt ein heil'ger Frieden
Auf Wald und Hügel, Flur und Thal;
O, würde deiner Brust hienieden
Solch heil'ge Ruhe auch einmal!
Walkyrenritt
Hört ihr, wie die Woge wimmert?
Nur für Augenblicke flimmert
Bleich die Flut.
Durch die Fichtenkronen rasselt
Sturmeswut;
Blitze fliegen — horch — es prasselt —
Und mit stolzem Laubgefieder
Stürzen Esch' und Eiche nieder. —
Aus geborstner Scholle quellen
Tausend blutigrote Wellen
Jäh empor.
Gleißendgelbe Schlangen zischen
Jetzt hervor,
Und in ihren Reigen mischen
Gift'ge Molche sich und Drachen,
Die den morschen Fels durchbrachen.
Und es ächzt in Bergesschlüften,
Und es stöhnt aus dunklen Grüften
Todesqual.
[341]Alles zittert; denn es spüren
Berg und Thal
Schon die Rosse der Walkyren,
Welche aus dem Land der Wonnen
Ihren wilden Ritt begonnen.
Wie sie nahn in dunst'gen Ringen!
Gräßlich klirren ihre Schwingen
Durch die Nacht.
Wodan sendete die Herben
In die Schlacht;
Sieg zu bringen oder Sterben,
Müssen sie zur Erde schweben
Und die Schicksalswage heben.
Sieh, schon blitzen Pfriem und Gere!
Tuiskonen, schwingt die Wehre,
Kampfbedroht!
Sinkt ihr dann aufs Blachgefilde —
Bleich und tot —
Werden euch die Jungfraun milde
Auf den stillen Rossen führen
Zu Walhallas goldnen Thüren.
Japanesisches Fischerlied
Nach einer Volkssage
Urasima, Fischerknabe,
Komm herauf mit lichter Gabe
Aus der purpurdunkeln Flut!
Bring uns Perlen und Korallen,
Wenn wir hier am Strande wallen —
Bring des Bernsteins gelbe Glut!
[342]Hast du uns vergessen alle,
Seit im Silberwogenschwalle
Dich hinab die Nymphe riß?
Schwelgst du nur an ihren Lippen,
Während Blitz und Sturm die Klippen
Unsers Eilands wild zerschliß?
Steig empor mit deiner Holden,
Tanze durch des Maises Dolden
Wieder wie im ersten Jahr!
Glänzen werden dann die Ähren,
Schwellen werden Frucht und Beeren,
Die gestreift der Göttin Haar.
Aber uns, den Schifferleuten,
Die wir armen Fang erbeuten,
Segne Hamen, Netz und Speer!
Urasima, Fischerknabe,
Teile Liebe, Lust und Habe
Mit den Brüdern hier am Meer!
Ein Wort Mahomeds
Unter Allahs Throne ruhen
Tausend goldenschwere Truhen:
Sie umblitzen tausend Lichter;
Doch die Zungen nur der Dichter
Sind die Schlüssel zu der Pracht,
Die aus jenen Schätzen lacht.
[343]Das Schloß
Ein König war ein Wundermann,
Der baute sich in Ätherhöhn
Ein Schloß, so herrlich, wunderschön,
Wie niemand schöner sich's ersann.
In buntem Marmor strahlte hehr,
In Gold und Edelstein das Schloß;
Durch alle Räume sich ergoß
Des Überflusses schäumend Meer.
Und rings in Gärten und in Au'n
Ergeht sich froh der Bäche Schar,
Bis sie im Seee, spiegelklar,
Sich alle froh vereinigt schaun.
In weiten Sälen ist beschickt
Der langen Tafeln große Zahl,
Wein und Drommete ruft zum Mahl,
Der Diener Aug' erwartend blickt.
Der König spricht zur Königin:
„Schau hier, was meines Wortes Ruf
Im Flug mit Zaubermacht erschuf!
Nun wohn und walte froh darin!
Ich, König Wunsch, bin stets bereit,
Dir, traute Hoffnung, mein Gemahl,
Zu bieten ganz nach deiner Wahl
Des Lebens höchste Herrlichkeit.
[344]Wer buhlte nicht um unsre Gunst?
Ja, unbegrenzt ist unsre Macht!
Wo Hoffnung freundlich schimmernd lacht,
Da schafft der Wunsch mit Zauberkunst.
Nun sieh, da kommt der Gäste Schwarm!
Sie nahn mit flügelschnellem Lauf,
Sie klimmen zu dem Schloß herauf,
Verlangend strecken sie den Arm.
Sie nahn mit fröhlichem Gesang;
Sie schaun der Königskrone Gold,
Der Wirtin Blicke, süß und hold;
Sie hören der Drommete Klang!“
Da plötzlich saust der rauhe Wind
Der ernsten Wirklichkeit darein —
Und, ach, der königliche Schein,
Des Schlosses Pracht und Glanz zerrinnt!
Gebaut war in die Luft das Schloß,
Aus Nebeldunst war es gefügt:
Drum hat ein Windstoß auch genügt,
Daß es zerfiel, in nichts zerfloß.
Willst du des Glückes Wohnung sehn,
Und nicht des Glückes offne Gruft:
Bau auf die Erd', nicht in die Luft!
Dann wird dein Haus im Sturm bestehn.
[345]Die Macht der Sprache
Ein blinder Mann, ein armer Mann!
Doch ärmer ist fürwahr der Mann,
Der hören nicht, noch sprechen kann.
Mehr wert als Farben und Gestalt
Ist für den Geist des Worts Gewalt,
Das aus der Seele Tiefen schallt.
Ein großer Bilderrätselsaal
Ist's, was uns zeigt des Lichtes Strahl
Mit seinen Farben allzumal.
Du siehst das Bild, die Deutung nicht;
Doch wenn das Wort zum Geiste spricht,
Dann schaust du erst das wahre Licht.
Du siehst verwundert hellen Glanz,
Im Saale duftet Kranz an Kranz,
Man reihet sich zu Spiel und Tanz:
Da ladet dich ein gastlich Wort —
Und nicht als Fremdling eilst du fort,
Du teilst die Freud' am fremden Ort.
[346]Das Meer von Hellas
Es sprach der Capitano und strich den schneeweißen Bart
— Wir ließen ab, zu spielen, und lauschten enggeschart: —
„Die Welt hab' ich durchwandert zu Wasser und zu Land,
Nun laßt mich ruhn und rasten am sonnigen Heimatstrand!
Ich fror in den Eispalästen, die sich der Nordpol baut,
Dem Süden hab' ich schauernd ins Flammenherz geschaut;
Ich war im Paradiese, wovon die Bibel spricht; —
Doch all die Länder und Meere, mich reizen und locken sie nicht.
Nur eines noch von allen vergess' ich nimmermehr:
Das uralt wunderbare, das heilige Griechenmeer;
Noch immer in meinen Träumen befahr' ich's auf schimmernder Yacht, —
Selene steht am Himmel in silberheller Pracht.
Doch hat sie kaum gewendet ihr blasses Angesicht,
Sich Eos schmückt die Wangen mit zartem Purpurlicht;
Demeter wird, der hehren, der schwellende Gürtel los,
Oliven und goldene Ähren entsteigen ihrem Schoß.
[347]Was klingt aus klarer Ferne melodisch mit einem Mal?
Was duften ambrosisch die Wolken? Was singt die Nachtigall?
Was schaffen, geschäftig sich drängend, die Wellen freie Bahn?
Was werden für Wunder geschehen? — Von Cypern wallt's heran.
Da muß ich Thränen vergießen, da muß ich niederknien:
Die Göttin Aphrodite seh' ich vorüberziehn;
Noch taut vom rosigen Leibe der silberne Meeresschaum,
Geschlossen sind die Augen, die Lippen atmen kaum.
Und wie ihr küßt die Seele Phöbos Apollon wach,
Da stürzt ihr flammend zu Füßen der ganze Himmel nach:
Die Grazien kommen und schürzen das wallende Gewand,
Und Iris knüpft die Locken mit farbenhellem Band.
Und rauschend teilt sich die Tiefe der blauen Spiegelbahn,
Poseidons Rosse bringen der Göttin Muschelkahn;
Er selbst, der Erderschüttrer, schläft im kristallnen Palast,
Und lächelnd Amphitrite nach seinem Dreizack faßt.
O Göttermeer von Hellas, tiefglänzend weit und breit,
Was hast du mir verborgen des Höchsten Herrlichkeit?
Nur seinen Adler sah ich umkreisen in Wolken hoch,
Was ihm von der Welt verblieben — ein kahles Felsenjoch.
Da ist's gar still und einsam, kein Laut, kein Leben ringsum;
Kein Sterblicher aber komme zu nahe dem Heiligtum!
Aufbrausen empört die Wasser, es schleudert Blitze das Riff,
Und in der tosenden Brandung zerschellt das Frevelschiff.“ —
So sprach und starrte träumend der wetterbraune Held,
Ein Bild des Zeus er selber, ins öde Wasserfeld;
Uns Knaben aber brannten die Wangen flammendrot,
Durch unsre Seelen zogen Homer und Herodot.
[348]Rhein- und Weinlied eines alten Archäologen
Am Rhein, am schönen Rheine,
Da scheint die Sonne so hell;
Ich aber suche Steine,
Ein trauriger Gesell.
In Staub wühl' ich und Asche,
In längst vergangener Zeit;
Und drüben winkt die Flasche
Voll goldener Seligkeit.
Doch als ich mir Mut genommen
Zu einem Becher Wein,
Was kommt da lustig geschwommen
Wohl über den grünen Rhein?
Was kollert da kunterbunter
Zu allen Fenstern herein?
Und wirft mir den morschen Plunder
Hinab in den tiefen Rhein?
„O Gnade“, ruf ich, „Gnade!
Das ist nicht wohlgethan;“
Sie aber: „Nicht Schade, Schade!
Jetzt kommst du selber dran“.
Wer nennt mir die losen Wesen
Mit Locken, hold und kraus?
Sie nehmen die Reben wie Besen
Und kehren das Herz mir aus.
Sie kehren aus manchen Winkel
Manch staubige Herrlichkeit,
Unsterblichen Eigendünkel,
Unendliches Seelenleid;
Und manche volle Garbe
[349]Von Haß und Neid und Zorn,
Aus mancher blutenden Narbe
Den schmerzenden Rosendorn.
In Ehren ergraute Sorgen,
Sie finden wenig Respekt;
Wie gut sie sich verborgen,
Sie werden bald entdeckt.
Und erst das Traumgesindel,
Der Wünsche buntes Heer,
Der Hoffnung Riesenbündel, —
Es nimmt kein Ende mehr.
Es hilft kein Schmeicheln und Küssen, —
Der treugepflegteste Wahn,
Sich krümmend zu ihren Füßen, —
Auch er, auch er, muß dran.
Es hilft kein Küssen und Schmeicheln, —
Der feinste Spott und Hohn
Erbetteln und erschmeicheln
Nicht Aufschub noch Pardon.
Viel namenlose Dingse,
Sie wandern ungejagt,
Und auch die häßlichen Sphinxe,
Die mich mit Rätseln geplagt.
Melancholei nur verwogen
Maskiert sich mit Humor,
Die Hexe wäre geflogen
Sonst auch hinaus zum Thor.
An die Wandervöglein
Ihr Vöglein, zieht ihr in die Welt
Mit wanderlust'gen Flügeln,
Zieht über Frankreichs Schlachtenfeld
Dort zu den vielen Hügeln,
Wo unter Blumen und Rasengrün
Die deutschen Soldaten begraben,
Die bis zum Tod im Streite kühn
Die Siege erkämpfet haben.
Wißt ihr, o Vöglein, wer da ruht?
Da ruht manch edles, junges Blut.
Der Freund, der Bruder, treu und gut,
Getrennt vom Lande der Heimat weit,
Doch nie vergessen von eilender Zeit.
Ihr Vöglein, an dem heiligen Ort,
Da lasset euch sinnig nieder
Und rastet bei unsern Helden dort
Und singt eure schönsten Lieder:
Bringt Grüße innig, fromm und traut,
Eh ihr euch weiter schwinget,
Vom Mutterherzen, von Weib und Braut,
Vom Vaterhause o singet!
Erzählt von unserm Trennungsschmerz,
Von Hoffnung, die erfüllt das Herz,
Und schwingt euch hoch und himmelwärts
Und singt mit freudigem Getön
Von Leidvergehn und Wiedersehn!
[351]Deingedenken
Ich seh' die treuen Sterne
Am Himmel leuchtend gehn,
Und du in weiter Ferne
Kannst auch die Boten sehn:
Es ist mir oft in Nächten,
Als blickten sie nach mir,
Als ob sie freundlich brächten
Ein grüßend Wort von dir.
Es geht aus fernem Lande
Des Stromes Wanderbahn;
Steh' ich am Ufersrande
Und hör' das Rauschen an,
Möcht' ich die Wellen fragen:
O sagt, was bringet ihr?
Und mein, ich hörte sagen,
Ein grüßend Wort von dir.
Und ziehn die Abendwinde
Vom Berg in unser Thal,
Dann spricht es mild und linde
Von dir so manches Mal.
So dein gedenkend klingen
Fernher die Stimmen mir:
Luft, Strom und Sterne bringen
Des Herzens Gruß von dir!
[352]Des Liedes Segen
O glücklich Land, wo noch das Lied,
Wie's Gott dem Vogel lehrt,
Aus segensreicher Kehle zieht,
Von jung und alt geehrt.
Ein solches Volk ist noch nicht alt,
Sein Kern ist noch nicht faul;
Das Lied, es übt noch die Gewalt,
Wie David über Saul.
Es dämpfet sanft den bösen Trieb,
Erweckt den frohen Mut,
Ein Nachhall, der vom Himmel blieb,
Ein Trank aus Edens Flut.
Es wiegt den schwachen Säugling ein,
Erhält die Mutter wach,
Bewahrt den kecken Knaben rein,
Tönt fromm im Jüngling nach.
Verklärt der ersten Liebe Strahl,
Der glüht gewitterheiß;
Den Mann verjüngt es, färbt sich fahl
Des Lebens grünes Reis.
Geleitet hin zu Schlacht und Tod
Und hüllt in Glanz das Grab
Und ruft, ist aus die letzte Not,
Erbarmung noch herab!
[353]Göttliche Richtung
Fromme werden, wie Böse, auf Wegen der Sünde betroffen;
Aber sie finden sich stets wieder zum Pfade des Rechts.
Wie es den Kompaß drängt, nach Norden sich ewig zu wenden,
Neigt sich das göttliche Herz hin zu dem göttlichen Pol.
Nur zeitweilig vermag ein Stoß zu beirren den Kompaß,
Der, so lang' er irrt, ruhelos zittert und zuckt.
Wer vom unendlichen Geist mit unendlicher Weihe berührt ist,
Wird von dem Blick auf Gott nur in Momenten verrückt.
Stets zur unendlichen Ruh ersteht er aus endlicher Unruh;
Kein unlauterer Arm zerret ihn ewig zurück.
Phantasie und Herz
Wisse phantastische Glut von der Glut des Gefühles zu scheiden:
Erst mit dieser vermählt, findet sich jene zu Gott.
Haben Phantasten der Welt Millionen Wunden geschlagen,
Hat das Gefühl sie stets, war es noch möglich, geheilt.
Feuriger Phantasie und eisigen Herzens verbrennen
Auf dem Altar der Idee Schwärmer die Opfer des Wahns.
Herzenserglühen beglänzt so mild wie die göttliche Sonne
Feinde und Freunde zugleich, Sünder und Gute zumal.
Eins noch merke: Nicht alle in deinen Gefühlen Vergnügte
Haben dasselbe Gefühl; mancher erschwärmet es nur.
Trunken vermögen Phantasten sich jedes Gefühl zu erbilden;
Aber die Bilder des Seins, sind sie das Seiende selbst?
Bilder der Phantasie sind nicht die Gestalten des Herzens;
Farben, von jener geschaut, zieren nicht immer das Herz.
Selber die ewige Größe hat vielen Phantasten gedämmert;
Aber im Herzen allein thronet das Ewige selbst.
[354]Zwiesprach
Nicht weltflüchtig entrinn' ich den großen geselligen Kreisen;
Aber der höchste Genuß ist mir ein einziges Herz.
Selten vermag ich in jenen das innerste Sein zu entfalten,
Und mein heiligstes Gut zieht sich verschüchtert zurück.
Lange vergess'ne Gedanken, nicht böse, doch nichtig, erneuernd,
Red' ich vom Niederen mit, halte das Beste zurück.
Wallen mir auch in der Seele die Fluten der himmlischen Weisheit:
Wird mir der weltliche Ton leider zum wehrenden Damm.
Doch wenn ein einziges Herz zu mir in die Stille sich flüchtet,
Strömt's aus dem meinen in seins, strömt's aus dem seinen in meins.
Und ich empfinde das Glück in seinem und meinem Gemüte,
Nehmend das Beste von ihm, gebend das Beste von mir.
Zwei stillfreudige Herzen verlassen die selige Sitzung;
Was sie so glücklich gestimmt, ahnt es die rauschende Welt?
Lachen und Weinen
Wenn du es siehest, wird nicht das Weinen und Lachen geboren;
Und was beides erregt, deckt nur Vorhandenes auf.
Spotte nicht, siehst du ein Auge bei kleinern Leiden in Thränen;
Großes verborgenes Weh bricht bei dem kleineren aus.
Spotte nicht, hörst du bei flacheren Witzen ein herzliches Lachen;
Große verborgene Lust jauchzt bei der kleinen sich aus.
Grundlage des Staatenglücks
Ohne das Heilige wird in dem Staate das Gute verwelken,
Welches aus jenem erwächst, wie aus der Wurzel der Baum.
Kinder bepflanzen die Erde mit abgehauenen Zweigen;
[355]Aber nach Eintagspracht dorret das Gärtchen dahin.
Also verdorret der Staat, wenn nicht in den Herzen der Bürger
Wurzelt die heilige Kraft, welche das Sittliche nährt.
Raubt ihr die göttliche Liebe, so gebet Gesetze wie Götter,
Und der entgöttlichte Staat stirbt in der Sünde dahin!
Luxus
Luxus ist Pflicht für die Reichen; bekleidete keiner die Wände,
Glaub, es entkleideten sich endlich die Leiber des Volks.
Die Großen und das Große
Wenn die Großen der Welt das wahrhaft Große verachten,
Dann verachtet das Volk endlich die Großen der Welt.
Stimmenmehrheit
Wollet ihr über Ideeen nach Majoritäten entscheiden?
Merket, den Heiland schlug Mehrheit der Stimmen ans Kreuz.
Doppelte Ansprüche
„Lieber Mann, ei, sag mir doch:
Gleicht mir unser Bübchen?
Löcklein golden, Äuglein blau,
In den Backen Grübchen?“
„Dein, mein Weibchen, ist das Haar,
Dein das Aug', die Grübchen;
Doch ein Mädchen ist es nicht,
Denn es ist ein - Bübchen.“
[356]Im Gebirge
Wilde Wasser schäumen
Von der wilden Höh,
Stille Fische träumen
In dem dunkeln See.
Wolken schweben flüchtig
Über die wilde Höh,
Schauen gern hinunter
In den dunkeln See.
Wild und Weidmann jagen
Über die wilde Höh,
Doch die wunden Tiere
Labt der dunkle See.
Alles schwebt und schweifet
Über die wilde Höh,
Nur in ewiger Ruhe
Träumt der dunkle See.
Dein Auge
Wenn ich in Kinderaugen schaue,
Will Wehmut mich ergreifen —
Ist's Kinderunschuld, die mich rührt
In meinem Irren und Schweifen?
Wenn ich in Freundesaugen schaue,
Rührt mich das ernste Wesen:
Ich muß darin Beständigkeit
Und treue Milde lesen.
[357]Wenn ich in deine Augen schaue,
O seliges Ergründen!
Des Kindes Unschuld kann ich drin,
Des Freundes Milde finden.
An die Mädchen
Man vergleicht euch mit den Blumen,
Tausendfarbig, mannigfalt,
So des Schöpfers Odem zaubert
Auf die Fluren, in den Wald.
Doch man schweigt vom bösen Frostwind,
Von des Todes kaltem Neid,
Und man schweigt, daß tausend Blumen
Sterben in Vergessenheit.
O! ihr schönen Menschenblumen,
Tausendfältig, zauberreich,
Ja, ihr gleichet ganz den Blumen —
Eine Thräne weih' ich euch!
Das Totenkreuz
Es pfeift ein lustig Liedel
Der Bursche sonder Arg,
Das Totenkreuz er hobelt
Wohl zu dem frischen Sarg.
Nach diesem will er schaffen
Für seine Braut den Schrank
Zusamt dem Ehebette
Gar zierlich, fein und blank.
[358]Noch fehlt dem Kreuz der Name,
Der Bursche nach ihm schaut —
Er sinket tot danieder:
Es ist die eigne Braut. —
Sociologische Sonette
I.
Seh' ich, wie oft sogar die Starken, Klugen,
Selbst schiebend hier, dort wieder bloß geschoben,
Das fördern, was, wenn einst zur Norm erhoben,
Den Staat muß endlich reißen aus den Fugen;
Und seh' ich dann, wie wenig Früchte trugen
Des Weltbuchs Lehren, die da ernst geloben,
Daß Völker stets durch Haß und wildes Toben
Die eignen Fesseln nur noch fester schlugen;
Frag' ich: Was ist's, das heut, gleich einem Fluche,
Die Menschheit so mit Wahn umstrickt und macht,
Daß sie zum Abgrund eilt durch Sturm und Nacht?
Da ruft's in mir — dem Wort zum Widerspruche,
Das Faust vernahm —: Ein Teil ist's jener Kraft,
Die stets das Böse will und ... es auch schafft.
II.
Zur Größe aufgebauscht das nichtig Kleine,
Für Satzungen erklärt rethor'sche Kniffe,
Was Selbstsucht ist, verkündet als das Reine —
Oh, welch ein schlimmes Wirrnis der Begriffe!
Noch schlimmer: daß der Trieb stimmt fürs Gemeine,
Daß im Gemüte drohn des Bösen Riffe,
Daß Gott und Ideal nur da zum Scheine —
Weh uns! wenn's so steht auf des Lebens Schiffe.
[359]Als Schlimmstes aber will es mich fast dünken,
Daß man in Tagen, wo Sturmzeichen winken,
Die Gärung schleudert in die dumpfe Masse;
Daß man aus kleinlich eitler Ruhmbegierde
Hereinzerrt in den Kampf der Menschenwürde
Die Gallerie, die Kneipe und die Gasse.
Leben und Wirken
I.
O sage nicht, wie tief auch deine Wunden:
Du möchtest lieber ruhn im stillen Grabe;
Verleugne nicht des Himmels höchste Gabe,
Die „Leben“ heißt — ein Lenztraum wen'ger Stunden.
Sieh um dich her, welch eine Welt von Freuden,
Von Licht und Duft und Glanz und goldnen Bildern;
Wie viel der Blumen und des Taus, zu mildern
Die Fiebergluten deiner Seelenleiden!
So lang' du lebst, sind dein all' diese Wonnen,
So lang' du lebst, beherrscht sie dein Gedanke;
Wie eng und finster auch die ird'sche Schranke,
Er bricht sie ab und trägt dich zu den Sonnen.
Und ob dein guter Engel noch so ferne,
Er flüstert dir im Rauschen der Cypressen:
O glaube nicht, du seist allein vergessen;
Geduld! Geduld! einst glühn auch deine Sterne!
Ein Etwas giebt es, das wir alle kennen,
Das plötzlich, pfeilschnell blitzt vor unsrem Blicke;
Es naht, es trifft — da schwelgst du schon im Glücke —
Die Thoren pflegen „Zufall“ es zu nennen.
[360]II.
Und glaube nicht, von deinen Thaten, Träumen
Geh' nur ein Keim, ein einziger, verloren;
Gewiß trägt ihn ein Sturm nach fernen Räumen,
Und wo er fällt, wird eine Frucht geboren.
Wie klein dir auch dein Wirken mag erscheinen,
Das Weltmeer selbst besteht aus kleinen Wellen:
Sei nur ein Lenz, im großen oder kleinen,
Des Lebens Urkraft strömt aus ew'gen Quellen.
Was du gethan — vielleicht wird es vergehen;
Der Geist der That jedoch kennt keine Trümmer:
Der Thaten Segen, der wird fortbestehen —
Die Rosen sterben — doch der Frühling nimmer.
Heut traurig, morgen munter
Sprüche
Heut traurig, morgen munter,
Das ist der Dinge Lauf;
Sinkt auch die Sonne unter,
So gehn die Sterne auf.
So lange wir vertrauen
Sprüche
So lange wir vertrauen
Auf unsern eignen Mut
Und hoffend vorwärts schauen,
So lang' ist alles gut.
Und sei dies Hoffen, Sehnen
Auch nur ein schöner Traum:
Zu trocknen deine Thränen,
Gieb ihm im Herzen Raum!
[361]In dir das Glück!
Sprüche
In dir das Glück! Nimm, was als Glück mag gelten:
Nimm Reichtum, Macht, nimm Ruhm und Glanz und Licht,
Schmück dich mit allen Schätzen beider Welten —
Doch innren Friedens Glück erreicht es nicht.
I. Da ich noch jung, da wollt' ich nimmer rasten
Tagebuchblätter
Da ich noch jung, da wollt' ich nimmer rasten,
Mich drängte vorwärts ein geheimer Zug,
Ich wollte tiefer in die Tiefen dringen
Und höher, höher nehmen meinen Flug!
Und jetzt — ein Greis, blick' ich zurück voll Sehnsucht;
Vor jeder neuen Stunde bangt mein Herz;
Bringt sie mir Leben oder Tod? Wer sagt mir's?
Das Quentchen Lust zerdrückt ein Zentner Schmerz.
II. Du fragst, was Unrecht sei, und dann, was Recht
Tagebuchblätter
Du fragst, was Unrecht sei, und dann, was Recht?
Und meinst: ich soll' es faßlich dir erklären. —
Versuchen will ich es, ob gut, ob schlecht —
Zeigt sich, gelang es mir, dich zu belehren:
Du hast gesehn, wo eine Natter sich
Ihr Schlupfloch höhlte; nun tritt zu der Stelle
Dein Todfeind hin; ach doch, was kümmert dich,
Wohin sich eben lagert der Geselle!
Setzt er sich dorthin, wo die Schlange sacht
Hineingeschlüpft, dann ist's um ihn geschehen;
Du siehst, er will es thun, hast es bedacht;
[362]Was kümmert's dich, und wenn du auch gesehen,
Daß dort die Natter sich verbarg, jedoch
Das brauchst du deinem Todfeind nicht zu sagen.
Du aber sollst es thun, wenn jemals noch,
So dieses eine Mal, da gilt kein Fragen,
Und thust du es, dann hast du recht gethan,
Thust du es nicht, ist unrecht dein Beginnen:
Durchschaut die Welt auch nicht dein Herz, o dann
Durchschaut ein Höherer dein tiefstes Sinnen!
Und auch in deinem Innern wird sich's regen:
Ob du dir Unheil sätest oder Segen.
III. Stolz streckt die Eiche ihre Äste
Tagebuchblätter
Stolz streckt die Eiche ihre Äste,
Hebt ihre Blätterkrone hoch,
Beut Schutz dem sanftgetragnen Neste;
Wie lange noch?
Kaum ist's geschehn, daß jener Falter
Aus seiner Seidenhülle kroch;
Du fliegst wie toll, zwei Stunden alter!
Wie lange noch?
Die Rose hat den Kelch erschlossen,
Der Blumen Kön'gin ist sie doch!
So purpurprangend, duftumflossen —
Wie lange noch?
Der Freunde Schar ruft zu dem Greise:
Noch viele Jahre lebe hoch!
Ein Ungesehner flüstert leise:
Wie lange noch?
[363]IV. Mensch! es umschwärmt dich jeden Augenblick
Tagebuchblätter
Mensch! es umschwärmt dich jeden Augenblick
Ein Geist, wie du ihn auch magst nennen,
Schutzengel, Fatum, Nemesis, Geschick,
Er wird sich niemals von dir trennen.
Oft ahnst du seine Nähe, dir ist oft:
Als flüsterte dir jemand in die Ohren,
Und dann geschieht stets etwas; unverhofft
Hilft dir, wenn du dich selbst schon gabst verloren.
Im letzten Todeskampf ist er dir nah,
Der Geist, du fühlest dich von ihm umgeben,
Dann war es auch, daß ihn dein Auge sah,
Nur damals und — dann hörst du auf zu leben.
V. Die Firnen blitzen im Demantschein
Tagebuchblätter
Die Firnen blitzen im Demantschein;
Das Eis, vom Sonnenstrahle
Geschmolzen, stürzt über Fels und Grat
In silberner Flut zu Thale;
Und reißt die Felsenstücke herab,
Sie stürzen verderbend herunter,
Dann fließt das Wasser als freundlicher Bach
Durch Wiesen und Felder gar munter.
Die Großen der Erde machen's ihm nach:
Nachdem sie zerstören, vernichten,
Dann schwelgen sie in seliger Hast
Von ihrer Verwüstung Früchten.
[364]Glassplitter
Eines goldenen Hämmerchens Pochen
Eines goldenen Hämmerchens Pochen
Hat schon erzene Thüren durchbrochen.
Der Genius bedarf zumeist der Pflege
Der Genius bedarf zumeist der Pflege,
Sonst bringt er Unkraut statt Frucht zuwege.
Magst du um und um die Erde umschiffen
Magst du um und um die Erde umschiffen,
Du hast sie gesehn und nicht — begriffen.
Wie aus dem alten Testament
Wie aus dem alten Testament
Das neue ist hervorgegangen:
So wird aus diesem wohl am End'
Ein neueres seinen Keim empfangen.
Nicht schwer zu finden ist der Weg zum Ziele
Nicht schwer zu finden ist der Weg zum Ziele:
Nur fest im Aug' behalten ihn nicht viele.
Nicht, was du weißt, nicht, was du kannst
Nicht, was du weißt, nicht, was du kannst,
Nur wie du Langeweile bannst
Und sonst dich nützlich magst erweisen,
Giebt Wert dir in Gesellschaftskreisen.
Wenn noch so hell die Sonne lacht
Wenn noch so hell die Sonne lacht,
Zur Hälfte liegt doch die Erd' in Nacht.
Wer mit der Hand über Ähren streicht
Wer mit der Hand über Ähren streicht,
Den stechen Wespen und Bienen leicht.
[365]Die Mette von Marienburg
I.
„Nachtlockiges Weib, jagellonisches Blut,
So siegte doch endlich die süße Glut!
Lang' blieb ihr verhaßt der Deutsche, der Fremde
Mit dem weißen Mantel auf schuppigem Hemde:
Doch endlich ward sie inne
Der siegenden Frau Minne,
Daß sie mir freud'ge Botschaft schrieb:
„O komme, so wahr dir dein Leben lieb,
In der Christnacht auf Podol, mein Schloß.“
Nun, Greif, mein Rappe, mein wackres Roß,
Die schöne Feindin soll nicht warten!“
Und er zieht geheim in den Burgwallgarten
Am Zügel das leise wiehernde Tier:
„Schweig, trauter Greif, das rat' ich dir!
Wenn uns die Gebiet'ger erlauschten, die frommen,
Wir würden in sichern Verwahr genommen,
Und wir flögen wohl niemals wieder, wir beide,
Auf Minnefahrt durch Wald und Haide.“
Und sacht und rasch auf beschneitem Rasen
Führt er das Roß an die Ausfall-Pforte:
„Still, alter Hans, keine Predigt-Worte!
Willst du vielleicht das Lärmhorn blasen
Und den Priestern deinen jungen Herrn
Verraten, daß sie ihn fahn und sperrn
Sein Leben lang zu Brot und Wasser,
Die gottseligen Burgunder-Prasser!“
[366]Da lachte Hans, dann sprach er ernst:
„Daß du doch niemals Sitte lernst!
O lieber Falk, mein Junker wert,
Weit ist gerühmt dein rasches Schwert:
Jedoch du läss'st nicht von der Minne!
Die frommt dem Deutschherrn-Ritter nicht!
Wohin stehn dir heut nacht die Sinne,
Heut nacht, da heil'ge Christenpflicht
Uns alle ruft zur Mittnacht-Mette?“
„Auf, Hans, rasch fort die Riegelkette!
Vielschönes Weib berief mich heiß!“
„Die Nogat geht in Trümmereis!“ —
„Greif schwimmt gleich einem Neckarhecht!“
„Im Weichsel-Walde fährt sich's schlecht:
Dort rennen rudelweis die Wölfe.“
„Nicht fürcht' ich ihrer zehn und zwölfe!“
„Im Tanne von Podol verhohlen
Masuren bergen sich und Polen.“
„Gleich ihren Wölfen acht' ich sie:
Zwölf gegen einen fürcht' ich nie!
Rasch auf das Thürlein! Greif, nun lauf:
Frau Aventiure, nimm mich auf!“ —
[367]II.
„Gesteh, du wilder, geliebter Mann,
Ob Zauber dir mein Herz gewann?
Du bist wie Sturm und Glut und Gewitter,
Bist heißer als all' die blonden Ritter,
Bist mark'ger als die Polenknaben:
Aus deinen dunklen Augen und Locken
Sprüht's und knistert's wie Feuerflocken,
Du bist wie Gold und Stahl und Flamme“ —
„Schön Lieb, das rührt von meinem Stamme!
Ich bin vom freud'gen Volk der Schwaben,
Ich bin aus Deutschlands wonn'gem Süd,
Wo heißer Blut und Minne glüht!
Wer suchte wohl den Falk von Stauf
Heut nacht bei schön Lodoiska auf!“
„Wie kamst du in den frommen Orden?“
„Der Heimat war ich urdrüß worden:
Mein Schwert schlief ein auf leichten Siegen:
Da drang der Ruf ins Neckarland:
— „Die deutschen Herrn erliegen!
Marienburg wird heiß berannt,
Sie schüttelt kaum vom Nacken
Die Wölfe, die Polacken,
Und Tag um Tag tobt grimmes Morden.“ —
Da dacht' ich: Falk, flieg aus nach Norden!
So trat ich in den frommen Orden:
Traun, nicht fürs Werk der Pfaffen,
Fürs freud'ge Werk der Waffen.“
[368]„So magst du leichtern Herzens hören,
Was ich erst jetzt enthüllen kann:
Du wirst den Plan nicht mehr zerstören,
Der meinem Volk den Sieg gewann:
Als ich dich sterben sollte wissen,
Da ward mein Lieben grell mir klar:
Geliebter Mann, dich hat entrissen
Lodoiska sichrer Todgefahr:
Weißt du, weshalb ich dich beschworen
Heut aus Marienburg hierher?
All' deine Brüder sind verloren,
Sie schaun den nächsten Tag nicht mehr!
Verrat erschließt das Nogat-Thor
Beim letzten Schlag der Mitternacht:
Sechstausend Polen stehn davor:
Was drinnen lebt, wird umgebracht.
So siegt mein Volk — die Deutschen fallen: —
Doch du, der einz'ge, sollst von allen,
Du wilder Edelfalke mein,
Durch mich, für mich gerettet sein:
Ich liebe dich! Komm an mein Herz“ —
Auffuhr der Stauf in Schreck und Schmerz:
„Marienburg! der Brüder Leben!
Gott, Flügel mußt du jetzt mir geben!“
Und eh die Polin sich's versehn,
War schon der kühne Sprung geschehn
Vom Erkerfenster in den Schnee:
„Jetzt renne, Greif! sonst ewig: Weh!“
[369]III.
Den Nacken gesenkt, die Zügel verhängt,
Durch die Nacht kommt der rasende Reiter gesprengt.
Längst ließ er die Straße, verlor er den Pfad,
Nach Süden, nach Süden nur pfeilgerad!
Über der Haiden endlos Weiß,
Über der Bäche krachendes Eis,
Über die Schluchten von mürbem Schnee,
Über den spiegelglatten See,
Hinab die Halden, hinan die Hügel
Trägt ihn das Roß wie Adlerflügel:
Die Dornen reißen im heißen Hetzen
Vom flatternden weißen Mantel Fetzen!
Schon gewann er den dichten Wald von Podol:
Zu seinen Häupten lacht es hohl: —
Das sind in den Föhrenwipfeln die Eulen.
Doch näher und immer näher heulen
Die Wölfe zur Rechten, die Wölfe zur Linken:
Dem Rappen wollen die Kniee sinken;
Es schnaubt, es zittert das edle Tier.
„Greif, Freund Greif, nicht bange dir!
Halt aus, halt aus, es gilt viel mehr,
Als unser Leben: es gilt die Ehr'!
Laß sie nur kommen, die Hunde, die feigen:
Ich will ihnen schwäbisches Eisen zeigen.“
Und er klopft ihm den Hals — ausgreift das Roß —:
Doch nah schon rennt der heulende Troß:
Zur Linken, zur Rechten sieht er sie jagen,
Doch den Ansprung will keiner wagen:
[370]Herr Stauf zieht jetzt sein breites Messer:
Er schwingt's im Mondlicht — das scheucht sie besser:
Aber die eine, die Wölfin, die magre,
Die graue, die große, die hungrige, hagre,
Reißt endlich hin die lechzende Gier:
Sie springt auf den Bug dem schnaubenden Tier: —
Da fährt durch die Gurgel ihr scharfer Stahl,
Und die sterbende schleudert Herr Falk zur Erde —
Und sofort sie zerfleischen die andern zumal
Und lassen vom Reiter und seinem Pferde. —
Der weiße Mantel ward blutig rot:
„Vorüber, Freund Greif, die Wolfes-Not!“ —
Aus dem Tann in das Freie jagt der Stauf:
Was stutzt der Rappe? Was hält ihn auf?
Vor ihnen welch Gurgeln! Der Mond tritt grell
Aus dunklem Gewölk: er leuchtet hell!
Und ringsum kracht's und knistert und dröhnt:
Die Nogat ist's, die im Eisgang stöhnt!
Im Strahl des Monds, weiß, grün und grau,
Wogt Wasser und Eis — welch grimme Schau!
Bald Fluten, schwarz wie Todesnacht,
Bald Eisgezack kristall'ner Pracht:
Es rauscht, es knirscht, es zieht, es kracht: — —
Falk spornt das Roß: doch der treue Greif,
Er sperrt sich todesbang und steif:
Die Vorderfüße vorgestemmt,
Den Hinterbug zurückgehemmt,
Die Mähne weht kopfüber wirr, —
So starrt er in das Eisgeklirr;
In die dunkle Flut, in den kalten Wind: — —
„Greif aus, mein Greif, geschwind, geschwind!
Schwimm durch! schwimm durch! es gilt viel mehr,
Als unser Leben! es gilt die Ehr'!
[371]Nun spring und schwimm! es muß, es muß!“
Und in den eisigen, grollenden Fluß
Setzt der Rappe mit edlem Schwung:
Er springt und watet und schreitet und klimmt
Ans Ufer, ans steile, mit sichrem Sprung!
Da grüßet schon — das ist kein Stern! —
Das Licht Marienburgs von fern,
Das rote Licht vom Remterturm! —
Doch vor der Burg, wie ein ringelnder Wurm,
Was kauert und schleichet und lauert dort?
„Halt, Reiter, gieb das Losungswort!“
So ruft's in zischelndem Slaventon! —
„Der Teufel ist's, du Wolfessohn,
Der Teufel kommt euch holen,
Ihr gottverfluchten Polen!“
So ruft Herr Falk und jagt vorbei,
Da hallt ein halb verhaltner Schrei:
„Nach, nach! mit allen Rossen!
Mit sausenden Geschossen,
Doch leis, daß von der Zinne
Man unser nicht wird inne.“
Und hinter dem keuchenden, schäumenden Rappen
Die kleinen polnischen Hufe klappen:
Und verrät der Mond den weißmantligen Reiter,
Dann schwirren die Pfeile, weit und weiter
Schon jagt er voraus — noch einmal ein Schwarm
Von Geschossen auf Schulter und Rücken und Arm —
Da hält er auch schon vor dem Nogat-Thor:
Tot stürzt das Roß: — aus dem Sattel empor
Der Reiter springt, und mit letzter Kraft
Schlägt er ans Thor das Schwert mit Macht,
Ein-, zwei-, dreimal: — und geisterhaft
Anschlägt die Glocke Mitternacht.
[372]Er ruft: „Verrat! auf! auf!
Euch Brüder warnt der Stauf,
Laßt jetzt Gebet und Metten,
Das Leben gilt's zu retten!
Verrat erschließt das Nogat-Thor —
Beim letzten Schlag der Mitternacht —
Sechstausend Polen stehn davor —
Ich kann nicht mehr — es ist — vollbracht!“
Ein lauter Hornruf scholl vom Wall,
Rings Fackeln, Waffen überall:
Bald brachen wie Gewitter
Hervor die deutschen Ritter,
Die Polen flohn mit Eilen —
Doch tot, mit sieben Pfeilen,
Hob man den Warner auf,
Den Schwaben Falk von Stauf!
Märznacht
Ich habe die milden Nächte so gern
Im stürmischen frühen Märzen;
Hie und da im Gewölk ein einzler Stern,
Wie ein Hoffen in dunklem Herzen.
Ein Wallen und Wehen in Flur und Wald;
Die braunen Zweige beben
In freudiger Ahnung, daß sie bald
Sich mit sprossendem Grün beleben.
Ein zitterndes Licht auf den Wassern schwebt,
In der Luft ein geschäftiges Rauschen,
Als sei sie von tausend Geistern belebt —
Dann wieder ein harrendes Lauschen.
[373]Das sind die Nächte, da ferne her
Die Grüße des Frühlings wogen:
Geduld! ich säume nicht länger mehr;
Dann komm' ich ins Land gezogen.
An der Wiege meines Knaben
Oft, wenn ich an deinem Bette,
Kind, gerührten Sinnes stehe,
Fühl' ich's, daß in leiser Nähe
Geister schweben um die Stätte.
Künft'ger Freuden seh' ich viele!
Flieget lang' und flieget heiter
Um sein Haupt als Wegbegleiter,
Frohe deutsche Knabenspiele!
Und ihr, süße Jünglingsträume,
Kaum dem Vater ganz verloren,
Bauet ihm mit goldnen Thoren
Eden in die blauen Räume.
Aus dir soll sein Glück genesen,
Ist der Traum ihm erst zerronnen,
Du, der höchsten Freuden Bronnen, —
Heil'ger Stolz auf deutsches Wesen!
Und ihr, feindliche Gewalten,
Die ihr auch schwebt um die Wiege,
Treue Lieb' in stetem Kriege
Soll euch ferne von ihm halten.
Schlafe ruhig! Um dein Bette
Wachen treue, tapfre Geister,
Und ich fühl's, sie bleiben Meister —
Friede weilt an dieser Stätte. —
[374]Dante
Durch die Straßen von Ravenna schritt der florentin'sche Dichter,
Der die Göttliche Komödie schrieb als seiner Zeiten Richter.
Und er sah es, wie die Knaben, welche auf dem Markte spielten,
Da er ihnen schritt vorüber, ängstlich ihn im Auge hielten.
Und er hört' es, wie der eine leise seinen Namen nannte
Und zu den Gespielen sagte: „Sehet, das ist jener Dante!
Jener Mann, der aus der Hölle wieder ist heraufgekommen,
Der den Leuten nun verkündet, was er drunten wahrgenommen.
Seht nur, wie so schwarz er aussieht von der Hölle Feuerlohe!“ —
Und sie weichen scheu zurücke, da vorüberschritt der Hohe.
Doch er sprach mit bitterm Lächeln: „Fürchtet nichts von mir, ihr Knaben!
Glaubet nicht, daß ich mich jemals in die Unterwelt begraben;
Daß ich dort erst hab' entdecket jene Sünden, jene Qualen,
Die ich mit getreuen Farben nach dem Leben konnte malen.
Schon hier oben fand ich alles, was ich wie von dort berichtet,
Und hier oben ist die Hölle, die ich einfach nachgedichtet.“
Die Tochter der Herodias
Dies Haupt ward mir von deinem Ehgemahle,
O Mutter! von Herodes mir bescheret;
Dies Haupt hab' ich auf dein Geheiß begehret,
Da vor dem Fürsten ich getanzt im Saale.
Er schwelgte, halbberauscht, beim üpp'gen Mahle
[375]Und rief: „Wähl eine Gunst, sie sei gewähret!“
Da sprach ich, wie du, Mutter, mich's gelehret:
„Gieb mir das Haupt des Täufers in der Schale!“
So letze dich am Blute des Gerechten
Und freue dich, daß jetzt die Lippen schweigen'
Die einst so streng mit dir gewagt zu rechten!
Mich aber lasse niemals mehr den Reigen
Anführen, noch zum Tanz die Locken flechten,
Seit mir dies Haupt im Tod sich mußte neigen.
Der Gebirgsführer
Der Fuß ist wund, die Stirne feucht,
Vom Felsen prallt zurück die Glut;
Mein Führer schleppt sich schwer und keucht
Und schweiget mit verdross'nem Mut.
— Die Last, die seine Schulter drückt,
Sie fällt am Ziel und lohnt ihn reich;
Ach Gott, wie fühlt' ich mich beglückt,
Wär' meine Last der seinen gleich!
Im Thale wohnt ihm Weib und Kind,
Für sie nur trieb es ihn hinaus,
Und was ihm Müh und Schweiß gewinnt,
Bringt einen frohen Tag ins Haus.
— Ich ließ nicht Weib, nicht Kind zurück,
Ein Fremdling bin ich dort wie hier;
Am stillen Herd der Liebe Glück
Beut nimmermehr das Leben mir.
Sieh da! das schöne Ziel erreicht!
Er schaut sich lächelnd nach mir um;
[376]Nun ist ihm wohl, nun ist ihm leicht,
Er bleibt nicht länger trüb und stumm.
Zum Abschied reich' ich ihm die Hand:
Lebwohl! — Schon wendet sich sein Fuß,
Schon schwebt er fern am Bergesrand,
Noch einmal winkt er mir zum Gruß.
Wohl mag verschmähn er gern die Rast,
Verschmähn den Trunk, den ich verhieß;
Er denkt nicht mehr der Müh und Last:
Dort unten winkt sein Paradies!
Ich sah im Aug' der Freude Strahl,
Und leichter, freier schau' ich aus,
Und trifft mein Blick das leere Thal,
So fleh' ich: Segen seinem Haus!
Trost im Herbst
Ein Bäumlein klagt im Hage,
Vom rauhen Herbst entlaubt:
„Seid ihr, o schöne Tage,
Auf ewig mir geraubt?“
Da hält auf seiner Reise
Ein Vogel Rast im Baum
Und singet ihm die Weise:
„Gieb nicht der Trauer Raum!
Sieh, braune Hüllen decken
Die Knospen warm und dicht,
Es darf kein Sturm sie schrecken,
Der Frost erreicht sie nicht.
So harre froh des Maien!
Ich will dir still vertraun:
Wir kommen dann zu zweien,
Bei dir ein Nest zu baun.“
[377]Weinlob
Aus dem Becher lernt der Zecher,
Daß sein Glaube durch die Traube,
Daß sein Leben durch die Reben
Aus dem Staube sich erheben.
In der Schenke
Hier unterrichten alt und jung
Sich gegenseitig in der Tugend:
Das Alter trinkt Begeisterung,
Und Weisheit trinkt die Jugend.
Wein und Philister. Er vertobt die Jugend: darin ist eins
Er vertobt die Jugend: darin ist eins
Mit jedem Philister der Geist des Weins;
Drauf trennt sich ihr Schicksal — jener erschlafft,
Doch er wächst im Alter an Feuer und Kraft.
Wein und Philister. Nimmer wird aus dem Wein er geboren
Nimmer wird aus dem Wein er geboren,
Wenn dir versagt den Geist die Natur:
Weiser trinken sich Weise nur,
Aber thörichter stets die Thoren.
Wein und Philister. Im Rausche sieht man sonnenklar
Im Rausche sieht man sonnenklar,
Daß nüchtern man verblendet war;
Und nüchtern drauf — o schlimmer Tausch! —
Daß man verblendet war im Rausch.
[378]Der Rezensent
Criticus pusillus
Er liest vom reichen Blumenstrauß,
Dem farbenprächt'gen, duftig süßen,
Sich gern ein welkes Blatt heraus
Und läßt den Geber schlimm es büßen.
Durchs Augenglas das eine Blatt
Betrachtet er und rufet weise:
„Nach Moder riecht's — sein Glanz ist matt;
Dem Wurm nur ist es wert als Speise.“
Er ritzt sich an der Rose Dorn,
Und Ärger malt sich in den Zügen;
Drauf schleudert er sie fort im Zorn:
„Wer wird an Disteln sich vergnügen!“
Ja, seht! kurzsichtig ist der Wicht,
Sein Blick kann nicht den Strauß erfassen,
Drum will er seiner Weisheit Licht
Im kleinsten Punkte leuchten lassen.
Und dabei ist der Kerl verschnupft;
Vom Duft so wenig wie vom Glanze
Bemerket er und zupft und zupft
Und lehrt: „Dem Fetzlein gleicht das Ganze.“ —
So nützt den eigenen Defekt,
Womit der Kleine ward geboren,
Er schlau und setzt sich in Respekt
Beim Heer der Esel und der Thoren.
[379]Die Martersäule
Am Kreuzweg vor dem Dorfe
Steht ein Marienbild,
Das bei dem gläub'gen Volke
Für wunderthätig gilt.
Von Würmern ist's zernaget,
Die Sonne hat's gebleicht,
Das Holz, worauf's gemalet,
Ist moosig, dumpf und feucht.
Als ich nach langen Jahren
Zur Heimat rückgekehrt,
Da ruhten Vater, Mutter
Tief in der kühlen Erd'.
Ich suchte die Gespielen
Aus froher Kinderzeit,
Es mocht' mich keiner kennen
Zu meinem großen Leid.
Ich zog vor Liebchens Fenster,
Wo ich so manche Nacht
Beim Sternenlicht gestanden,
Mit ihr gekost, gelacht.
Das Fenster, das war trübe,
Ihr Kämmerlein war leer;
Sie selbst war Braut geworden —
Ich fand sie nimmermehr.
[380]Da ging ich in Gedanken
Vor's stille Dorf hinaus
Und sank dort auf die Kniee
Und weinte mich recht aus.
Drauf fühlt' ich mich getröstet,
Erleichtert war mein Herz;
Ein Wunder war geschehen —
Das Bild nahm mir den Schmerz!
Der erste Schnee
Zwei Mütter
Sieh her, mein Kind, wie so lustig es schneit,
Wie Flocke auf Flocke den Wolken enteilt;
Die sendet das Christkind als Boten voraus,
Zu künden sein Nahen in jeglichem Haus.
Auf glitzernder Bahn, auf schneeigem Pfad,
So zieht es vom Himmel zur Weihnacht herab.
Drum bleibe, mein Kind, nur so brav, wie du bist,
Dann kommt auch zu dir der heilige Christ
Mit Spielzeug und Backwerk — der Weihnachtsbaum,
Erschien er dir nicht erst gestern im Traum?
Es schneit. O Kind, wie ist mir kalt!
Der Winter hält den Einzug bald.
Kein Winterkleid, kein Geld im Schrank,
Kein Holz im Haus — ich sterbenskrank!
Die Hütte morsch, der Vater tot,
Erbarme du dich unser, Gott!
[381]Blick auf dies Kind, zur Weihnachtszeit
Muß frieren es in schleiß'gem Kleid!
So brav und fromm und gut es ist,
— Zu ihm kommt nie der heil'ge Christ!
O Herr! Erbarme du dich sein,
Erlöse mich von meiner Pein!
Wahre Freude
Wenn du dich je einmal gefreut
In tiefster Brust und voll und ganz,
Und wußtest du von keinem Leid
Und schautest nichts als Sonnenglanz,
Und ward kein Wünschen dir verneint,
Und schien die Welt dir klar und licht:
Hast du im Lachen nicht geweint —
So kennst du wahre Freude nicht!
Die Freude, die man recht genießt,
Kann nimmer ohne Sehnen sein,
Und in des Glückes Becher fließt
Ihr eine Thräne still hinein.
Sie weiß von keinem Übermut;
Sie stimmt das Herz zu ernstem Klang;
Sie zahlt dem Schmerze schon Tribut —
Und, ach! der Schmerz verzieht nicht lang'.
[382]Deutsche Art
Dédié à mon cousin d'outre-Rhin
Daß wir so spröde oft und hart,
Karg, ohne freies Streben? —
Wir sind nun einmal deutscher Art,
Und deutsch ist unser Leben.
Die Eiche steht — es bleibt dabei —
Bald winternacht-umfangen,
Bald siehst du sie im jungen Mai
Im Schmuck des Frühlings prangen.
Will dir die Sache nicht zu Sinn,
So merk dir das, Herr Vetter:
Es hat ein Baum, der immer grün,
Auch immer faule Blätter.
Guter Rat
Dichtest du, sei nicht bedenklich,
Sag's, wie dir's der Gott gegeben!
Sei auch nicht zu überschwenglich,
Jedes Wort sei echtes Leben!
Wenn das Herz dir wahr entglommen,
Wenn du's frisch herausgesungen,
Wie dir's aus der Brust gekommen,
Dann ist dir ein Lied gelungen.
[383]Am siebenzigsten Geburtstage
I. Weihgeschenke
Mit Palmen sind geschmückt des Hauses Pforten,
In den Gemächern Blumen auf Geländen,
Rings Lorbeerbäume, Kränze an den Wänden,
An weißen Schleifen schwarz-rot-goldne Borten.
Bei Goldpokalen Reben edler Sorten,
Gemälde, Tand von schönen Frauenhänden,
Unsterbliches in reich verzierten Bänden,
Und Briefe fast aus allen Erdenorten.
Die Arzenei des Alters zu versüßen,
Will Lieb', ein weiser Arzt, sich zu mir kehren,
Als sollte eine Nachwelt mich begrüßen,
Mit stetem Glanze mir das Haupt verklären, —
Was hätt' ich Herrliches vollbringen müssen,
Um zu rechtfertigen die tausend Ehren!
II. Leid durch Glück
Mein edles Weib, das Söhne mir geboren,
Wie blickst du mich beglückend an mit beiden!
Wie bin ich, ihr Geliebten, zu beneiden,
Zum Götterliebling schein' ich auserkoren.
Und doch! was sich als Glück mir zugeschworen,
Erzeugt in meiner Brust das tiefste Leiden:
Wie lange noch? und ich muß von euch scheiden,
Für alle Ewigkeiten mir verloren.
[384]Mir ist, als hört' ich knirschen schon die Säge
Am Baum, aus dem sie meinen Sarg einst zimmern,
Als ob auf ihm der bunte Pomp schon läge.
Wie trüb zu Häupten mir die Kerzen schimmern!
Nur fehlen noch die letzten Hammerschläge,
Der Meinen Wehruf, der Gesänge Wimmern.
III. Bald sind die Tage um
Einsamer immer mehr,
Wo ich auch bin,
Trag' ich des Alters schwer
Lastenden Sinn.
Freuden sind all' entflohn,
Lieb' und Gesang,
Jugendgenossen schon
Ruhen — wie lang'!
Aber die Lust, das Leid,
Die mich verzehrt,
Durch die Vergangenheit
Sind sie verklärt.
Doch auf der Zukunft Spur
Traurige Pracht:
Welkende Blätter nur,
Sternlos die Nacht.
Klage nicht, trage stumm,
Du hast gestrebt;
Bald sind die Tage um,
Die du gelebt.
[385]Sieh, wie der Vogel thut:
Schwärmet und singt,
Doch wenn es dämmert, ruht,
Schattenumringt.
Schlummert im grünen Wald,
Rühret sich kaum,
Einzelne Laute lallt
Er noch im Traum.
Einmal beim Morgenschein
Liegt er im Moos
Und ist die Lust und Pein
Immerdar los.
Weiter im schönen Wald
Singet der Chor,
Schweigen wird der auch bald —
Grämst du dich, Thor?
Alles mag der Dichter singen
Seiner Tage dunkles Ringen,
Seines Volks Begehr und Streit,
Alles mag der Dichter singen:
Aber viel gehört der Zeit.
Mag er zorn'gen Kampf erheben,
Wenn's der Augenblick gebeut;
Doch dazwischen soll er weben,
Was sich fort und fort erneut.
[386]Denn es werden einst Geschlechter,
Die auf seinen Siegen stehn,
Ungerührt vom wunden Fechter,
Nur ein prächtig Schauspiel sehn.
Das nur wird durch ihre Reihen
Gehn mit vollem Wiederklang,
Was er von den ew'gen Dreien:
Gott, Natur und Liebe sang.
Der Spielmann
Sie sagen, im Freien einst lag er zu Nacht,
Da haben ihm Feien die Fiedel gebracht,
Da hat auf den Klippen bei Monduntergang
Der Nix ihm die Lippen gelöst zum Gesang.
Nun geigt er und singt er, nun singt er und geigt,
Die Herzen bezwingt er, sobald er sich zeigt;
Im Dorf an der Linde, im Fürstenpalast,
Wie drängt sich geschwinde der Schwarm um den Gast!
Schon hebt er den Bogen, schon weckt er den Schall,
Da strömt es, wie Wogen aus klarem Kristall;
Wie schwellen die reinen so stark und so weich!
Wer's hört, der muß weinen und jauchzen zugleich.
Was lächelt vor Wonne der Greis dort und schwärmt?
Er träumt, daß die Sonne der Jugend ihn wärmt.
Was blickt in die Runde der Kriegsmann so kühn?
Vom Siegsfeld die Wunde beginnt ihm zu glühn.
Was staunen befangen die Knaben im Kreis?
Was brennt auf den Wangen der Mädchen so heiß?
Im bangenden Sinne die Lust und die Qual,
Den Zauber der Minne verstehn sie zumal.
[387]Dem Weidmann erklingt es wie grüßendes Horn,
Den Schnitter umsingt es wie Wachteln im Korn,
Den Schiffer am Lande befällt's wie ein Weh,
Er hört das Gebrande der rollenden See.
Und wo sich im Kreise verblutet ein Herz,
Da kühlt ihm die Weise den brennenden Schmerz;
Aufatmet's betroffen, als träufelte mild
Balsamisches Hoffen vom Sternengefild.
Wie Adlersgefieder jetzt schwingt sich der Schall,
Jetzt säuselt er nieder wie Tropfen im Fall,
So wandeln die Boten des jüngsten Gerichts;
So grüßen die Toten vom Orte des Lichts.
Nun sterben die Klänge, nun schweigen sie ganz —
Da jubelt die Menge, da bringt sie den Kranz;
Doch stolz sich verneigend, als drück ihn der Lohn,
Ins Dunkel ist schweigend der Spielmann entflohn.
Beim Glanze der Sterne, von Winden umrauscht,
Schon wandert er ferne, wo niemand ihm lauscht;
Da geigt er in Thränen sich selbst noch ein Stück:
Verlorenes Sehnen, begrabenes Glück.
Lied und Ton
Verzaubert lag, verschollen,
Dornröschen gleich im Walde tief:
Das Lied auf staub'gen Rollen,
Das Musenkind, und schlief.
Da bricht durchs Dorngestrüppe
Mit hellem Ruf ein Königssohn:
Da küßt mit warmer Lippe
Die Schläferin der Ton.
[388]Und sieh, zu raschen Schlägen
Urplötzlich ist ihr Herz erwacht;
Sie hebt sich ihm entgegen,
Ihr Auge weint und lacht.
Vom Lager aufgesprungen,
Die Arme strickt sie um ihn her;
Sie halten sich umschlungen
Und lassen sich nicht mehr.
Und auf der Liebe Flügel
Nun ziehn die beiden treugesellt
Wohl über Strom und Hügel
Hinaus in alle Welt.
Lebensstimmung
Hab' ich einst ehrgeizigen Wunsch als Jüngling
Unbedacht im Busen genährt: ich bannt' ihn
Längst; dem Weltlaufkundigen geht kein Gut mehr
Über die Freiheit.
Mag, wer will, am Sessel der Macht um Einfluß
Buhlend, stets abhängiges Los ertragen,
Oder, laut vom Volke bejauchzt, des Volkes
Laune gehorchen!
Mir gefällt's, nach eigenem Trieb in ernster
Muße, fern vom Stimmengebraus des Marktes,
Bald im Schicksalsbuche der Zeit die dunkle
Schrift zu enträtseln; —
Bald am Reichtum griechischer Kunst und Schönheit,
An Homers einfacher Gewalt zu prüfen,
Was die Neuzeit Mächtiges schuf, von andern
Sternen geleitet; —
[389]Oder tagwerkmüde dem Zug der Wolken
Nachzuschaun und irgend ein Lied zu summen,
Wie's dem einsam Träumenden Hoffnung eingiebt
Oder Erinnrung.
An eine junge Sängerin
Ach, noch einmal diese Töne,
Die mir Flügel in das schöne
Zauberland der Jugend sind!
Laß sie schwellen voll und leise!
Diese Weise
Sang einst deine Mutter, Kind.
Am Klavier dort in der Nische
Saß sie, wenn des Abends Frische
Klar ins offne Fenster drang;
Golden wob's um ihre Locken,
Und wie Glocken
Schwebte wogend ihr Gesang.
Ach, das war vor langen Jahren,
Eh ich in die Welt gefahren,
Hoch im Sturm noch trieb mein Herz;
Aber stets bei ihrem Liede
Kam ein Friede
In des Jünglings Lust und Schmerz.
Grau jetzt, mit gedämpftem Feuer,
Einsam kehr' ich; die mir teuer,
Gingen alle fast zur Ruh;
Sie auch schläft, die süße Rose,
Unterm Moose,
Doch ihr Ebenbild bist du.
[390]Singe, Kind, und in die blauen
Augen laß mich tief dir schauen!
Jugendheimwärts träumt mein Sinn,
Und von längst entschwundnen Lenzen
Zieht ein Glänzen
Durch die müde Brust dahin.
Unter den alten Rüstern
Ihr alten Rüstern! Wie süß zur Rast
Lädt euer Flüstern den müden Gast!
O wogt und schattet ums Haupt mir kühl!
Noch dröhnt's, ermattet vom Stadtgewühl,
Wo, nie entlastet, das Leben rollt,
Gewinnsucht hastet, Parteiwut grollt,
Nach Brot die Menge und Spielen schreit
Und hohl Gepränge die Kunst entweiht.
Vom eitlen Rauschen, wie bin ich satt!
Nun will ich lauschen auf Blüt' und Blatt;
Nun will ich hören die Weise nur,
Die du in Chören mir singst, Natur,
Die große Weise, die, wo sie klingt,
In Schauern leise mein Herz verjüngt:
Das Lied vom Wachsen und vom Vergehn,
Nach dem die Achsen der Welt sich drehn.
Hoffe du nur!
Die Nachtigall auf meiner Flur
Singt: Hoffe du nur! Hoffe du nur!
Die Frühlingslüfte wehen.
Ein Dornenstrauch schlief ein zu Nacht,
Ein Rosenbusch ist aufgewacht:
So mag's auch dir geschehen.
Hoffe du nur!
[391]Halte fest am frommen Sinne
Sprüche
Halte fest am frommen Sinne,
Der des Grenzsteins nie vergaß!
Alles Heil liegt mitten inne,
Und das Höchste bleibt das Maß.
Glücklich, wem die Tage fließen
Wechselnd zwischen Freud' und Leid,
Zwischen Schaffen und Genießen,
Zwischen Welt und Einsamkeit.
Das ist das alte Lied und Leid
Sprüche
Das ist das alte Lied und Leid,
Daß dir Erkenntnis erst gedeiht,
Wenn Mut und Kraft verrauchen;
Die Jugend kann, das Alter weiß,
Du kaufst nur um des Lebens Preis
Die Kunst, das Leben recht zu brauchen.
Verruchtes Dilettantenwesen
Sprüche
Verruchtes Dilettantenwesen!
Hat einer wo ein gut Gedicht gelesen,
Zerpflückt er flugs den schönen Strauß,
Thut Unkraut, Stroh und Disteln drunter
Und bindet sich vergnügt und munter
Im Umsehn einen neuen draus.
Die Zeit zum Handeln jedesmal verpassen
Sprüche
Die Zeit zum Handeln jedesmal verpassen
Nennt ihr: die Dinge sich entwickeln lassen.
Was hat sich denn entwickelt, sagt mir an,
Das man zur rechten Stunde nicht gethan?
Es ist der Glaub' ein schöner Regenbogen
Sprüche
Es ist der Glaub' ein schöner Regenbogen,
Der zwischen Erd' und Himmel aufgezogen,
Ein Trost für alle, doch für jeden Wandrer
Je nach der Stelle, da er steht, ein andrer.
[392]Religion und Theologie
Sprüche
Religion und Theologie
Sind grundverschiedene Dinge:
Eine künstliche Leiter zum Himmel die;
Jene die angebor'ne Schwinge.
Am guten Alten
Sprüche
Am guten Alten
In Treuen halten,
Am kräft'gen Neuen
Sich stärken und freuen,
Wird niemand gereuen.
Bergauf, bergab, zuletzt ins Grab
Ein Weilchen noch, so gehst auch du
Zu deiner Ruh! —
Dann tragen sie ins enge Haus
Auch dich hinaus,
Und all dein Sorgen bleibt zurück,
So Leid wie Glück.
Ein Weilchen noch! Noch ist es Tag,
Und wandeln mag
Dein Fuß, so lange Gott es will.
Zu Ende still
Geh deinen Weg — bergauf, bergab,
Zuletzt ins Grab.
[393]Zwei Blumen
Du, Passiflore, hältst an den Gräbern Wacht,
Und dich umhauchen Schauer der Todesnacht!
Der Menschheit Weh, das nie veraltet,
Hast du im düsteren Schoß entfaltet.
Die Dornenkrone trägst du so stolz zur Schau,
Es steigt aus deinem Kelche des Kreuzes Bau,
Und deine Purpurfäden prahlen
Mit den unsterblichen Wundenmalen.
Du schlürfst den Moder und die Verwesung ein,
Du schmückst das Haupt mit zuckender Flammen Schein,
Die nächtig um die Gräber schleichen,
Feurige Boten der kalten Leichen!
Du Totenblume, ewiger Marter Bild,
O dich umweht der Odem vom Schlachtgefild,
Der Scheiterhaufen brand'ge Düfte,
Eisiger Moder der Kerkergrüfte.
Der Hauch, der von den Schwingen der Seuche träuft,
In raschem Fluge zuckende Opfer häuft,
Die Seufzer aus der Folterkammer,
All der unendliche Erdenjammer.
Und selbst Natur, die wilde Zerstörerin,
Sie schüttet Flammen über ein Eden hin,
Zerreißt die Erde, jagt die Meere
Über des Landes zersprengte Wehre.
[394]Qual und Vernichtung schauern auf jeder Bahn,
Wo Menschen ringend höherem Ziel sich nahn.
Im Opferdienst, in jeder Frohne
Schau' ich die Stacheln der Dornenkrone.
Du aber winkst mir dort an des Baches Rand,
Parnassia, im schimmernden Festgewand,
Ein heller Stern auf samtnen Matten,
Tief in der silbernen Birke Schatten.
Rings stehn die Wälder stumm, und kein Hauch bewegt
Der Ähren Gold, das sich um die Hügel legt!
Wenn atemlos die Fluren schweigen,
Muß sich die Liebe zur Liebe neigen.
In deinem Kelche regt es sich zauberhaft,
Es schwankt, es neigt sich, wie mit beseelter Kraft.
Die Kronenträger sind, die stolzen,
Plötzlich zu seligem Kuß verschmolzen.
Du Kelch der Freuden, wo durch der Liebe Macht
Zu geist'ger Regung schlummerndes Sein erwacht,
Wo Blütenfäden Wonne trinken,
Durstig sich neigen und süß versinken!
Parnassia, dich schling' ins Gelock entzückt
Ein neu Geschlecht, das heilige Freude schmückt!
Vergessen an des Todes Thore
Blühe und welke die Passiflore!
[395]Ovid
Ein Schneegewölk, vom Sturm getrieben,
Weht frostig über den Euxin;
In diesen Wolken steht's geschrieben:
So soll mein Leben arm an Lieben
Und arm an Glück vorüberziehn
Die Wogen, die ans Ufer branden,
Sie kommen aus kimmer'scher Nacht,
Wo über unwirtbaren Landen
Der Stern am Pol verdrossen wacht.
O düstrer Gruß der schwarzen Wellen,
Die hoffnungslos am Strand zerschellen!
Und wie der Pontus der Sarmaten
Dehnt endlos grau die Steppe sich:
Da knistern keine goldnen Saaten;
Den ewig wandernden Penaten
Winkt keine Stätte heimatlich.
Da liegt die Öde unermessen
So schlummertrunken hingestreckt,
Als ob die Erde ganz vergessen,
Daß sie der Sonne Kuß geweckt:
So traumlos ohne Blütensegen
Gähnt mir ringsum die Welt entgegen.
O rauhe Pflicht für den Poeten,
Der stets nur Amors Waffen trug;
Jetzt heißt es auf die Wälle treten;
Es nahn die Schwärme wilder Geten,
Emporgescheucht wie Mottenflug.
Sie nahn wie ein gespenst'ger Schrecken,
Ihr Pfeil ist spitz, ihr Schwert ist scharf;
Da gilt's, sich mit dem Schild zu decken,
[396]Den einst Horaz bei Seite warf:
Den Dichtern, welche Ew'ges schaffen,
Ziemt andrer Ruhm und andre Waffen.
Doch wird das Herz mir schwer und bange:
Noch ist des Geistes Flug nicht matt;
Er trotzt des Schicksals dumpfem Zwange
Und preist mit letztem Schwanensange
Noch deinen Zauber, ew'ge Stadt.
O glüh'nde Bilder, selig Sinnen,
In das der Geist sich gern verliert:
Da mit dem Kranze der Korinnen
Seh' ich die heitre Stirn geziert!
Kein Cäsar darf dem Dichter wehren,
Der Liebe süße Kunst zu lehren.
Und meine duft'gen Blätter fliegen
Von Haus zu Haus, von Hand zu Hand:
Sie lehren euch, in Amors Kriegen
Zu nahn, zu sehen und zu siegen,
Ob locker auch der Liebe Band.
Sie lehren euch ein Glück zu schenken,
Das jeden feinen Sinn entzückt,
Des Gottes Pfeile leis zu lenken,
Daß ihrer Wunden Schmerz beglückt.
Mit seinem süßen Zwang versöhne
Der Witz der spielenden Kamöne.
So wird mein Lied der Freuden Quelle,
Die herrlich in der Stille blühn:
Es lockt mich über manche Schwelle
Ein Flüsterwort mit Zauberschnelle,
Ein holdes, feuriges Erglühn.
Ein Wort des Danks tönt mir entgegen,
Ein Wort der Liebe folgt ihm schnell:
[397]Ein jeder Vers wird mir zum Segen,
Ein jeder Spruch der Freuden Quell.
Um solcher Weisheit Schatz zu mehren,
Vergess' ich lernend auf das Lehren.
Da naht ein Zug, beim Fackelglanze,
Im Venustempel dem Altar,
Und übers Forum schweift im Tanze,
Mit Thyrsusstab im Epheukranze,
Im Mondlicht die Bacchantenschar.
Wie glühn die Blicke, die Gesichter
Vom Rausch, den Bacchus angefacht!
Wie sprühn die dunklen Fackellichter
Auf der enthüllten Reize Pracht!
Da rast des Pindus wildes Fieber
Durch die verschlafne Stadt am Tiber.
Voran, im üpp'gen Rausch sich wiegend,
Das Enkelkind Oktavians:
Das Haar gelöst im Winde fliegend,
An des Geliebten Brust sich schmiegend,
Stürmt sie dahin, die Braut Silens.
Das Kapitol der alten Tugend,
Der neuen Herrschaft Palatin
Sehn grollend die berauschte Jugend
Im Reigentanz vorüberziehn.
Mich feiert sie als ihren Meister:
Mir huld'gen ihre Taumelgeister.
Mir ward das Lächeln der Mänade
Und ihre Gunst verhängnisvoll:
Zum Abgrund ging's auf jähem Pfade;
Es war mein Licht des Cäsars Gnade,
Und in die Nacht stieß mich sein Groll.
[398]Nicht länger wand ich Blumenketten
Im Spiel der Liebe freudenreich;
Die mich umkost, die Amoretten,
Verfolgten mich, Lemuren gleich.
Das letzte Lächeln meiner Muse
Ward mir zum Antlitz der Meduse.
Und doch — Erinnrung lebt im Herzen,
Vergangenheit wird Gegenwart.
Da leuchten die erloschnen Kerzen,
Da mischen Küsse sich mit Scherzen,
Die Liebe winkt, die Liebe harrt!
Und wenn sich Glutenwolken ballen
Im Westen, wo die Sonne sinkt:
Ich seh' den Purpurvorhang wallen,
Dahinter üpp'ge Schönheit winkt,
Und in der endlos öden Steppe
Bau' ich mir zum Olymp die Treppe.
Und lehnt im Winkel Amors Bogen,
Und ist sein Köcher öd' und leer:
Von ihrer Tauben Flug umflogen,
Steigt Venus aus dem Staub der Wogen:
Ambrosisch Licht entströmt dem Meer.
Wenn rings die dichten Flocken schwärmen,
Wenn eis'ger Panzer deckt die Flut,
Muß altes Lied mein Herz erwärmen
Und meiner Träume ros'ge Glut;
Und wenn am Herd die Flammen knistern,
Hör' ich Korinna traulich flüstern.
Mein Lied hat keine Feuerzungen,
Kein Aar ist's, der zur Sonne schwebt:
Doch nimmer ist sein Klang verklungen
[399]Erworben bleibt, was ich errungen,
Es stirbt nicht mehr, was ich erlebt.
Und du, im glänzenden Palaste,
Gefeiert als der Herr der Welt;
Ich, der Verbannte, der Verhaßte,
Der Wüste wildem Schwarm gesellt:
In Einer Glorie der Flammen
Schmilzt einstens unser Bild zusammen.
Erinnerung
Den hellen See, das dunkle Thal,
Der fernen Berge duft'gen Schwung
Verklärt im Abendsonnenstrahl
Dein mildes Licht, Erinnerung!
Die Berge standen licht und blau,
Wie Wächter vor dem Paradies,
Als jede Blume auf der Au
Mir noch ein bräutlich Glück verhieß.
Sind auch die Blüten über Nacht
In meinem ersten Strauß verdorrt —
Taufeucht in frischer Morgenpracht
Blühn sie in meinem Herzen fort.
Wie stehn die Büsche rings im Licht!
Wie steht die Flur im Zauberglanz!
Vergangenheit, ein Traumgesicht,
Erfüllt die Seele voll und ganz.
Sie war an stolzer Hoffnung reich,
Das Glück so nah, die Welt so weit!
Jetzt träumt das Herz wehmütig weich
Im Schatten der entschwundnen Zeit.
[400]Den hellen See, das dunkle Thal,
Der fernen Berge duft'gen Schwung
Verklärt im Abendsonnenstrahl
Dein mildes Licht, Erinnerung!
Frühlingsahnung
Das ist ein Frühlingstag!
O welch ein Duft der Ferne!
Das sind im grünen Hag
Die ersten Frühlingssterne!
Und jedem schwillt das Herz:
Wie schön ist's hier auf Erden!
Begraben sei der Schmerz,
Eh wir begraben werden.
Der Nachtigallen Sang
Tönt aus des Thales Linden;
Ich aber, wehmutsbang,
Kann nicht den Frühling finden.
Wann wird ein Lenzestraum
Die Menschheit selbst beglücken?
Wann wird ihr kranker Baum
Mit neuem Grün sich schmücken?
Die Wurzel „Menschenrecht“,
Und „Menschenglück“ die Krone,
Daß freudig dies Geschlecht
In seinem Schatten wohne!
Noch ist der Baum verschneit,
Des Winters Stürme wüten,
Und keine Frühlingszeit
Bringt Blätter ihm und Blüten.
[401]Der Felsensee
Es küßt der Mond den Felsensee,
Der strahlt und freut sich der himmlischen Näh'
Und heget das goldige Bildnis.
Und die düsteren Felsen, sie halten die Wacht,
Und ringsum schweiget die duftige Nacht,
Und ringsum schweiget die Wildnis.
Stille, mein Herz
Stille, mein Herz, und begehre nichts,
Rege dich kaum: es schläft der Sturm!
Wehe, wenn er rasend erwacht,
Schwillt der Seele Woge empor,
Und von finsterer Wolke verhüllt,
Schwindet des Friedens lieblicher Stern;
Stille, mein Herz, und begehre nichts,
Rege dich kaum: es schläft der Sturm!
Der Abend
O Abend, dein rosiges Schimmern,
O Abend, dein liebliches Wehn!
Da droben die himmlischen Wolken,
Da nieden die duftigen Höhn:
Das glühet so leuchtend umkränzet,
Das wehet verkühlend so mild —
O Abend, du rosiger Abend,
Hast meine Seele gestillt!
[402]Verschollenes Glück
Ich weiß ein Märchen, daß ein Wandrer kam
Zum Waldesgrund, da läutet' es wie Glocken,
Und eine Blume fand er, wundersam,
Und schmückte traumvoll seine braunen Locken.
Als er zurück zu Menschen kam voll Gram,
Bestaunten ihn die Leute fast erschrocken.
Die Welt war älter schon um hundert Jahre,
Und keiner kannt' ihn mit dem Kranz im Haare.
So bist du, meine Zauberblume, auch,
Und von des Traumes Bann bin ich umfangen;
Ich weiß nicht mehr, was bei den Menschen Brauch,
Mir ist, als wären hundert Jahr' vergangen;
Ein Fremdling bin ich worden, denn ein Hauch
Des Alters weht in dieser Welt, der bangen.
Nur ich bin jung und fremd im blütenvollen
Lenzschmuck des Glücks wie vor der Welt verschollen.
Drum kehr' ich nun auf immer heim zu dir,
Ein Einsiedler des Glücks im Waldesgrunde.
Vergessen will ich sein. Mir sprubelt hier
Des Lebens Quell und Heil für jede Wunde.
Dein Auge feuchten Strahles über mir,
Ein Flüstern weggeküßt von deinem Munde.
So mögen mir Jahrtausende verschwinden,
Zur Welt den Rückweg will ich nimmer finden.
[403]Je älter du —
Je älter du, je voller wird dein Herz,
Doch wie ein Kirchhof nur, der voll von Toten,
Die ausgelitten ihren Erdenschmerz. —
Einst war es eine Au', von rosenroten
Maiwolken überstrahlt, ein lust'ger Hain,
Wo dunkle Wipfel holden Schatten boten. —
Von Märchenblumen leuchtete der Rain,
In tiefer Waldnacht hundert Brunnen rauschten,
Auf Marmorgöttern blitzte Mondenschein. —
Das war dein junges Herz. Verstohlen lauschten
Gedanken, Phantasieen, welche kühn
Mit Gleichgesinnten reiche Rede tauschten.
Nun stehn Denkmale rings voll Immergrün —
Denkmale rings — begrabener Gedanken,
Begrabner Träume, die im Sturm verglühn.
Verschollner Tage Pläne hier versanken,
Verschollner Freunde Namen stehn auf Stein,
Bedeckt von Moos und blumenreichen Ranken.
Zum Kirchhof ward des Herzens Jugendhain.
Beisammen liegt, was sündig war und wacker,
Je älter du, je voller wird er sein —
Das Menschenherz auch ist ein Gottesacker!
Erinnerung
Ihr kurzen, flüchtigen Minuten,
Wo heiter mir die Sonne schien,
Schnell zogt ihr hin wie Stromesfluten,
Doch spurlos zogt ihr nicht dahin:
Noch denk' ich jedes flücht'gen Glückes,
[404]Das dieses glüh'nde Herz gewann,
Und jedes sel'gen Augenblickes,
Den golden mir die Parze spann!
Dankbar gedenk' ich jeder Stelle,
Wo ich gehalten süße Rast,
Und jeder leisen Murmelquelle,
Daran ich trank als müder Gast,
Und jeder Blume, draus in Düften
Ein Gruß mir in die Seele drang,
Und jedes Vögleins, das in Lüften
Mir Trost und Lenzesfreude sang.
Dankbar gedenk' ich jedes Mundes,
Der traut und milde zu mir sprach,
Und jedes lichten Augengrundes,
Draus mir ein Strahl der Liebe brach:
So lass' ich ewig in mir leben,
Was mich mit holdem Reiz gegrüßt
Und still mich im Vorüberschweben
Mit flücht'gem Liebeshauch geküßt.
Von allem Sehnen, allem Lieben
Blieb meiner Brust ein teurer Hort,
Gleichwie ins tiefste Herz geschrieben
Mit Flammenschrift ein Liebeswort.
Und keine Zunge kann sie schildern,
Die Zauberwelt, die mich umschwebt,
Wenn von den tausend süßen Bildern
Die stille Nacht den Schleier hebt.
Dann ziehn sie lockend mir vorüber,
Berühren mich so mild und weich;
Und meine Seele schwebt hinüber
[405]In der Erinnrung Himmelreich:
Da freu' ich still mich jedes Glückes,
Das einst mein glühend Herz gewann,
Und jedes sel'gen Augenblickes,
Den golden mir die Parze spann.
Rollende Räder
O Nacht! So lang und bange! —
Horch, fegt mit Sturmesdrange
Die Straßen jetzt der Wind?
Nein — es beginnt zu tagen:
Das Rollen ist's der Wagen,
Die heim vom Feste tragen
Manch blühendschönes Kind.
'S ist Karneval. Isolde,
Umwallt vom Lockengolde,
Kehrt heim zu dieser Stund' ...
Im Glanz der goldnen Spangen,
O zauberhaftes Prangen!
Wie leuchten ihre Wangen,
Wie selig blüht ihr Mund!
Ich glaube dir, du Schöne!
Wie thöricht ist die Thräne,
Belächelnswert das Weh!
Hei, deines Wagens Rollen
Klingt in mein dumpfes Grollen
Gleich einem fastnachtstollen,
Lustfreud'gen Evoë!
Die Welt war schön, du Schöne,
Als dort im Braus der Töne
Dein Haar im Tanze flog,
[406]Indes ein armer Frager,
Kleinmütiger Verzager
Auf seinem Schmerzenslager
Das Leid der Welt erwog.
Menschenleben
Heut lallen an der Mutterbrust, der weichen,
Zu Rosse morgen ziehn in stolzem Trabe,
Und übermorgen dann als müder Knabe
Mit grauen Haaren an der Krücke schleichen:
Das Glück erspähn und nimmer es erreichen,
Sich hundert Mal als einzig süße Labe
Den Tod erflehn und schaudern vor dem Grabe,
Das Sein verwünschen, vor dem Nichts erbleichen:
In langer Weil', in Weinen oder Lachen,
In Sehnen, Sinnen, Hoffen und Erbeben
Den Tag verträumen und die Nacht durchwachen,
Dazu die Frage schmerzlich oft erheben,
Was all das soll: — das ist in tausend Sprachen
Ein altes Lied, betitelt Menschenleben.
Im Walde
Am frischen Frühlingsmorgen
Hinaus in die Waldesluft,
Dort blühet die goldene Freiheit;
Auf Höhen und in der Kluft,
Wie ihm der Schnabel gewachsen,
Der Vogel schwatzt und ruft.
[407]Das ist die wahre Freiheit,
Dies heitere Vogellatein,
Die Raben und die Elstern
Den König der Lüfte beschrein,
Und all' die andern Kleinen,
Die lachen zwischen drein.
Kein Richter und kein Kerker
Sperrn ihnen die Schnäbel zu;
Kein bunter Polizeimann
Gebietet ihnen Ruh,
Nicht mal dem Nachtskandaler,
Dem trotzigen Uhu.
Ohn' jegliche Erlaubnis
Die Frösche versammeln sich frei,
Erheben über alles
Viel Lärmen und Geschrei;
Und dennoch läßt sie in Ruhe
Die löbliche Polizei.
Den Ameisen, den flinken,
Wohl wird ihnen manchmal heiß;
Bei ihrer schweren Arbeit
Geraten sie gar in Schweiß —
Kein Anderer aber verprasset
Die Früchte von ihrem Fleiß.
Es wagen die Blümlein zu blühen
Sogar in Rebellen-Rot;
Kein Staatsanwalt beantragt
Für Hochverrat den Tod.
Im frischen, freien Walde
Bestehet kein Verbot.
[408]Und doch ist alles geordnet,
Es regen sich Zauberhänd' —
Husch — husch — die Waldesgeister —
Wie alles fliegt und rennt!
Es führt die alte, heil'ge
Natur ihr Regiment.
Augensprache
Liebchen weint'. Auf ihren Wangen
Standen große Vorwurfsthränen,
Doch sie gab mir beide Hände,
Sprach kein einzig leises Wörtchen.
Und ich küßte diese Thränen
Von der Wange ihr und sagte
Zur Entschuld'gung nicht ein einzig,
Nicht ein einzig leises Wörtchen.
Doch ich schaut' ihr in die Augen,
Fleht' mit Blicken um Vergebung
Und versprach mit meinen Augen,
Sprach kein einzig leises Wörtchen.
Und sie lächelt' durch die Thränen,
Rührung in den schönen Augen,
Glaubte und vergab im Kusse,
Sprach kein einzig leises Wörtchen.
[409]Erkämpft!
Fällt dir das Glück so in den Schoß,
Es ist dir wenig wert;
Du läßt es leicht auch wieder los,
Was dir so leicht beschert.
Doch hast erkämpfet du dein Glück
Durch sorgenvolles Mühn:
Du hältst es fest bei dir zurück
Und siehst es immer blühn.
Zu rechter Zeit
Der höchste Schmerz, das höchste Glück,
Sie kennen keine Lieder;
Doch wenn das Leid gelindert ist,
Doch wenn das Glück gemindert ist,
Dann klingt es mächtig wieder.
Freudenthränen
Seht die Braut am Traualtare,
Freude strahlt ihr Angesicht;
Doch erglänzt im Augenpaare
Auch der Thränen Demantlicht.
Dort die Mutter mit dem Kleinen,
Sanft entschlummert ihr im Schoß,
Seht sie, selig lächelnd, weinen,
Preisend ihres Daseins Los.
Seht den Sohn, der, reich an Ehren,
Kehrt beglückt ins Vaterhaus:
Seine und der Eltern Zähren,
Drücken sie nicht Freude aus?
[410]Weinen sie nicht Freudenthränen
Alle nur, voll reinster Lust? —
Ach, sie weinen — kindisch Wähnen! —
Schmerzensthränen unbewußt.
Ahnung ist's von künft'gem Leide,
Zitternd durch das frohe Herz,
Mitten in des Lebens Freude,
Ein Gefühl von künft'gem Schmerz.
Ahnung ist's von Trennungsstunden,
Ahnung ist's von Qual und Tod,
Ahnung ist's von tausend Wunden,
Ach, womit das Leben droht.
Diese ist es, die sich immer
In das Herz des Menschen schleicht,
Trübend seines Glückes Schimmer,
Ihm der Wehmut Becher reicht.
Darum seht das Auge feuchten
Thränen ihr im höchsten Glück;
Darum seht ihr Perlen leuchten
Auch im hellsten Freudenblick.
Thränen hat der Schmerz geboren,
Freudenthränen giebt es nicht,
Sind wir doch zum Leid erkoren,
Bis im Tod das Aug' uns bricht.
[411]Wert der Freundschaft
Wenn noch so weit des Goldes reicher Segen
Den niedern Alltagssorgen dich entrückt,
Des Paradieses Pracht dein Aug' entzückt
Und freudig sich des Geistes Schwingen regen;
Wenn Blumen blühn auf allen deinen Wegen
Und Frauenlieb' dein Leben herrlich schmückt:
So bist du ohne Freund nur halb beglückt
Und wirst Befried'gung nicht im Busen hegen.
Sei arm an Gütern, überreich an Sorgen,
Und nenne dein ein treues Freundesherz,
Das für dich glüht, so bist du wohlgeborgen!
Ward dir ein Freund, der voll erfaßt dein Streben,
Dann trägst du stark des Daseins Leid und Schmerz,
Dann fühlst du ganz, wie schön das Menschenleben!
An die Schriftsteller
Noch überall, sowie in alten Zeiten,
Hält ritterliche Krieger man in Ehren,
Und wenn sie aus dem Kampf als Sieger kehren,
Erschallt ihr Ruhm, ihr Lob in allen Weiten.
Die Ritter, welche mit der Feder streiten,
Soll man nicht minder hoch und warm verehren,
Da sie erfreun, erleuchten und belehren,
Die Kunst, das Wissen fördern und verbreiten.
Sie hegen des Prometheus Götterfunken;
Es schliche ohne sie in Wahn versunken,
In Finsternis dahin der Menschheit Leben.
Drum blühe fort ihr freies Geistesstreben!
Das Schwert hat stolze Siege wohl errungen,
Die Feder aber hat die Welt bezwungen!
[411]Mutter und Kind
Mutter, Mutter, bring mir Blumen,
Leg sie auf mein Bettchen her,
Mit den Blumen will ich spielen,
Andres Spiel mag ich nicht mehr! —
Ach, mein Liebling, wie so gerne
Brächt' ich recht viel Blumen dir,
Doch der Frühling ist noch ferne,
Kalt und eisig ist es hier! —
Stille legt das Kind sein Köpfchen
Auf das weiche Kissen hin,
Engel mit den schönsten Blumen
Sieht es da vorüberziehn.
Und mit süßem Lächeln reichen
Sie ihm alle Blumen hin,
Und die Mutter, bang erschauernd,
Sieht ihr Kind zu Engeln fliehn.
Als der Frühling wiederkehrte,
Sank die Mutter auch ins Grab;
So der Blumen reichste Fülle
Trägt sie ihrem Kind hinab.
Rückkehr zur Natur
Als hätt' uns längst ein Zwist geschieden,
Der nun geschlichtet wunderbar,
So trat ich ein in deinen Frieden
Und ward im Tiefsten warm und klar.
[413]Ich sah das Meer sich leuchtend dehnen,
In Frühlingswonnen stand die Flur,
Da warf ich wieder mich in Thränen
An deine Mutterbrust, Natur!
Ich kannte dich, und doch im stillen
Trotzt' ich der Liebe, die mich zwang,
Die um so spröden Eigenwillen
So zarte Fesseln freundlich schlang.
Am Geiste sucht' ich mein Genügen,
Und eine Schwäche schien mir's nur,
Mich unter deine Zucht zu fügen
Und still zu wandeln deine Spur.
Du schwiegst, und fort und fort im Traume
Geselltest du dich noch zu mir,
Den nicht'gen Unmut zu zerstreuen,
Und riefst so sanft: „Ich bin bei dir!“
Du sahst mich an aus Himmelsreine,
Aus Wald und Blumen mütterlich —
Umsonst! nicht war ich mehr der Deine,
Und so verscherzt' ich dich und mich.
Empfinden sollt' ich's. Wie die Schwüle
Des engen Tagwerks mich empfing,
Wie mir im hastigen Gewühle
Der gleiche Mut verloren ging —
Der Leib verfiel dem lange Kranken,
Die Seele zittert' in der Pein,
Da zogen sehnliche Gedanken
An deine Heilkraft in mich ein.
Und nun — o magst du schon den Knaben
Die noch verhüllte Seele weihn,
Dem Mann aus hundert Quellen laben,
[414]Dem Greisen eine Freistatt sein:
Nur, wer genest, fühlt ganz tief innen
Die Fülle deiner Liebeskraft,
Und rein und reizbar noch an Sinnen,
Umfängt er dich mit Leidenschaft,
So nimm mich wieder, hehres Leben,
In deinem Schoße birg den Sohn!
Du lächelst mir, du hast vergeben
Und segnest den Verirrten schon.
Du übertönst mit Vogelstimmen
Die Beichte, die dein Ohr vernahm,
Und in des Morgens Glühn und Glimmen
Begräbst du dieses Rot der Scham.
Die Todeswürfel
Ballade (nach einer wahren Begebenheit)
I.
„O Mädchen, hüte dein Augenpaar
Und halte dein Zünglein im Zaum;
Bist rosig und fein, hast lockiges Haar,
Doch Jugend flieht rasch wie ein Traum.
Mein Röschen, setz deinen Stolz zur Wehr,
Du guckst mir nach Heinrich zu sehr!“ —
„Ach Vater mein, bist wieder grimmig und wild.
Was Heinrich! auch Ralph bin ich gut!
Schmied ruhig deine Waffen und stähle den Schild,
Dein Röschen ist wohl auf der Hut.
Das bißchen Geplauder am Brunnenstein
Kann doch wahrhaft nicht Sünde sein!“
[415]Der Vater kehrt zum Amboß zurück,
Holt aus zu wackerem Schlag:
„Das Mädel ist mein einziges Glück,
Doch macht's den Gedanken Plag' —
Ich kann's nicht erziehen — du liebe Not,
Und die Mutter so lange schon tot!“
Schön Röschen plaudert am Brunnenrand
Und kichert im Mondenschein,
Der schmucke Heinrich hält ihre Hand —
Sie glauben sich beide allein.
Zum Liebesgeflüster das Brünnlein rauscht, ...
... Es hat doch niemand gelauscht? ...
II.
Es fliegt die jähe Schreckenskunde
Von Mund zu Munde
Die Straßen entlang der weiten Stadt,
Daß man zu später Abendstunde
Mit tiefer Wunde
Ein Mädchen ermordet gefunden hat.
„Das einz'ge Kind des Schmiedes Walter!
... Im Blütenalter!“ —
„Du meinst doch Röschen, sein Kleinod, nicht?“ —
„Da droben liegt ihr Leib, ihr kalter!
— Bet einen Psalter —
Daß ihrem Vater das Herz nicht bricht!“
Den Mörder an das Licht zu bringen,
Will nicht gelingen.
Ob's Einer that, ob ein Andrer half? ...
Doch endlich begann nach langem Ringen
Verdacht zu dringen
Auf zwei Soldaten: Heinrich und Ralph.
[416]Schon ward's versucht, mit Folterleiden
Sie zu bekleiden,
Doch keiner bekennt die schwere Schuld;
Drum soll ein Gottesgericht entscheiden: —
Wer war's von beiden?
'S wird morgen klar. Bis dahin Geduld.
III.
Der strenge Kurfürst sitzt im Richtersaale,
Von allen Würdenträgern ernst umgeben.
Zwei Würfel liegen in der Marmorschale
Bereit, das Gottesurteil kund zu geben.
Bei denen, so zunächst am Throne standen,
War Walter auch, der Waffenschmied. Wie wanken
Die Kniee ihm, da er in Eisenbanden
Die „Zwei“ geführt sieht vor die Richterschranken.
Des Fürsten Auge prüfet rings die Hallen:
„Wer“, spricht er scharf nach kurzem Sinnen,
„Die kleinste Zahl wirft, ist dem Tod verfallen,
So will es Gott ... und Ralph hat zu beginnen.“
Dem zuckt es hämisch um den Mund. Mit Lachen
Nimmt er die Würfel — schüttelt — wirft sie nieder:
„Zwei Sechsen! Ha! wer könnt' es besser machen?“
Doch böses Murmeln grollt da hin und wieder.
Nun kommt die Reih an Heinrich. Tiefe Stille.
Er knieet zum Gebet: „Mein Gott! durchschauen
Kannst du mein schuldlos Herz! Jedoch dein Wille
Gescheh', in dich nur setz' ich mein Vertrauen!“
[417]Und aller Blicke fest an Heinrich hangen,
Der steht, die Hand zum Wurfe hoch gehalten.
Und als die Würfel knatternd niedersprangen,
Hat sich der eine jäh entzwei gespalten.
„Sechs — eins — und sechs! so steht es auf drei Steinen.“
Viel hundert Stimmen in Verwundrung brechen ...
Doch Ralph, von Schreck erfaßt, schreit auf mit Weinen:
„Aus Eifersucht beging ich das Verbrechen!“
Der Kurfürst blickt zum Himmel tief betroffen,
Und alles Volk mit ihm die Hände faltet:
„Du machst zu Schanden nicht, die auf dich hoffen;
Du bist der Gott, der als Gerechter waltet.“
Frühlingsladung
Rings Frühlingslust und Frühlingspracht
In Haide, Moor und Hain;
Vorbei, vorbei des Winters Nacht,
Der Lenz, der Lenz ist aufgewacht,
Springt in die Welt hinein. —
Die Vöglein singen: Komm zu mir!
Die Blumen duften: Komm zu mir!
O komm zu mir, mein Lieb!
In tausend Blumen blüht empor
All meine Seligkeit;
Es singt der Vöglein süßer Chor
Mir meiner Liebe Wonnen vor,
Mir meiner Liebe Leid. —
Die Vöglein singen: Komm zu mir!
Die Blumen duften: Komm zu mir!
O komm zu mir, mein Lieb!
[418]Die Zweige flechten hier ein Dach
Hoch über dich und mich;
Der Wald ist treu, und treu der Bach —
Nur ich und du sind hier noch wach,
Kein Mensch, als du und ich! —
Die Vöglein singen: Komm zu mir!
Die Blumen duften: Komm zu mir!
O komm zu mir, mein Lieb!
Kommen und Gehen
Es ist ein Kommen — Gehen,
Wohin dein Ange sieht.
Was jetzt du noch umschlossen,
Wer sagt dir, wann es flieht?
Du meinst, es muß dein eigen
Für ewig, ewig sein — —
Du nennest dich ja selber
Nicht einmal ewig dein.
Ach! „ewig“ ist ein Traum nur,
Ist nur ein leeres Wort;
Ach! selbst dein Liebstes reißt dir
Der Tod vom Herzen fort.
Und mutterseelen-einsam
Bist du dann früh und spat —
Drum denke schon beim Kommen,
Daß einst ein Scheiden naht.
[419]Allein
Die Sonn' verlischt, die Abendschatten steigen
Dort aus der Haide so gespenstig grau;
Des Waldes tausend Blätterzungen schweigen,
Nur leise fällt von Ast zu Ast der Tau;
Die Blume schläft, der Sonne letzte Strahlen
Birgt sie getreu in ihres Busens Schrein — —
Nur du, nur du wachst noch in tiefen Qualen
Du bist allein!
Das treuste Herz, das hier für dich geschlagen,
Das Mutterherz, es stockt für immer nun;
Die dich geschützt, die liebend dich getragen,
Die Hände jetzt erschlafft auf ewig ruhn.
Dort liegt sie, dort tief unterm kalten Sande,
Dein Klagen dringt zu ihr nicht mehr hinein,
Zerrissen ist das heiligste der Bande —
Du bist allein!
Ein Mutterherz verscharret man doch nimmer,
Sie lebt in dir, in ihrem Kinde, fort,
Sie tröstet dich, sie schützet dich noch immer —
Das Mutterherz ruht nicht im Sande dort.
Sie wird dich stets noch liebevoll umschweben,
Wo du auch immer in der Welt magst sein —
Die Mutter lebt in ihres Kindes Leben —
Du bist allein! —
Und ich, wie gern, wie gern wollt' ich dich hegen,
Mein Haideröslein, meine wilde du,
Wie gern dein Haupt an meinen Busen legen
Und fingen deine Sorgen all' zur Ruh;
[420]Wie gern doch wollt' ich — — düstre Wolken steigen,
Am Himmel stirbt der letzte rote Schein;
Bang' flüstert es und schaurig in den Zweigen —
Du bist allein!
Sei mitleidsvoll
Sei mitleidsvoll, o Mensch! Zerdrücke
Dem Käfer nicht die goldne Brust,
Und gönne selbst der kleinen Mücke
Den Sonnentanz, die kurze Lust!
Ein langes, mütterliches Bilden
Hat rührend in der Larve Nacht
Gereift an diesen Flügelschilden
Den Schmelz von grünmetallner Pracht.
Er muß nach einem Sommer sterben,
Wo du dich siebzig Jahre sonnst;
O laß ihn laufen, fliegen, werben,
Er sei so prachtvoll nicht umsonst.
Ein Wasserwürmchen lag im Moore,
Vom Himmel träumend, fußlos, blind:
Da wächst ihm Fuß und Aug'; am Rohre
Ersteigt es Lüfte, warm und lind.
Von Sommerglut getrocknet, springen
Die Gliederschalen; blaue Höhn
Erstrebt's auf zart gewobnen Schwingen
Und summt: Wie schön, wie wunderschön!
[421]Nun ist's in seinen Himmelreichen;
Sein höchstes Glück — ein Tag umspannt's.
So gönn ihm nun mit seinesgleichen
Den Elfenchor im Abendglanz.
Sei mitleidsvoll! Was wir erfuhren,
Das schläft im Stein, das webt im Baum,
Das zuckt in allen Kreaturen
Als Dämmerlicht, als Fragetraum.
Sei mitleidsvoll! Du bist gewesen,
Was todesbang vor dir entrinnt.
Sei mitleidsvoll! Du wirst verwesen
Und wieder werden, was sie sind.
Sei mitleidsvoll, o Mensch! Zerdrücke
Dem Käfer nicht die goldne Brust,
Und gönne selbst der kleinen Mücke
Den Sonnentanz, die kurze Lust!
Warten in Geduld
Wir warten, weil wir müssen,
Gar manchen lieben Tag,
Stumm, ohne je zu wissen,
Wie bald es enden mag.
Wir warten ohne Klage
Und schlafen drüber ein —
Doch ernst ertönt die Frage:
„Heißt das geduldig sein?“
Geduld heißt, nicht ermüden
Im schweren Gram und Leid;
Geduld ist tiefer Frieden
Im wilden Kampf und Streit.
[422]Geduld heißt, vorwärts gehen,
Wenn uns die Kraft versagt;
Geduld heißt, aufwärts sehen,
Bis uns die Sonne tagt.
Geduld ist unermüdlich
Auf der gewies'nen Bahn;
Geduld ist still und friedlich
Im wilden Ozean.
Herr, brechen Sturm und Wellen
Wild über mich herein,
Daß sie mein Schiff zerschellen, —
Hilf mir, geduldig sein!
Ade — auf Wiedersehn
Es giebt ein Wort im Leben,
Ein bittres Abschiedswort,
Das wird uns mitgegeben
Von manchem trauten Ort.
Es bringt dem warmen Herzen
Gar oft ein schneidend Weh,
Entzündet tiefe Schmerzen,
Das kleine Wort „Ade!“ —
Doch giebt's ein Wort dagegen,
Das man beim Scheiden sprach,
Das tönt auf fremden Wegen
Als süßes Echo nach.
Wer Trennungsschmerz empfunden,
Lernt erst dies Wort verstehn,
Den Stern in Trennungsstunden,
Das Wort: „Auf Wiedersehn!“
[423]Der Riese ven Mariposa
Des dunklen Hochwalds schweigende Domäne
Erstreckte sich ringsum — der Mariposa-Hain —,
Dahingebaut auf grüner Bergeslehne
Vor der Sierra türmendem Granitgestein;
Der schlanken Föhren Wipfel schienen
Dem Himmel nah, — doch über ihnen
Erhoben gewaltige Säulen, belaubt,
Die Fürsten im Urwald, ihr mächtiges Haupt.
Wie ist so klein der Mensch vor deinen Bauten,
Du herrliche Natur, die mit verborgner Kraft
Aus eines Samenzapfens zarten Rauten
Der Mammutbäume riesige Gestalten schafft!
Jahrtausende sind schon verflossen,
Seit jene aus der Erde sprossen:
Doch die Baumgiganten werden noch stehn,
Wenn neue Jahrtausende kommen und gehn!
Du grüner Dom liegst da im dunklen Schatten,
Wie eines Gottestempels ernster, heil'ger Raum;
Wie Opferflammen loht's aus moof'gen Matten —
Der feuerroten Blumen prächt'ger Frühlingstraum!
Des Urwalds Tote sind ein Bildnis
Gefallner Größe in der Wildnis;
Die lebendigen Säulen, mit rötlichem Kleid,
Sind wie lichte Gedanken der ewigen Zeit.
[424]Hier ragt empor mit den gewalt'gen Ästen,
Als wollt' den Himmel er ergreifen, ein Koloß
In königlicher Pracht: man nennt im Westen
Den „grauen Riesen“ ihn. Stolz meidet er den Troß
Der Fichten, welche wie Pygmäen
Im weiten Kranze um ihn stehen.
In den Wäldern der Erde ist keiner ihm gleich;
Der Hain Mariposa sein grünendes Reich!
Ich stand an seinem ungeheuren Stamme
Und blickte schweigend auf zu seinem grauen Haupt,
Das einst zerrissen von des Blitzes Flamme,
Und dem die Stürme längst der Krone Schmuck geraubt.
Es konnte nehmen ihm die Blüten
Der Elemente grimm'ges Wüten:
Doch die Macht der Orkane, des Donnerers Strahl
Hat nie ihn erschüttert ein einziges Mal!
Als der Koloß, ein schwaches Reis, dem Schoße
Der dunklen Erd' entstieg, zuerst die Sonne sah,
Lag dieser Kontinent, der reiche, große,
Als unbekannte Welt noch ganz vereinsamt da.
Es saßen damals auf den Thronen
Am heil'gen Nil die Pharaonen,
Und am Tigris, am Euphrat war Leben und Macht,
Und Ninive blühte, voll Reichtum und Pracht.
Des Morgenlandes mächt'ge Völker starben,
Und immer neue kamen, die die Zeit gebar;
Du, Urwaldsriese, trägst die alten Narben,
Noch immer ungebrochen, schon manch tausend Jahr!
Ob wohl, eh dich die Stürme fällen
Und deine Pracht im Sturz zerschellen,
Das jüngste der Völker, ein Riese wie du,
Sich gelegt, wie die alten, zur Grabesruh?
[425]Die Jugend lieb' ich
Die Jugend lieb' ich! — Wenn des Blutes Wellen
Bedächt'ger in gereiften Jahren fließen,
Und ruhiger nach sturmumrauschtem Leben
Der Geist im innern Sein sich mehr versenket:
Da wird im Seelenaustausch mit der Jugend
Der Puls dir wieder wärmer, schneller schlagen.
Dem Alter gleicht die Stromflut nah am Meere,
Die langsam sich im tiefen Bett beweget.
Es fühlt die Woge, wenn ein steiles Ufer
Sie plötzlich trifft, die Kraft erneuert wieder,
Mit der sie einst im Hochgebirge brausend
Der Felsen Schranken trotzig fortgeschleudert.
Auch ich verkehre gern im Kreis der Jugend,
Der noch die Zukunft voll von goldnen Bildern,
Von Ruhm und Glück. Es scheucht ihr keckes Treiben
Mir von der Stirn die Wolken fort, erwärmet
Das Herz mir, wie erfüllt von Sonnenstrahlen.
Wer denket, wenn die Jahre weiter eilen,
Nicht gern bei sich zurück in stillen Stunden
An seines eignen Lenzes schöne Tage!
Die Jugend lieb' ich! — Ihre Ideale
Sind schöner als die stolzesten Gedanken,
Die eines Denkers ernster Stirn entspringen.
Ihr Feuer ist die ew'ge Opferflamme,
Daran die größten Thaten sich entzünden.
Vor allen Völkern, die im Lauf der Zeiten
Der Erde Zonen wechselvoll bewohnet,
Bist, Hellas, lieb du mir, du heitre Jugend
Der Menschheit, die den Kranz von ew'gen Rosen
Du selbst dir lächelnd um das Haupt gewunden!
[426]Das Dasein ist so kurz! Drum will ich weise
Des Lebens Lenz an meine Schwelle laden,
Daß er auf meinen Pfad des Frohsinns Blüten
Verschwenderisch, mit offnen Händen, streue.
Im Spätherbst soll man mir den Wein kredenzen,
Worin die Sonne ihre Glut gekeltert.
Und kommt mein Winter, will ich Blumen suchen,
Mich dran zu freun — wie wenn aus schnee'ger Decke
Der Krokus golden sich zum Lichte dränget.
Ein Reiterstücklein von 1870
„Die Fahnen wehen, die Trompeten blasen,
Zu Hause bleiben Kinder nur und Hasen;
Frisch auf, den rost'gen Säbel umgeschnallt,
Zu Roß und auf den frechen Feind geknallt!“ —
Ein wackrer Reitersmann das hat gesprochen,
Zwar weiß an Haar, doch markig in den Knochen,
Ein Edelmann, der nicht nur von Geblüt
Zu sein sich rühmt, der's ist nach dem Gemüt.
Und aus Berlin zieht freudig unser Held
Für's teure Vaterland ins Schlachtenfeld;
Wohin er kommt, der Franzmann hält nicht Stand,
Und mancher sinkt für immer in den Sand.
Gefangen sind der Feinde längst die Fülle,
Und so gebietet nun ein höh'rer Wille:
„Die Fresser lasset laufen!“ — Der Soldat
Gehorcht, den Führern läßt er gern den Rat.
[427]Und unser Freiherr eben ist im Jagen,
Als sie die neue Ordre ihm ansagen;
Er macht ein schief Gesicht, mit seiner Schar
Umzingelt hält er an die hundert gar.
„Wie, sollt' ich mir den Ehrenpreis vergeben,
Den Kerlen Freiheit schenken und das Leben?
Nein, nein! O Schlauheit, stehe jetzt mir bei:
Ich hab's gefunden, des Columbus Ei!
— Heda, ihr, abgezogen stracks die Hosen!
Und nun vorwärts, sonst giebt es auf den Bloßen!“ —
Die laufen lebensfroh, wohin er wies,
Und kommen graden Weges nach Paris.
Ob sie noch etwas außer ihren Ohren
Auf diesem Marsche haben sich erfroren,
Nicht weiß ich es, die Hosen zeigt der Welt
Als Siegeszeichen in der Hand der Held.
Und das aus der Historie man kann
Ersehen, daß ein preuß'scher Edelmann
Ein richt'ges Herz und Kraft in Kopf und Beinen
Stets mit Gehorsam auch versteht zu einen.
Oratio pro domo
Gute Menschen sind die Dichter,
Glaube nur es meinem Worte;
Nimmer sind sie Splitterrichter,
Schleichen nicht zu fremder Pforte;
Haben voll von sich die Köpfchen
Und nicht Zeit für andrer Sachen,
Böse nur, wenn sich ein Tröpfchen
Über sie will lustig machen.
[428]Wolkenschatten
Wenn hell die Welt im Sonnenlichte prangt
Und blau und heiter glänzt der Himmelsbogen,
Zieht oft, dem Menschenauge sichtbar kaum,
Ein leichtes Wölkchen an der Sonn' vorüber,
Verhüllend nicht ihr leuchtend Angesicht,
Doch ihre Strahlengluten sanft verschleiernd.
Und wie die Ahnung durch die Menschenbrust,
Zieht leis ein Schatten über Thal und Hügel;
Schnell flieht er, wie er nahte, und die Erde
Blickt fragend auf, weiß nicht, wie ihr geschehen.
Im Freudenrausche des ersehnten Glücks,
In seines Lebens höchster Wonnestunde,
Wenn Gegenwart und Zukunft golden winkt,
Vergangenheit selbst scheint in mildem Lichte,
Zieht durch das hochentzückte Menschenherz
Ein Schauer stiller, schmerzlich süßer Wehmut.
Umschleiernd froher Augen hellsten Glanz,
Schwebt wie ein sanfter Hauch er durch die Seele,
Im Augenblicke reinsten Erdenglückes
Der Wolkenschatten einer höhern Welt.
Enge und Weit
Im Lenz und Sommer mag ich gern
Den Blick ins Weite schweifen lassen;
Wie glänzt, wie prangt es nah und fern
Von frischem Grün und Blütenmassen!
Da thut das Herz gar weit sich auf,
Es möchte aus der Brust enteilen,
Zur Ferne richten seinen Lauf,
Mit allen seine Freude teilen.
[429]Doch wenn der Herbst vorüberwallt,
Die Blüten ab, die Blätter streifet,
Der Himmel trüb, der Wind so kalt
Das Totenlied der Erde pfeifet:
Da wird es einsam mir zu Mut,
Seh' ich die unermess'nen Grenzen,
Nach innen blick ich, seh' die Glut
Des heim'schen Herdes froh erglänzen.
Im Lenz des Lebens scheint die Welt
Uns auch von Blütenglanz umgeben,
Der Hoffnung Morgenrot erhellt
Die Wolken selbst, die uns umschweben,
Das junge Herz, so voll und weich,
Fühlt sich zu Thaten angetrieben.
Die ganze Welt ist sein Bereich,
Ihr gilt sein Streben und sein Lieben.
Doch wenn des Lebens Sommerglut
Gewelkt der Jugend Ideale,
Entrissen ward das beste Gut
Uns von des Unglücks Wetterstrahle:
Fühlt einsam sich das Herz und bang,
Vom engsten Kreise angezogen,
Wo nur von ferne es den Klang
Vernimmt der lauten Lebenswogen.
[430]Wenn's schneiet rote Rosen, wenn's regnet kühlen Wein
„Der Abendsonne Feuer erlischt schon auf den Höhn,
Ade, nun muß ich scheiden auf Nimmerwiedersehn!“
„Ach, kehrst du niemals wieder, Herzallerliebster mein?“ —
„Wenn's schneiet rote Rosen, wenn's regnet kühlen Wein!“
Und fort ist er gezogen; noch von des Berges Wand
Sah grüßend sie ihn schwenken das Tüchlein in der Hand;
Und hat ihm nachgeschauet so lang' in bittrem Schmerz,
Bis ihr in tausend Thränen zerflossen ist das Herz. —
Wohl ist zurückgekehret der Knab' nach langem Jahr,
Da lag im tiefen Grabe, die seine Wonne war;
Da sproß auf ihrem Hügel lang' schon die Rose rot:
„Was blühst so hell, o Rose? Dein Schwesterlein ist tot!“
Zum Grabe thät er schreiten und nieder thät er knien,
Da warf die Blütenblätter der Rosenstock auf ihn;
Da fielen Tau und Thränen: „Du Heißgeliebte mein,
Nun schneit's ja rote Rosen, nun regnet's kühlen Wein.“
Kunst und Natur
Wohl ist das höchste Kunstwerk die Natur,
Doch ist's nicht Kunst, sie einfach zu kopieren,
Von Holz und Erz, Papier und Marmor nur
Als Photograph ihr Bild zu reflektieren.
Im besten Falle wär' es nur — Natur,
[431]Wenn's noch gelänge, treu es auszuführen;
Doch lockt sie gar zu gern auf falsche Spur
Die, um zu stehlen, nur die Finger rühren.
Kunst ist Natur, vom Menschengeist geboren!
Ureignes Werk, nicht toter Schattenriß
Von der, die Leben sprüht aus tausend Poren!
Ureignes Werk! doch so, daß Gott gewiß,
Beliebt es ihm, auf sich es könnte nehmen
Und brauchte doch sich dessen nicht zu schämen.
Ein Greis
Ich bin ein Greis! Wo sind des Lebens Blüten?
Die Flammen wo, die in der Brust mir glühten?
Wo ist der Sehnen Kraft? Des Geistes Licht?! —
Der Geist ist trüb, die Sehne spannt sich nicht;
Statt Blüten dürres Laub, statt Gluten Eis!
O Wort voll düstern Klangs: ich bin ein Greis!
Ich bin ein Greis! Das ist der Rest des Lebens,
Der Jünglingsträume und des Mannesstrebens;
Entschwunden ist das Hoffen und die That!
Das ist die Frucht der ganzen Lebenssaat!
O bittrer Hohn für den, der endlich weiß,
Was uns das Leben bringt! Ich bin ein Greis!
Ich bin ein Greis! Mein Herz war jung geblieben,
Das arme Herz! Es wollte Menschen lieben,
Es dürstete — man reicht' ihm bittren Trank!
Nun kann's nicht lieben mehr, nun ist es krank;
Nach Liebe pocht' es um des Lebens Preis
Und blieb so liebeleer! Ich bin ein Greis!
[432]Ich bin ein Greis! Bald schließen sich die Augen,
Die, trüb und matt, fürs Licht des Tags nicht taugen,
Bald schließen sie zum letzten Mal sich zu!
O, frene dich, mein Herz, du kommst zur Ruh;
Nun halte ein und poch nicht mehr so heiß —
'S ist bald genug, genug! Ich bin ein Greis!
Das Schicksal
Du klagst das Schicksal an ob seines Grollens?
Das Schicksal steht nicht über uns, nicht fern;
Wenn du dir klar bewußt bist deines Sollens,
Macht dich dies Wissen zu des Schicksals Herrn.
Es giebt kein Fatum, das da oben thronet,
Das fremd und kalt dein irdisch Los bestimmt,
Das blind ins Leben greift und keinen schonet,
Und launenhaft die Güter schenkt und nimmt.
Dein Schicksal bist du selbst! Du bist der Richter,
Wie du sein Schöpfer bist — nur du allein!
Nur du bist deines wahren Glücks Vernichter —
Was man dir rauben konnte, war nur Schein!
Sieh! Was du bist, das hast du selbst geschaffen,
Doch, kaum geschaffen, ward es dein Despot;
Nun zwingt es dich mit deinen eignen Waffen
Und heischt Gehorsam dem, was es gebot.
So folge ihm, es wird dich sicher leiten;
Wohin es wandelt, wandelt dein Geschick,
Und mag der Weg dir Kummer nun bereiten —
Auch aus dem Kummer strahlt ein Segensblick.
[433]Du bist's ja selbst! was Fremdes dir begegnet,
Das ist ein flücht'ger Staub, der bald verweht;
Doch wenn dich eignes Glück und Leiden segnet,
Ein Segen ist's, der immerdar besteht.
Denn deinem eignen Wesen ist's entstiegen,
Du hast's geschaffen dir, aus eignem Sein,
Drum — willst du, Mensch, des Schicksals Macht besiegen —
Besiege dich — dann ist das Scepter dein!
Die Rechte der Frauen
Ihr wollt der Freiheit eine Gasse machen,
Sie soll erlösend ihre Fahne schwingen;
Ihr kämpft voll Mut für euch, fürs Recht der Schwachen,
Und wollt das Recht zum Schaffen euch erzwingen!
Geht kühn voran; Georg bezwang den Drachen,
Und so auch werdet ihr den Sieg erringen;
So manche Geistesschlacht wird jetzt geschlagen —
Nicht für die Starken nur soll Freiheit tagen!
Wie edel ist das Ziel, für das ihr streitet!
Nicht träge Lust, nicht üppiges Behagen
Wird durch den Sieg euch Kämpfenden bereitet:
Ihr strebt nach ernsten, mühevollen Tagen!
Fürwahr, ein edler Stolz ist's, der euch leitet,
Auf schwachen Schultern schwere Last zu tragen;
Ihr habt den Fluch voll Segen nicht vergessen:
Im Schweiß des Angesichts das Brot zu essen!
Ihr wollt für euch das edle Recht, am Leben,
An seinen Zielen eure Kraft zu messen:
Auch ihr seid schaffensfroh, auch ihr wollt streben,
Ihr wollt nicht träg' und müßig ruhn, indessen
[434]Die Männer rastlos an dem Webstuhl weben,
Sie, die bisher dies Recht allein besessen!
Euch soll es schützen vor des Hungers Zähnen,
Und eure Unschuld vor der Reue Thränen!
Das ist des Kampfes Ziel! Ihr werdet siegen,
Doch müßt ihr brechen mit verwegnen Plänen,
Die euch in Träume künft'ger Größe wiegen:
Ihr dürft nach außen nicht zu herrschen wähnen!
Wollt ihr wie Icarus zur Sonne fliegen,
So seht des Abgrunds Tiefe drohend gähnen!
Am Staate nicht, am Herde sollt ihr bauen,
Dort ist die Grenze für das Recht der Frauen!
Das Meerleuchten
Zu einer Zeit, da es der klugen Leute
Viel wen'ger in der Welt noch gab als heute,
Als jeder, was die Weisen sagten, glaubte
Und selbst zu denken niemals sich erlaubte:
Da war die Erde zirkelrund und eben —
Das hatten so die Weisen angegeben;
Da sank die Sonne, wenn ihr Lauf vollendet
Und sie der Welt genug des Lichts gespendet,
Den Himmel schmückend mit den letzten Gluten,
Zu neuem Werk sich stärkend, in die Fluten;
Und war die Nacht vorüber dann gegangen,
Stieg sie vom feuchten Pfühl zu neuem Prangen,
Und legt' so immer, kehrt' der Abend wieder,
Zu nöt'ger Ruh aufs Wogenbett sich nieder.
Das ging, so lang' es ging; doch bösen Zungen
War's endlich wohl nach vieler Müh gelungen,
Dem Meer 'nen Floh — pardon! — ins Ohr zu setzen
[435]Und gegen Helios es aufzuhetzen;
Genug, es sprach zur Sonn' einmal mit Grollen:
„Ich weiß nicht, Herr, was Sie hier bei mir wollen.
Sie kommen nun seit, Gott weiß, wieviel Tagen
Hier in mein Bett, und ohne mich zu fragen!
Will man ein Bett, so muß man es bezahlen,
Sie sind ja reich genug an goldnen Strahlen;
Bei Geldgeschäften, sagen mir die Leute,
Hat die Gemütlichkeit ein Ende heute;
Drum, wollen Sie noch ferner bei mir wohnen,
So mögen Sie den Beutel auch nicht schonen!“
So sprach das Meer. Was sollt' die Sonne machen?
Es war ein schlimmer Fall und nicht zum Lachen;
Die Weisen sagten, daß ins Meer sie tauche,
Und denen glaubte man — nach altem Brauche —
Und so auch sie und mußte drum sich fügen,
Der Forderung des Meeres zu genügen.
Sie feilschten hin und her; das Meer verlangte,
Daß von dem Glanz, mit dem die Sonne prangte,
Mit dem sie tags auf seinen Wellen spielte,
Es einen Strahl als Zahlung stets erhielte,
Den es der Sonne abends, wenn sie käme,
Gleich für den Tag von ihrem Haupte nähme.
Wär' nun die Sonne klug wie wir gewesen
Und hätt' manch astronomisch Werk gelesen,
So hätte sie im Streit den Sieg errungen,
Mit einem Worte, ihren Feind bezwungen;
Sie hätte ihm gesagt — was jeder Knabe
Heut weiß — daß sich die Sonne niemals labe,
Daß es nicht Nacht für sie, noch Ruhe gebe
Und daß sie leucht und wach', so lang' sie lebe.
Doch das ist ja das Übel für die Dummen,
Die nichts gelernt: sie müssen gleich verstummen.
So ging's der Sonne hier! Und Advokaten,
[436]Die gab es damals nicht, um ihr zu raten;
Kurz — da das Meer geschickt verstand zu sparen,
Ward es an Strahlen reich nach wenig Jahren! —
Da, eines Tags — es ist mir noch wie heute! —
Da riefen plötzlich all' die weisen Leute:
Die Erde gleiche nicht mehr einer Scheibe —
Nein, einer Kugel, die sich selber treibe,
Die niemals still auf einem Flecke stehe
Und gar sich um die eigne Achse drehe;
Auch steh' die Sonne fest am Himmelsbogen
Und schlafe nachts nicht in den Meereswogen. —
(So schnell zwar war die Meinung nicht gekommen,
Wie's hier erzählt wird zu der Leser Frommen;
Doch wenn wir all die Thorheit euch erzählten,
Mit der die Weisen Welt und sich zerquälten,
Würd's eurem Kopf so wie der Erde gehen:
Er hielt's nicht aus und fing' an sich zu drehen. —)
Die Sonne hörte das, und auf der Stelle
Ward eine Sache ihr ganz sonnenhelle:
„Schlaf' ich im Meer nicht, brauch' ich nichts zu zahlen,
Und so behalt' ich lieber meine Strahlen.“
Das Meer verlachte zwar die neuen Lehren,
Doch konnt' es nicht den Strahlenschatz vermehren;
Denn wie's auch grollen mocht' und wütend toben,
Der Mietkontrakt, der wurde aufgehoben!
Nun dacht' das Meer gar blutig sich zu rächen
Und fing gleich an die Strahlen zu zerbrechen,
Daß sie zu Funken wurden, zu Millionen,
Nicht einen wollte seine Wut verschonen!
Als nun die nächste Nacht kam, still und dunkel,
Da lacht' das Meer: „Auch ich hab' mein Gefunkel!
Nun kommt die Zeit, wo ich des Feindes lache
Und wo ihn treffen soll des Meeres Rache:
Lass' ich die Funken auf dem Wasser scheinen,
[437]Wird man der Sonne Glanz zu sehen meinen,
Und so mach' ich mit ihrem eignen Lichte
Die geiz'ge, stolze Sonne noch zu nichte!“ —
Das ist der Grund, warum die Wellen leuchten;
Doch es gelang noch nicht dem Schaum, dem feuchten,
Das Sonnenlicht vom Himmel zu vertreiben —
Und vor der Hand läßt's wohl das Meer auch bleiben.
Die Genien der Menschheit
In blühenden Gärten, wo sich ergingen
Lustwandelnde, wo vom Baum
Die Purpuräpfel niederhingen,
Wo Quellen ergossen den Silberschaum
Vom Felsen sprudelnd im Schattengrün,
Wo Kinderreigen
Und Festlied war und Rosenblühn,
Wo sich zum Meer
Der Himmel schien herabzuneigen,
Da sieh, von den Bergen zückt Speer an Speer,
Es droht der Erobrer, es donnert sein Heer;
Ein Blick von ihm, es richten die Schlangen
Von Erz sich auf, es sinkt verdorrt
Der Garten in Flammen, er spricht ein Wort,
Und Paradiese sind untergegangen.
„Heil ihm!“ jauchzen die stolzen Fanfaren,
„Weh ihm!“ zittern die Thränen im Staub,
„Heil ihm!“ rufen die siegstrunkenen Scharen,
Die Kriegerscharen, beladen mit Raub,
[438]„Fluch ihm!“ die rauchenden Trümmer, die brandroten
Nachtwolken, und „Fluch ihm! Fluch!“
Die starrenden Blicke der Toten
Und der Schlachtfelder Leichentuch.
„Mög' er schlachten,“ stöhnt es, „schlachten,
Bis ihm graut auf seiner Höhe.
O, daß alles Leben entflöhe,
Wohin er kommt! Was hilft ihm sein Beten,
Sein Almosengeben, es kann
Dem Schöpfer doch nicht gefallen sein Niedertreten,
Oder es gliche Gott ihm, und dann, ja, dann
Wär' auch die Gottheit nur ein Tyrann;
Und das leugnet mir höchstens das Lallen
Der Unschuld, davon lebt in allen
Geschöpfen kein Gegenbeweis,
Denn alle leiden, alle nur umschließt
Der Vernichtung rauchender Feuerkreis,
Und aus ewigen Wunden fließt
Der unaufhörliche Schmerz des Seins,
Der Wesen aller laut und stilles Klagen.“ —
So kann er zu sich selber sagen
Und dastehn, ein klagender Enkel Kains.
„Und ja, er hat recht,“ spricht gewitterschwer
Die Wolke hierauf, „er soll streiten;
Ich will ihm die Wege bereiten,
Ich schick den Hagelschauer vor ihm her,
Dann kann er schreiten
Mit seiner Elefanten und Bogenschützen Heer
Und ungehindert zu Tode reiten,
Denn seiner Ehre Geltung wiegt mehr
Als alle die Ähren, die da sprießen,
Wovon an ihrem Herde
[439]Die Menschen ihr Brot genießen,
Auch düngt er ja nur die Erde
Mit Blutvergießen.“
„Heil ihm!“ jauchzen Trompeten des Siegs,
„Heil ihm!“ die gefüllten Pokale
Und all' die großen Tugenden des Kriegs
Mit wehendem Banner, im glänzenden Stahle,
Der trotzige Mut, der sich im Grauen
Der Schlacht bewährt, des Geistes Kraft
In seiner strahlendsten Eigenschaft,
Im Lenken der Massen und Überschauen,
Und, wenn schon die Todeswunde klafft,
Noch im unerschütterten Selbstvertrauen.
Doch wehrend erhebt sich dagegen die Hand
Des Fleißes am Pflug, der Armen
Zufriednes Genügen, die Freude, das Band
Des Blutes, alles schmäht ihn, nur das Erbarmen
Geht mit ihm, aber weinend im Trauergewand.
„Wen kümmert noch,“ sagt es, „nach Jahren,
Was unterging an Leben und Menschenglück,
Worüber die Sichelwagen weggefahren?
Nur Namen in Steinen blieben zurück,
Ein Frösteln der welken Kränze
Und über Grabblumen der Schatten Spur.
Wer fragt, ob denn die Natur
Noch immer geduldig ergänze,
Was frevelnd der Mensch zerstört, zertritt?
Ist sie die stumme, trauernde Niobe nur,
Ohnmächtig, oder fühlt sie nicht mit?“
Doch dort, wo niemals noch Blut geflossen,
Auf höchster Gebirge Graten,
Da stürmen heran auf Flügelrossen,
[440]Hellschimmernd wie der Stern am Pol,
Die Genien guter Thaten,
Um über der Menschheit Wohl
Und ihre Zukunft zu beraten.
„Ich,“ beginnt einer im Lichtgewand,
„Schlachtfelder durcheil' ich, ich suche
Neu zu verknüpfen das Band
Der Völkereintracht, das vom Fluche
Des Krieges zerrissen; ich biete die Hand
Zum Frieden über Schutt und Rauch,
Wenn das geordnete Mordwerk vorbei;
Aus sterbenden Blicken und letztem Hauch
Samml' ich die von Schwertern, vom Todesblei
Zerschnittnen Leben, die verlornen
Gedanken, die im Kampfgeschrei
Erstickten Gefühle, — den Ungebornen
Bewahr' ich sie — denn keine Sekunde
Von dem, was Gutes ein Mensch gedacht,
Gewollt, gestrebt, geht mir zu Grunde,
Es wird durch mich neu zum Leben gebracht.
So hinter den blutigen Schnittern
Schreit' ich durchs Schlachtfeld, ich bin
In ihren Stürmen und Ungewittern
Der Menschheit Ährenleserin.
Über dem Kriegsgeschrei
Ruf' ich die Psalmen.
Friede den Völkern sei —
Hütten und Halmen!“
„Und ich,“ spricht ein Flammender, „ich wehre
Der Lüge, dem Vampir, der Schar,
Die nächtlich über dem stummen Heere
Emporsteigt, um den Altar
Dem Götzen des Stolzes aufzurichten,
[441]Ich rufe der Zeit und dem nagenden Frost,
Auf daß sie das Denkmal, daß sie mit Rost
Die prahlende Schrift in Erz vernichten.“
„Und ich,“ rief ein Dritter, „ich bin zu Schiff
Und bin in der Stürme Gefahren
Bei der Männer vereinten, mutigen Scharen.
Auch gegen des Feuers Übergriff,
Auch im Bergschacht, im Kohlendampf,
Mit der länderdurchfurchenden Züge Lenkern,
Mit der Forschung unermüdlichen Denkern,
Überall führ' ich den edlen Kampf
Gegen der Elemente blinde Wut,
Werke des Friedens nur nenn' ich gut.
Planken und Bretter
Splittern im Sturmgetos,
Mutige Retter
Binden die Boote los.
Hilfreich sein — das allein ist groß!“
„Ich,“ sprach der Hellste dann, „ich gründe
Für ein künftiges, bess'res Geschlecht
Menschlichkeit, aller Völkerbünde
Höchstes Gesetz und erstes Recht.
Dann werden wir sie sehn
Festlich nur jene Tage begehn,
Wenn ein Werk des Geistes ward erdacht,
Wenn edle Thaten geschehn,
Wenn ein kühn Unternehmen ward vollbracht,
Wenn schönem, innigem Streben geglückt
Eine Schöpfung der Kunst, die alles entzückt!
Wenn sie dann mit bekränztem Pokale
Schreiten zum festlich gemeinsamen Mahle,
All der Kühnen wird froh gedacht,
[442]Die des Eises Feste gebrochen,
Die des Polarmeers ewige Nacht,
Felsen und trennendes Land durchstochen
Und die Wüste fruchtbar gemacht;
Aller auch, die Blut und Leben
Gegen Willkür und Übermacht
Todesfreudig dahingegeben.“
Also die Genien, und heiligen Mutes
Über verwüstender Heere Zug,
Über den Strömen vergossenen Blutes
Schwingt sich der Zukunft entgegen ihr Flug. —
Der Mensch des XIX. Jahrhunderts
Wie stolz und groß in des Jahrhunderts Mitte
Steht jetzt der Mensch, ein Herr der Welt,
Und vorwärts, vorwärts richtet er die Schritte
Durch Nacht zum Licht, ein Sieger und ein Held.
Der Elemente Geister neigen
Sich dienstbar seiner Herrlichkeit
Und schlingen brausend ihren Reigen,
So wie sein Blick gebeut.
Er winkt — und sieh: das Dampfroß keucht daher
Und trägt geduldig jede Last,
Die er ihm auflegt, ob sie noch so schwer,
Hin, wo er will, mit Sturmeshast. —
„Zu langsam,“ murmelt er; — da muß der Blitz
Des Herrscherwortes Träger sein
Und, beugend sich vor Menschenwitz,
Ihm Flügel leihn.
[443]Griesgrämlich grollt das graue Elternpaar:
Der Raum, die Zeit, dem Übermut
Des jüngsten ihrer Kinder, dem die Schar
Ältrer Geschwister allen Willen thut.
Es lacht das Kind, der Mensch, zu ihrem Grollen
Und springt vom Schoß der Mutter Zeit;
Umsonst hat Vater Raum ihn halten wollen,
Er hat sich schnell von ihm befreit.
Da zornentbrannt schickt seinen Knecht, den Tod,
Der Alte aus, den Jungen ihm zu langen;
Auch schleicht der Mutter Dienerin, die Not,
Um den verzognen Liebling einzufangen.
Die beiden fassen ihn mit wildem Schnauben;
Er aber schüttelt leicht sie von sich ab:
„Ihr könnt mir meine Glieder einzeln rauben,
Doch lebt der Mensch! Dem Elend und dem Grab
Zum Trotze leb' ich! Die verlornen Glieder
Wachsen mir frischer bald und stärker wieder;
Und als ein Sieger schreit' ich heiter
Dahin, wohin ich strebe, weiter:
Durch Nachtgespenster fort zum Morgenlicht
Der Ewigkeit, das schon durch Wolken bricht!“
So gründet sich der Mensch sein eignes Reich,
In dem er herrschet einem Gotte gleich.
Von ihrem Stuhle stürzt er die Dämonen:
Den Raum, die Zeit, den Tod, die Not,
Und beugt sie unter sein Gebot:
Es müssen dienstbar nun die Alten
Sich beugen vor des Jungen Walten.
Es ward der Mensch zum Herrn der Erde,
Wie's ihm verheißen war von Anbeginn;
Doch daß er königlich geschmückt auch werde,
[444]Ruft er die Künste zu sich hin.
Sie sollen seinen Launen fröhnen
Und seine Sinne reizen zum Genuß;
Er will berauschen sich am Schönen
Und schwelgen in dem Überfluß.
Ein Feuerwerk von blendenden Gedanken
Und sprudelnden Gefühlen soll im Spiel
Vor seinen trunknen Augen schwanken;
Das sei fortan der Dichtung Ziel.
Dann mag Musik erklingen
Zu Becherklang und Tanz,
Um flatternde Locken schlingen
Den duft- und farbenreichsten Kranz.
In lichten Nebeln lasse gaukeln
Die Bildnerei ein Feeenreich,
In üppige Träume einzuschaukeln
Den Herrn der Erde göttergleich.
Und über all dem Schimmer, all dem Flimmer
Auf Marmorsäulen bau' ein schirmend Dach
Architektur, daß Störung nimmer
Eindringe und der Mensch erwach'
Aus seinem süßen, traumbeglückten Schlummer
Zu altem Jammer, abgethanem Kummer.
Der Mensch als Gott will seinen Tempel haben,
Allwo er thront in sichrer Macht
Und sich ergötzt an Opfergaben,
Die Kunst ihm und Natur gebracht.
Es darf das Licht zum heiligen Orte
Nur durch gemalte Fenster gehn,
Und durch die wohlbewachte Pforte
Muß Wohlgeruch und Kühlung wehn.
Auf seidne Kissen hingegossen,
Von der Genüsse luftiger Schar
Umgaukelt, hold von Dämmerlicht umflossen,
[445]So liegt der junge Gott auf dem Altar
Und schaut sein Bild im Spiegel lächelnd,
Den Eitelkeit, die bei ihm steht,
Vor seine Augen hält, indem sie, fächelnd
Mit einem Pfauenschweif, ihm Kühlung weht.
Was ficht den Glücklichen urplötzlich an? —
Er springt empor — er schleudert wutentbrannt
Den Spiegel aus der Hand
Der Eitelkeit, die schnell in Luft zerrann.
„Fluch!“ ruft er, „meinem ganzen Leibe
Ist der Verwesung Brandmal aufgedrückt.
Wer sagt mir, ob ich selber bleibe,
Wenn Glied um Glied mir wird entrückt?
Ich, Herr der Welt, bin nicht mein eigen,
Bin eines andern jämmerlich Gemächt;
Über ein kleines wird sich zeigen
Der Herr vor seinem Knecht.
Dies Haus hier ist kein Tempel, kein Palast,
So wie ich selbst kein König und kein Gott,
Ich hielt, ein Narr, im Narrenhause Rast
Und war mit meiner Tollheit nur zum Spott
All den Dämonen, welche mir zu dienen
Bereit ich wähnte, wenn sie mir erschienen.
Fluch ihnen allen, welche mich bethört,
Und Fluch der Narrenwelt, die ich erschaffen,
Und giebt es einen Gott, der sieht und hört,
So mag sein Blitz zermalmen seinen Affen!“ —
So schreit in der Verzweiflung Jammer
Der Mensch, der jüngst sich Gott gewähnt;
Sein Wollusttempel ward zur Marterkammer,
In der ein Grab ihn schwarz angähnt.
Am Grabesrande sinkt er hin
Und starrt hinein mit wirrem Blick:
[446]„Wer sagt mir, was und wo ich bin,
Und wer enthüllt mir mein Geschick?“ — —
„Ich sag' es dir, vermagst du, mir zu traun —“
So flüstert's leis und sanft ihm zu.
Er blickt umher, doch niemand ist zu schaun;
Er ruft: „Wer sprach? wie heißest du?“
Und wieder flüstert's mild und mitleidvoll:
„Unsichtbar nah,
Bin ich gerufen da.
Die Sorge heiß' ich; doch ich habe
Noch andre Namen. Sage: soll
Ich führen dich aus diesem Grabe
Zu ewiger Wahrheit Hochaltar?
Dort weilt der Künste heilige Schar —“
„Der Künste — nein! ich habe sie durchschaut,
Sie haben heuchelnd mich betrogen;
Ich bin vom Wahn erwacht, mir graut
Vor dem, was sie mir vorgelogen.“
Und wieder sprach's: „Du kennst noch keine Kunst.
Du hieltst für Kunst die eitle Sinnlichkeit,
Die buhlt um Beifall und um Gunst,
Die von der Kunst sich nur den Mantel leiht,
Um zu verbergen ihre Mißgestalt.
Die wahre Kunst ist nicht von dieser Welt,
Und nicht gehorcht sie menschlicher Gewalt;
Sie dient dem großen Geiste unverstellt,
Der die Natur, der die Dämonen, dich
Und alles das, was Wesen hat und Sein,
Erschaffen, Ihm, der seinen Kindern sich
Stets liebreich offenbart, dem sich zu weihn
Die höchste Seligkeit, und den doch nur
Die wenigsten verstehn zu finden,
Weil in sich ihrer Abkunft Spur
In Eitelkeit sie ließen schwinden.
[447]Die Künste sind die holden Himmelsboten,
Die Gott zu seinen Kindern sendet;
Sie steigen nieder zu den Toten,
Das Leben bringend, das Er spendet.
Wohl tragen sie das Kleid der Sterblichkeit,
Auf daß sie irdisch Aug' bemerke;
Doch ist's der Geist und nicht das Kleid,
Womit sie schaffen Gottes Werke.
Willst du sie sehn? An dem Altar der Wahrheit,
Wo sie den heiligen Priesterdienst versehn,
Kannst du sie finden, in des Lichtes Klarheit,
Das dort erstrahlt, erst wirst du sie verstehn;
Denn in dem Spiegel, den die Eitelkeit
Vor Augen dir gehalten,
Hast höchstens du geschaut ihr Kleid,
Doch nie sie selbst in ihrem seligen Walten.“ —
Sehnsüchtig streckt der Mensch die Arme aus;
„So nimm mich hin und führe mich hinaus;
Fort von dem Lügenbau, hin zum Altar
Der Wahrheit, zu der Künste heiliger Schar.“
Da weht ein Atemzug auf sein Gesicht —
Ein leiser Hauch — und ihm entschwindet
Vor seinen Augen jede Spur von Licht, —
Es ist der Mensch — erblindet.
Er schaudert — doch er folgt, als eine Hand
Ihn jetzt erfaßt und sanft ihn vorwärts leitet;
Ihm ist, als ob ein magisch Band
Um ihn und seinen Führer gleitet.
So geht er schweigend, sinnend, lange Wege,
Hört Wasser rauschen, Stürme sausen
Und Flammen lodern, über schmale Stege,
Bergauf, bergab; zuweilen will ihm grausen,
Ein sanfter Händedruck beruhigt ihn;
Zuweilen will die Kraft ihn schier verlassen,
[448]Da fühlt er wunderbar empor sich ziehn
Von Armen, welche herzlich ihn umfassen. —
„Wir sind am Ziele“, flüstert endlich leise
Sein Führer, „und du hast dich treu bewährt;
Auf einer langen, mühevollen Reise
Hast du nach nichts als nach dem Ziel begehrt.
Der Sorge hast du ganz dich hingegeben,
Damit zur Wahrheit endlich du gelangst;
Du hast gering geachtet selbst dein Leben,
Indem du sehnend nach Erkenntnis rangst;
Ob blind, erschreckt und matt, doch unbezwungen,
Bist du zum Licht, zur Wahrheit durchgedrungen.
Jetzt muß ich dich verlassen — zage nicht —
Über ein kleines und du stehst im Licht!“
Der Blinde steht allein, doch unverzagt.
Seit er den eignen Übermut bezwungen
Und seit der Eitelkeit er abgesagt,
Seit er nach Wahrheit demutvoll gerungen,
Geführt von Sorge um sein ewiges Heil,
Ist ihm zu Mut als Neugeborner
Und als zum höchsten Glück Erkorner. —
Da horch! — Aus weiter Ferne schallen
Ihm Melodieen wunderbar
Von Pilgern, welche näher wallen,
Und bald ertönen laut und klar:
Heil, Heil dem Strebenden,
Vom Staub sich Hebenden,
Sehnsuchtvoll Ringenden,
Selbst sich Bezwingenden —
Er wird uns sehn.
Dem Geistig Mündigen
Weisheit wir kündigen,
[449]Stärken den Schwankenden,
Helfen dem Krankenden
Rüstig erstehn.
Seelen beglücken wir,
Geister entzücken wir,
Welten verklären wir,
Wonnen gewähren wir,
Die nie vergehn.
Dem Unverfänglichen,
Nimmer Vergänglichen
Dienen wir gern;
Dem allumfassenden,
Niemand verlassenden
Gott, unserm Herrn.
Es horcht der Mensch entzückt, in seinem Innern
Entbrennt ein Funke, bald ein helles Licht.
Ihm scheint's zuerst ein heiliges Erinnern,
Doch wird's zur Hoffnung, wird zur Zuversicht.
Und durch die Augen nun des Blinden
Drängt sich's heraus — ein heitrer Strahl,
Der eine neue Welt ihn finden
Und schauen läßt mit einemmal.
In einem wunderbaren Garten,
Wo Lilien und Akazien blühn
Und Rosen in viel tausend Arten
Im grünen Blätter-Schmucke glühn,
Steht ein Altar, drauf sieben Flammen
In sieben Farben lodernd glänzen,
Die sich vereinend dann zusammen
Zum lautern, weißen Licht ergänzen.
Und rings um den Altar sieht wallen
[450]Der Mensch, der Künste heilige Schar,
Sie lassen wechselnd Lieder schallen,
Indem sie schmücken den Altar
Mit wunderreichen Liebesgaben,
Mit Farben, mit Gestalten und mit Tönen,
Mit alledem, was lieblich, was erhaben,
Mit allem Herrlichen, mit allem Schönen.
Heilig, heilig, heilig
Ist Gott Zebaoth!
Heilig, heilig, heilig
Ist der starke Gott,
Der da ist, sein wird und war,
Preis ihm jetzt und immerdar!
Preis und Ehre, Herr, sei Dir!
Groß ist Deine Stärke!
Staunend tief bewundern wir
Deiner Hände Werke.
Was sich reget
Und beweget,
Lebt, weil Dir's gefällt.
In der Stille
Wirkt Dein Wille
Und erschafft die Welt.
Die ganze Welt,
Des Himmels Heer,
Was Erd' enthält,
Was birgt das Meer,
Was leibt und lebt —
Erheb' im Chor
Gott, der uns hebt
Zu sich empor!
[451]Weisheit und Stärke,
Schönheit und Pracht
Schmücken die Werke
Göttlicher Macht!
In Andacht steht der Mensch versunken.
Da naht ihm aus der Künste Schar
Ein hehres Wesen — wonnetrunken
Reicht seine Rechte es ihm dar.
Es spricht in wohlbekannten Tönen:
„Mensch, folge mir, ich will dich weihn,
Um mit der Gottheit ewigen Söhnen
Vereint für Ewigkeit zu sein!
Es wird vom Irrtum und vom Bösen,
Der Allbarmherzige dich befrein,
Denn alle kommt er zu erlösen,
Die frei sich seinem Dienste weihn.“ —
Es schwankt der Mensch hin zum Altare,
Da taucht die leuchtende Gestalt
Ins Flammenmeer, das farbig klare,
Die Hand: es blitzt, es schäumt, es wallt;
Und auf des Menschen Haupt ergießet
Die Flamme sich — als kühle Flut —
Das Wasser, das herniederfließet,
Stillt brennender Sehnsucht heiße Glut.
Den Menschen fassen selige Wonnen,
Als taufend ihn das Wesen spricht:
„Aus ewiger Wahrheit Feuerbronnen
Weih' ich dich, Mensch, dem lautern Licht,
Weih' ich dem ewig jungen Leben,
Weih' ich der reinen Liebe dich! —
Und nun — schau her — erkenne mich!
Als Sorge hab' ich mich, da du die Wahrheit
Noch suchtest, dir dereinst genannt,
[452]Jetzt schaust du mich in meiner Klarheit,
Denn mit der Wahrheit hast du mich erkannt.
Ich bin die Kunst der Künste, am Altare
Der Wahrheit hier die Hohepriesterin,
Damit sich Gott den Seinen offenbare,
Bin ich bestellt zur Herzensbildnerin.
Mit all den andern Künsten im Vereine
Führ' ich der Kinder Herzen lind zurück
Zum ewigen Vater; als der Seine
Erkenn auch dich, o Mensch, zum höchsten Glück.
Einst wähntest du, es wären Raum und Zeit
Die Eltern dein; in kühnem Übermute
Stieß'st du die Schwachen von dir weit,
Und hattest recht! Du bist von edlerm Blute!
Du machtest dich nach angestammtem Rechte
Zum Herrn der Erde, doch in deinem Wahn
Nahmst für das Gute du das Schlechte
Und sahst für Wahrheit Lüge an.
Von Eitelkeit verblendet, irrtest du,
Und frei dich wähnend, dientest du dem Bösen;
Da schickt' mich dir dein rechter Vater zu,
Denn Er beschloß dich zu erlösen;
Er selber wird, was ich begonnen,
An dir vollenden, wie mit Wasser ich,
Wird, wenn die Prüfungszeit verronnen,
Er einst mit Feuer taufen dich!
Halt aus! bleib treu dem Leben!
Bleib treu der Liebe! treu dem Licht!
Er wird zu sich empor dich heben,
Er läßt von dir im Tode nicht!“
[453]Vergiß für mich die Rose nicht!
Der Frühling beut die letzte Spende,
Die Nachtigall klagt leiser schon,
Sie ahnt des Glückes Sonnenwende,
Dieweil in Saaten blüht der Mohn;
Hoch überm Scheitel steht die Sonne,
Uns strahlend jetzt im stärksten Licht; —
O Lenz, in deiner Scheidewonne
Vergiß für mich die Rose nicht!
Akazien und Linden sprühen
Balsamisch süße Düfte aus;
Es zieht beim ersten Morgenglühen
Die Freude schon von Haus zu Haus;
Das Herz, das sorgenvoll gepreßte,
Erhebt sich, seine Fessel bricht;
Es naht das schönste aller Feste: —
Vergiß für mich die Rose nicht!
Johannistag, du Fest der Liebe,
Bist zu beglücken uns bereit;
Und ob des Frühlings Pracht zerstiebe,
Du spendest doch uns Seligkeit;
Du führst zur Weisheit, Schönheit, Stärke,
Nimmst uns die Binde vom Gesicht;
Du weihest uns zum guten Werke: —
Vergiß für mich die Rose nicht!
Es wankt sogar am Wanderstabe
Der Greis herbei im Silberhaar;
Der Kinder Lust ist seine Labe,
[454]Die frische, muntre Enkelschar;
Und auf dem Lager selbst der Kranke,
Er ist heut voller Zuversicht,
Was ihn beseelt, nur ein Gedanke: —
Vergiß für mich die Rose nicht!
Akazien und Linden blühen
Auch auf des Friedhofs stillem Plan,
Johannisgrüße auszusprühen
In diesem grünen Ozean;
Und aus den Wellen unverrücket,
Den Gräbern, eine Stimme spricht:
Du, den ich liebend einst beglücket,
Vergiß für mich die Rose nicht!
Im Kreise
Es zieht die Erde ihre Bahn;
Von wo sie ausging, kommt sie an;
Und also auch die Sterne kreisen,
Denn alles, alles geht auf Reisen.
Es reift das Kind zum Mann geschwind,
Der Mann wird Greis, der Greis wird Kind;
Den müden Leib umfängt die Erde,
Auf daß der Staub zum Staube werde!
Fort strebt die Welt, der Riesengeist;
Sie geht im Kreis, wie alles kreist.
Habt ihr vom Paradies gelesen?
Die Welt wird einst, was sie gewesen!
[455]Blumentrost
Einst in milder Winterszeit
Kam ich in den Garten,
Blumen blühten weiß wie Schnee,
Konnten's nicht erwarten.
Sprach zu ihnen: „Gebt wohl acht,
Wie es euch wird gehen,
'S ist noch lange, bis im Lenz
Frühlingslüfte wehen!
Schon die erste kalte Nacht
Könnt ihr was gewahren,
Winterfrost mit Schnee und Eis
Treibt euch bald zu Paaren!“
Sahen mich die Blümlein an,
Hatt' mir zwei genommen:
„Jeder Tag, da wir geblüht,
Bleibt uns unbenommen!“
Und ich dacht': ein schönes Wort!
Will mir fein es merken;
Wenn es Winter auch bei mir,
Mag's den Armen stärken.
Und es hat nicht lang' gewährt,
Glück war fortgeflogen,
Die mir Liebe einst gelobt —
Hatt' mich angelogen.
War das Herz so trüb und schwer,
Dacht' der schönen Tage,
Ach! wenn Lieb' und Glück vorbei,
Alles wird zur Klage!
[456]Sieh, da fiel ein Wort mir ein,
Rief es freudbeklommen:
„Jeder Tag, da ich geliebt,
Bleibt mir unbenommen!“
Der goldne Sonnenschein
Das giebt der Erde erst den Glanz
Und Weihe der Natur,
Macht ihr zum schönsten Feierkleid
Die blütenärmste Flur:
Macht ihr den Bach zum Perlenband,
Zum Schmuck den schlechtsten Stein: —
Liegt leuchtend über aller Welt
Der goldne Sonnenschein!
O doppelt glücklich, wem dann auch
Des Lebens Sonne glüht!
Wer froh, mit freiem Wandersinn,
Durch Wald und Auen zieht!
Die Lerche schwingt sich jubelnd auf,
Und jauchzend stimmt er ein: —
Liegt leuchtend über aller Welt
Der goldne Sonnenschein!
Doch sank auch deines Tags Gestirn,
Und ward es in dir Nacht, —
Schan nur hinaus in Gottes Flur,
Wenn alles blitzt und lacht;
Es schleicht sich auch ins ärmste Herz
Ein Strahl des Lichts hinein: —
Liegt leuchtend über aller Welt
Der goldne Sonnenschein!
[457]Trotzkopf
Mich hat zu einer eigenen Art
Die Mutter Natur geboren.
So hab' ich mich treu bis heute bewahrt
Zum Trotze den Weisen und Thoren.
Und was sie auch reden hin und her,
Das ändert und wandelt mich nimmermehr;
Ihr Reden ist verloren.
Ich liebe im ganzen vollen Sinn
Und bin dem Geliebten ergeben
Mit allem, was ich habe und bin,
Mit meinem Wollen und Streben.
Mein Lieben ist tief und echt und wahr,
Verschmolzen im Innern ganz und gar
Mit meinem eigensten Leben.
Ich hasse, und hasse mit glühender Kraft —
Vor allem die Feinde des Schönen
Und jeden, dem es Freude schafft,
Die Würde des Menschen zu höhnen;
Die hass' ich mit wilder, flammender Glut
Und sag' es mit frohem, offenem Mut:
Ich lasse mich nicht versöhnen.
Ihr Lieben! und wenn euch denn mißfällt
Mein Denken und mein Streben,
So hat die weite, breite Welt
Für viele Raum zu leben.
Da suchet sich jeder sein eigen Ziel,
Und wer nicht mit mir gehen will,
Der gehe fein daneben.
[458]Der Stieglitz hat einen roten Schopf,
Einen blauen hat die Meise;
So trag' ich denn auch meinen Kopf
Nach meiner eignen Weise.
Es geht seinen Weg ein rechter Mann,
Und wollt ihr ihn irren — das geht nicht an,
Er bleibt in seinem Gleise.
Verstummen
Schöne Zeit der Frühlingstage,
Holder Mai, willst du entfliehn,
Wo noch Lieder jedem Hage,
Wo dem Schmerz doch seine Klage,
Allem Sprache war verliehn?
Wo die Weste Küsse tauschten,
Wo vom Fels der Wasserfall
Und die Wiesenbäche rauschten,
Wo die Wälder schauernd lauschten
Auf das Lied der Nachtigall;
Wo das Echo aus den Grüften
Sprach in süßer Sympathie,
Wo die Blume sprach in Düften,
Wo der Sturm sprach in den Lüften
Und die Welt war Melodie!
Schönrer Frühling meines Lebens,
Meiner Seele holder Mai,
Lenz der Jugend und des Strebens,
Ruft mein Sehnen dir vergebens,
Eilst du wirklich mir vorbei?
[459]Lerchenzeit, o kehre wieder,
Wo das Herz noch überfloß,
Wo der reiche Strom der Lieder,
Wie vom Fels die Quelle nieder,
Von den Lippen sich ergoß!
Ach! und mehr, als Worte sagen,
Sprach der stummen Lippen Kuß,
Sprach ein Blick in jenen Tagen,
Sprach des Blickes Niederschlagen,
Unterm Tische selbst der Fuß.
Und die Blume, die sie pflückte,
Sprach von ihrer Zärtlichkeit,
Und wenn sie die Hand mir drückte,
Zum Verstummen mich entzückte,
Sprach es mehr als Schwur und Eid.
All mein Sinnen, all mein Leben
Schien wie Lied und Melodie,
Schien wie Äolsharfenbeben
Zu verhallen, zu verschweben
In der Sphären Harmonie.
Stille wird's im weiten Raume,
Herbstlich schweiget Wald und Flur,
Nur im fall'nden Blatt vom Baume
Seufzet leis noch wie im Traume,
Wie im Sterben die Natur.
Und versiegen schon und stocken
Will auch mir der Strom der Zeit,
Und in meine braunen Locken
Hat der Kummer weiße Flocken
Hier und da schon eingeschneit.
[460]Meine Augen werden blöde,
Und sie sehnen sich nach Ruh,
Und die Lippe mird so spröde,
Alles kalt und stumm und öde,
Und das Herz, es schließt sich zu.
König Föhn
Wieder spielt die Riesenharfe
König Föhn mit aller Macht,
Und es braust das schwerterscharfe
Hochlied durch die Sternennacht!
Wenn er so im wilden Reigen,
Herrscherkühn, vorübergeht:
Rings sich alle Wälder neigen
Tief vor seiner Majestät!
Die wahre Ehre
Das nur ist die wahre Ehre auf des Lebens wirrer Bahn,
Die der Mensch sich selber geben und auch selber nehmen kann.
Die Lawine
Es wird die schlafende Lawine
Leis wachgeküßt vom Sonnenmund,
Und donnernd stürzt sie sich, die kühne,
Vom Felsengrat zum Thalesgrund.
Da liegt sie, überragt von Erlen,
Bleich auf der Matte jungem Grün,
Und weint befruchtend ihre Perlen,
Allmählich sterbend, drüber hin.
Der Bergsee
Mit süßem, maienheitrem Blinken
Ruht, unberührt vom Erdenweh,
Umragt von grauen Felsenzinken,
Auf hoher Alp ein Silbersee.
Der Frühling hat ihn wunderniedlich
Mit frischen Blumen rings umsäumt,
Er aber schlummert hold und friedlich
Am Bergesbusen fort und träumt.
An diese Zeit
Bei so viel Licht, o Zeit, welch tiefe Schatten
Seh' ich dein ruhmgekröntes Haupt umwehen!
Nur halb dienst du der Menschheit großer Sache;
Denn eins gebricht dir: Schönes zu verstehen,
Und wo des Nutzens Hämmer nie ermatten,
Da heimt die Kunst nicht unterm lauten Dache.
Drum daß dein Herz verflache
Im staub'gen Dienst von deinen Werkeltagen,
Daß du trotz üpp'gen Glanzes goldnen Bergen
Nichts als der Schönheit Schergen
Erziehst — die Furcht beschleicht mich oft mit Zagen.
Wer Edles sucht, bleibt kalt an deinem Busen;
Denn deine Kunst dient schnöder Weltlust Musen.
Dem Geiste nicht, du opferst nur den Sinnen,
Seh' ich doch rings auf deinen Schaugerüsten
Nicht Helden schreiten mit erhabner Stirne,
Nein, sich das Laster und die Narrheit brüsten:
Du machst die Kunst mit frevelndem Beginnen
[462]Zur Bajadere und zur Gauklerdirne.
Es bleichen die Gestirne
Der Anmut — in die Leier der Gesänge
Greift jeder Schwächling, und des Beifalls Ehren
Seh' ich ihm reich bescheren
Die allzu willige, bethörte Menge.
Doch lorbeerlos, vereinsamt und in Blöße
Bleibt ungeehrt die echte Künstlergröße.
Drum mögen, Zeit! trotz deiner Wolkenflüge,
In Schwermut dir des Dichters Strophen fluten;
Denn das Geschlecht, das sich gewandt vom Schönen,
Hat sich zugleich entzweiet mit dem Guten,
Und wer verzerrt der Kunst geweihte Züge,
Wird ihre Schwester auch, die Sitte, höhnen.
Orakel hör' ich tönen
Aus der Geschichte Mund: Im Zorn gerichtet
Sei jene Zeit, die, im Gemüt umnachtet,
Nicht ehret und nicht achtet,
Was edle Kunst in edlen Formen dichtet!
Entadelt muß sie öde Pfade wallen —
Das Diadem ist ihr vom Haupt gefallen.
Haus, Staat, Menschheit
Ein Tempel ist das Haus, das Liebe bauet;
Der hat ein Glück, das heilig ist, erloset,
Dem hold am Herde nach des Tags Vollendung
Die Schläfe weiche Frauenhand umkoset,
Der, da er seinem Kind ins Auge schauet,
Sich froh bewußt wird seiner Erdensendung.
Wohl schenkt ihm in Verschwendung
Ein Gott mit höchster Freude tiefste Schmerzen:
Mit Glück' kommt Sorg'; es wechselt Lust mit Leide —
[463]Ihn aber adeln beide,
Weil er sie teilet mit geliebten Herzen.
So schleicht ein Lächeln sich selbst in sein Sterben,
Weil Kind und Kindeskind sein Leben erben.
Und aus des Hauses Heiligtum erblühet,
Dem Dasein menschenwürd'ge Formen leihend,
Ruhmreich der Staat: Begeistert ihm ergeben,
Sich willig seinen höhern Zwecken weihend,
Verliert in ihn sich thatenlustdurchglühet,
Ein schwindendes Atom, das Einzelleben.
Und groß ins Ganze streben
Die Geister, und des Ichseins Schranken fallen,
Und „Bürgerliebe!“, „Vaterland!“ und „Ehre!“
Und „heil'ge Völkerwehre!“
Hör' ich als stolze Losungen erschallen,
Und Lorbeerkränze seh' ich fernher winken
Und Heldenleichen auf Trophäen sinken.
Und immer weiter öffnen sich die Bahnen:
Es schließen Staaten glorreich sich an Staaten,
Und Völker reichen Völkern rings die Hände.
Das Werk des Genius, des Helden Thaten,
Im Nord gezeitigt oder wo Platanen
Im Hauche stehn der Tropensonnenbrände —
Es münden ohne Ende
Des Menschen weltdurchpulsende Gedanken
All' in der Menschheit großes Herz hinüber:
Zeitalter gehn vorüber,
Und andre kommen; Erdendinge schwanken,
Und Scepter selbst vermorschen auf den Thronen —
Die Menschheit lebt und blüht durch die Äonen.
So ströme denn, o du mein armes Leben,
Dich selbst vergessend, frohgemut vorüber
[464]An weicher Eigenliebe Hesperiden!
Ström in das volle Menschheitsmeer hinüber,
Das Ganze suchend mit dem heißen Streben
Des Feuerdurstes eines Tantaliden!
Und was mir auch beschieden,
Soll ich Cypressen oder Palmen tragen,
Ich will, indem die Zeiten abwärts rauschen,
Der Menschheit Puls belauschen,
Bis meine eignen Pulse ausgeschlagen.
Dann komm' auch mir, was kommt nach diesen Sonnen,
Sei's das Nirwana, sei's ein Reich der Wonnen!
Die Klugheit ist selten weise
Sprüche
Die Klugheit ist selten weise;
Die Weisheit ist selten klug;
Im Staube geht Klugheit leise,
Doch Weisheit nimmt höhern Flug.
Es hat die Strömung mit sich fort
Sprüche
Es hat die Strömung mit sich fort
Den Stein genommen;
Der denkt, er sei an seinen Ort
Allein geschwommen.
Es soll ein Gotteshaus
Sprüche
Es soll ein Gotteshaus
Die hohe Kunst uns sein:
Gereinigt tret' heraus
Wer sündig ging hinein.
- Rechtsinhaber*in
- The Beginnings of Modern Poetry Project
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2024). The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. Neuer deutscher Parnaß. Silberblicke aus der Lyrik unserer Tage. Neuer deutscher Parnaß. Silberblicke aus der Lyrik unserer Tage. The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. The Beginnings of Modern Poetry Project. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-0014-43C4-1